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Es ist grundsätzlich nicht mutwillig, wenn der die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gem. § 1671 I BGB auf sich begehrende Elternteil mit der nachvollziehbaren Behauptung einer fehlenden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile ein entsprechendes gerichtliches Verfahren einleitet ohne zuvor das kostenfreie Vermittlungsangebot des Jugendamts wahrzunehmen.
Auf die sofortige Beschwerde der beteiligten Mutter vom 7.2.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Recklinghausen vom 27.1.2022 abgeändert.
Der beteiligten Mutter wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für ihren Antrag vom 21.12.2021 unter Beiordnung der Rechtsanwälte B aus C bewilligt.
Die Gerichtsgebühr nach Nr. 1912 KV-FamGKG wird nicht erhoben.
Gründe
2I.
3Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht den Antrag der beteiligten Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung (§§ 76 I FamFG, 114 ZPO) zurückgewiesen.
4II.
5Die gem. den §§ 76 II FamFG, 127 II 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Das Familiengericht hat die Anforderungen an die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe überspannt.
6a) Dem Antrag der beteiligten Mutter waren ausreichende Erfolgsaussichten beschieden. Die beteiligte Mutter hat in ihrer Antragsschrift vom 21.12.2021 hinreichend nachvollziehbare Umstände vorgetragen, die die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertagung derselben für die in ihrem Haushalt lebende Tochter A gem. § 1671 I, II Nr. 2 BGB auf sie allein gerechtfertigt erscheinen lassen können. Darüber hinaus hat der beteiligte Vater der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter allein mit Schriftsatz vom 25.1.2022 ausdrücklich zugestimmt, mit der Folge, dass eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter allein auch gem. § 1671 I, II Nr. 1 BGB in Betracht gekommen wäre.
7b) Der Antrag der beteiligten Mutter war auch nicht mutwillig i. S. d. §§ 76 I FamFG, 114 ZPO. Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein verständiger, nicht verfahrenskostenhilfebedüftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (vgl. Senat, Beschluss v. 10.10.2013 – 2 WF 213/13 – FamRZ 2014, 959). Unter diesen Umständen kann beispielsweise die Einleitung eines Verfahrens auf Regelung der Umgangskontakte mit einem Kind nach § 1680 BGB mutwillig sein, wenn der die Regelung des Umgangs begehrende Elternteil ohne Rücksprache mit dem anderen Elternteil oder dem Jugendamt, d. h. ohne überhaupt die Möglichkeit einer Einigung abzuklären, ein gerichtliches Verfahren einleitet (vgl. Senat, Beschluss v. 18.12.2003 – 2 WF 420/03 – FamRZ 2004, 1116; Beschluss v. 9.3.2016 – 2 WF 38/16 – FamRZ 2016, 1375, 1376). Des Weiteren kann auch ein Verfahren auf Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge gem. § 1626a BGB mutwillig sein, wenn der antragstellende Elternteil nicht vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens versucht, die kostenfreie Beurkundung einer gemeinsamen Sorgeerklärung nach § 59 I 1 Nr. 8 SGB VIII im Einvernehmen mit dem anderen Elternteil herbeizuführen (vgl. Senat, Beschluss v. 9.3.2016 – 2 WF 38/16 – FamRZ 2016, 367, zit. nach juris, Rn. 11). Für die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil gem. § 1671 BGB besteht jedoch keine Möglichkeit der Herbeiführung einer kostenfreien Regelung ohne die Inanspruchnahme der Gerichte. Deswegen ist es – bei Bestehen entsprechender Erfolgsaussichten - grundsätzlich nicht mutwillig, wenn der die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich begehrende Elternteil ein entsprechendes gerichtliches Verfahren einleitet, ohne zuvor das kostenfreie Vermittlungsangebot des Jugendamts wahrzunehmen. Ob dies auch für den Fall anzunehmen ist, dass dem Rechtsschutzbedürfnis des antragstellenden Elternteils auch durch Erteilung umfangreicher Vollmachten zur Ausübung der elterlichen Sorge Rechnung getragen werden kann, kann dahingestellt bleiben, denn jedenfalls in dem für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung war eine Vollmachtserteilung nicht geeignet, das Rechtsschutzbedürfnis der beteiligten Mutter für eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge entfallen zu lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Bevollmächtigung nur dann geeignet ist, die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil entbehrlich zu machen, wenn sie eine ausreichend verlässliche Handhabe zur alleinigen Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Dafür ist erforderlich, dass eine ausreichende Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft zwischen den Eltern besteht, soweit dies zur wirksamen Ausübung der Vollmacht im Interesse des Kindeswohls erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss v. 29.4.2020 – XII ZB 112/19 – FamRZ 2020, 1171, 1174, Tz. 28, 31 f.). Daran fehlte es nach dem Sachvortrag der beteiligten Mutter, nachdem sich der beteiligte Vater aus ihrer Sicht infolge übermäßigen Alkoholkonsums – unter anderem bei der Beantragung des Kinderausweises - als unzuverlässig erwiesen hatte und kein Kontakt mehr zwischen den Beteiligten bestand.
8c) Die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe erfolgt ratenfrei, da die beteiligte Mutter durch Vorlage ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht hat, dass sie zur Zahlung monatlicher Raten nicht in der Lage ist. Unter Berücksichtigung ihres – im Jahr 2021 durchschnittlich erwirtschafteten - Nettoeinkommens von rund 1.125 €, des ihr zustehenden Kindergeldes von 219 € und des ihr zu belassenden Erwerbstätigenbonus von derzeit 225 € beträgt ihr bereinigtes Einkommen rund 1.119 €. Davon verbleibt ihr nach Abzug der Pauschale für die Lebenshaltung (derzeit: 494 €), des ungedeckten Pauschbetrages für den Kindesunterhalt von 110 € (342 € / 232 €), der Wohnkosten von 659 € und der Kreditkosten für den PKW von 128 € monatlich kein zur Deckung der Verfahrenskosten einzusetzendes Einkommen.