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1. Der bloße Umstand einer krankheitsbedingt „schwachen Blase“ bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung infolge plötzlich auftretenden Harndrangs, weil der Betroffene schneller zu einer Toilette gelangen wollte oder infolge des starken Harndrangs abgelenkt war, kann nur in Ausnahmefällen geeignet sein, um von der Anordnung eines Regelfahrverbot abzusehen.
2. Werden vom Betroffenen für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls Umstände geltend gemacht, so muss sich der Tatrichter allerdings (auch) bei der Rechtsfolgenbemessung hiermit auseinandersetzen und ggf. entsprechende Feststellungen treffen.
3. Es kann das Maß der Pflichtwidrigkeit sogar erhöhen, wenn der Betroffene trotz einer entsprechenden körperlichen Disposition (vgl. Ziff. 1) gleichwohl eine Fahrt durchführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, ohne Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, einen plötzlich auftretenden starken Harndrang zu vermeiden oder ihm rechtzeitig abzuhelfen.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h außerorts zu einer Geldbuße von 80 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“ verhängt. Das Fahrverbot ist auf § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV gestützt.
4Das Amtsgericht hat unter Zugrundelegung der unwiderlegt hingenommenen Angaben des als Rechtsanwalt tätigen Betroffenen, er verfüge nach einer Prostataoperation nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz und habe während der tatgegenständlichen Fahrt von Q zu einem Termin nach L starken, schmerzhaften Harndrang verspürt, so dass er nur noch darauf fokussiert gewesen sei, „rechts ran fahren“ zu können, wobei er eine entsprechende Gelegenheit zum Anhalten auf der Bundesstraße wegen dichten Verkehrs nicht gefunden habe, eine Notstandslage verneint. Im Rahmen der Begründung zum Fahrverbot führt das Amtsgericht aus, dass der Betroffene Tatsachen, welche die Indizwirkung des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV widerlegen könnten nicht vorgetragen hätte und auch sonstige Umstände, die ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot gem. § 4 Abs. 4 BKatV rechtfertigen könnten, weder dargelegt noch sonst ersichtlich seien.
5Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
6II.
7Die zulässige Rechtsbeschwerde hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache (§ 79 Abs. 6 OWiG, 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich unbegründet (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).
8Die Begründung im angefochtenen Urteil zum Rechtsfolgenausspruch weist einen durchgreifenden Erörterungsmangel zu Lasten des Betroffenen auf. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch die besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt ist (etwa: Krankheit, Gebrechen oder Schwangerschaft) und der ursächlich für die Geschwindigkeitsüberschreitung war (in dem Sinne, dass so versucht wurde, baldmöglichst eine Toilette aufsuchen zu können oder der Betroffene abgelenkt war), ein Grund sein kann, vom Regelfahrverbot abzusehen (vgl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 1997, 379; AG Bad Segeberg, Urt. v. 04.05.2012 -5 OWi 552 Js 43380/11 (181/11) – juris). Dies ist aber keineswegs der Normalfall. Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reicht hier noch nicht, da ansonsten der hiervon betroffene Personenkreis gleichsam einen „Freibrief“ für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr erhalten würde. Grundsätzlich muss der Betroffene mit einer solchen körperlichen Disposition seine Fahrt entsprechend planen, gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen etc.) in seine Planungen einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen oder ggf. auf anfänglich auftretenden Harm- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleitet (vgl. etwa: AG Lüdinghausen NZV 2014, 481). Die Formulierungen im angefochtenen Urteil, dass Umstände, „die ein Absehen vom Fahrverbot gem. § 4 Abs. 4 BKatV hätten rechtfertigen können“, „weder dargelegt noch sonst ersichtlich“ seien, obwohl sie doch nach den Urteilsfeststellungen zumindest im Ansatz vorgetragen worden waren, lassen allerdings besorgen, dass der Tatrichter sie insoweit, d.h. bei der Rechtsfolgenbemessung, überhaupt nicht in seine Erwägungen mit einbezogen hat.
9Der Senat kann letztlich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass der Tatrichter bei Berücksichtigung der genannten Umstände bei der Rechtsfolgenbemessung zu einer dem Betroffenen günstigeren Entscheidung gekommen wäre.
10Der neue Tatrichter wird im Rahmen seiner Abwägung u.a. zu berücksichtigen haben, wie lange der Harndrang den Betroffenen schon „quälte“, ob der Betroffene in Kenntnis der bevorstehenden Fahrt und Unwägbarkeiten, mit denen immer zu rechnen ist (wie etwa Stau oder Umleitungen), etwa größere Mengen Flüssigkeit zu sich genommen hat (ggf. kann hier der Vortrag aus der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift zu weiterer Aufklärung beitragen), inwieweit ein Anhalten am Fahrbahnrand zur Verrichtung der Notdurft eine Gefährdung des Betroffenen durch den Verkehr auf der Bundesstraße bedeutet hätte (vgl. insoweit: OLG Düsseldorf NZV 2008, 470, 471), ob ein Abfahren von der Bundesstraße ab dem Zeitpunkt des Auftretens des Harndrangs auf eine Nebenstraße zur Verrichtung der Notdurft möglich gewesen wäre, aber auch den Umstand, dass der Betroffene den neuen Verstoß nur rund drei Monate nach Ahndung des vorherigen Geschwindigkeitsverstoßes begangen hat. Weiter wird auch zu prüfen sein, ob das Auftreten von sehr dringendem Harndrang eine Situation ist, in welche der Betroffene häufiger kommt. Dann müsste er sich hierauf entsprechend einstellen und es würde das Maß seiner Pflichtwidrigkeit geradezu erhöhen, wenn er dann gleichwohl ein KFZ führt, obwohl er – wie er selbst angegeben hat – wegen des quälenden Harndrangs so „abgelenkt“ gewesen war, dass er der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keine Beachtung mehr schenken konnte. Auch wird die in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht aufgrund der Einlassung des Betroffenen zu Tage getretenen Einstellung, dass wenn ihn starker Harndrang quäle, dann „Wichtigeres im Vordergrund“ stehe (als offenbar die Einhaltung von Pflichten im Straßenverkehr) zu werten sein.
11Die erforderliche neue Entscheidung kann der Senat selbst nicht treffen, da die lückenhaften Feststellungen im Urteil zum Gesamtbild der Tat eine abschließende Entscheidung über die Verhängung eines Fahrverbots nicht zulassen. Die Sache war deshalb an das Amtsgericht zurückzuverweisen.