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1. Auch pointierte, polemische und zugespitzte Kritik in einem Kommentar in einem sozialen Netzwerk fällt unter die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit, sofern es sich nicht um reine Schmähkritik handelt und eine Auseinandersetzung mit der Sache erkennbar ist.
2. Eine derartige Äußerung berechtigt den Betreiber des Netzwerks weder zur Löschung des Kommentars noch zu einer zeitlich befristeten Sperre der Kommentarfunktion.
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen, die Verfügungsklägerin für das Einstellen des nachfolgend genannten Textes (wörtlich oder sinngemäß)
"finanziert diese Frau die sich bei uns eingenisteten Afghanen ?? Nein der doofe Deutsche geht für Deine Landsleute rund um die Uhr arbeiten damit sie hier gut und gerne leben können, Straftaten verüben, Morden, Rauben, Vergewaltigen“
auf www.facebook.com zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dies auf Äußerungen der afghanischen Botschafterin in Österreich bezieht, wonach Österreich keine afghanischen Staatsbürger nach Afghanistan abschieben solle.
Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, wobei diese an den Vorständen der Verfügungsbeklagten zu vollziehen ist.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens
Tatbestand
2Die Verfügungsklägerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet auf die Unterlassung einer Sperre sowie Entfernung eines Posts bei Facebook wegen einer von ihr verfassten Äußerung.
3Die Verfügungsbeklagte betreibt die Webseite www.facebook.com. Die Verfügungsklägerin ist Nutzerin des von der Verfügungsbeklagten angebotenen Dienstes und dort angemeldet. Bei Anmeldung auf dem Portal der Verfügungsbeklagten müssen die Nutzer den Nutzungsbedingungen zustimmen, die unter dem Teil Gemeinschaftsstandards unter Punkt 12 unter anderem festlegen:
4Wir lassen Hassrede auf Facebook grundsätzlich nicht zu. (…) Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. (…)
5Es folgen sodann konkrete Beispiele verbotener Hassrede. Hierzu wird Bezug genommen auf die Nutzungsbedingungen, Bl. 30 ff. d.A.
6Die Verfügungsklägerin verfasste am 28.05.2018 als Kommentar unter einem Artikel der österreichischen Zeitung „Wochenblick“, der sich mit der Forderung der afghanischen Botschafterin, ihre Landsleute nicht abzuschieben, befasste, folgenden Beitrag:
7„finanziert diese Frau die sich bei uns eingenisteten Afghanen ?? Nein der doofe Deutsche geht für Deine Landsleute rund um die Uhr arbeiten damit sie hier gut und gerne leben können, Straftaten verüben, Morden, Rauben, Vergewaltigen“
8Die Verfügungsbeklagte entfernte diesen Post am gleichen Tag, die Verfügungsklägerin erhielt daraufhin folgende Meldung:
9Du hast kürzlich etwas gepostet, das die Facebook-Richtlinien verletzt, daher wurde die Benutzung dieser Funktion für dich vorübergehend gesperrt. Für mehr Informationen besuche den Facebook-Hilfebereich.
10Um künftig nicht wieder gesperrt zu werden, vergewissere dich, die Facebook-Gemeinschaftsstandards gelesen und verstanden zu haben. (…)
11Ferner sperrte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin für 30 Tage von allen Kommentarfunktionen (sog. Read-only-Modus). Eine außergerichtliche Aufforderung an die Verfügungsbeklagte, die Verfügungsklägerin wieder freizuschalten, blieb unbeantwortet (Bl. 324 ff d.A.).
12Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, die Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten hielten einer AGB-Kontrolle nicht stand. Sie meint zudem, bei ihrem Post handele es sich um eine zulässige Meinungsäußerung, die von Art. 5 GG umfasst sei, weshalb die Verfügungsbeklagte diese nicht löschen und sie deshalb nicht sperren dürfe.
13Sie beantragt im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnen,
14die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, die Antragstellerin für das Einstellen des nachfolgend genannten Textes (wörtlich oder sinngemäß)
15„finanziert diese Frau die sich bei uns eingenisteten Afghanen ?? Nein der doofe Deutsche geht für Deine Landsleute rund um die Uhr arbeiten damit sie hier gut und gerne leben können, Straftaten verüben, Morden, Rauben, Vergewaltigen“
16auf www.facebook.com zu sperren (insbesondere, ihr die Nutzung der Funktionen von www.facebook.com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten) oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dies auf Äußerungen der afghanischen Botschafterin in Deutschland bezieht, wonach Deutschland keine afghanischen Staatsbürger nach Afghanistan abschieben solle. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 25.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
17Die Verfügungsbeklagte beantragt,
18den Antrag zurückzuweisen.
19Sie ist der Ansicht, der Beitrag der Verfügungsklägerin sei Hassrede und verstoße damit gegen ihre Nutzungsbedingungen. Dieser sei auch nicht von der Meinungsfreiheit umfasst.
20Entscheidungsgründe
21Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet.
22Das Gericht hat den Antrag der Verfügungsklägerin dahingehend ausgelegt, dass Äußerungen der afghanischen Botschafterin in Österreich, wonach Österreich keine afghanischen Staatsbürger nach Afghanistan abschieben solle, gemeint sind. Der streitgegenständliche Artikel bezog sich auf die afghanische Botschafterin in Österreich, in Deutschland gibt es demgegenüber keine afghanische Botschafterin.
23Das Landgericht Siegen ist örtlich gem. § 32 ZPO zuständig, weil die Sperre und die Entfernung des Posts sich am Wohnsitz der Verfügungsklägerin, D im Landgerichtsbezirk Siegen, auswirken.
24Die Verfügungsklägerin hat einen Anspruch auf Unterlassung der Sperre und Löschung aufgrund der streitgegenständlichen Äußerung gem. §§ 241 Abs. 2, 1004 BGB.
25Bei dem zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten geschlossenen Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks der Verfügungsbeklagten handelt es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag mit Miet-, Werk-und dienstvertraglichen F (KG Berlin, Urteil vom 31.05.2017-21 U 9/16-Juris Rn. 60).
26Gegenstand dieses Vertrages sind auch die von der Verfügungsbeklagten gestellten Nutzungsbedingungen (Bl. 30 ff. der Akte). Laut den hierin enthaltenen Gemeinschaftsstandards ist die Verfügungsbeklagte berechtigt, einzelne Beiträge zu löschen und Profile, deren Inhalte gegen die von der Verfügungsbeklagten aufgestellten Richtlinien verstoßen, zu sperren. Insbesondere entfernt die Verfügungsbeklagte hiernach Hassbotschaften, das heißt Inhalte, die Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnizität, nationalen Herkunft usw. direkt angreifen.
27In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dem Betreiber eines Internetforums darüber hinaus ein virtuelles Hausrecht zusteht (u.a. BGH, Urteil vom 19. September 2003 – V ZR 319/01 –, BGHZ 156, 172-179). Diese Befugnis des Betreibers, die sich auf das Eigentum- und Besitzrecht stützt, umfasst auch das Recht, die Art und Weise ihrer Nutzung zu bestimmen (BGH, aaO). Dies hat die Verfügungsbeklagte durch Erstellen der Nutzungsbedingungen, zu denen auch die Gemeinschaftsstandards gehören, hier getan. Bei diesen Nutzungsbedingungen handelt es sich um eine Vielzahl vorformulierter Vertragsbedingungen und damit um AGB im Sinne der §§ 305 ff. BGB.
28Ob die AGB bereits eine intransparente Klausel gem. § 307 BGB enthalten, kann hier dahinstehen, da die Regelungsbefugnis der Verfügungsbeklagten ohnehin begrenzt wird durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes. Diese sind im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung bei der Auslegung zu berücksichtigen. Danach sind die AGB der Verfügungsbeklagten so auszulegen, dass nur unzulässige Meinungsäußerungen unter den Begriff der Hassrede fallen.
29Der beanstandete Beitrag beinhaltet eine Meinungsäußerung. Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung oder Wirklichkeit charakterisiert und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich (BVerfGE 94,1). Meinungen sind dagegen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (BVerfGE 85,1). Für die Beurteilung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil ist der objektive Sinn der Äußerung, wie er sich aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums ergibt (BVerfGE, NJW 2012, 1643), maßgeblich, wobei der Wortlaut, der sprachliche Kontext der Äußerung sowie die Begleitumstände, soweit für den Adressaten erkennbar, maßgebend sind. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht erfasst (BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12b- NJW 2014, 2019, 2032). Soweit eine Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil verbunden ist bzw. beides ineinander übergeht, ist darauf abzustellen, was im Vordergrund steht und damit überwiegt. Wird eine Äußerung in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt oder ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber dem Wertungscharakter Hintergrund wird, liegt eine Meinungsäußerung vor. Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters ist auszugehen, wenn die Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt (LG Mosbach, Beschluss v. 01.06.2018, 1 O 108/18).
30Bei dem hier streitgegenständlichen Post handelt es sich danach um eine Meinungsäußerung. Ihm ist eindeutig die ablehnende Meinung der Verfügungsklägerin gegenüber der Äußerung der afghanischen Botschafterin zu entnehmen. Die Äußerung dahingehend, dass die afghanischen Staatsbürger hier „gut und gerne leben können, Straftaten verüben, morden, rauben, vergewaltigen“ stellt zwar auch eine Tatsachenbehauptung dar. Sie ist jedoch nach dem Gesamtzusammenhang so eng mit der im Vordergrund stehenden ablehnenden Haltung gegenüber der Äußerung der afghanischen Botschafterin verbunden, dass der tatsächliche Gehalt in den Hintergrund tritt.
31Meinungsäußerungen sind nur dann als unzulässig zu behandeln, wenn sie die Grenze zur Schmähkritik überschreiten. Schmähkritik liegt nur vor, wenn eine Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermissen lässt, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktritt und eine Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (OLG Frankfurt NJW 2013, 798 f.) Dies ist bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise der Fall und eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG NJW 2012, 3712). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG, NJW 2016, 2870, Rn. 17). Nur dann, wenn der abwertende Vorwurf auch vom Standpunkt des Äußernden aus völlig grundlos, d.h. willkürlich, nicht sachbezogen und von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes ist, kann dies auf dessen Absicht hindeuten, den Betroffenen zu diffamieren (BVerfG, aaO).
32Die Abwägung der betroffenen Interessen unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertentscheidungen ergibt, dass die Verfügungsbeklagte hier in unzulässiger Weise von ihrem Löschungs- und Sperrvorbehalt Gebrauch gemacht hat.
33Gemessen an den dargestellten Grundsätzen fällt der Kommentar der Verfügungsklägerin als zulässige Meinungsäußerung unter den Schutz des Art. 5 GG. Von der Meinungsfreiheit umfasst ist auch pointierte, polemische und zugespitzte Kritik (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29. Juni 2016 – 1 BvR #####/#### –, juris). Die Polemik der Aussage lässt sich einerseits in dem in diesem Zusammenhang zynischen Wortlaut „gut und gerne leben“ als eine Anlehnung an ein Zitat Angela Merkels erkennen, andererseits in der Übertreibung der aufgezählten Straftaten. Der von der Verfügungsklägerin kommentierte Artikel enthielt Verlinkungen auf weitere Artikel wie den am 13.05.2018 ebenfalls unter www.wochenblick.at veröffentlichten Artikel „Anschober verhindert Abschiebung von verurteiltem Straftäter“ sowie den am 15.05.2018 auf der gleichen Internetseite veröffentlichten Artikel „Trotz Skandal: Anschober kämpft weiter gegen Afghanen-Abschiebungen“. Gerade diese Artikel, zu denen der von der Verfügungsklägerin kommentierte in direkter Nachfolge stand und die darin entstandene Diskussion nun aus dem Sichtpunkt der afghanischen Botschafterin in Österreich aufgriff, befassten sich mit der Abschiebung straffällig gewordener afghanischer Asylbewerber. In dem Kommentar der Verfügungsklägerin lag aus diesem Grund auch eine Auseinandersetzung mit der Sache, indem sie nämlich ihre Meinung bezüglich der Aussage der afghanischen Botschafterin kundtat. Zudem ist die hierin enthaltene Tatsachenbehauptung auch nicht unwahr. Auch durch afghanische Staatsbürger werden solche Delikte begangen (Anl. K20, Bl.54 ff d.A.). Aus dem Kommentar lässt sich auch nicht eindeutig und zweifelsfrei ableiten, dass die Verfügungsklägerin ihre Aussage so gemeint hat, dass alle afghanischen Asylbewerber Mörder/Räuber/Vergewaltiger seien. Lässt sich eine Deutungsmöglichkeit jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen, so kann das Gericht nicht eine Variante als feststehend annehmen (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 –, BVerfGE 94, 1-12).
34Der Antrag ist auch nicht zu weit gefasst. Aufgrund des feststehenden Wortlauts des ursprünglichen Posts sowie der Bezugnahme auf spezielle Aussagen der afghanischen Botschafterin in Österreich ist es möglich, eine sinngemäße Äußerung zu identifizieren.
35Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergibt sich aus dem Erstverstoß sowie aus der Meldung, die die Verfügungsklägerin erhielt, in der sie konkret dazu aufgefordert wird, die Gemeinschaftsstandards zu beachten, „um künftig nicht wieder gesperrt zu werden“.
36Auch der Verfügungsgrund ist gegeben. Insbesondere liegt hier kein diesen ausschließendes zu langes Zuwarten vor, da die Verfügungsklägerin noch innerhalb der Sperre und damit binnen eines Monats Rechtsrat eingeholt hat.
37Um eine Vorwegnahme der Hauptsache handelt es sich aufgrund der zeitlichen Begrenzung des Ausspruchs nicht.
38Die Entscheidung hinsichtlich der Zwangsmaßnahmen beruht auf § 890 ZPO.
39Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
40Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
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