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Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. September 2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.784,24 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19. Juni 2002 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt nach einem Pkw-Unfall aus einer bei der Beklagten genommenen Vollkaskoversicherung Erstattung des entstandenen Netto-Pkw-Schadens abzgl. Selbstbeteiligung in Höhe von 6.784,24 EUR. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) zugrunde.
4Der Inhaber der Klägerin kam mit dem versicherten Pkw am frühen Morgen des 11.12.2001 gegen 2.30 h in einem Gewerbegebiet von der Fahrbahn ab und beschädigte eine Grünanlage der Stadt E; insbesondere wurde ein Baum umgefahren. Der der Stadt entstandene Schaden belief sich auf 574 EUR. Der Inhaber der Klägerin rief per Handy seine Ehefrau und wartete am Unfallort. Nach der Behauptung der Klägerin traf die Ehefrau dort frühestens eine halbe Stunde nach dem Unfallzeitpunkt ein. Dieser Zeitraum ist auch in der bereits in erster Instanz von beiden Parteien vorgelegten Schadenanzeige angegeben. Mit dem Wagen der Ehefrau verließen beide den Unfallort. Der verunfallte Pkw blieb an der Unfallstelle. Am nächsten Morgen, zu Beginn der Geschäftszeit, informierte der Inhaber der Klägerin die Stadt E und auch die Beklagte. Der Pkw wurde erst gegen 10 Uhr vom Unfallort abgeschleppt.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Inhaber der Klägerin habe den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB verwirklicht; damit liege eine Obliegenheitsverletzung vor, welche zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
6Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend: Ihr Inhaber habe mindestens 30 Minuten am Unfallort gewartet; es seien allenfalls zwei bis drei Fahrzeuge vorbeigekommen. Länger habe er in dem zur Nachtzeit einsamen Gewerbegebiet nicht warten müssen. Er habe daher den Anforderungen des § 142 StGB genügt, indem er sogleich am Vormittag die Stadt informiert habe.
7Die Beklagte verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Insbesondere meint sie, der Inhaber der Klägerin habe unverzüglich die Polizei informieren müssen.
8Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
9II.
10Die Berufung ist begründet.
11Die Klägerin hat gemäß §§ 12 Abs. 1 lit. e), 13 AKB einen Anspruch auf Zahlung von 6.784,24 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 19.06.2002.
121.
13Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Landgerichts liegt eine Obliegenheitsverletzung nicht vor. Der Inhaber der Klägerin hat weder den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB noch den Tatbestand des § 142 Abs. 2 und 3 StGB verwirklicht.
14a)
15§ 142 Abs. 1 StGB
16aa)
17Der Senat hat davon auszugehen, dass der Inhaber der Klägerin am Unfallort jedenfalls eine halbe Stunde wartete.
18Diese Behauptung des Klägers ist nicht etwa gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Die Klägerin hatte sie bereits mit der Klageschrift (dort S. 2) vorgetragen, wo ausdrücklich auf die Unfallanzeige (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 8 d.A.) Bezug genommen worden ist.
19Die - für das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung beweisbelastete - Beklagte hat für ihr Bestreiten keinen Beweis angeboten.
20bb)
21Feststellungsbereite Personen (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) waren nicht vor Ort.
22cc)
23Der Inhaber der Klägerin wartete eine nach den Umständen angemessene Zeit, bevor er den Unfallort verließ (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
24Maßgeblich für die Bestimmung der gebotenen Wartezeit sind die Umstände des Einzelfalls. Der Sachschaden belief sich im Streitfall auf - lediglich - 574 EUR. Die Haftungslage war eindeutig. Mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen war auch bei weiterem Warten kaum zu rechnen. Zudem ließ der Inhaber der Klägerin den Unfall-Pkw zurück. (Jedenfalls) Bei diesen Umständen ist eine Wartezeit von einer halben Stunde ausreichend (vgl. etwa OLG Stuttgart, NJW 1981, 1107 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 142 Rn. 36 mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
25b)
26§ 142 Abs. 2, 3 StGB
27Der Inhaber der Klägerin entfernte sich somit berechtigt vom Unfallort. Den Anforderungen des § 142 Abs. 2, 3 StGB genügte er, indem er am nächsten Morgen zu Beginn der Geschäftszeit die geschädigte Stadt E informierte.
28Diese Benachrichtigung war noch "unverzüglich" im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB. Auch insoweit sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. (Jedenfalls) Wenn wie hier - der Unfall zur Nachtzeit geschehen ist, ein bloßer (hier zudem relativ geringer) Sachschaden vorliegt, die Haftungslage eindeutig ist und der Geschädigte am nächsten Morgen zu Beginn üblicher Geschäftszeiten benachrichtigt wird, ist dies nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Lehre noch "unverzüglich" (vgl. nur Tröndle/Fischer, a.a.O., Rn. 54 und 56 mit zahlreichen Nachweisen). Der Inhaber der Klägerin war nicht verpflichtet, - noch in der Nacht - eine nahe gelegene Polizeidienststelle zu benachrichtigen. Solange die Benachrichtigung nur "unverzüglich" erfolgt, hat der Unfallbeteiligte nach § 142 Abs. 3 Satz 1 StGB ein Wahlrecht, ob er den Geschädigten oder eine nahe gelegene Polizeidienststelle informiert (vgl. BGHSt 29, 141 ff.).
292.
30Die Höhe des Leistungsanspruchs ist unstreitig.
313.
32Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.
33III.
34Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.