Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Der Angeklagte ist des Totschlags schuldig.
Er wird zu einer Freiheitsstrafe von
– 8 Jahren –
verurteilt.
Darüber hinaus wird er verurteilt, an die Adhäsionsklägerin G. und den Adhäsionskläger H. jeweils einen Betrag i.H.v. 10.000,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.10.2021 zu zahlen.
Der Zahlungsanspruch ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Adhäsionsverfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Angewendete Vorschriften:
§ 212 Abs. 1 StGB.
G r ü n d e
2I. (Persönliche Verhältnisse)
31)
4Der heute 60-jährige Angeklagte wurde im Mai 1961 komplikationslos als Sohn seiner damals noch recht jungen Eltern in X geboren. Geschwister hat er keine.
5Aufgewachsen ist er größtenteils bei seiner Großmutter mütterlicherseits, die nur wenige Minuten entfernt von den Eltern ebenfalls in X. lebte. Grund dafür war zum einen, dass die beiden berufstätig waren und deshalb wenig Zeit hatten, sowie, dass der Vater zunächst nicht gut mit dem Kind umgehen konnte. Die Großmutter nahm den Angeklagten gerne auf, der sich dort ebenfalls wohlfühlte. Das Verhältnis zwischen den Eltern und der Großmutter war allerdings angespannt. Insbesondere mit ihrem Schwiegersohn verstand sich die Großmutter nicht gut, weswegen es auch öfter zu Streit kam, der vor dem Angeklagten nicht verborgen gehalten wurde, was diesen belastete. Regelmäßig wurde der Angeklagte von der einen über die jeweils andere Seite befragt, entschloss sich aber dazu, was er auch konsequent durchhielt, niemandem etwas aus der anderen Sphäre zu erzählen. Zwischenzeitlich wohnte der Angeklagte auch bei seinen Eltern, kehrte aber auf Bestreben seiner Großmutter bereits nach relativ kurzer Zeit wieder zu dieser zurück. Letztlich wohnte er bei seiner Großmutter bis zu seinem 16. Lebensjahr, wobei er manchmal die Wochenenden bei seinen Eltern verbrachte und mit diesen in dieser Zeit auch zwei bis drei Mal in den Urlaub gefahren ist.
6Der Angeklagte besuchte den Kindergarten und wurde mit sieben Jahren eingeschult. Die Grundschulzeit verlief ohne Auffälligkeiten. Nach dem Wechsel auf die Hauptschule entwickelte sich der Angeklagte jedoch immer mehr zum Klassenclown und erzielte nur noch schlechte Noten. Die Probleme mit den Lehrern mehrten sich deswegen und der Angeklagte musste die Schule nach Ende der achten Klasse verlassen. Zunächst jobbte er bei der Britischen Rheinarmee, wo er erstmals begann, an Fahrzeugen und auch an Panzern „zu schrauben“. Später hat er seinen Hauptschulabschluss an der Abendschule nachgeholt.
7Im Alter von 14 bis 15 Jahren begann eine Phase im Leben des Angeklagten, in der er sich nichts mehr gefallen lassen wollte. Diese Haltung hatte er nach und nach entwickelt. Zunächst war er noch eher ängstlich und bezog öfters auf der Straße Prügel von anderen Jugendlichen. Seine resolute Großmutter strafte ihn anschließend mit zusätzlichen Schlägen, weil er sich nach ihrer Auffassung nicht ausreichend verteidigt hatte. Durch diese Erfahrung wurde er jedoch wehrhafter und reagierte auf Angriffe zunehmend konsequenter und heftiger, was ihm später den Ruf einbrachte, man solle sich nicht mit ihm anlegen. In der Straße war er ohnehin eher ein Außenseiter, schon weil er ein Einzelkind war und auch, weil er immer bessere Kleidung und Fahrräder hatte als die anderen, die ihm das neideten.
8Mit 16 Jahren zog der Angeklagte dann letztlich doch noch zu seinen Eltern, nachdem es mit seiner Großmutter wegen seiner damaligen Freundin zum Streit gekommen und er zunächst kurzfristig bei einem Freund untergekommen war.
9Etwa seit dem 16. Lebensjahr leidet er – unregelmäßig, teils mit mehrmonatigen Abständen, teils kurz aufeinanderfolgend – unter Angstanfällen. Diese treten für ihn unvorhersehbar in unterschiedlichen Situationen auf und äußern sich durch Nervosität, Herzrasen und Atemnot. Teils verspürt er Angst, tot umzufallen. Teilweise vermag der Angeklagte den Anfall durch tiefes Ein- und Ausatmen zu beenden, in der Regel muss er jedoch Medikamente nehmen. Seit nunmehr mehr als 30 Jahren nimmt er – bei Bedarf – den Wirkstoff Alprazolam. Zu Beginn war die Dosierung mit 0,25 bis 0,5 mg etwas geringer, seit vielen Jahren nimmt er jeweils 0,5 bis maximal 1,5 mg an etwa drei bis vier Tagen pro Woche.
10Kurz vor seinem 18. Geburtstag bezog er erstmals eine eigene Wohnung. Zu der Zeit arbeitete er in der Poststelle einer Versicherungsgesellschaft, in der auch seine Mutter beschäftigt war. Geplant war, dass er dort später eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann absolvieren sollte. Hierzu kam es allerdings nicht, weil der Angeklagte zu dem Schluss kam, dass das nicht zu ihm passe. Im Alter von 23 oder 24 Jahren schied er aus der Versicherung aus und jobbte anschließend vor allem am Wochenende in Discos „an der Türe“ oder der Bar. Außerdem verdiente er sich mit der Reparatur von Autos und Motorrädern nebenher weiteres Geld.
11Im November 1987 – im Alter von 26 Jahren – heiratete der Angeklagte seine erste Frau, die Zeugin B., und bekam mit ihr im darauffolgenden Jahr einen Sohn. Weil dieser seit der Geburt an einer schweren Gelenkentzündung litt, deshalb viel Aufmerksamkeit brauchte und oft zu Ärzten gefahren werden musste, was seine damalige Ehefrau, die keinen Führerschein besaß, nicht gut leisten konnte einerseits und weil diese in ihrem Job recht gutes Geld verdiente andererseits, übernahm der Angeklagte in der Familie die Rolle des Hausmannes und kümmerte sich um den gemeinsamen Sohn.
12Etwa im Jahr 2012 traf der Angeklagte in X. alte Freunde aus den 80er Jahren wieder. Schnell knüpfte man die Kontakte von neuem und lud sich – nun gemeinsam mit Partnern bzw. Partnerinnen – wechselseitig ein und ließ alte Zeiten Revue passieren. Dabei lernte der Angeklagte J., seine später getötete zweite Ehefrau kennen, die zum damaligen Zeitpunkt noch mit einem langjährigen Freund des Angeklagten, dem Zeugen S., verheiratet war und gemeinsam mit diesem zwei gemeinsame Kinder im Teenageralter, die heutigen Nebenkläger G. und H., hatte. Die Ehe zwischen J. und dem S. kriselte aber schon damals. Nachdem man sich besser kennengelernt hatte, berichtete sie dem Angeklagten und dessen damaliger Ehefrau von ihren Eheproblemen. Zunächst hatten der Angeklagte und seine damalige Ehefrau sich dazu entschlossen, sich neutral zu verhalten, ließen sich allerdings im Laufe der Zeit von J., die glaubhaft von Alkohol, Schulden und auch Gewalt in ihrer Ehe sprach, mehr und mehr vereinnahmen. So gab der Angeklagte der J. später auch Geld für die Anmietung und Einrichtung einer eigenen Wohnung, als diese im Jahr 2014 bei ihrem damaligen Ehemann auszog. Zu dieser Zeit kam J. einmal bei dem Angeklagten zu Besuch, während dessen damalige Ehefrau nicht zu Hause war. Spontan näherten sich die beiden an und wurden intim miteinander, wobei sie jedoch vom Sohn des Angeklagten erwischt wurden. Nachdem der Angeklagte dies seiner damaligen Ehefrau offenbart hatte und sich sodann häufiger mit J. traf, funkte es zwischen den beiden, was schließlich das Ende der ersten Ehe des Angeklagten besiegelte, die 2017 geschieden wurde.
132)
14Strafrechtlich ist der Angeklagte zuvor nicht in Erscheinung getreten.
15II. (Feststellungen)
161) Vorgeschehen im weiteren Sinne
17J. war eine lebensfrohe und temperamentvolle, impulsive Person, die ihre Meinung nachdrücklich vertreten konnte und Streit nicht aus dem Weg ging. Der Angeklagte hingegen war zwar in der Vergangenheit, an die er sich gerne erinnerte und von der er auf Feiern oft unterhaltsam erzählte, ebenfalls gesellig und raubeinig gewesen, hatte sich im Laufe der ersten Ehe aber zu einer deutlich introvertierteren und ruhigeren Person, die auch gut mal zu Hause auf der Couch bleiben konnte, entwickelt. Gleichzeitig war und blieb er aber aufbrausend und impulsiv. Angestoßen durch seine neue Partnerin trat er mit ihr gleichwohl von 2017 bis 2018 einem Motorradclub bei, in welchem sich die beiden auch mit dem Zeugen I. anfreundeten. Zudem gingen die beiden, der Angeklagte bis zum Schluss, dem Schießsport in einem Verein nach. Der Angeklagte verfügte insoweit auch (schon seit 2015) über einen sog. kleinen Waffenschein und seit dem 02.02.2017 über eine Standardwaffenbesitzkarte, auf welcher seit dem 14.02.2021 die bei der Tat verwendete Schusswaffe registriert war.
18Ab 2015 führten der Angeklagte und J. zunächst eine außereheliche Beziehung, bevor sie im Jahr 2017 schließlich heirateten. Sie lebten zunächst in der Wohnung der J., zogen dann aber mehrfach um und zwar zunächst nach F. von dort nach MC. und schließlich im September 2020 in die R.-straße nach T., in der sie bis zur Tat gemeinsam lebten. Anlass für die letzten beiden Umzüge war jeweils der (zwischendurch wechselnde) Arbeitsplatz des Angeklagten und der Wunsch, die Fahrtzeiten möglichst kurz zu halten.
19Am 13.12.2019 erlitt der Angeklagte einen schweren Herzinfarkt, musste deswegen mehrfach reanimiert werden und erhielt anschließend einen Defibrillator implantiert. Dieses Ereignis prägte sein Leben nachhaltig. So musste er fortan auch hierfür Medikamente einnehmen, womit er zu Beginn Schwierigkeiten hatte und war in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Diese objektiven Einschränkungen wirkten sich auch auf die vorhandene Angststörung aus und verstärkten sie. In der Folge fühlte er sich zu vielem, mit dem er sich zuvor beschäftigt hatte, nicht mehr in der Lage. Dazu gehörte „das Schrauben“ an Autos oder Motorrädern, was ihm stets einen gewissen Ausgleich geboten hatte, aber auch die Teilnahme an sozialen Aktivitäten außerhalb der Beziehung, die er zunehmend mied. Seitdem erlebte er häufiger und intensiver Phasen, die das Ausmaß einer schweren depressiven Episode erreichten.
20Während J. vor allem während der Krankenhausbehandlung intensiv für den Angeklagten sorgte, beschäftigte sie sich zunehmend mit der Frage, wie es mit den beiden weiter gehen könnte. Sie hatte Angst davor, dass der Angeklagte zum Pflegefall werden könne, was sie ihm gegenüber auch offen kommunizierte. Konkret sagte sie ihm, dass sie nachher kein „Gemüse“ pflegen wolle. Derartiges hatte sie bei einem befreundeten Paar gesehen und wollte eine solche Situation nicht für sich selbst. Als dem Angeklagten am 01.05.2020 nach dem Essen schlecht wurde und er mit Herzrhythmusstörungen kurzfristig ins Krankenhaus musste, wurde es ihr zu viel und sie trennte sich ein erstes Mal von ihm und zog ein paar Tage zu ihrer Mutter. In der Folge sprachen sich die beiden allerdings umfassend aus und setzten ihre Beziehung fort. Aus Sicht des Angeklagten war die Trennung damit vom Tisch, wobei latente Zweifel blieben. So hegte er zwischenzeitlich den Verdacht, dass J. eine Affäre haben könnte. Er erkundigte sich auch vor dem geplanten Umzug nach T. nochmal bei ihr, ob das denn Sinn mache, ob die Beziehung Bestand haben würde, was diese bejahte.
21Der Umzug nach T. entwickelte sich zu einem zusätzlichen Konfliktbereich. Der Angeklagte, der die Wohnung von Anfang an für schlecht hielt, fühlte sich in seinem Gefühl mehr und mehr bestätigt, was häufiger zum Streit führte.
22J. suchte nach der ersten Trennung Kontakt zu verschiedenen Familienangehörigen, unter anderem ihrem Bruder C., ihrer Schwester Y. und ihrem Neffen, dem Zeugen A., sowie zu Freunden wie der Zeugin O., die ebenfalls sowohl Mitglied in dem Motorrad- wie auch dem Schießsportclub war, und dem Zeugen I.. Mehreren von denen berichtete sie, von dem Angeklagten – teils mit einer Waffe – bedroht worden zu sein. Sie nahm auch wieder Kontakt zu ihrem geschiedenen Ehemann auf und kündigte an, in der Zukunft wieder verstärkt Kontakt zu den Kindern zu suchen und dort zu reparieren, was sie früher falsch gemacht habe. Damals hatte sie sich, nachdem sie mit dem Angeklagten zusammengekommen war, zunächst weitgehend von ihren Kindern abgewendet. Ihr geschiedener Ehemann versuchte sie jedoch immer wieder einzubinden, weil er vor allem auch mit dem zwischenzeitlichen Drogenkonsum des gemeinsamen Sohnes nicht alleine fertig wurde. In der Folge verbesserte sich das Verhältnis zu ihren Kindern wieder etwas, bevor es 2017, als ihre Tochter volljährig wurde, mit dieser zu einem heftigen – auch gerichtlich ausgetragenen – Streit über Unterhaltsansprüche kam. Auch tatsächlich intensivierte sie den Kontakt zu ihren Kindern ab Ende 2019/Anfang 2020 wieder. So sprach sie sich mit ihrer Tochter weitgehend aus und es entstanden wieder gemeinsame Zukunftspläne. Im März 2020 änderte sie auch die Bezugsberechtigung für ihre Lebensversicherung zu Gunsten ihres Sohnes.
23Gleichwohl traf es den Angeklagten hart und unvorbereitet, als J. ihm Mitte Februar ankündigte, sich scheiden lassen zu wollen, zumal man einen oder zwei Tage vorher noch ihren Geburtstag gemeinsam gefeiert und danach auch noch miteinander Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Der Angeklagte war zwar selbst gegen eine Trennung, erkannte aber schnell, spätestens nachdem man in den folgenden Tagen noch einmal ausführlich miteinander gesprochen hatte, dass J. sich endgültig entschieden hatte und sich nicht würde von ihm umstimmen lassen. Mit innerlichem Widerwillen akzeptierte er, dass man sich in der gemeinsamen Wohnung räumlich trennte. Ebenso begann er, maßgeblich angetrieben und unterstützt durch J., Dinge zu regeln, die für ein eigenständiges Leben notwendig waren. So musste er ein Konto einrichten, sich arbeitslos melden und eine Wohnung suchen. Während der Zeit kommunizierten die beiden weiterhin regelmäßig, auch per WhatsApp. Die ausgetauschten Nachrichten waren häufig durch die „Abwicklung“ der Beziehung veranlasst. So tauschte man sich über Rechtsanwälte, Rechnungen usw. aus. J. schickte dem Angeklagten sogar einen Entwurf für ein Schreiben an das Jobcenter. Der Ton war stets sachlich und eher freundlich; Beleidigungen und Anfeindungen fanden sich dort nicht. Gleichwohl blieb J. direkt. So schrieb sie dem Angeklagten, der nach Eröffnung der Trennung entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten einmalig erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte, in einer am 23.02.2021 versandten Nachricht, nachdem sie zunächst etwas zur anwaltlichen Vertretung bei der Scheidung ausgeführt hatte:
24Falls Du nochmals besoffen sein solltest wenn ich von der Arbeit komme, dann gib mir einen Hinweis. Ich würde dann nicht nach Hause kommen wollen.Das ist mir einfach zu viel.
25Sie schloss die Nachricht dennoch freundlich mit „[…] Schwamm drüber. Bis heute Abend“.
26Am Tag vor der Tat suchte der Angeklagte seine Hausärztin, die Zeugin Dr. D. aus F. auf. Ob es sich um einen Routinetermin gehandelt hat, ließ sich nicht sicher feststellen, allerdings handelte es sich schon um den zweiten Besuch im laufenden Monat. Bereits am 04.03.2021 war er dort vorstellig geworden und hatte – wie jeweils für ein Quartal üblich – 50 Tabletten des Wirkstoffs Alprazolam 1 mg rezeptiert bekommen. Im Gespräch mit der Ärztin, in dem er ihr von der Trennung berichtete, zeigte er sich sehr verzweifelt, traurig und ruhig. Suizidale oder aggressive Tendenzen zeigte er hingegen nicht. Am selben Tag telefonierte der Angeklagte auch mit seinem langjährigen Freund, dem Zeugen I.. Dabei redete sich der Angeklagte wegen der Trennung in Rage und äußerte, dass seine Frau sich scheiden lassen wolle und er „pleite“ sei. Nachdem der Zeuge ihm angeboten hatte, gemeinsam einen Kaffee zu trinken, verabredeten die beiden sich für 12:00 Uhr am Folgetag in X..
272) Engeres Vorgeschehen
28Am 25.03.2021, dem Tattag, verließ J. morgens zeitig das Haus, um zur Arbeit zu fahren, wobei sie sowohl ihr eigenes Mobiltelefon wie auch das ihr von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Smartphone mitnahm. Sie plante, was sie dem Angeklagten noch am Abend des Vortages mitgeteilt hatte, später als sonst nach Hause zu kommen. Üblicherweise war sie etwa gegen 18:00 Uhr, manchmal – abhängig von der Verkehrslage – etwas später wieder zurück. Eine genaue Zeit hatte sie nicht benannt.
29Wie der Angeklagte die Nacht verbrachte, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Nicht auszuschließen ist, dass er beim Aufwachen Symptome einer Angststörung entwickelte, die aber das bei ihm übliche und ihm gewohnte Maß nicht überschritten. Falls dem so war, waren die Auswirkungen jedoch jedenfalls noch am Morgen entweder von selbst oder möglicherweise auch nach der Einnahme einer für ihn üblichen Dosis des Wirkstoffs Alprazolam, die bei maximal 1,5 mg lag, wieder abgeklungen. Er kleidete sich an und versorgte den Hund Q.
30Auf eine ihm von J. um 09:10 Uhr gesendete WhatsApp-Nachricht, dass sie eine Mail bekommen habe, dass die Gardinenstangen angekommen seien und er Bescheid sagen solle, wenn er beim Anbringen Hilfe brauche, antwortete er um 09:13 Uhr, dass die Gardinenstangen da seien und er Hilfe benötige, weil er nicht mehr über dem Kopf arbeiten könne. Ob er sich zu diesem Zeitpunkt noch zu Hause aufgehalten hat, blieb ungeklärt.
31Jedenfalls aber danach verließ der Angeklagte die Wohnung, um Erledigungen zu tätigen. Er suchte insbesondere die Post auf, bei der ein an das Jobcenter adressiertes Einschreiben, dessen näherer Inhalt unbekannt ist, aufgab. Um 10:04 Uhr schrieb er J. eine WhatsApp-Nachricht und berichtete darin, dass er jetzt soweit „mit dem Mist durch [sei] von Center“ und dass er jetzt nochmal raus sei. Zudem teilte er ihr mit, dass er weiße Farbe bestellt habe und kündigte an, dass er, wenn er nachher zurück sei, ihr das Loch noch zukleistern werde. Um 10:11 Uhr empfing er auf seinem Mobiltelefon (Xcover3) dann eine WhatsApp-Sprachnachricht von seiner Mutter, in welcher sie die Vermutung äußerte, dass er noch unterwegs sein müsse und ihm riet, sich einen Anwalt bzw. Anwältin für Sozialrecht zu suchen, damit dieser bzw. diese die Sachen für ihn regele. Hierauf antwortete der Angeklagte um 10:14 Uhr ebenfalls per Sprachnachricht mit klarer, ruhiger und gut verständlicher Sprache in freundlichem Tonfall, indem er bestätigte, das Einschreiben zur Post gebracht zu haben und nun erstmal abwarten zu wollen. Er habe aber auch schon einen Anwalt für Sozialrecht in Solingen empfohlen bekommen, den er notfalls zu Rate ziehen wolle. Auf dem Handy des Angeklagten wird um 10:16 Uhr eine weitere WhatsApp-Sprachnachricht seiner Mutter empfangen, in der sie äußert, dass dann ja alles ok sei und man abwarten müsse und dass sich, weil jetzt Ostern sei, erstmal sowieso nichts tue.
32Wie der weitere Tag bis zur Tat verlaufen ist, vermochte die Kammer nur in groben Zügen aufklären. Stattgefunden hat jedenfalls noch ein weiterer WhatsApp-Chat zwischen der J. und dem Angeklagten. Dabei schreibt sie ihm um 11:48 Uhr, dass sie vom Finanzamt erfahren habe, dass die Steuerklärung dort eingegangen sei, die Bearbeitung aber noch dauern würde, worauf er um 12:05 Uhr antwortete, dass er sich das schon gedacht habe, das Finanzamt sei noch nie ein „2 Minuten Fick“ gewesen, dass im Moment eh alles aus dem Ruder laufe und das ins Bild passe. Das für 12:00 Uhr in X. geplante Treffen mit seinem Freund I. nahm er nicht wahr.
33Um 15:48 Uhr ließ der Angeklagte sich aus einem weiteren Chat mit J. (mit deren anderen Handy) noch eine Nachricht vom Vortag anzeigen, in der diese ihm per Textnachricht um 18:08 Uhr mitgeteilt hatte, dass sie da sei. Ab 17:18 Uhr begann der Angeklagte einen WhatsApp-Chat mit seiner Mutter, der er schrieb, dass „die“ schon bei seinem Club gewesen sei und dass sie denken würde, er sei blöd. Um 17:27 Uhr schickte er eine weitere Nachricht mit folgendem Inhalt:
34Sie war bei P. in meinem ex Club ich Nehme Tabletten die icj mich Brauche alles nur Teahter. Womit hab ich das verdient uch Ich bin nur Krank
35Seine Mutter antworte ihm daraufhin, dass er darüber stehen, sich nicht ärgern und an seine Gesundheit denken solle.
36Fest steht schließlich auch, dass der Angeklagte zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt begonnen hat, in nicht unerheblichem Umfang Alkohol – jedenfalls Bier und Whiskey – zu konsumieren, sodass er rechnerisch um 17:30 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von bis zu 2,77 ‰ erreichte.
37J kehrte – anders als angekündigt – bereits etwas früher nach Hause zurück. Sie näherte sich der Wohnung über die Bundesautobahn A46 aus Richtung V an, verließ diese um ca. 17:27 Uhr an der Anschlussstelle T.-West und erreichte über die U-straße und die L.-straße die Wohnanschrift um ca. 17:30 Uhr, wo sich ihr Mobiltelefon zeitgleich in das dortige WLAN einloggte.
383) Tatgeschehen
39In der Wohnung stellte J. zunächst ihren Korb, in welchem auch ihre beiden Mobiltelefone verblieben, auf der Kommode im Flur ab und begab sich dann zeitnah in die Küche. Spätestens dort und höchstens kurze Zeit später traf sie mit dem Angeklagten zusammen. Ob er sich schon zuvor in der Küche oder im Flur aufgehalten hat und – überrascht von dem für ihn unerwartet frühen Eintreffen – einer Begegnung nicht mehr aus dem Weg gehen konnte oder diese bewusst gesucht hat, ließ sich nicht aufklären. Jedenfalls aber kam es innerhalb von nur sehr kurzer Zeit zu einem heftigen verbalen Streit. Dabei hielt der Angeklagte der J. vor, dass sie ihn in seinem Club schlecht machen würde, wie er es kurz zuvor seiner Mutter geschrieben hatte. Nicht auszuschließen ist, dass J. auf die Vorwürfe harsch reagierte und dem Angeklagten möglicherweise auch die ja schon zuvor beanstandete Alkoholisierung deutlich vorhielt.
40Innerlich erregt durch die wechselseitigen Vorwürfe und um der Situation wieder Herr zu werden, holte der Angeklagte sich aus dem von ihm als Schlafzimmer genutzten Raum oder aus dem in der Diele befindlichen, zur Aufbewahrung von Waffe und Munition eigentlich vorgesehenen Tresor, die in seinem berechtigten Besitz befindliche halbautomatische Selbstladepistole Taurus, Modell PT 28 AFS, die entweder schon mit einem mit mindestens 13 Schuss bestückten Magazin geladen war oder von ihm sodann entsprechend geladen wurde, herbei. Nicht auszuschließen ist, dass er zu diesem Zeitpunkt auch eine größere Menge von Tabletten mit dem Wirkstoff Alprazolam 1 mg zu sich nahm. Als er zurückkam gab er etwa in Höhe des Eingangs zur Küche aus einer Entfernung von höchstens vier Metern den ersten von insgesamt mindestens 13 schnell aufeinanderfolgenden Schüssen, sämtlich gerichtet auf den Oberkörper seiner Frau, ab. Dabei wusste er, dass die dadurch verursachten Schussverletzungen tödlich sein können, was er in dem Moment jedenfalls billigend in Kauf nahm. Wegen des nur kurzen, allenfalls fünf bis zehn Minuten dauernden Zeitraums zwischen der möglichen Medikamenteneinnahme und der Schussabgabe ist ausgeschlossen, dass die Medikamente zu diesem Zeitpunkt bereits eine für die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit relevante Wirkung entfalten konnten. Auch die bestehende Alkoholisierung hatte eine solche Wirkung nicht.
41J. wurde von mindestens acht dieser Schüsse getroffen, von denen die schwerste Verletzung aus einem Schuss resultierte, der rechtsseitig am Rücken eingetreten ist, den 5. Lendenwirbelkörper zertrümmerte, zur Eröffnung eines kleineren venösen Gefäßes und zur Perforation einzelner Dünndarmschlingen geführt hat und der linksseitig am Bauch wieder austrat. Weiter gab es zwei Einschüsse rechtsseitig am oberen Rücken mit Durchschuss des rechten Schulterblattes sowie zwei weitere Einschüsse rechtsaußenseitig am Brustkorb, die allesamt außerhalb der Brusthöhle entlang der Rippen verliefen und unter flächiger Zerreißung des rechten Brustmuskels zu Ausschüssen oberhalb der rechten Brust führten. Die Rippen zeigten sich in diesem Areal mehrfach gebrochen und das angrenzende Lungengewebe wies eine flächige Einblutung auf. Daneben kam es zu Durchschüssen lediglich des Unterhautfettgewebes mit Eintritt am linken oberen Rücken und Austritt am linken Schulterdach, Eintritt innen- und Austritt streckseitig am rechten Oberarm sowie Eintritt innen- und Austritt streckseitig am linken Oberarm sowie zu drei Streifschüssen, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um fortgesetzte Schüsse handelt. Durch die Schüsse wurden zwar große Blutgefäße nicht verletzt, allerdings kam es durch die Eröffnung kleinerer venöser Gefäße im Bauch in Kombination mit den durch die Schussverletzungen im Übrigen verursachten Blutungen zu einem insgesamt relevanten und letztlich todesursächlichen Blutverlust.
42Der Tod der J. trat jedoch wegen des allmählichen Blutverlusts nicht unmittelbar ein. Vielmehr sank sie infolge der Verletzungen zunächst auf den Küchenboden und blieb dort flach und nun der Tür zugewandt liegen. Sie rief qualvoll „Hilfe!“ und „Lass das, hör auf!“, zunächst noch recht laut, sodass dies von Nachbarn, die durch die Schüsse, die diese aber nicht als solche identifiziert hatten, aufmerksam geworden waren, vom Hausflur aus vernommen werden konnte.
434) Nachtatgeschehen
44a)
45Kurze Zeit, nachdem die Zeugin M., eine Nachbarin, die für sie qualvoll klingenden Schreie im Hausflur vernommen hatte, rief sie den Polizeinotruf, der dort um 17:45 Uhr (Beginn) registriert wurde. Als erstes Einsatzmittel wurden unter dem Stichwort „häusliche Gewalt“ die Polizeikommissare K. und Z. um 17:47 Uhr zum Tatort entsandt, wo sie nur kurze Zeit später eintrafen und von der Zeugin M. vor dem Haus erwartet wurden. Weil die Zeugin ihren Schlüssel in der Wohnung vergessen hatte, konnte sie die Beamten aber nicht wie eigentlich beabsichtigt sofort ins Haus lassen. Während die Beamten um das Haus herumgingen, um sich von dort aus einen Eindruck zu verschaffen und nach Zugangsmöglichkeiten zu suchten, klingelte die Zeugin wahllos an allen Klingeln des Mehrparteienhauses, in der Hoffnung, dass irgendwer die Tür öffnen würde.
46Spätestens zu diesem Zeitpunkt entnahm der Angeklagte aus der Pistole das leere Magazin, was er bei sich am Körper behielt und legte der am Boden liegenden J. die Waffe in deren offene rechte Hand, um den Tatverdacht von sich selbst abzulenken. Etwa zur selben Zeit (17:48 Uhr), vermutlich etwas früher, schrieb er seiner Mutter eine WhatsApp-Nachricht mit folgendem Inhalt:
47ich gehe jetzt ich habe die omgelegr habe Pillen genommen bitte kümmert euch um Q tut mir leid
48Danach löschte er diesen und weitere Chatverläufe von seinem Handy.
49Die Beamten traten derweil von hinten an das im Erdgeschoss gelegene Küchenfenster heran und blickten in die Küche herein, während der Angeklagte diese gerade in Richtung Flur verließ. Die Polizeikommissarin Z. rief im noch nach, dass er die Türe öffnen solle, und begab sich mit ihrem Kollegen dann wieder zur Hauseingangstür.
50Der dort wartenden Zeugin M. wurde die Tür von dem Angeklagten geöffnet, der ihr grinsend in die Augen sah und sagte: „Jetzt dürfen Sie eintreten.“ Sodann drehte er sich um und ging ruhigen Schrittes und ohne Anzeichen von Unsicherheit in seine Wohnung durch die nun offene Wohnungseingangstüre zurück. Die Zeugin blockierte die Haustüre kurz mit einem Holzklotz und folgte dem Angeklagten sodann, weil sie, obgleich sie verängstigt war, noch immer das Gefühl hatte, als gelernte Altenpflegerin irgendwie helfen zu können. Noch im Hausflur wurde sie von den nachgeeilten Polizeibeamten eingeholt, die auf den Angeklagten trafen, als dieser sich neben dem Eingang zur Küche gegenüber einer dort befindlichen weißen Kommode auf den Boden sinken ließ. Währenddessen, aber von den Beamten unbeobachtet, führte der Angeklagte seine Hand Richtung Mund. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er zu diesem Zeitpunkt (erneut) eine unbestimmte Anzahl von Tabletten zu sich nahm. Gegenüber den Beamten äußerte er ruhig und ohne zu lallen, dass „alles in Ordnung sei“ und „nichts passiert sei“.
51Während Polizeikommissarin Z. im Flur in der Nähe des Angeklagten verblieb, begab sich ihr Kollege K. zu der am Boden liegenden J.. Die in ihrer Hand liegende Waffe schob er zunächst mit dem Fuß beiseite, nahm sie mit seinen Handschuhen auf und legte sie in im Übrigen unveränderten Zustand auf die Küchenanrichte. Währenddessen äußerte J. gegenüber den Beamten mehrmals, dass „er“ auf sie geschossen habe und brachte dies mit der geplanten Scheidung in Zusammenhang, mit der „er“ nicht einverstanden sei. Sie äußerte zudem wiederholt, dass ihr heiß sei und dass sie keine Luft bekomme. Den zunächst ausgestreckten rechten Arm zog sie irgendwann zurück, um ihren Kopf darauf abzulegen.
52Sodann entschlossen sich die Beamten den Angeklagten zu fesseln, der nun zunehmend benommen wirkte und sich sodann erbrechen musste, wobei unklar geblieben ist, was und wieviel er erbrach. Dabei fand die Polizeikommissarin Z. unmittelbar hinter dem Rücken des Angeklagten das leere und zur Tatwaffe gehörende Magazin, welches dieser zuvor entweder in einer der hinteren Hosentasche oder in seiner Hand verborgen gehalten hatte. Relativ kurze Zeit später verlor er das Bewusstsein und wurde unter den Armen gestützt von den zwischenzeitlich eingetroffenen Verstärkungskräften der Polizei vor das Haus getragen, von wo er mit dem Rettungswagen in das E. Krankenhaus in T. verbracht wurde. Die Beamten zogen zwischenzeitlich durch Informationen von der Leitstelle und das Auffinden von leeren Tablettenblistern in der Wohnung in Betracht, dass der Angeklagte übermäßig Tabletten zu sich genommen haben könnte. Im Krankenhaus wurde er wegen des Verdachts auf Tablettenintoxikation behandelt und auf der Intensivstation beobachtet. Am Folgetag war er wieder ansprechbar und zeigte keine neurologischen Auffälligkeiten und konnte in den Gewahrsam der Polizei entlassen werden.
53J. wurde ebenfalls mit dem Rettungswagen abtransportiert und in das Universitätsklinikum X. verbracht, welches sie beatmet und intubiert, jedoch mit noch vorhandenem Kreislauf erreichte, der dort dann aber endgültig zusammenbrach. Sie verstarb um 19:40 Uhr nach dreißigminütigen Reanimationsversuchen an den durch die Schüsse beigebrachten Verletzungen.
54b)
55Teilweise parallel zum Geschehen wie vor unter a) geschah Folgendes:
56Unmittelbar nach dem Erhalt der WhatsApp-Sprachnachricht ihres Sohnes von 17:27 Uhr verständigte auch die Mutter des Angeklagten den Polizeinotruf. Sie äußerte, dass sie verzweifelt sei, ihr Sohn habe ganz wirres Zeug geschrieben. Sie habe Angst, dass er sich etwas antue, er sei sehr krank. Auf Nachfrage, was er denn geschrieben habe, antwortete sie, dass sie gerade nicht auf das Handy schauen könne und das schlecht beschreiben könne. Er habe aber irgendwas mit seiner Frau gemacht und Tabletten genommen und dass sie (die Mutter) sich um den Hund kümmern solle. Sie habe versucht, ihn und die Frau anzurufen, aber niemand sei drangegangen. Weil die Angeklagte nicht – wie von ihr eigentlich – gewünscht, die noch offenen Fragen klären konnte, wurde ihr angekündigt, einen Streifenwagen vorbeizuschicken, wofür sie sich bedankte.
57Eingesetzt wurden um 18:02 Uhr die zum Polizeipräsidium X. zugehörigen Beamten N., W. und VT.. Als Einsatzanlass wurde ihnen mitgeteilt, dass sich die Eheleute U. Sorgen um ihren Sohn machen würden. Dieser habe per WhatsApp suizidale Absichten geäußert. Vor Ort wurden die Beamten eingelassen und die Mutter des Angeklagten zeigte den Beamten ohne weitere Nachfrage ihr Handy mit den mit ihrem Sohn ausgetauschten Nachrichten, um die Informationen nachzuliefern, die ihr während des Notrufs nicht gelungen war, abzurufen. Erst als die Beamten diese lasen, realisierten sie, dass die Sache ggfs. über den möglichen Suizidversuch hinausgeht und nahmen wieder Kontakt zur Leitstelle auf. Von dem parallel bei der Kreispolizeibehörde Mettmann laufenden Einsatz am Haus des Angeklagten hatten sie bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis.
58III. (Beweiswürdigung)
59Die getroffenen Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit die Kammer dieser zu folgen vermochte, sowie auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt.
601)
61Die Feststellungen zur Person – I.1) – beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben des Angeklagten, die er teils in der Hauptverhandlung selbst geäußert hat und teils von dem gerichtlichen Sachverständigen vorgetragen wurden (Angaben aus dem Explorationstermin), die der Angeklagte in der Hauptverhandlung als zutreffend bestätigte. Soweit es die Trennung der J. von ihrem ersten Ehemann betrifft, gründen sich die Feststellungen zudem auf der zeugenschaftlichen Vernehmung des Letztgenannten, die sich mit den diesbezüglichen Angaben des Angeklagten deckt.
622)
63Zur Sache hat der Angeklagte sich wie folgt eingelassen:
64Als er und seine (spätere) Ehefrau J. zusammengekommen seien, sei er schon 30 Jahre lang ein „Couchpotato“ gewesen und im Vergleich zu früheren Zeiten total ruhig geworden. Die Beziehung zu seiner ersten Ehefrau und die Erziehung des gemeinsamen Sohnes habe er eigentlich genossen. Er genieße es, auf der Couch zu sitzen und lecker zu essen, möge es gemütlich und nicht so gerne, draußen durch die Gegend zu laufen. Seine neue Frau habe aber mehr gewollt, was ihn teilweise angespornt, aber auch überfordert habe. So sei er von 2017 bis 2018 Mitglied in einem Motorradclub gewesen, einfach um einmal auszuprobieren, wie es sei, mit Freunden Motorrad zu fahren. Seiner Frau habe er damit zugleich zeigen wollen, dass er ein aktiver Typ sei.
65Ein besonderer Einschnitt in seinem Leben sei sein Herzinfarkt gewesen, den er Ende 2019 erlitten habe. Er sei herztot gewesen, hätte mehrfach reanimiert werden müssen und ihm sei schließlich ein Defibrillator eingesetzt worden, den er immer als Fremdkörper empfunden hätte. Er habe dadurch auch weiter an körperlicher Leistungsfähigkeit und Antrieb verloren, was ihn depressiv gestimmt hätte. Zwar habe er auch früher schon Depressionen verspürt, diese aber vor allem auch durch seine Schraubertätigkeit an Autos und Motorrädern eigentlich gut im Griff gehabt, was nun nicht mehr gehen würde. Seine Frau hätte dies sehr beschäftigt, was sie offen kommuniziert habe. So habe sie seiner Mutter gesagt, dass sie mit meiner Krankheit nicht klar komme, und auch ihm gegenüber geäußert, dass sie kein „Gemüse“ pflegen wolle. Derartiges hatte sie bei einem befreundeten Paar gesehen und wollte eine solche Situation für sich partout nicht.
66Am 01.05.2020 habe sich seine Frau schon einmal von ihm getrennt. Hintergrund sei gewesen, dass ihm beim Essen schlecht geworden sei und er mit Herzrhythmusstörungen habe ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Seine Frau habe ihm gesagt, dass sie ihn nicht besuchen und bei ihrer Mutter schlafen würde. Sie könne nicht mehr. Im Weiteren habe man sich aber ausgesprochen und vereinbart, fortan immer alles sagen zu wollen, was einem nicht passe. Für ihn sei die Trennung damit vom Tisch gewesen, denke aber mittlerweile, dass dies bei seiner Frau anders gewesen sei. Gleichwohl habe diese erste Trennung auch ihn weiter beschäftigt. So habe er zwischenzeitlich den vagen Verdacht gehabt, seine Frau könne eine Affäre haben, weil sie regelmäßig spät von der Arbeit nach Hause gekommen sei und z.B. ihr Höschen ausgewaschen habe. Ab diesem Zeitpunkt habe er auch viele Facetten an ihr kennengelernt, die er vorher so nicht gekannt habe. Es sei durchaus öfter zu Streit gekommen, der aber nie zu körperlichen Auseinandersetzungen geführt habe.
67Belastet hätten ihn auch die vielen Umzüge, weil er ihnen körperlich – erst recht nach dem Herzinfarkt – nicht richtig gewachsen gewesen sei und auch, weil diese aus seiner Sicht zu viel Geld kosteten. Nachdem die beiden 2015/2016 in der damaligen Wohnung seiner späteren Ehefrau zusammengezogen seien, seien sie von dort aus nach F und später nach MC. umgezogen, da seine Frau eine Arbeit in V aufgenommen habe und ihr die Fahrerei sonst zu lange gewesen sei. Schließlich sei man im September 2020 in die von den beiden zuletzt bewohnte Wohnung in T. gezogen. Dieser habe er aber von Anfang an skeptisch gegenübergestanden, weil er die Wohnung für Schrott hielt. Letztlich hätten sich seine Befürchtungen bezüglich des Zustands der Wohnung bewahrheitet und zudem hätte man Stress mit einem älteren Mitbewohnerpaar gehabt.
68Am diesjährigen Geburtstag seiner Frau (14.02.) habe er ihr noch Geld und Ohrringe geschenkt. Man sei dann auch bei seinen Eltern gewesen, von denen sie ebenfalls Geschenke bekommen habe, anschließend sei man zusammen im Bett gewesen. Am darauffolgenden Montag oder Dienstag habe sie während des Fernsehguckens die Fernbedienung genommen und den Fernseher ausgemacht. Sie habe gesagt, dass sie reden müssten und dann fortgeführt, dass sie ihn nicht mehr liebe und sie sich scheiden lassen müssten. Das sei für ihn ein echter Schlag gewesen, das habe ihm die Füße unter dem Boden weggezogen. Danach habe man noch einmal gut miteinander geredet. Er habe ihr da gesagt, dass das alles für ihn ein Albtraum sei. Aber er habe gewusst, dass sie, wenn sie etwas beendet, das dann auch so sein würde.
69Für ihn habe es dann organisatorisch einiges zu erledigen gegeben, er habe sich arbeitslos melden, sich beim Wohnungsamt vorstellen und ein Konto einrichten müssen. Außerdem habe man Anwälte für die Scheidung benötigt. Bis zum Tattag habe man zwar weiter zusammengelebt, Tisch und Bett allerdings getrennt.
70Die Nacht vor dem Tattag sei sehr schlimm gewesen. Er sei mit einer Panikattacke wach geworden und habe gedacht, dass er das nicht schaffe. Er habe dann 1 mg Alprazolam sowie einen Blutdrucksenker gegen die Herzrhythmusstörungen genommen, vielmehr wisse er von dem Tag nicht mehr. Er wisse allerdings, dass er später den Entschluss gefasst habe, sich selbst zu töten. Erst danach habe er sich mittags eine Flasche Whisky genommen und angefangen zu trinken. Wie viel genau, könne er nicht sagen. Er habe dann die Waffe vom Typ Taurus und das zugehörige Magazin mit Munition aus dem Safe geholt und in sein Zimmer gebracht. Genaueres könne er dazu nicht mehr sagen. Er lade seine Waffe aber grundsätzlich nie bis zum Ende. Beim Schießen lade er üblicherweise nur jeweils fünf Schuss, sonst auch mal zehn bis 13. Grundsätzlich bewahre er die Waffe und die Munition in verschiedenen Fächern des Safes auf. Ob das Magazin bereits aufmunitioniert im Fach lag oder er dies dann noch selbst bestückt habe, könne er nicht mehr sagen. Er habe jedenfalls die Absicht gehabt, sich selbst mit der Waffe zu töten. Er habe das richtig machen wollen, um nicht als Pflegefall zu enden. Er habe dann auch noch Tabletten genommen, die er in seinem Nachttisch aufbewahrt habe. Diese habe er nicht mehr genommen, um sich zu therapieren, sondern vielmehr um sich zu betäuben. Dann sei alles weg, bis er im Krankenhaus wieder aufgewacht sei. Auch danach fehle ihm allerdings einiges in der Erinnerung. So könne er sich z.B. nicht an die Vorführung vor den Haftrichter erinnern.
71Ihm tue das alles sehr leid. Seine Frau habe sich ganz sicher nicht selbst getötet und ihm sei klar, dass allein er als Täter in Betracht komme. Er leugne nicht, die Tat begangen zu haben und wolle die Verantwortung dafür übernehmen. Er sei sich aber sicher, dass es zu der Tat nicht gekommen wäre, wenn er keine Tabletten genommen hätte.
723)
73Mit Ausnahme eines wesentlichen Teils der Angaben zum Geschehen am Tattag ist die Kammer der Einlassung des Angeklagten weitgehend gefolgt.
74a)
75Die Feststellungen zum Vorgeschehen im weiteren Sinne – oben II.1) – beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten. Sie werden, was die charakterliche Beschreibung des Angeklagten selbst und der J. sowie deren Verhältnis zueinander betrifft, von den Bekundungen der zeugenschaftlich vernommenen Verwandten und Freunde, insbesondere auch der Frau O., des Herrn I., des Herrn S., des Herrn C , der Frau Y. und der Frau S uneingeschränkt gestützt. Alle beschrieben den Angeklagten übereinstimmend als grundsätzlich freundlich und umgänglich, aber eher einzelgängerisch und sich und seine Ehefrau (selbst-)isolierend, der gerne in vergangenen, aufregenderen Tagen schwelgte. J. hingegen wurde als sehr selbstbestimmt, temperamentvoll, konsequent und impulsiv beschrieben, die zwar mit ihren Vertrauten schon einmal das Gespräch suchte und aus ihrem Leben und von ihren Schwierigkeiten – insbesondere nach dem Herzinfarkt des Angeklagten bzw. der ersten Trennung – berichtete, echte Hilfe aber nicht nachsuchte, sondern der Meinung war, damit selbst klarzukommen bzw. klarkommen zu müssen.
76Dass die J. vor hatte, sich wieder mehr ihren beiden Kindern zuzuwenden, hat die Kammer insbesondere den glaubhaften Angaben der Zeugen S und G. entnommen. Die beiden Zeugen haben ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer ehemaligen Ehefrau bzw. Mutter, weil sie in der Vergangenheit selbst erhebliche Konflikte mit ihr ausgetragen haben (Rosenkrieg um die Scheidung bzw. Unterhaltsstreitigkeiten nach Erreichen der Volljährigkeit). Es war erkennbar, dass die beiden Zeugen J. durchaus kritisch und differenziert betrachten. Gleichwohl waren sie sich sicher – und dem konnte die Kammer folgen –, dass J. nach einer Phase der auch durch den Angeklagten bedingten Abwendung sich künftig ernsthaft wieder der Familie mehr zuwenden wollte. Dies wird letztlich auch durch die E-Mail der J. an die Ü Lebensversicherung vom 01.03.2021 bestätigt, in der sie Bezugsberechtigung ihrer Lebensversicherung letztendlich zu Gunsten ihres Sohnes abändern lässt, was deutlich mehr als nur eine Geste ist.
77Dass der Angeklagte die letzte und endgültige Trennung jedenfalls äußerlich akzeptierte, jedenfalls für unausweichlich hielt und deshalb notwendige organisatorische Dinge anging, steht fest auf Grund seiner Einlassung sowie etwa der Wahrnehmung des Zeugen A., dem seine Tante, die J., dies so gegenüber geäußert hat. Es wird zudem gestützt durch die zwischen dem Angeklagten und J. zwischen dem Trennungs- und dem Tattag ausgetauschten WhatsApp-Nachrichten. So hatte er etwa kurz nach der Trennung und dem nachfolgenden Gespräch am 24.02.2021 um 23:01 Uhr geschrieben:
78[…] Ich liebe dich sehr werde aber loslassen Manchmal auch wenn’s weh tut muss man jemanden gehen lassen weil man ihn liebt….. du sollst glücklich werden das wollte ich ja im Grunde immer […]
79Weiter schrieben die beiden ganz regelmäßig über organisatorische Dinge, wie die anwaltliche Vertretung im Scheidungsverfahren, das Beantragen von Arbeitslosengeld für den Angeklagten usw. usf. Aus seiner Einlassung, die wiederum etwa durch die vorzitierte – wie aber auch weitere Textnachrichten bestätigt wird –, folgt aber auch, dass der Angeklagte die Trennung selbst – aus eigener Motivation – nicht wollte, sondern die Beziehung auf Grund weiter bestehender Gefühle eigentlich fortzusetzen wünschte.
80Die Feststellungen zum Arztbesuch am Vortag der Tat beruhen auf der Vernehmung der Zeugin Dr. D., die hierüber sowie über die ihr bekannte Krankengeschichte des Angeklagten konzentriert und ausführlich berichtete.
81Den festgestellten Sachverhalt zu dem Telefonat mit dem Zeugen I. am 24.03.2021 sowie das geplante Treffen am Tattag, welches letztlich nicht zustande kam, hat die Kammer der Aussage des Zeugen I. entnommen. Der Zeuge, der sich selbst glaubhaft als Freund beider Eheleute beschrieb, berichtete ersichtlich ohne Partei zu nehmen oder sonstwelche Belastungstendenzen und räumte vorhandene Erinnerungslücken – z.B. von wem das ursprüngliche Telefonat ausging – nachvollziehbar ein.
82b)
83Wie der Angeklagte die Nacht vor der Tat verbracht hat, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Dass es eine „schlimme Nacht“ gewesen sein könnte, wie der Angeklagte sie beschreibt, erscheint ihr zwar möglich, von der Richtigkeit der Einlassung ist die Kammer insoweit – insbesondere wegen der auch im Übrigen weitgehend unglaubhaften Angaben zum Tattag – nicht überzeugt. Letztlich kommt es hierauf allerdings auch nicht entscheidend an. Die Kammer hält es zu Gunsten des Angeklagten nämlich für jedenfalls nicht ausschließbar, dass dieser nach dem Aufwachen Symptome der bei ihm bestehenden Angststörung entwickelte. Dass diese von außerordentlicher Heftigkeit gewesen sind, ist allerdings nicht anzunehmen, denn diese sind zeitnah wieder abgeklungen. Das zeigt sein zur Überzeugung der Kammer in jeder Hinsicht unbeeinträchtigtes Agieren am Vormittag des Tattages. So folgt er ganz offensichtlich seinen vorgefassten Plänen und tätigt Erledigungen, wie etwa Farbe für die Renovierung zu bestellen und ein an das Jobcenter gerichtetes Einschreiben zur Post zu bringen. Parallel kommuniziert er teils parallel sowohl mit J. als auch mit seiner Mutter. Auf eingehende Nachrichten reagiert er dabei umgehend, so antwortet er auf die Nachricht von J. von 09:10 Uhr nach drei Minuten und beantwortet die Audio-Nachricht seiner Mutter von 10:11 Uhr um 10:14 Uhr. Auch vom Inhalt her sind die Nachrichten adäquat. Sie stellen jeweils eine sachbezogen Beantwortung bzw. Fortführung des aufgeworfenen Themas dar und sind von klarer und verständlicher Sprache. Soweit es die Textnachrichten betrifft, hat die Kammer wohl gesehen, dass diese nicht fehlerfrei abgefasst sind. Aus den insgesamt zahlreich eingeführten Sprachnachrichten kann aber zwanglos abgeleitet werden, dass der Angeklagte keinen außerordentlichen Wert auf Aspekte, wie eine korrekte Groß- und Kleinschreibung bzw. die Orthografie im Allgemeinen, Interpunktion oder einen vollständigen Satzbau legte. Die in Augenschein genommene WhatsApp-Audionachricht von 10:14 Uhr zeigte zudem solche Fehler im gesprochenen Wort nicht. Die Sprache des Angeklagten war vielmehr klar, ruhig und verständlich und im Tonfall bzw. der Stimmung freundlich. Nicht ausschließbar ist, dass – wenn es morgens Symptome einer Angststörung gegeben haben sollte –, dass diese nicht von selbst verschwanden, sondern der Angeklagte wie in solchen Fällen üblich eine adäquate Dosis Alprazolam genommen hat. Er selbst hatte sich so eingelassen, morgens 1 mg (entspricht einer Tablette) genommen zu haben. Die Kammer geht davon aus, dass er jedenfalls nicht die sonst übliche Maximaldosis von 1,5 mg überschritten hat.
84In Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten geht die Kammer davon aus, dass er im weiteren Verlauf des Tages begonnen hat, Alkohol, insbesondere Whiskey und auch Bier zu trinken. Anders lässt sich die später festgestellte erhebliche Blutalkoholkonzentration von 2,02 Promille um 20:10 Uhr (folgt aus dem ärztlichen Bericht vom 25.03.2021 bzw. des Alkohol-Befundes des Rechtsmedizinischen Instituts der UK X.) nicht erklären. Wann er genau damit begonnen hat und in welcher Geschwindigkeit er welche Alkoholika zu sich geführt hat, vermochte die Kammer mangels konkreter Angaben des Angeklagten oder weiterer objektiver Anknüpfungspunkte nicht weiter aufzuklären.
85Dass der Angeklagte wegen der Gesamtsituation, ggfs. ausgelöst oder verstärkt durch den Alkoholkonsum, vor der Tat ernsthafte suizidale Absichten entwickelte, infolgedessen er eine große Menge von Tabletten zu sich nahm, konnte die Kammer nicht festzustellen. Sie hält die entsprechende Einlassung des Angeklagten für nicht glaubhaft. Zwar litt der Angeklagte an einer Depression, allerdings hatte dies selbst nach eigenen Angaben in der Vergangenheit nie zu irgendwelchem Verhalten geführt, dass qualitativ einem Suizidversuch auch nur nahe gekommen wäre. Es ist außerdem kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum dies am Tattag durch Einnahme der Tabletten und Hervorholen und Laden der Waffe erstmals anders gewesen sein sollte. Vielmehr spricht die unbefangene und freundliche Stimmung am Vormittag eher gegen die Annahme einer depressiven Stimmung, die als Nährboden für einen Suizid ggfs. zu dienen geeignet wäre. Legt man die Einlassung des Angeklagten zu Grunde, dass er schon bei Trinkbeginn Suizidabsicht gehabt habe, kann auch der Alkohol als Auslöser ausgeschlossen werden. Ebenso konnte die Kammer in der ihr bekannten Kommunikation, die bis kurz vor der Tat konfliktfrei verlief, einen derartigen Auslöser nicht entnehmen. Schließlich spricht gegen die Einnahme einer größeren Menge von Aprazolam-Tabletten zu einen Zeitpunkt deutlich vor der Tat, dass deren Wirkstoff sich dann auf die Handlungsfähigkeit des Angeklagten hätte spürbar auswirken müssen, was jedoch nicht der Fall war (dazu später).
86Die Einzelheiten zu der WhatsApp-Kommunikation mit seiner Mutter ab 17:18 Uhr stehen zur Überzeugung der Kammer auf Grund der Bekundungen des zeugenschaftlich vernommenen Polizeihauptkommissars N. fest. Dieser erinnerte sich an den Einsatz, dessen Anlass es gewesen sei, dass die Melder sich Sorgen um ihren Sohn wegen eines möglichen Suizids machen würden. Vor Ort eingetroffen, habe die Mutter des Angeklagten ihnen schnell ihr Handy und die dort gespeicherte Kommunikation mit ihrem Sohn gezeigt, wohl um den Kollegen und ihm die Möglichkeit zu geben, die Lage schnell und präzise zu erfassen und ihre im Notruf getätigten Angaben zu ergänzen. Den Inhalt der Nachricht des Angeklagten von 17:48 Uhr erinnerte er sinngemäß. Dort habe gestanden, „ich habe sie omgelegt“. Auf Vorhalt vermochte er glaubhaft auch den in dem von ihm niedergelegten Bericht vom 25.03.2021 genauen Wortlaut sowie die Sendezeiten der Nachrichten bestätigen. Dass der Zeuge, wie von ihm glaubhaft mitgeteilt, zu dieser Zeit keine Kenntnis von dem laufenden Polizeieinsatz in T. hatte, der bei einer anderen Kreispolizeibehörde lief, bezweifelt die Kammer nicht.
87c)
88An die eigentliche Tat, wie auch an große Teile des Geschehens am Tag bis dahin will der Angeklagte keine Erinnerung haben. Die Kammer hat die den Tatablauf maßgeblich bestimmenden Geschehnisse gleichwohl wie folgt feststellen können:
89Dass mindestens dreizehn Schüsse aus der halbautomatischen Selbstladepistole Taurus, Modell PT 28 AFS, abgegeben wurden, steht fest auf Grund des Gutachtens des LKA NRW vom 07.05.2021 sowie auf Grund der im Spurensicherungsbericht beschriebenen Tatortspuren (insbesondere: aufgefundene Projektile und Hülsen sowie Einschusslöcher). Nach der gutachterlichen Expertise war die am Tatort sichergestellte Waffe funktionstüchtig. Ebenso konnte der Sachverständige nach Durchführung einer vergleichslichtmakroskopisch durchgeführten Untersuchung sicher bestätigen, dass zwei der sichergestellten und in der Küche aufgefundenen Patronenhülsen aus der Waffe verschossen bzw. aus dieser ausgeworfen wurden. Der Befund wird dadurch bestärkt, dass auf Grund eines auf ein sichergestelltes Projektil angewendeten Vergleichstests bei Vorliegen gleicher Systemmerkmale im Bereich der Feld/Zugeindrücke Ähnlichkeiten in den Abbildungen der individualcharakteristischen Verfeuerungsspuren festgestellt werden konnten, was aus der nachvollziehbar erläuterten sachverständigen Sicht in hohem Maße dafür spricht, dass das Geschoss aus der Waffe abgefeuert wurde. In Anbetracht des Umstandes, dass eine weitere Waffe, aus der Schüsse hätten abgegeben werden können, in unmittelbarer Nähe der Küche nicht aufgefunden wurde und dem Umstand, dass die Einschusslöcher alle im (von der Tür aus betrachtet) hinteren Teil der Küche liegen, ist die Kammer zudem davon überzeugt, dass auch die weiteren Schüsse aus der Taurus-Pistole abgefeuert wurden. Dass es sich um mindestens dreizehn Schüsse handelt, folgt aus der entsprechenden Anzahl der durch die Polizeibeamten aufgefundenen Patronenhülsen.
90Zur Überzeugung der Kammer wurden die Schüsse auch allesamt von dem Angeklagten abgegeben. Abgesehen davon, dass auch der Angeklagte selbst nichts anderes für plausibel hält, steht dies fest auf Grund der an der Waffe festgestellten DNA-Spuren sowie auf Grund von Art und Intensität des an den Händen des Angeklagten und der J. aufgefundenen Schmauchs. Aus dem DNA-Analytischen Gutachten des LKA NRW vom 18.05.2021 (in Verbindung mit dem Ergänzungsgutachten vom 22.09.2021) ergibt sich, dass die an Abrieben an verschiedenen Stellen der Waffe gewonnene DNA untersucht und mit derjenigen des Angeklagten und der J. abgeglichen wurde. Die Sachverständige ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass am Abzug, am Hahn sowie am kompletten Rest der Waffenaußenseiten (mit Ausnahme des Griffs sowie der Verschlussrillen) solche DNA-Merkmale hätten detektiert werden können, wie sie für den Angeklagten bestimmt worden sein. Am Griff sowie an den Verschlussrillen hätten die DNA-Merkmale des Angeklagten jeweils die Hauptkomponente ausgemacht. Die geringfügigen Beimengungen an den Verschlussrillen seien auf Grund ihrer Marginalität nicht abgleichsgeeignet. Die Beimengungen am Griff seien dergestalt, dass sie auf eine Vielzahl von Personen zutreffen können, darunter auch J.. Aus gutachterlicher Sicht bestanden keine Zweifel, dass die an allen Waffenteilen aufgefundenen Spuren von dem Angeklagten stammen würden. Lediglich bezüglich der Spur am Griff könne J. als Mitverursacherin nicht ausgeschlossen werden. Diese überzeugenden und auf die im schriftlichen Gutachten näher dargestellten, anerkannten wissenschaftlichen Methoden gestützte Beurteilung, die die Kammer selbst nachvollzogen hat, macht sie sich zu Eigen. Sie lässt sich mit dem übrigen Spurenbild und den weiteren Feststellungen ohne Weiteres in Einklang bringen. So finden sich mögliche Spuren der J., die einzig als weitere Schützin in Betracht kommt, nur am Griff der Waffe, was sich dadurch erklären lässt, dass der Angeklagte ihr die Waffe später in die Hand legte. An den spezifischeren auch für das Laden der Waffe oder die Abgabe des Schusses relevanten Stellen, wie etwa dem Magazin, dem Hahn und dem Abzug, finden sich jedoch ausschließlich Spuren des Angeklagten. Gestützt wird die Feststellung auch durch die Schussspurenuntersuchung im Gutachten des LKA NRW vom 06.08.2021, in welchem die an den Händen des Angeklagten sowie der J. gesicherten Schmauchspuren untersucht worden sind. Die Auswertung ergab, dass sich an den Händen des Angeklagten mit Schwerpunkt für die rechte Hand in extrem großer Anzahl schmauchspezifische Partikel nachweisen ließen, die in ihrer Elementzusammensetzung dem Referenzschmauch von den tatrelevanten Patronenhülsen entsprachen. Aus sachverständiger Sicht lässt sich dies etwa durch ein Hantieren mit einer Waffe, inklusive einer auch mehrfachen Schussabgabe mit entsprechend zusammengesetzter Munition, erklären. An den Händen der J. fanden sich demnach Schmauchpartikel jeweils in erheblich geringerer Anzahl, die auf den Klebefolien zudem diffus verteilt waren. Diese Spuren lassen sich nach Auffassung des Sachverständigen bereits durch einen bloßen Kontakt mit der Waffe bzw. einer Schussabgabe auf die Person erklären. Wiederum ist das Ergebnis des Gutachtens plausibel mit den sonstigen Feststellungen übereinzubringen. So liegt es nahe, dass die Schmauchanhaftungen überwiegend dadurch an der Hand der J. angetragen wurden, dass der Angeklagte ihr die Waffe in die Hand legte. Gegen eine eigene Schussabgabe durch J. sprechen zudem die bei ihr festgestellten Verletzungen. Zum einen liegen die Schusseintritte überwiegend auf ihrer rückwärtigen Seite, sodass es schon zweifelhaft ist, ob sie sich diese überhaupt selbst zufügen konnte, lebensnah ist es keinesfalls. Zum anderen ist es lebensfremd, dass es ihr gelungen sein könnte, derart viele Schüsse in Folge auf sich selbst abzugeben, zumal jeder einzelne Schuss erhebliche Verletzungen und damit verbundene Schmerzen auslöst.
91Der Angeklagte hat mit den Schüssen auch auf den Körper der J. gezielt. Das folgt für die Kammer schon aus dem Umstand, dass mindestens acht von mindestens 13 abgegebenen Schüssen den Körper von J. auch tatsächlich trafen. Dabei hat die Kammer zum einen berücksichtigt, dass die Schussentfernung relativ gering war, da sich sowohl der Schütze wie auch das Opfer in der kleinen Küche befunden haben müssen. Ersteres nimmt die Kammer deshalb an, weil alle Patronenhülsen in der Küche aufgefunden wurden, dort also von der Waffe hinausgeworfen worden sein müssen. Eine Hülse fand sich zwischen Türrahmen und Türblatt, was darauf hindeutet, dass ein Schuss – bei lebensnaher Betrachtung der erste – praktisch im Türrahmen abgefeuert wurde. Zum anderen hat die Kammer in Rechnung gestellt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Sportschützen handelte, der mit entsprechender Übung beim Zielen – zumal auf eine so kurze Distanz – hatte.
92Keinen Zweifel hat die Kammer auch daran, dass der Angeklagte mit jedenfalls bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Die objektive Gefährlichkeit der Waffe war ihm als Inhaber eines kleinen Waffenscheins und Sportschützen bekannt. Er wusste zudem, dass sich aus der großen Anzahl der abgegebenen Schüsse die Gefahr einer lebensgefährlichen Verletzung des Opfers deutlich erhöhen würde. Aus den Gesamtumständen leitet die Kammer ohne Zweifel ab, dass er den infolge der Schüsse für möglich gehaltenen Tod jedenfalls billigend in Kauf nahm.
93Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich eines gegenwärtigen und unmittelbaren Angriffs auf sich selbst ausgesetzt sah, bestehen nicht. Zwar wurden beim Angeklagten mehrere kleinere Verletzungen festgestellt. Es spricht jedoch nichts dafür, dass diese von einem Angriff der J. herrühren könnten. Insbesondere fanden sich bei ihrer Obduktion keine korrespondierenden Spuren. Auch am Tatort selbst fanden sich keine Anzeichen, die auf einen Kampf hindeuten. Im Gegenteil war in der Küche weitgehend alles an seinem Platz. Schließlich spricht gegen einen Angriff auch, dass der Angeklagte der J. in den Rücken schoss. Bei einem gegenwärtigen Angriff wäre jedoch eher zu erwarten gewesen, dass sie ihm zugewandt gestanden hätte.
94Die festgestellte Motivlage leitet die Kammer aus den Gesamtumständen ab. Jedenfalls bis zum Mittag des Tattages, als sie zuletzt per WhatsApp betreffend das Finanzamt kommunizierten, lässt sich im Gemüt wie auch im Verhalten des Angeklagten noch kein Anzeichen dafür finden, dass er akut mit J. in Streit geraten könnte. Erst in der WhatsApp-Kommunikation ab 17:18 Uhr mit seiner Mutter begann er äußerlich erkennbar, das Verhalten von J. zu kritisieren. Er verdächtigte sie, ihn in seinen Kreisen („meinem ex Club“) (Unterstreichung durch die Kammer) schlecht zu machen, was ihn spürbar emotional betroffen machte. Auch wenn sich aus den Nachrichten ergibt, dass er sich primär selbst in Frage stellte („womit habe ich das verdient“ bzw. „ich bin nur krank“), zweifelt die Kammer nicht daran, dass jemand wie er, der aufbrausend sein kann, seinen Unmut gegenüber dem Urheber – aus seiner Sicht der J. – klar äußern würde, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Und diese ergab sich – für den Angeklagten überraschend – höchstens fünf Minuten später, als J. aus seiner Sicht verfrüht von der Arbeit heimkam. Ihrer Persönlichkeit folgend liegt es sehr nahe, dass sie die Vorwürfe barsch zurückgewiesen hat. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass sie dem Angeklagten weitere Vorhaltungen wegen seiner Alkoholisierung, die ihr nicht verborgen geblieben sein dürfte, gemacht hat, zumal sie ihn schon zuvor darum gebeten hatte, sie vorzuwarnen, falls er trinken würde. Auf Grund des beiderseitigen Stresslevels – J. war nach einem ganzen Arbeitstag gerade eben erst nach Hause gekommen und der Angeklagte war in seinem aufkommenden Frust überrascht worden – sowie der beiderseitigen Persönlichkeiten – beide waren aufbrausend und konnten schlecht zurückstecken – dürfte der Streit schnell eskaliert und sich auf die Trennung bzw. Scheidung insgesamt ausgeweitet haben, wofür auch die letzten Äußerungen der dann schon niedergeschossenen J. sprechen, die dahingingen, dass der Angeklagte die Trennung nicht akzeptiere. Viel spricht in der Situation zudem dafür, dass der Streit verbal ohne Gewinner blieb oder dies jedenfalls nicht der Angeklagte war. Weil der Angeklagte das in der Situation nicht ertragen konnte, hat er sich zur Überzeugung der Kammer dann entschlossen, um der Situation doch noch Herr zu werden und die J. zur Ruhe zu bringen, seine Ehefrau mit seiner Pistole zu töten.
95Dass der Angeklagte die Waffe bereits zu Beginn bzw. bei der Entwicklung des Streits bei sich führte, hält die Kammer für ausgeschlossen. Es ist schon kein Grund dafür ersichtlich, dass er die Waffe am Körper getragen haben soll, als J. heimkam. Einen suizidalen Anlass hat die Kammer verneint. Die Kammer hat aber anderseits auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Angeklagte der J. mit der Waffe geradezu aufgelauert haben und sie deshalb bei sich getragen haben könnte, zumal er mit einer so frühen Heimkehr nicht rechnete. Er muss die Waffe also von ihrem Ablageort geholt und ggfs. geladen haben. Ob die Waffe regulär im dafür vorgesehenen Safe gelagert war oder möglicherweise in dem ausschließlich vom Angeklagten genutzten Zimmer abgelegt war, konnte die Kammer nicht sicher feststellen. Das kann jedoch auch dahinstehen, weil der Angeklagte in der relativ kleinen Wohnung beide Orte schnell erreichen und die Waffe an sich nehmen konnte. Für die Kammer ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte in dieser Situation (erneut) Tabletten zu sich nahm. Gelegenheit hätte dazu bestanden. Die Einnahme könnte durch den bestehenden Stress begründet gewesen sein. Letztlich kann dies abermals dahinstehen, weil die Tabletteneinnahme zu diesem Zeitpunkt keine Auswirkungen auf das unmittelbar nachfolgende Tatgeschehen gehabt hätte.
96Die Feststellungen zu den von der J. erlittenen Verletzungen, insbesondere zu Anzahl und Art der nachweisbaren Ein- und Austrittsstellen, der Schusskanäle sowie auch zur Todesursache beruhen auf den jederzeit nachvollziehbaren und ersichtlich wissenschaftlichen fundierten gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen VH. (Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums X.), die die Kammer selbst nachvollzogen und sich zu Eigen gemacht hat.
97d)
98Dass der Angeklagte den WhatsApp-Chatverlauf mit seiner Mutter und auch denjenigen mit J. nach der Tat gelöscht hat, folgt zur Überzeugung der Kammer aus den Bekundungen der zeugenschaftlich vernommenen Kriminaloberkommissarin Tellers. Diese hatte auf Bitten der Kammer erneut die beiden dem Angeklagten zugeordneten Mobiltelefone untersucht und dabei festgestellt, dass dort keine WhatsApp-Nachrichten aus den vorbezeichneten Chatverläufen gespeichert sind. Eine grundsätzliche denkbare automatische Löschung schließt die Kammer aus, weil diese regelmäßig nur ältere, also länger zurückliegende Nachrichten betrifft, aber nicht – wie vorliegend – solche vom aktuellen Tag. Die Zeugin hat zudem nachvollziehbar erläutert, dass beim Löschen des Chats im Programm selbst, oft Anlagen (z.B. Fotos oder Audio- und Videodateien) zurückbleiben. Deshalb sei es auch plausibel, dass in der von der Kammer durchgeführten weiteren Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten die drei Sprachnachrichten von bzw. an die Mutter des Angeklagten vom Vormittag des Tattages aufgefunden werden konnten.
99Die Feststellungen zum tatnachgelagerten Geschehen im Übrigen beruhen insbesondere auf den Aussagen der Zeugen M., Z. und K..
100Die Zeugin M. hat ihre Wahrnehmungen wie festgestellt in der Hauptverhandlung bekundet. Die Aussage war zur Überzeugung der Kammer in allen Teilen äußerst glaubhaft. Die Zeugin erinnerte die Geschehnisse gut und gab sie detailreich, präzise und authentisch wieder. Es fiel der Kammer leicht, diese nachzuvollziehen, weil die Zeugin immer wieder ihre Gedanken und Gefühle offenbarte, die situationsgerecht und authentisch wirkten. So war das Handeln der Zeugin von ihrer zupackenden und hilfsbereiten Art geprägt. Es stand für sie außer Zweifel, dass sie – nachdem sie zunächst laute Geräusche und später Hilferufe aus der Wohnung der Eheleute U. vernommen hatte –, etwas unternehmen müsse. Sie konnte und wollte den ihr qualvoll erscheinenden Rufen nicht weiter zuhören und überlegte, ob sie selbst hingehen oder fremde Hilfe holen sollte. Ihre Freundin, die Zeugin ZX., die die Kammer auch vernommen hat und die einen eher zurückhaltenden und ängstlichen Eindruck machte, habe ihr davon aber abgeraten, weswegen sie dann die Polizei verständigt habe. Um die Sache zu beschleunigen, habe sie die Polizei hereinlassen wollen und deshalb vor der Haustüre gewartet. Als diese kam, habe sie dann bemerkt, dass sie in der Aufregung ihren Schlüssel vergessen und sich ausgesperrt habe, weswegen sie sofort an allen Klingeln des Hauses geklingelt habe. Authentisch schilderte sie dann insbesondere auch, dass sie sehr überrascht und auch ein bisschen ängstlich gewesen sei, als der Angeklagte die Türe geöffnet habe. Immer noch in der Hoffnung und mit dem Willen, der aus ihrer Sicht mutmaßlich verletzten Person in der Wohnung helfen zu können, sei sie ihm gleichwohl gefolgt.
101Auch die Aussagen der Zeugen Z. und K. waren glaubhaft. Übereinstimmend berichteten die beiden wie festgestellt ohne Anzeichen von Belastungstendenzen. Die Zeugin Z. war sichtlich bemüht, präzise und detailreich zu berichten, räumte aber ein, wenn sie etwas nicht mehr erinnerte. Auf Vorhalt sagte sie etwa, dass sie zwar wisse, dass in der Strafanzeige stünde, dass die Geschädigte geäußert habe, dass ihr Mann ihr die Waffe in die Hand gelegt habe, sie daran aber heute keine Erinnerung mehr habe. Auch der Zeuge K. war in der Lage präzise und detailreich zu berichten. An dieser grundsätzlichen Einschätzung der Kammer ändert es auch nichts, dass er vom Verteidiger auf einen Widerspruch zwischen seiner Aussage und dem von ihm früher niedergelegten Vermerk angesprochen, sich in einem einzelnen – nicht zentralen – Punkt einmal berichtigen musste.
102IV.(Rechtliche Würdigung)
103Nach den unter II. getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte des Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
104Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe lagen nicht vor.
105Insbesondere war der Angeklagte zur Tatzeit nicht schuldunfähig i.S.d. § 20 StGB.
1061)
107Allerdings lagen beim ihm tatzeitbezogen psychiatrische Erkrankungen bzw. Störungen vor, die unter das (erste) Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zu subsumieren sind. Das sind zum einen eine schwere depressive Episode sowie ein Rauschzustand infolge einer Alkohol- bzw. Mischintoxikation von Alkohol und Benzodiazepinen.
108Entsprechend der vom dem erfahrenen und der Kammer aus zahlreichen Verfahren als kompetent und gewissenhaft bekannten psychiatrischen Sachverständigen Dr. BY. überzeugend hergeleiteten Diagnose ist davon auszugehen, dass der Angeklagte seit seinem Herzinfarkt und der nachfolgenden Implantation des Defibrillators ab Ende 2019 unter einer schweren depressiven Episode (ICD-10 F32.2) leidet. Er erfüllt seit dem die erforderlichen diagnostischen Kriterien. So sank die Stimmung des Angeklagten merklich (auf nur noch eine gute zwei auf einer Selbstbeschreibungsskala von einem bis zehn Punkten) und er verlor Freude an Dingen, die ihm zuvor Spaß gemacht hatten, wie etwa an seinem eigenen oder fremden Fahrzeugen oder Motorrädern zu „schrauben“. Schließlich stellte sich bei ihm auch eine Müdigkeit bzw. Antriebslosigkeit ein und es ließ sich ein Verlust des Selbstwertgefühls bzw. des Selbstvertrauens feststellen. Letzteres zeigt sich insbesondere auch darin, dass der Angeklagte, nachdem seine Frau sich das erste Mal von ihm trennte und ihm in diesem Zusammenhang vorhielt, kein „Gemüse“ pflegen zu wollen, letztlich passiv reagierte, sich zwar bemühe, ihr gerecht zu werden, aber wohl schon Zweifel daran hatte, deren Erwartungen erfüllen zu können. Auch die sehr zurückhaltende Reaktion auf die von ihm vermutete Affäre seiner Frau zeugen davon. Die Symptome legten zu Beginn zwar noch eher die Annahme einer Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) nahe. Letztlich schied eine solche aber deshalb aus, weil die Depressivität länger als sechs Monate nach der sie auslösenden Belastung andauert. Zwar beschrieb der Angeklagte auch schon zuvor depressive Phasen, diese führten jedoch nie zu einer spürbaren Beeinträchtigung seines Lebens.
109Zugleich ist zweifellos anzunehmen, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in einem akuten Alkoholrausch befand (ICD-10 F.10). Ausgehend von der bei ihm am Abend um 20:10 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration von 2,02 Promille muss unter Berücksichtigung eines Abbauwertes von höchstens 0,2 Promille pro Stunde und eines einmaligen weiteren Zuschlags von weiteren 0,2 Promille (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 20, Rz. 13 m.w.N.) von einer erheblichen tatzeitlichen (angenommen wurde der früheste mögliche Tatzeitpunkt um 17:30 Uhr) Blutalkoholkonzentration von bis zu 2,77 Promille ausgegangen werden.
110Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Angeklagte – abgesehen von der ggfs. am Morgen genommenen therapeutischen Dosis von max. 1,5 mg Alprazolam – zur Tatzeit unter der Wirkung von Benzodiazepinen stand. Soweit sie nicht ausschließen konnte, dass der Angeklagte eine unbestimmte Menge entweder unmittelbar nach der entsprechenden Ankündigung in der WhatsApp-Nachricht an seine Mutter um 17:27 Uhr oder noch später nahm, war aus medizinischer Sicht ausgeschlossen, dass die Tabletten bis zum spätestmöglichen Tatzeitpunkt (Eingang des Notrufs bei der Polizei um 17:45 Uhr) überhaupt eine nennenswerte Wirkung entfalten konnten. So hat der von der Kammer genau zu diesem Aspekt befragte toxikologische Sachverständige Dr. YJ. nachvollziehbar ausgeführt, dass die Wirkungen bei oraler Einnahme frühestens nach ca. 20 bis 30 Minuten einsetzen. Dies deckt sich im Übrigen auch mit den subjektiven Erfahrungen des Angeklagten, der angegeben hatte, dass in der Regel eine halbe Stunde nach der Einnahme langsam eine Verbesserung der Angststörung zu verspüren sei. Dass der Angeklagte die Tabletten schon zu einem früheren Zeitpunkt eingenommen haben könnte, schließt die Kammer deshalb aus, weil die dann zu erwartenden Folgen auf den Körper bzw. das Verhalten des Angeklagten nicht festgestellt werden konnten. Die Wirkung des Medikaments sind dem toxikologischen Sachverständigen zu Folge Müdigkeit, Sedierung, Muskelrelaxation und die Dämpfung von Angst und Spannungszuständen. Insbesondere die WhatsApp-Nachrichten an seine Mutter um 17:18 Uhr und 17:27 Uhr zeigen jedoch noch klare Zeichen von starker psychischer Anspannung. Auch im festgestellten Tatablauf lässt sich eine Beeinträchtigung des Angeklagten durch Müdigkeit oder Sedierung in keiner Weise feststellen. Die von dem Angeklagten geltend gemachte Amnesie lässt sich ebenfalls nicht auf eine etwaige Tabletten- oder ggfs. Mischintoxikation zurückführen, auch wenn es sich dabei um eine mögliche Nebenfolge handelt. Genau wie eine alkoholbedingte Amnesie äußert sich, wie der toxikologische Sachverständige eingehend erläutert hat, eine durch Benzodiazepine ausgelöste Amnesie niemals retrograd. Sie setzt also nicht vor dem Zeitpunkt ein, indem die entsprechende Intoxikationsschwelle überschritten wird und endet andererseits nicht vor dem Moment, in dem die Wirkung abflaut. Die von dem Angeklagten beschriebene Amnesie setzt aber schon morgens ein, wo er auch nach seiner Darstellung noch keine größere Menge von Alkohol oder Alprazolam zu sich genommen hat, und ist zudem nicht durchgängig. So berichtet er von Erinnerungsinseln, wie etwa dem Trinkbeginn und dass er in suizidaler Absicht seine Pistole aus dem Safe geholt habe. Die Kammer hat bei ihrer Bewertung auch nicht unberücksichtigt gelassen, dass der toxikologische Sachverständige auf Nachfrage des Verteidigers bestätigt hat, dass Benzodiazepine unter Umständen auch paradoxe Reaktionen auslösen können. Zum einen hat der Sachverständige hierzu aber weiter ausgeführt, dass entsprechendes speziell für den hier relevanten Wirkstoff Alprazolam nicht bekannt sei. Zum anderen vermochte die Kammer auch keine – sich vom gewöhnlichen Gemüt des Angeklagten deutlich abgrenzbaren – Verhaltensweisen zu erkennen, die Ausfluss einer solch paradoxen Wirkungsweise des Medikaments gewesen sein könnten.
111Die langjährig ebenfalls vorliegende Panikstörung (ICD-10 F41.0) erfüllt hingegen nach den nachvollziehbar dargelegten Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen mangels hinreichender Qualität und Intensität keinen Schweregrad, der eine Subsumtion unter eines der Eingangsmerkmale (insbesondere schwere andere seelische Störung) erlauben würde, weil diese lebensbegleitend waren und der Angeklagte seit Jahrzehnten adäquat damit umzugehen wusste.
112Ausreichende Anzeichen für eine Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit oder auch für einen (nur) schädlichen Gebrauch ergaben sich aus der plausibel erläuterten Sicht des Sachverständigen – auch für die Kammer – nicht. So fehlt es jeweils schon an einer relevanten Konsummenge. Zudem hat der Angeklagte nach seinen eigenen glaubhaften Angaben keinerlei Anzeichen von Toleranzentwicklung, Suchtdruck, Entzugserscheinungen oder einem (suchtbedingten) Verlust sozialer Kompetenzen gezeigt.
1132)
114Die schwere depressive Episode und der akute Alkoholrausch haben allerdings weder einzeln noch in ihrem Zusammenwirken zum Ausschluss oder auch nur einer erheblichen Verminderung der Fähigkeit des Angeklagten geführt, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
115Anhaltspunkte für eine fehlende oder eingeschränkte Einsichtsfähigkeit haben sich nicht ergeben. Insbesondere hat weder die Exploration des Angeklagten durch den Sachverständigen noch dessen Auftreten in der Hauptverhandlung Anlass gegeben, von einer deutlichen Intelligenzminderung auszugehen. Zudem wurden wahnhafte Vorstellungen von dem Angeklagten zu keinem Zeitpunkt beschrieben und waren auch sonst nicht erkennbar. Auch aus der bestehenden Alkoholisierung lässt sich das aus Sicht der Kammer nicht ableiten. So lässt das unmittelbare Nachtatverhalten den Rückschluss zu, dass er sich des Unrechts seiner Tat ohne Weiteres bewusst war. Hierfür spricht etwa, dass er J. nach der Tat die Waffe in die Hand legte, um – eine andere Erklärung ist aus Sicht der Kammer nicht plausibel – den Tatverdacht von sich selbst abzulenken. Auch seine Äußerung gegenüber der Zeugin M. („jetzt können Sie eintreten“) spricht dafür, dass er sein Tun richtig erfasst hat. Offenbar war er sich zu diesem Zeitpunkt im Klaren darüber, dass die Tat beendet ist und nun deren Konsequenzen folgen werden.
116Der Angeklagte ist zur Tatzeit auch nicht in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Der festgestellte mehraktige Tatablauf zeigt zudem, dass der Angeklagte weder körperlich und kognitiv eingeschränkt und insbesondere in seinen Wahrnehmungen nicht hochgradig eingeengt war. Er konnte nämlich die komplexen Abläufe ohne Schwierigkeiten und vor allem in kürzester Zeit und in beengten räumlichen Verhältnissen ausführen. So musste er seine Waffe herbeiholen, möglicherweise laden, sie entsichern und ggfs. vorspannen und sodann in der relativ kleinen Küche einsetzen. Er war auch in der Lage, mit einem Großteil der abgegebenen Schüsse J. gezielt im Oberkörperbereich zu treffen. Die Einschusslöcher in der Küche blieben auf einen begrenzten Bereich beschränkt; auffällige Ausreißer fanden sich nicht. All das erfordert auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte als Sportschütze mit seiner Waffe vertraut und im Umgang damit geübt war, nicht unerhebliche koordinative Kompetenzen, die beim Angeklagten weiterhin vorhanden waren. Auch das unmittelbare Nachtatverhalten deutet indiziell auf eine erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit hin. So war er auch nach der Tat in der Lage, in kurzer Zeit die von ihm gefassten Entschlüsse recht geschickt in die Tat umzusetzen. Er handelte zu jeder Zeit situationsgerecht und mit einem gut erkennbaren Überblick über die Gesamtsituation. So legte er die Waffe in die rechte Hand seiner Frau, um den Verdacht von sich selbst abzulenken. Zwar erscheint es nicht ganz konsequent, dass er offenbar zuvor das Magazin entnahm. Eine Erklärung dafür könnte aber etwa sein, dass er auf Grund eines eingeschliffenen Verhaltens als Sportschütze zur Sicherung das Magazin routinemäßig entnommen hat und er sich erst später – als es an der Türe schellte oder er die Polizeibeamten am Fenster wahrnahm – dazu entschlossen hat, die Waffe in die Hand der Frau zu legen und dann keine Zeit mehr blieb, das Magazin wieder in die Waffe einzusetzen. Aus Sicht der Kammer war er sich im Übrigen im Klaren darüber, dass die Tat Folgen haben würde und ahnte auch, dass er sich diesen trotz der ergriffenen Verdeckungsmaßnahmen nicht würde entziehen können. Deshalb handelte er folgerichtig, indem er selbst die Türe öffnete und die Zeugin sowie in der Folge die Polizeibeamten in die Wohnung bat bzw. einließ. Schließlich war der Angeklagte auch noch in der Lage sowohl das Magazin hinter seinem Körper für eine gewisse Weile verborgen zu halten, wie auch – jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat – eine ungewisse Anzahl von Alprazolamtabletten einzunehmen. Nicht zuletzt schrieb er kurz vor Eintreffen der Polizeibeamten um 17:48 Uhr seiner Mutter, dass er die Tat begangen und Tabletten genommen habe, trug ihr auf, sich um den Hund zu kümmern und entschuldigte sich noch. Anschließend löschte er diese Nachricht und den gesamten Chatverkehr – auch den mit J. –, was ebenfalls Ausdruck seines in jeder Hinsicht erhalten gebliebenen Steuerungsvermögens ist.
117Vor diesem Hintergrund ist auch ein rein affektiv gesteuerter Ablauf der Tat nicht anzunehmen. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar erläutert, dass mit einer reinen Affekttat bereits nicht in Einklang zu bringen sei, dass der Angeklagte nach Abklingen des Affekts keine Erschütterung über seine Tat empfand, sondern – im Gegenteil – Verdeckungshandlungen vornahm und die Tat gegenüber den Polizeibeamten dementierte bzw. marginalisierte.
118V.(Strafzumessung)
119Bei der Strafzumessung ist die Kammer von dem Regelstrafrahmen aus § 212 Abs. 1 StGB ausgegangen, der Freiheitsstrafe von fünf bis 15 Jahren vorsieht.
120Ein minderschwerer Fall des Totschlags (§ 213 StGB), der eine Verschiebung des Regelstrafrahmens bedingt hätte, liegt schon deshalb nicht vor, weil – selbst wenn in dem der Tat unmittelbar vorangegangenen Streitgespräch ihm gegenüber eine schwere Beleidigung geäußert worden wäre – er hieran nicht ohne Schuld wäre. Nach den Feststellungen der Kammer hat er durch sein Verhalten nämlich den Streit ausgelöst, jedenfalls aber erheblich zu dessen Eskalation beigetragen.
121Es liegt auch kein sonst minder schwerer Fall des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB vor. Die insoweit zu treffende Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit ließ unter Beachtung sämtlicher be- und entlastender Umstände die Anwendung des in § 212 Abs. 1 StGB festgelegten Strafrahmens nicht als unangemessen hoch erscheinen. Die nachfolgend dargestellten schuldmindernden Umstände erlangten dabei kein Gewicht, dass sie den Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB als unangemessen hart erscheinen ließen.
122Da der Angeklagte aus Sicht der Kammer – wie schon unter III.2) ausgeführt – zur Tatzeit in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht erheblich i.S.v. § 21 StGB vermindert war, kam die ohnehin fakultative Milderung gem. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht.
123Im Rahmen der konkreten Strafzumessung war zuvorderst zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er strafrechtlich bislang nicht Erscheinung getreten ist, das er – auch, wenn ein Geständnis im eigentlichen Sinne auf Grund der behaupteten Amnesie nicht möglich war – keinen Zweifel daran ließ, dass er der Täter war und die Verantwortung dafür übernehmen wollte. Auch hat die Kammer sein vorgerücktes Alter und seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bedacht, die ihn als besonders haftempfindlich erscheinen lassen. Günstig hat sich weiter ausgewirkt, dass es sich nicht um eine längerfristig geplante Tat handelte, sondern der Tatentschluss spontan aus einem den Angeklagten stark berührenden Streit heraus entstand und sodann im Zustand emotionaler Erregung ausgeführt wurde. In Rechnung gestellt hat die Kammer schließlich, dass der Angeklagte alkoholbedingt – möglicherweise auch in Kombination mit der Wirkung des in einer therapeutischen Dosis genommenen Medikaments Alprazolam – in gewissem Maße enthemmt gewesen sein dürfte, auch wenn die Schwelle der vermindertem Steuerungsfähigkeit dadurch noch nicht erreicht war. Strafschärfend hingegen war der qualvolle, weil sich lang hinziehende und mit besonders beängstigenden Erstickungssymptomen einhergehende Zeitraum zu werten, der zwischen dem Ende der Schüsse und dem Eintreffen des Notarztes lag. Weiterhin sprach gegen den Angeklagten auch unter Berücksichtigung seiner emotionalen Erregung das Tatbild, das von einer Vielzahl von Schüssen des geübten Sportschützen geprägt war, die sich gezielt gegen den Oberkörper des von ihm abgewendeten Opfers richteten, welches in der engen Küche keine Chance hatte, diesen zu entgehen.
124Unter Berücksichtigung aller vorgenannten Kriterien hat die Kammer für die Tat eine Freiheitsstrafe von
125– 8 Jahren –
126für tat- und schuldangemessen erachtet.
127VI.(Maßregel)
128Die Kammer hat – auf Grund der tatzeitlichen Alkoholintoxikation des Angeklagten – geprüft, ob neben der verhängten Strafe dessen Unterbringung in Entziehungsanstalt anzuordnen ist. Die hierfür gem. § 64 StGB notwendigen Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor.
129Insbesondere ließ sich schon ein Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zunehmen, nicht feststellen. Wie ausgeführt – oben IV.1) – liegt keine Abhängigkeit von Alkohol wie auch von Benzodiazepinen vor. Auch sonst war eine den Angeklagten treibende oder beherrschende Neigung, Rauschmittel immer wieder in einem Umfang zu konsumieren, durch den die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird, nicht erkennbar. Bezüglich des Alkohols ist nach den Angaben des Angeklagten, die mittelbar durch die vernommenen Zeugen bestätigt werden, schon nicht anzunehmen, dass der Angeklagte Alkohol überhaupt häufiger in einer relevanten Mengen zu sich genommen hat. Der einzige Hinweis darauf ist die an ihn gerichtete WhatsApp-Nachricht der J. vom 23.02.2021, in der sie dessen Alkoholkonsum vom Vortag beklagt hat. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Vorfall kurz nach der Bekanntgabe der Trennung lag. Weitere Beschwerden der J. ergeben sich aus der bekannten Kommunikation nicht, weswegen angenommen werden kann, dass es zu keinen weiteren bedeutsamen Fällen von übermäßigem Alkoholkonsum kam. Soweit es die Einnahme des Wirkstoffs Alprazolam betrifft, ist zwar festzustellen, dass die Einnahme über mehrere Jahrzehnte regelmäßig erfolgte. Sie ist jedoch medizinisch indiziert und es sind keine Anzeichen dafür erkennbar geworden, dass der Angeklagte das Mittel über das therapeutisch notwendige Maß hinaus verwendet. Ohnehin lässt sich weder infolge des Alkohol- noch des Medikamentenkonsums eine Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- oder Leistungsfähigkeit des Angeklagten feststellen.
130VIII.(Adhäsionsanträge)
131Die gem. § 403 StPO zulässigen Adhäsionsanträge der Adhäsionskläger G. und H. sind begründet.
132Der geltend gemachte Anspruch auf Hinterbliebenengeld steht den Adhäsionsklägern jeweils aus § 844 Abs. 3 BGB zu. Das notwendige persönliche Näheverhältnis der zwischen den Anspruchstellern und der Getöteten besteht. Die zu Gunsten der Adhäsionskläger, die die leiblichen Kinder der Getöteten sind, streitende gesetzliche Vermutung aus § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB wurde nicht widerlegt.
133Zwar bestand zwischen der Getöteten und ihren Kindern kein durchgängig ungetrübtes Verhältnis. Vielmehr war dies über einen längeren Zeitraum auch durch Abwendung, seltenen Kontakt und teils nicht unerhebliche Streitigkeiten geprägt. Zuletzt aber hatte sich seit Ende 2019/Anfang 2020 die Beziehung wieder deutlich verbessert und normalisiert. Die Getötete wandte sich von da ab ihren beiden Kindern wieder vermehrt zu, man sprach sich aus und ließ die vergangenen Streitigkeiten hinter sich. Das haben übereinstimmend die Adhäsionsklägerin persönlich sowie die Zeugen S., C. und Y. glaubhaft bestätigt. Es wird zudem durch die E-Mail der Getöteten an ihre Lebensversicherung vom 01.03.2021 gestützt, in welcher sie die Bezugsberechtigung zu Gunsten ihres Sohnes, des Adhäsionsklägers H., ändern ließ.
134Den zugesprochenen Betrag von jeweils 10.000,00 EUR hält die Kammer bei wertender Betrachtung des von den Adhäsionsklägern erlittenen Leids für angemessen. Sie hat sich dabei an der als Durchschnittswert in der Gesetzesbegründung genannten Größenordnung orientiert (vgl. Wagner in Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 844, Rz. 107 m.w.N.) und hierbei einerseits bedacht, dass das Verhältnis zwar weitgehend normalisiert, aber möglicherweise noch nicht wieder vollkommen vertraut und belastungsfrei war, und andererseits, dass den Adhäsionsklägern durch den Verlust der Mutter die Gelegenheit genommen wurde, die Wiederannäherung zu vollenden.
135Der als Nebenforderung geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
136Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 709 Sätze 1 und 2 BGB.
137IX. (Kosten)
138Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 Satz 1, 472a Abs. 1 StPO.