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Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. April 2017 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, zu den Podiumsdiskussionen der „It’s your choice“-Schultour am
24. April 2017 am Berufskolleg Kaufmännische Schulen in E. ,
25. April 2017 am Berufskolleg für Gestaltung und Technik in B. ,
25. April 2017 an der N. Schule in B. ,
26. April 2017 am Berufskolleg T. in T. ,
26. April 2017 am Berufskolleg an der M.-----straße in L. ,
27. April 2017 am Berufskolleg E1. G. in L. ,
27. April 2017 am Q. -Berufskolleg in B. ,
28. April 2017 am Berufskolleg T1. /T2. in T1. ,
28. April 2017 am D. -Berufskolleg des S. Kreises in I. ,
2. Mai 2017 am I1. -Berufskolleg in N1. und
2. Mai 2017 an den Wirtschaftsschulen des Kreises T3. in T3.
jeweils einen Vertreter der Antragstellerin zuzulassen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
3Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt es nach Maßgabe des § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO, die angefochtene Entscheidung wie begehrt zu ändern.
4Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen oder drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund), dass dem Hilfesuchenden mit Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf die begehrte Regelung zusteht (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
5Wird mit der begehrten Regelung die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, juris; Beschlüsse vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, juris, und vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301.89 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014 - 12 B 1422/13 -, juris, vom 21. Februar 2011 - 13 B 1722/10 -, juris, vom 8. Januar 2010 - 19 B 1004/09 -, juris, und vom 16. März 2007 - 7 B 134/07 -, juris.
7Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
8Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, juris, m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Januar 2014 - 12 B 1422/13 -, juris, und vom 20. Januar 2010 - 12 B 1655/09 -, juris.
9Diese Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache liegen vor. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
10Es ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Teilnahme an den genannten Podiumsdiskussionen der „It’s your choice“-Schultour hat. Dieser ergibt sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 21 Abs. 1 GG). Das Verwaltungsgericht hat die hierzu – insbesondere vom Bundesverfassungsgericht – entwickelten Maßstäbe zutreffend dargestellt (S. 5 ff. des Beschlussabdrucks). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst hierauf Bezug. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien findet auch für die von dem Antragsgegner veranstalteten Podiumsdiskussionen mit Parteivertretern im Vorfeld der in Kürze anstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Anwendung.
11Siehe dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Februar 2011 - 9 S 499/11 -, juris, Rn. 5 ff.
12Nach dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien hat der Antragsgegner bei den in Rede stehenden, im Vorfeld der Landtagswahl stattfindenden Podiumsdiskussionen die Parteien entsprechend ihrer Bedeutung zu berücksichtigen.
13Für die Bestimmung der Bedeutung einer Partei ausschließlich an den vorhergehenden Wahlerfolg anzuknüpfen, ist mit dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht vereinbar, weil hierdurch einer Aufrechterhaltung des Status quo Vorschub geleistet und damit Veränderungen im politischen Kräftefeld seit den vorangegangenen Wahlen vernachlässigt würden; insbesondere neu entstandene Parteien wären von vornherein von einer Teilnahme ausgeschlossen. Deshalb müssen, um die Bedeutung einer Partei zu ermitteln, noch andere Faktoren außer den Ergebnissen der letzten Parlamentswahlen berücksichtigt werden, wie die Zeitdauer des Bestehens einer politischen Partei, ihre Kontinuität, ihre Mitgliederzahl und der Umfang und Ausbau ihres Organisationsnetzes.
14Vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Dezember 1968 - 2 BvE 1/67 u.a. -, juris, Rn. 176; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 89.
15Dies zugrundegelegt ist ganz überwiegend davon auszugehen, dass der Antragstellerin nach ihrer Bedeutung die Teilnahme an den in Rede stehenden Podiumsdiskussionen neben den Parteien, die derzeit im Landtag eine Fraktion stellen, zu ermöglichen ist. Die Antragstellerin hat sich auch im nordrhein-westfälischen Parteienspektrum etabliert. Sie verfügt in diesem Bundesland über ein flächendeckendes Netz von Kreisverbänden.
16Vgl. http://www.dielinke-nrw.de/partei/vor_ort/kreise_und_kommunen/, Internetabruf vom 21. April 2017.
17Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 hat die Antragstellerin kontinuierlich nicht unerheblichen Zuspruch in der Bevölkerung erfahren. Im Jahr 2009 nahm sie erstmals an den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen teil und zog in nahezu alle Kommunalvertretungen ein. Diesen Erfolg konnte sie bei den Kommunalwahlen 2014 bestätigen.
18Vgl. http://alt.wahlergebnisse.nrw.de/kommunalwahlen/2009/Stadtraete_kreistage/a999998kw0900.html; http://www.wahlergebnisse.nrw.de/kommunalwahlen/2014/aktuell/die_linke.html, Internetabrufe vom 21. April 2017.
19Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2010 erreichte sie 5,6 % der Zweitstimmen.
20Vgl. Landeswahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen, Landtagswahl 2010, Endgültige Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen, Heft 3, S. 9.
21Im Landtag verhalf die Linksfraktion mit ihrer Zustimmung der rot-grünen Minderheitsregierung zu einer parlamentarischen Mehrheit für einzelne Vorhaben. Insbesondere verhalf sie ihr durch einzelne Ja-Stimmen bzw. Enthaltungen zur Verabschiedung des Nachtragshaushalts 2010 und des Haushalts 2011.
22Vgl. Spier, in: Marschall, Parteien in Nordrhein-Westfalen, 2013, S. 320.
23Bei der nachfolgenden Landtagswahl 2012 verfehlte sie zwar mit einem Ergebnis von 2,5 % der Zweitstimmen den Einzug in den Landtag.
24Vgl. Landeswahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen, Landtagswahl 2012, Endgültige Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen, Heft 3, S. 9.
25Schon bei der im darauffolgenden Jahr stattfindenden Bundestagswahl erzielte die Partei DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen jedoch 6,1 % der Zweitstimmen (2009: 8,4 %) und entsandte zehn Abgeordnete des Landesverbands in den Deutschen Bundestag (2009: elf).
26Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Mitglieder_des_Deutschen_Bundestages_(17._Wahlperiode), https://www.bundestag.de/abgeordnete18/, Internetabrufe vom 21. April 2017.
27Im Vergleich zu der Piratenpartei, die derzeit in Fraktionsstärke im nordrhein-westfälischen Landtag vertreten ist und dementsprechend auch von dem Antragsgegner zu den Podiumsdiskussionen eingeladen worden ist, verfügt die Antragstellerin über nahezu doppelt so viele Mitglieder. Ihr gehören nach eigenen Angaben 6.703 Mitglieder an (Stand: Dezember 2016), während die „Piraten“ derzeit lediglich einen Mitgliederbestand von 3.534 aufweisen.
28Vgl. https://www.die-linke.de/partei/fakten/mitgliederzahlen/, http://finanzen.piratenpartei.de/statistik.php?bk=10&jahr=2016, Internetabrufe vom 21. April 2017.
29Die Antragstellerin hat Aussichten, bei der anstehenden Wahl in den nordrhein-westfälischen Landtag einzuziehen. Hierfür sprechen die – den Verfahrensbeteiligten bekannten – Umfrageergebnisse seit Juni 2015. Für die Antragstellerin wurden in 19 von 20 Umfragen Werte von 5 % und mehr ermittelt. Ungeachtet der bekannten Ungenauigkeiten und mangelnden Verlässlichkeit von Prognosen der Meinungsforschungsinstitute lässt sich hieraus jedenfalls eine deutliche Tendenz herleiten. Es zeigt sich, dass die – auf der Grundlage des letzten Wahlergebnisses erfolgte – Verteilung der Sitze im nordrhein-westfälischen Landtag allein die aktuelle politische Bedeutung der Antragstellerin insbesondere im Vergleich zur Piratenpartei, deren aktuelle Umfragewerte einen Wiedereinzug in den Landtag kaum erwarten lassen, nicht treffend widerspiegelt. Dies bliebe unberücksichtigt, wenn hinsichtlich der Frage, welche Parteien bei den Podiumsdiskussionen vertreten sein sollen, ausschließlich auf das Ergebnis der letzten Landtagswahl abgestellt würde.
30In der Gesamtschau der vorstehend genannten Gesichtspunkte lässt sich schließlich aus dem Umstand, dass der Einzug der Antragstellerin in den nordrhein-westfälischen Landtag bei der Wahl am 14. Mai 2017 auch mit Blick auf die Umfrageergebnisse nicht gesichert ist, nicht ableiten, dass es sich bei ihr in Nordrhein-Westfalen lediglich um eine unbedeutende „Splitterpartei“ handelt. Inwieweit hierbei zudem zu berücksichtigen ist, dass die Partei DIE LINKE nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in zehn Landesparlamenten vertreten und an drei Landesregierungen beteiligt ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung.
31Aus dem Vorbringen des Antragsgegners, es handele sich bei den Podiumsdiskussionen dem zugrunde liegenden Konzept nach eher um eine Informationsveranstaltung über die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie, folgt nicht, dass die Antragstellerin hieran nicht ihrer Bedeutung entsprechend zu beteiligen wäre. Es ist gerade Ziel der Veranstaltungen, Erstwählerinnen und -wähler zur Ausübung ihres Wahlrechts zu motivieren und die Wahlbeteiligung junger Menschen zu erhöhen. Hierbei ist vor dem Hintergrund, dass eben nicht nur abstrakt über die Landtagswahl informiert wird, sondern Parteimitglieder auftreten, die ihre jeweilige Partei vertreten, zu berücksichtigen, dass diese zur Meinungsbildung der Zuhörerinnen und Zuhörer beitragen. Auswirkungen auf das Wahlverhalten und damit auch auf das Wahlergebnis können somit nicht ausgeschlossen werden; sie erscheinen vielmehr naheliegend, zumal die Veranstaltungen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der Landtagswahl stattfinden.
32Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1962 -2 BvR 158/62 -, juris, Rn. 36 m. w. N., und Urteil vom 2. März 1977 - 2 BvE 1/76 -, juris, Rn. 76 f.
33Der Ausschluss eines Vertreters der Antragstellerin von den Veranstaltungen könnte bei den Diskussionsteilnehmern den Eindruck entstehen lassen, für diese Partei bestünde – anders als etwa bei den „Piraten“ – keine realistische Chance auf den Einzug in den Landtag. Diese Ungleichbehandlung wiegt umso schwerer, als möglicherweise bereits geringfügige Stimmenunterschiede über den Einzug der Antragstellerin in das Parlament entscheiden können.
34Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1990 - 1 BvR 559/90 -, juris, Rn. 15.
35Soweit der Antragsgegner pauschal darauf hinweist, das Format „It’s your choice“ sei nur ein Teil der mehr als 100 Veranstaltungen umfassenden „Demokratietour“ der Landeszentrale für politische Bildung, zu der zudem der sog. „Wahl-o-Mat“ gehöre, der 29 der 31 zur Landtagswahl stehenden Parteien repräsentiere, vermag dies die festgestellte Ungleichbehandlung nicht in Frage zu stellen. Darauf, ob die Antragstellerin die Gruppe der Erstwählerinnen und -wähler durch eigene gezielte Wahlwerbung erreichen kann, kommt es nicht an.
36Im Übrigen verfängt der Einwand des Antragsgegners nicht, zu den Veranstaltungen sollten deshalb nur Vertreter der dem Landtag in Fraktionsstärke angehörenden Parteien eingeladen werden, weil die Berufsschülerinnen und -schüler „die im Landesparlament gelebte Diskussionskultur nacherleben [sollen], indem sie mit den Repräsentanten der im Landtag vertretenen Fraktionen auf Augenhöhe politische Themen diskutieren“. Dem widerspricht es, wenn bei den Veranstaltungen von den Parteien aufgestellte Landtagskandidatinnen und -kandidaten auftreten, die bislang über kein Landtagsmandat verfügen und dementsprechend dem Auditorium nicht aus eigenem Erleben die parlamentarische Diskussionskultur näherbringen können. Der Antragsgegner räumt selber ein, dass nur ein Drittel der „Schultour-Abgeordneten“ Mitglieder des Landtags sind und dies mit Blick auf das Konzept der Veranstaltungen auch nicht zu ändern sei.
37Dass die räumlichen Kapazitäten der Schulen, in denen die Podiumsdiskussionen stattfinden, sowie der jeweils gesetzte zeitliche Rahmen die Teilnahme eines weiteren Parteivertreters nicht erlauben würden, erscheint fernliegend und ist vom Antragsgegner nicht weiter begründet worden.
38Der erforderliche Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Ohne den Erlass der begehrten Anordnung entstünden der Antragstellerin mit Blick auf das dem Recht auf Chancengleichheit beizumessende erhebliche Gewicht schwere und unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache angesichts der bereits in Kürze stattfindenden Landtagswahl nicht mehr in der Lage wäre.
39Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner gegenüber der von ihm mit der Umsetzung des Projekts betrauten J. GmbH die erforderliche Erweiterung des Podiums erwirken wird.
40Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
41Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
42Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.