Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 30.05.2018 wird über die vom Antragsgegner bereits gewährte Aussetzung der Vollziehung hinaus ab Fälligkeit bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens ausgesetzt und aufgehoben, soweit darin für den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2014 bis 31.03.2015 ein Zinssatz von mehr als 3 % zugrunde gelegt worden ist. Die bereits erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen sind nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe zu beschränken.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Berechnung der von der Vollziehung ausgesetzten Beträge wird dem Antragsgegner übertragen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 95 % den Antragstellern und zu 5 % dem Antragsgegner auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
I.
2Streitig ist, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Zinsfestsetzung wegen der gewährten Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1995 bis 2004 bestehen.
3Die Antragsteller sind verheiratet und wurden in den Jahren 1995 bis 2004 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen die Einkommensteuerbescheide für die vorgenannten Jahre hatten die Antragsteller Einspruch eingelegt und nachfolgend erfolglos Klage erhoben (Urteil des 15. Senats des Finanzgerichts Münster – FG Münster –, Az. 15 K 4697/08). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsteller hob der Bundesfinanzhof (BFH) das vorgenannte Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück (BFH-Beschluss vom 26.09.2011 VIII B 162/11). Im zweiten Rechtsgang wies der 14. Senat des FG Münster die Klage durch Urteil vom 29.07.2016 unter dem Az. 14 K 1859/13 ganz überwiegend ab. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der BFH durch Beschluss vom 10.05.2017 (Az. III B 134/16) als unzulässig. Am 05.07.2017 erließ der Antragsgegner geänderte Einkommensteuerbescheide für 1997, 2003 und 2004, mit welchen er das finanzgerichtliche Urteil vom 29.07.2016 umsetzte. Die Antragsteller legten gegen diese Änderungsbescheide jeweils Einspruch ein. Die nachfolgende Klage wies der erkennende Senat durch Urteil vom 16.05.2018 unter dem Az. 9 K 3687/17 ab (Urteilsverkündung am 16.05.2018, Zustellung an die Antragsteller am 16.07.2018, an den Antragsgegner am 19.07.2018). Über die dagegen von den Antragstellern am 03.08.2018 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde VIII B 104/18 hat der BFH noch nicht entschieden.
4Zuvor war während der Einspruchsverfahren bzw. der gerichtlichen Verfahren die Vollziehung der festgesetzten Einkommensteuer 1995 bis 2004 teilweise/zeitweise gem. § 361 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt worden. Mit Bescheid vom 30.05.2018, auf den wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, setzte der Antragsgegner gem. §§ 237 ff. AO Aussetzungszinsen bezogen auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag 1995 bis 2004 i.H.v. insgesamt 61.305,45 € fest. Zur weiteren Begründung verwies er darauf, dass der BFH die Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren III B 134/16 zurückgewiesen habe. In seinen detaillierten Berechnungen ging der Antragsgegner u.a. davon aus, dass der Zinslauf vielfach am 10.08.2018 geendet habe, teilweise allerdings auch früher.
5Die Antragsteller legten gegen diese Zinsfestsetzung fristgerecht Einspruch ein und stellten gleichzeitig einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung machte er geltend, der Zinssatz von 0,5 % pro Monat sei verfassungswidrig, und zwar bereits vor dem 01.04.2015. Außerdem seien die Daten der Zinszeiträume streitig, da belastbare Abrechnungsbescheide bislang nicht erstellt worden seien. Die mehrfach abgeänderten händisch erstellten Kontoauszüge seien wie nachgewiesen auch in der jeweils letzten Fassung fehlerhaft, da die Verrechnungen von Steuerguthaben und –verbindlichkeiten mangels Unterscheidung von Valuta- und Berechnungszeitpunkten nicht nachvollziehbar seien. Auf die nicht bearbeiteten Einspruchsverfahren zur Erteilung von Abrechnungsbescheiden für die Einkommensteuer 1995 bis 2004 ff. werde verwiesen.
6Der Antragsgegner entsprach dem Aussetzungsantrag insoweit, als er im Hinblick auf den BFH-Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) und das BMF-Schreiben vom 14.06.2018 (BStBl I 2018, 722) betreffend die etwaige Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Zinssatzes die Zinsfestsetzung für Zinszeiträume ab dem 01.04.2015 von der Vollziehung aussetzte. Im Übrigen lehnte er den weitergehenden Antrag ab, d.h. es verblieben danach nicht ausgesetzte Beträge i.H.v. 49.662,70 €.
7Mit Schriftsatz vom 26.07.2018 (eingegangen beim Finanzgericht am 27.07.2018 per Fax ohne Anlagen, am 30.07.2018 mit Anlagen) haben die Antragsteller daraufhin einen Aussetzungsantrag beim Finanzgericht gestellt und den Antragsgegner zeitgleich hierüber informiert (Schreiben der Antragsteller an den Antragsgegner vom 27.07.2018). Der Antrag wurde dem Antragsgegner am 06.08.2018 zugestellt, und zwar u.a. mit dem Zusatz: „Das Gericht geht davon aus, dass vor der Entscheidung über den Antrag von – weiteren – Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen wird.“ Wegen vom Antragsgegner am 08.08.2018 und am 09.08.2018 durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, die unter dem Aktenzeichen 9 V 3523/18 geführt wird.
8Zur Begründung ihres Aussetzungsantrags machen die Antragsteller geltend, die Zinshöhe in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO werfe durch ihre realitätsferne Bemessung schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel hervor. Dies ergebe sich dem Beschluss des BFH vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 445), der sich zwar nur auf einen Zinszeitraum vom 01.04.2015 bis 16.11.2017 beziehe, dessen Begründung aber auch auf frühere Zinszeiträume Anwendung finden könne. Die dort herangezogenen Zinssätze seien bereits Anfang Januar 2010 nur um 0,6 bis 1,5 % höher gewesen als zum Stichtag 01.04.2015 und wiesen damit ein vergleichbar hohes Missverhältnis zu dem Zinssatz von 6% auf. Unabhängig davon seien die Zinsbescheide aber auch deshalb fehlerhaft ermittelt und festgesetzt worden, weil weiterhin erhebliche Differenzen hinsichtlich der vom Antragsgegner vereinnahmten, eingezogenen oder mit anderen Forderungen auch aus den Vorjahren verrechneten Beträge bisher nicht aufgeklärt worden sei. Auf die bisher vom Antragsgegner nicht erledigten und offensichtlich mit Bedacht nicht bearbeiteten Einsprüche vom 14.09.2017 zur Erteilung von Abrechnungsbescheiden für die Einkommensteuer 1995 bis 2004 ff. werde verwiesen.
9Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
10die Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 30.05.2018 über die vom Antragsgegner bereits gewährte Aussetzung der Vollziehung hinaus auszusetzen und aufzuheben.
11Der Antragsgegner beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Zur Begründung führt er unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09 (BStBl II 2010, 558) aus, für Verzinsungszeiträume vor dem 01.04.2015 sei keine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, weil bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dem Geltungsanspruch der formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Zinsvorschriften der Vorrang einzuräumen sei.
14II.
15Der Antrag ist teilweise begründet. Die Vollziehung des Zinsbescheides vom 30.05.2018 wird über die vom Antragsgegner bereits gewährte Aussetzung der Vollziehung (Aussetzung durch Bescheid vom 17.07.2018 i.H.v. 16.642,75 €) hinaus ausgesetzt und aufgehoben, soweit darin für den Verzinsungszeitraum vom 01.01.2014 bis 31.03.2015 ein Zinssatz von mehr als 3 % zugrunde gelegt worden ist. Die bereits erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen sind nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen unter 3. zu beschränken. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
161. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
17a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 29.07.2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449; vom 26.04.2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664; vom 21.05.2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613). Dies setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (BFH-Beschluss vom 12.02.2015 V B 160/14, BFH/NV 2015, 861). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 26.08.2010 I B 85/10, BFH/NV 2011, 220; vom 13.03.2012 I B 111/11, BStBl II 2012, 611). Es muss jedoch eine nicht fernliegende, weil ernstliche Möglichkeit bestehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegen wird (BFH-Beschluss vom 29.10.2009 III R 233/08, BFH/NV 2010, 683). Die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides oder eines Bescheides über steuerliche Nebenleistungen kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO).
18Das Aussetzungsverfahren ist ein summarisches Verfahren, in dem nur nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln entschieden wird. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Finanzgericht sind nicht erforderlich (BFH-Beschluss vom 02.11.2015 VII B 68/15, BFH/NV 2016, 173; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 122). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im AdV-Verfahren die Regeln über die objektive Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 26.08.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255).
192. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ist eine weitergehende Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides nur geboten, soweit der Antragsgegner für den Zinszeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2015 einen Zinssatz von mehr als 3 % zugrunde gelegt hat.
20a) Dem Grunde nach hat der Antragsgegner zu Recht Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 1995 bis 2004 festgesetzt.
21Soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid oder gegen eine hierauf bezogene Einspruchsentscheidung endgültig keinen Erfolg gehabt hat, ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Eine Anfechtungsklage ist jedenfalls dann und insoweit endgültig erfolglos, wenn bzw. soweit sie durch unanfechtbare gerichtliche Entscheidung abgewiesen worden ist (BFH-Urteil vom 14.06.2017 I R 38/15, BStBl II 2018, 2). Die Festsetzung der Zinsen erfolgt durch einen entsprechenden Zinsbescheid (§ 239 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 155, 157 AO).
22Unstreitig sind die Bescheide über Einkommensteuer 1995 bis 2004 teilweise/zeitweise während laufender Einsprüche bzw. Gerichtsverfahren gem. § 361 AO bzw. § 69 Abs. 2, 3 FGO von der Vollziehung ausgesetzt worden. Gleichermaßen wurden auch die Bescheide über den Solidaritätszuschlag als Folgebescheide teilweise/zeitweise von der Vollziehung ausgesetzt.
23Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass über die Rechtsbehelfe/Rechtsmittel wegen Einkommensteuer 1995 bis 2004 bereits aufgrund des BFH-Beschlusses vom 10.05.2017 unter dem Az. III B 134/16 endgültig entschieden worden war. Damit stand insoweit gleichzeitig fest, in welchem Umfang die Antragsteller mit ihren ursprünglichen Einsprüchen und nachfolgenden Gerichtsverfahren letztlich keinen Erfolg gehabt hatten. Dem Grunde nach lagen somit die Voraussetzungen für eine Zinsberechnung gem. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO vor.
24Der vorgenannten Beurteilung steht das nachfolgende weitere Einspruchsverfahren, das erneute Klageverfahren (unter dem Az. 9 K 3687/17) und die noch anhängige Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (Az. des BFH VIII B 104/18) betreffend die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997, 2003 und 2004 vom 05.07.2016 nicht entgegen. Wird die Berechnung der durch Urteil festgesetzten Steuer gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO der Behörde übertragen, ist der Verwaltungsakt nach Rechtskraft der Entscheidung mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu gegeben (§ 100 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz FGO). Dieser neu bekannt gegebene Steuerbescheid kann zwar mit dem Einspruch und ggf. einer Anfechtungsklage angefochten werden; eine Überprüfung des Bescheides ist aber nur noch insoweit möglich, wie die Rechtskraft des vorangegangenen Urteils (§ 110 FGO) einer solchen Prüfung nicht entgegensteht (BFH-Urteil vom 08.03.2017 IX R 47/15, BFH/NV 2017, 1044). Da es somit bei der Rechtskraft des vorangegangenen Urteils uneingeschränkt verbleibt, sind die diesem vorhergehenden Anfechtungsverfahren bereits endgültig abgeschlossen und es steht fest, in welchem Umfang die früheren Rechtsbehelfe/Rechtsmittel des Steuerpflichtigen endgültig keinen Erfolg gehabt haben. Eine etwaige nachfolgende Änderung des angefochtenen Bescheides ist insoweit unerheblich (vgl. auch, wenngleich dort zu einem Bescheid nach vorhergehenden übereinstimmenden Erledigungserklärungen, BFH-Urteil vom 14.06.2017 I R 38/15, BStBl II 2018, 2).
25b) Ausgehend von der einfachgesetzlichen Regelung in §§ 237 bis 239 AO bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Höhe der festgesetzten Aussetzungszinsen.
26aa) Die Verzinsung erfolgt, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid oder gegen eine hierauf bezogene Einspruchsentscheidung endgültig keinen Erfolg gehabt hat, bezüglich des geschuldeten Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO). Aussetzungszinsen werden gemäß § 237 Abs. 2 Satz 1 AO erhoben vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach der Rechtshängigkeit ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung beginnt (§ 237 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Zinsen betragen für jeden vollen Monat einhalb Prozent (§ 238 Abs. 1 Sätze 1, 2 AO). Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag je Steuerart auf den nächsten durch 50 € teilbaren Rest abgerundet (§ 238 Abs. 2 AO). Die Zinsen sind zum Vorteil des Steuerpflichtigen auf volle € zu runden (§ 239 Abs. 2 Satz 1 AO). Sie werden nur dann festgesetzt, wenn sie mindestens 10 € betragen (§ 239 Abs. 2 Satz 2 AO). Der Steuerpflichtige kann die Aussetzung der Vollziehung jederzeit durch Tilgung der Steuerschuld beenden, wodurch ab dem Zahlungszeitpunkt auch die Verzinsungspflicht nach § 237 AO entfällt (BFH-Urteil vom 25.04.2013 V R 29/11, BStBl II 2013, 1653). Ein Bescheid über Aussetzungszinsen ist nicht aufzuheben oder zu ändern, wenn der Steuerbescheid nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird (§ 237 Abs. 5 AO).
27bb) Im Streitfall hat der Antragsgegner bei summarischer Beurteilung die Zinsberechnung entsprechend den vorgenannten Grundsätzen vorgenommen.
28aaa) Aufgrund der Verwerfung der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH steht fest (Az. III B 134/16), in welchem Umfang der Einspruch bzw. die unter den Az. 15 K 4697/08 (1. Rechtsgang) und 14 K 1859/13 (2. Rechtsgang) geführte Anfechtungsklage der Antragsteller letztlich keinen Erfolg hatte. Gegen die Richtigkeit der Berechnung der nach Maßgabe des finanzgerichtlichen Urteils unter dem Az. 14 K 1859/13 festgesetzten Steuer haben die Antragsteller keine Einwendungen erhoben.
29bbb) Im Hinblick auf die Regelung in § 237 Abs. 5 AO hat der aufgrund der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde (Az. des BFH VIII B 104/08) noch offene Ausgang des Klageverfahrens unter dem Az. 9 K 3687/17 keine Bedeutung für die Höhe der festzusetzenden Aussetzungszinsen.
30ccc) Des Weiteren haben die Antragsteller keine konkreten Einwendungen gegen die Berechnung der Aussetzungszinsen erhoben. Sie machen lediglich sinngemäß geltend, es sei unklar, ob die von der Vollziehung ausgesetzten Beträge auch tatsächlich im Rahmen der Umbuchungen/Zahlungsabwicklung richtig berücksichtigt worden seien.
31Die vorgenannten Einwendungen sind zwar im Ansatz erheblich, weil mit einer Tilgung der Steuerschuld auch die Verzinsungspflicht endet und auch eine Aufrechnung nach Maßgabe des § 226 AO zu einer Tilgung der Steuerschuld führt. Allerdings ist die Sonderregelung in § 238 Abs. 1 Satz 3 AO zu beachten, wonach in den Fällen einer Tilgung durch Aufrechnung der Tag, an dem die Schuld des Aufrechnenden fällig wird, als Tag der Zahlung gilt (§ 238 Abs. 1 Satz 3 AO). Außerdem ist das Finanzamt während der Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides an der Aufrechnung mit dem durch ihn festgesetzten Steueranspruch gehindert (BFH-Urteil vom 31.08.1995 VII R 58/95, BStBl II 1996, 55).
32Im Streitfall haben die Antragsteller nicht konkret vorgetragen, dass sie selbst freiwillige Zahlungen geleistet und dazu bestimmt hätten, diese zur Tilgung der von der Vollziehung ausgesetzten rückständigen Steuerschulden zu verwenden, und dass eine derartige Zahlung/Tilgungsbestimmung vom Antragsgegner bei der Zinsberechnung nicht berücksichtigt worden sei. Ebensowenig haben sie eine Aufrechnungserklärung dargelegt, mit der sie, die Antragsteller, eine Aufrechnung etwaiger ihnen zustehender fälliger Erstattungsansprüche mit den von der Vollziehung ausgesetzten rückständigen Steuerschulden erklärt hätten.
33Bei summarischer Beurteilung bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner entgegen der o.g. Rechtsprechung eine Aufrechnung fälliger Erstattungsansprüche der Antragsteller mit den von der Vollziehung ausgesetzten rückständigen Steuerschulden vorgenommen hätte. Allein der Hinweis der Antragsteller auf die ihrer Ansicht nach noch zu erteilenden Abrechnungsbescheide und insoweit noch offene Einspruchs- bzw. Klageverfahren genügt nicht, um ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides zu begründen. Die Notwendigkeit detaillierterer Ausführung war für die Antragsteller auch eindeutig ersichtlich. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 05.02.2018 unter dem Az. 9 V 3286/17 AO betreffend den Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel einer vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Einkommensteuer 1995 bis 2015 darauf hingewiesen, dass zweifelhaft sei, ob ein Abrechnungsbescheid ergehen könne/müsse und mit welchem Inhalt, weil der Antragsgegner bezogen auf die einzelnen Steuern detailliert aufgeschlüsselte Kontoauszüge erstellt habe, während es an konkreten Einwendungen der Antragsteller fehle. Die Klärung etwaiger Restzweifel hinsichtlich der Berechnung der Aussetzungszinsen muss deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
34c) Jedoch bestehen an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 237, 238 AO ernstliche Zweifel – und damit auch an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides –, soweit der einfachgesetzliche Zinssatz im Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.03.2015 über 0,25 % pro Monat beträgt.
35aa) Wird die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht – wie hier die Höhe des Zinssatzes gem. § 238 Abs. 1 AO – sind an die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (vgl. BFH-Beschluss vom 13.03.2012 I B 111/11, BStBl II 2012, 611).
36bb) Für Zinszeiträume ab dem 01.01.2014 ist ernstlich zweifelhaft, ob die in § 238 AO (auch) für Aussetzungszinsen gem. § 237 AO vorgesehene Zinshöhe von 0,5 % pro Monat gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und/oder gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt. Für frühere Zinszeiträume mögen zwar Restzweifel bestehen, doch sieht der erkennende Senat diese nicht als so gewichtig an, dass sie den erforderlichen Grad ernstlicher Zweifel erreichen. Für Zinszeiträume ab dem 01.04.2015 hat bereits der Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ab Fälligkeit gewährt (und damit sinngemäß auch die Aufhebung der Vollziehung in Bezug auf die Säumniszuschläge).
37aaa) Der III. Senat des BFH hat mit Urteil vom 09.11.2017 III R 10/16 (BStBl II 2018, 255) gemäß § 233a AO berechnete Zinsen für einen Zinszeitraum von April bis September 2013 als verfassungsgemäß angesehen. Der X. Senat hat der Frage einer Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes nach § 233a i.V.m. § 238 AO für Zinszeiträume bis Ende 2013 keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen (BFH-Beschluss vom 19.02.2016 X S 38/15, juris). Wegen der dortigen Gründe wird auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug genommen. Der IX. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) hinsichtlich einer Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 16.11.2017 hingegen schwerwiegende Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe erhoben, die über das Maß an Zweifeln hinausgingen, welches üblicherweise von der Rechtsprechung für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung für erforderlich angesehen werde. Zur Begründung verweist er nicht nur auf das strukturell verfestigte Niedrigzinsniveau, sondern grenzt sich teilweise auch von den Argumenten des III. Senats ab. Dies betrifft zum einen die Heranziehung von Zinssätzen für Kreditkartenkredite und Girokontenüberziehungskredite sowie die Bedeutung gleicher Zinssätze für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Darüber hinaus sieht der III. Senat den Sinn- und Zweck des § 233a in der Abschöpfung von potentiellen Liquiditätsvorteilen und stellt dafür auf die Anlage-/Nutzungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen ab, während der XI. Senat auch die Höhe der potenziellen Zinsnachteile für den Fiskus in seine Beurteilung einbezieht (ebenso BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, Rz. 21, 25).
38bbb) Die Rechtsprechung zu § 233a AO ist bei summarischer Beurteilung auf die Verzinsung nach § 237 AO übertragbar. Der Gesetzgeber hat in § 238 Abs. 1 AO einen einheitlichen Zinssatz vorgesehen. Zwar ist die Entstehung von Aussetzungszinsen durch Zahlung der festgesetzten Steuer stets vermeidbar (d.h. die sofortige Zahlung streitiger Steuern eröffnet bei ausreichenden Geldmitteln umgekehrt die „Geschäftschance“ auf Erstattungszinsen von 6 %), während dies für die Sollverzinsung nach § 233a AO nur in einem eingeschränkteren Umfang gilt (sehr weitgehend zur Annahme einer Vermeidbarkeit der Sollverzinsung nach § 233a AO allerdings das BFH-Urteil vom 09.11.2017 III R 10/16, BStBl II 2018, 255, Rz. 46). Gleichwohl erscheint zweifelhaft, ob dieser Gesichtspunkt ein hinreichender Grund wäre, die Aussetzungszinsen höher zu bemessen und vorrangig an den Sollzinsen auszurichten (so aber wohl FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.01.2018 2 V 3389/16, juris, Beschwerde VIII B 15/18), denn zum einen wird die Aussetzung der Vollziehung nur nach einer rechtlichen Vorprüfung gewährt und zum anderen würde eine typisierte Abgeltung des Liquiditätsvorteils, die deutlich über den Marktzinsen liegt, den Misserfolg des Rechtsbehelfs zusätzlich „bestrafen“ und den erfolgreichen Rechtsbehelf zusätzlich „belohnen“. Außerdem geht der IX. Senat des BFH in seiner Entscheidung zu Aussetzungszinsen auch zu diesen davon aus, dass in die Betrachtung sowohl der Anlagezinssatz als auch der Darlehenszinssatz einzubeziehen sind (BFH-Urteil vom 01.07.2014 IX R 31/13, BStBl II 2014, 925, Rz. 18). Des Weiteren betrifft die Sollverzinsung unbesicherte Steuerschulden, während die Aussetzung der Vollziehung ggf. nur gegen Sicherheitsleistung erfolgt und in derartigen Fällen ein niedrigerer Zinssatz gerechtfertigt wäre. Derartige Differenzierungen wären aber mit der Grundentscheidung des Gesetzgebers, in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO einen einheitlichen Zinssatz festzulegen, nicht zu vereinbaren.
39ccc) Der erkennende Senat hat für Zinsläufe bis zum 31.12.2013 keine hinreichend gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken, die ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2, 3 FGO begründen könnten.
40Der Senat folgt zwar der o.g. Rechtsprechung des III. Senats darin, dass für die Beurteilung der Zinshöhe nicht nur auf Habenzinsen, sondern auch auf Sollzinsen und ggf. Unternehmensrenditen abzustellen ist. Andererseits handelt es sich bei der Verzinsung nicht um eine steuerliche Sanktion, sondern um eine Typisierung von Liquiditätsvor- und Nachteilen. Die Bandbreite einer angemessenen Typisierung dürfte deshalb nicht mit der gemeinsamen Bandbreite von Soll- und Habenzinsen identisch sein, weil dies im Ergebnis hieße, dass die Höhe der Habenzinsen völlig unbeachtlich wäre und der Gesetzgeber sich ausschließlich an den Sollzinsen für Überziehungskredite privater Haushalte orientieren dürfte. Wollte man ausgehend von dem vom III. Senat aufgeführten Zahlenwerk ausgehen, allerdings die revolvierenden Kredite/Überziehungskredite mit den Kreditkartenkrediten zusammenfassen (wegen der volumenmäßig deutlich höheren Bedeutung der Erstgenannten), lägen die Habenzinsen in einer Bandbreite von 0,15 % bis 3,31 % und die Sollzinsen in einer Bandbreite von 1,8 % bis 9,62 %, d.h. bei einer Mittelwertbildung zwischen den niedrigsten Soll- und Habenzinsen und den höchsten Soll- und Habenzinsen in einer Bandbreite von rd. 1 % bis 6,46 % (Mittelwert innerhalb dieser Bandbreite 3,73 %) mit weiterhin fallender Tendenz. Darüber hinaus wäre die Gewichtung der einzelnen Positionen ggf. noch anders zu justieren. So entfällt von den einbezogenen Daten der höchste Zinssatz auf die revolvierenden Kredite, Überziehungs- und Kreditkartenkredite an private Haushalte, die im Neugeschäft ein Volumen von rd. 45.000 Mio. € ausmachten, während nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften vergleichbare Kredite in einem erheblich höheren Volumen von knapp 70.000 Mio. € zu deutlich günstigeren Konditionen erhielten. Außerdem belief sich das zu besonders niedrigen Zinssätzen abgewickelte Neugeschäft mit Einlagen täglicher Fälligkeit bei privaten Haushalten auf ein Volumen von rd. 900.000 Mio. € und bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften auf ein Volumen von 300.000 Mio €, also auf ein Vielfaches des vorgenannten Kreditvolumen. Wollte man deshalb z.B. statt eines Mittelwerts zwischen Soll- und Habenzinsen zu bilden, die höchsten Sollzinsen von 9,62 für private Haushalte und 4,31 % für nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften unabhängig vom Volumen mitteln, ergäbe sie ein Sollzins von 7 %, und bei einer Gewichtung anhand des Volumens der ausgereichten Kredite von 6,4 %, jeweils für den obersten Bereich der Sollzinssätze. Ergänzend hinzuweisen ist auf den gesetzlich vorgegebenen Zinssatz für die Abzinsung von Rückstellungen gemäß § 253 Abs. 2 Satz 2 HGB, der bereits einen über sieben Jahre geglätteten Durchschnittszins darstellt, der sich an der Marktrendite festverzinslicher, auf € lautender Unternehmensanleihen mit hochklassiger Bonitätseinstufungen orientiert, und der z.B. auch als geeigneter Zinssatz für den Versorgungsausgleich zwischen Ehegatten angesehen wird (vgl. BGH-Beschluss vom 09.03.2016 XII ZB 540/14, WM 2016, 896, mit Details zur Ermittlung des Diskontierungszinssatzes). Dieser Diskontierungszinssatz sank im Verlauf des Jahres 2013 z.B. bei einer dreijährigen Restlaufzeit von 3,93 % (31.12.2012) auf 3,59 % (31.12.2013). Damit läge der Zinssatz von 6 % bereits allein ausgehend von einer typisierten Betrachtung der Liquiditätsvorteile der Steuerschuldner jedenfalls annähernd an der Grenze des oberen Bandbreitenbereichs. Werden darüber hinaus die potentiellen Zinsnachteile für den Fiskus mit in die Beurteilung einbezogen (so die Erwägungen des BVerfG und des IX. Senats des BFH in den o.g. Entscheidungen), der sich im Jahr 2013 zu deutlich niedrigeren Zinssätzen als dem o.g. Diskontierungszinssatz refinanzieren konnte, ergäbe sich für die zu typisierenden Zinsvor- und -nachteile tendenziell nochmals ein deutlich niedrigerer Zinssatz. Wegen der speziellen Refinanzierungsmöglichkeiten des Fiskus erscheint es auch fraglich, ob ohne Weiteres die Prozesszinsen i.S. des § 291 BGB bzw. die Verzugszinsen gem. § 288 BGB als Vergleichsmaßstab herangezogen werden dürfen (Basiszinssatz ./. 0,13 bzw. ./. 0,38 % zzgl. 5 % bzw. 8 % für Geschäfte, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist), denn die Höhe dieser Zinssätze wurde unter Berücksichtigung der bei einem privaten Gläubiger entstehenden Verwaltungs- und Finanzlasten durch säumige Zahler bemessen, berücksichtigt die damit häufig schwierigeren Refinanzierungsmöglichkeiten Privater und umfasst außerdem auch solche Fälle, die steuerlich zum Ansatz von Säumniszuschlägen i.H.v. 1 % je angefangenem Monat führen (§ 240 AO). Damit dürfte der in § 238 AO normierte Zinssatz von 6 % bei einer Gesamtwürdigung der Liquiditätsvorteile der Steuerschuldner und der Liquiditätsnachteile des Fiskus bezogen auf das Jahr 2013 eher bereits oberhalb der Bandbreite eines realitätsgerechten Zinsspektrums liegen.
41Allerdings ist dem Gesetzgeber zumindest ein gewisser Beobachtungszeitraum zuzubilligen, zumal der Zinssatz von 6 % bereits langjährig gilt und der Gesetzgeber möglicherweise durchaus einen festen Zinssatz wählen und hinsichtlich der Höhe und Dauer normale Zinsschwankungen unberücksichtigt lassen kann. Im Hinblick darauf hat der erkennende Senat für Zinsläufe bis zum 31.12.2013 noch keine derart gewichtigen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes gem. § 238 AO, dass bereits ernstlichen Zweifeln i.S. des § 69 Abs. 2, 3 FGO anzunehmen wären.
42Allein die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden einzelner Steuerpflichtiger gegen die (unveränderte) Zinshöhe in früheren Jahre (vgl. die anhängigen Verfahren unter den Az. 1 BvR 2237/14 – betr. Verzinsungszeiträume von 2010 bis 2012 – und Az. 1 BvR 2422/15 – betr. Verzinsungszeiträume bis Juli 2014 – hindert den erkennenden Senat nicht, ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 238 AO für Zinszahlungszeiträume bis zum 31.12.2013 zu verneinen (vgl. zur verbleibenden Entscheidungskompetenz eines obersten Bundesgerichts im Verhältnis zu einem Vorlagebeschluss eines Finanzgerichts BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 06.05.2013 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639).
43ddd) Für Zinsläufe ab dem Jahr 2014 ist hingegen unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des BFH-Beschlusses vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) von ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des in § 238 Abs. 1 AO normierten Zinssatzes auszugehen.
44Die im BFH-Urteil vom 09.11.2017 III R 10/16 (BStBl II 2018, 255) herangezogenen Zinssätze (ohne Kreditkartenkredite) haben sich wie folgt weiterentwickelt, hier allerdings nicht unter Darstellung der Spannbreite, sondern unter Angabe jeweils der Werte für Januar und Juli sowie für Dezember 2015 (Monatsberichte der deutschen Bundesbank vom März 2014, März 2015, März 2016):
45Laufzeit |
2013 Jan/Juli |
2014 Jan/Juli |
2015 Jan/Juli/Dez. |
|
Bestandsanlagen/-kredite |
||||
Einlagen privater Haushalte |
bis 2 Jahre |
1,51/1,22 |
1,01/0,87 |
0,66/0,52/0,46 |
Einlagen privater Haushalte |
über 2 Jahre |
2,13/2,03 |
1,95/1,85 |
1,82/1,73/1,66 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
bis 2 Jahre |
0,72/0,55 |
0,48/0,41 |
0,35/0,27/0,22 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
über 2 Jahre |
3,31/3,16 |
3,04/2,87 |
2,52/2,19/2,04 |
Neugeschäft |
||||
Einlagen privater Haushalte |
tägl. fällig |
0,54/0,43 |
0,38/0,30 |
0,22/0,14/0,13 |
Einlagen privater Haushalte |
bis 1 Jahr |
0,92/0,74 |
0,75/0,53 |
0,53/0,33/0,28 |
Einlagen privater Haushalte |
über 1 bis -2 J. |
1,80/1,26 |
1,10/0,87 |
0,87/0,74/0,50 |
Einlagen privater Haushalte |
über 2 Jahre |
1,77/1,37 |
1,58/1,26 |
1,08/0,93/0,97 |
Einlagen privater Haushalte |
Kündigungsfrist bis 3 Monate |
0,96/0,86 |
0,77/0,66 |
0,58/0,44/0,39 |
Einlagen privater Haushalte |
Kündigungsfrist über 3 Monate |
1,43/1,14 |
0,96/0,82 |
0,73/0,44/0,39 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
tägl. fällig |
0,22/0,16 |
0,15/0,12 |
0,08/0,06/0,04 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
bis 1 Jahr |
0,20/0,20 |
0,24/0,18 |
0,15/0,17/0,07 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
über 1 bis 2 J. |
0,95/0,96 |
0,66/0,53 |
0,47/0,31/0,36 |
Einlagen nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften |
über 2 Jahre |
1,09/1,60 |
1,36/1,06 |
0,47/0,61/0,57 |
Sonstige Kredite an private Haushalte |
bis 1 Jahr |
1,97/1,92 |
1,98/1,68 |
1,91/1,75/1,81 |
Sonstige Kredite an private Haushalte |
über 1 bis 5 J. |
3,77/3,30 |
3,38/3,33 |
2,92/2,75/2.75 |
Sonstige Kredite an private Haushalte |
über fünf Jahre |
2,96/3,01 |
2,91/2,71 |
2,39/2,27/2,11 |
Konsumentenkredite |
bis 1 Jahr |
4,85/5,28 |
5,73/5,28 |
4,82/5,09/5,67 |
Konsumentenkredite |
über 1 bis 5 J. |
5,22/5,15 |
5,20/4,96 |
4,99/5,01/4,78 |
Konsumentenkredite |
über 5 Jahre |
8,08/7,84 |
7,93/7,57 |
7,52/7,47/7,19 |
Revolvierende Kredite, Überziehungskredite und Kreditkartenkredite an private Haushalte |
9,60/9,51 |
9,36/9,20 |
9,22/8,90/8,69 |
|
Revolvierende Kredite, Überziehungs- und Kreditkartenkredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften |
4,19/4,30 |
4,27/4,17 |
4,31/3,97/3,94 |
|
Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. € |
bis 1 Jahr |
2,84/2,95 |
2,92/2,82 |
2,62/2,64/2,63 |
Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. € |
über 1 bis 5 J. |
3,50/3,57 |
3,50/3,36 |
3,09/2,91/2,90 |
Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. € |
über 5 Jahre |
2,83/2,80 |
2,93/2,55 |
1,42/2,05/1,98 |
Bei den Habenzinsen hat sich im Jahr 2014 die Niedrigzinsphase ersichtlich verfestigt. Über dem Zinssatz von 6 % liegen nur noch Konsumentenkredite mit einer Laufzeit über 5 Jahren und einem Zinssatz von ca. 7,6 % (Kreditvolumen unter 3.000 Mio. €) sowie revolvierende Kredite, Überziehungs- und Kreditkartenkredite an private Haushalte mit einem Zinssatz von ca. 9,20 % (Kreditvolumen ca. 43.000 Mio. €). Für die letztgenannte Kreditart wird von nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften lediglich ein Zinssatz von rd. 4,2 % (Kreditvolumen rd. 68.000 Mio. €) gezahlt. Bezogen auf die drei vorgenannten hochpreisigen Kredite ergäbe sich ein anhand des Kreditvolumens gewichteter Zinssatz von rd. 6,2 %. D.h. der gesetzliche Zinssatz entspräche in etwa den höchsten Sollzinsen privater Haushalte und nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften. Eine Berücksichtigung der Habenzinsen und insbesondere der Höhe des potentiellen Zinsschadens des Fiskus würde zu einer gravierenden Unterschreitung der 6 %-Marke führen. Denn für den Fiskus war eine Refinanzierung im Jahr 2014 zu einem Zinssatz von 0,59 % (Umlaufrendite von Bundesanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit) möglich (im Jahr 2013 betrug diese Umlaufrendite noch 2,03. In welcher Höhe die Einbeziehung von Unternehmensrenditen möglich ist, erscheint fraglich. Der Diskontierungszinssatz gemäß § 253 Abs. 2 Satz 2 HGB (7-Jahresdurchschnitt) minderte sich bezogen auf eine Restlaufzeit von 3 Jahren von 3,59 % zum 31.12.2013 auf 3,07 zum 31.12.2014 und fiel bezogen auf eine Restlaufzeit von 5 Jahren von 3,93 % zum 31.12.2013 auf 3,45 % zum 31.12.2014, so dass diese bereits geglätteten Werte, die gleichzeitig einen Habenzins für den Erwerber der Anleihen und einen Sollzins für das die Anleihen begebende Unternehmen darstellen, nunmehr – anders als im Jahr 2013 – selbst bei etwaiger Annahme durchschnittlicher Verzinsungszeiträume von 5 Jahren durchgehend und deutlich unter 2/3 des gesetzlichen Zinssatzes lagen, wobei wiederum der niedrige Refinanzierungsaufwand des Fiskus noch nicht berücksichtigt wurde. Unter diesen Umständen geht der erkennende Senat davon aus, dass die vom BFH für Zinszeiträume ab 01.04.2015 geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes i.S. des § 238 AO auch bereits für Zinszeiträume ab dem 01.01.2014 gelten.
47Der Senat verkennt dabei nicht, dass in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung des Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auch für den hier in Rede stehenden Zeitraum und darüber hinaus als verfassungsgemäß beurteilt worden ist (vgl. z.B. FG Münster, Urteil vom 17.08.2017 10 K 2472/16, 1638, EFG 2017, 1638, für den Zeitraum April 2012 bis Dezember 2015; FG Münster, Urteil vom 13.12.2017 7 K 715/15, EFG 2018, 174, EFG 2018, 174, für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis 27.04.2015; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.11.2017 6 K 6258/16, EFG 2018, 341, für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis 11.04.2016). Allerdings konnten diese Entscheidungen die teilweise neuen Erwägungen im BFH-Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) noch nicht berücksichtigen.
48bb) Die vorgenannten ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 237, 238 AO für Zinszeiträume ab dem 01.01.2014 rechtfertigen auch eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides.
49Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, hat das FG dessen Vollziehung im Regelfall auszusetzen. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 FGO als Sollvorschrift. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen kann trotz Vorliegens solcher Zweifel die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt werden (BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558).
50Ein solcher atypischer Fall kommt in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen. Sie setzen aber nach dem BFH-Beschluss vom 01.04.2010 II B 168/09 (BStBl II 2010, 558) wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes voraus. Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen (nachfolgend ebenso oder ähnlich BFH-Beschlüsse vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558; vom 11.12.2012 III B 89/12, BFH/NV 2013, 582; vom 21.12.2012 III B 41/12, BFH/NV 2013, 549; vom 09.03.2012 VII B 171/11, BFH/NV 2012, 874; vom 15.04.2014 II B 71/13 vom 15.04.2014, BFH/NV 2015, 7; vom 21.07.2016 V B 37/16, BStBl II 2017, 28, unter Bildung von Fallgruppen; vom 02.03.2017 II B 33/16, BStBl II 2017, 646; vom 19.02.2018 II B 75/16, BFH/NV 2018, 706). Die vorgenannte einschränkende Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ist allerdings nicht nur im Schrifttum auf Kritik gestoßen (vgl. z.B. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 96 ff.), sondern andere Senate des BFH haben teilweise offen gelassen, ob an der bisherigen Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13.03.2012 I B 111/11, BStBl II 2012, 611; vom 18.12.2013 I B 85/13, BStBl II 2014, 947; offen gelassen auch im BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 06.05.2013 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639), und teilweise ausdrücklich den öffentlichen Haushaltsinteressen deutlich weniger Gewicht beigemessen als zuvor (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.08.2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826; vom 22.12.2003 IX B 177/02, BStBl II 2004, 367; vom 18.12.2013 I B 85/13, BStBl II 2014, 947).
51An der einschränkenden Auslegung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, wonach ein Verwaltungsakt wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnorm nur nach Abwägung des individuellen Aussetzungsinteresses gegen das öffentliche Vollziehungsinteresse auszusetzen ist, ist nach Auffassung des erkennenden Senats festzuhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 29.04.2013 9 V 2400/12, EFG 2013, 1147, aufgehoben durch BFH-Beschluss vom 18.12.2013 I B 85/13, BStBl II 2014, 947, dort betr. die sog. Zinsschranke Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung verneinend).
52Allerdings hat der BFH in seinem Beschluss vom IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) bezogen auf die Verzinsung nach § 233a AO ab dem 01.04.2015 ein berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung bejaht, weil besonders schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung bestünden und zum anderen nicht ersichtlich sei, dass die Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte. Unter Berücksichtigung dieser Wertungen fällt im Streitfall die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Die Diskussion um die Angemessenheit der Zinssätze bestand bereits im Streitjahr 2014. Außerdem werden die Auswirkungen auf die öffentliche Haushaltsführung gemindert, wenn – wie hier nach Auffassung des Senats geboten – keine Aussetzung der Vollziehung in vollem Umfang gewährt wird, sondern lediglich in Höhe des 3 % überschreitenden Zinssatzes (s. dazu nachfolgend unter cc). Wollte man – entgegen der Ansicht des Senats – zwischen Aussetzungszinsen und Zinsen nach § 233a AO differenzieren, dürften die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte noch geringer sein.
53cc) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist allerdings keine Aussetzung der Vollziehung in vollem Umfang geboten, sondern nur, soweit der angesetzte Zinssatz 3 % übersteigt.
54Nach älteren Entscheidungen des BFH war eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung nicht zu gewähren, wenn zu erwarten war, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben werde. Diese Rechtsprechung hat der II. Senat des BFH aufgegeben, weil es nicht gerechtfertigt sei, aufgrund einer Prognose über die Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen, wenn ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden sei (BFH-Beschluss vom 21.11.2013 II B 46/13, BStBl II 2014, 263). Nach Ansicht des erkennenden Senat wäre es aber zu weitgehend, daraus ableiten zu wollen, dass bei ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer belastenden Norm stets eine Prognose unterbleiben müsse, in welchem Umfang die Norm voraussichtlich als verfassungswidrig angesehen wird.
55Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das ist grundsätzlich bei Verletzung des Gleichheitssatzes der Fall. Stellt das BVerfG die Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten. Hierzu kann das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist setzen. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen. Im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung hat das BVerfG allerdings wiederholt die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist eingeräumt, um binnen angemessener Zeit verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen (vgl. BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 1 BvL 21/12, BStBl II 2015, 50).
56Bezogen auf den Streitfall folgt der Senat der Auffassung des BFH darin, dass allein die Möglichkeit einer Entscheidung des BVerfG i.S. einer weiteren Anwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm die Aussetzung der Vollziehung nicht ausschließt. Vielmehr ist vorläufig davon auszugehen, dass es möglicherweise zu einer Unvereinbarkeitserklärung kommt, die es dem Gesetzgeber ermöglicht, die Rechtslage rückwirkend verfassungsgemäß umzugestalten. Bezogen auf diese Konstellation spräche aber nichts dafür, dass der Gesetzgeber vollständig auf eine Verzinsung verzichten müsste und würde. Denn der Streit über die Verfassungsmäßigkeit des § 238 AO betrifft ausschließlich die Höhe des Zinssatzes, nicht aber die Zulässigkeit und Sachgerechtigkeit der Verzinsung als solcher. Außerdem ist das Haushaltsrisiko ein Kriterium bei der Beurteilung der Frage, ob eine Aussetzung der Vollziehung auch nach Maßgabe der erforderlichen Abwägung des individuellen Aussetzungsinteresses gegen das öffentliche Vollziehungsinteresse erfolgen kann. Es wäre aber sachwidrig, bei dieser Abwägung von völlig unwahrscheinlichen Annahmen auszugehen, mit der möglichen Folge einer zwar prinzipiell sehr großzügigen Aussetzungsmöglichkeit, die dann jedoch wegen der damit erhöhten Steuerausfälle zu einem Übergewicht des öffentlichen Vollziehungsinteresses führen und damit die Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis vollständig ausschließen könnte.
57Hiervon ausgehend liegen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 238 AO für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2015 nur vor, soweit der dort normierte Zinssatz 3 % übersteigt. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen einer etwaigen gesetzlichen Neuregelung an einem festen Zinssatz festhalten oder einen solchen ausgehend von bestimmten Referenzdaten bestimmen würde (etwa ähnlich § 288 BGB oder § 253 Abs. 2 HGB). Nur für Zwecke der vorläufigen Rechtsschutzgewährung orientiert der Senat sich dabei unter griffweiser Schätzung an der Neufassung der gesetzlichen Regelung zur Bemessung der Verspätungszuschläge gemäß § 152 Abs. 5 AO, die für jeden Monat 0,25 % beträgt, also einem Jahreszins von 3 % entspricht.
583. Die Berechnung der von der Vollziehung ausgesetzten weiteren Beträge wird dem Antragsgegner übertragen. In demselben Umfang ist eine bereits erfolgte Vollziehung ab Fälligkeit aufzuheben. Vollstreckungsmaßnahmen bleiben allerdings bestehen, soweit nicht ihre Aufhebung ausdrücklich angeordnet worden ist (§ 257 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 AO; s.a. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 361 Nr. 7.4). Im vorliegenden Streitfall kann es unverändert verbleiben bei
59--- dem Antrag an das Amtsgericht A vom 08.08.2018 auf Eintragung einer Sicherungshypothek am Grundstück B-Str. …, A, unter Nr. 1 des Bestandsverzeichnisses aufgeführt im Grundbuch von A Band – Blatt …, betreffend den Antragsteller als Vollstreckungsschuldner;
60--- dem Antrag an das Amtsgericht A vom 08.08.2018 auf Eintragung einer Sicherungshypothek am Grundstück B-Str. …, A, unter Nr. 3 des Bestandsverzeichnisses aufgeführt im Grundbuch von A Band – Blatt …, betreffend die Antragstellerin als Vollstreckungsschuldner;
61--- der Einziehungs- und Pfändungsverfügung vom 08.08.2018 gegenüber dem Antragsteller betreffend u.a. die Eigentümergrundschuld, die aus der Abteilung III unter lfd. Nr. 4 zu Lasten des Grundstücks B-Str. …, A, unter Nr. 1 des Bestandsverzeichnisses aufgeführt im Grundbuch von A Band – Blatt …, entstehen wird;
62--- der Einziehungs- und Pfändungsverfügung vom 08.08.2018 gegenüber der Antragstellerin betreffend u.a. die Eigentümergrundschuld, die aus der Abteilung III unter lfd. Nr. 5 zu Lasten des Grundstücks B-Str. …, A, unter Nr. 3 des Bestandsverzeichnisses aufgeführt im Grundbuch von A Band – Blatt …, entstehen wird.
63Die übrigen Vollstreckungsmaßnahmen (nach Aktenlage die Pfändung von Bankkonten und Rentenansprüchen) sind im Umfang der durch diesen Beschluss zusätzlich gewährten Aussetzung der Vollziehung aufzuheben.
644. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO
655. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zugelassen. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass die hier vorgenommene Prognose einer etwaigen gesetzlichen Neuregelung nicht mit den Wertungen des BFH-Beschlusses vom 25.04.2018 IX B 21/18 (BStBl II 2018, 415) übereinstimmt.
66… … …