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Erfolgreiche Klage eines Studienrats, der sich u.a. gegen ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wendet.
Die das Disziplinarverfahren betreibende dienstvorgesetzte Stelle ist originär zuständig für die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Beamten. Die Erwartung, diese Beurteilung werde in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgen, dessen Gegenstand ein gegen den Beamten verhängtes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ist, rechtfertigt nicht die Aussetzung des Disziplinarverfahrens. Ein solches verwaltungsgerichtliches Verfahren ist nicht vorgreiflich i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW.
Der Antrag wird abgelehnt.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
3Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
41. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen.
5Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art bezeichnen, die er mit seinem Antrag angreifen will, und mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen. Es genügt hingegen nicht, wenn er pauschal die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts behauptet oder wenn er lediglich sein Vorbringen erster Instanz wiederholt, ohne im Einzelnen auf die Gründe des angefochtenen Urteils einzugehen. Diesen Anforderungen entspricht das Zulassungsvorbringen nicht.
6Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Bescheid des beklagten Landes vom 15. Juni 2012 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Formell rechtswidrig seien bereits das erteilte Hausverbot, das Verbot, mit den Schülerinnen und Schülern des Stadtgymnasiums in E. Kontakt aufzunehmen, sowie die Anordnung, Klausuren und Facharbeiten unverzüglich zu korrigieren und dem Schulleiter zu übersenden. Es fehle an einer Begründung dieser Ermessensentscheidungen (§ 39 Abs. 1 VwVfG NRW). Das im genannten Bescheid darüber hinaus auf der Grundlage des § 39 Satz 1 BeamtStG ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte sei als Dauerverwaltungsakt jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung materiell rechtswidrig und zwar unter Rechtsschutz- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sowie aus rechtssystematischen Erwägungen im Verhältnis zum Disziplinarrecht. In Anbetracht des Anspruchs des Klägers auf amtsangemessene Beschäftigung und des im Disziplinarrecht geltenden Beschleunigungsgebots (§ 4 LDG NRW) sei das beklagte Land spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung dem Erfordernis einer Aktualisierung und etwaigen Anpassung des fortwirkenden Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nicht (mehr) hinreichend nachgekommen. Zwar sei die Dauer des Disziplinarverfahrens für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte grundsätzlich ohne Bedeutung. Das Verbot könne aber ausnahmsweise dann rechtswidrig werden, wenn das Disziplinarverfahren offenkundig ohne Not fortdauere. Dies beruhe nicht zuletzt darauf, dass ein solches Verbot nur vorläufigen Charakter habe. Die endgültige Aufklärung des dem Verbot zu Grunde liegenden Sachverhalts sei dem nach § 39 Satz 2 BeamtStG zeitnah einzuleitenden weiteren Verfahren vorbehalten. Die erforderliche Aufklärung des Sachverhalts dürfe dabei nicht über Gebühr lange hinausgezögert werden. Die für ein behördliches Disziplinarverfahren regelmäßig vorgesehene Frist von sechs Monaten seit der Einleitung bis zu dessen Abschluss (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 1 LDG) dürfe insofern ohne zureichenden Grund nicht ungebührlich lange überschritten werden. So sei es aber hier. Spätestens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei die aufgezeigte disziplinarrechtliche Bearbeitungsfrist deutlich und ohne zureichenden Grund überschritten gewesen. Das mit Verfügung vom 16. Juli 2012 eingeleitete Disziplinarverfahren sei nicht mit der möglichen und nötigen Stringenz betrieben worden. Ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass das beklagte Land das eingeleitete Disziplinarverfahren im Hinblick auf das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren mit Verfügung vom 3. August 2012 nach § 22 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW ausgesetzt habe. Denn die disziplinarrechtliche Bearbeitungsfrist sei dadurch bereits mangels Vorliegens der Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gehemmt worden (§ 62 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW). Der seit der Aussetzung des Disziplinarverfahrens untätig verstrichene Zeitraum sei deutlich zu lang, um an dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte noch rechtmäßig festhalten zu können.
7Das Zulassungsvorbringen bietet keine schlüssigen Argumente, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Erwägungen des Verwaltungsgerichts wecken könnten.
8Soweit das beklagte Land geltend macht, dem Begründungserfordernis des § 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW sei genügt, lässt es außer Acht, dass der Bescheid vom 15. Juni 2012 mehrere Maßnahmen beinhaltet. Dem Kläger ist nicht nur die Führung der Dienstgeschäfte, sondern auch verboten worden, das Stadtgymnasium in E. zu betreten oder mit den Schülerinnen und Schülern Kontakt aufzunehmen. Zudem ist ihm aufgegeben worden, Klausuren und Facharbeiten, die sich noch bei ihm befinden, unverzüglich zu korrigieren und dem Schulleiter zu übersenden. Im Bescheid sind jedoch nur die Gründe genannt, die das beklagte Land veranlasst haben, dem Kläger die Führung der Dienstgeschäfte zu verbieten. Dementsprechend wird dort folgendes Fazit gezogen: „Somit liegen zwingende Gründe vor, die ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte erfordern. Im Hinblick darauf, dass Sie als Politiklehrer am Stadtgymnasium in E. eine Vorbildfunktion für die Schülerinnen und Schüler haben, besteht die Gefahr, dass diese durch Ihr Verhalten beeinflusst werden. Hierzu ist das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte geeignet und angemessen.“ Zu Recht ist das Verwaltungsgericht mithin davon ausgegangen, dass der Bescheid sich nicht zu den Gründen verhält, die das beklagte Land zu den weiteren Maßnahmen bewogen hat.
9Der Einwand des beklagten Landes, es habe nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. VwVfG NRW ohnehin keiner Begründung bedurft, entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Allein der Umstand, dass der Kläger nach seinem Auftritt in L. mehrere Interviews gegeben und dabei betont hat, dass diese Rede ein Fehler gewesen sei, führt nicht dazu, dass die Auffassung des beklagten Landes über die Sach- und Rechtslage, wie es meint, auch ohne Begründung für den Kläger ohne Weiteres erkennbar war. Soweit das beklagte Land in diesem Zusammenhang geltend macht, der Kläger habe eine Einladung zum Dienstgespräch erhalten, er habe hieran jedoch nicht teilgenommen, ist dies unverständlich. Dass das beklagte Land dem Kläger anlässlich eines solchen Dienstgesprächs seine Auffassung über die Sach- und Rechtslage verdeutlicht hätte bzw. hätte verdeutlichen können, ist im Rahmen des § 39 Abs. 2 VwVfG NRW ohne Belang.
10Das beklagte Land führt weiter an, wenn das Verwaltungsgericht meine, die fehlende Begründung führe zu einer formellen Rechtswidrigkeit des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte, so sei darauf verwiesen, dass dies gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich sei. Diese Argumentation ist schon deshalb verfehlt, weil - wie nachfolgend zu zeigen ist - der Zulassungsantrag nicht durchgreifend die Annahme des Verwaltungsgerichts in Zweifel zieht, das Verbot sei als Dauerverwaltungsakt jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung materiell rechtswidrig.
11Der Einwand des beklagten Landes, es bestehe „vor dem Hintergrund des ungestörten Schulbetriebs" die Notwendigkeit, das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte weiter aufrecht zu erhalten, verfängt ebenfalls nicht, weil auch dieser Umstand das beklagte Land nicht von den Vorgaben des § 39 BeamtStG sowie des Disziplinarrechts entbindet, die das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargestellt hat. Gegenteiliges folgt nicht, wie das beklagte Land zu meinen scheint, aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 -, BVerfGE 46, 17.
12Das Zulassungsvorbringen bietet auch kein schlüssiges Argument, das die Auffassung des Verwaltungsgerichts in Frage stellen könnte, eine Aussetzung des eingeleiteten Disziplinarverfahrens hätte mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW nicht erfolgen dürfen. Nach dieser Vorschrift kann das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, „deren Beurteilung für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist", in diesem Sinne also vorgreiflich ist. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, für die Bejahung einer Vorgreiflichkeit genüge zwar generell bereits eine Förderlichkeit oder Nützlichkeit für den Fortgang des Disziplinarverfahrens. Keine Vorgreiflichkeit bestehe jedoch, wenn in dem anderen Verfahren eine Frage zu klären sei, deren Beantwortung in die originäre Zuständigkeit des Dienstvorgesetzten gehöre, der das Disziplinarverfahren betreibe. Hierzu zähle u.a. die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten, welches den Verfahrensgegenstand bilde, pflichtwidrig gewesen sei. So sei es aber vorliegend. Es sei nicht nur in den originären Aufgabenbereich des Dienstvorgesetzten des Klägers gefallen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, sondern auch nach Aufklärung des Sachverhalts festzustellen, ob das gerügte Verhalten des Klägers pflichtwidrig war.
13Auf diese überzeugende Argumentation geht das Zulassungsvorbringen nicht ein. Es beschränkt sich im Kern auf die schlichte Behauptung, das Verwaltungsgericht habe die Aussetzung des Disziplinarverfahrens zu Unrecht beanstandet, sowie die Darlegung der Beweggründe für die Aussetzung. Die Erwartung bzw. Hoffnung des beklagten Landes, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren werde über die für das Disziplinarverfahren wesentliche Frage entschieden, ob der Kläger gegen seine aus § 33 Abs. 2 BeamtStG folgende Grundpflicht verstoßen habe, vermag die Aussetzung des Disziplinarverfahrens indes nicht zu rechtfertigen.
14Zu Recht hat das Verwaltungsgericht dem beklagten Land vorgehalten, es habe im Disziplinarverfahren die Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Klägers noch nicht geprüft, obwohl seit der Einleitung des Verfahrens elf Monate vergangen seien. Soweit das beklagte Land einwendet, das Verwaltungsgericht sei auch erst elf Monate nach Klageerhebung tätig geworden, lässt es erneut unberücksichtigt, dass die dienstvorgesetzte Stelle, die das Disziplinarverfahren betreibt, für die Beantwortung dieser Frage originär zuständig ist. Die Untätigkeit des beklagten Landes im Disziplinarverfahren gründete auch nicht, wie es nunmehr vorgibt, auf dem Umstand, dass dem Verwaltungsgericht die Disziplinarakten übersandt worden waren. Das beklagte Land ist allein deshalb untätig geblieben, weil es die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abwarten wollte. Im Übrigen hat das beklagte Land dem Verwaltungsgericht die Disziplinarakten erst Anfang Juni 2013 zur Verfügung gestellt.
15Unzutreffend ist schließlich die Annahme des beklagten Landes, das Verwaltungsgericht Arnsberg habe in einem ähnlichen Fall durch Urteil vom 22. Mai 2013 - 2 K 2803/12 -, juris, entschieden, dass „die Aussetzung eines Disziplinarverfahrens gemäß § 22 Abs. 2 LDG NRW bis zum Abschluss des Klageverfahrens gegen das Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte nicht zu einem Erlöschen dieses Verbots gem. § 39 BeamtStG" führe. Die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts Arnsberg verhalten sich weder zur Aussetzung eines Disziplinarverfahrens noch zum Erlöschen eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 2 BeamtStG. Im Übrigen ist auch vorliegend das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Aussetzung des Disziplinarverfahrens nicht zum Erlöschen des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 2 BeamtStG geführt hat (vgl. Seite 7 des Urteilsabdrucks).
16Nach alledem geht das weitere Zulassungsvorbringen ins Leere. Dem beklagten Land ist es nicht gelungen, die dargestellten entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts durchgreifend in Frage zu stellen. Auf die vom Verwaltungsgericht offen gelassene Frage, ob das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig war, und die hierfür vom beklagten Land umfassend dargelegten Aspekte bzw. auf die Gesamtumstände, die es zu diesem Verbot veranlasst haben, kommt es daher im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht an.
172. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
18Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Auch diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
19Weder mit der Frage,
20„ob die lange Dauer eines gerichtlichen Verfahrens zu Lasten des Dienstherren gewertet werden darf“,
21noch mit der Frage,
22„ob Beschäftigte des öffentlichen Dienstes an Kundgebungen grundsätzlich verfassungsrechtlich fragwürdiger Gruppierungen und Parteien teilnehmen und aktiv dazu beitragen dürfen",
23hat das beklagte Land eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage im vorstehenden Sinne aufgeworfen. Die erste Frage gründet auf seiner Annahme, die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei ihm zur Last gelegt worden. Dies ist, wie erörtert, nicht der Fall. Die zweite Frage beruht auf der Verkennung des Umstands, dass es auf die Beurteilung des Verhaltens des Klägers nach den - vom beklagten Land nicht durchgreifend in Zweifel gezogenen - Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht ankommt. Das beklagte Land lässt im Übrigen erneut außer Acht, dass die disziplinarrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Klägers im Disziplinarverfahren zu erfolgen hat und die das Disziplinarverfahren betreibende dienstvorgesetzte Stelle hierfür originär zuständig ist. Die dennoch vorgenommene Aussetzung des Disziplinarverfahrens ist aus den dargestellten Gründen zu beanstanden.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
25Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
26Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).