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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.605,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2018 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges W H mit der FIN ##### inkl. des Zubehörs gem. Punkt B.3 der Klageschrift, zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 4 % aus 2.750,00 EUR vom 01.02.2013 bis zum 26.07.2018 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.029,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 68 % und die Klägerin zu 32 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils für die Beklagte vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem sog. W -Abgasskandal geltend.
3Die Klägerin kaufte mit Vertrag vom 01.02.2013 von dem W Zentrum Mönchengladbach ein Fahrzeug W H , FIN ##### mit einem Kilometerstand von 12.566 km zu einem Preis von 18.500,00 EUR. Sie zahlte an die Verkäuferin 2.750,00 EUR, der restliche Kaufpreis wurde bei der W Bank GmbH finanziert. Der Darlehensantrag vom 28.01.2013 sieht einen mitzufinanzierenden Beitrag zum KSB Plus von 952,01 EUR sowie Zinsen von 2.323,54 EUR vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den Darlehensantrag, Bl. 69 ff. d.A. Bezug genommen. Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin des Fahrzeugs sowie des in dem Fahrzeug verbauten Dieselmotors des Typs ####. Für die von der Beklagten hergestellten und in ihre sowie in die Fahrzeuge ihrer Konzerntöchter eingebauten Motoren der ####-Baureihe wurde seit etwa 2006 eine spezielle Software entwickelt und verwendet, welche erkannte, wann ein Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief und in diesem Fall einen besonderen Betriebsmodus (Modus 1) aktivierte, welcher zu einer höheren Abgasrückführungsrate in den Motor und damit zu einem niedrigeren auf dem Prüfstand gemessenen Stickoxid-Ausstoß führte. Dieser Modus 1 wurde ausschließlich beim Durchfahren des NEFZ aktiviert, im normalen Straßenverkehr wurden die Motoren im Modus 0 betrieben, der mit einem höheren Stickoxid-Ausstoß verbunden war. Diese von Mitarbeitern der Entwicklungsabteilung der Beklagten bei der Motorenentwicklung eingesetzte Software wurde millionenfach in Fahrzeugen der Beklagten verwendet sowie für jedes Fahrzeugmodell und jede Motorvariante der Baureihe #### angepasst.
4Nach Bekanntwerden des Vorhandenseins dieser Software kam das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) mit Bescheid vom 15.10.2015 zu dem Ergebnis, dass es sich bei der verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele und erlegte der Beklagten deshalb auf, die Software aus allen betroffenen Kfz mit den Motoren der ####-Baureihe zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die Gesetzmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge sicher zu stellen.
5Die Beklagte entwickelte in der Folgezeit für die einzelnen Fahrzeugtypen jeweils Software-Updates, welche den Zweck verfolgen, die nach Auffassung des KBA aufgrund der Abschalteinrichtung mit einem technischen Mangel behafteten Fahrzeuge in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Die verschiedenen Software-Updates legte die Beklagte jeweils dem KBA zur Prüfung vor und rief sodann nach Freigabe durch das KBA die Fahrzeuge in mehreren Chargen zurück, um das Software-Update durchzuführen.
6Auch für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp wurde ein solches Software-Update entworfen, für das das KBA bescheinigte, dass nach Durchführung des Updates an dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung mehr vorhanden sei und die Grenzwerte sowie weiteren Anforderungen eingehalten würden. Die Klägerin ließ das Software-Update am 10.04.2017 aufspielen. Sie tätigte Aufwendungen für eine neue Batterie und neue Bremsen in Höhe von 1.036,06 EUR.
7Mit Schreiben vom 12.07.2018 forderte die Klägerin die Beklagte zur Rückerstattung des Schadensbetrags nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs bis zum 26.07.2018 auf und bot der Beklagten das Fahrzeug wörtlich wahlweise an ihrem Wohnsitz oder am Sitz des Verkäufers an und forderte sie zur Abholung auf. Die Rechtsschutzversicherung der Klägerin beglich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und trat ihr die Forderung ab, um sie mit einzuklagen.
8Bei Schluss der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 108.414 km.
9Die Klägerin behauptet, dass schon mit Blick auf die millionenfache Verwendung der Manipulationssoftware und der Notwendigkeit, für jedes Fahrzeugmodell und jede Motorvariante eine unterschiedliche Softwareversion zu entwickeln, die Arbeit der Entwicklungsabteilung nicht ohne Kenntnis des Vorstands hätte erfolgen können. Die Klägerin behauptet weiter, sie hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie gewusst hätte, dass die Beklagte die Typgenehmigung für das Kfz lediglich aufgrund des Einsatzes einer gesetzwidrigen Manipulationssoftware erhalten habe. Sie behauptet weiter, sie habe das Darlehen vollständig getilgt und an die finanzierende Bank Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 21.775,55 EUR gezahlt, was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet. Es bestünde die Gefahr weiterer Schäden, insbesondere steuerliche. Die Klägerin ist der Ansicht, Nutzungen seien nicht abzuziehen, weil das Fahrzeug von Beginn an nicht zulassungsfähig gewesen sei.
10Die Klägerin beantragt,
111. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 21.775,55 EUR und weiterer Schäden i.H.v. 1.036,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2018 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges W H mit der FIN ##### inkl. Des Zubehörs gem. Punkt B.3 der Klageschrift, sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen;
122. festzustellen, dass sich die Beklagte der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
133. die Beklagte zu verurteilen, an sie Zinsen in Höhe von 4 % aus 2.750,00 EUR seit dem 01.02.2013 bis zum Verzugsbeginn zu zahlen;
144. die Beklagte zu verurteilt, an sie Zinsen in Höhe von 4 % auf die jeweiligen Raten und Tilgungszahlungen ab dem jeweiligen Zahlungszeitpunkt bis zum Verzugsbeginn zu zahlen;
155. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs W H mit der FIN ##### durch die Beklagte womöglich entstehen;
166. die Beklagte zu verurteilen, die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten ihr entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2018 zu zahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte rügt den Klägervortrag zur deliktsrechtlichen Zurechnung als unzureichend. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin die Finanzierungskosten sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bezahlt habe.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
23I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des für den streitgegenständlichen Pkw gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gem. § 826 BGB, weil die Beklagte der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat.
241. Die Beklagte hat den im von der Klägerin erworbenen Kfz verbauten Motor Typ #### entwickelt und in das Fahrzeug eingebaut. Bei der in der Motorenreihe #### verwendeten Software ist eine illegale Funktion zur Abgasmanipulation enthalten, bei der es sich nicht nur um eine zulässige Gestaltung zur Optimierung im NEFZ handelt, was sich bereits aus dem Bescheid des KBA vom 15.10.2015 ergibt.
25Die schädigende Handlung der Beklagten liegt darin, dass sie die Motoren der Baureihe #### wissentlich in einem Zustand entwickelt und auf den Markt gebracht hat, in welchem durch die eingebaute Manipulationssoftware dem Prüfstandsverfahren die Aussagekraft in Bezug auf den realen Fahrbetrieb des Fahrzeugs genommen wurde und damit die ohnehin durch die Beschränkung auf die Prüfstandswerte nur eingeschränkte staatliche Kontrolle der Abgasgrenzwerte ihre Wirksamkeit vollends verloren hat (LG Köln, Urt. v. 03.05.2018 – 36 O 57/17; ähnlich auch LG Aachen, Urt. v. 07.07.2017, Az. 8 O 12/16, zitiert nach juris Rz. 29; LG Osnabrück, Urt. v. 09.05.2017, Az. 1 O 29/17, zitiert nach juris Rz. 42; LG Arnsberg, Urt. v. 14.06.2017, Az. 1 O 25/17, zitiert nach juris Rz. 22; jeweils m. w. N.).
26Dieses Ergebnis ist auch nicht unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren (so auch LG Offenburg a. a. O., Rz. 38 ff.). Die im Rahmen des § 826 BGB verletzte Verhaltensnorm, in deren Schutzzweckzusammenhang der Schaden fallen muss, um zurechenbar zu sein, ist hier nicht nur die öffentlich-rechtliche Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 715/2007, die möglicherweise nicht dem Individualschutz dient, sondern auch die Anforderung an einen Fahrzeug- und Motorenhersteller, nur solche Fahrzeuge herzustellen und in Verkehr zu bringen, deren Betriebsgenehmigung er nicht durch Täuschung erwirkt hat und die nicht aufgrund einer solchen Täuschung technisch und rechtlich mängelbehaftet und von der Gefahr einer Stilllegung bedroht sind (LG Köln, Urteil vom 03.05.2018 – 36 O 57/17), ohne dass es hier bereits darauf ankommt, ob die Mangelhaftigkeit ggf. beseitigt werden kann.
272. Dieses Verhalten der Beklagten war auch sittenwidrig.
28Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rz. 16 m.w.N.). Daher kann es auf die Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden bereits bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit des schadensursächlichen Verhaltens ankommen (BGH a.a.O. m.w.N.).
29a) Die Beklagte selbst hatte, ohne dass es insoweit auf eine Haftungsüberleitung nach § 31 BGB ankommt, die schadensursächliche Handlung durch die in ihr organisierten Personen selber begangen und hatte einen eigenen, hierauf gerichteten Vorsatz.
30Daran, dass die Entwicklung und das Inverkehrbringen des Motortyps #### nebst der verwendeten Software der Beklagten zuzurechnen ist, besteht kein Zweifel. Denn es waren unstreitig Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten zu 2), die die Motoren des Typs #### entwickelt und mit der fraglichen Software ausgestattet und die Software an die jeweiligen Fahrzeug- und Motortypen angepasst haben.
31Die Beklagte handelte bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen der Motoren auch vorsätzlich schädigend. Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement (BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rz. 25).
32Die Beklagte hatte positive Kenntnis der relevanten Umstände bei der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Motoren vom Typ #### und damit das erforderliche Wissenselement.
33Nach ständiger Rechtsprechung wird im rechtsgeschäftlichen Verkehr einer juristischen Person das Wissen von Mitarbeitern hinsichtlich solcher Vorgänge zugerechnet, deren Relevanz für spätere Geschäftsvorgänge innerhalb des Organisationsbereichs dem Wissenden erkennbar ist und die deshalb dokumentiert und verfügbar gehalten oder an andere Personen innerhalb des Organisationsbereichs weitergegeben werden müssen (st. Rspr., vgl. BGH, NJW 2001, 2535, 2536 m.w.N.). Der Beklagten als juristischer Person ist daher gem. § 166 Abs. 1 BGB auch im Rahmen des § 826 BGB die Kenntnis aller Mitarbeiter zuzurechnen, die an der inkriminierten Handlung beteiligt waren (so auch MüKo-BGB/Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 38).
34Bei der Entwicklung des Motortyps sowie des späteren Inverkehrbringens handelt es sich um derartige für spätere Geschäftsvorgänge relevante und dokumentations- sowie informationspflichtige Vorgänge innerhalb der Beklagten zu 2), sodass ihr das insoweit verfügbare Wissen der an der Entwicklung beteiligten Mitarbeiter – ungeachtet ihrer genauen Position innerhalb der Firmenhierarchie und ungeachtet einer organschaftlichen Position – zuzurechnen ist.
35Die Beklagte hatte auch ein korrespondierendes voluntatives Element, wobei eine billigende Inkaufnahme der Schädigung ausreichend ist (BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rz. 26).
36Während bei einer natürlichen Person, in der Wissen und Wollen zumeist korrespondieren, in der Regel vom Wissen auch auf das Wollen geschlossen werden kann, ist ein solcher Rückschluss bei einer juristischen Person nicht zulässig (BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rz. 26). Denn dies würde dazu führen, dass auf die positive Feststellung des Wollenselements bei der juristischen Person verzichtet werden könnte, wenn – was durch die umfassende Wissenszurechnung nach § 166 BGB regelmäßig der Fall ist – bei dieser von sicherem Wissen über alle relevanten Tatsachen auszugehen ist (so BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, Rz. 26).
37Es ist daher erforderlich, aber auch ausreichend, wenn ein entsprechender Wille der juristischen Person aufgrund anderer Tatsachen als dem durch Zurechnung vorhandenen Wissenselement festgestellt werden kann. Hierbei genügt die Feststellung eines faktischen Willens der juristischen Person, auf den durch das arbeitsteilige, planmäßige und nicht nur kurzzeitige Zusammenwirken mehrerer in der juristischen Person organisierten natürlichen Personen zur gemeinsamen Förderung der vermeintlichen Ziele der juristischen Person geschlossen werden kann.
38Zwar wird der Wille der juristischen Person grundsätzlich durch Entscheidung bzw. Beschluss der hierzu berufenen Organe gebildet. Eine solche statuarische Willensbildung kann für das voluntative Element im Rahmen des § 826 BGB aber nicht gefordert werden. Denn ein entsprechender Organbeschluss, der einen auf gesetzeswidriges Handeln gerichteten Willen der juristischen Person entstehen ließe, wäre wegen Verstoßes gegen die Legalitätspflicht (hierzu MüKo-AktG/Spindler, 4. Aufl., § 93 Rn. 74 ff.) in der Regel nichtig. Die Konsequenz wäre, dass eine juristische Person selbst nie einen auf gesetzeswidriges Handeln gerichteten Willen bilden könnte. Dies wäre aber gerade in den Fällen erkennbar zweckwidrig, in denen das gesetzeswidrige Verhalten nicht nur durch Einzelpersonen, sondern gerade durch das planmäßige und arbeitsteilige Zusammenwirken der in der juristischen Person organisierten natürlichen Personen realisiert wird. Denn in solchen Fällen ist das gesetzeswidrige Handeln durch die arbeitsteilige Struktur der juristischen Person zur Erfüllung der von ihr verfolgten Ziele geradezu bedingt.
39Daher muss es im Rahmen des § 826 BGB ausreichen, wenn aufgrund von nicht in der Wissenszurechnung begründeten Tatsachen auf das Vorliegen eines voluntativen Elements der juristischen Person geschlossen werden kann, so wie auch bei natürlichen Personen aufgrund bestimmter Tatsachen (insb. des vorhandenen Wissens) auf einen entsprechenden Willen geschlossen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rz. 26), ohne dass dieser zweifelsfrei festgestellt werden muss.
40Dem steht auch nicht zwingend die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15 entgegen. Denn auch nach dieser Entscheidung kann es für das Verdikt sittenwidrigen Handelns einer juristischen Person ausreichen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Personen unterhalb der Organebene Wissen und Wollen gerichtet auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung hatten. Der Bundesgerichtshof stellte im von ihm entschiedenen Fall lediglich fest, im konkreten Fall gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, welche voluntativen Elemente im Hinblick auf die Schädigung „im Hause der Beklagten“ vorhanden waren oder ob und wie sich diese voluntativen Elemente zu einer „billigenden Inkaufnahme zusammenfügen lassen sollen“ (BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, Rz. 26).
41Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall geht es vorliegend nicht darum, das in der juristischen Person in jeweils unterschiedlichen natürlichen Personen vorhandene Wissens- und Wollenselement durch eine Zurechnung in der juristischen Person „mosaikartig“ zu vereinen und ihr damit in der Summe mehr zuzuschreiben, als in jeder einzelnen der in ihr organisierten natürlichen Personen.
42Bereits nach dem unstreitigen Sachvortrag ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl der in der Beklagten organisierten natürlichen Personen in eigener Person das Wissens- und Wollenselement erfüllt haben, indem sie arbeitsteilig und über einen langen Zeitraum bewusst und planmäßige zur Förderung der (vermeintlichen) Ziele der Beklagten im Rahmen der arbeitsteiligen Organisation zusammengewirkt haben. Denn die Beschäftigten der Beklagten haben in großem personalen und finanziellem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand die aus Sicht der zuständigen Behörde verbotene Abschalteinrichtung entwickelt, mit dem Ziel, die Fahrzeuge an die Endkunden – wie hier die Klägerin – für die Beklagte und ihre Tochterunternehmen gewinnbringend zu veräußern. Bereits aufgrund der unstreitigen Tatsachen sieht es das Gericht als erwiesen an, dass die über einen langen Zeitraum erfolgte Entwicklung und das Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Motorenreihe nur durch planmäßiges und zielgerichtetes Zusammenwirken mehrerer Mitarbeiter der Beklagten ermöglicht wurde. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Abrede, die lediglich darauf verweist, die Vorstandsmitglieder hätten hiervon keine Kenntnis gehabt. Aufgrund dieser Tatsache kann auf einen entsprechenden faktischen Willen der Beklagten geschlossen werden, Fahrzeuge unter Verwendung einer verbotenen Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen und Behörden sowie Endverbraucher darüber zu täuschen, dass die Abweichungen der im NEFZ ermittelten und der im realen Fahrbetrieb entstehenden Abgaswerte bzw. Abgaszusammensetzung nicht durch unzulässige technische Gestaltung verursacht werden.
43b) Dieses vorsätzliche Handeln der Beklagten ist auch sittenwidrig. Denn die Beklagte hat zur Förderung ihrer Absatzzahlen nicht nur die gesetzlichen Vorschriften zur Bestimmung der Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschaltvorrichtung zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen, welches sich insgesamt als sittenwidriges Verhalten darstellt (so im Ergebnis auch LG Arnsberg, Urt. v. 14.06.2017, Az. 1 O 25/17, juris Rz. 52 m. w. N.; LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017, Az. 6 O 119/16, juris Rz. 46; LG Köln, Urt. v. 07.12.207 – 24 O 192/17; LG Heilbronn, Urt. v. 14.03.2018 – 6 O 320/17).
443. Der Feststellung einer daneben tretenden Haftung gem. §§ 826 i.V.m. 31 BGB bedarf es daher nicht. Zwar ist es möglich, dass – soweit ein entsprechender Wille der juristischen Person nicht feststellbar ist – eine hiervon zu unterscheidende Haftung nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB bestehen kann, wenn ein Vertreter der juristischen Person bei Ausübung seiner Organtätigkeit vorsätzlich und sittenwidrig einen Schaden verursacht hat. Da aber bereits feststeht, dass die Beklagte selbst sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB in eigener Person erfüllt hat, bedarf es keiner Feststellung, ob auch ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten i.S.d. § 31 BGB die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB erfüllt hat.
454. Die sittenwidrige Schädigung war auch kausal für die Kaufentscheidung der Klägerin. Bei täuschendem oder manipulativem Verhalten ist es für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.05.1995 – V ZR 34/94, zitiert nach juris). Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass die Klägerin den Wagen gekauft hätte, wenn sie gewusst hätte, dass dieser die beworbenen Abgaswerte angesichts deren allgemein bekannten Bedeutung in mehrfacher Hinsicht (Betriebserlaubnis, Kfz-Steuer, etwaige Fahrverbote bei Nichteinhaltung der Grenzwerte, Umweltfragen) in Wirklichkeit nicht hat.
465. Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten wurde die Klägerin geschädigt. Wird eine Kaufentscheidung durch Täuschung mitherbeigeführt, so liegt bereits ein Schaden vor, wenn der Kaufgegenstand sich für den Käufer als für seine Zwecke nicht voll brauchbar erweist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH, Urt. v. 08.03.2005 – XI ZR 170/04 -, zitiert nach juris, m.w.N.). Im Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02 -, zitiert nach juris, hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit einem Anspruch nach § 826 BGB hervorgehoben: „§ 826 BGB stellt hinsichtlich des Schadens begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter ab: Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung. Der Inhalt der Pflicht zum Ersatz eines solchen Schadens bestimmt sich nach den §§ 249 ff BGB. Danach ist im vorliegenden Fall der in seinem Vertrauen in die Richtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung vom 20.05.1999 enttäuschte Anleger P. im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die für die Veröffentlichung Verantwortlichen ihrer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Mitteilung nachgekommen wären. Da er in diesem Fall – wie festgestellt – die Aktien nicht erworben hätte, kann er nach § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz in Höhe des für den Aktienerwerb aufgewendeten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Rechtspositionen auf die - an dem Erwerbsgeschäft nicht beteiligten – Schädiger verlangen.“ Es kommt in diesem Fall bei der Prüfung, ob ein Schaden vorliegt, gerade nicht darauf an, ob der Preis der erworbenen Kaufsache ihrem objektiven Marktwert entspricht (vgl. auch Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 311 Rz 72). Angesichts der Bedeutung der nicht eingehaltenen Abgaswerte kann es nicht zweifelhaft sein, dass der Wagen sich zum Zeitpunkt des Kaufs als für die Zwecke des Klägers nicht geeignet erwiesen hat. Ein Schaden im normativen Sinne ist demnach eingetreten.
476. Die Beklagte hat der Klägerin demnach einen Betrag in Höhe des Kaufpreises abzüglich des von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteils zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
48Die Nutzungsvorteile sind nach der allgemein anerkannten Formel zu berechnen: Bruttokaufpreis, geteilt durch die voraussichtliche (Rest-)Gesamtlaufleistung bei Kauf mal die vom Käufer gefahrenen Kilometer (s. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. 2017, § 346 Rz 10).
49Die voraussichtliche Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (ebenso für einen W U mit Dieselmotor LG Frankfurt (Oder), Urt. v. 17.07.2017 - 13 O 174/16 -; LG Krefeld, Urt. v. 12.07.2017 - 7 O 159/16; LG Trier, Urt. v. 07.06.2017 - 5 O 298/16). Von der Beauftragung eines Sachverständigen sieht das Gericht nach § 287 ZPO ab, weil auch ein Sachverständiger nur eine eigene, subjektive Schätzung der Gesamtlaufleistung vornehmen könnte. Empirische Studien über die durchschnittliche Laufleistung am Ende der Lebensdauer von Fahrzeugen der streitgegenständlichen Art werden mangels statistischer Erfassung der Fahrleistung zum Ende der Lebensdauer auch dem Sachverständigen nicht vorliegen.
50Die Restlaufzeit beim Kauf betrug damit auf 287.434 km. Die Laufleistung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug 108.414 km, die Klägerin ist mit dem Fahrzeug 95.848 km gefahren. Hieraus ergibt sich folgender, der Beklagten zustehender Nutzungsersatz: 18.500 € geteilt durch 287.434 km mal 95.848 km = 6.169,03 EUR.
51Dieser Betrag ist von dem Kaufpreis in Höhe von 18.500,00 € in Abzug zu bringen, so dass ein Schadensersatzanspruch zur Zeit der mündlichen Verhandlung in Höhe von 12.330,09 EUR verbleibt. Hinzu kommen die Aufwendungen auf das Fahrzeug in Höhe von 1.036,06 EUR sowie die Kosten der Finanzierung in Höhe von 2.323,54 EUR und 952,01 EUR, so dass sich ein Schadensbetrag von 15.605,64 EUR ergibt.
52Ob die Klägerin das Darlehen bereits vollständig vertragsgemäß getilgt hat, ist irrelevant. Denn ansonsten bestünde ein Freistellungsanspruch wegen der noch offen stehenden Darlehensraten, der sich wegen der Weigerung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, gem. § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch verwandelt hätte.
53II. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 286 Abs. 1 S. 1 BGB. Verzug ist mit Ablauf der im Schreiben vom 12.07.2018 gesetzten Zahlungsfrist eingetreten.
54III. Annahmeverzug im Sinne des § 293 BGB ist im Hinblick auf das Schreiben der Klägervertreter vom 12.07.2018 eingetreten. Im Hinblick auf die mit einer Zug-um-Zug-Leistung verbundenen vollstreckungsrechtlichen Anforderungen ist ein entsprechender Feststellungsantrag auch ohne weiteres zulässig.
55IV. Der Zinsanspruch auf den von der Klägerin direkt an das Autohaus geleisteten Betrag von 2.750,00 EUR folgt bis zum Verzugseintritt aus § 849 BGB. § 849 BGB ist auch anwendbar, wenn jemand durch eine unerlaubte Handlung dazu bestimmt worden ist, Geld zu überweisen (BGH, Urt. v. 26.11.2007 – II ZR 167/16). Von der zu verzinsenden Summe ist jedoch jährlich der durch die Nutzungen gezogene Vorteil abzuziehen, weil die Zinspflicht aus § 849 BGB an den zu ersetzenden Betrag anknüpft.
56V. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus § 826 BGB, weil die Klägerin die außergerichtliche Beauftragung der Prozessbevollmächtigten für zweckmäßig und erforderlich halten durfte. Ob die Klägerin die Kosten bereits bezahlt hat, ist irrelevant, weil sich der ansonsten bestehende Freistellungsanspruch durch den Klageabweisungsantrag der Beklagten zu 2) gem. § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch gewandelt hat. Die Kosten sind auf Basis eines Gegenstandswerts bis 16.000,00 EUR ersatzfähig, weil zum Zeitpunkt der Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten ihr Schaden durch die automatisch eintretende Vorteilsanrechnung bereits reduziert war. Es ergibt sich danach ein ersatzfähiger Betrag von 1.029,35 EUR (1,3 x 650 EUR + 20 EUR zzgl. Mehrwertsteuer). Der diesbezügliche Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 2 BGB.
57VI. Der Klageantrag zu 4) ist als Leistungsantrag unzulässig, weil er nicht im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt ist. Er hat keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, weil sich aus ihm weder der jeweilige Betrag, aus dem die Klägerin Zinsen begehrt, noch der Zeitraum für den die Zinspflicht bestehen soll, ergeben. Es genügt nicht, dass sich aus einer Anlage der Gegenstand erschließen ließe. Auch auf den Hinweis der Kammer ist der Antrag nicht bestimmt gefasst worden.
58VII. Der Feststellungsantrag zu 5) - betreffend mögliche Zukunftsschäden - ist unzulässig. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin ist nicht dargetan. Eine Feststellungsklage, mit der die Ersatzpflicht für reine Vermögensschäden festgestellt werden soll, ist nach ständiger Rechtsprechung nur zulässig, wenn zumindest die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines weiteren auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts besteht. Die Klägerin muss die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts substantiiert dartun. Dies ist hier nicht erfolgt. Alleine die pauschale Behauptung, steuerliche Schäden drohten möglicherweise ist zur substantiierten Behauptung eines drohenden Schadens nicht ausreichend.
59VIII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 S. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
60Streitwert: 22.811,61 EUR