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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
2Der Kläger war seit der Gründung der A GmbH (im Folgenden GmbH) im November 2002 bis zum 23.04.2012 deren alleiniger Geschäftsführer und an dieser zu 90 % beteiligt. Die übrigen 10 % der Gesellschaftsanteile hielt sein Enkelsohn, Herr A 2.
3Der faktische Geschäftsführer war – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – Herr A 3, der Sohn des Klägers, der formal als Prokurist der GmbH im Streitzeitraum angestellt war.
4Mit Abtreten des Klägers von seiner Tätigkeit als Geschäftsführer am 00.00.2012 hat Herr A 2 die Geschäftsführung der GmbH übernommen.
5Über das Vermögen der GmbH ist im Jahr 2013 auf Antrag des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Az. 00IN 00/13 beim Amtsgericht – Insolvenzgericht – ).
6Die Steuerfahndung L führte ab dem Jahr 2010 bei der GmbH eine Fahndungsprüfung durch. Diese kam zu dem Ergebnis, dass durch den Kläger und dessen Sohn erhebliche steuerliche Verkürzungen im Zeitraum vom 19.03.2007 bis zum 11.07.2011 bewirkt worden seien. Der Kläger soll im Zusammenwirken mit seinem Sohn die Abgabe unrichtiger Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 2007 und 2008, die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2004 bis 2008 sowie die Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis Dezember 2010 und die Quartale I und II des Jahres 2011 veranlasst haben. Für das Kalenderjahr 2009 habe der Kläger entgegen der ihm bekannten Verpflichtung keine Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuerjahreserklärungen eingereicht, obwohl tatsächlich steuerpflichtige Umsätze und Erlöse erzielt worden seien. In diesem Zeitraum habe der Kläger in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet, dass sein Sohn als faktischer Geschäftsführer in der Absicht, höhere steuermindernde Betriebsausgaben der von dem Kläger vertretenen Gesellschaft geltend zu machen, 67 Scheinrechnungen der tatsächlich nicht existenten Firmen „U 1“, „U 2“ und „U 3“ und 34 beleglose Buchungen zu Gunsten des U 1 für angebliche Wareneinkäufe sowie Zerlege- und Sortierarbeiten in die Buchführung der GmbH eingestellt und zur Grundlage seiner jeweiligen Jahressteuererklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen gemacht hat. Tatsächlich hätten diesen Rechnungen jedoch keinerlei reale Leistungen zu Grunde gelegen. Insgesamt seien hierdurch Steuern in Höhe von insgesamt X € verkürzt worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Fahndungsbericht vom 00.00.2012 Bezug genommen.
7Das gegen den Kläger wegen Steuerhinterziehung eingeleitete Strafverfahren (geführt durch die Staatsanwaltschaft S (Az. Kls – Js 000/12)) wurde gegen Zahlung einer Geldauflage i. H. v. X € auf der Grundlage von § 153a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) im Jahr 2013 endgültig eingestellt worden. Der Sohn des Klägers ist wegen Steuerhinterziehung und weiterer Delikte rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Im Strafverfahren hat er eingeräumt, dass es sich bei den bei der GmbH eingebuchten oben beschriebenen Rechnungen um „Scheinrechnungen“ gehandelt habe.
8Auch Herr U 1, ein Pizzabäcker, ist am 00.00.2013 wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden (Az. KLs – Js 000/12 (Landgericht S)). Ausweislich der Urteilsgründe hat er gestanden, auf Veranlassung des Sohnes des Klägers und mit dessen inhaltlichen Vorgaben unter der Firmierung „U 2“ und „R“ insgesamt 67 an die GmbH gerichtete Scheinrechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer über angeblich erfolgte Lieferungen, Verkäufe und Dienstleistungen ausgestellt zu haben. Der Sohn des Klägers sei häufig Gast in seiner Pizzeria gewesen und habe dort das Schreiben der Scheinrechnungen veranlasst. Als Gegenleistung habe er – Herr U – lediglich ab und an höhere Trinkgelder erhalten. Tatsächlich hätten die Firmen „U 2“ und „R“ nicht existiert. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe und die Feststellungen des Landgerichts S Bezug genommen.
9Der Beklagte schloss sich den Feststellungen der Steuerfahndung L an und erließ am 30.04.2012 entsprechende Änderungsbescheide gegenüber der GmbH. Diese Änderungsbescheide sind vom nachfolgenden Geschäftsführer der GmbH, Herrn A 2, nicht angefochten worden und in Bestandskraft erwachsen.
10Der Beklagte erließ am 19.03.2014 gegenüber dem Kläger einen auf §§ 191, 69, 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid und forderte ihn zur Zahlung eines Haftungsbetrages i. H. v. insgesamt X € auf. Als Haftungszeitraum wurde ein Zeitraum vom 30.10.2005 bis zum 24.03.2012 angegeben. Die Haftungsschulden umfassten sämtliche von der GmbH bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steuerschulden. Im Einzelnen handelte es sich um Körperschaftsteuer zzgl. Zinsen für die Jahre 2003 bis 2010 und Umsatzsteuer zzgl. Zinsen für die Jahre 2004 bis zum ersten Vierteljahr 2012. Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme bezog der Beklagte sich auf die Ausführungen im Bericht der Steuerfahndung vom 08.08.2012. Der Kläger habe das durch seinen Sohn veranlasste Geschehen in Kenntnis aller Umstände zumindest geduldet. Er habe trotz Kenntnis der tatsächlich errechneten und angefallenen Vorsteuerbeträge die Aufnahme unrichtiger und willkürlich überhöhter Vorsteuern in die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar 2010 bis Dezember 2010 und für die Quartale I und II des Jahres 2011 zugelassen.
11Hierbei sei unerheblich, dass sein Sohn formell lediglich als Angestellter geführt worden sei und tatsächlich das Unternehmen als faktischer Geschäftsführer geleitet und die Steuerhinterziehungen veranlasst habe und hierfür rechtskräftig verurteilt worden sei. Denn selbst wenn der formelle Geschäftsführer einer GmbH nach seiner Stellung in dem Unternehmen nur eine Randfigur darstelle und lediglich als „Strohmann“ fungiere, sei er für die Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten verantwortlich und verwirkliche in eigener Person die Tatbestände der Steuerhinterziehung.
12Das Verhalten des Klägers lasse eine Haftung sowohl nach § 71 AO als auch nach § 69 AO zu. Zu den Pflichten eines alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers und den damit einhergehenden Pflichten nach § 34 AO i. V .m. § 35 des Gesetzes zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) gehöre insbesondere, dafür zu sorgen, dass die Steuererklärungen der GmbH vollständig, wahrheitsgemäß und fristgerecht eingereicht und die Steuern aus den von dem Kläger zu verwaltenden Mitteln entrichtet würden. Außerdem habe der Kläger bei der Ermittlung des haftungsbegründenden Sachverhalts mitzuwirken und Auskünfte in Bezug auf die für die Ermittlung der Haftungsquote erforderlichen Beträge bei den Verbindlichkeiten und Zahlungsmitteln zu erteilen. Da er dies nicht getan habe, habe der Beklagte den Grundsatz der anteiligen Tilgung vorliegend nicht anwenden können, so dass er – der Beklagte – davon habe ausgehen können, dass der GmbH im Haftungszeitraum ausreichende finanzielle Mittel zur Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden hätten und der Kläger seinen Pflichten ohne Einschränkung zumindest grob fahrlässig verletzt habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid und dessen Anlagen Bezug genommen.
13Neben dem Kläger nahm der Beklagte auch den Sohn des Klägers als faktischen Geschäftsführer und den Enkel als Nachfolgegeschäftsführer als Haftungsschuldner in Anspruch.
14Der gegen den Haftungsbescheid erhobene Einspruch (31.03.2014) hatte zum Teil Erfolg. Der Beklagte reduzierte die Haftungssumme nach Schätzung einer Haftungsquote von 82,39 % auf X € und wies den Einspruch im Übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 30.01.2015 als unbegründet zurück. Zur Ermittlung der Haftungsquote hat der Beklagte für den Zeitraum vom 31.12.2005 bis zum Jahr 2012 aus den ihm vorliegenden Unterlagen und – mangels vorliegender Steuererklärungen – durchgeführten Schätzungen eine Zusammenstellung aller Gesamtverbindlichkeiten der GmbH sowie eine Zusammenstellung ihrer Einnahmen erstellt. Hiernach ergaben sich Gesamtverbindlichkeiten der GmbH i. H. v. X €. Demgegenüber standen gezahlte Verbindlichkeiten i. H. v. X €. Hieraus ergab sich nach den Berechnungen des Beklagten eine Haftungsquote von 82,39 % (X € x 100/X €). Wegen weiterer Einzelheiten zur Berechnung der Haftungsquote und der Haftungssumme wird auf die Anlagen zur Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
15Im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren hatte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 02.01.2014, vom 21.08.2014 sowie vom 21.10.2014 u.a. aufgefordert, Angaben dazu zu machen, inwieweit im Haftungszeitraum Mittel für die Steuerentrichtung bei der GmbH vorhanden gewesen seien, um die Haftungsquote zu ermitteln. Mit Schreiben vom 21.10.2014 wurde dem Kläger darüber hinaus erfolglos eine Ausschlussfrist nach § 364b Abs. 1 Nr. 2 AO bis zum 31.12.2014 gesetzt, um die fehlenden Unterlagen und Auskünfte für die Berechnung der Haftungssumme vorzulegen. Auf die Folgen einer Fristversäumnis ist der Kläger in diesem Schreiben hingewiesen worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben des Beklagten vom 21.10.2014 verwiesen.
16Seine Klage (Eingang 24.02.2015) begründet der Kläger damit, dass der Beklagte aus der Einstellung des Strafverfahrens zu seinen Lasten keine Rückschlüsse ziehen dürfe. Für ihn gelte weiterhin die Unschuldsvermutung. Der Tatbestand des § 71 AO sei daher für ihn nicht erfüllt.
17Aber auch eine Inanspruchnahme auf Grundlage von § 69 AO sei nicht möglich. Die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen sei nicht ausreichend, um die Annahme zu rechtfertigen, es seien durch ihn vorsätzlich oder grob fahrlässig gesetzliche Vorschriften missachtet worden. Da er die Buchführungsarbeiten nicht selbst vorgenommen habe, habe er sich darauf verlassen können und müssen, dass die damit betrauten Personen – insbesondere sein Sohn – die Geschäftsvorfälle ordnungsgemäß in die Buchführung einstellen würden. Er habe sich in regelmäßigen Abständen – zumindest wöchentlich – über das Geschehen berichten lassen und sich von der Ordnungsgemäßheit der Erledigung einzelner Geschäftsvorfälle überzeugt. Dass Scheinrechnungen bei der GmbH verbucht worden seien, habe sich seiner Kenntnis entzogen und er habe zur Überprüfung der eingebuchten Betriebsausgaben keine Veranlassung gehabt. Hinreichende Anhaltspunkte für ein grob fahrlässiges Verhalten lägen daher nicht vor und seien auch in dem Haftungsbescheid nicht dargetan worden.
18Es sei richtig, dass die Steuererklärungen betreffend die Körperschaft-, die Gewerbe- und die Umsatzsteuer für das Jahr 2009 nicht abgegeben worden seien. Indes sei nicht ersichtlich, inwiefern gerade die nicht rechtzeitige Abgabe oder gar die Nichtabgabe dieser Steuererklärungen ursächlich für den geltend gemachten Steuerschaden gewesen sein solle. Soweit die Pflichtverletzung in einem Unterlassen bestehe, sei zudem erforderlich, dass der Schaden bei einer gedachten Vornahme der unterbliebenen Handlung sicher nicht eingetreten wäre. Dass die Steuerverbindlichkeiten der GmbH bei rechtzeitiger Abgabe von Steuererklärungen hätten erfüllt werden können, sei indessen nicht ersichtlich.
19Im Wesentlichen werde seine Inanspruchnahme mit der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärungen in Ansehung der Scheinrechnungen begründet. Dies sei folgerichtig: So lege der Beklagte dar, dass hinsichtlich der Körperschaftsteuer für die Jahre ab 2003 jeweils zwei Jahre später Festsetzungsbescheide sowie einige Zeit später Änderungsbescheide mit Festsetzung auf 0,00 € ergangen seien, die sodann aufgrund der Außenprüfung am 30.04.2012 erneut geändert worden seien. Entsprechendes gelte für die Bescheide betreffen die Folgejahre. Im Ergebnis werde die Haftung des Klägers daher auf Bescheide gestützt, die erst nach der erfolgten Außenprüfung ergangen seien, also zu einem Zeitpunkt als er – der Kläger – nicht mehr Geschäftsführer der GmbH gewesen sei.
20Unstreitig habe er selbst keine fehlerhaften Steuererklärungen erstellt, da er von den tatsächlichen Geschehnissen, wie sein Sohn bestätigt habe, keine Kenntnis gehabt habe. Im Rahmen einer Inanspruchnahme nach Maßgabe von § 69 AO hafte ein Geschäftsführer jedoch nur für eigenes Verschulden. Ein Fremdverschulden könne ihm im Rahmen der Vertreterhaftung nicht zugerechnet werden. Vielmehr komme eine Inanspruchnahme allenfalls nur in Betracht, wenn ihn selbst ein Verschulden treffe, weil er ihm obliegende Auswahl- oder Überwachungspflichten verletzt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass eine Haftungsinanspruchnahme nach § 69 AO eine grob fahrlässige Verletzung von Rechtspflichten erfordere. Unstreitig habe der mittlerweile im 90. Lebensjahr stehende Kläger altersbedingt seinen Sohn in das Tagesgeschäft in weitem Umfang eingebunden. Er habe sich darauf verlassen können und dürfen, dass die sich bezüglich der überhöhten Vorsteuerbeträge aus den Buchhaltungsunterlagen ergebenden Zahlen richtig seien, da ihm eine etwaige Unrichtigkeit der von seinem Sohn in die Buchführung eingestellt Geschäftsvorfälle nicht bekannt gewesen sei.
21Vor diesem Hintergrund sei jedoch nicht ersichtlich, wie ein Geschäftsführer auch unter Beachtung der insoweit geltenden Sorgfaltsanforderungen, von Vorgängen Kenntnis gehabt haben könne, über die er von einem Prokuristen nicht unterrichtet worden sei. Selbst wenn man insoweit einen Sorgfaltspflichtverstoß annehme, sei nicht ersichtlich, wie ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer davon hätte wissen können, dass – wie hier unterstellt sei – den betreffenden Vorgängen tatsächlich keine Geschäftsvorfälle zugrunde gelegen hätten. Soweit bekannt, habe die Finanzverwaltung die in Rede stehenden Rechnungen auch im Zusammenhang mit zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen, die in den Jahren 2007 und 2009 erfolgt seien, jeweils anerkannt, bevor sodann aus Anlass der Außenprüfung im Jahre 2012 Zweifel aufgekommen seien, die auch auf internen Ermittlungen – etwa durch die Feststellung des Fehlens eingetragener Firmen oder des Fehlens von Umsatzsteuer-Zahlungen durch Herrn U – hätte beruhen können. Den in Rede stehenden Rechnungen seien die Hintergründe der darin dokumentierten Geschäftsvorfälle jedenfalls nicht anzusehen. Insbesondere sei den Rechnungen nicht anzusehen, ob ihnen tatsächlich ein Leistungsaustausch zugrunde gelegen habe. Selbst wenn die betreffenden Dokumente in einer Weise in die Firmenunterlagen eingestellt worden seien, dass sich der Kläger oder ein gedachter Geschäftsführer durch Einsichtnahme in die Buchhaltung davon hätte Kenntnis verschaffen können, wäre daraus folglich nicht der Schluss zu ziehen, dass damit eine Kenntnis vom Vorliegen von Scheingeschäften (diese unterstellt) verbunden gewesen wäre.
22Im Ergebnis sei daher dem Kläger der Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Es sei schon nicht erkennbar, dass er bei seinem Handeln in Bezug auf Auswahl- und Überwachungspflichten ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseitegeschoben habe und damit dasjenige unbeachtet gelassen habe, was sich im gegebenen Fall jedermann hätte aufdrängen müssen. Selbst wenn man insoweit eine grob fahrlässige Pflichtverletzung annehmen wolle, wäre diese für den Haftungsschaden nicht kausal geworden, da auch ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer die Hintergründe selbst bei einer Einsichtnahme in die Buchführungsunterlagen nicht ohne weiteres hätte erkennen können.
23Es bleibe ferner unklar, woraus sich die Haftung für Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer außerhalb der Zeiträume der Geschäftsführertätigkeit des Klägers ergeben solle. Soweit der Haftungszeitraum am 31.10.2005 bereits beginnen solle, sei unklar, warum der Kläger für Pflichtverletzungen aus dem davorliegenden Jahr in Anspruch genommen werde.
24Hinsichtlich des Vorwurfs des Verbuchens von Scheinrechnungen müsse überdies davon ausgegangen werden, dass tatsächlich Leistungen erbracht worden seien. Dem entsprächen auch die Feststellungen im Bericht zur Außenprüfung vom 26.03.2012. Dort heiße es, dass nach Überzeugung des Beklagten feststehe, dass in irgendeiner Form Betriebsausgaben entstanden sein müssen, da die Umsätze in dieser Höhe von dem Steuerpflichtigen ohne fremde Unternehmer bzw. weitere Arbeitnehmer nicht hätten erzielt werden können. Es müssten Betriebsausgaben für die Arbeitsleistung bislang nicht bekannter Subunternehmer oder Arbeitnehmer der GmbH getätigt worden sein. Diese Ausgaben seien sodann geschätzt worden, wobei für die Jahre 2008 und 2009 aus unbekannten Gründen jeweils keine Betriebsausgaben angesetzt worden seien.
25Ihm sei ferner keine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten vorzuwerfen. Die Änderungsbescheide der Außenprüfung seien erst nach der Beendigung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer ergangen. Allerdings dürfe unterstellt werden, dass Familienangehörige – insbesondere sein Sohn und sein Enkel – ihn bei den erforderlichen Feststellungen soweit als möglich unterstützt hätten, so dass auch ein etwaiger Zugriff auf Firmenunterlagen ermöglicht worden wäre. Schon angesichts eines Haftungszeitraums von sechseinhalb Jahren sei eine Gegenüberstellung aller Einnahmen nebst einer Aufschlüsselung der Ausgaben nach Zahlungen an den Beklagten und Zahlungen an andere Gläubiger mit einem nicht ohne weiteres zu leistenden Aufwand verbunden. Als nur ehemaliger Geschäftsführer habe er indes nicht mehr die Möglichkeit des beliebigen Zugriffs auf Firmenunterlagen gehabt.
26Da über das Vermögen der GmbH überdies das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, sei in Bezug auf die GmbH allein der Insolvenzverwalter (Herr Rechtsanwalt E) handlungberechtigt gewesen. Ihm habe vor diesem Hintergrund keine Möglichkeit offen gestanden auf Firmenunterlagen zuzugreifen. Dies gelte auch insoweit, als diese teilweise zurückgegeben worden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Amtsgericht am 06.01.2014 eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der GmbH und die Anordnung der Beschlagnahme von Firmenunterlagen, namentlich „Buchführungsunterlagen der Firma A GmbH; sämtliche Dokumente und Urkunden sowie elektronische Dateien einschließlich der dazugehörigen Datenträger und Speichermedien“ angeordnet habe. Diese Anordnung habe sich zwar auf Dateien und Dokumente in Bezug auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ab dem Jahr 2011 beschränkt. Die in Vollzug dieser Anordnung erfolgte Beschlagnahme von Computern und Datenträgern habe jedoch zur Folge gehabt, dass auch im Übrigen für weiter zurückliegende Zeiträume die erforderlichen Unterlagen bzw. Daten nicht mehr vorgelegen hätten.
27Vor diesem Hintergrund sei ihm eine Berechnung der Haftungsquote nicht möglich gewesen. Einem Steuerpflichtigen dürften keine Pflichten auferlegt werden, deren Erfüllung für ihn unmöglich sei. Dies gelte erst recht, wenn die in diesem Zusammenhang benötigten Unterlagen der Finanzverwaltung vorlägen. Denn die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen beruhten gerade darauf, dass das Finanzamt typischerweise aus eigener Anschauung keine Detailkenntnisse über Geschäftsvorfälle habe und ihm auch diesbezügliche Unterlagen nicht vorlägen. Lägen die Firmenunterlagen aber dem Finanzamt vor, so müsse es folgerichtig dessen Aufgabe sein, unter Rückgriff auf diese Unterlagen die Voraussetzung einer Haftungsinanspruchnahme unter dem Gesichtspunkt einer vorrangigen Befriedigung anderer Gläubiger darzutun. Damit sei es alleine der Finanzverwaltung möglich gewesen zu prüfen, inwieweit der Grundsatz der anteiligen Tilgung missachtet worden sei.
28Zudem seien die Vorschriften der Haftungsverjährung nicht eingehalten worden. Da ihm – dem Kläger – eine Steuerhinterziehung nicht zur Last falle, betrage die Festsetzungsfrist vier Jahre, beginnend mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden sei, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpfe (§ 191 Abs. 3 S. 2 und 3 AO). Nach den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung sollte diese Frist mit Beginn des Haftungszeitraums am 31.10.2005 begonnen haben, da zu dieser Zeit sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftung nach § 69 AO erfüllt gewesen seien. Solange die Steuer nicht festgesetzt worden sei, ende die Frist für die Haftungsinanspruchnahme allerdings nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer (§ 191 Abs. 3 S. 4 AO). Nur wenn innerhalb dieser Frist eine Festsetzung der Steuer erfolgt sei, könne sodann eine weitere Frist gemäß § 171 Abs. 10 AO zu laufen beginnen; in diesem Fall könne es zu einer Überschreitung der Vierjahresfrist (§ 191 Abs. 3 S. 2 AO) kommen. Vorliegend seien sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuer als auch bezüglich der Körperschaftsteuer verschiedene Bescheide schon jeweils kurz nach Ablauf des Besteuerungszeitraums ergangen. Diese Bescheide seien zwar in der Folgezeit wieder abgeändert worden; der einmal begonnene Fristlauf werde aber nicht beendet. Folgerichtig komme eine Ablaufhemmung durch die Änderungsbescheide vom 30.04.2012 nur noch insoweit in Betracht, als die daran festgesetzte Steuerlast über die ursprünglich festgesetzte Steuerlast hinausgehe. Davon gehe offenbar jetzt auch der Beklagte im Anschluss an die Ausführungen des Gerichts im Erörterungstermin aus, ohne dass daraus bislang Konsequenzen für alle Besteuerungszeiträume und für die Haftungssumme gezogen worden wären.
29Schließlich weise er darauf hin, dass ausweislich des Haftungsbescheides auf den geschuldeten Betrag ein Säumniszuschlag von ein Prozent des auf volle 50 € abgerundeten rückständigen Steuerbetrages zu entrichten sei. Wegen dieser Forderungen werde Bezug genommen auf den Beschluss des BFH vom 20.04.2018 (IX B 21/18), mit dem entschieden worden sei, dass Zinsen in Höhe von einem halben Prozent pro Monat (= 6 %/Jahr) für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes sowie des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbotes verfassungswidrig sei. Dies müsse erst recht für die vorliegend in Rede stehenden Zinsforderungen gelten. Im Übrigen sei nicht erkennbar, warum die Grundsätze aus der genannten Entscheidung nicht auch für Veranlagungszeiträume vor 2015 – hier also das Jahr 2014 – gelten sollen.
30Der Kläger beantragt,
31den Haftungsbescheid vom 19.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2015 aufzuheben.
32Der Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Er erklärt, dass er eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers auf Grundlage von § 71 AO nicht weiter verfolge. Im Übrigen bezieht er sich auf seine Begründungen im Haftungsbescheid vom 19.03.2014 und der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2015. Ergänzend führt er aus, dass es unstreitig sei, dass der Kläger als Geschäftsführer bestellt gewesen sei. Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH ergebe sich allein aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer ohne Rücksicht darauf, ob sie auch tatsächlich ausgeübt werden könne. Fehle dem formell eingesetzten Geschäftsführer die Handlungsmöglichkeit, habe er in letzter Konsequenz die Pflicht zum Rücktritt. Bleibe er im Amt, hafte er vollumfänglich. Der Vertreter dürfe sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten der Hilfe Dritter bedienen. Deren Verschulden müsse er sich grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Das bedeute aber nicht, dass er damit generell von der Haftung freigestellt sei. Ihm obliege eine sorgfältige Auswahl der Mitarbeiter und eine Überwachung der Verwirklichung der steuerlichen Aufgaben. Welche konkreten Überwachungsmaßnahmen gefordert seien, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Allerdings müsse sich der Vertreter fortlaufend über den Geschäftsgang unterrichten lassen, so dass ihm Unregelmäßigkeiten nicht über einen längeren Zeitraum verborgen bleiben. Es dränge sich die Frage auf, in welchem Umfang bzw. in welcher Form der Kläger seiner Überwachungsverpflichtung tatsächlich nachgekommen sei, wenn 67 Scheinrechnungen und 34 beleglose Buchungen bei der GmbH erfolgt seien und er dies nicht erkannt habe.
35Ferner sei der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Trotz mehrfacher Aufforderungen im Verwaltungsverfahren und im Einspruchsverfahren habe er keine Angaben hinsichtlich des Bestandes an Eigenmitteln und der Verbindlichkeiten der GmbH gemacht. Die Haftungsquote sei anhand der dem Beklagten vorliegenden Unterlagen im Schätzungswege ermittelt worden. Bessere Erkenntnisse habe der Kläger auch im Klageverfahren nicht vorgetragen.
36Laut einem Vermerk der Steuerfahndung L seien sämtliche Unterlagen am 25.07.2013 an die GmbH zurückgegeben worden. Für den Kläger habe spätestens ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, die finanziellen Verhältnisse der GmbH aus seiner Sicht darzustellen.
37Die Höhe der festgesetzten Steuern gegenüber der GmbH sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
38Eine Festsetzungsverjährung für die Inanspruchnahme mittels eines Haftungsbescheides sei vorliegend nicht gegeben. So habe die GmbH für das Jahr 2004 keine Umsatzsteuererklärung eingereicht. Daher habe das zuständige Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom 10.10.2006 geschätzt. Am 11.04.2007 sei ein Änderungsbescheid erlassen worden, weil die Steuererklärung abgegeben worden sei. Nach erfolgter Außenprüfung sei sodann am 30.04.2012 erneut ein Änderungsbescheid erlassen worden. Dieser setze eine noch höhere Steuer als im vorliegenden Bescheid fest. Mit Datum vom 19.03.2014 erließ das zuständige Finanzamt einen Haftungsbescheid gegen den Kläger. Die Festsetzungsfrist betrage für Haftungsbescheide nach § 191 Abs. 3 S. 2 AO grundsätzlich vier Jahre und beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in denen der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpfe. Insoweit sei auf die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsnorm sowie die Entstehung der Steuerschuld abzustellen.
39Im vorliegenden Fall sei als haftungsbegründende Pflichtverletzung an die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung sowie die Nichtabführung der sich insoweit ergebenden Zahlungen anzuknüpfen. Die Umsatzsteuer entstehe in dem Zeitpunkt, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechenbar sei. Dies sei das Ende des Besteuerungszeitraums, mithin das Ende des Kalenderjahres. Die Umsatzsteuererklärung hätte der Kläger gemäß § 18 Abs. 3 UStG i. V. m. § 149 Abs. 2 AO grundsätzlich spätestens zum 31.05.2005 abgeben und den sich ergebenden Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Finanzamtes bis zum 30.06.2005 an dieses entrichten müssen. Aufgrund einer Fristverlängerung sei die Erklärung erst bis zum 30.09.2005 einzureichen gewesen, so dass die Fälligkeit am 31.10.2005 eingetreten wäre. Die haftungsbegründenden Tatbestände, auf die der Beklagte die Inanspruchnahme des Klägers gestützt habe, seien im Streitfall daher zum 31.10.2005 verwirklicht gewesen, so dass die Haftungsfestsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2005 begonnen habe. Die Inanspruchnahme des Klägers mittels eines Haftungsbescheides vom 19.03.2014 sei daher erst nach Ablauf der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist erfolgt.
40Zu berücksichtigen sei hierbei aber die Ablaufhemmung des § 191 Abs. 3 S. 4 AO. Danach verlängere sich der Ablauf der Festsetzungsfrist, und zwar nach der 1. Alt. der Vorschrift für den Fall, dass die Steuer, für die gehaftet werde, noch nicht festgesetzt worden sei; sie ende dann nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist. Andernfalls gelte der nach § 191 Abs. 3 S. 4, 2. Alt. AO, § 170 Abs. 10 AO sinngemäß; der Steuerbescheid wirke dann für den Haftungsbescheid wie ein Grundlagenbescheid. Die Voraussetzungen der 1. Alt. sei im Streitfall bei Erlass des Haftungsbescheides nicht erfüllt gewesen. Denn bereits vor Erlass des Haftungsbescheides sei die in die Haftung einbezogene Umsatzsteuer gegenüber der Steuerschuldnerin festgesetzt worden. Die Umsatzsteuer bei zunächst durch den ursprünglichen Schätzungsbescheid dann durch den ersten Änderungsbescheid und im Anschluss durch den zweiten Änderungsbescheid, veranlasst durch die Außenprüfung, geändert worden. Die Gefahr, dass die Haftungsansprüche vor Ablauf der Steuerfestsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner verjährten, habe folglich nicht mehr bestanden. Insoweit komme eine weitere Ablaufhemmung nach der in § 191 Abs. 3 S. 4 AO enthaltenen 1. Alt. nicht in Betracht.
41Anderes müsse aber unter Berücksichtigung der 2. Alt. des § 191 Abs. 3 S. 4 AO gelten. Ihm habe hiernach bei entsprechender Anwendung von § 171 Abs. 10 AO für den Erlass des Haftungsbescheides ein Zeitraum von zwei Jahren nach Bekanntgabe des letzten Änderungsbescheides zur Verfügung gestanden. Dieser Zeitrahmen sei in jenem Zeitpunkt, in dem der streitgegenständliche Haftungsbescheid ergangen sei (dem 19.03.2014), zwar für die in die Haftung einbezogenen Umsatzsteuern abgelaufen, die bereits durch den ursprünglichen Schätzungsbescheid bzw. durch den ersten Änderungsbescheid erfasst worden seien, für die darüber hinausgehenden, aufgrund des zweiten Änderungsbescheides erstmalig erfassten Umsatzsteuern jedoch nicht. Der Haftungsbescheid habe folglich insoweit – im Hinblick auf diese zusätzlich erfassten Umsatzsteuern – noch ergehen können, ohne dem Verjährungseinwand ausgesetzt zu sein. Dies gelte ebenfalls für die weiteren in die Haftung einbezogenen Beträge. Wegen weiterer Ausführungen hinsichtlich der Festsetzungsverjährung, auch betreffend die weiteren mit dem Haftungsbescheid geltend gemachten Körperschaftsteuerforderungen, wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 25.01.2019 Bezug genommen.
42Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 18.12.2018 erörtert. Auf das Protokoll zum Erörterungstermin wird verwiesen.
43Der Senat hat in dieser Sache am 30.04.2019 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
44Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorgelegten Verwaltungsakten, die Gerichtsakte und die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Die Gerichtsakte zum Aussetzungsverfahren betreffend den angefochtenen Haftungsbescheid zu Az. 12 V 1924/14 wurde beigezogen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Haftungsbescheid vom 19.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
46A. Der Kläger haftet nach §§ 191 Abs. 1, 69 AO. Er ist zu Recht auf der Grundlage von §§ 191, 69 AO durch den Beklagten in Anspruch genommen worden.
47I. Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 S. 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu den potentiellen Haftungsschuldnern gehören u.a. die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen (§ 34 Abs. 1 AO). Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbHG). Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen.
48Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO setzt neben einem (für den eingetretenen Haftungsschaden ursächlichen) objektiv pflichtwidrigen Verhalten der in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen in subjektiver Hinsicht entweder Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit voraus. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Eine Haftung kommt demnach nur bei „gravierenden Sorgfaltspflichtverletzungen“ in Betracht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 23.09.2008, VII R 27/07, juris; BFH-Beschluss vom 03.12.2004, VII B 178/04 juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 23 ff., 26 m.w.N.; Rüsken in Klein, AO, 13. Auflage 2016, § 69 AO Rz. 32).
49Die Pflicht, die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen ist im Grundsatz umfassend.
50Sind mehrere Geschäftsführer vorhanden (eingetragener und faktischer Geschäftsführer) kann die Verteilung der Geschäfte begrenzt, aber nicht aufgehoben werden (z.B. BFH-Urteil vom 26.04.1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776).
51Eine schriftliche Vereinbarung ist grundlegende Voraussetzung dafür, dass ein Geschäftsführer von der umfassenden Sorge für die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft entlastet ist (BFH-Beschluss vom 21.10.2003 VII B 353/02, BFH/NV 2004, 157). Der einzelne Geschäftsführer wird nur dann von bestimmten Pflichten frei, wenn sich die Aufgabenverteilung zwischen den mehreren Geschäftsführern aus klaren und schriftlichen Regelungen im Gesellschaftsvertrag o.ä. ergibt (BFH-Urteil vom 26.04.1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776). Eine mündliche Vereinbarung reicht für eine Begrenzung der Pflichtenstellung nicht aus, selbst wenn eine entsprechende Ressortverteilung unter den Geschäftsführern tatsächlich praktiziert wurde (Finanzgericht – FG – Bremen Urteil vom 12.10.1993 2 93 097 K 5, EFG 1994, 594; Rüsken in Klein, AO, 13. Auflage, 2016, § 69 Rz. 106).
52Der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft betrauter Geschäftsführer muss sich fortwährend von dem pflichtgemäßen Verhalten des Mitgeschäftsführers, dem diese Aufgaben übertragen sind, überzeugen (sog. Überwachungspflicht). Er muss sich so eingehend selbst über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen damit rechnen kann, eine nicht ordnungsgemäße Erledigung rechtzeitig aufzudecken. Dafür ist es erforderlich, aber auch ausreichend, sich „generelle Kenntnis“ davon zu verschaffen, dass die Geschäftsführung durch den Mitgeschäftsführer ordnungsgemäß ist (BFH-Beschluss vom 22.07.1997 I B 44/97, BFH/NV 1998, 11).
53Welche Überwachungsmaßnahmen und organisatorische Vorkehrungen für eine ausreichende Unterrichtung über die den Vertretenen betreffenden Vorgänge bei wirksamer Übertragung der Erledigung steuerlicher Pflichten auf Mitgeschäftsführer nach den Umständen erforderlich sind, ist eine Frage des Einzelfalles (z.B. BFH-Urteil vom 30.08.1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278); über längere Zeit andauernde Unregelmäßigkeiten indizieren jedoch ein Verschulden. Verwandtschaftliche oder sonstige enge persönliche Beziehungen zu dem Dritten schließen einen Verschuldensvorwurf auch dann nicht aus, wenn sie die Ausübung der Überwachungsfunktion bzw. die Möglichkeiten einer Niederlegung des Amtes wesentlich erschwerten; nur in ganz besonderen Ausnahmefällen entschuldigen solche Umstände (BFH-Beschluss vom 05.03.1985 VII B 52/84, BFH/NV 1987, 459).
54Für die Überwachungspflichten macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob mit bestimmten Angelegenheiten ein leitender Angestellter (z.B. ein Prokurist) oder ein Mitarbeiter mit geringeren Vollmachten betraut worden ist (BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72).
55Ein nicht mit den steuerlichen Pflichten betrauter Geschäftsführer ist von seinen Pflichten nie völlig frei, sondern ist zumindest zu einer gewissen Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen verpflichtet (BFH-Urteil vom 23.06.1998 VII R 4/98, BStBl II 1998, 761).
56Bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners handelt es sich gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO um eine Ermessensentscheidung („kann“). Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde kann nach § 102 S. 1 FGO von dem Gericht nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Das Gericht ist dabei nicht befugt, eigenes Ermessen anstelle des Ermessens der Finanzverwaltung auszuüben. Aus diesem Grund ist eine Ermessensentscheidung nur dann als rechtmäßig anzusehen, wenn das Finanzamt den erheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt hat. Daraus folgt umgekehrt, dass die Ermessensentscheidung fehlerhaft ist, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art, die nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen wären, außer Acht lässt. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (BFH-Urteil vom 12.08.2009 XI R 4/08, BFH/NV 2010,393 und BFH-Beschluss vom 16.06.2005 VII B 295/04, BFH/NV 2005, 1748). Den in diesem Zeitpunkt bekannten bzw. erkennbaren Sachverhalt muss die Finanzverwaltung in ihrer Entscheidung zudem ausgewertet haben (FG Hamburg, Urteil vom 02.11.2010 1 K 82/02, EFG 2011,598; FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.09.2004 1 K 228/02, juris).
57II. Gemessen an diesen Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Kläger nach Ansicht des Senats mit der fehlerhaften Abgabe der Körperschaftssteuererklärungen der Jahre 2003 bis 2010 und der Umsatzsteuererklärungen der Jahre 2004 bis zum ersten Quartal 2012 sowie der Nichtabgabe der Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen des Jahres 2009 objektiv eine Pflichtverletzung begangen.
58Als alleiniger Geschäftsführer der GmbH war der Kläger deren gesetzlicher Vertreter (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) und hat als solcher seine gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO bestehende Pflicht, rechtzeitig richtige Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO, § 18 Abs. 3 UStG) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO, § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG) zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO), verletzt. In dieser Position musste dem Kläger klar sein, dass die GmbH zur Abgabe (richtiger) Steuererklärungen verpflichtet war.
59Der Einwand des Klägers, sein Sohn als Prokurist der GmbH und faktischer Geschäftsführer der GmbH habe sich um alle steuerlichen Belange gekümmert, führt nicht zu einem Ausschluss der Haftung. Denn der Kläger war der eingetragene Geschäftsführer und damit für die Geschäftsführung der GmbH im Ganzen verantwortlich. Eine Begrenzung der steuerlichen Haftung für den nach der internen Aufgabenverteilung nicht für die Steuerangelegenheiten zuständigen Geschäftsführer kommt nur dann in Betracht, wenn die Geschäftsverteilung zwischen dem Geschäftsführer und einem faktischen Geschäftsführer oder auch – wie hier – Prokuristen schriftlich und von vornherein eindeutig geregelt ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.05.1988 VII R 90/85, BFH/NV 1989, 4). Das kann geschehen durch Gesellschaftsvertrag, förmlichen Gesellschafterbeschluss oder Geschäftsordnung. Eine schriftliche Vereinbarung existierte vorliegend indes nicht. Vielmehr haben der Kläger und sein Sohn lediglich mündlich vereinbart, dem Sohn die vollständige faktische Geschäftsführung der GmbH zu übertragen. Dies reicht für eine wirksame Entlastung des Klägers von seinen gesetzlich angeordneten Geschäftsführerpflichten aber nicht aus.
60III. Der Kläger handelte jedenfalls grob pflichtwidrig. Zunächst indiziert die unter II. festgestellte objektive Pflichtwidrigkeit den gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.11.2008 VII R 19/08, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342; vom 22.04.2015 XI R 43/11, BStBl II 2015, 755 und vom 27.09.2017 XI R 9/16, BStBl II 2018, 515). Grob pflichtwidrig handelte der Kläger durch die Abgabe unrichtiger Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 2007 und 2008, der Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2004 bis 2008, der Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar bis August und Oktober bis Dezember 2010 sowie der ersten beiden Quartale für 2011 bzw. durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen für 2009. Wie oben unter II. bereits ausgeführt, konnte der Kläger sich seiner Pflichten aus § 34 AO i. V. m. § 35 GmbHG nicht wirksam entledigen. Insbesondere ist ihm anzulasten, dass 67 Scheinrechnungen und 34 beleglose Buchungen bei der GmbH von nicht existenten Unternehmen vorgelegen haben und auch Steuererklärungen vollständig nicht abgegeben wurden. Auf ein etwaiges eigenes Unvermögen, seinen Aufgaben als Geschäftsführer (etwa aufgrund seines fortgeschrittenen Alters) nachzukommen, kann sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Wenn ein Geschäftsführer die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210). Dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat seinem Sohn vielmehr „blind“ vertraut und seine Augen bewusst vor den faktischen Gegebenheiten verschlossen. Er hat sich erwiesenermaßen überhaupt nicht um die Geschäftsführung der GmbH gekümmert. Geeignete Aufsichtsmaßnahmen gegenüber seinem Sohn bestanden nicht. Insbesondere kann er sich nicht mit dem Einwand des subjektiven Vorwurfs entziehen, dass er seinen Sohn im guten Glauben die Geschäftsführung überlassen habe. Es ist zwar richtig, dass der Sohn des Klägers als faktischer Geschäftsführer erklärt hat, dass er seinen Vater nicht über die Geschäfte mit Herrn U unterrichtet habe. Er kann sich mit der Behauptung, er habe von der Richtigkeit der in der Buchführung eingestellten Geschäftsvorfälle ausgehen dürfen und die Unrichtigkeit der eingestellten Geschäftsvorfälle sei ihm nicht bekannt gewesen, jedoch nicht von einer Haftung exkulpieren. Ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer hätte erkannt, dass die von ihm vertretene GmbH Geschäfte mit nicht existenten Firmen getätigt hat. Ferner hätte er durch Blick in die Buchführung durchaus erkennen können und müssen, dass 34 beleglose Buchungen getätigt wurden.
61IV. Aufgrund dieser Pflichtverletzungen ist ein Haftungsschaden i. H. v. insgesamt X € entstanden.
62a. Dem Umfang nach beschränkt sich die Haftung nach § 69 S. 1 AO nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Danach ist die Haftung nach § 69 AO dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. BFH-Urteil vom 01.08.2000 VII R 110/99, BStBl II 2001, 271). Rückständige Steuern sind danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder – soweit der Sachverhalt wegen Verweigerung der Mitwirkung des haftenden Geschäftsführers nicht aufgeklärt werden kann – im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO).
63b. Ausweislich der Anlage zum Haftungsbescheid ergeben sich für die GmbH offene Steuerforderungen i. H. v. X €. Die Anlage zu diesem Bescheid gibt die einzelnen der Haftung zu Grunde liegenden Steuern nach Veranlagungszeiträumen getrennt und die steuerlichen Nebenleistungen konkret an. Bei dieser Summe handelt es sich um die aufgrund der Änderungsbescheide vom 30.04.2012 festgesetzten Nachforderungsbeträge gegenüber der GmbH und namentlich um die steuerlichen Nachforderungen, die aus dem Einbuchen der Scheinrechnungen und beleglosen Buchungen bei der GmbH zu entrichten waren und damit ursächlich auf den von dem Kläger begangenen Pflichtverletzungen beruhen. Es handelt sich mithin um den Betrag der Steuerschulden der GmbH, die infolge des grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers nicht entrichtet worden sind.
64Mit umfasst von der Haftung sind auch die bis zum 04.06.2012 angefallenen Zinsen i. H. v. insgesamt X €.
65Der Beklagte hat zutreffend für die Berechnung der bis Juni 2012 angefallenen Zinsen einen Prozentsatz i. H. v. 6 %/Jahr nach § 238 AO zugrunde gelegt. Der in dieser Vorschrift festgelegte Zinssatz ist für die hier in Streit stehenden Zeiträume bis Juni 2012 verfassungsgemäß. Insoweit schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen des FG Münster im Urteil vom 17.08.2017 (Az. 10 K 2472/16, EFG 2017, 1638 (Revision beim BFH anhängig unter Az. III R 25/17)) an.
66c. Anhaltpunkte für eine unzutreffende Höhe der im Haftungsbescheid ausgewiesenen Steuerschulden sind aus Sicht des Senats nicht gegeben. Zwar ist der Kläger mit seinen Einwendungen gegen die im Haftungsbescheid enthaltenen Festsetzungen nicht nach § 166 AO ausgeschlossen. Allerdings hat er keine substantiierten Einwendungen erhoben, die zu einer Reduzierung der Festsetzungen im Haftungsbescheid hätten führen müssen.
67(a) Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegenüber sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten (§ 166 AO). Der Ausschluss von Einwendungen reicht nicht weiter als die Vertretungsmacht. Insoweit soll das Haftungsverfahren dem von § 166 AO erfassten Haftungsschuldner keine erneute Überprüfungsmöglichkeit hinsichtlich der Steuerfestsetzungen verschaffen, weil er bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzungen befugt war oder sogar Steuerfestsetzungen bereits erfolglos angefochten hat. Soweit § 166 AO nicht eingreift, kann der Haftende hingegen alle Einwendungen gegen den zu Grunde liegenden Steuerbescheid geltend machen (Rüsken in Klein, AO, 13 Auflage 2016, § 166 Rz. 3 m. w. N.).
68Die Anfechtungsbefugnis muss, um die Rechtsfolgen des § 166 AO auszulösen, während der Dauer der Anfechtungsfrist (nicht etwa nur an deren ersten Tag) bestanden haben; denn dem Vertreter kann nicht vorgeworfen werden, dass er die Frist ausgeschöpft, von seiner Anfechtungsmöglichkeit also nicht sofort Gebrauch gemacht hat (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24.08.2004 VII R 50/03, BStBl II 2005, 127 und vom 21.01.1972 VII R 196/83, BFH/NV 1986, 512; BFH-Beschluss vom 28.03.20001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217; vgl. auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand August 2016, § 166 AO, Rz. 12; Rüsken in Klein, AO, 13 Auflage 2016, § 166 Rz. 9; Cöster in Koenig AO, 3. Auflage 2014, § 166 Rz. 18).
69(b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann der Kläger Einwendungen gegen die Höhe der Steuerfestsetzungen erheben und ist hiermit nicht nach § 166 AO ausgeschlossen. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide am 30.04.2012 war er nicht mehr Geschäftsführer der GmbH, so dass er rechtlich nicht in der Lage war, die Steuerbescheide anzufechten und damit für ihn keine Anfechtungsbefugnis bestanden hat.
70Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, dass der Kläger aus „eigenem Recht“ i. S. v. § 166 AO sich gegen die Festsetzungen gegenüber der GmbH hätte zur Wehr setzen können und mit seinen Einwendungen daher nach § 166 AO ausgeschlossen sei, überzeugt diese Argumentation den Senat nicht. Der Beklagte bezieht sich insoweit auf eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12.03.1993 Az. 8 C 20/90, NJW 1993, 2453; hieran anschließend Verwaltungsgericht Gießen Urteil vom 21.03.2013 Az. 8 K 230/12, juris). Hiernach soll § 166 AO entsprechend anzuwenden sein, wenn der Haftungsschuldner aus eigenem Recht gegen die Bescheide hätte vorgehen können, was bereits dann der Fall sein soll, wenn der Haftungsschuldner etwa aufgrund seiner Beteiligung im Außenprüfungs- und Steuerfahndungsverfahren hätte erkennen müssen, dass er künftig als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird. Hiernach hätte er „aus eigenem Recht“ i. S. v. § 166 AO gegen die steuerlichen Festsetzungen vorgehen können und müssen, so dass er mit etwaigen Einwendungen gegen diese Festsetzungen ausgeschlossen wäre.
71Weder die steuerrechtliche Literatur noch die Rechtsprechung des BFH hat diesen Gedanken aufgegriffen. Nach der für den Senat überzeugenden Rechtsprechung des BFH kann § 166 AO nur dann zum Ausschluss von Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung führen, wenn der Kläger als gesetzlicher Vertreter i. S. v. § 34 AO i. V. m. § 35 Abs. 1 GmbHG während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist Vertretungsmacht und damit das Recht gehabt hat, namens der GmbH zu handeln. Für die Anwendbarkeit von § 166 AO kommt es lediglich darauf an, ob der In-Anspruch-Genommene rechtlich in der Lage war, den Steuerbescheid anzufechten. § 166 AO stellt insoweit auf ein objektives Verhältnis ab. Im Streitfall bestand diese Möglichkeit für den Kläger aber gerade nicht, da er zum Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide am 30.04.2012 nicht mehr Geschäftsführer der GmbH gewesen ist, sondern zum 24.04.2012 abberufen worden war. Für ihn bestand keine Möglichkeit, die gegen die GmbH gerichteten Änderungsbescheide vom 30.04.2012 anzufechten. Insoweit kann ihm gegenüber kein Einwendungsausschluss nach § 166 AO angenommen werden.
72(c) Allerdings hat der Kläger substantiierte Einwendungen zur Höhe der Steuerschuld der GmbH nicht erhoben. Angesichts der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen und Mängel in den Aufzeichnungen der geschäftlichen Vorgänge der GmbH, war eine exakte und genaue nachvollziehbare und nachprüfbare Ermittlung der Höhe der konkreten Umsätze der GmbH nicht möglich, so dass eine Schätzung durch den Beklagten auf der Grundlage von § 162 AO zu erfolgen hatte. Auf Nachfragen seitens des Beklagten im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren mit der Aufforderung um konkretere Angaben zu den Gesamtverbindlichkeiten und Erträgen der GmbH im Haftungszeitraum zu tätigen, hat der Kläger nicht reagiert. Auch im Klageverfahren hat er keine konkreteren Angaben zur geschäftlichen Tätigkeit der GmbH gemacht und nach eigenem Bekunden letztlich auch nicht tätigen können.
73Der Kläger hat insbesondere weder dargelegt noch nachgewiesen, welche konkreten weiteren Betriebsausgaben bei der GmbH in den Jahren 2003 bis 2010 hätten in Ansatz gebracht werden müssen. Die pauschale Behauptung, dass aufgrund der durchgeführten Außenprüfung – wie auch vom Betriebsprüfer angenommen – davon ausgegangen werden müsse, dass bei der GmbH weitere Betriebsausgaben angefallen seien, kann nicht zu einer Reduzierung der Steuerschulden der GmbH „auf Zuruf“ führen. Denn um einen Betriebsausgabenabzug nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend machen zu können, bedarf es der konkreten Angabe welche Betriebsausgaben, in welcher Höhe durch welche konkreten Leistungen erbracht worden sein sollen. Der Kläger ist hierfür darlegungs- und feststellungsbelastet. Einen konkreten Vortrag ist der Kläger indes schuldig geblieben. Vielmehr führt er lediglich aus, dass in den Jahren 2008 und 2009 aus „unbekannten Gründen“ keine Betriebsausgaben angesetzt worden seien. Nähere Angaben macht er zu den von der GmbH betrieblich veranlassten Aufwendungen nicht. Dies reicht für die Reduzierung der im Haftungsbescheid ausgewiesenen Steuerschulden der GmbH nicht aus. Jedenfalls die in den Rechnungen ausgewiesenen Leistungen, deren Betriebsausgabenabzug der Beklagte in den streitigen Festsetzungen versagte, sind – und dies greift der Kläger auch nicht an – nicht von den in den Rechnungen jeweils ausgewiesenen Unternehmen bzw. Unternehmern erbracht worden.
74d. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung ist die vom Beklagten in Ansatz gebrachte Haftungsquote von 82,39 % nicht zu beanstanden.
75(1.) Die Haftung nach § 69 AO ist dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Die Pflichtverletzung ist für den Haftungsschaden ursächlich, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre. Liegt die Pflichtverletzung in einem Unterlassen, ist diese ursächlich für den Steuerschaden, wenn dieser beim Hinzudenken der unterlassenen Handlung sicher nicht eingetreten wäre (BFH-Urteil vom 17.11.1992 VII R 13/92, BStBl II 1993, 471). Die Pflichtverletzung ist dann nicht ursächlich für den Steuerausfall, wenn die Steuer auch bei rechtzeitiger Erklärung oder Anmeldung nicht hätte entrichtet werden können. Hierbei ist der Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten. Der Vertreter hat die vorhandenen Mittel bereits vor der Fälligkeit der Steuern so zu verwalten, dass er zur pünktlichen Tilgung auch der erst künftig fällig werdenden Steuerschulden in der Lage ist. Er verletzt seine steuerlichen Pflichten daher auch dann, wenn er sich vor Fälligkeit der Steuern durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in anderer Weise schuldhaft außerstande setzt, bereits entstandene oder künftig fällig werdende Steuerforderungen zu tilgen (BFH-Urteil vom 16.12.2003 VII R 77/00, BStBl II 2005, 249). Stehen damit zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat. Rückständige Steuern sind danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder – soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann – im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das Finanzamt vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Steuer in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (BFH-Urteil vom 27.02.2007 VII R 60/05, BStBl II 2008, 508, m.w.N.). Auf die Liquiditätsverhältnisse zu den jeweiligen Zahlungs- und Steuerfälligkeitszeitpunkten kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 11.07.1989 VII R 81/87, BStBl II 1990, 357; BFH-Beschluss vom 04.05.2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363).
76Verletzt der Haftungsschuldner als Geschäftsführer der GmbH die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, die Gesamtverbindlichkeiten und die geleisteten Zahlungen im Haftungszeitraum mitzuteilen, so ist dies bei der Schätzung zu berücksichtigen. Macht der Haftungsschuldner keine oder nur unvollständige Angaben, kann er sich auf Schätzungsfehler des Finanzamts nur in einem eingeschränkten Umfang berufen. Will er eine für ihn günstigere Haftungsquote erreichen, bleibt es ihm vorbehalten, einen entsprechenden Liquiditätsstatus der GmbH vorzulegen (BFH-Urteil vom 26.10.2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777).
77(2.) Bei gedachter ordnungsgemäßer und fristgerechter Abgabe der Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen hätte die GmbH die anfallenden Steuern zumindest zum größten Teil – nämlich zu 82,39 % – entrichten können. Anhaltspunkte, dass bei fristgerechter und ordnungsgemäßer Abgabe zutreffender Steuererklärungen die GmbH vollständig nicht in der Lage gewesen wäre, aus ihren Mitteln die zu entrichtenden Steuern zu leisten, sind nicht ersichtlich und werden von dem Kläger auch nicht vorgetragen.
78Es kommt für die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner nicht darauf an, wenn die Steuererklärungen – wie hier – nicht oder zum weit überwiegenden Teil mit falschem Inhalt abgegeben worden und dem Kläger als Geschäftsführer insoweit eine grob fahrlässige Verletzung seiner Sorgfaltspflichten vorzuwerfen ist, wann Steuernachforderungen festgesetzt (hier ca. eine Woche nach Abgabe der Geschäftsführertätigkeit) oder fällig werden. Insoweit kommt es auf die Vermögenssituation der GmbH bei Erlass der Änderungsbescheide am 30.04.2012 nicht an.
79Der Beklagte hat die Haftungsquote von 82,39 % nachvollziehbar berechnet und – soweit es ihm hierzu möglich war – die tatsächlichen Verhältnisse bei der GmbH im Zeitraum der Geschäftsführung des Klägers berücksichtigt und geschätzt. Zur Berechnung der Haftungsquote sind die Verbindlichkeiten zur Mittelverwendung im Haftungszeitraum ins Verhältnis zu setzen. Die Gesamtverbindlichkeiten der GmbH beliefen sich im Haftungszeitraum auf insgesamt X €. Demgegenüber standen der GmbH Mittel in Höhe von X € zur Verwendung zur Verfügung. Damit ergibt sich eine Haftungsquote von 82,39 % (X €/X € x 100).
80Unter Zugrundelegung rückständiger Steuern i. H. v. X € ergibt sich daher eine Haftungssumme unter Berücksichtigung gezahlter Steuern i. H. v. X € von insgesamt X €.
81Der Kläger hat insoweit nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Haftungsquote hier anders hätte ausfallen müssen. Etwaige konkrete Verhältnisse bei der GmbH aufzuklären und näher dazulegen wäre ihm nach Auffassung des Senats möglich und zumutbar gewesen. Sich darauf zu berufen, dass er die Unterlagen nicht habe prüfen können und es ihm unmöglich gewesen sei, konkretere Angaben zur Haftungssumme und den Verhältnissen bei der GmbH im Haftungszeitraum zu machen, überzeugt nicht. Vielmehr hat er eingestanden, dass die Unterlagen der GmbH an diese wieder herausgegeben worden sind und er über seinen Sohn oder seinem Enkel hätte Erkenntnisse über die Vermögenslage der GmbH in Erfahrung bringen können. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen sind die im Strafverfahren, welches durch die Staatsanwaltschaft L betrieben worden ist, am 25.07.2013 wieder an einen bevollmächtigten Mitarbeiter der GmbH herausgegeben worden.
82Hierbei muss auch berücksichtigt werden, dass die Beschlagnahmeanordnung des Amtsgerichts vom 06.01.2014 sich auf Unterlagen ab dem Jahr 2011 (ausweislich des Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokolls vom 21.03.2014 Kassenunterlagen ab Februar 2011) – mithin einem Zeitraum, der hier nur von untergeordneter Bedeutung ist – bezogen hat. Zudem ging es um einen Vorwurf gegen den neuen Geschäftsführer wegen eines möglicherweise verspätet gestellten Insolvenzantrages und damit dem Vorwurf einer Insolvenzverschleppung. Die Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft N fanden daher unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt statt.
83Der Senat kann schließlich den Einwand des Klägers, dass durch die Beschlagnahme der Unterlagen ab dem Jahr 2011 von Computern und Datenträgern auch für die davor liegenden Zeiträume keine Unterlagen mehr vorgelegen hätten, nicht nachvollziehen. Auf diese Unterlagen hat sich die Beschlagnahmeanordnung nicht bezogen, so dass es für den Kläger möglich gewesen wäre, die hier maßgeblichen Unterlagen, die sich im Wesentlichen auf die Zeiträume zwischen 2005 und 2012 bezogen haben, von der Staatsanwaltschaft heraus zu verlangen. Dass der Beklagte berechtigt ist, von dem Kläger als Geschäftsführer einer GmbH die zur Ermittlung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte zu verlangen, folgt aus § 93 Abs. 1 S. 1 AO (vgl. BFH-Urteil vom 11.07.1989 VII R 81/87, BStBl II 1990, 357). Die in dieser Bestimmung niedergelegten Mitwirkungs- und Auskunftspflichten entfallen nicht dadurch, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haftung zwischen den Beteiligten streitig sind (vgl. BFH-Urteil vom 28.06.2005 I R 2/04, juris) und insbesondere auch nicht deshalb, weil dem Beklagten die Unterlagen zunächst selbst zur Auswertung der Verhältnisse bei der GmbH im Haftungszeitraum vorgelegen haben.
84V. Eine Haftungsverjährung ist vorliegend nicht eingetreten.
85a. Eine Haftungsverjährung der Körperschaftsteuer der Jahre 2003 bis 2010 liegt nicht vor.
86Die haftungsbegründende Tathandlung, die zur Verwirklichung der Haftung nach § 69 AO führte, ist die fehlerhafte Abgabe der Körperschaftsteuererklärung des Jahres 2003, die am 02.09.2005 abgegeben worden ist. Die Haftungsfestsetzungsfrist beginnt damit am 31.12.2005 und endet nach vier Jahren am 31.12.2009. Da der Haftungsbescheid am 19.03.2014 ergangen ist, wäre eine Haftung im Grundsatz verjährt. Allerdings tritt vorliegend eine Ablaufhemmung nach § 191 Abs. 3 S. 4, 2.Alt. AO ein. Aufgrund des Eingangs der Körperschaftsteuererklärung 2003 erging am 29.09.2005 ein Körperschaftsteuerbescheid, der die Körperschaftsteuer auf X € festsetzte. Dieser Bescheid ist am 11.04.2007 aufgrund eines Verlustrücktrages aus dem Jahr 2004 geändert worden und die Körperschaftsteuer auf X € festgesetzt worden. Mit Änderungsbescheid vom 30.04.2012 wurde die Körperschaftsteuer sodann wieder auf X € festgesetzt. Die Ablaufhemmung nach § 191 Abs. 3 S. 4, 2. Alt. AO greift insoweit als die festgesetzten Beträge laut dem Änderungsbescheid vom 30.04.2012 die Beträge aus dem vorherigen Bescheid vom 11.04.2007 übersteigen. Damit endet die Haftungsfestsetzungsfrist mit Ablauf des 03.05.2014, so dass eine Haftungsverjährung bei Erlass des Haftungsbescheides am 19.03.2014 noch nicht eingetreten ist.
87Die haftungsbegründende Tathandlung für die Körperschaftsteuer des Jahres 2004 lag ebenfalls in der fehlerhaften Abgabe der Steuererklärung, die diesbezüglich am 19.03.2007 beim Beklagten eingegangen ist (der hierauf ergangene Körperschaftsteuerbescheid erging am 11.04.2007 (Änderungsbescheid zum Schätzungsbescheid vom 10.10.2006) und setzte eine Körperschaftsteuer 2004 i. H. v. X € fest. Die Haftungsfestsetzungsfrist begann daher mit Ablauf des 31.12.2007 und endete regulär am 31.12.2011. Allerdings greift vorliegend ebenfalls die Ablaufhemmung des § 191 Abs. 3 S. 4, 2. Alt. AO. Denn die im Änderungsbescheid vom 30.04.2012 festgesetzte Körperschaftsteuer belief sich auf X € und überstieg in dieser Höhe erstmalig die Festsetzungen im Körperschaftsteuerbescheid 2004 vom 11.04.2007. Die Haftungsfestsetzungsfrist endete daher am 03.05.2014, so dass eine Haftungsverjährung am 19.03.2014 noch nicht eingetreten war.
88Eine Haftungsverjährung für die Körperschaftsteuer 2005 liegt ebenfalls nicht vor. Die fehlerhafte Abgabe der Steuererklärung erfolgte am 03.08.2010. Die mit Körperschaftsteuerbescheid vom 20.09.2007 auf X € festgesetzte Körperschaftsteuer wurde aufgrund des Erklärungseingangs am 26.08.2010 erneut auf X € festgesetzt. Die Haftungsfestsetzungsfrist begann daher am 31.12.2010 und endete am 31.12.2014, so dass eine Haftungsverjährung zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides nicht eingetreten war. Auf eine etwaige Ablaufhemmung nach § 191 Abs. 3 S. 4 AO kommt es insoweit nicht an.
89Da die Körperschaftsteuererklärungen in den Jahren 2006 bis 2008 jeweils später als die vorherigen Körperschaftsteuererklärungen abgegeben worden sind, kann aufgrund der vorstehenden Ausführungen für diese Zeiträume ebenfalls keine Haftungsverjährung eingetreten sein.
90Dasselbe gilt für die Nichtabgaben der Körperschaftsteuererklärungen der Jahre 2009 und 2010.
91b. Auch liegt keine Haftungsverjährung betreffend die Umsatzsteuer des Jahres 2004 vor. Die haftungsbegründende Pflichtverletzung betreffend die Umsatzsteuer 2004 liegt in der fehlerhaften Abgabe der Umsatzsteuererklärung am 19.03.2007 (Festsetzung im Bescheid vom 11.04.2007). Die Haftungsverjährung begann damit nach § 191 Abs. 3 S. 3 AO am 31.12.2007 und lief am 31.12.2011 ab, so dass diese bei Erlass des Haftungsbescheides am 19.03.2014 bereits abgelaufen war. Aber auch hierbei ist die Ablaufhemmung nach § 191 Abs. 3 S. 4, 2. Alt. AO zu berücksichtigen. Dem Beklagten stand hiernach bei entsprechender Anwendung von § 171 Abs. 10 AO für den Erlass des Haftungsbescheides ein Zeitraum von zwei Jahren nach Bekanntgabe des letzten Änderungsbescheides zur Verfügung. Dies bedeutet, dass, soweit im Änderungsbescheid vom 30.04.2012 Festsetzungen erfolgten, die über die Festsetzungen im Umsatzsteuerbescheid vom 11.04.2007 hinausgehen, diese erstmalig erfassten Umsatzsteuern nicht von einer Verjährung betroffen sind. Der Haftungsbescheid konnte folglich hinsichtlich der nunmehr erfassten Umsatzsteuern betreffend das Jahr 2004 noch ergehen, ohne dem Verjährungseinwand ausgesetzt zu sein.
92Dieselben Erwägungen gelten für die Umsatzsteuern der Jahre 2005 bis zum ersten Quartal des Jahres 2012. Auch insoweit ist keine Haftungsverjährung eingetreten, weil die durch die Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheide alle am 30.04.2012 ergingen und – in Bezug auf die zuvor bestehenden Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2005 bis 2012 – Änderungen enthielten, die erstmalig eine insoweit erhöhte Umsatzsteuerschuld der GmbH begründeten, so dass der Haftungsbescheid am 19.03.2014 noch ergehen konnte. Eine Haftungsverjährung wäre insoweit erst mit Ablauf des 03.05.2014 eingetreten.
93VI. Schließlich liegen etwaige Ermessensfehler nicht vor. Insbesondere hat der Beklagte das Auswahlermessen zutreffend ausgeübt.
94Die Behörde muss insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt. Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ist in diese Würdigung auch ein faktischer Geschäftsführer einer Gesellschaft, wenn er mit dem entsprechenden Anschein einer Berechtigung tatsächlich nach außen hin auftritt, obwohl er formell nicht zum Geschäftsführer bestellt worden ist, einzubeziehen (BFH-Beschluss vom 23.10.1990 VII S 22/90, BFH/NV 1991, 500). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen, die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners aus der Entscheidung erkennbar sein (BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579). Haften mehrere Geschäftsführer gemeinsam, so ist es ermessensfehlerfrei möglich, alle Geschäftsführer als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Hierbei ist die Finanzbehörde nicht gezwungen, eine interne Geschäftsverteilung zu beachten.
95Von diesen Grundsätzen ausgehend, ist die Inanspruchnahme des Klägers ermessensfehlerfrei. Insbesondere sind sowohl der Kläger als auch sein Sohn als faktischer Geschäftsführer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden. Anderweitige Ermessensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
96C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
97D. Die Revision ist zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der BFH hat bislang offen gelassen, ob die Höhe der Verzinsung bzw. der auf 6 % festgelegte Zinssatz nach § 238 AO auch nach dem Jahr 2011 angesichts der Marktzinsen, noch verfassungsgemäß ist.