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1. Der Beklagten wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR untersagt, ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell pressemäßig aufbereiteten Artikeln zu allgemeinen medizinischen Themen ohne konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung bereitzustellen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots vom Februar 2021 auf dem als Anlage K1 zur Klageschrift eingereichten USB-Stick wiedergegeben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/6 und die Beklagte 5/6 zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 165.000,00 EUR, für die Beklagte nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Bereitstellung eines Gesundheitsportals durch die Beklagte sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten im Hinblick auf Schäden, die der Klägerin aus dem Betrieb dieses Gesundheitsportals und eine beanstandete Zusammenarbeit der Beklagten mit der Firma A B Ltd. (im Folgenden: A) entstehen können.
3Die Klägerin ist ein Verlag und auf die Vermittlung medizinischer und gesundheitlicher Informationen, aufbereitet durch Experten, in laienverständlicher Form spezialisiert. Zu den Angeboten der Klägerin gehören die „C-D“ sowie mehrere Gesundheitsportale, unter anderem „C-D.de“. Zum Angebot der Klägerin auf dem Portal „C-D.de“ gehören Informationen zu den Themenbereichen “Corona“, „Medikamente“,
4„Therapie“, „Diagnose“, „Familie“, „Pflege“, „Gesund leben“, „Mein Körper“ und insbesondere das „Krankheiten A-Z“ mit Informationen zu Ursachen, Symptomen, Diagnose und Therapie von mehr als 400 Krankheiten. Gibt ein Internetnutzer bei A eine bestimmte Krankheit ein, so erscheinen die Antworten des Angebots der Klägerin oft innerhalb der ersten drei Suchergebnisse. 84 Prozent (monatlicher Durchschnitt 2020) der Besucher ihres Gesundheitsportals „C-D.de“
5erhält die Klägerin über die A-Suchergebnisliste. Die kostenlos zur Verfügung gestellten Inhalte finanziert die Klägerin im Wesentlichen über digitale Werbung.
6In Zusammenarbeit mit der „L Liste“, einer gemeinnützigen Initiative für mehr Transparenz im Gesundheitswesen, bietet die Klägerin über das Portal der
7„C-D“ ferner eine „Arzt- und Krankenhaussuche“ an, sowie Checklisten für den Arztbesuch, den Krankenhausaufenthalt und die Auswahl eines Pflegedienstes.
8Am 01.09.2020 startete die Beklagte nach Auftragsbekanntmachung im März 2020 auf der Webseite E.F.de ihr „Nationales Gesundheitsportal“ (NGP), ein Informationsangebot mit zahlreichen Artikeln rund um die Themen Gesundheit, Pflege und Lebensführung. Die Inhalte gliedern sich in die Rubriken „Krankheiten“,
9„Gesund leben“, „Gesundheitsversorgung“, „Pflege“, „Gesundheit Digital“ und – in der Fassung, die Gegenstand der Anl. K1 ist – „Service“. Wegen der einzelnen Inhalte wird auf die Themen-Übersicht Anl. K28, Bl. 432 ff. d.A. sowie auf den Datenstick Anl. K1 Bezug genommen. In der Rubrik „Krankheiten“ veröffentlicht die Beklagte zahlreiche Artikel zu allgemeinen Beschwerden und Krankheiten (sortiert nach Körperteilen) wie etwa Akne, Asthma, Fußpilz, Hausstauballergie, Migräne und Zahnfleischentzündung. Die ausführlichen Artikel sind in zahlreiche Unterüberschriften gegliedert, wie beispielsweise:
10Auf einen Blick
Definition
Symptome
Ursachen
Häufigkeit
Risikofaktoren
Verlauf
Diagnostik
Behandlung
Leben und Alltag
Zur beispielhaften Darstellung wird auf den als Anl. K29 (Bl. 441 ff. d.A.) zur Akte gereichten Artikel über „Migräne“ Bezug genommen. Außerdem beinhaltet das NGP wie auch das Portal der Klägerin und andere Gesundheitsportale – etwa das Angebot N.de – ein allgemeines „Krankheiten A-Z“ mit Artikeln „von Asthma über Migräne bis Zahnfleischentzündung“, die Informationen über Symptome, Ursachen, Therapiemöglichkeiten etc. zu über 200 Krankheiten beinhalten. Hierzu
22wird ergänzend auf die Screenshots Anl. K30 (Bl. 460 ff. d.A.) und Anl. B14, Bl. 1507 f. d.A. Bezug genommen.
23Die Rubrik „Gesund leben“ behandelt allgemeine Themen zur gesunden Lebensführung wie z.B. Ratschläge für eine gesunde Ernährung und Informationen über Entspannungstechniken wie Meditation, Yoga und Achtsamkeitsübungen. Die Rubrik enthält die Unterrubriken „Ernährung und Bewegung“, „Gesund am Arbeitsplatz“, „Gesund aufwachsen“, „Gesund im Alter“, „Psyche und Wohlbefinden“,
24„Schwangerschaft und Geburt“, „Sucht bewältigen“ und „Vorsorge und Früherkennung“ (Anl. K31, Bl. 465 ff. d.A. sowie Anl. B15, Bl. 1509 f. d.A.). Die Rubrik „Pflege“ befasst sich mit den Themen Pflegeversicherung, Pflegeleistungen und pflegende Angehörige (hierzu der Screenshot Anl. B16, Bl. 1511 ff. d.A.). Die Rubrik „Gesundheit Digital“ enthält Artikel zur digitalen Gesundheitsstrategie der Bundesregierung. Die Artikel beschreiben die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen. In der Rubrik „Service“ beinhaltet das NGP eine „Arzt- und Krankenhaussuche“. Diese erfolgt in Zusammenarbeit mit der M-Liste. Hierzu wird auf die Screenshots Anl. B17, Bl. 1514 ff. d.A. Bezug genommen.
25Am 09.06.2021 trat das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung- und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz – DVPMG) in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde § 395 SGB V eingeführt, der in den Absätzen 1 und 2 Folgendes bestimmt:
26(1) Das Bundesministerium für Gesundheit errichtet und betreibt ein elektronisches, über allgemein zugängliche Netze sowie über die Telematikinfrastruktur nach § 306 aufrufbares Informationsportal, das gesundheits- und pflegebezogene Informationen barrierefrei in allgemein verständlicher Sprache zur Verfügung stellt (Nationales Gesundheitsportal).
27(2) 1Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben die Aufgabe, auf Suchanfragen der Nutzer nach bestimmten vertragsärztlichen Leistungserbringern über das Nationale Gesundheitsportal die in Satz 3 Nummer 1 bis 6 genannten, für die Suchanfrage relevanten arztbezogenen Informationen an das Nationale Gesundheitsportal zu übermitteln. 2Die Suchergebnisse werden im Nationalen Gesundheitsportal dargestellt. 3Die Kassenärztlichen Vereinigungen übermitteln ihrer jeweiligen Bundesvereinigung zu diesem Zweck regelmäßig aus den rechtmäßig von ihnen erhobenen Daten folgende Angaben (…).
28Bis Dezember 2022 erweiterte die Beklagte das NGP um eine Vielzahl von Beiträgen und Inhalten. Insgesamt enthalten die Rubriken „Krankheiten“, „Gesund leben“,
29„Pflege“ und „Gesundheit Digital“ Stand 20.12.2022 171 Artikel mehr als zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Die Rubrik „Krankheiten“ ist von 221 Artikeln auf einen Inhalt von 315 Artikel gewachsen, die Rubrik „Gesund leben“ von 30 Artikeln auf 84 Artikel. Darüber hinaus entwickelte die Beklagte neue Artikel-Formate, die sog.
30„Specials“. Hierbei handelt es sich um Dossiers zu bestimmten Themen. Darin werden Artikel, Teilinformationen aus Artikeln, aufwendig gestaltete Illustrationen, Animationen, Videos und Links zu einem bestimmten Thema gebündelt. Zur beispielhaften Darstellung wird auf den Screenshot Anl. K73 (Bl. 2332 ff. d.A.) Bezug genommen. Wegen der gesamten Darstellung des Portals zum Stand Dezember 2022 wird auf den Datenstick Anl. K71 Bezug genommen.
31Ausdrücklich betont die Beklagte (in Pressemitteilungen und -konferenzen sowie auf der Webseite des NGP) die Verlässlichkeit ihres eigenen Angebots im Vergleich zu den vielen verfügbaren Gesundheitsinformationen, die sie für „unzuverlässig, lückenhaft, von bestimmten Interessen beeinflusst oder sogar falsch und irreführend“ hält. Außerdem gab die Beklagte öffentlich an, Internetnutzer würden „alle im Zweifel bei Informationen landen, die, aus welchen Gründen auch immer, weniger evidenzbasiert“ seien. So erklärte die Beklagte bereits am 01.09.2020 ihr Ziel: „Wer Gesundheit googelt, soll künftig auf dem Nationalen Gesundheitsportal landen“ (Anl. K9, Bl. 194, zu den konkreten Inhalten zudem Bl. 24 ff. d.A., Anl. K28 ff.).
32Hierzu kooperierte sie mit der Suchmaschine A und verkündete auf einer Pressekonferenz am 10.11.2020 (Anl. K11, K12 – USB-Stick), dass die NGP-Inhalte im Rahmen einer Zusammenarbeit mit A künftig von der Suchmaschine bei einer medizinischen Stichwortsuche in priorisiert angezeigten und prominent hervorgehobenen, mit eigenständigen Textversionen erstellten Info-Kästen (sog.
33„Knowledge Panel“) präsentiert würden. Die Inhalte des NGP wurden unter Umgehung des im Rahmen der organischen Suche angewendeten Ae- Suchalgorithmus priorisiert und hervorgehoben, auf der sog. Position 0, in der A-Suche platziert.
34Mit Schreiben vom 14.12.2020 mahnte die Klägerin die Beklagte in Bezug auf die Kooperation mit A und Anzeige der NGP-Inhalte in hervorgehobenen Info- Kästen ab (Anl. K2, Bl. 94 ff. d.A.). Die Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung lehnte die Beklagte unter dem 22.12.2020 ab (Anl. K3, Bl. 101 ff. d.A.).
35Die Klägerin ist der Auffassung, dadurch, dass die Beklagte ein Portal mit journalistisch-redaktionell aufbereiteten Artikeln zu Gesundheitsthemen bereithalte, stellte sie sich in Wettbewerb zu ihr und betätige sich im Verhältnis zu ihren privaten Mitbewerbern damit auf dem Boden des Privatrechts. Es gehe vorliegend um die Art und Weise des Angebots, sodass der Zivilrechtsweg eröffnet sei. Auch stelle die Bezugnahme auf den USB-Stick eine hinreichende Konkretisierung des Klageantrags zu II. dar, weil dessen Inhalt nach Art und Umfang nicht in seiner Gesamtwirkung in das Urteil aufgenommen werden könne.
36Der erst im Juni 2020 in Kraft getretene § 395 SGB V könne das NGP bei gebotener verfassungskonformer Auslegung weder in seiner Gestaltung vom Februar 2021 noch in derjenigen von Dezember 2022 legitimieren. § 395 SGB V könne nur zum Betrieb eines Portals ermächtigen, das die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletze. Das Portal setze sich jedoch über diese Schranken hinweg und verletze die grundrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, insbesondere den hieraus abgeleiteten Grundsatz der Staatsferne der Presse. Der Betrieb des NGP stelle aus diesem Grund eine geschäftliche Handlung i.S.d. UWG dar. In der Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG liege zugleich ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel i.S.d. § 3a UWG.
37Mit dem NGP betreibe die Beklagte ein eigenes Fachmedium mit vollwertiger redaktioneller Berichterstattung über Fragen der Gesundheit und Lebensführung. Aufgrund seiner konkreten, nämlich presseähnlichen, Ausgestaltung stelle das NGP ein funktionales Äquivalent zu privaten Presseerzeugnissen dar, es sei auf einen Substitutionseffekt angelegt. Sowohl durch den Betrieb des NGP als solches, als auch durch die genannte Kooperation mit A überschreite die Beklagte den Umfang einer etwaigen staatlichen Informationsaufgabe massiv. Durch die zitierten Äußerungen werte die Beklagte die Angebote der Klägerin und anderer privater Akteure ausdrücklich ab, verletze auch hierdurch das Gebot der Staatsfreiheit der Presse sowie das daraus folgende Neutralitätsgebot. Sie gefährde damit die Presse- und Meinungsvielfalt im Bereich der Gesundheitsangebote. Darüber hinaus stelle die Kooperation der Beklagten mit A einen Verstoß gegen das Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB dar.
38Durch die Zusammenarbeit mit A, aber auch durch den Betrieb des NGP als solchem, habe die Beklagte die Angebote der Klägerin unlauter behindert, indem sie ihre Inhalte verdrängt habe, wobei sie zuvor mangels Vermarktungsaktivitäten keine nennenswerte Reichweite generiert habe. Inhaltlich liege der Schwerpunkt des NGP auf den Rubriken „Krankheiten A-Z“ und „Gesund leben“. Bis auf einige wenige
39Ausnahmen gehöre der Inhalt dieser Artikel nicht zum staatlichen Aufgabenbereich, da es sich weder um Information über staatliches Verwaltungshandeln, noch um eine anlass- und situationsbezogene Informationstätigkeit handele oder die Artikel aktuelle Informationsdefizite in akuten Angelegenheiten ausgleichen würden.
40Zudem mangele es Artikeln im NGP an politischer Neutralität. So erfolge etwa die Darstellung des Themas „Masern“ (Anl. K33, Bl. 508 d.A.) und die Information zur diesbezüglichen Impfung eindeutig politisch motiviert. Die durch den ehemaligen Gesundheitsminister Spahn eingeführte Impfpflicht werde hier durch eine generalisierende und nicht ausreichend differenzierte Darstellung gerechtfertigt. Auch die Artikel in der Rubrik „Die Digitalisierung im Gesundheitswesen“ (Anl. K34, Bl. 517 ff. d.A.) und „Der elektronische Impfpass“ (Anl. K34, Bl. 509 ff.) seien tendenziös verfasst. Es würden beispielsweise ausschließlich die Vorteile des elektronischen Impfpasses dargestellt, potenzielle Nachteile nicht erwähnt. Der Artikel über die „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ gleiche einem Werbetext für die Digitalisierung im Gesundheitswesen.
41Die Klägerin ist der Ansicht, die überwiegende Vielzahl der Artikel auf dem NGP sei pressetypisch bzw. boulevardmäßig gestaltet. Die Beklagte bediene sich pressetypischer Stilmittel. Die Klägerin behauptet, nicht zuletzt habe die Beklagte das Layout der Klägerin kopiert. Es mangele dem NGP auch an Transparenz, da der Bundesadler und der Hinweis „E.F.de – ein Service des Bundesministeriums für Gesundheit“ sich unstreitig erst ganz unten am Ende jeder Seite des NGP befinden und die Angabe der Autoren der Artikel gänzlich fehle. Beispielhaft verweist die Klägerin insoweit auf die Darstellung des Artikels „Migräne“ in Anl. K29, Bl. 441 ff. d.A.
42Bei wertender Gesamtbetrachtung verstoße das NGP daher insgesamt gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auch wenn eine kleine Zahl von Artikeln durch die hoheitliche Aufgabenzuweisung gerechtfertigt seien. Mit ihrem Angebot reihe sich die Beklagte in bereits existierende wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige und unabhängige Gesundheitsangebote privater Verlage ein und behandele keine über die in den existierenden Gesundheitsportalen enthaltenen Inhalte hinausgehenden Themen. Die Beklagte vermittele mit ihren Äußerungen ferner den falschen Eindruck, als gebe es nicht bereits zahlreiche staatlich finanzierte Gesundheitsinformationen im Internet, etwa die des BzgA und des IQWiG (gesundheitsinformationen.de). Das Angebot des IQWiG befinde sich auch bei vielen Suchanfragen innerhalb der Suchergebnisse auf der ersten Desktop-Ansicht, insoweit verweist die Klägerin beispielhaft auf den Screenshot Anl. K49, Bl. 585 d.A. Auch wäre es Aufgabe des
43Staates, Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz zu entwickeln und die Bürger darüber aufzuklären, welche der bereits existierenden Angebote verlässlich seien.
44Durch die Kooperation zwischen der Beklagten und A habe das Gesundheitsportal der Klägerin auf vergleichbaren Keywords einen Einbruch der Klickrate um mehr als 30 % seit der Etablierung der NGP-Info-Kästen verzeichnet. Dabei gebe die Klickrate wieder, welcher Anteil der Besucher, die ein Suchergebnis sehen, auch anklickt. Nachdem die NGP-Info-Kästen nicht mehr aufgespielt würden, verzeichne die Klägerin bei den entsprechenden Keywords wieder einen Anstieg. Geringere Nutzerzahlen würden sich aber – wie bei allen werbefinanzierten Onlineportalen – in geringeren Einnahmen wiederspiegeln.
45Auch der Betrieb des NGP, insbesondere, weil dessen Artikel in Inhalt und optischer Aufmachung kaum von den Artikeln der Klägerin zu unterscheiden seien, gefährde konkret den Bestand ihres privaten Gesundheitsportals. Zusätzlich sei gesetzlich angeordnet (vgl. §§ 354 Abs. 2 Nr. 7, 360 Abs. 12 SGB V), dass das NGP als einziges Gesundheitsportal mit der neuen elektronischen Patientenakte und dem eRezept verknüpft werde, also tatsächlich aktiv die anderen etablierten Anbieter von der Zielgruppe der gesetzlich krankenversicherten Patienten abschneiden solle. Durch diese Exklusivbindung der elektronischen Patientenakte und des eRezepts an das NGP würden die Angesprochenen noch zusätzlich und verstärkt an das NGP gebunden. Das exklusiv verknüpfte Angebot der elektronischen Patientenakte und des eRezepts mit dem NGP führe zwangsläufig zu einem massiv verstärkten Zugriff der Patienten auf die weiteren die gesundheits- und Pflegeinformationen beinhaltenden Bestandteile des NGPs, offensichtlich zulasten der privaten Gesundheitsportale.
46Jedenfalls stelle sich das NGP in seiner Gestalt vom Dezember 2022 als unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit dar. Ein Vergleich mit dem Inhalt des Portals im Februar 2021 ergebe eine Steigerung des Inhalts um mehr als 60 Prozent. Darin zeige sich, wie umfassend das pressemäßige und die private Gesundheitspresse substituierende Angebot des NGP seit Klageerhebung ausgebaut worden sei. Mit der deutlich umfangreicheren Ausgestaltung verstoße die Beklagte noch gravierender gegen das Gebot der Staatsferne der Presse. Soweit die Beklagte an einzelnen Artikeln ihres Angebotes Stand Februar 2021 Änderungen (z.B. Ergänzungen) vorgenommen habe, führe das nicht dazu, dass diese Artikel nunmehr anders zu bewerten seien. Inhaltlich sowie in ihrer pressetypischen Aufmachung und boulevardmäßigen Gestaltung überschritten die Artikel auch in
47geänderter Fassung die Grenzen staatlich zulässiger Informationstätigkeit. Mit den neu hinzugekommenen sog. „Specials“ habe die Beklagte außerdem ein besonders pressetypisches Artikel-Format entwickelt.
48Die Klägerin hat am 26.02.2021 eine Klageschrift eingereicht, die der Beklagten am 24.03.2021 zugestellt worden ist. Dieser Klageschrift waren als Anlage K1 zwei grünfarbige USB-Sticks „Intenso“ beigefügt. Diese sind durch die zuständige IT- Abteilung des Landgerichts zum Zwecke des Virenschutzes auf einen neuen USB- Stick überspielt worden. Hierbei handelt es sich um einen schwarz/hellblaufarbigen USB-Stick „Kingston“. Die von der Klägerin eingereichten grünfarbigen USB-Sticks wie auch der als Kopie erzeugte schwarz/hellblaufarbige USB-Stick sind auf der Geschäftsstelle als Anlage 1 zur Klageschrift deponiert.
49Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,
50I. der Beklagten es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, zu untersagen, Inhalte der Webseite gesund.bund.de im Rahmen einer Vereinbarung oder sonstigen Zusammenarbeit (auch im Sinne einer unentgeltlichen Bereitstellung der Inhalte) mit A B Ltd. in hervorgehobenen Info-Kästen (sog. Knowledge Panels) innerhalb der A- Suchergebnisse öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder Verlinkungen auf die Webseite gesund.bund.de in den Info-Kästen anzeigen zu lassen, wenn dies geschieht wie in den nachfolgenden Screenshots vom 10. Dezember 2020 beispielhaft dargestellt:
51Ansicht auf dem Desktop:
52Hier befand sich im Originalurteil 1 Screenshot
53Ansicht auf mobilen Endgeräten:
54Hier befand sich im Originalurteil 1 Screenshot
55II. der Beklagten es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, zu untersagen, ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell pressemäßig aufbereiteten Artikeln zu allgemeinen medizinischen Themen ohne konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung bereitzustellen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots auf dem USB-Stick (Anlage K 1) wiedergegeben;
56III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zu ersetzen, der ihr durch die Rechtsverletzungen gem. Ziffer I. und II. entstanden ist und noch entstehen wird.
57Nachdem der Beklagten in einem mit der Fa. G.de GmbH geführten Rechtsstreit vor dem Landgericht München durch Urteil vom 10.02.2021 (Az. 37 O 15721/20, Anl. K5, Bl. 115 ff. d.A. und Anl. B3, Bl. 937 ff. d.A.) im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt worden ist, „der A B Ltd. Inhalte des Portals E.F.de zu dem Zweck zur Verfügung zu stellen sowie deren Verwendung zu dem Zweck zu gestatten, diese Knowledge-Panels mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen, wenn dies geschieht wie durch die den Inhalten der Webseite der Verfügungsbeklagten (http://gesund.bund.de) vorbehaltene Anzeige in Knowledge Panels und einer Verlinkung“ und sie diese einstweilige Verfügung als endgültige Regelung am 12.03.2021 anerkannt hat (Anl. B4, Bl. 967 d.A.), haben die Parteien den Klageantrag zu I.) übereinstimmend für erledigt erklärt und die Beklagte insoweit Kostenübernahme erklärt.
58Die Klägerin beantragt nach Klageerweiterung vom 21.12.2022 nunmehr ,
59II. der Beklagten es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, zu untersagen, ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell pressemäßig aufbereiteten Artikeln zu allgemeinen medizinischen Themen ohne konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung bereitzustellen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots auf dem USB-Stick (Anlage K 1) wiedergegeben;
60hilfsweisees der Beklagten bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00, zu untersagen, ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell pressemäßig aufbereiteten Artikeln zu allgemeinen gesundheitsbezogenen Themen ohne konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung bereitzustellen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots im Dezember 2022 auf dem USB-Stick (Anlage K
6171) wiedergegeben;
62III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zu ersetzen, der ihr durch die Rechtsverletzungen gem. Ziffer I. und II. entstanden ist und noch entstehen wird.
63Die Beklagte beantragt,
64die Klage abzuweisen.
65Die Beklagte ist der Auffassung, der Zivilrechtsweg sei bereits nicht eröffnet. Denn der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch betreffe mit dem NGP eine genuin öffentlich-rechtliche Tätigkeit, nämlich ein staatliches Angebot der Beklagten im Rahmen des staatlichen Informationshandelns. Im Streit stehe dabei nicht das Wie der digitalen Informationstätigkeit der Beklagten, sondern das grundsätzliche Ob. Zum Betrieb des NGP sei sie schon aufgrund der staatlichen Aufgabenzuweisung, jedenfalls aufgrund von § 395 SGB V ermächtigt und in der konkreten Form auch berechtigt. Da sie sich mit dem NGP innerhalb der Grenzen der Ermächtigungsgrundlage bewege, sei kein Raum für die Annahme einer privatrechtlich zu beurteilenden „geschäftlichen Handlung“ i.S.d. UWG. Bei dem Betrieb des NGP handele es sich um eine rein hoheitliche Tätigkeit. Die Beklagte erfülle hiermit eine hoheitliche Aufgabe. Ferner seien der Betrieb des NGP und insbesondere die inhaltliche Ausgestaltung des Portals, auch nach Art und Umfang zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe sachlich notwendig.
66Die Klage sei überdies unzulässig, da die Klageanträge nicht ausreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 ZPO seien. Die Bezugnahme auf den Inhalt von Datensticks könne einen hinreichend konkreten Antrag nicht ersetzen.
67Aber auch inhaltlich sei die Klage unbegründet. Das NGP rechtfertige sich durch den verfassungsrechtlichen Auftrag der Beklagten zur Gesundheitsfürsorge. Es sei erforderlich, um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu fördern. Diese sei mangelhaft ausgebildet, dies hätten Studien belegt. Insoweit nimmt sie insbesondere Bezug auf eine in Auftrag gegebene Studie der Universität Bielefeld in Zusammenarbeit mit den Interdisziplinären Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung sowie der Hertie School Berlin, vorgelegt als Anl. B20, Bl. 1527 ff. d.A. Das Portal beschränke sich dabei auf die wertungsfreie Wiedergabe von Sachinformationen und beachte jederzeit den in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Grundsatz. Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG, die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz für die Sozialversicherung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und Art. 87 Abs. 2 GG sowie die Verpflichtung zum Schutz von
68Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG überließen es dem politischen Willen, in welcher Weise die Staatsaufgabe des Gesundheitswesens wahrgenommen werde. Die konkrete Ausgestaltung und Fortentwicklung des NGP stelle nicht eine publizistische Konkurrenz, sondern eine bloße Ergänzung der vorhandenen Angebote für die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz der Bevölkerung dar. Nach seiner Konzeption sollten amtliche Basisinformationen zu Gesundheitsthemen bereitgestellt werden, die den rechtlichen Anforderungen an amtliche Informationen genügten: Sie seien evidenzbasiert, neutral, sachlich und nicht meinungsgeleitet. Sie stammten aus einer besonders glaubwürdigen Quelle und seien damit für die Nutzer als ergänzendes Informationsangebot besonders zuverlässig. Auch inhaltlich stelle das NGP keinen Rechtsverstoß dar. Insbesondere sei das Portal allein auf die Mitteilung der unbedingt notwendigen Informationen beschränkt und sei daher gerade nicht dazu geeignet, Angebote privater Presseverlage zu verdrängen. Auch seien sowohl eine redaktionelle Aufbereitung zu dem Zweck der Förderung des Verständnisses des medizinischen Laien als auch audiovisuelle Inhalte, welche die Texte anschaulich zusammenfassten, wichtige Punkte herausstellten und verdeutlichten, zulässig. Die Hinweise am Ende einer jeden Seite ließen das NGP als staatliche Publikation erkennen.
69Zudem ergebe sich aus der Entscheidung des BGH vom 14.07.2022 (dortmund.de), dass eine lediglich abstrakte Gefährdung des Instituts der Pressefreiheit nicht ausreiche, um einen Unterlassungsanspruch aus UWG zu begründen. Vielmehr habe die klagende Partei eine eigene konkrete Gefährdung etwa durch Leserverluste konkret darzulegen. Dies gebe der Vortrag der Klägerin nicht her. Das Online- Angebot der Klägerin habe seit dem Start des NGP sogar an Sichtbarkeit gewonnen. Im Übrigen nimmt die Beklagte Bezug auf den Inhalt ihrer Schutzschrift vom 22.10.2020 bei dem Zentralen Schutzschriftenregister (Anl. B21, Bl. 1653 ff. d.A.).
70Für den Fall, dass die Kammer eine verfassungskonforme Auslegung von § 395 SGB V nicht vornehme, hat die Klägerin beantragt, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 395 SGB V mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wegen der Einzelheiten dieses Antrags wird auf Bl. 1727 ff. d.A., wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 22.06.2022 und vom 10.05.2023 Bezug genommen.
71Entscheidungsgründe
72Die Klage ist in dem nach übereinstimmender Teil-Erledigungserklärung noch rechtshängigem Umfang zulässig, aber nur teilweise begründet.
73I.
74Für die Klage ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.
75Der von der Klägerin in Klageantrag zu II.) geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann sich entweder aus §§ 8, 3, 3a UWG ergeben oder aber aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch (analog §§ 1004, 823 BGB). Das erkennende Gericht ist zur Entscheidung über beide Ansprüche gem. § 17 Abs.2 GVG berechtigt und verpflichtet. Ausreichend ist insoweit, dass der Rechtsweg für den auf UWG gestützten Anspruch begründet ist. Unerheblich ist, dass die (in Betracht kommenden) Anspruchsgrundlagen verschiedenen Rechtsgebieten entstammen, über die grundsätzlich in unterschiedlichen Rechtswegen zu entscheiden ist. § 17 Abs. 2 GVG eröffnet eine rechtswegüberschreitende Sachkompetenz des Gerichts des zulässigen Rechtswegs. Danach entscheidet dieses Gericht den Rechtsstreit – unbeschadet des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 und des Art. 34 Satz 3 GG – unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Das zuständige Gericht hat danach auch über solche Normen zu befinden, die für sich allein die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit begründen würden (BGH Urteil vom 12.03.202 – I ZR 126718 – WarnWetter-App, GewA 2020, 298 (299)
76Rn. 22 m.w.N.: BGH, Beschluss vom 4.12.2003 – I ZB 19/03, GRUR 2004, 444, 445
77[juris Rn. 25] = WRP 2004, 619 – Arzneimittelsubstitution, mwN). Voraussetzung ist jedoch, dass es sich hinsichtlich der unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt.
78Das ist hier der Fall. Insoweit unterscheidet sich das Begehren der Klägerin nicht von dem Fall, über den der Bundesgerichtshof im Urteil vom 12.03.2020 – WarnWetter- App (Az. I ZR 126/18) zu befinden hatte. Streitgegenstand ist allein der Betrieb der Gesundheitsplattform. Der Tatsachenstoff lässt sich nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufteilen, selbst wenn diese einer jeweils eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind. Wenn sich die Klage gegen die konkrete Verletzungsform richtet, ist in dieser Verletzungsform der Lebenssachverhalt zu sehen, durch den der Streitgegenstand bestimmt wird (BGH GewA 2020, 298 (299 f.) Rn. 26 f. – WarnWetter-App).
79II.
80Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu II. zulässig und begründet. 1.
81Der Klageantrag zu II. ist zulässig, insbesondere im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt.
82Dem steht die Bezugnahme auf die als Anl. K1 und K71 eingereichten Datensticks nicht entgegen. Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass es im konkreten Einzelfall zulässig sein kann, Klageanträge unter Bezugnahme auf ein digitales Speichermedium zu formulieren, das mit einem zukünftigen Urteil nicht zu einer einheitlichen Urkunde verbunden werden kann (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – IZR 97/21 – Rn. 13 ff., juris, dortmund.de; OLG München, Urteil vom 30.09.2021 – 6 U 6754/20, Rn.67 ff., juris und OLG Hamm, Urteil vom 10.06.2021 – 4 U 1/20 – Rn. 93 ff, juris, Stadtportal.de).
83Ein Urteilsausspruch muss äußerlich in einer Art und Weise festgelegt werden, dass er auch nach Verkündung bestimmbar bleibt, da andernfalls nach Rechtskraft der Entscheidung und insbesondere bei der Zwangsvollstreckung Unsicherheiten entstehen können. Aus diesem Grund muss der Urteilsausspruch in aller Regel aus sich heraus oder gegebenenfalls im Zusammenhang mit seiner Begründung bestimmbar sein, was zur Folge hat, dass der Urteilsinhalt grundsätzlich in einer einheitlichen Urkunde festzulegen ist. Nur in besonders gelagerten Fällen können bei der Bemessung der Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs aufzustellen sind, die Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes oder der Vermeidung eines unangemessenen Aufwands mit abzuwägen sein. In Sonderfällen kann deshalb in der gerichtlichen Entscheidung auch auf Anlagen verwiesen werden, die zu den Akten gegeben worden sind. Die Bestimmtheit der gerichtlichen Entscheidung ist in diesen Fällen nicht davon abhängig, dass die Anlagen mit der Urschrift der Entscheidung körperlich verbunden werden. Bei der späteren Vollstreckung von Unterlassungstiteln kann auf in Bezug genommene, zu den Akten gereichte Anlagen in aller Regel ohne weiteres zurückgegriffen werden (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - I ZR 139/20, GRUR 2021, 1199 [juris Rn. 13] = WRP 2021, 1295 - Goldhase III, mwN).
84Im vorliegenden Fall liegt ein unter diese Rechtsprechung fallender Ausnahmefall vor. Das zeigt bereits die Vergleichbarkeit mit den Rechtsstreitigkeiten, die dem BGH in der Entscheidung „dortmund.de“ und dem Oberlandesgericht München im Urteil
85vom 30.09.2021 (6 U 6754/20, Rn.67 ff., juris) zur Entscheidung vorlagen. Beide Gerichte haben in beiden Fällen die Zulässigkeit der Bezugnahme auf einen zur Anlage eingereichten Datenstick im Klageantrag wie im Urteilstenor herausgestellt. Wie in den zitierten Entscheidungen, so kann auch das streitgegenständliche
86„Telemedienangebot“ in seiner Gesamtwirkung nicht durch die Fertigung von Ausdrucken dargestellt werden. Nur durch die Nutzung digitaler Speichermedien kann die beanstandete Handlung hinreichend konkret dargestellt werden. Schon mit Blick auf das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes ist die Bezugnahme auf den USB-Stick mit der darauf gespeicherten konkreten Verletzungsform deshalb zulässig, zumal es für die Begründetheit des Anspruchs auf eine – anders nicht darstellbare – Gesamtbetrachtung des beanstandeten Online-Angebots ankommt (BGH, Urteil vom
8714. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, dortmund.de, Rn. 17, juris). Dem steht nach den dargestellten Maßstäben nicht entgegen, dass der USB-Stick nicht mit einem Urteil zu einer einheitlichen Urkunde verbunden werden kann. Die Zwangsvollstreckung eines Unterlassungstitels obliegt dem Prozessgericht (§ 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das auf die zu den Akten gereichten Anlagen zurückgreifen kann. Der Gefahr eines Verlusts der Anlagen oder ihrer Rückgabe an die Parteien kann entgegengewirkt werden; sie besteht grundsätzlich auch für das Urteil und die Akte (BGH, GRUR 2021, 1199 [juris Rn. 14] - Goldhase III; BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, dortmund.de, Rn. 17, juris).
88Auch die weiteren Voraussetzungen einer Bezugnahme auf die im Datenstick gespeicherten Daten liegen vor. Insbesondere gibt der als Anlage K1 überreichte Datenstick das beanstandete Telemedienangebot als konkrete Verletzungsform vollständig wieder und beinhaltet keine dynamischen, sondern feststehende Inhalte. Dies gilt auch mit Blick auf die hinterlegten Links. Diese weisen nicht auf (täglich) wechselnde Inhalte. Vielmehr handelt es sich – dies hat die Klägerin im Schriftsatz vom 03.08.2022 (Bl. 2069, Bl. 2071 ff.) erläutert – um statische, nicht um dynamische HTML-Versionen des Angebots der Beklagten zum Zeitpunkt der Klageerhebung.
892.
90Der Klageantrag zu II. ist auch begründet.
91Denn der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. dem aus Art. 5 Abs. 1 S.2 GG folgenden Gebot der Staatsferne der Presse zu.
92Gemäß § 8 Abs. 1 UWG kann, wer eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Unzulässig sind unlautere geschäftliche Handlungen (§ 3 Abs. 1 UWG). Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln und wenn der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (§ 3a UWG).
93a.
94Die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG stehen der Klägerin als Mitbewerberin der Beklagten zu.
95Die Eigenschaft als Mitbewerberin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erfordert ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Ein solches ist anzunehmen, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten der einen die andere beeinträchtigen, das heißt im Absatz behindern oder stören kann. Auch wenn die Parteien keine gleichartigen Waren oder Dienstleistungen abzusetzen versuchen, besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das Dritter zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann und die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 112/17, GRUR 2019, 317 - Crailsheimer Stadtblatt II, Urteil vom 26.012017 - I ZR 217/15, GRUR 2017, 918 - Wettbewerbsbezug, mwN). Für die Mitbewerber-Eigenschaft der Beklagten im Fall „WarnWetter-App“ hat der BGH es ausreichen lassen, dass „beide Parteien Wetter-Apps anbieten“. Sie seien
96„daher Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, die in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen“ (BGH, Urteil vom 12.03.2020 – I ZR 126/18 – WarnWetter-App, Rn. 43). Genauso liegt es hier, denn sowohl die Klägerin als auch die Beklagte bieten digitale Gesundheitsportale mit ähnlichen Inhalten in ähnlicher Aufmachung an.
97b.
98Das Betreiben des ausdrücklich werbe- und anzeigenfreien NGP stellt auch eine
99„geschäftliche Handlung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar.
100Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Der BGH hat zu der Frage, wann eine „geschäftliche Handlung“ des Staates anzunehmen ist, in der Entscheidung WarnWetter-App (BGH, Urteil vom 12.03.2020 – I ZR 126/18, Rn. 48 ff.) die bis dahin gängigen Abgrenzungsformeln zwischen erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit einerseits und hoheitlicher Tätigkeit andererseits präzisiert und ausgeführt:
101„Für die Frage, ob die öffentliche Hand eine geschäftliche Handlung vornimmt, muss zunächst zwischen erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten einerseits und hoheitlichen Tätigkeiten andererseits unterschieden werden (BGH, Urteil vom 27.07.2017 – I ZR 162/15, GRUR 2018, 196 Rn. 23 = WRP 2018, 186 – Eigenbetrieb Friedhöfe; Urteil
102vom 20.12.2018 – I ZR 112/17, GRUR 2019, 189 Rn. 55 = WRP 2019, 317 –
103Crailsheimer Stadtblatt II = GewArch 2019, 108), wobei eine hoheitliche Tätigkeit in diesem Sinne vorliegt, wenn die öffentliche Hand zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe tätig wird (vgl. BGH, GRUR 2019, 741 Rn. 14 – Durchleitungssystem). Eine erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist auch dann als geschäftliche Handlung anzusehen, wenn öffentliche Zwecke mitverfolgt werden. Bei einer Tätigkeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist weiter danach zu unterscheiden, ob die öffentliche Hand aufgrund gesetzlicher Ermächtigung tätig wird. Ist dies der Fall, ist ihre Betätigung einer Überprüfung anhand des Wettbewerbsrechts entzogen, solange sich das Handeln innerhalb der Ermächtigungsgrundlage bewegt, die insoweit den Handlungsspielraum vorgibt (BGH, GRUR 2018, 196 Rn. 23 – Eigenbetrieb Friedhöfe; GRUR 2019, 189 Rn. 55 – Crailsheimer Stadtblatt II, mwN = GewArch 2019, 108). Nimmt die öffentliche Hand öffentliche Aufgaben wahr, bewegt sie sich dabei jedoch außerhalb des ihr durch eine Ermächtigungsgrundlage zugewiesenen öffentlichrechtlichen Aufgabenbereichs, ist ihr Handeln als geschäftliche Handlung anzusehen mit der Folge, dass sie sich an den Regeln des Wettbewerbsrechts messen lassen muss (vgl. BGH, GRUR 2019,
104189 Rn. 56 – Crailsheimer Stadtblatt II = GewArch 2019, 108) und – wenn die
105weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 UWG vorliegen – zur Unterlassung verpflichtet ist. Handelt die öffentliche Hand zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe und wird sie dabei ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung tätig, ist eine geschäftliche Handlung nicht ausgeschlossen. Sie ist allerdings auch nicht ohne weiteres zu vermuten, sondern anhand einer umfassenden Würdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls besonders festzustellen (BGH, GRUR 2018, 196 Rn. 23 – Eigenbetrieb Friedhöfe, mwN).“
106Diese Abgrenzungskriterien hat der BGH in nachfolgenden Entscheidungen, insbesondere der Entscheidung dortmund.de weder aufgegeben noch geändert. Vielmehr hat er in der Entscheidung dortmund.de keine Ausführungen dazu gemacht, ob er in Ansehung des Betriebes des Stadtportals von einer geschäftlichen Handlung im Sinne des UWG ausgeht. Denn er hat die Klage bereits mangels Verstoßes gegen eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG abgewiesen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, dortmund.de, Rn. 20 ff. juris) und die Frage, ob zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorliegt, ausdrücklich offengelassen (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, Rn. 66, juris, dortmund.de).
107(1)
108Gemessen an den so entwickelten Abgrenzungskriterien liegt mit dem Betrieb des NGP in der Gestaltung von Februar 2021 eine geschäftliche Handlung i.S.d. UWG vor, da das NGP die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage überschreitet. Diese hat der Gesetzgeber erst nach Erstellung des NGP durch das DVPMG mit § 395 SGB V geschaffen. Zwar bewegt sich das NGP rein formal innerhalb der Vorgaben des
109§ 395 SGB V. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach überhaupt keine inhaltlichen oder sonst einschränkenden Vorgaben mit Bezug auf die Ausgestaltung des NGP macht. Er ermächtigt das BMG lediglich zur Errichtung und zum Betrieb eines lediglich seiner allgemeinen Art nach beschriebenen „elektronischen, über allgemein zugängliche Netze (...) aufrufbaren Informationsportals, das gesundheits- und pflegebezogene Informationen barrierefrei in allgemein verständlicher Sprache zur Verfügung stellt” und bezeichnet dieses als
110„Nationales Gesundheitsportal“. (2)
111Die Vorschrift ist jedoch – wie jede andere einfachgesetzliche Norm – im Einklang mit der Verfassung auszulegen. Hieraus folgt, dass § 395 SGB V nur den Betrieb eines
112solchen Portals zulässt und hierzu ermächtigt, welches sich in den Grenzen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hält und dessen verfassungsrechtliche Garantien nicht verletzt. Diese – durch verfassungskonforme Auslegung zu ermittelnden – Grenzen von § 395 SGB V hält das NGP in seiner hier maßgeblichen Gestaltung vom Februar 2021 jedoch nicht ein. Denn es verletzt in dieser Ausgestaltung die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Darin liegt zugleich eine unzulässige geschäftliche Handlung i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG, da es sich bei dem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitenden Gebot der Staatsferne der Presse nach ständiger Rechtsprechung des BGH um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt (vgl. stellvertretend für viele BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, Rn. 20 f., juris, dortmund.de).
113(3) (3)
114Das für den Staat bestehende, aus der objektiv-rechtlichen Komponente der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (auch "Institut der freien Presse", vgl. Grabenwarter in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 82. Ergänzungslieferung Januar 2018, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 353; Bonner Kommentar/Degenhart, 185. Lieferung Juli 2017, Art. 5 Abs. 1 und 2 GG Rn. 40) abgeleitete Gebot, sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse zu betätigen, regelt die Frage, wie sich Hoheitsträger und von Hoheitsträgern beherrschte Unternehmen im Falle ihrer Teilnahme am Wettbewerbsgeschehen auf dem Gebiet der Presse zu verhalten haben. Dieses Gebot ist im Sinne des § 3a UWG zumindest auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Das Gebot der Staatsferne der Presse setzt der am Markt tätigen öffentlichen Hand zugunsten der anderen Marktteilnehmer – insbesondere der institutionell geschützten Presse, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer unabhängigen Information und Meinungsbildung – enge Grenzen. Es soll nicht bestimmte Anbieter von bestimmten Märkten fernhalten, sondern lässt zu, dass private und staatliche Stellen sich in einem überschneidenden Bereich auf dem Markt begegnen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – I ZR 112/17 – Crailsheimer Stadtblatt II - juris, Rn. 19 und BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn.21).
115Unerheblich ist insoweit, dass sich das hier in Frage stehende staatliche Handeln, zu dem § 395 SGB V ermächtigt, nicht auf ein Druckerzeugnis bezieht, sondern auf ein digitales sog. „Telemedien-Angebot“. Denn das verfassungsrechtliche Gebot der Staatsferne der Presse bezieht sich „auf ein ausuferndes Informationshandeln des Staates, gleich in welcher Form, das die Kommunikationsprozesse der freien Presse als Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seiner gewählten
116Vertretung und damit die Meinungsbildung von unten nach oben gefährdet“ (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 37 m.w.N.). Unerheblich ist auch, dass die Beklagte mit dem NGP nur eine bestimmte Sparte der Informationsbranche bedient, nämlich die Gesundheitspresse.
117Ob staatliches Informationshandeln durch Betreiben von Portalen oder anderen Diensten in bzw. über das Internet (oder allgemein: „Telemedien“) das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt, hatten in den vergangenen Jahren die OLG Hamm und München sowie der BGH zu entscheiden. Streitgegenständlich waren in den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm und München sowie in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2022 die im Internet zugänglichen
118„Stadtportale“ der Städte München und Dortmund. Darüber hinaus hatte der BGH im Jahr 2020 über die sog. WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes zu entscheiden (Urteil vom 12.03.202 – I ZR 126/18 – WarnWetter-App). Der Bundesgerichtshof hat in den genannten Urteilen die bereits in der Entscheidung
119„Crailsheimer Stadtblatt II“ entwickelten Grundsätze für staatliches Informationshandeln fortgeführt und näher ausgestaltet. Danach sind für die konkrete Beurteilung staatlicher Publikationen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse „Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Neutralität sowie Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und ist unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 35 bis 39] - Crailsheimer Stadtblatt II). Dabei begründen einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Notwendig ist vielmehr eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt, bei der sich jede schematische Betrachtungsweise verbietet“ (BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 40 f.] - Crailsheimer Stadtblatt II; BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 40 m.w.N.). Im Rahmen dieser wertenden Gesamtbetrachtung legen bestimmte Indizien eine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse nahe. So ist „bei der erforderlichen wertenden Betrachtung der Publikation insgesamt (…) neben den inhaltlichen Kriterien insbesondere zu berücksichtigen, wie die Informationen den angesprochenen Gemeindemitgliedern präsentiert werden. Je stärker die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung überschreitet und bei den angesprochenen Verkehrskreisen als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt, desto eher sind die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und die daraus abgeleitete Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der
120Presse verletzt. Keinesfalls darf die kommunale Publikation den Lesern eine Fülle von Informationen bieten, die den Erwerb einer Zeitung – jedenfalls subjektiv – entbehrlich macht. Je deutlicher - in Quantität und Qualität – eine kommunale Publikation Themen besetzt, derentwegen Zeitungen gekauft werden, desto wahrscheinlicher ist der Leserverlust bei der privaten Presse und eine damit einhergehende, dem Institut der freien Presse zuwiderlaufende Meinungsbildung durch den Staat von oben nach unten“ (vgl. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 40] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN; BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 52).
121Bei der Beurteilung des Gesamtcharakters der Publikation sind auch ihre optische Gestaltung, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews, und die Frequenz des Vertriebs zu berücksichtigen. Allein die Verwendung pressemäßiger Darstellungselemente und eine regelmäßige Erscheinungsweise führen zwar nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Druckwerk nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist. Erfolgt die Verteilung kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 53, juris m.w.N.).
122Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, ist das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien. Daher kann für die Gesamtbetrachtung bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne der Presse verletzenden Beiträge besonderes Gewicht haben und das Gesamtangebot prägen. Dafür können Verlinkungen auf diese Beiträge sprechen – zum Beispiel von der Startseite des Informationsangebots – oder der Umstand, dass sie zu den meistgelesenen Beiträgen zählen.
123Es ist dabei Aufgabe des jeweiligen Klägers, alle anspruchsbegründenden Tatsachen für einen Verstoß gegen das Gebot der Staatsferne der Presse darzulegen und zu beweisen. Hierzu gehören neben substantiiertem Vortrag zu einzelnen unzulässigen redaktionellen Beiträgen auch substantiierter Vortrag dazu, dass die wertende Gesamtbetrachtung der Publikation zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse führt (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 58, juris). Nicht ausreichend ist pauschaler Vortrag, das Informationshandeln verstoße gegen Art. 5 GG. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts,
124das bemängelte Portal ohne weiteren konkreten Vortrag in allen Einzelheiten auf mögliche Verstöße hin zu untersuchen (BGH a.a.O. Rn. 57).
125In der an diesen Grundsätzen orientierten Gesamtschau verstößt das NGP gegen Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. § 3a UWG.
126(aa)
127Zwar sind die Inhalte des Portals schon aufgrund des Domainnamens
128„gesund.bund.de“ und des am Ende der jeweiligen Seiten aufgebrachten Bundesadlers als staatliche Publikation erkennbar. Die Erkennbarkeit als staatliche Publikation führt allerdings für sich genommen noch nicht dazu, dass das Portal in der streitgegenständlichen Form in jedem Fall zulässig wäre (vgl. auch OLG München, Urteil vom 30. September 2021 – 6 U 6754/20 –, Rn. 120, juris). Die Grenzen der Zulässigkeit sind dann überschritten, wenn eine Publikation nicht mehr als staatliche erkennbar ist. Ein Umkehrschluss ist aber nicht zulässig: Die Erkennbarkeit als staatliche Publikation führt nicht zur automatischen Zulässigkeit des Informationshandelns (vgl. hierzu OLG München, Urteil vom 30. September 2021 – 6 U 6754/20 –, Rn. 121 f., juris).
129(bb)
130Auch der Umstand, dass das NGP sich in der Verwendung der Gestaltungsmittel an anderen Internet-Publikationen orientiert bzw. diesen gleicht – etwa durch die Verbindung von Text, Bild und graphischen Darstellungen – genügt für sich allein genommen nicht zur Annahme einer unzulässigen Publikation. Vielmehr ist die Aufmachung als „internettypisch“ einzustufen.
131(cc)
132Allerdings überschreitet die große Mehrheit der in den Rubriken „Krankheiten A-Z“ und „Gesund leben“ eingestellten Artikel die Grenzen zulässigen staatlichen Informationshandelns. Für beide Rubriken besteht schon keine Kompetenz der Beklagten, sich in derart weitgehendem Maße und Umfang ohne jeglichen konkreten Anlass informierend zu betätigen.
133Zwar ist dem Staat und seinen Einheiten die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation durch Öffentlichkeitsarbeit und Informationstätigkeit nicht grundsätzlich verboten. Legitim und im Einzelfall sogar geboten ist Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer Selbstdarstellung des Staates. In der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes ist es legitim und notwendig, dass Regierungen und gesetzgebende Körperschaften ihre Politik in der Öffentlichkeit darstellen sowie künftig zu lösende Fragen darlegen und erläutern. Es ist ihr Recht und auch ihre Aufgabe, Politik verständlich zu machen,
134die Bevölkerung über Politik und Recht im jeweiligen Aufgabenkreis zu informieren und staatliche Tätigkeit transparent zu gestalten. Derartiges Informationshandeln ist auch in presseähnlicher Form und auch im Internet zulässig (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 37 – Crailsheimer Stadtblatt II). Darüber hinaus ist auch eine situationsbedingte Informationstätigkeit in besonderen Gefahrenlagen und in aktuellen Krisen zulässig und im Einzelfall sogar geboten (BGH GRUR 2019, 139 Rn. 39 – Crailsheimer Stadtblatt II). Es ist ggf. Aufgabe des Staates, zum Ausgleich aktueller Informationsdefizite in akuten Angelegenheiten, insbesondere zur Abwehr von Gefahren informierend tätig zu werden (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 –, BVerfGE 105, 252-279).
135Die weit überwiegende Mehrzahl der Artikel in den Rubriken „Krankheiten A-Z“ und
136„Gesund leben“ lässt sich aber keiner dieser Kategorien zulässigen staatlichen Informationshandelns zuordnen. Es geht (von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen) weder um gefahrenbezogene Information der Bürger zur Abwehr konkreter akuter Gefahrensituationen, noch um die Erklärung und Darstellung von Regierungspolitik. Vielmehr handelt es sich bei der Rubrik „Krankheiten A-Z“ um eine Art „Gesundheitslexikon“, in welchem die Beklagte Informationen allgemeinster Natur internettypisch aufbereitet und zur Verfügung stellt. Ähnlich verhält es sich bei der Rubrik „Gesund leben“, in welcher die Beklagte in den unterschiedlichsten Lebensbereichen Tipps und Ratschläge für „gesundes Leben“ gibt.
137Es genügt auch nicht, dass mit Blick auf die behandelten Themen ein Bezug zu dem Aufgabenspektrum des Gesundheitsministeriums besteht. Ein allgemein thematischer Aufgabenbezug kann für sich allein genommen das Informationshandeln staatlicher Stellen bereits deshalb nicht rechtfertigen, weil die einzelnen Fachressorts auf Bundes- und Landesebene nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche abdecken. Ließe man den bloßen thematischen Bezug zu den Aufgabenbereichen der Fachressorts ausreichen, würde dies die verfassungsrechtlichen Schranken für staatliche Öffentlichkeitsarbeit weitgehend aufheben. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2022 dortmund.de herleiten. Denn der Bundesgerichtshof hat die breit angelegte Informationskompetenz der Kommune dort ausdrücklich aus dem Recht zur kommunalen Selbstverwaltung hergeleitet, welchem Verfassungsrang zukommt. Auf eine ähnlich verfassungsrechtlich geschützte Position kann die Beklagte sich aber schon nicht berufen. Sie ist weder Grundrechtsträgerin noch kann sie ähnlich einer Kommune für sich das Recht in Anspruch nehmen, aus Gründen des (Stadt-)Marketings eine Fülle von Informationen
138der unterschiedlichsten Sparten (Rubriken) in aktualisierter Version dauerhaft vorhalten zu müssen. Bei den Rubriken „Krankheiten A-Z“ und „Gesund leben“ geht es nicht um eine werbende informative Darstellung des Ministeriums, seiner Aufgabenbereiche und angestoßener politischer Projekte. Ebenso wenig genügt es, dass die Beklagte von einem Informationsdefizit der Bevölkerung in Sachen
139„Gesundheit“ bzw. von einer mangelnden „Gesundheitskompetenz“ ausgeht. Insoweit hat der Bundesgerichtshof betont, dass die Grenzen (kommunaler) Öffentlichkeitsarbeit es verbieten, auch bei einer vermeintlich unzureichenden Versorgung mit Informationen über das örtliche Geschehen durch die private Presse, eine solche angeblich vorhandene Informationslücke durch eine eigene, von amtlichen Bezügen losgelöste Informationstätigkeit zu schließen (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 39 m.w.N.). Diese Wertung ist auf die Öffentlichkeitsarbeit einer obersten Bundesbehörde wie der Beklagten ohne weiteres zu übertragen.
140Die Inhalte des NGP führen zudem in den angesprochenen Rubriken „Krankheiten A- Z“ und „Gesund leben“ zu einem Substitutionseffekt zu Lasten der privaten Anbieter ähnlicher Formate wie beispielsweise der Klägerin. Die Artikel des NGP sind in diesen Bereichen derart ähnlich aufbereitet – sie sind nahezu identisch strukturiert und weisen auch im Hinblick auf ihre grafische Gestaltung und Illustrationen eine frappierende Ähnlichkeit auf – und verfolgen dieselbe Zielsetzung, dass der private Leser sie als funktionales Äquivalent zu den Angeboten privater Akteure begreift. Anschaulich hat die Klägerin dies etwa für die Artikel „Generalisierte Angststörung“,
141„Aphten“ und „Brustkrebs“ aus der Rubrik „Krankheiten A-Z“ sowie „Wie funktioniert gesunde Ernährung?“ aus der Rubrik „Gesund leben“ dargestellt. Insoweit wird auf die Ausführungen der Klägerin in der Anlage K70, Bl 2283 ff. d.A. Bezug genommen. Hierin begründet liegt die Gefahr eines Leserverlustes bei den privaten Anbietern ähnlicher Portale wie etwa der Klägerin. Denn die Beklagte bietet eine Fülle von Informationen, wegen derer Leser im Netz gerade die Seiten der Klägerin oder ihrer privaten Konkurrenten aufrufen. Damit macht sie das Angebot der privaten Anbieter jedenfalls aus subjektiver Hinsicht eines Lesers entbehrlich. Auf einen solchen
142„Substitutionseffekt“ scheint das Angebot der Beklagten auch angelegt zu sein, denn die Beklagte nimmt für sich in Anspruch, den Nutzern eine neutrale und besonders zuverlässige Information anzubieten und hat ihr Portal in der Öffentlichkeit damit auch beworben. Außerdem solle – nach den Worten des damaligen Gesundheitsministers Spahn – „wer Gesundheit googelt, (…) künftig auf dem Nationalen Gesundheitsportal landen“. Diese Aussage kann nur dahingehend
143verstanden werden, dass die Beklagte ihr Angebot an die Stelle der für unzureichend empfundenen Angebote konkurrierender privater Akteure setzen möchte.
144(dd)
145In der Rubrik „Pflege“ informiert die Beklagte über Leistungen des Staates bzw. der Pflegeversicherung als eines Systems der sozialen Sicherung. Sie kann für sich betrachtet dem Bereich staatlicher Öffentlichkeitsarbeit als Information über staatliche Einrichtungen und Leistungen angesehen werden.
146(ee)
147In der Rubrik „Gesundheit Digital“ verletzt die Beklagte die Pflicht des Staates zu neutralem und sachlichen Informationshandeln. Die Beiträge zum e-Rezept und zum elektronischen Impfpass lassen eine differenzierte Darstellung vermissen. Kritisch zu beurteilende Aspekte werden nicht dargestellt, sondern ausschließlich die Vorteile und Chancen der digitalen Errungenschaften.
148(ff)
149In der Gesamtschau überwiegen qualitativ die Rubriken und Artikel, mit denen die Beklagte die Grenzen des staatlichen Informationshandelns überschreitet und das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt. Denn der inhaltliche Schwerpunkt des NGP liegt auf den Rubriken „Krankheiten A-Z” und „Gesund leben“. Dahinter treten die anderen Rubriken zurück. Mit dem Gros der Artikel in den Hauptkategorien überschreitet die Beklagte – wie dargestellt – ihre Kompetenz zu staatlichem Informationshandeln. Dies führt im Wege der wertenden Gesamtbetrachtung zur Unzulässigkeit des Portals insgesamt. Auch belegt nicht zuletzt der Vergleich des Inhalts des NGP bei Klageerhebung (Anl. K1) und im Dezember 2022 (Anl. K71), dass mit dem NGP die Möglichkeit zu einem immer weiter ausufernden Informationshandeln geschaffen wurde, von der kontinuierlich Gebrauch gemacht wird. Dabei werden gerade die Rubriken ihrem Inhalt und Umfang nach stark ausgeweitet, die vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unzulässig sind.
150Die Beklagte geht fehl in der Annahme, ein Unterlassungsanspruch sei schon deshalb nicht begründet, da die Klägerin eine konkrete Gefährdung bzw. Beeinträchtigung ihrer eigenen Geschäftstätigkeit etwa durch einen Leserverlust nicht dargelegt habe. Darauf kommt es nicht an. Weder im Rahmen von § 3a UWG noch auf Ebene des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung der Presse dargetan wird (BGH, Urteil vom 14.07.2022 – I ZR 97/21 – dortmund.de, Rn. 59, juris). Vielmehr genügt eine abstrakte Gefährdung der Presse. Diese liegt im vorliegenden Fall insbesondere in der funktionellen Austauschbarkeit
151des Angebots der Beklagten im Vergleich zum Angebot der Klägerin und anderer privater Akteure begründet.
152Auch eine Abwägung mit den Belangen der Beklagten führt nicht dazu, im Ergebnis von einem zulässigen staatlichen Informationshandeln auszugehen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14.07.2022 (dortmund.de) hervorgehoben, dass es bei der Frage der Zulässigkeit einer kommunalen Publikation um einen Konflikt zwischen staatlicher Kompetenz einerseits und grundrechtlicher Freiheit andererseits geht und die beiden genannten Verfassungsnormen mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen sind (vgl. Winkler, JZ 2019, 367, 368 mwN; Schröder, WRP 2020, 1278 Rn. 7 bis 10). Im Ergebnis müsse dabei jedoch die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG größtmögliche Wirksamkeit erhalten, während die Gemeinde lediglich in der Lage sein muss, ihre Aufgaben zu erfüllen (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21 –, Rn. 38, juris). Im vorliegenden Fall kann die Beklagte in einem solchen Abwägungsprozess bereits keine der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ähnlichen Belange einstellen. Sie bedarf – anders als etwa eine Kommune mit Blick auf ein Stadtportal – nicht des NGP in seiner Gestaltung vom Februar 2021, um ihre Aufgaben sachgerecht zu erfüllen.
153c.
154Eine Wiederholungsgefahr i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 1 UWG liegt vor. Diese wird einerseits durch den bereits erfolgten Wettbewerbsverstoß vermutet (vgl. OLG München, Urteil vom 30. September 2021 – 6 U 6754/20 –, Rn. 246, juris), liegt aber auch in dem fortgesetzten Betrieb des NGP durch die Beklagte begründet.
155III.
156Die Klage war insoweit abzuweisen, als die Klägerin mit dem Klageantrag zu III. die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten begehrt. Die Klage ist in diesem Umfang unbegründet und zwar sowohl im Hinblick auf eine mögliche Schadensersatzpflicht der Beklagten im Zusammenhang mit dem übereinstimmend für erledigt erklärten Klageantrag zu I. als auch im Hinblick auf den begründeten Unterlassungsanspruch gemäß Ziffer 1. des Urteilstenors (Klageantrag zu Ziff. II.).
157Zwar ist richtig, dass es für die festzustellende Ersatzpflicht der Beklagten genügt, dass der Einritt eines Schadens auf Seiten der Klägerin theoretisch möglich ist und nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens besteht (vgl.
158BGH, GRUR 1974, 735 [736] = LM § 16 UWG Nr. 69 - Pharmamedan; GRUR 1992, 559 = NJW 1991, 2707 = LM H. 3/1992 § 130 ZPO Nr. 16 - Mikrofilmanlage; BGHZ
159130, 205 [220] = GRUR 1995, 744 NJW 1995, 3177 = LM H. 1/1996 Art. 5 GrundG
160Nr. 86 - Feuer, Eis & Dynamit I, jew. m.w. Nachw.; vgl. auch Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR, 22. Aufl., Einl. UWG Rdnr. 500; Teplitzky, Wettbewerbsrechtl. Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 52 Rdnr. 29). Allerdings ist eine nicht lediglich entfernt liegende Möglichkeit eines Schadens erforderlich, d.h. auf Grund des festgestellten Sachverhalts muss der Eintritt eines Schadens zumindest denkbar und möglich erscheinen (BGH GRUR 2012, 193 Rn. 82 – Sportwetten im Internet II). Daran fehlt es hier aber im Hinblick auf beide Feststellungsbegehren.
1611.
162Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der aus der Schaltung der sog. knowledge panels bzw. der diesbezüglichen Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und Google erwachsen ist, erscheint der Eintritt eines Schadens allenfalls abstrakt denkbar, im konkreten Fall aber nicht wahrscheinlich. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe durch die Kooperation zwischen der Beklagten und A einen Einbruch der Klickrate um mehr als 30 Prozent verzeichnet. Sie hat weiterhin vorgetragen und es ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich geringere Nutzerzahlen für ihr werbefinanziertes Onlineportal unmittelbar in geringeren Einnahmen widerspiegeln.
163Da die beanstandeten knowledge panels aber bereits im Zeitpunkt der Klagezustellung im März 2021 nicht mehr aufgespielt wurden, die Klägerin aber gleichwohl an keiner Stelle ihres Vortrags auf konkrete Einnahmeverluste in diesem Zusammenhang eingeht, erscheint der Eintritt eines Schadens weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft wahrscheinlich. Die Klägerin müsste als Wirtschaftsunternehmen Kenntnis über einen tatsächlichen Rückgang der Werbeeinnahmen haben, der seine Ursache in einem bereits abgeschlossenen Lebenssachverhalt – der Aufspielung der knowledge panels – hat. Dass sie hierauf nicht eingeht und über den gesamten Rechtsstreit hinweg keine Zahlen vorträgt, lässt aus Sicht der Kammer nur den Schluss zu, dass der Eintritt eines auf die Zusammenarbeit mit A zurückzuführenden Schadens weder in der Vergangenheit erfolgt noch in Zukunft wahrscheinlich ist. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin selbst vorträgt, dass sie seit Abschaffung der Knowledge Panels wieder einen Anstieg der eigenen Klickraten verzeichnet.
1642.
165Aus ähnlichen Gründen ist auch der Eintritt eines Schadens mit Bezug auf den im Klageantrag Ziff. II geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht wahrscheinlich. In Bezug auf den beanstandeten Betrieb des NGP allgemein hat die Klägerin überhaupt nicht dazu vorgetragen, wie sich die Klickraten ihres Portals seit Inbetriebnahme des NGP entwickelt haben. Ein materieller Schaden, den die Klägerin über § 9 UWG von der Beklagten ersetzt verlangen könnte, ist aber nur dann denkbar, wenn die Klägerin infolge des Betriebes des NGP – unter Ausblendung des auf die knowledge panels zurückzuführenden Sondereffekts – einen Rückgang der Klickraten bzw. Besuche auf ihrer Website zu verzeichnen hätte. Dazu fehlt es aber an jeglichem Vortrag.
166IV.
167Hinsichtlich des auf den übereinstimmend für erledigt erklärten Klageantrag zu Ziff. I folgt die Kostenentscheidung der Kostenübernahmeerklärung der Beklagten vom 30.06.2021 (Bl. 1713 d.A.). Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 92 Abs. 1 ZPO.
168Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Maßgeblich für die Bemessung der von der Klägerin zu erbringenden Sicherheitsleistung sind die zu vollstreckenden Kosten nebst dem Vermögensschaden, welcher der Beklagten im Falle der vorläufigen Vollstreckung entstehen kann (Vollstreckungsschaden). Mangels diesbezüglicher Angaben geht die Kammer davon aus, dass dieser Schaden sich maximal in Höhe des Streitwertes des Klageantrags zu II. bewegt.
169Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
170Bis 27.06.2021: 300.000 EUR
171 Klageantrag zu I: 100.000 EUR
172 Klageantrag zu II: 150.000 EUR
173 Klageantrag zu III: 50.000 EUR
174danach: 200.000 EUR (übereinstimmende Teil-Erledigungserklärung des Klageantrags zu I.).