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Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 7.2.2022 (9 O 202/21) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Verfügungsbeklagten wird es im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Mitgliedern des A, untersagt, den nachstehend eingeblendeten Kommentar des Verfügungsklägers von der Plattform Internetadresse 1 zu löschen und/oder den Verfügungskläger wegen dieses Kommentars zeitlich befristet durch Versetzen des Profils in den sog. „read-only-modus“ zu sperren, wie dies am 20.8.2021 geschehen ist,
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
Gründe:
2I.
3Der Verfügungskläger nimmt die Verfügungsbeklagte Im Zusammenhang mit der Löschung eines von ihm verfassten Kommentars sowie einer seinen Account betreffenden 30-tägigen „Sperre“ (sog. read-only-modus) auf der Plattform „facebook“ auf Unterlassung in Anspruch. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils (Bl. 469 ff. d.A.) Bezug genommen.
4Das Landgericht hat zunächst mit Beschluss vom 27.8.2021 eine einstweilige Verfügung erlassen (Bl. 68 ff. d.A.), mit welcher der Verfügungsbeklagten bei Meidung von Ordnungsmitteln untersagt wurde, den streitgegenständlichen Kommentar des Verfügungsklägers zu löschen und/oder diesen wegen dieses Kommentars zeitlich befristet zu sperren, „wie dies am 21.8.2021 geschehen ist“. Auf Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 17.11.2021 (Bl. 134 d.A.) hat es mit dem angefochtenen Urteil die einstweilige Verfügung unter Abweisung des Antrags teilweise, nämlich bezüglich der Untersagung einer Löschung des Kommentars, aufgehoben sowie im Übrigen nach § 319 ZPO korrigiert. Weiter hat es festgestellt, dass sich der Rechtsstreit bezüglich der Untersagung der befristeten „Sperre“ wegen des Kommentars für den Zeitraum ab dem 20.9.2021 teilweise erledigt habe. Im Übrigen hat es die einstweilige Verfügung unter Korrektur des Datums des Kommentars bestätigt, wobei wegen der Einzelheiten der Begründung auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird (Bl. 469 ff. d.A.).
5Gegen dieses Urteil hat der Verfügungskläger Berufung eingelegt und verfolgt seine erstinstanzlichen Anträge, wie in der mündlichen Verhandlung vom 10.1.2022 (Bl. 395 f. d.A.) gestellt, im Umfang der Zurückweisung weiter, dies zuletzt unter Konkretisierung der Anträge. Die Verfügungsbeklagte hat Anschlussberufung eingelegt, mit welcher sie die vollständige Zurückweisung des Antrags erstrebt.
6Der Verfügungskläger macht geltend, in erster Linie sei der Widerspruch der Verfügungsbeklagten schon als unzulässig zu verwerfen, weil deren Prozessbevollmächtigte als vollmachtslose Vertreter handeln würden. Seine Rüge der fehlenden Vollmacht sei keine Schikane, sondern ein bewährtes Mittel, die Beklagte von ihrem destruktiven prozessualen Vorgehen abzubringen. Die bloße Glaubhaftmachung einer Vollmacht sei in § 80 ZPO auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nicht vorgesehen. In der Sache macht er geltend, der Unterlassungsanspruch gegen die Löschung des Kommentars scheitere nicht daran, dass die Verfügungsbeklagte diesen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung plötzlich wieder eingestellt und dazu erklärt habe, dass er „nach eigener Prüfung“ nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße. Die Beachtung eines gerichtlichen Verbotes führe allein nicht zum Wegfall des Verfügungsgrundes. Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Verfügungsbeklagte habe darüber hinaus eine Erstbegehungsgefahr dadurch begründet, dass sie sich ausweislich ihres Vortrags im Verfahren auch weiter vorbehalte, rechtmäßige Inhalte vorübergehend zu löschen. Auch hinsichtlich der abgelaufenen 30-tägigen „Sperre“ in Form der Versetzung seines Nutzerkontos in den sog. read-only-modus bestehe weiterhin ein Unterlassungsanspruch.
7Der Verfügungskläger beantragt zuletzt,
8das Urteil des Landgerichts Bonn vom 7.2.2022 (9 O 202/21) teilweise abzuändern und die einstweilige Verfügung des Landgerichts Bonn vom 27.8.2021 mit der Maßgabe neu zu erlassen, dass das Datum „20.8.2021“ statt des Datum „21.8.2021“ in den Antrag aufgenommen wird,
9hilfsweise, die einstweilige Verfügung des Landgerichts Bonn vom 27.8.2021 mit der Maßgabe neu zu erlassen, dass der auf die „Sperre“ bezogene Teil des Verbots ab dem 20.9.2021 erledigt ist.
10sowie
11die Anschlussberufung der Verfügungsbeklagten zurückzuweisen.
12Die Verfügungsbeklagte beantragt,
13die Berufung des Verfügungsklägers zurückzuweisen
14sowie im Wege der Anschlussberufung
15unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Bonn vom 7.2.2022 (9 O 202/21) die einstweilige Verfügung des Landgerichts Bonn vom 27.8.2021 in der Gestalt des Urteils vom 7.2.2022 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag des Verfügungsklägers insgesamt zurückzuweisen.
16Sie macht geltend, die Rüge der fehlenden Vollmacht sei wegen offenkundigem Rechtsmissbrauch des Verfügungsklägers nicht zu beachten; in anderen Verfahren habe der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers einen solchen Einwand auch nicht erhoben. Jedenfalls seien die neuen Vertretungsverhältnisse und die neu erteilte Prozessvollmacht zu berücksichtigen, wie sie im Einzelnen im Schriftsatz vom 24.08.2022 nebst Anlagen (Bl. 249 ff. des Senatshefts) und im Termin vom 25.08.2022 (Protokoll nebst Anlagen Bl. 265 ff. d.A.) ausgeführt worden seien. Hinsichtlich der Löschung des Kommentars bestehe kein Unterlassungsanspruch, weil der Beitrag wiederhergestellt sei und damit keine Vertragsverletzung (mehr) vorliege. Die zuvor erfolgte Löschung des Kommentars sei auch nicht rechtswidrig gewesen, weil der Verfügungsbeklagten ohnehin auch in Ansehung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Befugnis zustehe, auch solche Beiträge vorübergehend zu löschen, bei denen ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards „aus objektiver Perspektive jedenfalls ernsthaft in Betracht“ komme. Auch hinsichtlich der vorübergehenden Nutzungsbeschränkung des Verfügungsklägers durch die Versetzung in den sog. read-only-modus bestehe kein Unterlassungsanspruch, weil diese (unterstellte) Vertragsverletzung nicht mehr andauere bzw. nicht mehr verhindert werden könne. Darüber hinaus fehle es an einer Wiederholungsgefahr, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie – die Verfügungsbeklagte – auf Basis des streitgegenständlichen Kommentars erneut eine „Sperre“ aussprechen werde; vielmehr sei sie zu der Erkenntnis gelangt, dass der Beitrag nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße. Schließlich habe das Landgericht fehlerhaft nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch im Ergebnis um eine Leistungsverfügung handele, die anerkanntermaßen nur unter engen – hier nicht gegebenen – Voraussetzungen in Betracht komme.
17Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
18II.
19Die Berufung des Verfügungsklägers ist begründet, da seine erstinstanzlichen Unterlassungsanträge vollumfänglich begründet waren und sich daran auch durch die zwischenzeitliche Wiedereinstellung des Kommentars bzw. den Ablauf der 30-tägigen „Sperrfrist“ nichts geändert hat. Auf die Hilfsanträge und die Frage nach deren prozessualer Zulässigkeit kommt es dann nicht mehr an. Entsprechend ist die Anschlussberufung der Beklagten im Gegenzug unbegründet.
201. Soweit die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 27.8.2021 mit dem angefochtenen Urteil teilweise aufgehoben worden ist, hat der Verfügungskläger auf entsprechenden Hinweis des Senats im Verhandlungstermin zutreffend seine Anträge klargestellt und im Umfang der Aufhebung einen (teilweisen) Neuerlass beantragt (vgl. dazu Senat, Urt. v. 10.3.2022 – 15 U 244/21, GRUR-RS 2022, 6142; siehe ferner Senat, Beschl. v. 10.9.2002 - 16 U 80/02, BeckRS 2003, 153; Senat, Urt. v. 10.3.2022 – 15 U 244/21, GRUR 2022, 1247; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 925 Rn. 10 m.w.N.).
212. Weiter hat die Verfügungsbeklagte nach entsprechender Fristsetzung durch den Senat (§ 80 S. 2 ZPO) durch Vorlage einer Originalvollmacht der Mitglieder des A (Anlage AG 15) sowie einer Prozessvollmacht von Frau C(Anlage AG 17) den bisher (möglicherweise) bestehenden Mangel ihrer Vollmacht geheilt, womit auch die bisherige Prozessvertretung wirksam ist (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 31.5.2005 – 3 U 1313/04, NJW-RR 2006, 377; BeckOK ZPO (Piekenbrock), 45. Ed., § 80 Rn. 14 m.w.N.). Eine solche Vorlage war erforderlich, weil weder die Vollmachtsrüge des Verfügungsklägers rechtsmissbräuchlich noch die bis zu diesem Zeitpunkt von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Unterlagen ausreichend waren:
22Die von Seiten des Verfügungsklägers erhobene Vollmachtsrüge war schon deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil das Gesetz die Vorlage der Vollmacht im Original auf Verlangen des Gegners in § 88 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vorsieht. Die zunächst vorgelegte Vollmacht vom 12.11.2021 genügte diesen Anforderungen nicht, weil bei einer Kette von nacheinander geschalteten Vollmachten der Nachweis bis zur Partei selbst geführt werden muss (Zöller (Althammer), 34. Auflage, § 80 ZPO Rn. 7 m.w.N.). Soweit die Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 14.1.2022 (Bl. 407 ff.) eine Kopie der notariell beglaubigten Vollmacht der Verfügungsbeklagten (diese damals noch vertreten durch Herrn D) vom 16.12.2020 per beA übermittelt haben, welche wiederum Frau E zur Bevollmächtigung von Anwälten berechtigte (Anlage AG 11) und das Vorliegen der entsprechenden Originalvollmacht anwaltlich versichert haben (Bl. 408 d.A.), war dies prozessual nicht ausreichend. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang zitierte Kommentarstelle im BeckOK-ZPO enthält zwar tatsächlich die Aussage, dass § 130a ZPO auf die Vorlage der Vollmacht Anwendung finden kann („In elektronischer Form kann der Nachweis nach Maßgabe von § 130a geführt werden, soweit die Justizverwaltungen des Bundes und der Länder das Einreichen elektronischer Dokumente zugelassen haben“). Jedoch sind damit offenkundig nur solche Vollmachten gemeint, die als elektronische Dokumente eingestuft werden, also entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, was nach § 126a BGB dem Schriftformerfordernis des § 80 Abs. 1 ZPO genügen würde oder aber von der verantwortenden Person signiert und von dieser auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 3 S. 1, 2. Alt. ZPO) eingereicht worden sind. Beides war hier nicht der Fall.
23Auch eine Glaubhaftmachung in Form der anwaltlichen Versicherung ist in § 80 Abs. 1 ZPO, der auch im einstweiligen Verfügungsverfahren gilt (Senat, Urt. v. 10.3.2022 – 15 U 244/21, GRUR-RS 2022, 6142; siehe ferner OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.4.2008 – 1 U 461/07, NJOZ 2008, 3084; LG Bochum, Urt. v. 4.10.2017 – 13 O 136/17, BeckRS 2017, 135526), nicht vorgesehen, womit der Nachweis nicht mittels einer anwaltlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel oder anderer Glaubhaftmachungsmittel geführt werden kann (vgl. zur Formstrenge: BGH, Beschl. v. 29.9.2021 – VII ZB 25/20, MMR 2022, 290). Ausreichend ist zwar die Übergabe der Ausfertigung einer öffentlich beurkundeten Vollmacht (§ 47 BeurkG), nicht jedoch – wie hier – eine beglaubigte Abschrift des Urkundenoriginals, weil sie keinen Nachweis darüber erbringt, dass die Vollmacht über den Zeitpunkt der Beglaubigung hinaus noch fortbesteht (vgl. MüKoZPO (Toussaint), 6. Auflage, § 80 ZPO Rn. 17).
243. Nach nunmehriger ordnungsgemäßer Vorlage einer Vollmacht durch die Verfügungsbeklagte hat die Berufung des Verfügungsklägers aber in der Sache Erfolg, womit die Anschlussberufung unbegründet ist.
25a. Der Verfügungskläger hat sowohl einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Löschung seines Kommentars als auch einen solchen hinsichtlich der vorübergehenden Sperre auf Basis dieses Kommentars aus § 280 Abs. 1 BGB, so dass ein Verfügungsanspruch zu bejahen ist.
26aa. Unabhängig von den im Verfahren zwischen den Parteien kontrovers erörterten Frage der Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen der Verfügungsbeklagten war die Löschung des streitgegenständlichen Beitrags am 20.8.2021 schon deshalb eine Verletzung der Vertragspflichten durch die Verfügungsbeklagte, weil dieser noch nicht einmal gegen die Vorgaben der unterhalb der Strafbarkeitsebene eingreifenden Nutzungsbedingungen bzw. Gemeinschaftsstandards verstößt. Es handelt sich im hier vorliegenden Gesamtkontext bei der Äußerung des Verfügungsklägers gerade nicht um sog. Hassrede, was auch die Verfügungsbeklagte inhaltlich nicht mehr in Abrede stellt.
27Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, sie dürfe auch solche Inhalte vorübergehend entfernen, bei denen ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen „ernsthaft in Betracht“ komme, bleibt ihr dies in der Sache unbenommen. Sie trägt dann aber – wie vorliegend – das Risiko, in einem gerichtlichen Verfahren zu unterliegen, wenn die betreffende Äußerung als rechtmäßig bzw. den Nutzungsbedingungen entsprechend bewertet wird, denn ein solches „temporäres Eingriffsrecht“ folgt auch gerade nicht aus der von der Verfügungsbeklagten zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Eine mit einer vorläufigen Löschung verbundene Prüfungsfrist für rechtmäßige Äußerungen, die dazu führt, dass es bei gerichtlicher Gegenwehr des Betroffenen nicht zu Konsequenzen für die Verfügungsbeklagte in Form von Unterlassungstiteln oder Kostentragung kommt, hat der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 27.1.2022 (III ZR 12/21) und 29.7.2021 (III ZR 179/20, III ZR 192/20) gerade nicht bejaht. Auch aus der auf Bl. 68 des Senatshefts von der Verfügungsbeklagten zitierten Passage folgt nichts Anderes: Der Bundesgerichtshof hat damit nicht postuliert, dass auch rechtmäßige Inhalte zum Zwecke einer Prüfung durch die Verfügungsbeklagte vorübergehend gelöscht werden dürfen. Vielmehr geht es in der betreffenden Passage darum, dass die Löschung eines rechtswidrigen Beitrags nicht allein deshalb unzulässig ist, weil der Nutzer nicht vorher angehört wurde.
28Die Verfügungsbeklagte kann dem Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers hinsichtlich der Löschung des Kommentars schließlich auch nicht entgegenhalten, dieser sei auf eine Veröffentlichung des Beitrags für jeden beliebigen Kontext gerichtet und damit zu weitgehend (Bl. 160 d.A.) und/oder gar unbestimmt. Denn der Antrag des Verfügungsklägers bezieht sich auf die Äußerung in genau dem Kontext, in welchem sie der Verfügungskläger ursprünglich veröffentlicht hatte. Dies wird schon durch die in der Antragsschrift enthaltene Formulierung „wie dies am 20.8.2021 geschehen ist“ deutlich. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats (zum Kontextbezug etwa Beschl. v. 9.6.2022 – 15 W 30/22, n.v.).
29bb. Aus dieser Verletzung von Vertragspflichten durch die Verfügungsbeklagte ergibt sich ein Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers aus § 280 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 29.7.2021 – III ZR 179/20, NJW 2021, 3179; Grüneberg (Grüneberg), BGB, 81. Aufl. 2022, § 280 Rn. 33).
30Dabei ist die Wiedereinstellung des Kommentars durch die Verfügungsbeklagte im Oktober 2021 entgegen den Ausführungen des Landgerichts keine Erfüllung des klägerischen Anspruchs i.S.v. § 362 BGB. Denn der Antrag ist nicht auf die Wiedereinstellung des Kommentars, sondern auf die künftige Unterlassung einer nochmaligen Löschung gerichtet, was zwei unterschiedliche Fragen sind (dazu Senat, Beschl. v. 14.5.2021 sowie v. 2.7.2021 – 15 U 39/21, n.v.). Soweit sich die Verfügungsbeklagte weiter unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.7.2021 (III ZR 179/20, juris Rn. 102) darauf beruft, aus der Verletzung einer Vertragspflicht folge jedenfalls dann kein Unterlassungsanspruch, wenn die Vertragsverletzung aktuell nicht mehr andauere, vermag der Senat dem in dieser Allgemeinheit nicht beizutreten. Zum einen hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzung einer andauernden Verletzung in der zitierten Entscheidung nicht absolut, sondern nur für den dort konkreten Einzelfall („…jedenfalls in der vorliegenden besonderen Konstellation…“) formuliert und die dazu in der zitierten Kommentarfundstelle angesprochene Streitfrage offen gelassen. Zum anderen ist es dem Betroffenen – wie auch im Deliktsrecht – nach der Linie des Senats in solchen Fällen gerade nicht zumutbar, in einem bestehenden Vertragsverhältnis quasi sehenden Auges die künftige Beeinträchtigung des Vertragszwecks in Kauf zu nehmen, ohne entsprechenden Rechtsschutz wahrnehmen zu können und später dann nur Regressforderungen geltend zu machen (zuletzt Senat, Beschl. v. 15.8.2022 – 15 U 92/22, n.v.), die bei einer – wie vorliegend – kostenlosen Teilnahme an einem sozialen Netzwerk jedoch auch noch weitgehend leerlaufen würden. Insofern geht es vorliegend auch nicht um eine generelle vorbeugende Unterlassungsklage, die ein künftiges Verhalten der Beklagten „abstrakt“ regulieren soll (vgl. dazu OLG Köln, Beschl. v. 9.6.2022 – 15 W 30/22, n.v.). Vielmehr geht es lediglich um den begrenzten Anwendungsbereich einer konkreten Äußerung in einem konkreten Kontext, deren erneute Löschung durch die Verfügungsbeklagte für die Zukunft verhindert werden soll.
31cc. Die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung auch für einen vertraglichen Unterlassungsanspruch (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2022 – III ZR 12/21, juris Rn. 61 m.w.N.; BGH, Urt. v. 29.7.2021 – III ZR 179/20, juris Rn. 103; BGH, Urt. v. 29.7.2021 – III ZR 192/20, juris Rn. 115) ist durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommene damalige Löschung bzw. die anschließende 30-tägige „Sperre“ des Verfügungsklägers indiziert und durch die nachfolgenden Geschehnisse nicht entfallen.
32Die Verfügungsbeklagte hat zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Sie hat zwar den Kommentar nach der Zustellung der einstweiligen Verfügung an sie in F wieder eingestellt und in ihren Schriftsätzen im Verfahren betont, dass sie inzwischen der Ansicht sei, der Kommentar verstoße doch nicht gegen ihre Nutzungsbedingungen bzw. Gemeinschaftsstandards. Dies kann einer strafbewehrten Unterlassungserklärung jedoch nicht gleichgestellt werden. Denn zum einen ist diese Erklärung nicht unmittelbar nach der vom Verfügungskläger außergerichtlich zweimal – im Rahmen des internen Beschwerdeverfahrens sowie im Rahmen der Abmahnung – angeforderten Überprüfung, sondern erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens erfolgt. Zum anderen war der Verfügungsbeklagten zu diesem Zeitpunkt bereits die Unterlassungsverfügung des Landgerichts vom 27.8.2021 zugestellt worden. Darüber hinaus hat die Verfügungsbeklagte zwar unmittelbar nach der Beschwerde des Verfügungsklägers am 20.8.2021 (17:08 Uhr) um 17:11 Uhr angekündigt, den Kommentar noch einmal zu prüfen. Diese Prüfung hat allerdings nur eine gute halbe Stunde gedauert, bis um 17:48 Uhr die Entscheidung getroffen wurde, dass der Beitrag tatsächlich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße (vgl. Bl. 172 d.A.). In der Folgezeit ist dann trotz Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens sowie Zustellung der landgerichtlichen Entscheidung vom 27.8.2021 keine weitere Reaktion der Verfügungsbeklagten gegenüber dem Verfügungskläger erfolgt. Erst drei Monate später im Rahmen ihres Widerspruchs hat die Verfügungsbeklagte erstmals die Ansicht vertreten, dass im konkreten Fall doch kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards gegeben sei, dabei in ihren Schriftsätzen aber weiterhin betont, sie sei auch künftig berechtigt, Beiträge vorübergehend zu entfernen, wenn ein Verstoß „ernsthaft in Betracht“ komme. Dass die Maßnahmen gegen den Verfügungskläger, was der Annahme einer Wiederholungsgefahr möglicherweise entgegenstehen könnte, durch eine einmalige „Sondersituation“ veranlasst worden waren (vgl. dazu BGH, Urt. v. 27.4.2021 – VI ZR 166/19 und insbesondere OLG Dresden, Beschl. v. 5.10.2021 – 4 U 1407/21, MMR 2022, 139 zur Korrektur einer durch den Algorithmus erfolgten Sperre), hat die Verfügungsbeklagte damit weder glaubhaft gemacht noch ist dies aus den Akten ersichtlich. Allein der gewisse Zeitablauf bis zur Entscheidung des Senats, in der der Beitrag offenbar unbeanstandet geblieben ist, trägt keine andere Sichtweise, zumal er nicht so lange ist wie der in der von der Verfügungsbeklagten vorgelegten landgerichtlichen Entscheidung mit ca. drei Jahren.
33dd. Dem Verfügungskläger steht daneben auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch hinsichtlich der 30-tägigen „Sperre“ zu, da auch diese Maßnahme der Verfügungsbeklagten eine Vertragsverletzung darstellte. Ein Verstoß des Verfügungsklägers gegen die Gemeinschaftsstandards, der Grundlage für eine solche Maßnahme hätte sein können, liegt schon nicht vor, so dass es auf die Wirksamkeit der Nutzungsbedingungen der Verfügungsbeklagten nicht ankommt. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist auch hier nicht entfallen. Zwar ist der Zeitraum der „Sperre“ von 30 Tagen inzwischen abgelaufen, jedoch wendet sich der Verfügungskläger mit seinem Antrag nicht gegen eine Aufhebung dieser konkreten „Sperre“ (mit der Folge einer möglicherweise eingetretenen faktischen Erledigung), sondern vielmehr im Wege des Unterlassungsanspruchs gegen eine etwaige künftige „Sperre“, die aufgrund des nunmehr wieder veröffentlichten streitgegenständlichen Kommentars nochmals ausgesprochen werden könnte. Die diesbezügliche Wiederholungsgefahr, die durch die einmal ausgesprochene vertragswidrige „Sperre“ indiziert ist, hat die Verfügungsbeklagte mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auch hier nicht ausgeräumt.
34b. Ein Verfügungsgrund für die Ansprüche des Verfügungsklägers ist ebenfalls gegeben. Regelmäßig besteht dieser in der objektiv begründeten Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Bei Unterlassungsansprüchen ergibt sich die „Dringlichkeit“ zwar nicht schon aus der materiell-rechtlichen Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, jedoch wird im Presse- und Äußerungsrechts ein Verfügungsgrund regelmäßig bejaht, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit von Seiten des Betroffenen gegeben ist. Auch wenn es sich bei der vorliegenden Konstellation – der Teilhabe an einem sozialen Netzwerk – nicht um das klassische Presse- und Äußerungsrecht handelt, für das die oben genannten Grundsätze entwickelt wurden, sind diese nach Ansicht des Senat hier vorsichtig übertragbar, da die Plattform der Verfügungsbeklagten in erster Linie dem Meinungsaustausch dient.
35Eine Leistungsverfügung, die grundsätzlich nur bei – hier nicht vorliegender – Not- oder Zwangslage in Betracht kommt, in welcher der Gläubiger darlegen und glaubhaft machen kann, auf die Erfüllung dringend angewiesen zu sein, liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es nicht darum geht, dem Verfügungskläger im gerichtlichen Verfahren eine zusätzliche Leistungsposition zu verschaffen, sondern lediglich die Verfügungsbeklagte es (vorläufig) zu unterlassen hat, ihn an der Ausübung seiner bereits durch den Nutzungsvertrag eingeräumten Rechte durch erneute „Sperrung“ und erneute Löschung auf Basis des streitgegenständlichen Kommentars zu hindern.
36Der Senat verkennt dabei nicht, dass andere Oberlandesgerichte und auch die von der Verfügungsbeklagten zitierten Stimmen in der Literatur bisweilen etwas strengere Anforderungen an den Erlass einstweiliger Verfügungen in vergleichbaren Fällen zu stellen scheinen. Mit Blick auf die besondere Interessenlage in sog. sozialen Netzwerken, bei denen der Betroffene mit seinen individuellen Kontakten und Vernetzungen regelmäßig keine (zumutbare) Möglichkeit hat, kurzfristig auf andere Anbieter auszuweichen, und mit Blick auf den Umstand, dass Auslandszustellungen an die Verfügungsbeklagte die Gewährung von Eil-Rechtsschutz noch innerhalb des aktuell laufenden Nutzungsentzugs oft fast unmöglich machen (zur fehlenden Anwendbarkeit des § 5 NetzDG zuletzt Senat, Beschl. v. 14.2.2022 – 15 W 3/22, zur Veröffentlichung bestimmt, anhängig beim BGH unter I ZB 10/22), ist aus Sicht des Senats jedenfalls die Titulierung (nur) von Unterlassungsansprüchen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchaus gerechtfertigt.
374. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Wegen § 542 Abs. 2 ZPO bedarf es hier keiner Entscheidung über eine im Eilrechtsschutz unmögliche Revisionszulassung.
38Berufungsstreitwert: 3.000 Euro (1.500 Euro für Unterlassung der erneuten Löschung, 1.500 Euro für Unterlassung einer erneuten Sperre )