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Auch ein rechtshängiger (hier: nachehelicher) Unterhaltsanspruch kann verwirkt werden.
Das Zeitmoment der Verwirkung ist jedenfalls bei einem fast dreijährigen Verfahrensstillstand erfüllt.
Die Untätigkeit des Unterhaltsgläubigers in einem derart langen Zeitraum darf bei dem Unterhaltsschuldner den Eindruck erwecken, der Unterhaltsanspruch werde trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht weiterverfolgt. Insoweit ist jedenfalls das Umstandsmoment der Verwirkung erfüllt, wenn das Gericht erkennbar nicht gewillt ist, dem Verfahren Fortgang zu geben, der Antrag des Unterhaltsgläubigers auf Verfahrenskostenhilfe noch nicht beschieden ist und die Erfolgsaussicht des Unterhaltsanspruchs unsicher ist (hier: wegen des Einwands, die Unterhaltsgläubigerin habe in einer verfestigten Lebensgemeinschaft gelebt).
1.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wesel vom 03.11.2017 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin nachehelichen Unterhalt für den Zeitraum März 2014 bis Mai 2015 von insgesamt 9.935 € zu zahlen, hiervon 3.806,15 € an Antragstellerin unmittelbar und 6.128,85 € an das JobcenterStadt 1.
Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
2.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zu 83 % und der Antragsgegner zu 17 %.
3.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 12.144,29 € festgesetzt.
4.
Der Antragstellerin wird rückwirkend zum 24.04.2018 Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt A in Stadt 2 zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet.
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragstellerin macht gegenüber dem Antragsgegner Ansprüche auf rückständigen nachehelichen Unterhalt für den Zeitraum September 2010 bis Dezember 2016 in Höhe von insgesamt 55.130 € geltend.
4Die am 03.03.1989 geschlossene, kinderlos gebliebene Ehe der Beteiligten ist nach Anfang des Jahres 2009 erfolgter Trennung seit dem 25.08.2010 rechtskräftig geschieden. Seither hat der Antragsgegner seine Unterhaltszahlungen an die Antragstellerin eingestellt.
5Die Antragstellerin hat am 31.08.2011 einen Antrag auf Zahlung rückständigen Trennungs- und Scheidungsunterhalts sowie laufenden nachehelichen Unterhalts beim Amtsgericht anhängig gemacht, verbunden mit Anträgen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie auf sofortige Zustellung der Antragsschrift. Die Antragsschrift ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 22.12.2011 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Nach Abtrennung der Verfahren auf Trennungs- und Scheidungsunterhalt im April 2012 hat das Amtsgericht die Antragstellerin mit Verfügung vom 09.05.2012 erfolglos aufgefordert, ihre Sachanträge zu aktualisieren. In der Folgezeit hat das Verfahren geruht bis zum 12.02.2015, an dem die Antragstellerin einen Schriftsatz mit der Bitte um Terminierung und Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch bei Gericht eingereicht hat. Nach erfolgter Terminierung und Verfahrenskostenhilfe-Bewilligung durch das Amtsgericht hat die Antragstellerin ihren Sachantrag mit Schriftsatz vom 03.06.2015 aktualisiert.
6Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 03.11.2017 den Antrag zurückgewiesen, weil es den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt bis einschließlich Juni 2014 befristet und den bis dahin entstandenen Rückstand als verwirkt angesehen hat. Grund für die Verwirkung sei die über dreijährige Untätigkeit der Antragstellerin in dem laufenden Gerichtsverfahren. Zwar sei die Förderung des Verfahrens grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, weshalb keine Verjährung des Anspruchs eingetreten sei. Jedoch habe es die Antragstellerin unterlassen, das Verfahren zwischen Mai 2012 und Juni 2015 aktiv zu fördern. Diese langwährende Untätigkeit habe der Antragsgegner trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens so verstehen dürfen, dass die Antragstellerin an der Weiterverfolgung ihres Anspruchs kein Interesse mehr habe.
7Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde. Sie hält eine Verwirkung nicht für gegeben, weil das mehrjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Gericht zu vertreten sei, welches es versäumt habe, die Sache zu terminieren und damit gegen seine Prozessförderungspflicht verstoßen habe. Für sie selbst habe keine Verpflichtung bestanden, der gerichtlichen Auflage zur Aktualisierung der Anträge nachzukommen und das Gericht an die Verfahrensförderung zu erinnern. Die Verjährungsregelung des § 204 BGB sei abschließend und lasse daneben keinen Anwendungsbereich für eine Verwirkung. Jedenfalls müsse in Fällen wie dem vorliegenden entsprechend der Regelverjährungsfrist ein Zeitraum von mindestens drei Jahren für die Annahme einer Verwirkung angenommen werden. Sie selbst habe aber bereits mit Schriftsatz vom 09.02.2015 auf einen Fortgang des Verfahrens gedrungen, so dass eine Verwirkung rückständiger Unterhaltsansprüche ohnehin allenfalls für den Zeitraum bis Februar 2014 in Betracht komme. Ein Vertrauen des Antragsgegners könne bereits wegen der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche durch die Antragstellerin nicht entstanden sein. Die von dem Amtsgericht vorgenommene Befristung bis Juni 2014 hält die Antragstellerin angesichts der langen Ehedauer für unbillig und geht von einem Unterhaltsanspruch bis einschließlich Dezember 2016 aus.
8Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist darauf, dass die Antragstellerin keine schlüssige Unterhaltsberechnung vorgelegt habe. Die Antragstellerin sei zudem im Umfang der an sie erfolgten Zahlungen des Jobcenters nicht aktivlegitimiert. Hinsichtlich der Verwirkung verweist er darauf, dass die Antragstellerin von Anfang an das Verfahren in erheblichem Maße verschleppt habe. So habe sie weder auf die gerichtliche Aufforderung zur Einreichung von Schriftsatzkopien noch zur Aktualisierung der Sachanträge reagiert. Hieraus habe er abgeleitet, dass die Antragstellerin ihren geltend gemachten Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nicht weiterverfolgen wolle.
9II.
10Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nur teilweise begründet.
11Sie kann von dem Antragsgegner die Zahlung rückständigen nachehelichen Unterhalts für den Zeitraum März 2014 bis Mai 2015 in Höhe von insgesamt 9.935 € verlangen, davon 3.806,15 € an sich selbst und 6.128,85 € an das Jobcenter. Ein Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Juni 2015 kommt wegen der vorzunehmenden Befristung des Unterhaltsanspruchs nicht in Betracht, während der Unterhaltsanspruch für den Zeitraum vor März 2014 verwirkt ist.
12Im Einzelnen gilt folgendes:
131.
14Die Beschwerde der Antragstellerin beschränkt sich auf den von ihr geltend gemachten Unterhaltsrückstand bis einschließlich Dezember 2016. Soweit sie erstinstanzlich noch laufenden Unterhalt ab Januar 2017 geltend gemacht hat, verfolgt sie diesen Anspruch mit der Beschwerde nicht weiter.
15Eine Antragserhöhung ist mit dem Sachantrag im Beschwerdeverfahren nicht verbunden. Soweit die Antragstellerin erstinstanzlich laut ihrem Antrag vom 25.01.2017 dem Wortlaut nach lediglich Unterhaltsrückstände bis einschließlich Juni 2015 geltend gemacht hatte, handelt es sich um ein offenkundiges Schreibversehen, da der Rückstand von 55.130 € ersichtlich den gesamten Zeitraum September 2010 bis Dezember 2016 betraf (41.720 € für September 2010 bis Juni 2015, Bl. 98 GA zzgl. 13.410 € für Juli 2015 bis Dezember 2016 (18 × 745 €)).
162.
17Die den Zeitraum September 2010 bis Februar 2014 betreffenden Ansprüche der Antragstellerin auf nachehelichen Unterhalt sind gemäß § 242 BGB verwirkt. Die diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts sind dem Grunde nach zutreffend.
18a) Eine Verwirkung kommt nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Gerade bei Unterhaltsansprüchen spricht vieles dafür, an das so genannte Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen. Von einem Unterhaltsgläubiger, der auf laufende Unterhaltsleistungen angewiesen ist, muss eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht. Anderenfalls können Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Auf dieser Grundlage kann das Zeitmoment der Verwirkung regelmäßig schon dann erfüllt sein, sobald die Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die ein Jahr oder länger zurückliegen. Denn nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1585 b Abs. 3, 1613 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 1360 a Abs. 3, 1361 Abs. 4 Satz 4 BGB verdient der Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes bei mindestens ein Jahr zurückliegenden Unterhaltsrückständen besondere Beachtung (BGH FamRZ 2007, 453 m.w.N.).
19b)Diese Grundsätze gelten auch für bereits rechtshängige Unterhaltsansprüche. Die Rechtshängigkeit als solche steht der Annahme einer Anspruchsverwirkung nicht entgegen (vgl. BGH FamRZ 2007, 453; OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 776), ebenso wie eine bereits erfolgte Titulierung von Unterhaltsansprüchen eine Verwirkung nicht ausschließt. Auch von einem Unterhaltsgläubiger, dessen Ansprüche bereits vor ihrer Fälligkeit tituliert sind, kann erwartet werden, dass er seine Ansprüche zeitnah durchsetzt. Denn auch in diesen Fällen können ansonsten Unterhaltsrückstände zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Der Schuldnerschutz verdient es somit auch im Falle der Titulierung künftig fällig werdender Unterhaltsforderungen, besonders beachtet zu werden, weshalb auch in diesen Fällen das Zeitmoment bereits nach dem Verstreichenlassen einer Frist von etwas mehr als einem Jahr als erfüllt anzusehen sein kann (BGH FamRZ 2004, 531). Wenn aber schon bereits titulierte Ansprüche nach Ablauf eines Jahres wegen illoyaler Untätigkeit verwirkt sein können, muss dies erst recht für zwar rechtshängige, aber noch nicht titulierte Ansprüche gelten.
20Soweit der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung vom 22.09.1983 (MDR 1984, 226) die Annahme einer Anspruchsverwirkung nach Rechtshängigkeit ausgeschlossen hat, war dies auf die Verwirkung von fristgebundenen materiellen Entschädigungsansprüchen beschränkt und beruht maßgeblich auf den Besonderheiten des Entschädigungsprozesses.
21c)Das erforderliche Zeitmoment der Verwirkung ist angesichts des Verfahrensstillstandes zwischen Mai 2012 und Februar 2015 gegeben. Zwar wendet die Antragstellerin zu Recht ein, dass der Verfahrensstillstand aus einem Verstoß des Amtsgerichts gegen seine Pflicht, dem Verfahren Fortgang zu geben, resultierte. Nach der – trotz noch nicht getroffener Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch erfolgten – förmlichen Zustellung der Antragsschrift am 22.12.2011 wäre es Aufgabe des Amtsgerichts gewesen, entweder Verhandlungstermin zu bestimmen oder das schriftliche Vorverfahren einzuleiten. Der Umstand, dass nicht die Antragstellerin, sondern das Gericht gegen die Pflicht zur Verfahrensförderung verstoßen hat, schließt jedoch noch nicht die Möglichkeit einer Anspruchsverwirkung aus. Das Institut der Verwirkung setzt keinen schuldhaften Verstoß gegen eine gesetzlich normierte Pflicht des Anspruchsinhabers voraus. Anknüpfungspunkt für die Verwirkung ist vielmehr eine illoyale Untätigkeit, die bei dem Schuldner den Eindruck erweckt, der Anspruch werde von dem Gläubiger nicht (mehr) weiterverfolgt. Bei der allgemeinen Verwirkung nach § 242 BGB kommt es danach grundsätzlich nicht auf ein von dem Berechtigten zu vertretendes Verhalten, sondern auf den objektiv von ihm geschaffenen Rechtsschein ohne Rücksicht auf den Grund hierfür an.
22d)Auch das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment ist erfüllt. Die Untätigkeit der Antragstellerin zwischen Mai 2012 und Februar 2015 dürfte bei dem Antragsgegner den Eindruck erwecken, sie verfolge ihren nachehelichen Unterhaltsanspruch trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht weiter. Das Amtsgericht hatte erkennbar keine Veranlassung gesehen, dem Verfahren über den nachehelichen Unterhalt nach der erfolgten Abtrennung von dem Trennungsunterhaltsverfahren Fortgang zu geben, nachdem die Antragstellerin auf die gerichtliche Auflage zu Aktualisierung ihres Sachantrages vom 09.05.2012 nicht reagiert hatte. Damit war auch aus Sicht der Verfahrensbeteiligten offenkundig, dass das Amtsgericht – wenn auch verfahrensfehlerhaft – nicht beabsichtigte, vor der Erfüllung dieser Auflage dem Verfahren Fortgang zu geben. Da die Antragstellerin ihrerseits der gerichtlichen Auflage in der Folgezeit nicht nachkam, wäre von ihr zu erwarten gewesen, dass sie spätestens nach Ablauf eines Jahres auf eine Fortsetzung des Verfahrens durch das Gericht gedrungen oder jedenfalls dem Antragsgegner gegenüber signalisiert hätte, dass sie trotz des Verfahrensstillstandes an der Verfolgung ihres Unterhaltsanspruches festhalte. Dies gilt umso mehr, als das Amtsgericht die beantragte Verfahrenskostenhilfe - anders als im Verfahren zum Trennungsunterhalt – (noch) nicht bewilligt hatte und somit auch aus der Sicht des Antragsgegners unklar war, ob die Antragstellerin zur Tragung des Kostenrisikos bereit sein würde. Da zudem von Anfang an das Bestehen des nachehelichen Unterhaltsanspruchs wegen der Frage der Erwerbsobliegenheit der Antragstellerin und der etwaigen Verwirkung wegen einer angeblichen verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragstellerin im Streit stand, konnte der Antragsgegner vermuten, dass die Antragstellerin ihren vormaligen Rechtsstandpunkt zwischenzeitlich aufgegeben hatte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den vom Antragsgegner von Beginn an erhobenen Einwand, die Antragstellerin habe schon seinerzeit mit ihrem heutigen Ehemann in einer verfestigten Lebensgemeinschaft gelebt. Für diese Annahme bestanden schon damals gewichtige Anhaltspunkte, insbesondere der Umzug der Antragstellerin im März 2011 in das Haus, in dem auch ihr bereits seit Ende der 90er-Jahre mit der Antragstellerin bekannte heutiger Ehemann eine Wohnung unterhielt. Zwar ließ sich der Beweis einer schon vor dem Jahr 2017 bestehenden verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragstellerin mit ihrem heutigen Ehemann durch den Antragsgegner letztlich im Verfahren nicht führen. Angesichts der gegebenen Indizienlage durfte der Antragsgegner aber die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Untätigkeit der Antragstellerin nach Mai 2012 darauf zurückzuführen war, dass die von ihm vermutete verfestigte Lebensgemeinschaft tatsächlich bestand und die Antragstellerin deshalb von der Weiterverfolgung ihres nachehelichen Unterhaltsanspruches absah.
23Der Hinweis der Antragstellerin auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach für eine Prozessverwirkung zur Untätigkeit des Arbeitnehmers noch besondere Umstände hinzutreten müssen, die unzweifelhaft darauf hindeuten, er werde trotz der Möglichkeit einer Verfahrensaufnahme auf Dauer von der Durchführung des Rechtsstreits absehen (BAG NZA 2011, 821), lässt außer Acht, dass an die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen aus den eingangs genannten Gründen geringere Anforderungen zu stellen sind als an arbeitsrechtliche Kündigungsschutzansprüche, bei denen der Verwirkungstatbestand bereits durch die dreiwöchige Klagefrist gesetzlich konkretisiert wird.
24e)Die Frage der (nicht eingetretenen) Verjährung spielt in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Rolle. Zwar führt das Versäumnis einer Partei, das Gericht an die Fortsetzung des Prozesses zu erinnern, nicht zu einer Beendigung der Verjährungshemmung (vgl. hierzu BGH NJW 2013, 1666). Verjährung und Verwirkung folgen insoweit allerdings nicht den gleichen Voraussetzungen, insbesondere existiert entgegen der Auffassung der Antragstellerin neben dem Institut der Verjährung auch noch ein verbleibender Anwendungsbereich für die Verwirkung. Auch während einer Verjährungshemmung kann eine Anspruchsverwirkung eintreten (vgl. zuletzt noch BGH FamRZ 2018, 589). Ebenso, wie vorgerichtlich noch nicht verjährte Ansprüche– insbesondere Unterhaltsansprüche - verwirken können, gilt dies auch für Ansprüche, die bereits Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sind.
25f)Es ist schließlich davon auszugehen, dass sich der Antragsgegner tatsächlich – wie von ihm angeführt – auf die Nichtgeltendmachung des nachehelichen Unterhalts eingerichtet hat. Erfahrungsgemäß pflegt ein Unterhaltsverpflichteter, der nur geringe oder durchschnittliche Einkünfte zur Verfügung hat, seine Lebensverhältnisse an die ihm zur Verfügung stehenden Mittel anzupassen, so dass er dann bei Geltendmachung unerwarteter Ansprüche nicht auf Ersparnisse zurückgreifen kann und daher in wirtschaftliche Bedrängnis gerät. Dafür, dass es im Fall des Antragsgegners anders lag, fehlt jeder Anhaltspunkt. Deshalb bedarf es keiner besonderen Feststellungen dazu, dass er sich auf den Fortfall der Unterhaltsforderungen eingerichtet hat (vgl. BGH FamRZ 1988, 373; OLG Hamm NJW-RR 2004, 1011).
263.
27Für den Zeitraum März 2014 bis Mai 2015 besteht demgegenüber ein noch durchsetzbarer Anspruch der Antragstellerin auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB. Durch die Verfahrensaufnahme der Antragstellerin am 09.02.2015 sind lediglich diejenigen Unterhaltsansprüche, die mehr als ein Jahr vor diesem Zeitraum entstanden sind, von der Verwirkung erfasst.
28Die Unterhaltsberechnung stellt sich für den vorgenannten Zeitraum zusammengefasst wie folgt dar:
293/14 - 12/14 |
1/15 - 5/15 |
||
Bruttoeinkommen EM |
57.323,68 € |
22.400,40 € |
|
Lohnsteuer |
-11.135,63 € |
-3.984,90 € |
|
Solidaritätszuschlag |
-612,41 € |
-219,14 € |
|
Rentenversicherung |
-5.118,42 € |
-1.947,57 € |
|
Arbeitslosenversicherung |
-812,43 € |
-312,45 € |
|
Krankenversicherung |
-3.985,20 € |
-1.670,48 € |
|
Pflegeversicherung |
-498,13 € |
-242,33 € |
|
Nettoeinkommen EM |
35.161,46 € |
14.023,53 € |
|
Monatseinkommen |
2.930,12 € |
2.804,71 € |
|
anteilige Einmalzahlungen netto |
0,00 € |
76,22 € |
|
anteilige Steuererstattung |
210,11 € |
84,57 € |
|
berufsbedingte Aufwendungen |
-150,00 € |
-148,27 € |
|
bereinigtes Einkommen |
2.990,23 € |
2.817,22 € |
|
nach Abzug Anreizsiebtel |
2.563,00 € |
2.415,00 € |
|
Nettoeinkommen EF (fiktiv) |
|||
Monatseinkommen |
1.460,00 € |
1.460,00 € |
|
berufsbedingte Aufwendungen |
-73,00 € |
-73,00 € |
|
bereinigtes Einkommen |
1.387,00 € |
1.387,00 € |
|
nach Abzug Anreizsiebtel |
1.189,00 € |
1.189,00 € |
|
Gesamtbedarf |
3.752,00 € |
3.604,00 € |
|
Einzelbedarf |
1.876,00 € |
1.802,00 € |
|
bedarfsdeckendes Einkommen |
-1.189,00 € |
-1.189,00 € |
|
verbleibender Unterhalt |
687,00 € |
613,00 € |
|
Summe Unterhalt |
6.870,00 € |
3.065,00 € |
9.935,00 € |
Zahlungen Jobcenter |
4.085,90 € |
2.042,95 € |
6.128,85 € |
Rest |
2.784,10 € |
1.022,05 € |
3.806,15 € |
Die anteilige Steuererstattung im Jahr 2014 ergibt sich aus dem Steuerbescheid für das Jahr 2013.
31Der ursprünglich von der Antragstellerin noch hinzugerechnete Wohnvorteil des Antragsgegners spielt in den Jahren 2014 und 2015 keine Rolle mehr, nachdem der Antragsgegner bereits im Dezember 2012 aus dem ihm gehörenden ehelichen Haus ausgezogen ist. Auf der anderen Seite können auch die Immobilienverbindlichkeiten nicht mehr einkommensmindernd berücksichtigt werden, da der Antragsgegner der Behauptung der Antragstellerin, er habe das Haus veräußert und die Kreditverbindlichkeiten abgelöst, nicht entgegengetreten ist.
32Der von der Antragstellerin bei ihrer ursprünglichen Unterhaltsberechnung berücksichtigte (fiktive) Realsplittingvorteil des Antragsgegners ist nach Einstellung der Unterhaltszahlungen im August 2010 nicht mehr relevant.
33Auf Seiten der Antragstellerin ist, wie sie dies dem Grunde nach eingeräumt hat, nicht lediglich ihr Erwerbseinkommen aus der ausgeübten Teilzeitbeschäftigung, sondern ein fiktives Einkommen aus einer Vollzeitbeschäftigung anzurechnen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist dieses Einkommen bedarfsprägend, obwohl die Antragstellerin in den Zeiten des ehelichen Zusammenlebens nicht und nach der Trennung lediglich in Teilzeit beschäftigt war. Maßstab für die unterhaltsrechtliche Erheblichkeit i.S.d. § 1578 Abs. 1 BGB ist das Wirtschaften der Ehegatten nach ihrem gemeinsamen Lebensplan während ihres Zusammenlebens und die Zumutbarkeit der bedarfsprägenden Berücksichtigung von Veränderungen. Die beachtlichen Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse sind Ausnahmen vom Stichtagsprinzip und betreffen u.a. auch erstmals erzielte (oder erzielbare) Einkünfte infolge der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Äquivalent einer schon in der Ehe durch Familienarbeit erbrachten Leistung. Eine nach der Scheidung aufgenommene oder erweiterte Erwerbstätigkeit prägt die ehelichen Lebensverhältnisse, weil sie sich als Surrogat der während des ehelichen Zusammenlebens ausgeübten Familienarbeit darstellt (vgl. nur BGH FamRZ 2007, 200; 2006, 317 (320); 2005, 1979 (1981); 1154 (1157); 2004, 1357 (1360); 2001, 986).
34Die Höhe des (fiktiven) Erwerbseinkommens aus einer Vollzeittätigkeit beschränkt sich indes nicht auf den von der Antragstellerin in Ansatz gebrachten Bruttobetrag von 1.200 €. Die Antragstellerin erzielte im Jahr 2014 bei einer monatlichen Arbeitszeit von 56,51 Stunden (was einer Wochenarbeitszeit von 13 Stunden entspricht) durchschnittlich ein monatliches Bruttoeinkommen von 720 €, was einem Stundenlohn von 12,74 € entspricht. Bei einer im Rahmen der gebotenen Vollzeittätigkeit zu erbringenden Monatsarbeitszeit von 170 Stunden folgt hieraus ein Monatsbruttogehalt von 2.166 €. Dies entspricht bei der Steuerklasse 1 einem Nettoeinkommen von1.460 €. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass ihr eine Aufstockung im Rahmen ihrer derzeitigen Arbeitsstelle zu den bestehenden Konditionen nicht möglich gewesen wäre oder sie sich in hinreichendem Maße vergeblich um eine andere (Vollzeit-) Arbeitsstelle mit gleichem Stundenlohn bemüht hätte.
35Im Zeitraum Januar bis Mai 2015 ist auf Seiten des Antragsgegners das von ihm in diesem Zeitraum erzielte Erwerbseinkommen zugrunde zu legen, wobei die beiden im Januar und Februar 2015 bezogenen Einmalzahlungen auf den gesamten Jahreszeitraum anteilig umzulegen sind. Die im Jahr 2015 erhaltene Steuererstattung ergibt sich aus dem Steuerbescheid für das Veranlagungsjahr 2014.
36Hinsichtlich der übergegangenen Ansprüche des Jobcenters in den Jahren 2014 und 2015 von monatlich 408,59 € ist die Antragstellerin zwar verfahrensführungsbefugt(§ 265 ZPO), nicht jedoch aktivlegitimiert, so dass entsprechende Unterhaltszahlungen an das Jobcenter zu erfolgen haben.
374.
38Für die Zeit ab Juni 2015 ist für den geltend gemachten Aufstockungsunterhalt wegen der aus Billigkeitsgründen vorzunehmenden Befristung kein Raum mehr. Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 BGB herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus den nach § 1578 b Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechend anzuwendenden Gesichtspunkten für die Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs auf den angemessenen Lebensbedarf nach § 1578 b Abs. 1 Satz 2, 3 BGB.
39Danach ist bei der Billigkeitsabwägung für eine Herabsetzung oder zeitliche Begrenzung des nachehelichen Unterhalts vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich nach § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben.
40Derartige ehebedingte Nachteile können auf Seiten der Antragstellerin nicht festgestellt werden. Sie werden von ihr auch nicht geltend gemacht. Unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität ist es angesichts der Ehedauer von rund 20 Jahren angemessen, den Unterhaltsanspruch in Übereinstimmung mit der ursprünglich noch in der Verfügung vom 26.01.2017 geäußerten Rechtsansicht des Amtsgerichts bis einschließlich Mai 2015 und damit auf einen Zeitpunkt knapp 6,5 Jahre nach der erfolgten Trennung zu befristen. Dass der Antragsgegner in diesem Zeitraum lediglich für die Zeit von Januar 2009 bis August 2010 Trennungsunterhalt zu zahlen hatte, beruht auf der weitgehenden Verwirkung des Anspruchs auf Trennungs- und Scheidungsunterhalt und kann nicht durch eine großzügigere Bemessung der Befristung kompensiert werden.
415.
42Der Unterhaltsanspruch ist durch die in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz des Antragsgegners vom 07.05.2018 erklärte Hilfsaufrechnung mit einem Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 1.051,96 € nicht erloschen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die der Beschluss ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden (§§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 296a ZPO). Ein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand nicht.
43III.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG. Für die von der Antragstellerin angeregte Niederschlagung der erstinstanzlichen Gerichtskosten besteht keine rechtliche Grundlage.
45Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder 2 FamFG liegen nicht vor.