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StPO §§ 46 Abs. 1, 329 Abs. 7
Beantragt der Angeklagte nach Versäumung der Berufungshauptverhandlung zusammen mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts, durch die sein Wiedereinsetzungsantrag wegen Nichteinhaltung der einwöchigen Frist des § 329 Abs. 7 StPO als unzulässig verworfen worden ist, Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, so ist das Landgericht nach § 46 Abs. 1 StPO zur Entscheidung über diesen Antrag berufen.
Der Strafsenat des Oberlandesgerichts ist nicht berechtigt, diese Entscheidung aus prozessökonomischen Gründen selbst zu treffen. Vielmehr kann und soll der Strafsenat die Sache vor einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 315 Abs. 2 Satz 2, 342 Abs. 2 Satz 2 StPO an das Landgericht zurückgeben, damit dort die vorrangige Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist getroffen wird.
OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat
Beschluss vom 9. April 2018, III-2 Ws 151/18
Eine Entscheidung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.
Die Sache wird zum zuständigen Befinden über den Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist des § 329 Abs. 7 StPO zu gewähren, an die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Duisburg zurückgegeben.
G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht Mülheim an der Ruhr hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen, Diebstahls, Erschleichens von Leistungen in vier Fällen, Betruges in drei Fällen und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt.
4Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 23. Januar 2018 ist der Angeklagte ausgeblieben. Er hatte seinem Verteidiger, der nicht über eine schriftliche Vertretungsvollmacht verfügte, telefonisch mitgeteilt, sich wegen einer akuten Hepatitiserkrankung im E.-Krankenhaus in M. zu befinden. Eine Nachfrage der Strafkammer bei diesem Krankenhaus ergab, dass sich der Angeklagte dort nicht in stationärer Behandlung befand. Daraufhin hat die Strafkammer die Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
5Das Verwerfungsurteil ist dem gerichtlich bestellten Verteidiger am 31. Januar 2018 zugestellt worden. Er hat wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung mit Telefax vom 14. Februar 2018 unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Revision gegen das Verwerfungsurteil eingelegt. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat die Strafkammer wegen Versäumung der einwöchigen Frist des § 329 Abs. 7 StPO als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.
6II.
7Eine Entscheidung des Senats über die sofortige Beschwerde ist derzeit nicht veranlasst.
8Denn der Angeklagte hat in der Beschwerdeschrift konkludent beantragt, ihm wegen der Versäumung der einwöchigen Frist des § 329 Abs. 7 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Über diesen Antrag ist vorrangig zu entscheiden. Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist ist gemäß § 46 Abs. 1 StPO die Strafkammer berufen.
91.
10Die einwöchige Frist des § 329 Abs. 7 StPO, innerhalb der wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden kann, begann mit der am 31. Januar 2018 bewirkten Zustellung des Urteils an den gerichtlich bestellten Verteidiger (§ 145a Abs. 1 StPO) und endete am 7. Februar 2018. Die Strafkammer hat zutreffend festgestellt, dass der erst am 14. Februar 2018 eingegangene Antrag verspätet war.
11Entgegen der Annahme des Verteidigers ist für den Fristbeginn unerheblich, an welchem Tag ihm welche ärztlichen Bescheinigungen vorlagen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags können noch im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO).
12Im Rahmen des § 329 Abs. 7 StPO, der eine Sonderregelung gegenüber § 45 Abs. 1 StPO darstellt (vgl. SK-Frisch, StPO, 5. Aufl., § 329 Rdn. 59), kommt es auch nicht auf den Wegfall eines Hindernisses, das der Wahrung einer Frist entgegenstand, an. Der Angeklagte hat diesbezüglich keine Frist, sondern die Berufungshauptverhandlung versäumt. Für den Fristbeginn ist nach der besonderen Regelung des § 329 Abs. 7 StPO allein die Zustellung des Urteils maßgeblich. Daran ändert auch die in § 329 Abs. 7 StPO enthaltene Verweisung auf die in §§ 44, 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen nichts. Diese Verweisung bezieht sich auf die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, nicht hingegen auf die einzuhaltende Frist. Das folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm wie auch daraus, dass es anderenfalls der besonderen Fristvorschrift in § 329 Abs. 7 StPO nicht bedurft hätte (vgl. OLGOldenburg StraFo 2011, 280).
13Das Vorbringen in der Beschwerdeschrift, das Verschulden hinsichtlich der verspäteten Anbringung des Antrags, dem Angeklagten wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, liege allein bei dem Verteidiger und sei dem Angeklagten nicht zuzurechnen, ist als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu werten. Nur bei Gewährung dieser konkludent beantragten Wiedereinsetzung können die Darlegungen zur krankheitsbedingten Verhinderung des Angeklagten in der Sache zum Tragen kommen.
142.
15Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist hat die Strafkammer zu entscheiden.
16Nach § 46 Abs. 1 StPO entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre. Das ist hier die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Duisburg, die für die Entscheidung über den wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 329 Abs. 7 StPO) zuständig war.
17Zwar wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass der Strafsenat des Oberlandesgerichts aus prozessökonomischen Gründen auch über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist entscheiden kann, wenn dieser - wie hier - zusammen mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts gestellt worden ist (vgl. KG Berlin OLGSt StPO § 46 Nr. 7; OLG Rostock BeckRS 2006, 05098). Dieser Auffassung vermag sich der Senat indes nicht anzuschließen.
18Nach dem eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut des § 46 Abs. 1 StPO kann das Beschwerdegericht nicht eine Wiedereinsetzungsentscheidung an sich ziehen, welche die Vorinstanz zu treffen hat. Eine Verlagerung dieser Entscheidung auf das Beschwerdegericht wäre systemwidrig (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 215; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 46 Rdn. 2; MünchKomm-Valerius, StPO, 1. Aufl., § 46 Rdn. 3; SK-Weßlau/Deiters, StPO, 5. Aufl., § 46 Rdn. 3; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 46 Rdn. 7).
19Die dem Wiedereinsetzungsantrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung (§ 46 Abs. 2 StPO). Auch unter diesem Gesichtspunkt darf dem Antragsteller nicht die Möglichkeit genommen werden, eine stattgebende Entscheidung bei dem nach § 46 Abs. 1 StPO zuständigen Gericht zu erreichen, das die Sache zu seinen Gunsten anders als das Beschwerdegericht bewerten kann. Erst im Falle einer den Antrag verwerfenden Entscheidung ist auf die sofortige Beschwerde das Beschwerdegericht zur Entscheidung berufen (§ 46 Abs. 3 StPO).
20Es trifft auch nicht zu, dass das Beschwerdegericht ohne vorherige Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist keine andere Möglichkeit hat, als die sofortige Beschwerde, die sich gegen den wegen Nichteinhaltung der Antragsfrist des § 329 Abs. 7 StPO ergangenen Verwerfungsbeschluss des Landgerichts richtet, ebenfalls zu verwerfen und die Sache dann an die Vorinstanz zurückzugeben (so aber: KG Berlin OLGSt StPO § 46 Nr. 7; OLG Rostock BeckRS 2006, 05098).
21Vielmehr kann und soll das Beschwerdegericht die Sache vor einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde an das Landgericht zurückgeben, damit dort zunächst die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist getroffen wird. So ist bei einem Zusammentreffen von Berufung oder Revision und Wiedereinsetzungsantrag zwingend vorgeschrieben, dass die weitere Verfügung in Bezug auf die Berufung oder Revision bis zur Erledigung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgesetzt bleibt (§§ 315 Abs. 2 Satz 2, 342 Abs. 2 Satz 2 StPO). Es spricht nichts dagegen, in gleicher Weise bei der vorliegenden sofortigen Beschwerde zu verfahren und die Entscheidung darüber zurückzustellen, bis über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist - ggf. nach sofortiger Beschwerde in diesem gesonderten Verfahren - rechtskräftig entschieden worden ist.
22Sollte dem Angeklagten Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gewährt werden, wären der allein auf die Nichteinhaltung der Antragsfrist des § 329 Abs. 7 StPO gestützte Verwerfungsbeschluss des Landgerichts und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ohnehin gegenstandslos.
233.
24Der Senat weist darauf hin, dass das Vorbringen zu dem konkludent gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist noch ergänzungsbedürftig ist.
25Ein Angeklagter ist gehalten, seinem Verteidiger einen unbedingten Auftrag zu erteilen, wenn er sichergehen will, dass dieser fristgerecht Rechtsmittel gegen eine nachteilige gerichtliche Entscheidung einlegen wird (vgl. OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen] VRS 89, 41, 43; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999, 114, 115; OLG Hamm BeckRS 2009, 08024; OLG Stuttgart StV 2011, 85, 86). Gleiches gilt, wenn durch einen Wiedereinsetzungsantrag gegen ein Verwerfungsurteil (§§ 329, 412 StPO) vorgegangen werden soll. Es reicht für den Ausschluss eigenen Verschuldens an der Fristversäumnis nicht aus, wenn sich der Angeklagte ohne Erteilung eines unbedingten Auftrags darauf verlässt, dass der Verteidiger von sich aus die notwendigen Maßnahmen ergreifen werde. Nach dem bisherigen Vorbringen ist die erforderliche Auftragserteilung, die zudem glaubhaft zu machen wäre, unklar.
26Etwaiges ergänzendes Vorbringen hätte kurzfristig gegenüber dem Landgericht zu erfolgen, an das die Akten zuständigkeitshalber zurückgeleitet werden.
274.
28Der Verteidiger hat gegen das am 31. Januar 2018 zugestellte Verwerfungsurteil mit Telefax vom 14. Februar 2018 neben dem Wiedereinsetzungsantrag (§ 329 Abs. 7 StPO) Revision eingelegt.
29Da die einwöchige Frist zur Einlegung der Revision nicht gewahrt ist (§ 341 Abs. 1 u. 2 StPO), wäre das Rechtsmittel ohne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon deshalb unzulässig. Auch ist innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO, die unabhängig von dem Wiedereinsetzungsantrag in Lauf gesetzt wurde (§ 342 Abs. 2 Satz 1 StPO), keine Revisionsbegründung angebracht worden. Zwar können die innerhalb der Monatsfrist zur Wiedereinsetzung eingereichten Verteidigerschriftsätze zugleich als (nach § 345 Abs. 2 StPO formgerechte) Revisionsbegründung herangezogen werden. Das dortige Vorbringen dürfte jedoch inhaltlich nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen.
30Ungeachtet dessen wäre eine Rücknahme der Revision zu erwägen, weil diese in der Sache keinen Erfolg haben kann. Denn bei der revisionsrechtlichen Überprüfung des Verwerfungsurteils wäre darauf abzustellen, was dem Tatgericht bei dessen Erlass zu der geltend gemachten Erkrankung bekannt war oder im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hätte bekannt sein müssen. Hier lag der Strafkammer lediglich die Information vor, dass sich der Angeklagte wegen einer akuten Hepatitiserkrankung im E.-Krankenhaus in M. befinden solle. Eine Nachfrage der Strafkammer bei diesem Krankenhaus ergab indes, dass sich der Angeklagte dort nicht in stationärer Behandlung befand. Das nachträgliche Entschuldigungsvorbringen ist revisionsrechtlich unbeachtlich (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2002, 171; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 329 Rdn. 48).