Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1. Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines Fahrrads als Werk der angewandten Kunst. Im Streitfall hat die Kammer die Schutzfähigkeit angenommen.
2. Zur im Streitfall fehlenden Übernahme schutzbegründender Gestaltungsmerkmale angesichts abweichender Gesamteindrücke.
3. Im Streitfall auch keine Ansprüche aus wettbewerblichem Leistungsschutz nach dem UWG oder aus einem eingetragenen Design.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein im Bereich der Entwicklung und des Vertriebs von Kompaktfahrrädern tätiges Unternehmen. Ihre Fahrräder werden unter der Marke „T.“ im Verkehr angeboten. Die Klägerin wurde im August 2019 durch Übertragung des einzelkaufmännischen Unternehmens von Herrn B. P. gegründet.
3Die Klägerin ist Inhaber eines eingetragenen deutschen Designs (DE N01), das Grundlage des „herkömmlichen“ Fahrrads
4 5ist. Dieses Rad ist jedenfalls seit 2008 auf dem Markt.
6Sie bietet außerdem ein E-Bike wie folgt an:
7.
8Daneben bietet sie noch weitere Ausführungen an (siehe Bl. 7 GA), die hier nicht streitgegenständlich sind.
9Die Beklagte ist eine Fahrradproduzentin, die beispielsweise Räder unter eigenen Marken herstellt und vertreibt. Daneben hat die Beklagte auch fremde Marken einlizensiert. Sie vertreibt seit 2022 ein Kompaktrad unter der Bezeichnung „K.“ (im Antrag eingeblendet).
10Die Parteien standen bis Ende 2021 in einem Lizenzvertragsverhältnis. Die Beklagte hatte am 24. Januar 2013 mit dem seinerzeit noch als Einzelunternehmer tätigen B. P. einen Lizenzvertrag abgeschlossen, in dessen Rahmen der Beklagten das exklusive Recht eingeräumt worden war, das im Lizenzvertrag beschriebene T.-Kompaktrad sowohl ohne als auch mit Elektroantrieb herzustellen und zu vertreiben (Anlage B1).
11Die Beklagte war auf Grundlage des o.g. Vertrags für Deutschland exklusive Lizenznehmerin für die Herstellung und den Vertrieb der T.-Standardmodelle sowie der T.-E-Bikes. Die Beklagte produzierte und vertrieb das T.-Kompaktrad von 2013 bis 2021. Am 5. November 2020 sprach die Klägerin gegenüber der Beklagten die ordentliche Kündigung des Lizenzvertrages vom 24. Januar 2013 aus, mit der Folge, dass dieser am 31. Dezember 2021 endete. Seit 2022 werden Räder der Marke „T.“ unmittelbar durch die Klägerin hergestellt und vertrieben.
12Die „T.“-Fahrräder der Klägerin waren Gegenstand von vielfältiger öffentlicher Berichterstattung (siehe Bl. 11 ff. GA). Dabei wird teilweise Herr P. als Entwickler genannt (Bl. 14, 15 GA). Auch die „K.“-Fahrräder waren Gegenstand von Berichterstattung, konkret auch im Vergleich zu den „T.“-Fahrrädern (siehe Bl. 127 GA).
13Mit Schreiben vom 27.12.2021 forderte die Klägerin die Beklagte auf, es zu unterlassen die im Klageantrag zu 1. bezeichneten Handlungen vorzunehmen und, unter Fristsetzung bis zum 06.01.2022, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung zu unterzeichnen. Die Beklagte ist der Aufforderung nicht nachgekommen. Sie ist vielmehr der Auffassung, das klägerische Design sei vorbekannt gewesen und daher löschungsreif.
14Die Klägerin behauptet, dass Entwickler des Rahmendesigns der klägerischen Fahrräder Herr B. P. sei, dem daran gelegen gewesen sei, „seinem“ Kompaktrad eine individuelle, von dem vorbekannten Formenschatz abweichende Gestaltung zu geben. Sie verweist darauf, dass der Zeuge P. in verschiedenen Rezensionen explizit als „Entwickler“ oder „Erfinder“ des „T.“ Kompaktrades genannt wird. Herr P. habe neben dem o.g. Design auch sämtliche sonstigen Rechte, z.B. aus dem Urheberrecht sowie dem ergänzenden Leistungsschutz an die Klägerin übertragen.
15Sie behauptet ferner, dass im Jahr 2008 das Kompaktrad „T.“ auf der Leitmesse der Fahrradbranche – der Eurobike in W. – in der bis dahin unbekannten Fahrrad-Kategorie „Kompaktrad“ vorgestellt worden sei und in gleich zwei Kategorien einen Siegerpreis („Eurobike-Award“) erhalten habe.
16Die Klägerin trägt zum Rahmendesign ihrer Fahrräder wie folgt vor:
17Es handele sich um ein einzigartiges Rahmendesign, das sie als „Treppendesign“ bezeichnet. Das „Treppendesign“ lasse sich wie folgt beschreiben.
18Das sogenannte Sitzrohr und das sogenannte Steuerrohr sind parallel zueinander ausgerichtet.
Zwischen dem Sitzrohr und dem Unterrohr sowie zwischen dem Steuerrohr und dem Unterrohr sind jeweils Querstreben eingepasst, die ebenfalls parallel zueinander sind.
Die Querstrebe zwischen Sitzrohr und Unterrohr befindet sich kurz über den Pedalen.
Die Querstrebe zwischen Unterrohr und Steuerrohr ist höher angebracht, sodass eine „Treppenoptik“ entsteht.
Zudem ergeben sich aus dieser Anordnung zwei in einem 180-Grad-Winkel zueinanderstehende Dreiecke bzw. Fenster, die über eine identische Fläche verfügen.
Die optische Wirkung des Treppendesigns wird noch verstärket durch das Aufeinandertreffen mehrere Dreiecke, nämlich der oben schon gekennzeichneten Dreiecke zusammen mit dem Dreieck im sogenannten Hinterbau.
Im Vergleich zum Marktumfeld sei das „T.“-Design zunächst einmalig gewesen. Im Laufe der Zeit habe es mehrere Nachahmer in der Kategorie der Kompakträder gegeben, die aber nicht die o.g. Treppenoptik übernommen hätten (siehe etwa Bl. 19 – 21).
26Die Gestaltung der klägerischen Fahrradrahmen, v.a. das Treppendesign, seien nicht technisch bedingt. Die erforderliche Stabilität zwischen Sitzrohr, Unterrohr und Steuerrohr könne auf verschiedenste Weise erreicht werden. Durch die Vielzahl an Kompakträdern, die lediglich eine Querverbindung zwischen Unterrohr und Steuerrohr aufweisen, werde belegt, dass eine zweite Querverbindung zwischen Sitzrohr und Unterrohr technisch überhaupt nicht erforderlich ist. Eine Querverbindung in der Form des hier streitgegenständlichen „Treppendesigns“ sei jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht nicht die einzige Möglichkeit zur Herstellung der erforderlichen Stabilität. Dem Entwickler N. habe trotz der technischen Erfordernisse ein hinreichender Spielraum zur Verfügung gestanden, um dem „T.“ Kompaktrad seine persönliche Note zu verleihen.
27Das Fahrradmodell der Beklagten „K.“ übernehme das Treppendesign nahezu identisch, wobei die Klägerin folgende Gegenüberstellung vornimmt:
28 29Beklagte Klägerin
30Übernahmen lägen vor:
31in der Lage der Querstreben
in ihrer Parallelität der Lenkradstange zu der Sitzrohrstange
in ihrer Anbindung an benachbarte Rohre
in der Parallelität von Sitzrohr und Steuerrohr
bezüglich der nahezu untereinander jeweils identischen Größe von vorderem und hinterem „kleinen“ Fenster sowie
bezüglich der Anbringungsposition des Akkus.
Die Klägerin macht primär urheberrechtliche Ansprüche geltend. Hilfsweise stützt sie sich auf lauterkeitsrechtliche Ansprüche, weiter hilfsweise auf Ansprüche aus einem eingetragenen Design.
39Das Fahrradrahmendesign der Klägerin sei ein Werk der Gebrauchskunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG. Die Beklagte greife in das Vertriebsrecht der Klägerin nach § 17 UrhG ein.
40Der Vertrieb durch die Beklagte stelle außerdem eine unlautere Nachahmung dar. Das Design der Klägerin verfüge über wettbewerbliche Eigenart, wozu auf die öffentliche Berichterstattung verwiesen wird. Es liege eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft vor, weil der Verkehr nicht vom Vorhandensein von Nachbildungen ausgehe. Das Verhalten der Beklagten sei des Weiteren unter dem Gesichtspunkt der Rufausbeutung unlauter. Jedenfalls liege aber eine unangemessene Rufübertragung vor.
41Die Klägerin beantragt,
421. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zum 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs, zu unterlassen, ohne die Einwilligung der Klägerin im Geschäftsverkehr ein 20“ Kompaktrad zu bewerben, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und solche Handlungen vornehmen zu lassen, wenn dies geschieht wie nachfolgend wiedergegeben:
43 442. Die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, hinsichtlich der im geschäftlichen Verkehr angebotenen und vertriebenen Kompakträder gem. Ziffer 1 und zwar über
45a) Namen und Anschrift des Herstellers und/oder des/der Lieferanten
46b) Namen und Anschrift sonstiger Vorbesitzer
47c) Namen und Anschrift der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellern
48d) Menge der eingeführten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Vertriebsstücke gem. Ziffer 1
49e) Angebots- und Lieferzeiten sowie Angebots- und Lieferpreise
50f) Marketingaufwendungen, geschlüsselt nach Werbeträgern (Print und Online), sowie nach Monaten, einschließlich Bekanntgabe von Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum, Verbreitungsgebiet und Empfänger, bei Onlinewerbung auch aufgeschlüsselt nach AIs bzw. nach PIs
51g) Die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten, dem erzielten Umsatz und dem erzielten Gewinn.
523. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der ihr aus Handlungen gem. Ziff. 1 entstanden ist und/oder noch entstehen wird.
53Die Klägerin stellt dabei die Ansprüche in folgende Reihenfolge: primär auf die §§ 97, 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG, hilfsweise auf § 8 Abs. 1 S. 1, 3 UWG i.V.m. § 4 Nr. 3 UWG und hilfs-hilfsweise auf § 42 Designgesetz. Innerhalb des primär geltend gemachten urheberrechtlichen Anspruchs, stützt sich die Klägerin hauptsächlich auf das Modell des klägerischen Fahrrades aus 2008, hilfsweise auf das zur Akte gereichte Modell mit Elektromotor.
54Der Beklagte beantragt,
55die Klage abzuweisen.
56Die Beklagte behauptet, dass die Beliebtheit des „Kompaktrads“ bereits Anfang der 2000er Jahre und vor Entwicklung des klägerischen Modells einen Schub erfahren habe, als der Hersteller X. sein Modell „L. V.“ entwickelte und es im Jahr 2005 auf den Markt brachte (siehe Fotos Bl. 110). Mittlerweile würden 20-Zoll-Fahrräder in Deutschland und international von nahezu allen namhaften Marktteilnehmern vertrieben (siehe Bl. 111 und Anlage B3, siehe auch Bl. 310 ff.). Sie meint insoweit, alle Modelle wiesen einen weitgehend übereinstimmenden Gesamteindruck auf.
57Gestaltungen von Fahrrädern im Allgemeinen mit niedrigem Einstieg und Querverbindungen zwischen Steuerrohr und Unterrohr zwischen dem Unterrohr und Sitzrohr seien seit vielen Jahren bekannt, was etwa das Damenfahrrad „I. R.“ der Beklagten aus dem Jahr 2000 zeige (siehe Foto Bl. 116).
58Alle von der Klägerin als prägend beschriebenen Merkmale ihrer Rahmengestaltung seien durch andere Kompakträder konkurrierender Hersteller aus den Jahren 2005 – 2006 vorbekannt (siehe Fotos auf Bl. 116 – 119). Sie behauptet, insbesondere das Modell D. Compact 2006, das im Jahr 2006 auf den Markt gekommen sei, weise eine identische Rahmenkonstruktion auf. Bei der Gestaltung des T.-Kompaktrades seien die auf dem Markt bekannten Gestaltungen von Rohren und Querverbindungen lediglich leicht variiert worden.
59Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass die Gestaltung des T.-Kompaktradrahmens dem konkreten „schöpferisch-künstlerischen Schaffen“ von Herrn P. entstammt.
60Sie meint, die Rahmengestaltung sei nicht urheberrechtlich schutzfähig. Es mangele an einer „künstlerischen Leistung“ im Sinne der „Geburtstagszug“-Rechtsprechung des BGH (GRUR 2014, 175). Was die Klägerin als „Treppendesign“ bezeichnet, sei eine denkbar simple und bei Fahrrädern mit niedrigem Einstieg (Damenräder, Klappräder, Falträder, Kompakträder) besonders naheliegende Rohrkonstruktion, mit welcher bei möglichst geringem Materialaufwand eine möglichst große Stabilität erzielt werde. Der rein technischen Notwendigkeit nach Stabilität zwischen Steuer- und Unterrohr sowie zwischen Unter- und Sitzrohr komme das T.-Kompaktrad der Klägerin durch schlichte geschweißte Querverbindungen sowohl zwischen dem Steuerrohr und dem Unterrohr als auch zwischen dem Unterrohr und dem Sitzrohr nach. Allein die Tatsache, dass es andere Möglichkeiten gebe, um dem Rahmen eines Kompaktrades Stabilität zu verleihen, mache die Rahmenkonstruktion des T.-Kompaktrades bei Weitem nicht zu einer künstlerischen Leistung.
61Die Beklagte ist der Ansicht, alle Merkmale des klägerischen Fahrradrahmens seien technisch bedingt und stünden demnach einem Urheberrechtsschutz entgegen. Die konkrete Anordnung der Rohr- und Querverbindungen habe ausschließlich einen technischen Hintergrund.
62Selbst wenn Urheberrechtsschutz bestünde, so wäre der Schutzumfang als sehr gering anzunehmen. Die Unterschiede zwischen den beiden Fahrradmodellen führten bereits aus dem Schutzbereich heraus.
63Das K.-Kompaktrad der Beklagten weise grundlegende Gestaltungsunterschiede auf. Es handele sich um eine vollkommen eigenständige Neugestaltung. Gerade die von der Klägerin als für das T.-Kompaktrad charakteristisch bezeichneten Merkmale, insbesondere die horizontalen Querverbindungen und die deckungsgleichen Dreiecksformen seien bei dem K.-Kompaktrad der Beklagten nicht vorhanden (siehe Gegenüberstellungen auf Bl. 122 ff.). Unstreitig sind weder die Verbindung zwischen Sitzrohr und Unterrohr noch zwischen Unterrohr und Steuerrohr waagerecht angeordnet, sondern sie steigen jeweils nach vorn an. Der lichte Raum bei der Verbindung zwischen Sitzrohr und Unterrohr ist nicht als ein Dreieck ausgeformt ist, sondern als ein flaches Rechteck, welcher dem Benutzer als ergonomischer, integrierter Griff diene. Die hintere Sitzstrebe bei dem K.-Kompaktrad der Beklagten ist abgeknickt und verläuft in ihrem oberen Teil in einer Flucht zu den beiden vorderen Querverbindungen. Demnach seien die von der Klägerin herausgestellten Merkmale durch eigene, ebenfalls markante Gestaltungen ersetzt worden. Außerdem besteht das gesamte Unterrohr bei dem K.-Kompaktrad der Beklagten aus einem einzigen Gussteil mit fließender Formensprache und einem eckigen Querschnitt – im Gegensatz zu der aus klassischen Halbzeugen (einfachen Rundrohren) zusammengeschweißten Rahmenform des T.-Kompaktrades.
64Die vergleichende Berichterstattung über die beiden streitgegenständlichen Kompakträder belege den unterschiedlichen Gesamteindruck auch beim (Fach-) Publikum.
65Es mangele an einer Designrechtsverletzung, weil das Design der Klägerin löschungsreif sei. Es sei insbesondere nicht neu gemäß § 2 Abs. 1 und 2 DesignG.
66Mit Blick auf Ansprüche aus § 4 Nr. 3 UWG fehle es an der wettbewerblichen Eigenart, weil das T.-Kompaktrad der Klägerin sich nicht von anderen auf dem Markt befindlichen Kompakträdern abhebe. Angesichts des dichten Marktumfeldes könne der Verbraucher allein anhand der Formgestaltung des T.-Kompaktrades keine Herkunftsvorstellung entwickeln. Eine Herkunftstäuschung scheide wegen der eindeutigen und offensichtlichen Markennutzung bei der Beklagten aus.
67Entscheidungsgründe:
68Die zulässige Klage ist unbegründet.
691. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Köln örtlich zuständig. Für urheberrechtliche Ansprüche folgt dies (auch) aus § 32 ZPO, weil der Vertrieb der angegriffenen Fahrräder durch die Beklagte unstreitig bundesweit und damit auch im hiesigen Gerichtsbezirk erfolgt. Im Übrigen folgt die Zuständigkeit des Gerichts auch aus § 39 S. 1 ZPO, deshalb sind Ausführungen zu den Zuständigkeitsregeln des UWG und des Designgesetzes vorliegend entbehrlich.
70Die Klage ist auch hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es erfolgte die Klarstellung der eventualen Klagehäufung der im Klageantrag zu 1) geltend gemachten Anspruchsgründe (vgl. BGH GRUR 2011, 521 – TÜV I; GRUR 2011, 1043 – TÜV II).
712. Begründetheit
72Die Klage hat unter keinem der zur Prüfung gestellten Anspruchsgründe Erfolg.
73a) Antrag 1) – gestützt auf Urheberrecht, wobei das Modell aus dem Jahr 2008 den Schutzgegenstand darstellt:
74Ein Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1, 15, 16, 17, 23, 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG besteht nicht.
75aa) Bei dem klägerischen Fahrradmodell in Form der Designanmeldung im Jahr 2008 ohne elektrische Unterstützung handelt es sich um ein Werk der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.
76(1) Die Kammer hat hierzu kürzlich (Urteil der Kammer vom 23.02.2023, Az. 14 O 39/22) wie folgt ausgeführt:
77„a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 15 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 = WRP 2021, 1461 – Zugangsrecht des Architekten, mwN). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 41 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 – Zugangsrecht des Architekten; BGH, GRUR 2022, 899, 902 Rn. 28 – Porsche 911).
78b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks (…). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 36 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 = WRP 2020, 1006 – Brompton Bicycle). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 30 f. – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 23 f. – Brompton Bicycle). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 37 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 – Brompton Bicycle). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 32 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 25 – Brompton Bicycle), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 40 – Levola Hengelo).
79c) Hiermit steht im Einklang, dass bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 143/12, BGHZ 199, 52 [juris Rn. 26] - Geburtstagszug).
80aa) Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist lediglich der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 15 – Vitrinenleuchte). Eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe führt zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes (BGH, GRUR 2014, 175 [179, Rn. 41] – Geburtstagszug, mwN).
81bb) Die Kammer geht dabei davon aus, dass mit der Geburtstagszug-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 175 [177, Rn. 26] – Geburtstagszug) jedenfalls eine Absenkung der Schutzuntergrenze bei Werken der angewandten Kunst dergestalt einhergeht, dass keine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe mehr verlangt wird (…)
82f) Ob den Anforderungen, die an schutzfähige Werke zu stellen sind, im Einzelfall genügt ist, bleibt weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BGH, Urteil vom 27. Januar 1983 - I ZR 177/80, GRUR 1983, 377 [juris Rn. 15] = WRP 1983, 484 - Brombeer-Muster; Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 [juris Rn. 27] - Le Corbusier-Möbel; Urteil vom 22. Juni 1995 - I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 [juris Rn. 13] = WRP 1995, 908 - Silberdistel).
83Dabei sind sämtliche Einzelfallumstände zu berücksichtigen, wobei die Klägerseite die Darlegungslast dafür trägt, dass [die Fahrradmodelle, nur hier angepasst auf den Einzelfall] über individuelle Gestaltungsmerkmale verfügen, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen können. Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 [juris Rn. 23 f.] – Seilzirkus; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 21 – Vitrinenleuchte).
84g) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn die bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.
85Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).
86h) Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).
87Soweit postuliert wird, über technische Erwägungen (im engeren Sinne) hinaus seien auch jegliche funktional oder sachzweckbezogen determinierten Gestaltungsentscheidungen vom Urheberrechtsschutz auszuklammern ([Privatgutachten im Verfahren…]; Grünberger, ZUM 2020, 175, 180 f.), kann dem nicht gefolgt werden. Diese Interpretation lässt sich der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht entnehmen. Vielmehr ist der Ausschluss vom Urheberrechtsschutz auf ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingte Formen beschränkt (EuGH, GRUR2020, 736, 738, Rn. 33 -- Brompton Bicycle):
88„Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig.“
89Gestützt wird dieses enge Verständnis, wonach Urheberrechtsschutz lediglich dann ausgeschlossen ist, wenn ausschließlich technische Funktionen für die Gestaltung maßgeblich waren, durch den Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung:
90„Where the shape of the product is solely dictated by its technical function, that product cannot be covered by copyright protection.“
91„Dans le cas où la forme du produit est uniquement dictée par sa fonction technique, ledit produit ne pourrait relever de la protection au titre du droit d’auteur.“
92Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Gebrauchszweck nicht vollkommen ausgeschlossen sein, der ästhetische Gehalt noch nicht einmal überwiegen muss (vgl. Kreile, ZUM 2023, 1, 4). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit besteht vielmehr auch bei einem überwiegenden Gebrauchszweck und kann auch etwa dann gegeben sein, wenn der ästhetische Gehalt in die ihrem Zwecke gemäß – in klarer Linienführung ohne schmückendes Beiwerk – gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (BGH, GRUR 2012, 58, 60, Rn. 22 – Seilzirkus). So hat auch bereits das Reichsgericht dafürgehalten, dass Schöpfungen zu praktischen Zwecken nicht vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen sind (RG, Urteil vom 30. Juni 1928 – I 29/28 –, RGZ 121, 357, 358). Zu den Werken der bildenden Kunst zählt jede Gestaltung, in der eine eigenpersönliche geistige Schöpfung sichtbar wird, ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient (RGZ 124, 68, 72 – Besteckmuster). Sachzweckbezogene Erwägungen im Gestaltungsprozess stehen dem Erreichen der relevanten Schutzschwelle daher nicht entgegen. Funktionale Sachzweckbezogenheit kann technischer Bedingtheit von Gestaltungsmerkmalen nicht gleichgesetzt werden. Vom Schöpfer ausgewählten Gestaltungselementen ist in der Konsequenz auch dann der urheberrechtliche Schutz nicht zu versagen, wenn deren Auswahl von der rationellen Umsetzung einer funktionalen Zielsetzung geprägt ist. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsmöglichkeit und der damit verbundene Ausschluss anderer Gestaltungsmöglichkeiten kann bereits eine schöpferische Leistung darstellen. Der Schöpfer besitzt nämlich die prinzipielle Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, auch eine abweichende Gestaltung und Ausführung zu wählen. In einem solchen Fall besteht kein Zwang zu einer bestimmten Gestaltung und damit auch keine Einschränkung des Gestaltungsspielraums (vgl. [Privatgutachten im Verfahren…]). Dies gilt selbst dann, wenn mit einer abweichenden Ausführung eine Modifizierung eines selbstgewählten Gestaltungsziels verbunden wäre.
93Die Aussage des EuGH, „[…] dass der Umstand, dass Modelle […] über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, es nicht rechtfertigen [könne], solche Modelle als ,Werke` [...] einzustufen" (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. - Cofemel), kann deshalb nur so verstanden werden, dass allein das Vorhandensein besonders markanter, visueller Effekte für sich genommen die Feststellung von Originalität nicht erlaubt (vgl. [Privatgutachten im Verfahren…]). Das Konzept der Gebrauchskunst beruht vielmehr gerade darauf, dass Dinge geschaffen werden, die gleichermaßen zweckgerichtet gebrauchstauglich und künstlerisch sind. Der künstlerische Aspekt schränkt die Zweckdienlichkeit dabei nicht ein. Eine Antithese zwischen der Nützlichkeit für einen bestimmten Gebrauchszweck und ästhetischer Schönheit ist daher nicht zielführend. Denn ein Werk der Gebrauchskunst verliert diesen Charakter nicht durch seine funktionellen Eigenschaften.
94i) Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der Urheber als Anspruchsteller genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten – konkreten Gestaltungselemente – präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III; abweichend wohl Hartwig, GRUR 2022, 1023, 1025). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen. Der Urheber trägt im vorliegenden Zusammenhang also die Darlegungs- und Beweislast nur für die grundsätzliche Behauptung, dass die Schöpfung neuartig war. Für Entgegenhaltungen aus dem allgemeinen Formenschatz trägt dann im Folgenden derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der behauptet, dass die Schöpfung keinen Urheberrechtsschutz beanspruchen kann.
95j) Eine subjektive Absicht des Urhebers, künstlerisch tätig zu werden, ist darüber hinaus nicht notwendig. (…)
96Demnach ist auch der Gestaltungsspielraum des Schöpfers objektiv zu bestimmen und richtet sich nicht nach einer jederzeit abänderlichen Zielvorstellung oder Zwecksetzung. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsform engt die schöpferische Leistung nicht ein, sondern kann jederzeit modifiziert werden. (…)“
97(2) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin hinreichend vorgetragen. Sie hat ihr Fahrradmodell (bzw. die Entwicklung des Herrn N.) dargestellt, vorgelegt und die Besonderheit (das sog. „Treppendesign“) herausgearbeitet. Sie hat zur Substantiierung ihres Vortrags ein Parteigutachten vorgelegt. Dies genügt zunächst für einen schlüssigen Vortrag zur Schutzfähigkeit.
98Im Gegenzug hat die Beklagte ausführlich das Marktumfeld und Einwände gegen die Neuheit des klägerischen Modells vorgetragen. Dies hat sie ausführlich durch Verweis auf zeitlich vorgelagerte Modelle (siehe Bl. 110 & 116 ff. GA) zum klägerischen Modell getan. Dabei sind nach Einschätzung der Kammer die X.-Modelle aus 2005
99 100 101hinreichend verschieden. Während das X.-Rad im Rahmen von einem „seitlichen X“ Design geprägt wird, hat das klägerische Modell das von ihr als „Treppendesign“ herausgearbeitete Querstrebenkonzept, das auch durch die horizontale Aneinanderreihung von verschieden großen Dreiecken geprägt wird.
102Auch die anderen zwei – unstreitig – im Jahr 2005 erschienenen Räder
103&
104erscheinen der Kammer andersartig, weil hier die beiden Querstreben im Vergleich zum „T.“ der Klägerin versetzt angeordnet sind, d.h. jene zwischen Sitz- und Unterrohr ist weiter oben als die zwischen Unter- und Steuerrohr.
105Einen durchaus ähnlichen Gesamteindruck erkennt die Kammer zwar bei dem folgenden Vergleich:
106 107An dieser Stelle hat die Klägerin allerdings ausdrücklich bestritten, dass das D.-Rad im Jahr 2006 erschienen sei. Die insoweit belastete Beklagte hat dazu jedoch keinen Beweis angeboten und auch das Erscheinungsjahr nicht durch Vorlage eines Katalogs o.Ä. substantiiert. Es kann deshalb dahinstehen, ob das D. Modell dem Urheberrechtsschutz entgegen stehen könnte.
108Außerhalb der „Kompaktfahrrad“-Klasse legt die Beklagte noch folgendes Damenradmodell aus dem Jahr 2000, was unbestritten geblieben ist, vor:
109 110Unabhängig von der andersartigen Größe der Räder zeigt hier nach Einschätzung der Kammer auch die Rahmengestaltung einen erheblich anderen Gesamteindruck zum klägerischen Modell.
111(3) Eine technische Bedingtheit der Rahmengestaltung, die einem Schutz als Werk der angewandten Kunst ausschließen würde, erkennt die Kammer nach den oben ausführlich dargelegten abstrakten Ausführungen nicht. Dass im Bereich der Fahrradrahmengestaltung verschiedene Gestaltungen möglich sind, ist zum einen allgemein bekannt, wird aber auch im hiesigen Sach- und Streitstand konkret für den Bereich der Kompakträder deutlich gemacht. Natürlich müssen Fahrradrahmen die nötige Stabilität aufweisen. Sie sollen dabei auch ggf. materialsparend sein. Diese technischen Anforderungen werden aber durch verschiedenste Art und Weise bewerkstelligt (so auch im Ergebnis das Gutachten in Anlage K1). Ganz maßgeblich für die Beurteilung von Fahrrädern ist jedoch das „Design“, also die ästhetische Gestaltung des Rades insgesamt und des Rahmens als prägender Bestandteil des Fahrrads. So dürfte auch für den Käufer eines Fahrrads neben den technischen Spezifikationen (Art und Größe des Rads, Anzahl der Gänge, Art der Bremse etc.) häufig das Aussehen des Fahrrads ganz entscheidender Faktor bei der Kaufentscheidung sein.
112Insofern mögen die Abweichungen in den Rahmengestaltungen des Marktumfelds (gleich ob prioritär zum Klägermodell oder nachgehend) zwar teilweise geringfügig sein, sie sind aber klar erkennbar (siehe nur die Vergleiche oben). Allein dies indiziert einen gewissen gestalterischen Freiraum. Dieser wurde hier vom Schöpfer auch vermuteter Weise genutzt, denn es ist weder technisch zwingend, noch ein zufälliges Ergebnis der Herstellung, dass das Fahrrad der Klägerin seine konkrete Form und Gestaltung aufweist. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt, sondern im Gegenteil durch Darstellung des Marktumfeldes noch bekräftigt.
113(4) Allerdings ist der Schutzbereich des klägerischen Werks als nur sehr eng anzusehen (vgl. BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 25 – Vitrinenleuchte). Da sowohl die oben geschilderten Schutzanforderungen relativ gering, als auch die gestalterischen Freiräume sehr eng sind und insoweit auch ein gewisses Freihaltebedürfnis für weitere Gestaltungen besteht, kann das Werk der Klägerin nur identische und sehr ähnliche Gestaltungen erfassen. Dies wird nachfolgend bei der Frage der Übernahme noch von Bedeutung sein.
114bb) Die Kammer geht nach dem Sach- und Streitstand von der Aktivlegitimation der Klägerin aus. Dass Herr N. die klägerische Gestaltung erschaffen hat, wird zwar seitens der Beklagten bestritten. Angesichts der Vorgeschichte der Parteien, bzw. konkret der Beklagten und Herrn N. persönlich, sowie der einhelligen Entwicklernennung des Herrn N. in der Öffentlichkeit hält die Kammer das Bestreiten der Beklagten insoweit für unerheblich. So ist unstreitig, dass die Beklagte von Herrn N. persönlich die Rechte für den Vertrieb einlizensiert hat. In dieser Zeit hat sie die Aktivlegitimation des Herrn N. offenbar nie gerügt. Auch wurde die Entwicklereigenschaft des Herrn N. in der Öffentlichkeit nie in Zweifel gezogen bzw. hat sich jemand anderes der Entwicklung berühmt, was bei dem selbst vom Beklagten vorgetragenen Erfolg der Fahrradmarke „T.“ jedoch zu erwarten wäre.
115Auch der Rechteübergang auf die Klägerin kann nicht unqualifiziert bestritten werden. Auch insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin in die Rechtsposition des Herrn N. eingetreten ist und sodann auch Kündigungen gegenüber der Beklagten erfolgt sind. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihre lizenzvertraglichen Verpflichtungen auch gegenüber der Beklagten erfüllt hat.
116cc) Es mangelt jedoch an der Übernahme individueller Gestaltungsmerkmale durch die Beklagte bzw. an einem Eingriff in den Schutzbereich des klägerischen Werks.
117Kürzlich hat die Kammer in einer ähnlich gelagerten Sache (Urteil der Kammer vom 25.05.2023, Az. 14 O 83/23) hierzu wie folgt ausgeführt:
118„I. Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 27 – Vitrinenleuchte).
119Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).
120Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).
121Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).
122II. Die Kammer interpretiert dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so, dass – ungeachtet des Wortlauts von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG n.F. – ein Bereich existiert, der außerhalb des Schutzbereichs des älteren Werks liegt, obwohl die neue Gestaltung ihrerseits nicht die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk erfüllt. Dann liegt weder eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG, noch eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor. Maßgeblich ist allein, ob der jeweilige Gesamteindruck voneinander abweicht. Eine hinreichende Abweichung liegt dann vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, ohne dass es noch auf die Werkqualität der neuen Gestaltung ankäme (kritisch: Peifer, GRUR 2022, 967, 969; Stieper, GRUR 2023, 575, 576 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Formulierungen in BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 f. – Porsche 911, einerseits und BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 28 f. – Vitrinenleuchte, andererseits voneinander abweichen).“
123Nach diesen Grundsätzen liegt hier weder eine Vervielfältigung, noch eine (unfreie) Bearbeitung des klägerischen Fahrradmodells.
124Die objektiven Merkmale der schöpferischen Eigentümlichkeit des nachfolgend eingeblendeten klägerischen Werks
125.
126sind nach ihrem Vortrag folgende:
1271. Das sogenannte Sitzrohr und das sogenannte Steuerrohr sind parallel zueinander ausgerichtet.
1282. Zwischen dem Sitzrohr und dem Unterrohr sowie zwischen dem Steuerrohr und dem Unterrohr sind jeweils Querstreben eingepasst, die ebenfalls parallel zueinander sind.
1293. Die Querstrebe zwischen Sitzrohr und Unterrohr befindet sich kurz über den Pedalen.
1304. Die Querstrebe zwischen Unterrohr und Steuerrohr ist höher angebracht, sodass eine „Treppenoptik“ entsteht.
1315. Zudem ergeben sich aus dieser Anordnung zwei in einem 180-Grad-Winkel zueinanderstehende Dreiecke bzw. Fenster, die über eine identische Fläche verfügen.
1326. Die optische Wirkung des Treppendesigns wird noch verstärket durch das Aufeinandertreffen mehrere Dreiecke, nämlich der oben schon gekennzeichneten Dreiecke zusammen mit dem Dreieck im sogenannten Hinterbau.
133Das nachfolgend eingeblendete angegriffene Fahrrad
134 135weist dabei ersichtlich Übereinstimmungen in den oben genannten Punkten 1. – 3. auf. Der vierte Punkt stimmt auch teilweise überein, wobei bei der Beklagten die Querstrebe höher in Richtung Lenker angebracht ist, sodass sich ein „kleineres Dreieck“ ergibt. Die Punkte 5. & 6. stimmen allerdings nicht überein, weil das Beklagtenmodell nur über ein Dreieck unter dem Lenker verfügt.
136Die Beklagte weist auf folgende weitere (unstreitigen) Unterschiede hin:
137die Verbindung zwischen Sitzrohr und Unterrohr bzw. zwischen Unterrohr und Steuerrohr sind nicht waagerecht angeordnet, sondern sie steigen jeweils nach vorn an.
Der lichte Raum bei der Verbindung zwischen Sitzrohr und Unterrohr ist nicht als ein Dreieck ausgeformt ist, sondern als ein flaches Rechteck, welcher dem Benutzer als ergonomischer, integrierter Griff dient (vgl. dazu Punkt 5. der Klägerin).
Die hintere Sitzstrebe bei dem K.-Kompaktrad der Beklagten ist abgeknickt und verläuft in ihrem oberen Teil in einer Flucht zu den beiden vorderen Querverbindungen (vgl. dazu Punkt 6. der Klägerin).
Außerdem besteht das gesamte Unterrohr bei dem K.-Kompaktrad der Beklagten aus einem einzigen Gussteil mit fließender Formensprache und einem eckigen Querschnitt – im Gegensatz zu der aus klassischen Halbzeugen (einfachen Rundrohren) zusammengeschweißten Rahmenform des T.-Kompaktrades.
Auf dieser Grundlage erzeugen die beiden Fahrräder zur Überzeugung der Kammer trotz der Übernahme von drei Gestaltungselementen des Klägermodells (s.o. Punkte 1. – 3) und eines weiteren Gestaltungsmerkmals in teilweisem Maße (s.o. Punkt 4.) unterschiedliche Gesamteindrücke. Jedenfalls liegt nach Ansicht der Kammer keine unmittelbare Vervielfältigung vor, weil trotz der erkennbaren Übereinstimmungen die Unterschiede beim Beklagtenmodell zu auffällig und markant sind, als dass man hier von einer „nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage“ im Sinne der oben zitierten BGH-Rechtsprechung ausgehen könnte. Vor allem die Abweichung der beim Klägermodell dominierenden drei Dreiecksformen führt nach Erachten der Kammer aus dem Bereich der bloßen Vervielfältigung heraus. Dies allein schon deshalb, weil beim Modell der Beklagten faktisch nur ein einziges Dreieck erkennbar ist.
143Demnach kommt es darauf an, ob es sich bei dem Beklagtenmodell um eine (unfreie) Bearbeitung handelt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn „sein Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind“. So liegt der Fall hier.
144Das klägerische Fahrrad hat einen minimalistischen, streng geometrischen Gesamteindruck, der nach Ansicht der Kammer vor allem durch die mehrfache Parallelität kumulativ mit dem Zusammentreffen von Dreiecksformen geprägt ist. Dies wird von der Klägerin als „Treppendesign“ bezeichnet. Außerdem gibt die Verwendung von runden Rohren und Schweißverbindungen dem Rad ein klassisches Erscheinungsbild, das weniger an moderne Fahrradrahmen, sondern eher an hergebrachte Alltagsräder erinnert und diese traditionelle Formensprache gewissermaßen weiterentwickelt.
145Dagegen hat das Fahrrad der Beklagten einen weniger geometrisch strengen, im Gegenteil sogar designmäßig eher diffusen Gesamteindruck, weil sich hier in der Rahmengestaltung verschiedene Formen wiederfinden. So ist unter dem Lenker ein kleines Dreieck, über den Pedalen ein kleines Rechteck und am Hinterrad ein Trapez zu erkennen. Angesichts dieser Formen erscheint die „doppelte“ Parallelität der Querstreben und des Sitz- sowie Steuerrohres nicht dominierend, zumal sie in den waagerechten Elementen durch das in einer Flucht verlaufende Rohr unter dem Gepäckträger gewissermaßen gestört wird. Damit erscheint der Kammer das Beklagtenmodell weniger minimalistisch und geometrisch, vielmehr wuchtig und funktional geprägt. Für diese Funktionalität spricht etwa das Rechteck am Pedal, dass sich erkennbar der Form einer tragenden Hand anpasst, um als Griff zu dienen. Hinzu kommt dann noch das auch im Wege der Inaugenscheinnahme der Kammer aufgefallene Fehlen von Schweißstellen und die Verwendung eines eckigen Rohrschnitts, das dem Rad den Eindruck eines kontemporären, modernen Fahrrads gibt und damit mehr der Designsprache von aktuellen größeren E-Bikes oder Rennrädern folgt.
146Unter Beachtung des oben bereits dargestellten eher geringen Schutzumfangs verblassen deshalb die schutzbegründenden Elemente des Klägermodells in der neuen Gestaltung.
147Dabei kommt es an dieser Stelle auch nicht auf ein unvollkommenes Erinnerungsbild vom Original an. Dieser Umstand ist bei der urheberrechtlichen Analyse einer Übernahme in der oben zitierten Rechtsprechung (zu Recht) nicht erwähnt worden. Denn bei der Prüfung, ob es sich um eine Vervielfältigung bzw. unfreie Bearbeitung eines Werks handelt, hat das Gericht sich gerade nicht in die Perspektive des angesprochenen Verkehrs zu versetzen wie bei lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen. Denn sowohl die Prüfung der Schutzfähigkeit als auch der Übernahme von urheberrechtlichen Werken ist von der Kammer als „nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise“ zu beurteilen. Der Vergleich zwischen Vorlage und Abwandlung ist entsprechend unter voller Berücksichtigung aller Merkmale der Gegenstände vorzunehmen.
148b) Antrag 1) – Urheberrecht, hilfsweise gestützt auf das Modell mit elektrischer Unterstützung:
149An den obigen Ausführungen ändert sich auch nichts, wenn die Klägerin sich hilfsweise auf das nachfolgend eingeblendete Fahrradmodell
150 151als Schutzgegenstand bezieht.
152Dabei kann offenbleiben, ob hierin eine nur leicht modifizierte Vervielfältigung des oben eingeblendeten Modells von 2008 liegt oder ob hier ein neues schutzfähiges Werk anzunehmen ist. Im Ergebnis spricht wohl mehr für Erstgenanntes, weil alle oben dargestellten Merkmale der Gestaltung auch hier vorliegen, wobei allenfalls beim Dreieck über den Pedalen die Dreiecksform angesichts des E-Motors aufgelöst worden ist.
153Auch hier ist nicht von einer Vervielfältigung oder einer (unfreien Bearbeitung) durch das Modell der Beklagten auszugehen. Soweit hier im Vergleich eine weitere Ähnlichkeit bei der Platzierung des E-Bike Akkus erkennbar ist, ist diese unerheblich, weil die Platzierung des Akkus nach Vortrag der Klägerin kein schöpferisches Gestaltungsmerkmal darstellt. Insoweit ist an dieser Stelle auch von technischen Zwängen auszugehen, weil angesichts der Kompaktheit und Größe der hier gegenständlichen Räder die Optionen zur Anbringung des großen und schweren Akkus sehr begrenzt sind. Wie die Übersicht in Anlage B3 ersichtlich wäre insbesondere die bei anderen (großen) E-Bikes häufige Anbringung am Unterrohr nur durch einen erheblich massiveren Rahmen möglich. Die Positionierung an der hinteren Seite des Sitzrohrs erscheint angesichts der Darstellung der Konkurrenz in Anlage B3 eher als die überwiegend gewählte Gestaltung, was wiederum dafür spricht, dass dies die technisch zielführendste Lösung ist. Zuletzt ist zu beachten, dass bei der Klägerin der Akku unter der hinteren Sitzstrebe endet, während er bei der Beklagten darüber hinausragt.
154Im Übrigen gelten die oben angestellten Überlegungen auch hier. Die Gesamteindrücke beider Fahrräder unterscheiden sich maßgeblich, sodass jedenfalls die übernommenen Gestaltungsmerkmale im Modell der Beklagte verblassen.
155c) Antrag 1) – hilfsweise Ansprüche nach dem UWG
156Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 a) und/oder b) UWG .
157aa) Dabei ist von der Aktivlegitimation der Klägerin auszugehen, da das nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien offensichtlich gegeben ist.
158bb) Für die lauterkeitsrechtliche Prüfung sind – im Unterschied zum Urheberrecht – nicht die ursprüngliche Gestaltung und das angegriffene Produkt zu vergleichen, sondern die Produkte (Stand jetzt) gegenüber zu stellen wie nachfolgend zu sehen:
159 160Beklagte Klägerin
161(1) Von einer wettbewerblichen Eigenart des Klägermodells ist auszugehen.
162Wettbewerbliche Eigenart setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten eines Produktes hinzuweisen. Dabei geht es um die Frage, ob die Gestaltung des Produktes vom Verkehr auf eine gleichbleibende Herkunftsquelle zurückgeführt wird, was unabhängig davon ist, ob die Herkunftsquelle auch namentlich benannt werden kann (BGH GRUR 2018, 311 R. 14 - Handfugenpistole). Geht es, wie hier, um eine ästhetische Gestaltung, so kommt es auf die Anmutung des Produktes an. Entscheidend ist der Gesamteindruck beim angesprochenen Verkehr (BGH GRUR 2010, 80 Tz. 34 - LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Tz. 19 - Regalsystem, GRUR 2013, 1052 Tz. 20 - Einkaufswagen III), der auch aus dem Zusammenwirken besonders gestalteter Elemente resultieren kann (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Tz. 26 - Jeans I; GRUR 2008, 1115 Tz. 20 - ICON). Übliche Gestaltungsmerkmale, die für die betreffende Produktkategorie üblich sind, spielen dabei schon deswegen keine Rolle, weil der Verkehr ihre Verwendung nicht auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb bezieht, sondern allen Produkten der betreffenden Gattung unabhängig von ihrem Hersteller zuschreibt.
163Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Kammer aus eigener Sachkunde beurteilen, da sie als auf Urheberrechtsstreitsachen spezialisierter Spruchkörper auch über hinreichende Erfahrung mit in diesem Zusammenhang ebenfalls regelmäßig geltend gemachten Ansprüchen aus unlauterer Nachahmung verfügt. Dies gilt zumal als nur der optische Gesamteindruck zu berücksichtigen ist und sich die Produkte an ein allgemeines Publikum richten (vgl. BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 19 – Leuchtballon).
164Nach diesen Grundsätzen ist dem klägerischen Modell mit analoger Begründung zu den obigen (urheberrechtlichen) Ausführungen zur Gestaltung und fehlenden technischen Bedingtheit der Gestaltung die wettbewerbliche Eigenart zuzuerkennen. Durchgreifende Unterschiede zwischen der Prüfung nach dem UWG ergeben sich hier nicht.
165Die wettbewerbliche Eigenart der Fahrräder der Klägerin ist von Hause aus als durchschnittlich zu bewerten. Für eine Steigerung der wettbewerblichen Eigenart der Erzeugnisse aufgrund tatsächlicher Bekanntheit im Verkehr (vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 24 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 24 – Einkaufswagen III) liegt kein ausreichender Klagevortrag vor.
166Die Klägerin blendet in ihrer Klageschrift diverse Online-Berichte ein, aus denen sich eine gewisse Bekanntheit der Fahrräder unter der Marke „T.“ im Fachpublikum ergibt. Eine Preisverleihung im Jahr 2008 bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen, diese dürfte sich aber jedenfalls nicht auf das hier gegenständliche E-Bike beziehen, weil das „Urmodell“ erst in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist. Umsatzzahlen oder Marktanteile der Klägerin werden nicht vorgelegt bzw. dazu wird nichts vorgetragen. Es ist aber schon nicht ersichtlich, dass diese Bekanntheit sowohl der Gestaltung der Räder als auch der Marke im Vergleich zu anderen Wettbewerbern erhöht wäre. Die Klägerin ist auch kein alteingesessenes Unternehmen, sondern ein relativer Neuling, das zudem bis Ende 2021 in Fachkreisen bekanntermaßen nur Lizenzgeberin der Beklagten war und sozusagen in deren Fahrwasser schwamm.
167(2) Ob vorliegend überhaupt von einer Nachahmung im Sinne des wettbewerblichen Leistungsschutzes auszugehen ist, lässt die Kammer dahinstehen. Dies könnte man in Anlehnung zur oben dargestellten urheberrechtlichen Prüfung ablehnen. Da an dieser Stelle jedoch auch das unvollkommene Erinnerungsbild des angesprochenen Verkehrs von Bedeutung sein könnte, enthält sich die Kammer mangels Entscheidungserheblichkeit weiterer tiefergehender Ausführungen.
168(3) Denn selbst wenn man eine Nachahmung annehmen würde, mangelt es jedenfalls an einer Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 3 lit. a) UWG, weil die Fahrräder der Klägerin einerseits und die der Beklagten andererseits eindeutig durch jeweils andere Marken gekennzeichnet sind.
169Als geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung kommen neben der Wahl unterschiedlicher Materialien, Produktbezeichnungen oder Verpackungen (BGH GRUR 2005, 166 (170) – Puppenausstattungen) insbes. das Anbringen von Herkunftskennzeichnungen in Betracht (vgl. BGH GRUR 1976, 434 (436) – Merkmalklötze; BGH WRP 2015, 717 Rn. 36 – Keksstangen). Ganz allgemein gilt, dass eine deutlich sichtbare, sich vom Originalprodukt unterscheidende Kennzeichnung der Nachahmung eine Herkunftstäuschung ausschließen kann, wenn die angesprochenen Verkehrskreise diese einem bestimmten Unternehmen nicht allein anhand ihrer Gestaltung zuordnen, sondern sich beim Kauf auch an den Herstellerangaben in der Werbung (zB Katalog), den Angebotsunterlagen oder an der am Produkt angebrachten Herstellerkennzeichnung orientieren (BGH WRP 2017, 792 Rn. 61 – Bodendübel). Maßgebend ist die jeweilige Erwerbssituation (OLG Köln WRP 2020, 225 Rn. 31; vorstehender Absatz ist insgesamt zitiert nach Köhler/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 3.46).
170So liegt der Fall hier. Es handelt sich um hochpreisige E-Bikes, die im Verkauf als Neuware teurer als 2.000,- € sind. Dies ist keine alltägliche Sache, die vom Verkehr mit geringer Aufmerksamkeit gekauft wird. Die Entscheidung für ein gewisses Fahrrad steht vielmehr unter der Prämisse der Eignung für den individuellen Einsatzzweck, des zur Verfügung stehenden Budgets und des eigenen Geschmacks des Käufers. Ein solches Fahrrad wird regelmäßig in Spezialgeschäften besichtigt, ggf. auch Probe gefahren. Marken spielen im Bereich der Fahrräder, was allgemein bekannt sein dürfte, eine besondere Bedeutung. Diese Markenfixierung mag zwar nicht ganz so stark wie bei Automobilen sein, nach Ansicht der Kammer als potentielle Abnehmer ist sie aber gleichfalls stärker als bei anderen Gegenständen des täglichen Lebens. Die abweichende Kennzeichnung der Beklagtenräder führt also aus einer – an dieser Stelle unterstellten – Herkunftstäuschung allein durch gestalterische Annäherung heraus.
171Dass der angesprochene Verkehr jedoch allein die klägerischen Kompakträder wegen ihrer Form der Klägerin als Unternehmen zuordnet, hält die Kammer aus eigener Anschauung für nicht zutreffend. Dagegen spricht auch das dichte und zugleich formenmäßig durchaus nah beieinander liegende Marktumfeld wie es in Anlage B3 aufgezeigt wird.
172(4) Dafür, dass die Beklagte die Wertschätzung des Fahrrads der Klägerin gem. § 4 Nr. 3 lit. b) UWG unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt, ist überdies nichts ersichtlich. Hiermit sind die beiden Tatbestände der sog. Rufausbeutung und der sog. Rufbeeinträchtigung umschrieben. Es geht nicht um einen lauterkeitsrechtlichen Schutz einer „Leistung“ als solcher, sondern um den Schutz des Herstellers des Originals in seiner Eigenschaft als Mitbewerber bei der Produktvermarktung (ebenso OLG Köln GRUR-RR 2014, 393 (394)). Er wird in seinem Interesse, das Original ungehindert zu vermarkten, geschützt. Die Unangemessenheit ist durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der Interessen des Herstellers des Originals und des Nachahmers sowie der Abnehmer und der Allgemeinheit unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Nachahmungsfreiheit (vgl. BGHZ 161, 204 = GRUR 2005, 349 (352) – Klemmbausteine III) festzustellen. Dabei sind insbes. der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts zu berücksichtigen (BGH WRP 2017, 792 Rn. 66 – Bodendübel; BGH GRUR 2019, 196 Rn. 23 – Industrienähmaschinen). Fehlt es an einer Herkunftstäuschung iSd § 4 Nr. 3 lit. a), müssen besondere Umstände hinzutreten, um die Unangemessenheit der Rufausbeutung zu begründen (OLG Köln GRUR-RR 2017, 323 Rn. 37; zitiert nach Köhler/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 3.51 f.).
173Vorliegend ist neben der allgemeinen Konkurrenzsituation in einem dichten Markt (siehe Anlage B3) schon keine Einschränkung der Entfaltung der klägerischen Absatzbemühungen am Markt erkennbar. Allein der Umstand, dass die Beklagte früher Lizenznehmerin der Klägerin war, genügt hier nicht, weil weder vorgetragen, noch ersichtlich ist, dass die Beklagte sich unlauter verhalten hätte. Sie hat vielmehr nach Auslaufen der Lizenzbeziehung ein Konkurrenzprodukt mit abweichender Gestaltung auf den Markt gebracht. Durchgreifende Umstände, die im Rahmen einer Interessenabwägung für die Klägerin und zugleich gegen eine Marktbeteiligung der Beklagten sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Es erscheint der Kammer angesichts der Marktstellung der Beklagten insbesondere so, dass die Beklagte auch ohne vorhergehende Lizenzbeziehung ihr Fahrradmodell gleichermaßen hätte entwickeln können, wenn sie die Gestaltung der klägerischen Modelle nur als Mitbewerber zur Kenntnis hätte nehmen können. Dabei ist auch zu beachten, dass das Modell der Beklagte seiner Formensprache nach – neben gewissen Übereinstimmungen mit dem Modell der Klägerin – auch erkennbare Übereinstimmungen mit einem Damenrad aus dem eigenen Hause aus dem Jahr 2000 aufweist (siehe oben Ziff. 2. a) aa) (2) „I. R.“, dort ist ein Abbildung eingeblendet).
174d) Antrag 1) – weiter hilfsweise DesignG:
175Die Klägerin hat gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf Unterlassung aus § 42 Abs. 1 DesignG.
176aa) Dabei lässt es die Kammer ausdrücklich offen, ob – wie vom Beklagten vorgetragen – das Design Nr. N02 der Klägerin löschungsreif ist.
177bb) Eine identische Übernahme liegt nach den obigen Ausführungen nicht vor. Es wird jedoch auch nicht nach § 38 Abs. 2 S. 1 DesignG ein Design benutzt, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Nach S. 2 der Vorschrift wird insoweit bei der Beurteilung des Schutzumfangs der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Designs berücksichtigt.
178Bei der Beurteilung des Schutzumfangs ist gem. § 38 II 2 DesignG der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Designs zu berücksichtigen. Eine geringe Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers können zu einem weiten Schutzumfang des Geschmacksmusters bzw. des eingetragenen Designs führen. Der Schutzumfang hängt demnach vom Abstand des eingetragenen Designs zum vorbekannten Formenschatz ab (BGH GRUR 2016, 803, Rn. 31 – Armbanduhr). Je größer der Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz ist, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters zu bemessen (BGH GRUR 2013, 285 Rn. 32 – Kinderwagen II). Für die Frage, welchen Abstand das Klagemuster zum vorbekannten Formenschatz einhält, kommt es nicht auf einen Vergleich einzelner Merkmale des Klagemusters mit einzelnen Merkmalen vorbekannter Muster an. Maßgeblich ist vielmehr der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster, der darüber entscheidet, wie groß die Ähnlichkeit des Klagemusters mit dem vorbekannten Formenschatz ist (BGH GRUR 2011, 142 Rn. 17 – Untersetzer). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Bestimmung des Schutzumfangs eines eingetragenen Designs ist der Zeitpunkt, zu dem das Muster zur Eintragung angemeldet worden ist (BGH GRUR 2011, 142 Rn. 18 – Untersetzer). Wird ein Produkt über eine Internetseite dem allgemeinen Publikum zum Kauf angeboten, spricht dies grundsätzlich dafür, dass das in ihm verkörperte Design zu dem Formenschatz zu zählen ist, von dem der interessierte Benutzer zu diesem Zeitpunkt Kenntnis erlangen kann (BGH GRUR 2018, 832, Rn. 27 – Ballerinaschuh).
179Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit und die dort angestellten Vergleiche zu älteren Fahrradmodellen verwiesen werden. Das klägerische Design hat insoweit auch bei der designrechtlichen Betrachtung einen erkennbaren Abstand zu früheren Formgestaltungen.
180Dies führt zur Annahme eines durchschnittlichen Schutzumfangs. Die Designdichte bei Kompakträdern zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung war nicht besonders hoch, was schon die überschaubare Zahl von Vorhaltungen durch die Beklagte aus dem vorbekannten Formenschatz zeigt. Jedoch ist zu beachten, dass die Gestaltung der Kompakträder nicht isoliert zu betrachten ist, sondern sich in den größeren Kontext von Fahrrädern insgesamt bewegt. Hierzu erfolgt von keiner Seite Vortrag, jedoch ist es als allgemein bekannt zu unterstellen, dass – wenn ggf. auch nicht durch eingetragene Designs geschützt – Fahrräder in mannigfaltigen Gestaltungen auf dem Markt angeboten werden und dem informierten Benutzer erkennbar sind. Insgesamt ist deshalb auch von einer mittleren Designdichte auszugehen.
181cc) Das Fahrradmodell der Beklagten erweckt beim hier maßgeblichen informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck als das Klagemuster. Die Kammer kann dies eigenständig beurteilen (BeckOK DesignR/Stöckel, 16. Ed. 15.5.2023, DesignG § 38 Rn. 69). Als „informiert“ wird ein Benutzer bezeichnet, der verschiedene Geschmacksmuster kennt, die es in dem betreffenden Wirtschaftsbereich gibt, gewisse Kenntnisse über die Elemente besitzt, die die Geschmacksmuster regelmäßig aufweisen, und die Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit verwendet. Seine Kenntnisse und der Grad der Aufmerksamkeit sind zwischen denen eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers und denen eines Fachmanns anzusiedeln (BGH GRUR 2019, 398, Rn. 30 – Meda Gate).
182Bei der Prüfung, ob der Gesamteindruck des angegriffenen Modells beim informierten Benutzer den gleichen Gesamteindruck wie das Klagemuster erweckt, sind sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unterschiede der Muster zu berücksichtigen. Dabei ist eine Gewichtung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Merkmalen danach vorzunehmen, ob sie aus der Sicht des informierten Benutzers für den Gesamteindruck von vorrangiger Bedeutung sind oder in den Hintergrund treten (BGH GRUR 2019, 398, Rn. 31 – Meda Gate). In Fällen durchschnittlichen Schutzumfangs sind eher geringfügige Unterschiede nicht geeignet, zur Begründung der Eigenart maßgeblich beizutragen und somit aus dem Schutzbereich eines bestehenden eingetragenen Designs herauszuführen (BeckOK DesignR/Stöckel, 16. Ed. 15.5.2023, DesignG § 38 Rn. 44).
183Für die Übereinstimmungen und Unterschiede ist auf die obigen Ausführungen zum Urheberrecht zu verweisen. Es besteht insoweit bei der faktischen Ausgangslage ein Gleichlauf. Soweit nunmehr eine Gewichtung der Merkmale notwendig ist, so erkennt die Kammer in den Übereinstimmungen hinsichtlich der Parallelität von Rohren und Querstreben (s.o. Punkte 1. und 2. der Klägerin) und „treppenartigen“ Anordnung der Querstreben (s.o. Punkte 3. und 4. der Klägerin) durchaus wichtige Merkmale. Jedoch treten diese bei beiden Fahrradmodellen erkennbaren Merkmale im Vergleich zu den oben ausführlich beschriebenen Unterschieden in den Hintergrund. Denn die unterschiedliche Formgebung beim Rad der Beklagten hinsichtlich der beim eingetragenen Design besonders prägenden „drei Dreiecke“ wird dem informierten Benutzer sofort ins Auge fallen und den Gesamteindruck bestimmen. Auch von nicht unerheblicher Bedeutung ist der Umstand, dass bei dem Rad der Beklagten das gesamte Unterrohr aus einem einzigen Gussteil und einem eckigen Querschnitt besteht im Gegensatz zu den aus einfachen Rundrohren bestehenden und deutliche Schweißnähte aufweisende Rahmenform des Klagemusters.
184Es handelt sich gerade nicht um nur geringfügige Unterschiede. Vielmehr fallen die Unterschiede derart ins Gewicht, das sie aus dem hier anzunehmenden durchschnittlichen Schutzbereich des Klagedesigns herausführen.
185e) Mangels Unterlassungsanspruch stehen der Klägerin auch keine Annexansprüche nach den Anträgen 2) und 3) zu und zwar weder auf Grundlage des UrhG, noch des UWG, noch des DesignG.
1863. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 2 ZPO.
1874. Der Streitwert wird auf 112.500,00 EUR festgesetzt.
188Für den Antrag zu 1): Hauptanspruch aus UrhG insgesamt für beide Schutzgegenstände 75.000,00 EUR, zzgl. weiterer 7.500,00 EUR für den Hilfsanspruch aus UWG und weiterer 7.500,00 EUR für den Hilfsanspruch aus DesignG;
189für den Antrag zu 2): 3750,00 EUR (5 % des Unterlassungsstreitwerts im Hauptanspruch);
190für den Antrag zu 3): 18.750,00 EUR (25 % des Unterlassungsstreitwerts im Hauptanspruch).
191Zur Erhöhung wegen der Hilfsansprüche wird verwiesen auf BGH WRP 2014, 192 Rn. 9 – Streitwertaddition, und BGH GRUR 2016, 1300 Rn. 73 – Kinderstube.