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Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind gem. § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, ein elektronisches Postfach zu eröffnen, das für die elektronische Zustellung von elektronischen Dokumenten durch das Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist.
In dem Rechtsstreit wird der Sachverständigen X. aufgegeben, ein elektronisches Postfach einzurichten, das für die elektronische Zustellung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 ZPO geeignet ist.
Gründe:
2I.
3Die vom Senat beauftragte Sachverständige ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken.
4Sie verfügt nicht über ein elektronisches Postfach, das die Zustellung von elektronischen Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 173 ZPO durch die Justiz gestattet.
5II.
6Die Anordnung des Senats beruht auf § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
7Danach haben unter anderem sonstige in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung eines elektronischen Dokuments zu eröffnen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann.
8Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gehören zu diesem Personenkreis (so auch Anders/Gehle/Vogt-Beheim, 82. Aufl., § 173 ZPO Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Rohe, 5. Aufl., § 173 ZPO Rn. 15; Zöller/Schultzky, 35. Aufl., § 173 ZPO Rn. 10.11).
91.
10Der Gesetzgeber hat die Beurteilung, ob Sachverständige zu dem Personenkreis der in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligten Personen zählen, den Gerichten überlassen.
11Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt (BT-Drs 19/28399, S. 35), hat er in dieser nur beispielhaft („nicht abschließend“) Personen, Vereinigungen und Organisationen angeführt, die unter dem gegenständlichen Tatbestandsmerkmal zu fassen sind.
122.
13Bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung von einer erhöhten Zuverlässigkeit auszugehen.
14Wie sich aus § 36 Abs. 1 GewO ergibt, bestehen besonders hohe Anforderungen an die persönliche und fachliche Eignung von Personen, die als Sachverständige öffentlich bestellt werden dürfen. Mit der öffentlichen Bestellung wird dem Sachverständigen neben der besonderen fachlichen Qualifikation auch eine besondere persönliche Vertrauenswürdigkeit zu erkannt. Daher ist die Feststellung der persönlichen Eignung des Antragstellers durch die Bestellungsbehörde erforderlich. Sie hat zu prüfen, ob der Sachverständige für Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Objektivität und Einhaltung der Pflichten eines Sachverständigen Gewähr bietet (BeckOK GewO/Rickert/Wöhlermann, 61. Ed. 1.12.2023, GewO § 36 Rn. 33 m.w.N.). Mit der öffentlichen Bestellung wird einem Sachverständigen unter anderem die persönliche Integrität bestätigt (BVerwG, Urteil vom 26.01.2011 - 8 C 45/09, Rn. 20, juris).
15§ 36 GewO wird durch die Sachverständigenordnungen der Bestellungskörperschaften (wie z.B. durch die Mustersachverständigenordnung des DIHK – MSVO -) ausgefüllt, in welchen strenge Voraussetzungen an die persönliche und fachliche Eignung, unter anderem auch an die Vertrauenswürdigkeit des Bewerbers gestellt werden (vgl. 3.2.3 MSVO).
16Zudem gewährleistet die Aufsicht der Bestellungskörperschaften auf der Grundlage ihrer Sachverständigenordnungen, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen – wie bei anderen berufsständisch gebundenen Personen auch – fortwährend die notwendige Zuverlässigkeit für die Zustellung von gerichtlichen Dokumenten gesichert ist.
173.
18Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sind zudem in professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligt.
19a)
20Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich unzweifelhaft, dass es zu einem wesentlichen Aufgabengebiet, also zum essentiellen Teil ihrer Profession zählt, an Gerichtsverfahren mitzuwirken. Dies folgt für den Zivilprozess aus § 404 Abs. 3 ZPO, wonach Gerichte zuvörderst auf öffentlich bestellte Sachverständige zurückgreifen sollen, aus ihrer Verpflichtung gem. § 407 Abs. 1 ZPO, Gerichtsgutachten zu erstatten und aus der Möglichkeit gem. § 410 Abs. 2 ZPO, auf den geleisteten Eid Bezug nehmen zu dürfen.
21b)
22Die Sachverständigenordnungen der Bestellungskörperschaften unterstreichen die wesentliche Aufgabe der öffentlich bestellten Sachverständigen, für die Gerichte als Sachverständige tätig zu werden. So führt 2.1.1 MSVO aus, dass die öffentliche Bestellung unter anderem dem Zweck dient, Gerichten Sachverständige zur Verfügung zu stellen. Bei den Bestellungsvoraussetzungen (Bedürfnisprüfung) wird unter anderem darauf abgestellt, ob eine Nachfrage von Gerichten nach Sachverständigenleistungen auf dem beantragten Sachgebiet in Deutschland besteht (3.1.2 MSVO). Damit stimmt überein, dass die öffentlich bestellten Sachverständigen Kenntnisse des deutschen Rechts aufweisen müssen (3.2.8 MSVO) und die Sachverständigenordnungen Pflichten der Sachverständigen konstituieren, die zu den verfahrensrechtlichen Verpflichtungen komplementär sind oder auf diese direkt Bezug nehmen (vgl. etwa 9.3 MSVO).
23c)
24Es entspricht weiter auch Sinn und Zweck von § 173 Abs. 2 ZPO, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Verpflichtung einzubeziehen, einen sicheren Übermittlungsweg zu eröffnen. Die Regelung zielt darauf ab, Personen, Vereinigungen und Organisationen, die aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit dem Gericht kommunizieren, in den elektronischen Rechtsverkehr einzubinden (BT-Drs 19/28399, S. 35). Das trifft auf öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige unzweifelhaft zu.
254.
26Es gibt schließlich keine sonstigen Gründe, die durchgreifend gegen die Einbeziehung der öffentlich bestellten Sachverständigen in die unter § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genannten Personengruppen sprechen.
27Den Sachverständigen stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um ein elektronisches Postfach einzurichten.
28Sie können das kostenlose „Mein Justizpostfach“ (MJP) nach dem OZG nutzen, das einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO eröffnet.
29Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, das kostenpflichtige, aber dafür gegenüber dem MJP leistungsfähigere und nutzerfreundlichere besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) einzurichten, welches einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO begründet.
30Die mit der Einrichtung und dem Betrieb der vorgenannten Postfächer zusammenhängenden Aufwände sind mit der Ausübung der Sachverständigentätigkeit für Gerichte verbunden und stellen – wie für andere Berufsgruppen auch – keinen der Anwendung des § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entgegenstehenden Grund dar. Sie sind verursacht durch eine Veränderung der technischen Umwelt und daraus resultierenden gesetzgeberischen Vorgaben, die eine hinzunehmende Rahmenbedingung für die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) darstellen.
31Nach Auffassung des Senats sind allerdings die Verwaltung und der Gesetzgeber aufgerufen, durch die Optimierung der technischen Möglichkeiten und eine angemessene Berücksichtigung von durch die Nutzung des elektronischen Rechtverkehrs verursachten Mehrkosten bei der Vergütung ein Umfeld zu gewährleisten, welches die Tätigkeit des Gerichtssachverständigen noch hinreichend attraktiv erscheinen lässt. Denn die Gerichte sind auf eine ausreichende Anzahl von hochqualifizierten Gerichtssachverständigen angewiesen, um die anstehenden, diesbezüglich beweisbedürftigen Verfahren zügig und qualitativ hochwertig erledigen zu können.