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Zum Schutzbereich bei Werken angewandter Kunst (hier: Kinder-Trolley mit Tierkopfmotiven)
Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um urheberrechtliche und lauterkeitsrechtliche Ansprüche gegen die von den Verfügungsbeklagten vertriebenen und von den Streithelfern zugelieferten Taschen mit Tierkopfmotiven.
3Die Verfügungsklägerin ist ein P. Unternehmen, das seit 2010 vor allem ergonomische Kinder- und Schulrucksäcke, Taschen, Gepäck und entsprechendes Zubehör, inzwischen aber auch Bekleidung, Schuhe und Accessoires sowie Kinderfahrzeuge wie Laufräder und Roller anbietet. Die Produkte richten sich vor allem an Jugendliche und Kinder. Die Verfügungsklägerin wurde mehrfach für Ihre Arbeit und Ihre Produkte ausgezeichnet. Die Produkte der Verfügungsklägerin erhielten im Jahr 2011 (K.) und im Jahr 2013 (C.) den U. V. T. Award sowie 2015 den German T. Award (C. und K.). Im Jahr 2012 gewann K. zudem im Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“. Darüber hinaus wurde die B. OF GmbH im Jahr 2016 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis und dem CSR Award sowie 2017 dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet.
4Unter der Marke „E.“, wurden seit 2013 zunächst speziell für Kindergartenkinder entwickelte Rucksäcke vertrieben. Die Rucksäcke sind als verschiedene Tiere ausgestaltet. Die Motive „M.“ und „J.“ der „E.“-Kollektion werden seit Frühjahr/Sommer 2014 vertrieben; seit Herbst/Winter 2015 das Motiv „O.“ und seit Herbst/Winter 2019 das Motiv „N.“. Die Koffertrolleys der Verfügungsklägerin mit entsprechenden Tiermotiven sind seit 2019 auf dem Markt. Heute gibt es mehr als 25 verschiedene Tiermotive.
5Die Verfügungsbeklagten gehören zur Unternehmensgruppe „Y. S.“. Die Verfügungsbeklagte zu 1.) bot im Februar 2023 in ihren Filialen von ihr so bezeichnete „Kinder-Spielzeugtaschen“ mit Tiergesichtern an. Die Verfügungsbeklagte zu 2.) bewarb den Verkauf dieser Taschen im Rahmen der Internetseite www.y.-s..de sowie in ihrem Werbekatalog der Woche vom 06.02.2023.
6Die Streithelferin zu 1.), die W. GmbH, hat die Verfügungsbeklagte zu 1.) mit den beanstandeten Kinder-Spielzeugtaschen beliefert. Die Streithelferin zu 2.), die X. Im- und Export GmbH, ist nach eigenen Angaben „Inverkehrbringerin“ der beanstandeten Produkte.
7Der Umsatz aller E.-Produkte beträgt – insoweit von der Verfügungsbeklagten unbestritten – seit ihrer jeweiligen Produkteinführung zum Stichtag 30.03.2023 78.099.680,75 EUR. Dies entspricht 3.189.045 Mio. verkauften Produkten. Der Umsatz aller E.-Produkte der Linien „M.“, „J.“, „O.“ und „N.“ beträgt 24.245.889 EUR (= 984.856 verkaufte Produkte). Darunter beträgt im Einzelnen der Umsatz mit der Linie „M.": 8.770.909 EUR (= 395.131 verkaufte Produkte); der Umsatz mit der Linie „J.“: 4.289.487 EUR (= 163.265 verkaufte Produkte); der Umsatz mit der Linie „O.“ 6.590.499 EUR (= 232.937 verkaufte Produkte) und der Umsatz mit der Linie „N.“ 4.594.994 EUR (= 193.523 verkaufte Produkte) (Stand 31.03.2023). Der Umsatz aller Rucksäcke und Trolleys der Linien „M.“, „J.“, „O.“ und „N.“ seit ihrer jeweiligen Produkteinführung zum Stichtag 30.03.2023 beträgt 9.178.705,58 EUR. Dies entspricht 405.843 verkauften Produkten. Der Umsatz aller Rucksäcke der Linien „M.“, „J.“, „O.“ und „N.“ seit ihrer jeweiligen Produkteinführung zum Stichtag 30.03.2023 beträgt 8.185,354,36 EUR (= 385.463 verkaufte Produkte), aufgeschlüsselt nach den streitgegenständlichen Motiven: Motiv „M.“: 3.983.347,45 EUR (= 188.224 verkaufte Produkte); Motiv „J.“: 1.263.177,87 EUR (= 59.806 verkaufte Produkte); Motiv „O.“: 1.260.307,67 EUR (= 61.177 verkaufte Produkte) und Motiv „N.“: 1.678.521,37 EUR (= 76.256 verkaufte Produkte).
8Der Umsatz aller Trolleys der Linien „M.“, „J.“, „O.“ und „N.“ seit ihrer jeweiligen Produkteinführung zum Stichtag 30.03.2023 beträgt 993.351,22 EUR (= 20.371 verkaufte Produkte), aufgeschlüsselt nach den hier streitgegenständlichen Motiven: für das Motiv „M.“: 472.723,12 EUR (= 9.517 verkaufte Produkte); für das Motiv „J.“: 128.641,93 EUR (= 2.603 verkaufte Produkte); für das Motiv „O.“: 246.143,42 EUR (= 5.193 verkaufte Produkte) und für das Motiv „N.“: 145.842,75 EUR (= 3.058 verkaufte Produkte).
9Die Verfügungsklägerin ließ die Verfügungsbeklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 20.03.2023 (Anlage AS 52, Bl. 388 ff. d.A.) wegen Urheber- und Wettbewerbsverletzung abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung unter Fristsetzung bis zum 27.02.2023 auffordern. Auf die Abmahnung meldeten sich die Verfahrensbevollmächtigten der Streithelfer für diese und wiesen Ansprüche mit Schreiben vom 01.03.2023 (Bl. 437 ff. d.A.) zurück.
10Die Verfügungsklägerin macht in erster Linie urheberrechtliche, hilfsweise wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend und stützt ihre Ansprüche dabei auf folgende modellübergreifende Gestaltungsmerkmale der Trolley-Gestaltungen mit Tiermotiven:
11- Die Tiere sind jeweils im Wesentlichen zweifarbig gehalten und setzen in der Regel einen Teil des Gesichts in der jeweiligen Kontrastfarbe ab.
12- Der Tierkopf wird separat auf die Produkte aufgesetzt und nimmt bei den Produkten, die in ihrer Gesamtheit einen Tierkörper darstellen sollen, im Verhältnis viel Fläche ein;
13- Die Tiere haben große, runde Augen, die aus mit weißer Umrandung eingefassten schwarzen Kreisen bestehen. In den schwarzen Kreisen befindet sich ein weißer Punkt;
14- Die Tiere haben große bzw. prominent auf dem Tiergesicht angebrachte Münder/Schnauzen/Schnäbel;
15- Die Tiere haben aufgrund ihrer großen, runden Augen und den zum Teil „lächelnden“ Mund-/Schnauzenpartien einen freundlichen Gesichtsausdruck.
16Bezogen auf die einzelnen Tiermotive seien folgende Gestaltungsmerkmale schutzbegründend:
17Der J.
181. Der J. hat Ohren, die eine hellere Farbe haben als der Körper;
192. Um das vom Betrachter aus gesehen rechte Auge findet sich ein heller Fleck, der bis zum Rand des Kopfes reicht;
203. Die Mund- und Nasenpartie des Hundes ist vom Rest des Kopfes in einer helleren Farbe abgesetzt, die Umrandung ist gestickt.
214. Am Bauch/Körper des Hundes setzen sich hellgraue Flecken vom dunk-leren Untergrund ab.
22Der N.
231. Die Ohren des N. sind an jeder Seite im oberen Drittel geteilt in zwei dreiecksförmige „Haarbüschel“; der äußere Rand und die Haarbüschel sind in demselben grau wie der Körper, der Innenteil der „Hörmuschel“ ist rosa-farbig.
242. Für die Augen sind kleinere schwarze Kreise in größere weiße Kreise eingebettet und weisen jeweils einen kleinen weißen Punkt in Blickrichtung des Tieres auf;
253. Die Nase beginnt zwischen den Augen und wird nach unten breiter. Sie ist prominent in der Mitte des Kopfes zu sehen und in einem dunkleren Grauton gehalten. Als Nasenlöcher sind am unteren Rand der Nase zwei langgezogene Striche angebracht.
26Der M.
271. Der M. ist farblich in einem kräftigen Gelb mit grauem Streifenmuster gehalten. Das Streifenmuster verläuft wie folgt: Oben findet sich mittig ein aufgemalter „Haarschopf“, der breiter beginnt, dann schmal in die Stirn läuft und sich dort blütenförmig in drei Teile teilt (rechts, links und nach unten); Links und rechts der Augen und links und rechts auf dem Körper befinden sich jeweils zwei nach innen schmaler werdende Streifen;
282. Die Mundpartie ist vom Rest des Kopfs mit einer ovalen Rundung abge-setzt;
293. Die Nase hat die Form eines Halbkreises und beginnt oben an der Mundpartie;
304. Auf beiden Seiten der Nase befinden sich jeweils 3 Schnurrhaare pro Seite;
315. Die Ohren sind halbkreisförmig und haben einen helleren Innenteil.
32Der O.
331. Der O. hat eine vom Kopf abgesetzte hellere Mundpartie in Form eines unten abgeschnittenen Kreises;
342. In der Mundpartie findet sich die Nase mit einer nach unten zulaufenden Dreiecksform, die Ecken des Dreiecks sind abgerundet; darunter verläuft ein schmaler Strich Richtung Mund;
353. Die Umrandung von Augen und Nase sind gestickt;
364. Die Ohren des Bären haben einen dunkleren Rand und einen helleren Innenteil;
375. Die Bauchfläche am unteren Ende des Trolley ist in derselben helleren Farbe wie Mundpartie und Ohr-Innenteil gestalte und setzt sich damit eben-falls heller von der dunkleren Farbe des Trolley im Übrigen ab.
38Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe insbesondere mit ihren A. K., C. und E. in wenigen Jahren einen großen wirtschaftlichen Erfolg erzielt und als erster Anbieter ergonomischer Kinderrucksäcke den Markt revolutioniert. Die kreativen Gestaltungen der Verfügungsklägerin mit der E.-Linie unterschieden sich deutlich vom damaligen Marktumfeld.
39Die Rucksäcke mit den Motiven „M.“ und „J.“ seien im Juni 2013, die Rucksäcke mit dem Motiv „O.“ im April 2015 von Herrn R. F. gezeichnet worden, der seinerzeit als Produktdesigner bei der Antragstellerin fest angestellt gewesen sei. Im August 2017 habe sodann D. G., ebenfalls als Produktdesignerin bei der Antragstellerin fest angestellt, die ersten Entwürfe für die Rucksäcke zum Motiv „N.“ gezeichnet. Ihre Entwürfe habe Frau G. im Oktober 2017 überarbeitet und ihre Zeichnung des „N.“ finalisiert. Den bei der Verfügungsklägerin angestellten Produktdesignern habe ein großer Gestaltungsspielraum zur Verfügung gestanden, der es erlaubt habe, völlig neue und eigentümliche Gestaltungen zu schaffen. Die streitgegenständlichen Gestaltungen hätten sie jeweils im Rahmen Ihres Anstellungsverhältnisses für die Verfügungsklägerin erbracht. Man sei sich ausdrücklich darüber einig gewesen, dass die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den streitgegenständlichen Tiermotiven der Verfügungsklägerin zustehen sollten.
40Nachdem die Verfügungsklägerin entschieden habe, die Produktpalette zu den Tiermotiven „J.“, „N.“, „M.“, „O.“ und „Z.“ um Kinderkoffer zu erweitern, sei Frau G. damit betraut worden, hierzu die Zeichnungen zu erstellen. Auf Basis der existierenden Motive der Tiergesichter habe sie am 21.12.2017 den Trolley „M.“, am 13.02.2018 den Trolley „O.“, am 30.08.2018 den Trolley „J.“ (im Jahr 2021 noch einmal geringfügig überarbeitet), am 23.10.2018 den Trolley „Z.“ und am 05.11.2018 den Trolley „N.“ gezeichnet. Die Trolleys seien in dieser Gestaltung im Jahr 2019 auf den Markt gekommen und seien seitdem durchgehend erhältlich.
41Auch wenn die streitgegenständlichen Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten einzelne Merkmale der Gestaltungen der Verfügungsklägerin nicht übernähmen, übernähmen sie eben doch diejenigen Gestaltungsmerkmale, die in ihrer Zusammenschau denselben Gesamteindruck erweckten. Die herausziehbare Zunge dominiere den urheberrechtlich relevanten, optischen Gesamteindruck der Gestaltungen nicht derart, dass allein ihr Weglassen bereits zu einem völlig anderen Gesamteindruck führte. Dass die Nasen der Tiere bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten eine andere Haptik aufwiesen, als bei den Trolleygestaltungen der Antragstellerin, lasse ebenfalls keine Zweifel an der Übernahme deren gestalterischen Gesamteindrucks entstehen. Es gehe hier im Wesentlichen um die Optik der Gestaltungen, nicht um die Haptik einzelner Merkmale.
42Bei beiden Produkten handele es sich um Tragebehältnisse, die sich an Kinder richteten und die der Aufbewahrung und dem Transport ihrer Gegenstände dienten. Welche Art von Gegenständen aufbewahrt/transportiert würden, sei dabei nicht vorgegeben. Naheliegend sei, dass in beiden Behältnissen ähnliche und identische Gegenstände aufbewahrt und transportiert würden. So dienten Kinderkoffertrolleys nicht – wie dies bei Koffern für Erwachsene eher der Fall sei – primär dem Transport von Kleidung, Schuhen und sonstiger notwendiger Reiseausrüstung. Vielmehr liege es – auch mit Blick auf ihre Größe und den Umstand, dass sie von Kindern selbst getragen/transportiert werden sollten – nahe, dass Kinder hierin zusätzlich zu dem von ihren Eltern transportierten notwendigen Reisegepäck eigens ausgewählte, ihnen persönlich wichtige Gegenstände einpackten, aufbewahrten und mitnähmen, was in der Regel Gegenstände wie Kuscheltiere, Spielzeug und Bücher sein würden – Gegenstände also, die bestimmungsgemäß auch in Spielzeugtaschen aufbewahrt würden. Die Produkte der Antragsgegnerinnen seien zudem gar keine klassischen Spielzeugtaschen, die primär der „stationären“ Aufbewahrung von Spielzeug in Kinderzimmern dienten. Sie seien zwar als „Spielzeugtasche“ bezeichnet, aber ausdrücklich nicht nur dazu bestimmt, Spielzeug aufzubewahren und nicht bewegt zu werden. Vielmehr befinde sich an den Taschen der Antragsgegnerinnen zusätzlich zu den Tragehenkeln ein Schultergurt, der es erlaube, die Taschen über der Schulter/dem Oberkörper zu transportieren und mitzunehmen.
43Die starke Medienpräsenz der Verfügungsklägerin und die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit/Bewerbung ihrer Produkte, insbesondere die der E.-Linie, steigere deren Bekanntheit bei den relevanten Verkehrskreisen und damit auch ihre wettbewerbliche Eigenart.
44Nach teilweiser Rücknahme des ursprünglich angekündigten Verfügungsantrags hinsichtlich der Anträge zu I.1.e) und II.1.e) betreffend das Modell „Z.“ mit Schriftsatz vom 14.03.2023 beantragt die Verfügungsklägerin zuletzt:
451. Die Antragsgegnerin zu 1. wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr a) eine Tasche nach dem Modell „J.“ wie nachstehend eingeblendet zu vervielfältigen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: b) eine Tasche nach dem Modell „N.“ wie nachstehend eingeblendet zu vervielfältigen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: c) eine Tasche nach dem Modell „M.“ wie nachstehend eingeblendet |
zu vervielfältigen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: d) eine Tasche nach dem Modell „O.“ wie nachstehend eingeblendet zu vervielfältigen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: II. Antragsgegnerin zu 2.: 1. Die Antragsgegnerin zu 2. wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr a) Taschen nach dem Modell „J.“ zu vervielfältigen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, die Nachahmungen des nachstehend eingeblendeten Werkes und wie folgt gestaltet sind: , wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: und/oder b) Taschen nach dem Modell „N.“ zu vervielfältigen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, die Nachahmungen des nachstehend eingeblendeten Werkes und wie folgt gestaltet sind: , wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: und/oder c) Taschen nach dem Modell „M.“ zu vervielfältigen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, die Nachahmungen des nachstehend eingeblendeten Werkes und wie folgt gestaltet sind: , wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: und/oder
d) Taschen nach dem Modell „O.“ zu vervielfältigen und/oder der Öffentlichkeit anzubieten, die Nachahmungen des nachstehend eingeblendeten Werkes und wie folgt gestaltet sind: , wenn dies geschieht wie nachstehend wiedergegeben: und/oder |
Die Verfügungsbeklagten beantragen,
47den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
48Die Streithelfer beantragen,
49den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen;
50hilfsweise, die Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
51Die Verfügungsbeklagten und die Streithelfer sind der Auffassung, der behauptete Unterlassungsanspruch bestehe nicht. Er ergebe sich insbesondere nicht aus Urheberrecht oder Wettbewerbsrecht. Vorliegend würden Kinderspielzeugtaschen beanstandet, die von der Verfügungsklägerin nicht vertrieben würden. Es handele sich um Aufbewahrungsbehälter, die der Ordnung im Haushalt dienen sollten. Es lägen also gerade keine identischen Produkte (Kinder Trolleys mit Tiermotiven) auf beiden Seiten zugrunde. Im Gegensatz zu den Spielzeugtaschen, die für zuhause gedacht seien, handele es sich bei den Produkten der Verfügungsklägerin um (Reise-)Gepäck, welches zum Tragen in der Öffentlichkeit gedacht sei. Es seien gänzlich andere Produktarten betroffen.
52Insbesondere sei vorliegend auch bereits nicht hinreichend klar, auf welche Produkte/Rechte die Verfügungsklägerin letztlich ihre Ansprüche stütze. In den Anträgen würden Skizzen der Trolleys der Verfügungsklägerin abgebildet. Die Verfügungsklägerin erwähne anschließend neben den Trolleys noch Kinderrucksäcke (bzw. die diesbezüglichen Skizzen) und trage umfassend zu der Entstehung und Markteinführung vor. Anschließend vergleiche die Verfügungsklägerin die beanstandeten Produkte jedoch nur mit den Trolleys.
53Die Verfügungsbeklagten und die Streithelfer bestreiten mit Nichtwissen, dass es sich bei den in den eidesstattlichen Versicherungen des Herrn F. erwähnten Zeichnungen um die hier streitgegenständlichen Zeichnungen handele und die Verfügungsklägerin Rechteinhaber sei. Die Zeichnungen der Rucksäcke mit den Tiermotiven wichen erheblich von den Trolleys mit den Tiermotiven ab. Die comicartige Darstellung der Tiere sei schon 2013 und danach nicht neu gewesen. Auch Kinderkoffer bzw. Kinderrucksäcke mit Tiermotiven habe es schon vor der Entwicklung der Produkte der Verfügungsklägerin gegeben. Den Erfolg der Produkte bestreiten die Verfügungsbeklagte und die Streithelfer mit Nichtwissen.
54Selbst unter Berücksichtigung der sogenannten „kleinen Münze“ sei zumindest zweifelhaft, ob überhaupt ein Werk vorliege. Unabhängig vom fehlenden Urheberrechtsschutz der Produkte der Verfügungsklägerin liege auch keine Verletzung vor. Selbst wenn die entgegengehaltenen Gestaltungen der Kindertrolleys über hinreichende Andersartigkeit und Gestaltungshöhe verfügten, so sei jedenfalls der Schutzbereich sehr begrenzt. Die sich gegenüberstehenden Produkte/Gestaltungen unterschieden sich neben ihrer Produktart auch hinreichend in der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Tiermotive. Vorliegend würden allenfalls lediglich urheberrechtlich nicht geschützte Elemente (comichafte Gestaltung der Tiermotive) übernommen.
55Soweit die Verfügungsklägerin sich hilfsweise auf Wettbewerbsrecht stütze, fehle es bereits an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis. Die Verfügungsklägerin stelle Rucksäcke und Koffer her, also letztlich Reisegepäck bzw. Taschen, die zum Tragen in der Öffentlichkeit gedacht seien. Bei den beanstandeten Kinderspielzeugtaschen handele es sich um Aufbewahrungsbehälter, die der Ordnung im Haushalt dienen sollten. Es seien gänzlich andere Produktarten betroffen. Eine etwaige wettbewerbliche Eigenart sei jedenfalls nachträglich entfallen. Koffer und Rucksäcke mit Tiermotiven seien weit verbreitet. Allenfalls könne als markantes Merkmal, welches nur den Produkten der Antragstellerin zu Eigen sei, die jeweils keck heraushängende Zunge festgestellt werden. Dieses Merkmal sei jedoch bei keiner der beanstandeten Spielzeugtaschen übernommen oder auch nur angedeutet. Die beanstandeten Kinderspielzeugtaschen stellten jedenfalls keine Nachahmung dar. Dies folge sowohl aus der anderen Produktart als auch aus der gänzlich anderen Produktgestaltung. Der jeweilige Gesamteindruck der beanstandeten Kinderspielzeugtaschen im Verhältnis zu den Produkten der Antragstellerin sei grundverschieden. Der Hauptverwendungszweck der Kinderspielzeugtasche sei das Aufbewahren von Spielzeug, während eine Aufbewahrung von Kinderspielzeug bei den Koffern fernliegend sei. Entgegen den Behauptungen der Antragstellerin seien auch Volumen und Größe der Produkte unterschiedlich. Die ungewöhnliche, ins Auge fallende Ziehzunge präge maßgeblich den Gesamteindruck der Gestaltung der Trolleys. Die Verkaufszahlen zu den Kinderrucksäcken seien zur Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart der Kindertrolleys mit den Motiven M., J., O. und N. irrelevant.
56Der Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht dringlich . Die beanstandete Aktion sei schon „gelaufen“. Einer Herkunftstäuschung werde zusätzlich dadurch begegnet, dass die beanstandeten Produkte unter der Marke „H. IN L.“ angeboten würden; eine Verwechslung mit „E.“ komme ersichtlich nicht in Betracht.
57Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
58E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
59Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war mangels Verfügungs-anspruchs zurückweisen.
60Der Verfügungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Es fehlt indes an einem Verfügungsanspruch. Ein solcher steht der Verfügungsklägerin weder aus Urheberrecht, noch aus Lauterkeitsrecht, noch aus anderem Rechtsgrund zu.
61A. Der Verfügungsklägerin steht kein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 16, § 17 UrhG gegen die Verfügungsbeklagten zu.
62Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt, dass den in den Anträgen eingeblendeten Entwürfen, an denen die Verfügungsklägerin Rechte beansprucht, Urheberrechtsschutz als Werke angewandter Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG genießen und die Verfügungsklägerin zur Geltendmachung daran bestehender Rechte aktivlegitimiert ist. Denn jedenfalls greifen die Herstellung und der Vertrieb der Taschen der Verfügungsbeklagten nicht in das der Verfügungsklägerin eingeräumte ausschließliche Recht zur Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und Verbreitung (§ 17 UrhG) ein.
63I. Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 27 – Vitrinenleuchte).
64Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).
65Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).
66Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).
67II. Die Kammer interpretiert dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so, dass – ungeachtet des Wortlauts von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG n.F. – ein Bereich existiert, der außerhalb des Schutzbereichs des älteren Werks liegt, obwohl die neue Gestaltung ihrerseits nicht die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk erfüllt. Dann liegt weder eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG, noch eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor. Maßgeblich ist allein, ob der jeweilige Gesamteindruck voneinander abweicht. Eine hinreichende Abweichung liegt dann vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, ohne dass es noch auf die Werkqualität der neuen Gestaltung ankäme (kritisch: Peifer, GRUR 2022, 967, 969; Stieper, GRUR 2023, 575, 576 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Formulierungen in BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 f. – Porsche 911, einerseits und BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 28 f. – Vitrinenleuchte, andererseits voneinander abweichen).
68III. Nach Maßgabe dieser Grundsätze greifen die Herstellung und der Vertrieb der angegriffenen Spielzeugtaschen mit Tiergesichtern der Verfügungsbeklagten nicht in das der Verfügungsklägerin eingeräumte ausschließliche Recht zur Vervielfältigung gemäß § 16 UrhG und zur Verbreitung gemäß § 17 UrhG der Gestaltung der Rucksäcke und Koffertrolleys der Verfügungsklägerin ein. Es handelt sich bei den angegriffenen Gestaltungen vielmehr um freie Bearbeitungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG, da sie einen hinreichenden Abstand zum jeweiligen Originalwerk wahren und damit auch keine Vervielfältigungen im Sinne von § 16 UrhG sind.
69Der Gesamteindruck der angegriffenen Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten stimmt nicht in einem die Annahme einer Urheberrechtsverletzung tragenden Maße mit den Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin überein. Dazu wird auf die nachfolgende Gegenüberstellung der klägerischen Entwürfe mit den angegriffenen Gestaltungen der Verfügungsbeklagten Bezug genommen:
70 71 721. Nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin zeichnen sich ihre Trolleygestaltungen durch folgende übergreifenden schöpferischen Gestaltungsmerkmale aus:
731) Im Verhältnis zur Gesamtgröße des Trolleys sehr großer Kopf;
742) Der Kopf ist als separat auf den Trolley aufgesetzt;
753) Die Tiere sind jeweils im Wesentlichen zweifarbig gehalten und setzen in der Regel einen Teil des Gesichts in der jeweiligen Kontrastfarbe ab;
764) Die Tier-Ohren sind oben und seitlich an dem Trolley angesetzt und stehen über den eigentlichen Trolley hinaus;
775) Die Tiere haben große bzw. prominent auf dem Tiergesicht angebrachte Münder/Schnauzen/Nasen;
786) Die Tiere haben aufgrund ihrer großen, runden Augen und den zum Teil „lächelnden“ Mund-/Schnauzenpartien einen freundlichen Gesichtsausdruck.
79Die Kammer legt dabei zugrunde, dass diese Elemente in ihrer konkreten Kombination, in ihrem Zusammenspiel und in ihrer Gesamtheit als hinreichende persönliche geistige Schöpfung anzusehen sind. Ein übereinstimmender Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gestaltungen ist aber in der Gesamtschau der übernommenen schöpferischen Züge – wenngleich unter Berücksichtigung sowohl der Unterschiede als auch der Gemeinsamkeiten – in tatsächlicher Hinsicht zu verneinen.
802. Die sich gegenüberstehenden Gestaltungen weisen in den Gestaltungsmerkmalen, auf welche die Verfügungsklägerin sich maßgeblich stützt, und welche sie in den angegriffenen Produkten wiederzuerkennen glaubt, zunächst übergreifende Unterschiede auf:
81Die Tierkopfpartien fallen bei den angegriffenen Gestaltungen im Verhältnis zur Gesamtgröße der Spielzeugtaschen deutlich kleiner aus als in den Trolley-Entwürfen der Verfügungsklägerin und vermitteln den Gesamtgestaltungen damit eine gänzlich abweichende Proportion. Die klägerischen Tiergesichter wirken daher eher rundlich, wohingegen die Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten eine eher ovale Anmutung erhalten. Die raumgreifende Größe der Tierköpfe bei den klägerischen Gestaltungen führt zu einer klaren Zweiteilung der Trolleys in Kopf und Rumpf- respektive Bauchbereich. Demgegenüber weisen die Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten in der Frontansicht eine Dreiteilung auf: den Rand und die Halterung oberhalb der Tierkopfpartie, den Tierkopf selbst und den darunterliegenden Bauchbereich.
82Die Tierköpfe auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind deutlich stärker abgesetzt und separiert als bei den Trolley der Verfügungsklägerin. Auch dies trägt zu einer deutlich unterschiedlichen Proportion bei. Die Tierköpfe der Verfügungsklägerin erscheinen eher als integraler Teil der Trolleys/Rucksäcke und sind auch als eigene Tasche mit separatem Reißverschluss ausgestaltet. Bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind die Tierköpfe hingegen tatsächlich nur aufgesetzt und können nicht befüllt werden. Sie treten dadurch stärker hervor, als würden sie aus den Taschen quasi herausschauen.
83Die Tiere in beiden sich gegenüberstehenden Gestaltungen – sowohl bei den Trolleys der Verfügungsklägerin als auch bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind zweifarbig gehalten, wobei Teile der Tiergesichter in Kontrastfarbe abgesetzt sind. Dies gilt indes nicht für die Gestaltung „N.“ der Verfügungsklägerin, welche in Gesicht- und Bauchbereich keine Fläche in Kontrastfarbe aufweist, anders als die „N.“-Spieltasche der Verfügungsbeklagten. Die von beiden Parteien bei den jeweiligenTiermodellen gewählten Kontrastfarben unterscheiden sich zudem.
84Die bei den Trolley-Gestaltungen der Verfügungsklägerin oben und seitlich angesetzten und über den eigentlichen Trolley hinausstehenden Tier-Ohren stehen bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten nicht über, sondern befinden sich unterhalb der Taschenoberkante inmitten des Taschenkörpers.
85Die Tierkopf-Gestaltungen sowohl der Verfügungsklägerin als auch der Verfügungsbeklagten weisen große, prominent angebrachte Münder, Schnauzen und Nasen auf. Die Nasen der Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind indes teils kleiner gehalten, ebenso die Mund- und Schnauzenbereiche und verfügen über andersfarbige farbliche Absetzungen.
86Die Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsklägerin haben kleinere, runde Augen, die Gesichter durch den Doppelschwung der Mundlinie freundlich bis indifferent. Die Tiergesichter auf den Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin vermitteln durch die hervorgestreckte Zungen und den einfachen, weniger gewölbten Mundbogen hingegen einen frech-freundlichen Eindruck. Die nur bei den Tolley-Gestaltungen der Verfügungsklägerin vorhandene herausziehbare und als Adressanhänger fungierende Zunge wird dabei gerade aus Kindersicht aufgrund der mit dem „Zungeherausstrecken“ verbundenen spielerischen Unartigkeit als besonders markant empfunden.
873. Zu den sich gegenüberstehenden Gestaltungen im Einzelnen:
88a) J.:
89Die angegriffene Hunde-Gestaltung der Verfügungsbeklagten weist eine andere Grundform auf, nämlich als rund geformter Sack. Die „freche“, herausziehbare Zunge fehlt, dadurch entsteht ein abweichender Gesamtausdruck des Tierkopfes. Die Ohren sind abweichend geformt. Es gibt einen hellen, größeren Fleck am Bauch, nicht zwei helle Flecken an versetzten Positionen seitlich. Die Augenform weicht ab (rund bei der angegriffenen Gestaltung; oval bei der Trolley-Gestaltung der Verfügungsklägerin). Die Nase ist bei der angegriffenen Gestaltung runder und weist einen hellen Lichtreflex auf; bei der Trolley-Gestaltung der Verfügungsklägerin ist die Nase hingegen dreieckiger und ohne Lichtreflex. Die Grundfarben sind in unterschiedlichen Grautönen gehalten und abweichend.
90b) N.
91Die „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin weist eine andere Grundform auf als diejenige der Verfügungsbeklagten. Die „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin verfügt im Unterschied zu derjenigen der Verfügungsbeklagten über keinen heller kontrastierten, abgesetzten Schnauzen-/Nasenbereich sowie Bauchbereich, demgegenüber aber über eine Art angedeuteten Kinnbart. Diese Abweichungen farblicher und gestalterischer Art im Zusammenspiel mit der allein beim „N.“ der Verfügungsklägerin vorhandenen Zunge vermitteln eine deutlich abweichende Wahrnehmung der Proportion und des Ausdrucks des Gesichtsbereichs. Die Nase der „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin ist nicht schwarz -- wie beim „N.“ der Verfügungsbeklagten --, sondern grau. Die Nase des Spielzeugtaschen-„Koalas“ der Verfügungsbeklagten ist zudem halbplastisch ausgeformt, was beim Trolley-„N.“ der Verfügungsklägerin nicht der Fall ist.
92c) M.
93Die angegriffene Tigergestaltung weist eine andere Grundform und Grundfarbe auf, nämlich eher orange statt dunkelgelb beim „M.“ der Verfügungsklägerin. Ins Gewicht fällt weiter die abweichende Augengestaltung: oval beim klägerischen Trolley-„M.“, rund beim „Spieltaschen-„M.“ der Verfügungsbeklagten. Die Färbung der Mundpartie und Ausrichtung der Schnurrbarthaare weicht ab: gelb mit nach oben gerichteten Schnurrbarthaaren beim „M.“-Modell der Verfügungsklägerin; hingegen weiß, mit nach unten gerichteten Schnurrbarthaaren bei der „M.“-Gestatlung der Verfügungsbeklagten. Dadurch wirkt der Gesichtsausdruck des Spielzeugtaschen-„M.“ etwas fragender oder auch trauriger – trotz des freundlichen Mundes – als der kecke klägerische „M.“. Die „M.“-Gestaltung der Verfügungsbeklagten hat zudem – anders als der Konterpart der Verfügungsklägerin keine Streifen im Gesicht und eine hell- bis mittelbraune anstatt einer dunkelbraun-schwarzen Nase.
94d) O.
95Auch die „Bären“-Trolley-Gestaltung weist eine gegenüber der Spielzeugtaschengestaltung andere Grundform auf. Die Grundfarbe ist blau statt braun. Zudem besteht eine abweichende Nasenform und Farbe der Nasenpartie (hellblau statt hellbraun). Die Augenformen weichen voneinander ab. Der heller abgesetzte Bauchbereich ist beim „Bären“ der Verfügungsklägerin rund/bogenförmig, beim „Bären“ der Verfügungsbeklagten eher eckig statt rund.
96Die aufgezeigten Unterschiede und mitbestimmenden Gemeinsamkeiten können nicht derart der Übernahme von schöpferischen Zügen der Gestaltungen der Verfügungsklägerin durch die Verfügungsbeklagte zugeordnet werden, dass noch von einem Eingriff in den urheberrechtlichen Schutzbereich auszugehen wäre.
97B. Soweit die Verfügungsklägerin sich in zweiter Linie auf Lauterkeitsrecht stützt, steht ihr weder ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 a) UWG noch ein solcher nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 b) UWG zu.
98I. Die Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die Anwendungsvoraussetzungen des UWG liegen vor. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist zwischen den Parteien gegeben, auch wenn es sich um unterschiedlich Produkte – Spielzeugsäcke einerseits, Trolleys und Rucksäcke andererseits – handelt. Die Produkte zählen jedenfalls zum gleichen Marktsegment und sind substituierbar.
99II. Die von der Verfügungsbeklagten vertriebenen Spieltaschen stellen im Ergebnis keine unlautere Nachahmung der klägerischen Trolley- und Rucksackgestaltungen dar und verletzen daher nicht § 4 Nr. 3 UWG.
100Für die lauterkeitsrechtliche Prüfung sind – im Unterschied zum Urheberrecht – nicht die Entwurfszeichnung und das angegriffene Produkt zu vergleichen, sondern die Produkte selbst gegenüber zu stellen.
101 102 103 104 1051. Die Trolleys der Verfügungsklägerin verfügen über wettbewerbliche Eigenart.
106a) Wettbewerbliche Eigenart setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten eines Produktes hinzuweisen. Dabei geht es um die Frage, ob die Gestaltung des Produktes vom Verkehr auf eine gleichbleibende Herkunftsquelle zurückgeführt wird, was unabhängig davon ist, ob die Herkunftsquelle auch namentlich benannt werden kann (BGH GRUR 2018, 311 R. 14 - Handfugenpistole). Geht es, wie hier, um eine ästhetische Gestaltung, so kommt es auf die Anmutung des Produktes an. Entscheidend ist der Gesamteindruck beim angesprochenen Verkehr (BGH GRUR 2010, 80 Tz. 34 - LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Tz. 19 - Regalsystem, GRUR 2013, 1052 Tz. 20 - Einkaufswagen III), der auch aus dem Zusammenwirken besonders gestalteter Elemente resultieren kann (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Tz. 26 - Jeans I; GRUR 2008, 1115 Tz. 20 - ICON). Übliche Gestaltungsmerkmale, die für die betreffende Produktkategorie üblich sind, spielen dabei schon deswegen keine Rolle, weil der Verkehr ihre Verwendung nicht auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb bezieht, sondern allen Produkten der betreffenden Gattung unabhängig von ihrem Hersteller zuschreibt.
107b) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Kammer aus eigener Sachkunde beurteilen, da sie als auf Urheberrechtsstreitsachen spezialisierter Spruchkörper auch über hinreichende Erfahrung mit in diesem Zusammenhang ebenfalls regelmäßig geltend gemachten Ansprüchen aus unlauterer Nachahmung verfügt. Dies gilt zumal als nur der optische Gesamteindruck zu berücksichtigen ist und sich die Produkte an ein allgemeines Publikum richten (vgl. BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 19 – Leuchtballon).
108Die Ausstattung der Trolleys der Verfügungsklägerin ist vom Zusammenspiel der unter A. I. 1. vorbeschriebenen charakteristischen Gestaltungsmerkmale geprägt, die ihnen einen sich von der äußeren Gestaltung der Produkte der auf dem bundesdeutschen Markt präsenten Wettbewerber abhebenden hochwertig-modernen und kindgericht-stylischen Gesamteindruck verleihen.
109Die wettbewerbliche Eigenart der Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin ist von Hause aus als durchschnittlich zu bewerten. Eine Steigerung der wettbewerblichen Eigenart der Erzeugnisse aufgrund tatsächlicher Bekanntheit im Verkehr (vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 24 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 24 – Einkaufswagen III) liegt nicht vor. Die von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Tatsachen reichen für eine solche Annahme nicht aus. Die wettbewerbliche Eigenart ist aber trotz der vorgelegten Umsatzzahlen (Bl. 742 f. d.A.) nicht als erhöht anzusehen. Dass die Produkte der Verfügungsklägerin eine hohe Bekanntheit im Markt erlangt haben, ist nicht feststellbar. Die Bekanntheit eines Produktes kann sich zwar neben der Marktpräsenz auch aus Presseberichten und Auszeichnungen pp. ergeben. Dies gilt für letztere jedoch nicht ausschließlich, ohne jegliche tragfähigen Zahlen insbesondere zum Marktanteil. Die Verfügungsklägerin ist kein alteingesessenes Unternehmen, sondern erst 2010 gegründet worden. Die „E.“-Produkte mit Tiermotiven sind seit 2013 im Markt, die hier streitgegenständlichen Trolleys seit 2019 (vgl. Bl. 22 d.A.). Die Verfügungsklägerin vertreibt ihre Produkte über ein eigens Geschäft in Köln, den eigenen Webshop, den stationären Fachhandel, aber auch über die großen Online-Händler wie Q., I. oder große Händler wie LF.. Zur Unternehmensphilosophie zählt eine „nachhaltige“, umweltschonende Produktion und ordentliche Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern sowie ein innovatives T. und eine ausgeklügelte Funktionalität. Die Verfügungsklägerin spricht damit problembewusste Verbraucher und Eltern mit gehobenen Ansprüchen an, die nicht billig konsumieren, sondern auf Nachhaltigkeit achten möchten und bereit sind, dafür einen relativ hohen Preis zu zahlen. Dass über die Verfügungsklägerin und ihre Idee der Verbindung ergonomischer Kinderrucksäcke und Koffer mit „Nachhaltigkeit“ in zahlreichen Presseorganen und Medien berichtet worden ist, genügt für die Feststellung einer erhöhten wettbewerblichen Eigenart nicht. Zu ihrem eigenen Werbeetat und/oder der konkreten Bewerbung der Produkte außerhalb der Medienberichterstattung hat die Verfügungsklägerin nichts vorgetragen. Die Verfügungsklägerin hat zwar Umsatz- und Verkaufszahlen der konkreten Produkte vorgetragen, tragfähige Zahlen zur konkreten Verbreitung des Produktes am Markt fehlen aber. Der Marktanteil der Verfügungsklägerin lässt sich nicht ersehen. Insgesamt ergibt der Vortrag der Verfügungsklägerin zwar einen Einblick in den wachsenden Erfolg ihres Konzeptes, aber kein verwertbares Bild für eine breite tatsächliche Bekanntheit der streitgegenständlichen „E.“-Produkte im Markt. Von einer Stellung als Marktführer ist die Verfügungsklägerin weit entfernt.
1102. Die Produktgestaltungen der Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten stellen sich als nachschaffende Nachahmung dar.
111Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln. Zu berücksichtigen ist der Erfahrungssatz, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als die Unterschiede ankommt (BGH, GRUR 2007, 795 Rn. 34 – Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 41 – LIKEaBIKE). Dabei kommt es darauf an, ob gerade die übernommenen Gestaltungsmittel die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produktes begründen (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 – Leuchtballon). Entscheidend hierfür ist der Gesamteindruck beider Produkte aus Sicht eines durchschnittlich informierten Verbrauchers.
112Identisch hat die Verfügungsbeklagte die als solche lauterkeitsrechtlich nicht schutzfähige Grundidee einer Tasche mit einem aufgesetzten kindlich stilisierten Tierkopf-Motiv übernommen. Sie hat sich damit den Gestaltungen der Verfügungsklägerin zwar deutlich angenähert. Dennoch weicht die Gestaltung der Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten im maßgeblichen Gesamteindruck erheblich von derjenigen der Verfügungsklägerin ab. Insoweit wird auf die urheberrechtlichen Ausführungen unter A. I. 2. und 3. Bezug genommen.
1133. Soweit eine nachschaffende Übernahme in Bezug auf die angegriffenen Gestaltungen vorliegt, fehlt es aber an der Unlauterkeit des Verhaltens. Besondere, die Unlauterkeit der Nachahmung begründende Umstände liegen nicht vor, weder in Form einer vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft, noch einer unangemessenen Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts, noch in der unredlichen Erlangung von für die Nachahmung erforderlicher Kenntnisse oder Unterlagen. Bei durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart und einer nur nachschaffenden Nachahmung müssten unter Berücksichtigung der Wechselwirkungslehre schon erhebliche Gründe vorliegen, um überhaupt zu einer wettbewerblichen Unzulässigkeit der – grundsätzlich zulässigen – Nachahmung gelangen zu können.
114a) Eine vermeidbare Herkunftstäuschung gemäß § 4 Nr. 3 a) UWG liegt nicht vor.
115Im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen Grad der Eigenart, Typus der Nachahmung und sonstiger Umstände ist die Gefahr einer Herkunftszuordnung zu verneinen. Zwar mag eine gewisse Bekanntheit vorhanden sein, diese würde aber nur unlauter ausgenutzt, wenn eine identische Übernahme vorliegt. Eine vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 a) UWG) liegt nicht vor. Für den angemessen gut informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen durchschnittlichen Verbraucher, auf den es ankommt (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4 Rn. 3.41, mwN), kommt es jedenfalls nicht zu einer erheblichen Täuschungsgefahr. Bei einer nachschaffenden Übernahme liegt die Gefahr einer Herkunftstäuschung nur nahe, wenn ergänzende Umstände vorliegen, die entweder auf eine mittelbare Beziehung zwischen den Unternehmen hinweisen oder die die Gefahr begründen, dass der Verkehr das Nachahmerprodukt dem Hersteller des nachgeahmten Produkts zuschreibt. Mittelbare Beziehungen dürfen nicht unterstellt werden, für sie müsste es einen Anhaltspunkt geben (so BGH GRUR 2019, 196 Rn. 20 - Industrienähmaschinen). Eine mittelbare Herkunftstäuschung erfordert eine Prüfung der Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Intensität der Übernahme sowie den besonderen Umständen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443 - Viennetta).
116Die Übernahme der Grundidee von Taschen, Rucksäcken, Beuteln oder Trolleys in Tierform mit aufgesetzten Tierköpfen ist nicht geeignet, Herkunftserwartungen zu begründen, weil diese Idee frei ist und auch zum Standardrepertoire von Kinderartikeln gehört. Hohe Kennzeichnungskraft und Wiedererkennbarkeit bei den Produkten der Verfügungsklägerin kommt der herausziehbaren und beschriftbaren Zunge an den Tiergesichtern zu, die bei den angegriffenen Gestaltungen gerade fehlt. Die angegriffenen Gestaltungen der Verfügungsbeklagten werden auf Hangtags zudem mit dem Zeichen „H. IN L.“ gekennzeichnet.
117b) Auch eine unlautere Rufausbeutung gemäß § 4 Nr. 3 b) UWG liegt nicht vor.
118Eine unlautere Rufausnutzung kann auch ohne Herkunftstäuschung der angesprochenen Verkehrskreise auf einer Anlehnung an eine fremde Leistung beruhen, sofern eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte vorliegt. Die Frage, ob dadurch eine Gütevorstellung im Sinne des § 4 Nr. 3 b) UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist jeweils im Wege einer Gesamtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind. Dabei kann grundsätzlich schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden Produkts als solche zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderlichen Übertragung der Gütevorstellung führen (BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 42 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 38 – Einkaufswagen III; BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 40 – Exzenterzähne; Senat, GRUR-RR 2006, 278 [279 f.] – Arbeitselement für Resektoskopie; Senat, GRUR-RR 2014, 65 [68] – Pandas).
119Die besondere Wertschätzung der Produkte der Verfügungsklägerin knüpft nach ihrer eigenen Darstellung maßgeblich an ergonomischen und ökologischen Aspekten an. (vgl. Bl. 18 f. d.A.). Ein für die Rufausbeutung erforderlicher Transfer des Images vom Originalprodukt auf das Nachahmungsprodukt ist nicht feststellbar. Es ist nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Produkte ebenfalls an ein Image von Ergonomie, Nachhaltigkeit und Ökologie anknüpfen würden. Dass mit der Produktaufmachung und der Werbung der Verfügungsbeklagten eine Assoziation an das Produkt und eventuell an das Marketingkonzept der Verfügungsklägerin verbunden sein mag, genügt für den Tatbestand der Rufausbeutung nicht.
120Die Frage des Verfügungsgrundes ist nach dem Vorgesagten nicht entscheidungserheblich.
121C.
122Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
123Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
124Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.
125