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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.11.2017 verpflichtet, der Klägerin für ihren Sohn L (geb. am 00.00.1992) Kindergeld für den Zeitraum Mai 2015 bis August 2017 zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob der Klägerin für den Zeitraum von Mai 2015 bis August 2017 Kindergeld für ihren aus erster Ehe stammenden Sohn L (geb. am 00.00.1992) zusteht.
2L absolvierte im Fach Maschinenbau („Bachelor of Engineering“) im April 2015 sein Bachelorexamen. Mit Bescheid vom 08.04.2015 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber der Klägerin daraufhin auf.
3L schloss am 12.02.2015 bei Firma H einen Dienstvertrag abgeschlossen, in dem er sich zu einer tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden verpflichtet hat.
4Nachdem L sein Zeugnis am 26.06.2015 erhielt, bewarb er sich an der Fachhochschule FH in S, um dort einen „Master of Engineering“ (Verbundstudiengang Maschinenbau (M.Eng.)) zu erhalten. Das Ende der Bewerbungsfrist für den Studienbeginn am 01.09.2015 war der 15.07.2015. Studienvoraussetzung bei der Fachhochschule FH ist u.a. der Abschluss eines Bachelorstudiengangs in technisch orientierten Studiengängen mit einer Gesamtnote von mindestens 2,5. Diese Anforderungen erfüllte L.
5Das Masterstudium hat er im September 2015 begonnen. Voraussichtliches Ende des Masterstudiums war im Herbst 2018.
6Am 04.07.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für L rückwirkend ab Mai 2015 Kindergeld. Mit Bescheid vom 13.07.2017 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab.
7Der von der Klägerin erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 03.11.2017).
8Ihre Klage (Eingang: 28.11.2017) begründet die Klägerin damit, dass L seit Beginn seiner Ausbildung beabsichtigt habe, das Masterstudium im Fach Maschinenbau abzuschließen. Für den von L beabsichtigten Werdegang sei der Abschluss eines Masterabschlusses unumgänglich. Dies zeige sich auch an den für ihren Sohn einschlägigen Stellenausschreibungen. Hieraus sei deutlich zu erkennen, dass neben diversen anderen Voraussetzungen auch die Qualifikation des Masters für das von L angestrebte Ausbildungsziel erforderlich sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die von der Klägerin zu den Verwaltungsakten übersandten Stellenausschreibungen Bezug genommen.
9Bereits umgehend nach seinem Bachelorabschluss habe sich L an der Fachhochschule zu Beginn des Wintersemesters am 01.09.2015 eingeschrieben. Somit hätten zwischen dem Bachelorabschluss und dem Beginn des Masterstudiums nur vier Monate gelegen. Es sei daher von einer einheitlichen Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auszugehen. Hierzu verweist sie insbesondere auf die Urteile des BFH vom 03.09.2015 (Az. VI R 9/15) sowie vom 08.09.2016 (Az. III R 27/15).
10Trotz des Abschlusses des Dienstvertrages habe für L festgestanden, dass er einen Masterabschluss erlangen wolle. Für die Gewährung von Kindergeld sei dies auch nicht erheblich. Nach Auffassung des BFH werde eine Berufsausbildung nicht durch eine Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betrieben werde. Dass L seine Ausbildung in diesem Sinne ernsthaft und nachhaltig betreibe, zeigten seine Abschlusszeugnisse. In diesem Zusammenhang sei ferner zu berücksichtigen, dass der von L abgeschlossene Vertrag beinhalte, dass er mit dem notwendigen Abschluss des Bachelors eine spezielle Aufgabe in seiner Abteilung habe durchführen können. Durch seine guten Arbeitsleistungen in dieser Abteilung habe man L dort schon frühzeitig eine Arbeitsstelle anbieten wollen, um ihn im Unternehmen zu halten. Um dieses Ziel ohne Beendigung einer guten Arbeitsstelle, ohne große finanzielle Einbußen, praxisnah und familienfreundlich durchführen zu können, gebe es die Möglichkeit des konsekutiven Master-Verbundstudiengangs Maschinenbau an der Fachhochschule FH in S. Um für diesen Studiengang zugelassen zu werden, sei das Zeugnis des „Bachelor of Engineering“ als Nachweis vorzulegen bzw. einzureichen.
11Schließlich ergebe sich der Anspruch der Klägerin auch aus Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. der Selbstbindung der Verwaltung. Der Klägerin seien mindestens zwei vergleichbare Fälle aus dem Freundeskreis ihres Sohnes bekannt, dessen „Widerspruchsbescheid“ positiv beschieden worden sei. Einer dieser Fälle sei sogar identisch mit dem vorliegenden Fall. Gründe für eine hiervon abweichende Handhabung seien vorliegend nicht ersichtlich.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.11.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilten, der Klägerin für ihren Sohn L, geb. am 00.00.1992, Kindergeld zu gewähren für die Zeit von Mai 2015 bis August 2017.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen,
16hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
17Sie vertritt die Auffassung, soweit ein Kind sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht habe, könne u.U. zwar auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen sei laut BFH (Urteil vom 15.04.2015, BStBl II 2016, 163) dabei darauf, ob die weiterführende Ausbildung in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Erststudium stehe. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Der Abschluss eines Bachelorstudiums begründe den Abschluss einer Erstausbildung. Der Abschluss eines Masterstudiengangs stelle demgegenüber eine weitere Berufsausbildung dar. Darüber hinaus gehe L einer Erwerbstätigkeit nach, so dass er nach § 32 Abs. 4 Satz 2, 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr berücksichtigt werden könne.
18Weiter habe der BFH mit Urteil vom 04.02.2016 (BStBl II 2016, 615) klargestellt, dass immer dann, wenn das Kind vor Beginn der weiterführenden Ausbildung eine Berufstätigkeit aufnehme, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung diene, regelmäßig mangels notwendigem engen Zusammenhangs keine einheitliche Erstausbildung vorliege. So liege der Fall auch hier. L habe im April 2015 seinen Bachelorabschluss erhalten und sodann am 15.04.2015 einen Arbeitsvertrag über zwei Jahre (bis zum 14.04.2017) abgeschlossen, der somit nicht nur der Überbrückung bis zum Beginn des Masterstudiums im September 2015 gedient habe.
19Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand am 16.08.2018 mit den Beteiligten erörtert. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
20Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.
I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
22II. Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat den Kindergeldanspruch der Klägerin zu Unrecht versagt.
231. Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Erwerbstätigkeit von L im Streitzeitraum ausgeschlossen. Denn L hatte noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das von L nach Abschluss seines Bachelorabschlusses aufgenommene Masterstudium stellt vielmehr einen Teil seiner Erstausbildung dar. Im Streitfall ist die Erlangung des Master-Studiengangs Maschinenbau als heutiges Äquivalent des aufgrund des Bologna-Prozesses abgeschafften Diplom-Ingenieurstudienganges das ersichtliche Berufsziel von L, welches er planmäßig in einem zeitlich zusammenhängenden Weg (Abschluss „Bachelor of Engineering“ – Einschreiben für den Master) verfolgt.
24a. Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss erfüllt sein (BFH-Urteil vom 08.09.2016, III R 27/15, BStBl II 2017, 278).
25Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteile vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152 und vom 03.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteile vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152; vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278 und vom 03.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166).
26Eine Berufsausbildung in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn die (abgeschlossene) Ausbildungsmaßnahme dem Kind alle notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt, die es für die Ausübung des von ihm angestrebten Berufs benötigt (BFH III R 52/13, BStBl II 2015, 152). Den Eltern und dem Kind steht insoweit ein weiter Entscheidungsspielraum zu (Loschelder in Schmidt, 36.Auflage, 2017, § 32 Rn 50). Auch eine mehraktige Ausbildung ist, wenn die einzelnen Maßnahmen zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind, nur eine Berufsausbildung (BFH V R 27/14, BStBl II 2016, 163). Maßgeblich ist stets das vom Kind angestrebte Berufsziel (BMF BStBl I 2016, 226 Rn 4, 6f).
27b. In diesem Sinne geht der Senat davon aus, dass das von L nunmehr betriebene Masterstudium zu dem von ihm von vornherein angestrebten Berufsziel führt. Das Masterstudium steht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zum ersten berufsqualifizierenden Bachelorabschluss. Das von L angestrebte Berufsziel („Diplom-Ingenieur bzw. Master-Studiengang Maschinenbau“) konnte er nur über einen weiteren Abschluss – also das weiterführende Masterstudium – erreichen. Der Bachelorabschluss alleine bietet im Bereich des Ingenieur- und Maschinenbauwesen keine ausreichende Perspektive im Zielberuf zu arbeiten. Darauf lassen auch die von der Klägerin vorgelegten Stellenausschreibungen schließen.
28Der erforderliche fachliche Zusammenhang ergibt sich jedenfalls daraus, dass sich die Studiengänge (Bachelor und Master) inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte (Ingenieur-/Maschinenbauwesen) beziehen, dasselbe Berufsfeld vorbereiten und inhaltlich aufeinander Bezug nehmen. Für den zeitlichen Zusammenhang reicht es aus, dass die beiden Studiengänge im direkten Anschluss erfolgt sind. Denn L hat sich unmittelbar nach Erhalt seines Abschlusszeugnisses im Juni 2015 zur nächstmöglichen Bewerbungsfrist am 15.07.2015 bei der Fachhochschule in S zwecks Beginn seines Masterstudiengangs beworben und dieses angetreten. Dies lässt erkennen, dass er mit dem Bachelorabschluss sein eigentliches Berufsziel noch nicht erreicht hatte. Insoweit ist es nach Auffassung des Senats ausreichend, dass diese Abschnitte zeitlich unmittelbar aufeinander folgen und zwar ohne beachtliche Unterbrechung mit der gebotenen und vorliegend auch nachgewiesenen Zielstrebigkeit (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278 und vom 03.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166).
292. Mangels Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG kommt es auf die Erwerbstätigkeit von L im Streitzeitraum nicht an. Denn nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, braucht die Berufsausbildungsmaßnahme die Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (BFH-Urteil vom 08.09.2016, III R 27/15, BStBl II 2017, 278). Insoweit wird auch der Tatbestand der erstmaligen Berufsausbildung nicht durch eine daneben ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die Ausbildung – wie vorliegend – ernsthaft und nachhaltig betrieben wird. Es entfällt daher eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG.
303. Dass die Beklagte erstmals im Juli 2017 davon unterrichtet worden ist, dass L seine erstmalige Berufsausbildung nicht bereits mit dem Bestehen der Prüfung des „Bachelors of Engineering“ (April 2015) beendet hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierdurch wird eine Kindergeldfestsetzung bzw. der Auszahlungsanspruch auf Kindergeld für den Streitzeitraum nicht beeinträchtigt (wie nunmehr bei Kindergeldanträgen ab Januar 2018 gemäß § 66 Abs. 3 EStG n. F.).
31Zwar kann der Zeitpunkt, wann der Familienkasse ein Sachverhalt unterbreitet und eine Erklärung/Behauptung abgegeben wird, ein Indiz für bzw. gegen die Glaubhaftigkeit des erklärten Sachvortrags darstellen – mehr aber auch nicht. Dass die Klägerin der Familienkasse im April 2015 zunächst nur den Abschluss des Bachelorexamens ihres Sohnes mitgeteilt hat, spricht nicht gegen die Planung ihres Sohnes, anschießend mit dieser Berufsqualifikation ein sich darauf aufbauendes Master-Studium zu beginnen. Dass die Absicht des sich anschließenden Studiums nicht bereits im April 2015 der Beklagten zeitnah mitgeteilt worden ist, hing nach Angabe der Klägerin lediglich damit zusammen, dass sie keine Kenntnis davon hatte, einen möglichen Rechtsanspruch auf Zahlung des Kindergeldes zu haben. Demgegenüber ist der tatsächlich von L verwirklichte Geschehensablauf, nämlich das direkt an den Bachelorabschluss anschließende Studium, das beste und sicherste Indiz, dass dieser Ausbildungsweg auch so (im Sinne eines „roten Fadens“) planmäßig verwirklicht werden sollte.
32Nach alledem wird die Klägerin mit ihrem Sachvortrag nicht ausgeschlossen, indem sie die Beklagte nicht unverzüglich im April 2015 von dem (geplanten) Masterstudium ihres Sohnes unterrichtet hat. Der Senat schließt sich nicht der Verwaltungsauffassung der DA-KG 2017 V 6.1 Abs. 1 Satz 8 an, sondern hält es für ausreichend, dass die wesentlichen Sachverhaltsumstände – wie hier – spätestens im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind (vgl. ebenso Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2018, 9 K 994/17 Kg, juris).
33III. Die Kostenfolge beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
34IV. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).