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G r ü n d e
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Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 12 Abs. 1 Nr. 6 a StVO zu einer Geldbuße von 50,-- DM verurteilt.
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Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen ge-troffen:
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Der Betroffene stellte am 30.8.1991 um 17.30 Uhr seinen PKW vor dem Haus M. Straße 21 am rechten Fahrbahnrand zum Parken ab. Halte- oder Parkver-botsschilder waren nicht vorhanden. Am frühen Morgen des 31.8.1991 fuhr er für 3 Wochen in Urlaub und ließ seinen PKW am Fahrbahnrand stehen. Am 10.9.1991 sollte gemäß dem Plan der G. vom 2.9.1991 ein Fernwärmeanschluß im Haus Nr. 21 verlegt werden. Hierzu wurden 3 Tage vorher, also am 7.9.1991, Halteverbotszeichen aufgestellt, ver-bunden mit dem Hinweis auf den Beginn der Baumaß-nahmen. Am 10.9.1991 wurde der Wagen des Betroffe-nen um 11.10 Uhr mit einem Verwarngeld belegt und um 11.35 Uhr im Rahmen der Ersatzvornahme wegge-schleppt, um die Bauarbeiten fristgemäß beginnen lassen zu können.
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Das Amtsgericht hat die Ansicht vertreten, wer sein Auto erlaubterweise am rechten Straßenfahrbahnrand zum Parken abstelle, könne nicht darauf vertrauen, daß sich dieser Zustand für 3 Wochen urlaubsbeding-ter Ortsabwesenheit nicht ändern werde; er müsse sehr wohl damit rechnen, daß bei längerer Ortsab-wesenheit dringend erforderliche Bauarbeiten durch-geführt werden müßten, insbesondere dann, wenn der Fahrbahnrand als Parkfläche benutzt werde.
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Mit dem Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird Verletzung materiellen Rechts gerügt.
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Die Rechtsbeschwerde ist zur Fortbildung des mate-riellen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 1 und 2 OWiG). Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zum Freispruch des Betroffenen.
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Dem Betroffenen kann auf der Grundlage der getrof-fenen Feststellungen kein verkehrsordnungswidriges Verhalten zur Last gelegt werden.
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Ein Verstoß gegen das Halteverbot durch positives Tun liegt nicht vor. Als der Betroffene seinen Wagen abstellte, gab es dort kein Verkehrszeichen, das ihm das Parken seines Wagens verboten hätte.
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Es kommt nur eine Verkehrsordnungswidrigkeit durch Unterlassen in Betracht. Daß Parkverstöße auch durch Unterlassen begangen werden können, ist im Grundsatz in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BayObLG VRS 11, 66; 24, 460; NStZ 1986, 256; OLG Hamm VRS 61, 131; Stuttgart VRS 30, 78, 79; 39, 373; Senatsentscheidung VRS 47, 39; Cramer, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 12 StVO, Rdn. 116; Rengier in KK, OWiG, § 8 Rdn. 30). Den zitierten Entscheidungen lagen allerdings andere Fallgestaltungen als vorliegend zugrunde. Es ging meist um die Rechtspflicht des Halters, sein von anderen verkehrswidrig geparktes Fahrzeug zu entfernen. Eine allgemeine Pflicht des Halters, sich Gewißheit zu verschaffen, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß abgestellt ist, wurde dabei verneint (BayObLG NStZ 1986, 256; OLG Karlsruhe VRS 58, 272; Senatsentscheidung VRS 47, 39). Anerkannt ist ferner, daß Vorschriftszeichen nach der StVO, von denen ein Haltverbot ausgeht, zugleich das Gebot enthalten, bei verbotswidrigem Halten oder nach Ablauf der Zeit, während derer das Halten gestattet ist, alsbald wegzufahren (BVerwG NJW 1978, 656; VRS 74, 397; OVG Münster NJW 1990, 2835 = NZV 1990, 407 = VRS 79, 476; OVG Hamburg VRS 83, 317). Die Frage, ob dies auch für einen Fahrer gilt, bei dessen Eintreffen am Parkplatz keine Verbotsschil-der vorhanden sind und ob er bei längerer Parkzeit verpflichtet ist, Vorsorge zu treffen, daß auch die Fortsetzung des Parkens nicht infolge der nachträg-lichen Aufstellung von Verkehrszeichen ordnungswid-rig wird, ist bisher - soweit ersichtlich - nicht entschieden. Sie ist im Grundsatz zu bejahen.
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Auch wenn ein Halteverbotsschild erst nach Be-ginn des Parkens aufgestellt wird, ist es für den parkenden Verkehrsteilnehmer verbindlich. Ver-kehrszeichen sind Verwaltungsakte in der Form einer Allgemeinverfügung (BVerwGE 27, 181 = VRS 33, 149; BVerwG NJW 1978, 656; BayObLG NJW 1984, 2110). Regelungen durch Verkehrszeichen werden bekanntge-geben, indem das Zeichen derart aufgestellt wird, daß es für die Verkehrsteilnehmer, an die es sich richtet, bei Auslegung des in § 1 StVO vorgegebenen Sorgfaltsmaßstabs ohne weiteres wahrgenommen werden kann; ob die allgemeinen für Verwaltungsakte vor-geschriebenen Bekanntgabevoraussetzungen des § 41 VwVfG erfüllt sind, ist nicht erheblich; erst recht ist nicht erforderlich, daß der angesprochene Kraftfahrer das Zeichen auch zur Kenntnis nimmt (OVG Münster NJW 1990, 2835 = NZV 1990, 407 = VRS 79, 476). Grundsätzlich muß der Verkehrsteilnehmer beim Eintreffen Gelegenheit erhalten, durch Be-trachten des Verkehrszeichens von der darin verkör-perten behördlichen Anordnung Kenntnis zu nehmen; Verkehrszeichen, deren Inhalt nicht mehr zuverläs-sig erkennbar ist, sind daher wirkungslos (BayObLG NJW 1984, 2110 m.w.N.). Aus diesen Grundsätzen ist aber nicht zu folgern, daß es bei Verkehrsvorgängen wie dem Dauerparken nur auf die Situation beim Eintreffen des Verkehrsteilnehmers an Ort und Stel-le ankommt. Die Nichterkennbarkeit eines Verkehrs-zeichens oder das Fehlen eines Verkehrszeichens schließen nur die Annahme einer Verkehrsordnungs-widrigkeit durch positives Tun aus; sie befreien den Verkehrsteilnehmer nicht von der Pflicht, das Fahrzeug wegzufahren, wenn das Verkehrszeichen spä-ter erkennbar wird. Anderenfalls wäre die vorüber-gehende Nichterkennbarkeit, z.B. weil das Verkehrs-zeichen tief verschneit ist (vgl. BayObLG NJW 1984, 2110), ein Freibrief, beliebig lange zu parken. Wer das tief verschneite Halteverbot nicht erkennen kann, darf das Parken nicht fortsetzen und muß sein Fahrzeug wegschaffen, wenn er bei Tauwetter erkennen kann, daß auf der von ihm als Parkplatz benutzten Verkehrsfläche ein Halteverbot angeordnet ist. Ebenso muß ein Dauerparker dann, wenn ein Halteverbot nach Beginn des Parkens aufgestellt wird, grundsätzlich das Fahrzeug wegschaffen. Wer sein Fahrzeug auf öffentlicher Verkehrsfläche ab-stellt, bleibt während der ganzen Dauer des Par-kens Verkehrsteilnehmer (OLG Hamburg VRS 23, 139; BayObLG VRS 24, 460; Cramer, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 1 Rdn. 25). Solange er Verkehrsteilneh-mer ist, gelten für ihn auch die durch Verkehrs-zeichen getroffenen Anordnungen mit der Folge, daß dann, wenn das zunächst zulässige Parken durch ein später aufgestelltes Verkehrszeichen ordnungswidrig wird, der verkehrswidrige Zustand zu beseitigen ist. Die Garantenstellung im Sinne des § 8 OWiG ergibt sich in diesem Fall aus der fortdauernden Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer (vgl. Rengier in KK, OWiG, § 8 Rdn. 31).
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Welche Maßnahmen dem Verkehrsteilnehmer zuzumuten sind, um sicherzustellen, daß auch die Fortdauer seines Parkens nicht verkehrswidrig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt auf die Lage und die Fähigkeiten des Garanten einerseits, andererseits auf Nähe und Schwere der Gefahr und die Bedeutung des Rechtsguts an; es entschei-det eine Interessenabwägung (Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 13 Rdn. 16 m.w.N.).
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Grundsätzlich ist einem Dauerparker zuzumuten, den Parkplatz und die Verkehrsentwicklung in regelmä-ßigen Abständen zu kontrollieren. Schwieriger ist die Konkretisierung des Zumutbaren bei Verkehrs-teilnehmern, die sich vorübergehend nicht am Ort aufhalten, insbesondere bei Personen - wie dem Be-troffenen im vorliegenden Fall -, die wegen Urlaubs ortsabwesend sind und das Fahrzeug zurückgelassen haben.
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Wenn die Möglichkeit der Anordnung eines Haltever-bots naheliegt, z.B. weil Straßenbauarbeiten oder die Verlegung von Hausanschlüssen schon an anderer Stelle begonnen haben und die Baustellen sich dem Parkplatz nähern oder weil Verkehrs- bzw. Parkbe-schränkungen bereits öffentlich angekündigt sind, ist zuzumuten, notfalls das Fahrzeug vor Urlaubsan-tritt an anderer Stelle zu parken, wenn nicht ein Dritter beauftragt werden kann, das Fahrzeug zu gegebener Zeit wegzufahren. Gegenüber der nahelie-genden Gefahr eines verkehrswidrigen Zustands und einer Behinderung des Straßenverkehrs oder der Bau-arbeiten muß das Interesse des parkenden Verkehrs-teilnehmers zurücktreten.
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Andererseits zwingt die bloße Möglichkeit, also die noch nicht naheliegende Gefahr einer Änderung der Verkehrsanordnungen nicht dazu, vor einem Urlaub das Fahrzeug zu entfernen. Das Problem würde nur an einen anderen Ort verlagert. Es gäbe kaum öf-fentliche Verkehrsflächen, auf denen ausgeschlossen werden könnte, daß während einer Abwesenheit von mehreren Wochen die Verkehrssituation sich ändert und Halteverbote angeordnet werden, z.B. wegen eines Wasserrohrbruchs. Private Flächen stehen zum Abstellen der Fahrzeuge jedenfalls in den Städten nicht genügend zur Verfügung. Parkhäuser wären alsbald überfüllt, wenn während der Urlaubszeit alle zurückbleibenden Fahrzeuge dort abgestellt würden. Die Benutzung von Parkhäusern würde die Verkehrsteilnehmer zudem erheblich finanziell bela-sten. Es bliebe somit nur die Möglichkeit, jemanden zu beauftragen und durch Schlüsselübergabe in die Lage zu versetzen, notfalls den Wagen wegzusetzen. Wegen der strengen Anforderungen an die Halter-sorgfalt zur Vermeidung unbefugter Fahrzeugbenut-zung (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., § 7 StVG Rdn. 53 ff., § 21 StVG Rdn. 12 und 18; § 31 StVZO Rdn. 11), ist es aber nicht ohne weiteres zumutbar, den Fahrzeugschlüssel Dritten zu überlassen. Jedenfalls hat dies zu gelten, wenn das Fahrzeug nur für die Zeit des üblichen Jahres-urlaubs an seinem Parkplatz zurückgelassen wird, es sei denn, es kann festgestellt werden, daß dem Verkehrsteilnehmer eine zuverlässige Person zur Verfügung stand. Bleibt z.B. ein naher Verwandter, der im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, am Wohnort zurück, kann dem in Urlaub fahrenden Verkehrsteil-nehmer in der Regel zugemutet werden, den Fahrzeug-schlüssel zurückzulassen und den Verwandten zu be-auftragen, notfalls das Fahrzeug wegzufahren. Steht eine zuverlässige Vertrauensperson nicht zur Ver-fügung, kann einem Verkehrsteilnehmer während des üblichen Jahresurlaubs nur wegen der fernliegenden Gefahr eines Halteverbots nicht zugemutet werden, Dritten die Fahrzeugschlüssel zu überlassen. Die-se Einschränkung der zumutbaren Pflichten während eines Urlaubs kann zwar dazu führen, daß Verstöße gegen aufgestellte Halteverbotszeichen nicht buß-geldbewehrt sind; doch ist dieses Ergebnis hinzu-nehmen. Im allgemeinen ist die neue Aufstellung von Halteverbotszeichen für die Behörden über längere Zeit voraussehbar, so daß sie die Möglichkeit ha-ben, die bevorstehenden Verkehrsbeschränkungen öf-fentlich anzukündigen und eventuelle Urlauber zu veranlassen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Im übrigen bleibt den Behörden die Möglichkeit, notfalls das Fahrzeug abschleppen zu lassen (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., § 12 StVO Rdn. 65).
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Ob weitergehende Pflichten eines Dauerparkers bestehen, wenn der Wagen für eine die übliche Urlaubsdauer überschreitende Zeit am Parkplatz zu-rückgelassen wird, z.B. wegen eines mehrmonatigen Auslandsaufenthaltes, bedarf hier keiner Entschei-dung.
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Das angefochtene Urteil entspricht nicht den darge-stellten Grundsätzen.
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Die bisher getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, daß der Betroffene ihm zumutbare Hand-lungen unterlassen hat. Der Plan, den Fernwärme-anschluß zu verlegen, der Anlaß für das Haltever-botszeichen war, stammte vom 2.9.1991. Zu dieser Zeit war der Betroffene schon in Urlaub. Da somit bei Urlaubsantritt noch keine Anhaltspunkte für die naheliegende Möglichkeit der Aufstellung eines Halteverbots vorhanden waren, konnte der Betroffene das Fahrzeug für die Dauer seines Urlaubs auf dem Parkplatz stehen lassen. Daß dem Betroffenen eine zuverlässige Vertrauensperson zur Verfügung stand, der er die Schlüssel seines Kraftfahrzeugs hätte anvertrauen können, ist nicht festgestellt.
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Da nicht zu erwarten ist, daß noch Feststellungen getroffen werden können, die eine rechtsfehlerfreie Verurteilung des Betroffenen tragen würden, kann der Senat sogleich auf Freispruch erkennen.
38Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 46 OWiG in Verbindung mit § 467 Abs. 1 StPO.