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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob Aufwendungen für die Adoption zweier Kinder als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
2Die Kläger wurden im Streitjahr 2021 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten jeweils Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.
3Die Kläger waren ungewollt kinderlos. Die […] geborene Klägerin leidet an Endometriose. Die Zeugungsfähigkeit des […] geborenen Klägers ist eingeschränkt. Mehrere in früheren Zeiten durchgeführte medizinische Kinderwunschbehandlungen (durchgeführte Therapie: In-vitro-Fertilisation, Embryotransfer und Embryotransfer nach Kryokonservierung) blieben erfolglos.
4Im Jahr 2022 adoptierten die Kläger zwei in X. (= im Ausland) geborene Mädchen (D., geboren am xx.xx.20xx, und E., geboren am xx.xx.20xx).
5Die Adoptionen wurden in Deutschland von dem Verein Y, einer staatlich anerkannten Adoptionsvermittlungsstelle gemäß § 4 Abs. 1 und 2 Adoptionsvermittlungsgesetz, begleitet. Mit Schreiben vom xx.xx.2021 teilte der Verein den Klägern mit, dass die Kosten des Verfahrens in X. für die beiden Kinder insgesamt ... US$ betragen würden. Der Betrag umfasse die Kosten der Versorgung und Betreuung der Kinder im Kinderheim einschließlich der ärztlichen Versorgung, die Kosten für den Anwalt sowie behördliche Gebühren. Der Betrag war in mehreren Raten, deren Fälligkeit abhängig vom Fortschritt des Adoptionsverfahrens war, zu zahlen. Im Streitjahr zahlten die Kläger hierauf insgesamt ... €.
6Zur besseren Integration der Kinder in Deutschland erhielten die beiden Mädchen bereits in X. Deutschunterricht. Hierfür zahlten die Kläger im Streitjahr ... €.
7Zur Vorbereitung der Adoption reisten die Kläger nach X. Hierfür entstanden Reisekosten in Höhe von ... €, die sich aus Flugkosten (... € - davon ... € für „Upgrade Business“), Hotelkosten (... €), Corona-Tests (... €), Kosten für Kreditkartenzahlungen (... €), Verpflegung (... €) und Kosten für eine Begleitung durch eine Mitarbeiterin des Vereins Y in X. (... €) zusammensetzten.
8Die in der Einkommensteuererklärung für 2021 als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend gemachten Adoptionskosten in Höhe von ... € blieben im Bescheid vom 16.12.2022 unberücksichtigt. Berücksichtigte Krankheitskosten (... €) und sonstige außergewöhnliche Belastungen (... €) wirkten sich wegen der zumutbaren Belastung in Höhe von ... € nicht steuermindernd aus. Zur Begründung der Nichtanerkennung der Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen verwies der Beklagte im Bescheid auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13.03.2015 (VI R 60/11, BStBl II 2015, 695).
9Die Kläger legten hiergegen am 21.12.2022 Einspruch ein und begehrten die Anerkennung der Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen. Zur Begründung führten sie aus, dass die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung überholt sei. Seit dem 01.04.2021 sei das neue „Adoptionshilfe-Gesetz“ in Kraft getreten. Sämtliche Adoptionen – insbesondere Auslandsadoptionen – seien nunmehr an der neuen Rechtslage auszurichten. Auslandsadoptionen seien nunmehr immer durch eine Fachstelle im Ausland zu begleiten. Diese Fachstelle achte darauf, dass die Adoption dem Kindeswohl diene und lege fest, welche Voraussetzungen die Adoptiveltern mitbringen müssten. So seien ihnen beispielsweise die Kosten für den von der Fachstelle verlangten Sprachunterricht der Kinder in X. zwangsläufig entstanden.
10Mit Erörterungsschreiben vom 22.12.2022 und vom 22.03.2023 vertrat der Beklagte die Ansicht, dass der Einspruch unbegründet sei. Die Adoptionskosten seien nicht zwangsläufig entstanden. Ursächlich für die Entstehung der Aufwendungen sei der Entschluss zur Adoption, welcher der privaten Lebensführung zuzuordnen sei. Dieser Entschluss diene der Verwirklichung des individuellen Lebensplans. Er werde auf freiwilliger Basis getroffen und entstehe selbst bei persönlich belastender ungewollter Kinderlosigkeit nicht zwangsläufig. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH seien Aufwendungen für Auslandsadoptionen weder aus rechtlichen noch aus sittlichen Gründen zwangsläufig (BFH, Urteile vom 13.03.1987, III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 595 und vom 20.03.1987, III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596). Die Aufwendungen seien auch nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig entstanden. Der Entschluss zur Adoption beruhe nicht auf einer Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind anzunehmen (BFH, Urteil vom 13.03.1987, III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 595; BFH, Beschluss vom 27.04.1995, III B 77/93, BFH/NV 1996, 39). Dies gelte auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich wie die Verwirklichung des Kinderwunsches (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz – GG –) beträfen. Der Wunsch, Kinder zu haben und aufzuziehen, sei bei Personen, die sich für eine Auslandsadoption entschieden, oftmals ein wesentliches sinnstiftendes Element des Lebens. Die ungewollte Kinderlosigkeit werde oftmals als schwere Belastung empfunden. Hieraus folge jedoch nicht, dass der Entschluss zur Adoption als Mittel zur Verwirklichung eines individuellen Lebensplans nicht mehr dem Bereich der durch den Einzelnen gestaltbaren Lebensführung zuzurechnen wäre (BFH, Urteil vom 15.03.2015, VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695).
11Die Kläger erwiderten hierauf, dass Adoptionskosten ebenso wie Kosten einer künstlichen Befruchtung außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG seien. Die Adoption ziele ebenso wie die künstliche Befruchtung auf die Beseitigung der ungewollten Kinderlosigkeit ab. In beiden Fällen liege eine tatsächliche Zwangslage vor. Der Zustand der ungewollten Kinderlosigkeit werde in beiden Fällen überwunden.
12Mit Einspruchsentscheidung vom 20.04.2023 wies der Beklagte den Einspruch – unter Bezugnahme auf die Erörterungsschreiben – als unbegründet zurück.
13Die Kläger haben am 22.05.2023 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, dass die Adoptionskosten außergewöhnliche Belastungen seien. Die Aufwendungen seien ihnen ebenso zwangsläufig wie solche für eine künstliche Befruchtung entstanden.
14Sie hätten sich entschieden, Kinder zu haben und eine Familie zu werden. Dieser existenzielle Wunsch werde grundrechtlich geschützt (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG). Die Entscheidung für einen Kinderwunsch sei zunächst – wie bei allen Steuerpflichtigen – freiwillig. Seit dem BFH-Urteil vom 05.10.2017 (VI R 2/17) sei anerkannt, dass der subjektive Kinderwunsch die medizinische Kinderwunschbehandlung einer künstlichen Befruchtung indiziere. Gleiches müsse gelten, wenn – wie bei ihnen – die medizinische Kinderwunschbehandlung erfolglos geblieben sei und sich der Kinderwunsch nur noch im Wege der Adoption verwirklichen lasse. Sie, die Klägerin, leide an Endometriose. Er, der Kläger, habe ein eingeschränktes Spermiogramm, so dass seine Zeugungsfähigkeit eingeschränkt sei. Die Kinderwunschbehandlung sei durchgeführt worden, aber erfolglos geblieben. Warum der Kinderwunsch ungewollt kinderloser Steuerpflichtiger bis einschließlich der Kinderwunschbehandlung zwangsläufig sei und nach dem Ende einer erfolglosen medizinischen Kinderwunschbehandlung „nur“ noch der privaten Lebensführung zugeordnet werde und damit nicht mehr zwangsläufig sei, sei nicht nachvollziehbar. Auch der Hinweis des Beklagten auf das „Sinnstiftende“ einer Adoption sei nicht nachvollziehbar. Kinder zu haben und eine Familie zu werden sei vielmehr – wie ausgeführt – grundrechtlich geschützt. Tatsächlich bestehe der unfreiwillige Zustand der Kinderlosigkeit nach Beendigung einer erfolglosen Kinderwunschbehandlung – und damit die Zwangsläufigkeit – fort. Die Zwangsläufigkeit der Adoption ergebe sich allein aus der Tatsache, dass sie trotz medizinischer Kinderwunschbehandlung weiterhin ungewollt kinderlos geblieben seien.
15Die Adoption sei mit der Kinderwunschbehandlung auch vergleichbar, da in beiden Fällen keine Heilbehandlung, sondern die Beendigung der ungewollten Kinderlosigkeit angestrebt werde, denn auch die medizinische Kinderwunschbehandlung sei nicht auf eine Heilung einer Erkrankung, sondern (nur) auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet. Die Erkrankung selbst werde häufig von den Betroffenen nicht als störend empfunden oder bleibe sogar unentdeckt.
16Das Adoptionsverfahren habe den Zweck, dass durch staatliche Stellen beurteilt werde, ob Adoptiveltern und Adoptivkind zueinander passten. Das Adoptionsverfahren schütze somit nicht nur die Adoptivkinder, sondern auch die Adoptiveltern. Somit beträfen die Adoptionskosten gerade nicht das Kind selbst und degradierten es nicht zum „Objekt“ einer Heilung der Adoptiveltern. Die Adoptionskosten entstünden allein für das Adoptionsverfahren.
17Ferner sei zum 01.04.2021 das neue „Adoptionshilfe-Gesetz“ in Kraft getreten. Sämtliche Adoptionen – insbesondere Auslandsadoptionen – seien an dieser Rechtslage auszurichten. Auslandsadoptionen seien nunmehr von einer Fachstelle im Ausland zu begleiten. Diese Fachstelle achte darauf, dass die Adoption dem Kindeswohl diene und lege fest, welche Voraussetzungen die Adoptiveltern mitbringen müssten, damit das Kind in seiner neuen Familie wohlbehütet aufwachsen könne. Spiegelbildlich könnten die Adoptiveltern reflektieren, ob sie dieser Aufgabe gewachsen seien.
18Sofern von der Fachstelle etwa verlangt werde, dass die Kinder für ihren künftigen Aufenthalt in Deutschland schon im Heimatland speziellen Unterricht erhalten müssten, seien diese Aufwendungen als zwangsläufig zu betrachten.
19Die Zwangsläufigkeit ergebe sich auch daraus, dass die Kinder durch die Adoption zu vollwertigen Familienangehörigen würden und eine Eltern-Kind-Beziehung wie zu eigenen, leiblichen Kindern begründet werde. Adoptivkinder seien beispielsweise ebenso erb- und unterhaltsberechtigt wie leibliche Kinder. Zugleich werde die verwandtschaftliche Beziehung zu den leiblichen Eltern gelöst. Dabei sei es nach dem Adoptionshilfegesetz so, dass den (künftigen) Adoptiveltern bereits durch den Antrag auf Adoption Pflichten auferlegt würden, denen sie sich – auch kostenmäßig – nicht entziehen könnten.
20Sofern der Beklagte für seine Auffassung auf die BFH-Urteile vom 13.03.1987 (III R 301/84) und vom 10.03.2015 (VI R 60/11) verweise, müsse diese Rechtsprechung nach dem Urteil des BFH vom 05.10.2017 (VI R 2/17) zur künstlichen Befruchtung neu betrachtet werden. Dort habe der BFH die Erfüllung des individuellen Kinderwunsches durch künstliche Befruchtung als zwangsläufig anerkannt. Dies müsse – wie ausgeführt – bei der Adoption (nunmehr) ebenso gelten.
21Überdies unterscheide sich der hiesige Sachverhalt entscheidungserheblich von jenem Sachverhalt, über welchen der BFH mit Urteil vom 10.03.2015 (VI R 60/11) entschieden habe, denn im dortigen Verfahren hätten die Steuerpflichtigen jegliche Methoden der künstlichen Befruchtung aus ethischen und gesundheitlichen Gründen abgelehnt. Vorliegend hätten sie, die Kläger, aber die langwierige und strapaziöse Behandlung einer künstlichen Befruchtung erfolglos auf sich genommen.
22Schließlich verweisen die Kläger auf Stimmen in der Literatur, die Adoptionskosten ebenso wie Kosten der künstlichen Befruchtung für zwangsläufig (Endert in: Frotscher/Geurts, EStG § 33 Außergewöhnliche Belastungen, Stand 23.05.2022, Rz 45a und 45b) bzw. eine Differenzierung zwischen künstlicher Befruchtung und Adoption jedenfalls nicht für zwingend halten (Loschelder in Schmidt, EStG, 38. Auflage 2019, § 33 Rz. 90).
23Die Kläger beantragen sinngemäß,
24den Einkommensteuerbescheid 2021 vom 16.12.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.04.2023 dahingehend zu ändern, dass – vor Abzug der zumutbaren Eigenbelastung – weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von ... € berücksichtigt werden,
25hilfsweise, die Revision zuzulassen.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen,
28hilfsweise, die Revision zuzulassen.
29Zur Begründung führt er aus, dass – obwohl die Adoption die medizinisch indizierte Unfruchtbarkeit der Kläger kompensiere oder erträglicher mache – die Kosten für eine Adoption nicht mit Krankheitskosten oder den Kosten für eine Heilbehandlung vergleichbar seien.
30Der BFH habe mit Urteil vom 25.01.2022 (VI R 34/19) erneut über die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen (Krankheitskosten) im Sinne des § 33 EStG entschieden. Der BFH führe dort (erneut) aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwüchsen. Allerdings würden, so der BFH, nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht würden, die Krankheit erträglicher zu machen. Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit werde dabei nicht unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienten oder lediglich ein körperlicher Mangel ausgeglichen werde. Deshalb würden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert werde. Dementsprechend erkenne der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnung für Ärzte vorgenommen werde.
31Künstliche Befruchtungen seien zwar genauso wie Adoptionen freiwillige Handlungen, diese würden aber nach medizinischer Indikation als ärztliche Behandlungsmaßnahme vorgenommen, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Die Adoption sei dagegen kein medizinisch indiziertes Mittel, um eine ungewollte Kinderlosigkeit zu kompensieren. Ein Adoptionsverfahren stehe nicht nur kinderlosen Personen offen, sondern grundsätzlich allen Personen, die ein fremdes Kind als eigenes annehmen wollten. Die Entscheidung hierzu sei freiwillig. Auch bei ungewollter Kinderlosigkeit sei die Entscheidung nicht in einer Weise zwangsläufig vorgeprägt, dass die Personen sich dieser Entscheidung aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen könnten. Insbesondere handele es sich bei Adoptionskosten nicht um Krankheitskosten, die mit den Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung zur Überwindung der Empfängnisunfähigkeit vergleichbar seien.
32Den Klägern sei zwar darin zu folgen, dass der Wunsch mit Kindern zusammen zu leben den Kernbereich des menschlichen Zusammenlebens betreffe. Ob dieser Wunsch durch eine Adoption erreicht werde, bleibe aber eine Entscheidung der individuellen Lebensführung.
33Schließlich habe der BFH im Urteil vom 10.03.2015 (VI R 60/11) ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Fall organisch bedingter Sterilität eines Partners entstünden, keine Krankheitskosten im Sinne der Rechtsprechung seien. Es liege, so der BFH, weder eine medizinische Leistung vor noch könne der Vorgang einer Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Die Adoption sei in erster Linie ein Mittel der Fürsorge für elternlose und verlassene Kinder, um in einer Familie aufwachsen zu können. Entsprechend fordere § 1741 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als Grundvoraussetzung, dass die Annahme dem Wohl des Kindes dienen müsse.
34Die Vorstellung von einer Adoption als medizinisch indizierter Heilbehandlung oder dieser gleichgestellten Maßnahme, so der BFH weiter, wäre zudem auch nicht mit dem Grundrecht des Adoptivkindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG) vereinbar, weil ein solches Verständnis das Adoptivkind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen würde, das zur Linderung einer Krankheit der Adoptiveltern diene.
35Die Beteiligten haben sich – die Kläger im Erörterungstermin vom 15.05.2024 zu Protokoll und der Beklagte mit Schriftsatz vom 31.05.2024 – mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
36Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
37Der Berichterstatter hat in dem Verfahren am 15.05.2024 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
39II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
40Der Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 16.12.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.04.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
411. Bei den Kosten, die den Klägern im Zusammenhang mit den Adoptionen der beiden Kinder entstanden sind, handelt es sich nicht um außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG.
42Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
43a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH, Urteile vom 17.07.1981 VI R 77/78, BStBl II 1981, 711; vom 13.02.1987 III R 208/81, BStBl II 1987, 427; vom 20.03.1987 III R 150/86, BStBl II 1987, 596; vom 02.09.2010 VI R 11/09, BStBl II 2011, 119).
44b) Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur "umgangen" oder kompensiert wird (BFH, Urteil vom 16.10.2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414, Rz 13). Denn die Empfängnisunfähigkeit einer Frau ist – unabhängig von ihrem Familienstand – eine Krankheit (BFH, Urteil vom 28.07.2005 III R 30/03, BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495). Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird (BFH, Urteile vom 28.07.2007 III R 30/03, BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495; vom 10.05.2007 III R 47/05, BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871; vom 21.02.2008 III R 30/07, BFH/NV 2008, 1309; vom 16.12.2010 VI R 43/10, BFHE 232, 179, BStBl II 2011, 414, vom 17.05.2017 VI R 34/15, BFHE 258, 358 und vom 05.10.2017 VI R 2/17, BFH/NV 2018, 194).
45c) Die Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Falle organisch bedingter Sterilität eines Partners entstehen, stellen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dagegen keine Krankheitskosten dar (BFH, Urteile vom 13.03.1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495; vom 20.03.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695).
46Eine medizinische Leistung liegt weder vor noch kann der Vorgang einer Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Die Adoption ist in erster Linie ein Mittel der Fürsorge für elternlose und verlassene Kinder, um in einer Familie aufwachsen zu können. Entsprechend fordert § 1741 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Grundvoraussetzung, dass die Annahme dem Wohl des Kindes dienen müsse. Die Vorstellung von einer Adoption als medizinisch indizierter Heilbehandlung oder dieser gleichgestellten Maßnahme wäre zudem, so der BFH, auch nicht mit dem Grundrecht des Adoptivkindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG) vereinbar, weil ein solches Verständnis das Adoptivkind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen würde, das zur Linderung einer Krankheit der Adoptiveltern diente (vgl. BFH, Urteil vom 20.03.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; BFH, Beschluss vom 05.01.1990 III B 53/89, BFH/NV 1990, 430; BFH, Urteile vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695 und vom 10.08.2023 VI R 29/21, BFHE 281, 70, BStBl II 2023, 1110).
47d) Nach der Rechtsprechung des BFH erwachsen den Steuerpflichtigen Adoptionskosten auch nicht aus anderen Gründen zwangsläufig.
48(1) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen für Auslandsadoptionen weder aus rechtlichen noch aus sittlichen Gründen zwangsläufig (BFH, Urteile vom 20.03.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596, vom 13.03.1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 und vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695).
49(2) Die Aufwendungen sind auch nicht aus anderen tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Der Entschluss zur Adoption beruht nicht auf einer Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind anzunehmen (vgl. BFH, Urteil vom 20.03.1987 III R 150/86, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495; BFH, Beschluss vom 27.04.1995 III B 77/93, BFH/NV 1996, 39 und BFH, Urteil vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695).
50Als außergewöhnliche Belastungen kommen nur solche Aufwendungen in Betracht, die einen Bereich der Lebensführung betreffen, welcher der individuellen Gestaltung des Steuerpflichtigen entzogen ist (z.B. BFH, Urteile vom 18.03.2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726; vom 03.03.2005 III R 68/03, BFHE 209, 312, BStBl II 2005, 266; vom 10.05.2007 III R 47/05, BFHE 218, 141, BStBl II 2007, 871 und vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695). Dies gilt auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich wie hier die Verwirklichung des Kinderwunschs (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) betreffen (BFH, Urteil vom 10.03.2015 VI R 60/11, BFHE 249, 468, BStBl II 2015, 695).
512. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, denen der Senat folgt, stellen die von den Klägern geltend gemachten Kosten für die Auslandsadoptionen keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
52Die Adoptionen sind – wie ausgeführt – keine (medizinischen) Heilbehandlungen. Sie sind nicht medizinisch indiziert und werden nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnung der Ärzte vorgenommen.
53Die Adoptionen können auch im Streitfall nicht mit Heilbehandlungen gleichgestellt werden. Sie sind in erster Linie (rechtliche) Maßnahmen zur Begründung (und Beendigung) rechtlicher Verwandtschaftsverhältnisse, die auf dem freiwilligen Entschluss beruhen, Kinder anzunehmen.
54Etwas anderes folgt im Streitfall auch nicht daraus, dass die Kläger den Entschluss zur Adoption erst nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung gefasst haben. Der Senat ist trotz dieser zeitlichen Abfolge nicht davon überzeugt, dass der Entschluss der Kläger zur Adoption unausweichlich geboten war. Der Entschluss zur Adoption beruht vielmehr – auch nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung – auf einer vom Willen der Kläger getragenen (neuen) freien Entscheidung, die ungewollte Kinderlosigkeit nunmehr durch Adoptionen zu beenden. Diese Entscheidung war – wie ausgeführt und trotz des grundrechtlich geschützten Bereichs – nicht der individuellen Gestaltung der Kläger entzogen. Sie hätten sich auch gegen eine Adoption entscheiden können.
55III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
56IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO im Hinblick auf die Ankündigung des VI. Senats des BFH im Vorlagebeschluss vom 18.04.2013 an den Großen Senat zugelassen, Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG anerkennen zu wollen (VI R 60/11, BFH 241, 141, BStBl II 203, 868).
57... ... ...