Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Erinnerungsführerin trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Die Erinnerungsführerin betreibt ein Restaurant. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung, während der die Erinnerungsführerin bereits von ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde – kam es zum Streit über Hinzuschätzungen dem Grunde und der Höhe nach. Die Betriebsprüfung hatte Einnahmen hinzugeschätzt, indem sie einen Sicherheitszuschlag von 10 % auf den wirtschaftlichen Umsatz vorgenommen und überprüft hatte, ob der sich nach Sicherheitszuschlag ergebende Rohgewinnaufschlagsatz innerhalb der Bandbreite der Rohgewinnaufschlagsätze laut amtlicher Richtsatzsammlung hielt. Die Erinnerungsführerin beauftragte im Einspruchsverfahren eine Beratungsgesellschaft mit einem Gutachten über eine Nachkalkulation der Einnahmen.
2Es wurden drei Klagen (wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag erhoben), die durch das Gericht zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. Im Klageverfahren wurde das Kalkulationsgutachten fertiggestellt und vorgelegt. Der Berichterstatter machte darauf aufbauend – mit mehreren Modifikationen – einen Vorschlag für eine tatsächliche Verständigung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trafen die Erinnerungsführerin und der Erinnerungsgegner nach Anhörung der Gesellschafter der Erinnerungsführerin auf Vorschlag des Gerichts eine tatsächliche Verständigung, die (rechnerisch) auf dem Gutachten fußte. Die Kosten des Verfahrens wurden der Erinnerungsführerin zu 10 % und dem Erinnerungsgegner zu 90 % auferlegt.
3Im Kostenfestsetzungsantrag vom 22.10.2021 beantragte die Erinnerungsführerin unter anderem die (quotale) Erstattung von je zwei Geschäftsgebühren für die vorgerichtliche Beratung für jede der drei Klagen, nämlich für das „vorausgegangene Verfahren“ und das „Nachprüfungsverfahren“, sowie die (quotale) Erstattung mehrerer Rechnungen der Beratungsgesellschaft in Höhe von insgesamt 15.471,25 EUR netto für das im Klageverfahren vorgelegte Kalkulationsgutachten. Der Erinnerungsgegner trat sowohl der Erstattung von je zwei Geschäftsgebühren für das vorgerichtliche Verfahren als auch der Erstattung des Aufwands für das Kalkulationsgutachten entgegen.
4Mit Beschluss vom 27.01.2021 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Kosten fest und lehnte den Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der jeweils zweiten Geschäftsgebühr für das Vorverfahren und hinsichtlich der Kosten für das Gutachten ab. Der Senat hatte mit Beschluss vom gleichen Tag festgestellt, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war.
5Mit der gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss gerichteten Erinnerung, der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht abgeholfen hat, macht die Erinnerungsführerin zum einen geltend, die Geschäftsgebühr für die Vertretung im Verfahren vor Erlass der Bescheide gehöre auch zum „Vorverfahren“. Aus dem Zuziehungsbeschluss ergebe sich nicht, dass sich dieser nur auf ein Vorverfahren beziehe. Er werde beantragt, klarstellend festzustellen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren, betreffend die Vertretung im Verfahren vor dem Erlass des angefochtenen Bescheides und dem außergerichtlichen Nachprüfungsverfahren notwendig war. Zum anderen macht sie geltend, das Privatgutachten sei erstattungsfähig, weil die Erinnerungsführerin mangels eigener Sachkunde nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage gewesen sei.
6Die Erinnerungsführerin beantragte am 21.07.2021 die Erstattung weiterer Kosten, nämlich für einen Steuerberater für die Beratung bei der Betriebsprüfung und im Einspruchsverfahren. Diesen Antrag nahm sie später zurück.
Die Erinnerung ist unbegründet.
8Die Kosten für die Vertretung während der Betriebsprüfung und in dem dem Erlass der angefochtenen Bescheide vorgelagerten Verwaltungsverfahren sind nicht erstattungsfähig. Erstattungsfähig sind allein die Kosten für die Vertretung im Einspruchsverfahren (in der Terminologie der Erinnerungsführerin: Nachprüfungsverfahren). Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das Vorverfahren im Sinne des § 44 FGO, also das der Klage vorangegangene und der Überprüfung eines Bescheids durch die Verwaltung dienende Verfahren (Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 01.08.1986, V B 79/84, BFH/NV 1988, 335; Finanzgericht – FG – Hamburg, Beschluss vom 27.04.2007, 4 V 196/06, EFG 2007, 1796 m.w.N.; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 18.01.2010, 7 KO 10/09. EFG 2010, 749; FG Köln, Beschluss vom 06.06.2018, 15 V 754/18, EFG 2018, 1688; Stapperfend in Gräber, FGO, § 139 Rn. 111 m.w.N.; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO, Rn. 126 m.w.N.).
9Die Kosten für das Kalkulationsgutachten sind ebenfalls nicht erstattungsfähig. Erstattungsfähig sind nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens (§ 139 Abs. 1 FGO).
10Für die Erstattung von Privatgutachten gilt Folgendes:
11Vor dem Hintergrund des das finanzgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes ist es die Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und den Umfang einer eventuellen Beweisaufnahme zu bestimmen. Deshalb sind Privatgutachten nur ausnahmsweise erstattungsfähig. Die Beteiligten können vielmehr die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht anregen oder einen entsprechenden Beweisantrag stellen (FG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2017, 3 KO 56/17, EFG 2017, 1620; FG Köln, Beschluss vom 16.09.2002, 10 KO 2211/02, EFG 2003, 56; FG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2018, 4 K 84/17, EFG 2018, 683). Es kann – gerade in Schätzungsfällen – auch angeregt werden, einen gerichtseigenen Prüfer heranzuziehen. Eine Erstattung eines Privatgutachtens ist deshalb nur in engen Ausnahmefällen möglich, etwa wenn schwierige technische Fragen zu beurteilen oder ein vorliegendes Gutachten des anderen Beteiligten widerlegt werden soll (BFH, Beschluss vom 16.02.1971, VII B 43/69, BFHE 101, 484; BFH, Beschluss vom 11.05.1976, VII B 79/74, BStBl. II 1976, 574; FG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2018, 4 K 84/17, EFG 2018, 683). Auch nicht-technische Gutachten können erstattungsfähig sein (FG Münster, Beschluss vom 22.05.1995, 4 Ko 2870/94 KFB, EFG 1996, 285: Gutachten zur Marktmiete; FG Köln, Beschluss vom 04.05.1999, 10 Ko 7601/98, EFG 1999, 789: Ingenieurgleiche Kenntnisse und Tätigkeiten eines Unternehmers). Aufwendungen für private Ermittlungen über tatsächliche Fragen, deren Durchführung kein spezifisches Fachwissen voraussetzt, sind nicht erstattungsfähig (Hessisches FG, Beschluss vom 05.08.1996, 12 Ko 1918/96, EFG 1996, 1114). Auch wenn ein Beteiligter Behauptungen, die sein Begehren tragen, mangels genügender eigener Sachkunde nur mit Hilfe eines Gutachtens substantiiert darlegen und unter Beweis stellen und das Gericht nur so zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen veranlassen kann, kann ein Privatgutachten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sein (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.05.2001, NVwZ-RR 2002, 315; FG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2018, 4 K 84/17, EFG 2018, 683; zum Ganzen auch Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 139 FGO Rn. 194).
12Maßgeblich ist die Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Person ex ante (Bundesgerichtshof – BGH –, Beschluss vom 01.02.2017, VII ZB 18/14, NJW 2017, 1397). Unerheblich ist, wie das Gutachten qualitativ einzuschätzen ist und ob es zu zutreffenden Ergebnissen gelangt (Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2005, 15 W 31/05, OLGR Karlsruhe 2006, 573). Der Umstand, dass das Privatgutachten den Rechtsstreit beeinflusst hat, ist für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten unerheblich (BGH, Beschluss vom 01.02.2017, VII ZB 18/14, NJW 2017, 1397).
13Nach dieser Maßgabe ist das Gutachten im Streitfall nicht erstattungsfähig.
14Das Gutachten war nicht erforderlich, um ein Gutachten des Erinnerungsgegners zu widerlegen. Denn die Betriebsprüfung hatte die Hinzuschätzung allein auf Grundlage eines Sicherheitszuschlags berechnet und anhand der Richtsatzsammlung verprobt, sodass das Gutachten nicht erforderlich war, um „Waffengleichheit“ zwischen den Beteiligten herzustellen. Es ist auch nicht so, dass die Erinnerungsführerin nur durch das eingeholte Gutachten zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung befähigt wurde. Zum einen hätte ein wirtschaftlich denkender Beteiligter in der Situation der Erinnerungsführerin zunächst eine Einschätzung des Gerichts zur Schätzungsbefugnis dem Grunde nach zu erlangen versucht, bevor er ein Kalkulationsgutachten, dass allein die Höhe der zu schätzenden Einnahmen betrifft, einholt. Die Erinnerungsführerin hat nämlich – noch bis zur mündlichen Verhandlung – auch die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach in Abrede gestellt. Das Kalkulationsgutachten konnte damit nur eine hilfsweise Begründung stützen. Zum anderen hatte die Klägerin auch deshalb keinen Anlass, schon vor dem Gerichtsverfahren das Kalkulationsgutachten in Auftrag zu geben, weil – wenn dem Grunde nach feststeht, dass Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind – die Wahl der Schätzungsmethode im Gerichtsverfahren nicht den Verfahrensbeteiligten, sondern dem Gericht obliegt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 162 Abgabenordnung). Dies hätte die – sachkundig beratene – Erinnerungsführerin bei vernünftiger Betrachtung dazu veranlassen müssen, dem Gericht gegenüber verschiedene Schätzungsmethoden anzuregen, nicht aber selbst eine Schätzungsmethode auszuwählen und auf Basis dieser Schätzungsmethode ein Gutachten erstellen zu lassen. Zum dritten kann für die Anwendung verschiedener Schätzungsmethoden (etwa einer Nachkalkulation oder einer Geldverkehrsrechnung) ein gerichtseigener Prüfer herangezogen werden. Für den gerichtseigenen Prüfer fallen keine Kosten an. Dies hätte einen vernünftig denkenden Beteiligten in der Situation der – sachkundig beratenen – Erinnerungsführerin dazu veranlassen müssen, von der Einholung eines Gutachtens abzusehen.
15Dass das Gutachten letztlich vom Gericht als Rechengrundlage herangezogen wurde, ist für die Erstattungsfähigkeit nicht maßgeblich. Diesbezüglich wird auch darauf hingewiesen, dass dem nach Zwischenberatung vom Senat unterbreiteten Verständigungsvorschlag nicht allein das Kalkulationsgutachten, sondern auch das Ergebnis der Anhörung der Gesellschafter der Erinnerungsführerin in der mündlichen Verhandlung zugrunde lag.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.