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Auch unter Miterben kommt ausnahmsweise ein Nutzungsersatzanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB in Betracht, wenn ein Miterbe sein Nutzungsrecht unberechtigt überschreitet.
Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
2I.
3Die Klägerinnen haben gegen den Beklagten Nutzungsersatzansprüche wegen rechtsgrundloser Besitznutzung bzw. Schadensersatzansprüche wegen einer Eigentumsverletzung durch Nutzungsanmaßung hinsichtlich eines Einfamilienhauses geltend gemacht.
4Die Parteien sind gemäß Erbschein des Amtsgerichts Steinfurt vom ##.##.2021 (Az.: entfernt) gemeinsame Erben zu je 1/3 der verstorbenen Frau B3. Zum Nachlass gehört insbesondere die Immobilie G-Straße ##, S, bei einer Grundstücksgröße von 649 qm und bebaut mit einem Einfamilienhaus bestehend aus Erdgeschoss, Dachgeschoss sowie Kellergeschoss sowie Garage und Außenstellplatz. Die Immobilie verfügt über 7 Zimmer und 2 Bäder, bei einer Gesamtwohnfläche von ca. 156 qm. Im Grundbuch als Eigentümerin der Immobilie eingetragen ist die Erbengemeinschaft.
5Zu Lebzeiten schloss die Erblasserin im Dezember 2008 dem Beklagten, ihrem Sohn, einen "Untermietvertrag" betreffend die Nutzung einer Wohnfläche von 30 qm in der Immobilie.
6Im April 2021 ließ der Beklagte das Haustürschloss am Objekt G-Straße ## in S austauschen. Dies erfolgte ohne Abstimmung mit den übrigen Mitgliedern der Erbengemeinschaft. In der Folgezeit verweigerte der Beklagte den Klägerinnen sowohl den Zugang zum Objekt als auch die Überlassung entsprechender Schlüssel, die ihnen den Zugang ermöglichen würden.
7In Bezug auf die Immobilie läuft beim Amtsgericht Steinfurt ein Teilungsversteigerungsverfahren. Der Sachverständige in diesem Verfahren schätzt den Wert des gesamten Objektes auf 428.000 EUR und attestiert dem Objekt eine gute Grundsubstanz. Im Zuge des Teilungsversteigerungsverfahrens fand am ##.##.2022 ein Ortstermin im hiesigen Objekt (Besichtigungstermin durch den Sachverständigen) statt. An diesem Termin nahmen neben den Parteien die Zeugen K (Tochter von Frau B1) und U2 (Stiefvater der Frau U1) teil.
8Für das Objekt liegt eine marktorientierte Einwertung des Immobilienbüros X vor. Hiernach wird der Wert auf 367.000 EUR bis 383.000 EUR bemessen (Grundstückswert: 211.000 EUR und Gebäudewert: ca. 156.000 bis 172.000 EUR).
9Während des Rechtsstreits wurde die Teilungsversteigerung des Objekts durchgeführt. Im Versteigerungstermin am ##.##.2023 wurde die Immobilie für 300.001 EUR versteigert.
10Mit ihrer Klage verlangen die Klägerinnen von dem Beklagten für den Zeitraum ab Mai 2021 für den Teil der Immobilie, der nicht von dem Untermietvertrag erfasst ist, einen monatlichen Betrag in Höhe von 800 EUR. Dies stützen die Klägerinnen zum einen auf einen Nutzungsersatzanspruch und zum anderen auf einen Schadensersatzanspruch. Der Klageantrag zu 1. umfasst die Forderungen für den Zeitraum von Mai 2021 bis Mai 2022. Der Klageantrag zu 2. bezieht sich auf die zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Mai 2022 künftigen Leistungen ab Juni 2022.
11Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Klage sei zulässig. Zwar sei in der Klageschrift die nicht rechts- und parteifähige Erbengemeinschaft als Klägerin bezeichnet worden. Bei objektiv unrichtiger oder mehrdeutiger Bezeichnung der klagenden Partei sei aber grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die erkennbar durch die fehlerhafte Parteibezeichnung betroffen sein soll (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 18.12.2020, AZ: 1 U 102/19). Es bestünden keinerlei vernünftige Zweifel daran, dass Frau B1 und Frau U1 - eben in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Erbengemeinschaft - Herrn B2 zur Zahlung des entsprechenden Entgeltes in Anspruch nähmen.
12Hinsichtlich der Nutzungsentschädigung behaupten die Klägerinnen, der Beklagte nutze 126 qm, zzgl. der gesamten Infrastruktur (Garten, Terrasse, Keller, Dachgeschoss usw.) des hier in Rede stehenden Objektes alleine. Bei dem Ortstermin im Teilungsversteigerungsverfahrens hätten sich in fast allen Räumlichkeiten des hier betroffenen Objektes Einrichtungsgegenstände, Kleidungsstücke und Nutzungsgegenstände des Beklagten befunden. Der Vortrag des Beklagten, er verfüge zwar als einziger über die Zugangsmöglichkeiten zum hier betroffenen Objekt, nutze aber weiterhin nur die von ihm angemieteten Flächen, sei unschlüssig, weil evident widersprüchlich. Wenn der Beklagte tatsächlich nur die von ihm benannten Räumlichkeiten nutzten wollte, hätte nichts näher gelegen, als dass er auch den Klägerinnen jeweils durch Übergabe entsprechender Schlüssel Zugangsmöglichkeit zu den anderen Räumlichkeiten gewährt, zumal er diese weiteren Räume doch angeblich gar nicht nutze/nutzen wolle.
13Bezüglich des Schadensersatzanspruches tragen die Klägerinnen vor, der Beklagte habe die Klägerinnen als Miteigentümerinnen durch den Austausch des Haustürschlosses von der Nutzungsmöglichkeit der Immobilie ausgeschlossen. Angesichts des im Teilungsversteigerungsverfahren ermittelten Zustands und Werts der Immobilie sowie der Lage im Speckgürtel um Münster, wäre es der Erbengemeinschaft quasi von heute auf morgen möglich gewesen, den nicht an den Beklagten vermieteten Teil des Objekts (126 qm zzgl. Garten usw.) zu vermieten.
14Betreffend die Höhe der monatlichen Nutzungsentschädigung bzw. des Schadensersatzes, behaupten die Klägerinnen unter Vorlage und Verweis auf den Mitspiegel für die Stadt S von Oktober 2022 der geltend gemachte Betrag in Höhe von 6,35 EUR pro Quadratmeter sei angemessen, eher zu niedrig. In dem Mietspiegel ist für das Jahr 2019 für ein 100 qm Haus ein Mietpreis in Höhe von 7,92 EUR pro Quadratmeter und für das Jahr 2021 für eine 100 qm Wohnung ein Mietpreis in Höhe von 9,17 EUR pro Quadratmeter angegeben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Mietspiegel wird auf die Anlage K6 verwiesen.
15Die Klägerinnen vertreten die Ansicht, der Beklagte könne auch nicht mit Erfolg einwenden, dass er einer Vermietung nicht zugestimmt hätte. Die Vermietung und Verpachtung von Nachlassgegenständen sei ordnungsgemäße Verwaltung gemäß § 2038 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 745 BGB. Danach sei jeder Miterbe den anderen Miterben gegenüber verpflichtet, zu Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich seien. Ein etwaiger Widerspruch des Beklagte wäre daher unerheblich, da der Beklagte zur entsprechenden Mitwirkung zum Abschluss eines entsprechenden Miet-/Nutzungsvertrages hinsichtlich der restlichen Räumlichkeiten verpflichtet wäre. Formlos - aber wirksam - habe hier die Mehrheit der Erbengemeinschaft, die Klägerinnen, die Maßnahme zur Verwaltung des Nachlasses in Gestalt der Vermietung des Objekts bzw. - solange der Beklagte das Objekt rechtswidrig "besetze" und eine Vermietung damit unmöglich mache - die Geltendmachung von Schadensersatz/Nutzungsentschädigung gegenüber dem Beklagten mit Wirkung für und gegen die Erbengemeinschaft beschlossen. Der Beklagte sei zudem bei der - formlosen - Beschlussfassung von der Ausübung seines Stimmrechts ausgeschlossen gewesen. Bei Interessenwiderstreit in eigenen Angelegenheiten habe der Miterbe nämlich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung analog § 34 BGB, § 47 GmbHG kein Stimmrecht.
16Die Klägerinnen haben beantragt,
171. den Beklagten zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft bestehend aus den Erben Herrn B2, Frau B1 sowie Frau U1 einen Betrag in Höhe von 9.600,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
182. den Beklagten zu verurteilen, zum 01. eines jeden Monats (beginnend mit dem 01.06.2022) eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von 800,00 EUR an die Erbengemeinschaft bestehend aus den Erben Herrn B2, Frau B1 sowie Frau U1 zu zahlen.
19Hilfsweise haben sie beantragt,
20festzustellen, dass in der noch aufzustellenden Schlussrechnung (Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nach Frau B3, bestehend aus den Erben Herrn B2, Frau B1 sowie Frau U1) zu Lasten des Beklagten ein Posten in Höhe von 20.000 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Entschädigung für die Nutzung des Objektes G-Straße ##, S, für den Zeitraum 01. Mai 2021 bis 31. Mai 2023 durch den Beklagten zu berücksichtigen ist.
21Weiter hilfsweise haben sie den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
22Der Beklagte hat beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Der Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei zunächst unzulässig gewesen. In der Klageschrift sei eindeutig mehrfach, unmissverständlich und auch nicht auslegungsfähig die Erbengemeinschaft als Klägerin genannt. Die Erbengemeinschaft sei aber nicht rechts- und parteifähig. Es sei nunmehr zu einem Parteiwechsel mit entsprechender Kostenpflicht gekommen.
25Hinsichtlich der Nutzungsentschädigung behauptet der Beklagte, er nutze die nicht an ihn vermieteten Räumlichkeiten überhaupt nicht. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass sich zeitweilig in anderen Räumlichkeiten der Immobilie Gegenstände des Beklagten befanden oder befinden. Allen Mitgliedern der Erbengemeinschaft - also auch dem Beklagten - stünde ein Besitzrecht an der gesamten Immobilie zu, also auch hinsichtlich desjenigen Teils, der nicht an ihn vermietet sei.
26Bezüglich des Schadensersatzanspruches trägt der Beklagte vor, die Immobilie sei aufgrund des Mietverhältnisses mit ihm ohnehin nicht vermietbar.
27Betreffend die Höhe der monatlichen Nutzungsentschädigung bzw. des Schadensersatzes, hält der Beklagte den geltend gemachten Betrag der Höhe nach für unangemessen.
28Der Beklagte ist der Ansicht, bevor die Klägerinnen Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen können, hätte es zunächst einmal einer Beschlussfassung der Erbengemeinschaft und anschließend einer Aufforderung gegenüber dem Beklagten bedurft, an der beschlossenen Verwaltung mitzuwirken. Insoweit reiche es nicht aus, schlicht die Herausgabe von Schlüsseln zu verlangen.
29Der Beklagte erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit eigenen Ansprüchen gegen die Klägerinnen.
30Der Beklagte behauptet, er habe am 17.02.2022 und 18.08.2022 Heizöl bestellt, wodurch Gesamtkosten in Höhe von 1.571,92 EUR (824 EUR und 747,92 EUR) entstanden seien. Diese seien nach dem Mietvertrag von der Erbengemeinschaft zu zahlen.
31Die Klägerinnen wenden ein, für die Versorgung der durch den Beklagten angemieteten Räume mit Wasser, Strom sowie Öl sei kostenmäßig allein der Beklagte als Untermieter verantwortlich. Die vermietete Fläche von ca. 30 qm könne offenkundig unter keinem sachlichen Gesichtspunkt die Anschaffung von Heizöl zu einem Gegenwert von ca. 1.600 EUR rechtfertigen. Der behauptete Rechnungsbetrag lasse vielmehr den Schluss zu, dass der Beklagte offenkundig - entgegen seinem eigenen Vortrag - das hiesige Objekt zur Gänze nutze und daher selbstverständlich auch zur Gänze beheizen wolle. Bezüglich der Räumlichkeiten, die nicht von der Untervermietung erfasst sind, müsse die Erbengemeinschaft die Kosten tragen. Das Nachlasskonto habe aber bereits im Oktober 2021 nicht über eine ausreichende Deckung verfügt. Die Klägerinnen hätten deshalb jeweils einen Betrag in Höhe von 1.000 EUR auf das Nachlasskonto eingezahlt und hätten den Beklagten aufgefordert, dies ebenfalls zu tun.
32Die Parteien haben einen Vergleich geschlossen. Hierin ist vorgesehen, dass eine Kostenentscheidung durch das Gericht gemäß § 91a ZPO erfolgen soll.
33II.
34Die Kosten waren gegeneinander aufzuheben.
35Maßstab für die Entscheidung über die Kostenverteilung ist der bisherige Sach- und Streitstand, nicht der Umfang des vergleichsweisen Nachgebens (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juli 2002 – 30 W 13/02; Herget in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 98 ZPO, Rn. 3). Entscheidend sind vornehmlich die Erfolgsaussichten. Aus prozessökonomischen Gründen genügt dabei eine summarische Prüfung des bisherigen und zukünftigen Prozessverlaufs einschließlich der aufgeworfenen Rechtsfragen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. September 1992 – 1 BvR 1074/92; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – VIII ZB 28/08).
36Unter Maßgabe dieser Grundsätze entspricht es billigem Ermessen die Kosten gegeneinander aufzuheben. Denn bei streitiger Entscheidung hätten beide Parteien jeweils etwa zur Hälfte obsiegt.
371.
38Die Klage war zulässig.
39Parteien auf Klägerseite sind Frau B1 und Frau U1.
40Der Parteibegriff der ZPO ist rein formell und unabhängig vom sachlichen Recht zu verstehen (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, Vorbemerkungen zu §§ 50-58, Rn. 2). In der Klageschrift (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und im Urteil (§ 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist daher nur die Partei des Rechtsstreits, nicht der Rechteinhaber anzugeben. In Fällen der gesetzlichen Prozessstandschaft besitzt nur der Prozessstandschafter die Parteistellung; der Rechtsträger ist im Prozess Dritter (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, Vorbemerkungen zu §§ 50-58, Rn. 29). Wenn – wie hier – einzelne Miterben nach § 2039 BGB Ansprüche, die zum Nachlass gehören, geltend machen, sind daher nur die einzelnen Miterben Prozessstandschafter und als Partei zu bezeichnen.
41Die Klägerinnen haben spätestens mit Schriftsatz vom 14.10.2022 dies auch zu erkennen gegeben und die Auffassung vertreten, ihrem Rubrumsberichtigungsantrag sei stattzugeben. Eine Auslegung dahingehend war möglich. Ein Parteiwechsel war nicht notwendig.
422.
43Die Klage war im Umfang von 50 % der Klageforderung begründet.
44Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe von 400 EUR monatlich für den Zeitraum Mai 2021 bis Mai 2023 ergibt sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.
45a.
46Der Anwendungsbereich des Bereicherungsrechts ist nicht durch die Vorschriften des EBV (§§ 987 ff BGB) gesperrt.
47Es liegt keine Vindikationslage vor. Der Beklagte war als Miteigentümer und Mitbesitzer grundsätzlich zum Mitbesitz berechtigt. Indem er sich durch den Austausch des Haustürschlosses den alleinigen Besitz verschafft hat, hat er zwar die Befugnisse, die ihm das Besitzrecht gab, überschritten (Exzess des berechtigten Besitzers). Das ließ aber die Besitzberechtigung nicht automatisch entfallen. Auf diesen Fall der „Nicht-so-Berechtigung” ist das EBV nicht anwendbar (letztlich offenlassend, aber unter Verweis auf die ganz h.M. BGH, Urteil vom 21.09.2001 - V ZR 228/00; Herrler in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, Vorb v. § 987, Rn 3; Raff in: MüKo/BGB, 9. Aufl. 2023, Vorbemerkung vor § 987 BGB, Rn 24).
48b.
49Auch die Vorschriften über die Verwaltung des Nachlasses in der Miterbengemeinschaft (§ 2038 BGB) und die Nutzung von Miteigentumsanteilen (§ 743, § 745 BGB) stehen der Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts nicht entgegen.
50Nach § 2038 Abs. 2 S. 1 iVm § 745 Abs. 2 BGB kann ein Mitglied einer Erbengemeinschaft gegenüber den anderen Mitgliedern eine den Interessen aller Miterben entsprechende Verwaltung und Benutzung von Nachlassgegenständen verlangen, sofern die Verwaltung und Benutzung nicht durch eine Vereinbarung oder Mehrheitsbeschluss geregelt ist (grundlegend: BGH, Urteil vom 29. Juni 1966 – V ZR 163/63; OLG Stuttgart, Urt. v. 18.10.2018 – 19 U 83/18).
51Grundsätzlich berechtigt der Miteigentumsanteil den Beklagten zur Nutzung des Grundstücks. Solange sich der Miteigentümer im Rahmen seines Nutzungsrechts bewegt und die übrigen Nutzungsberechtigten von ihrem Teilhaberecht keinen Gebrauch machen, liegt keine rechtsgrundlose Bereicherung vor (BGH, Urteil vom 15. September 1997 – II ZR 94/96 – Rn 12).
52Etwas Anderes gilt aber, wenn der Miteigentümer sein Nutzungsrecht überschreitet und den anderen Nutzungsberechtigten die Teilhabe unberechtigt verweigert (BGH, Urteil vom 15. September 1997 – II ZR 94/96 – Rn 14). Das ist beispielsweise der Fall, wenn der nutzende Teilhaber durch eigene oder ihm zurechenbare Handlungen dem anderen Teilhaber den tatsächlichen Mitgebrauch verweigert oder dessen Nutzung stört (BGH, Urteil vom 22. März 2005 – X ZR 152/03 – Rn 11).
53So liegt der Fall hier. Indem der Beklagte die Haustürschlösser austauschen ließ, verhinderte er dauerhaft und ohne hierzu durch sein Nutzungsrecht berechtigt zu sein, dass die Klägerinnen von ihrem Nutzungsrecht Gebrauch machen. Denn die Klägerinnen hatten als Miteigentümerinnen keinen Zugang mehr zum auf dem Grundstück stehenden Wohngebäude.
54Liegen die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach § 2038, § 743, § 745 BGB nicht vor, kommen daneben – auch unter Miterben – andere gesetzliche Ausgleichsansprüche, unter anderem aus Bereicherungsrecht, zur Anwendung (BGH, Urteil vom 7. Oktober 2020 – IV ZR 69/20 – Rn 10).
55c.
56Ein Anspruch ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nach § 823 Abs. 1, § 249, § 252 BGB
57Zwar wurde den Klägerinnen durch den Austausch des Haustürschlosses die Nutzungsmöglichkeit ihres Eigentumsanteils entzogen, was grundsätzlich eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB auslösen kann. Auch in der grundlegenden Entscheidung von 1966 hatte der BGH darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Ausübung der Mitnutzungsrechte eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 1 BGB begründen kann (BGH, Urteil vom 15. September 1997 – II ZR 94/96 – Rn 14).
58Allerdings hat der große Senat des BGH im Jahr 1986 entschieden, dass der Anspruch auf Nutzungsentschädigung für den vorübergehenden Entzug der Nutzungsfähigkeit von Eigentum nur in engen Grenzen in Betracht kommt. In der Regel setzt dies voraus, dass die Sache vom Eigentümer selbst genutzt wird (BGH, Beschluss vom 9. Juli 1986 – GSZ 1/86 – Rn. 41). Für Wohnraum, den der Beeinträchtigte nicht selbst nutzt, kommt eine Nutzungsentschädigung dagegen nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 21. Februar 1992 – V ZR 268/90).
59Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze können die Klägerinnen hier keine Nutzungsentschädigung wegen Eigentumsbeeinträchtigung verlangen. Denn sie haben das streitgegenständliche Wohnhaus nicht selbst bewohnt und genutzt.
60Auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der entgangenen Mieteinnahmen (§ 252 BGB) liegen nicht vor. Erforderlich ist hierfür, dass es nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu einer Vermietung gekommen wäre. Nicht ausreichend für § 252 BGB ist, dass die Möglichkeit zur Vermietung als denkbare Option bestand. Im Streitfall konnte auch nach Anhörung der Klägerin zu 1) nicht festgestellt werden, dass eine Vermietung konkret in Aussicht stand.
61d.
62Ein Anspruch auf Nutzungsersatz folgt aber aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB
63Nutzt ein Nutzungsberechtigter die Sache über sein Nutzungsrecht hinaus, so ist er ohne rechtlichen Grund auf Kosten des sonstigen Rechtsinhabers um den tatsächlich gezogenen Nutzungswert bereichert und nach §§ 812 Abs. 1, 818 Abs.1 BGB zu dessen Herausgabe verpflichtet.
64Der Beklagte hat die Gebrauchsvorteile, die aus dem rechtsgrundlosen Besitz der von dem Eigentumsrecht erfassten Wohnungsteil folgen, ohne Rechtsgrund und auf sonstige Weise erlangt. Der Beklagte hat die alleinige Nutzungsmöglichkeit durch den von ihm selbst veranlassten Austausch der Schlüsselanlage und damit ohne Leistung, die einem anderen zuzurechnen wäre, erlangt. Eine rechtsgrundlose Bereicherung lag vor, da der Beklagte durch seinen Miterbenanteil nicht dazu berechtigt war, die anderen Miterben dauerhaft von der Nutzungsmöglichkeit auszuschließen und sich die alleinige Nutzungsmöglichkeit zu verschaffen. Aufgrund der Überschreitung des Nutzungsrechts stellen auch § 743, § 745 BGB keinen Rechtsgrund dar.
65Dies erfolgte auch auf Kosten der Klägerinnen. Der Bereicherungsschuldner erlangt nur dann im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB etwas auf Kosten des Bereicherungsgläubigers, wenn er in eine Rechtsposition eingegriffen hat, die nach der Rechtsordnung dem Gläubiger zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist (BGH, Urteil vom 23. März 2023 – V ZR 113/22 – Rn. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Möglichkeit zur Nutzung des Wohnhauses stand der Erbengemeinschaft und nicht nur dem Beklagten allein zu. Eine Vermietung wäre durch formlosen Mehrheitsbeschluss der beiden Klägerinnen, ohne Einwilligung des Beklagten möglich gewesen (Sprau in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 745 BGB, Rn 1 und 2).
66Der Nutzungsersatz nach § 818 Abs. 2 BGB beträgt hier monatlich 400 EUR. Wenn – wie hier – dem Rechtsinhaber die eigene Nutzungsmöglichkeit vollständig genommen wird, bemisst sich der Nutzungswert nach dem objektiven Mietwert der Sache (BGH, Urteil vom 15. 12. 1999 - XII ZR 154/97). Nach der durchgeführten Beweisaufnahme kann das Gericht die erzielbaren Mietbeträge auf monatlich 400 EUR schätzen (§ 287 ZPO). Denn der Sachverständige M hat bei seiner mündlichen Gutachtenerstattung im Termin am ##.##.2023 überzeugend dargestellt, dass aufgrund der Besonderheiten der Wohnsituation durch die nicht räumlich abgetrennte Untermiete eine dauerhafte Vermietung allenfalls an eine männliche Einzelperson denkbar wäre. Würde es sich um einen abgeschlossenen Bereich handeln, dann könnte man für 100 m² durchaus in S 800 bis 850 Euro monatlich an Miete erzielen. Man muss hier allerdings einen erheblichen Abschlag für die Wohnsituation machen. Diesen beziffert der Sachverständige etwa auf die Hälfte. Nach der Einschätzung des Sachverständigen ist es realistisch, dass eine Einzelperson wegen des günstigen Preises und der höheren Fläche in Kauf, dass die Räumlichkeiten teilweise mitgenutzt werden. Zu dem gleichen Ergebnis würde man in finanzieller Hinsicht gelangen, wenn man die Wohnung nur jeweils kurzfristig vermietet, zum Beispiel an Personen, denen gerade gekündigt wurde.
67Für den mit der Klage geltend gemachten Zeitraum vom ##.05.2021 bis zum ##.05.2023 ergibt sich damit ein Gesamtbetrag in Höhe von 10.000 EUR (25 Monate x 400 EUR monatlich), was der Hälfte der Klageforderung entspricht.
68e.
69Ob der Geltendmachung dieser Forderung im Wege des Zahlungsanspruchs (Hauptantrag der Klägerinnen) § 242 BGB entgegensteht und die Hilfsanträge auf Feststellung der Ausgleichspflicht im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft bzw. der Erledigung zum Zuge kommen, bedarf für die Kostenentscheidung keiner Entscheidung.
70Dafür, dass § 242 BGB dem Zahlungsanspruch entgegensteht spricht, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass die Geltendmachung einer Forderung gegen einen Miterben gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn mit Sicherheit abzusehen ist, dass die Schuld durch die Auseinandersetzungsforderung des Miterben gedeckt ist (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 11.04.2018 – 5 U 41/17 – Rn. 31 m.w.N.; Weidlich in: Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 2039 BGB, Rn 11). Hiervon sind auch Ansprüche auf Nutzungsentschädigung wegen der alleinigen Nutzung von Nachlassgegenständen erfasst (OLG Karlsruhe Urt. v. 22.3.2022 – 14 U 82/21 – Rn. 21). Aufgrund des Versteigerungserlöses von 300.001 EUR wäre die Klageforderung gedeckt.
71Dagegen könnte aber eingewendet werden, dass derjenige, der verbotene Eigenmacht begeht (§ 858 BGB) sich nicht auf den Schutz von Treu und Glauben berufen kann.
72Dies wäre aber nur für die Entscheidung in der Hauptsache, nämlich die Frage, ob Zahlung oder Feststellung zur Anwendung gelangt, von Relevanz gewesen. Für die hier zu entscheidende Frage der Kostenverteilung bedarf diese Frage keiner Entscheidung. Denn die Kostenverteilung wäre jeweils gleich gewesen.
73f.
74Soweit der Beklagte mit der Hilfsaufrechnung geltend macht, die Erbengemeinschaft müsse die Kosten für die Anschaffung von Heizöl tragen, steht dem entgegen, dass dieser Erstattungsanspruch aufgrund des Versteigerungserlöses durch den Nachlass gedeckt ist. Insoweit kommt § 242 BGB zur Anwendung.