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Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Der 1960 in Damaskus geborene Kläger zu 1., ein syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, verließ 2015 Syrien, reiste Anfang 2016 über die Balkanroute nach Deutschland ein und beantragte am 20.9.2016 Flüchtlingsschutz. Vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) machte er zu seinen Ausreisegründen geltend: Er sei hauptsächlich wegen des Krieges ausgereist. Er habe Angst um seine Frau und um seine Söhne, die irgendwann an einem Kontrollpunkt zum Wehrdienst eingezogen worden wären. Zuerst hätten sie in einem von der Freien Syrischen Armee (FSA) beherrschten Gebiet gelebt (Al Rotha, auch Ghouta genannt), seien dann aber wegen der Bombardierungen 2013 in ein vom Staat beherrschtes Gebiet umgezogen. Beim Regime seien Leute aus Al Rotha, einem Schwerpunkt der FSA, unbeliebt und würden für Terroristen gehalten. Er selbst sei auch einmal von einem Soldaten bedroht und beschimpft worden. Die Klägerin zu 2. ist die 1965 geborene Ehefrau des Klägers zu 1., ebenfalls syrische Staatsangehörige arabischer Volkzugehörigkeit sunnitischen Glaubens. Sie machte als Ausreisegründe geltend: Sie sei wegen der Kinder geflohen, die Söhne seien an Kontrollpunkten ständig kontrolliert und schikaniert worden. Die Kinder hätten nicht einmal sicher zur Schule gehen können. Ihr Leben sei immer in Gefahr gewesen. Die Klägerin zu 3. ist die am 20.6.2002 geborene Tochter der Kläger zu 1. und 2. Sie macht keine eigenständigen Asylgründe geltend. Mit Bescheid vom 11.10.2016 gewährte das Bundesamt den Klägern subsidiären Schutz, lehnte aber unter Nr. 2 den weitergehenden Asylantrag ab. Der am 1998 geborene gemeinsame Sohn N. B. beantragte förmlich ebenfalls am 20.9.2016 Flüchtlingsschutz, wurde aber in einem getrennten Asylverfahren beschieden. Ihm wurde mit Bescheid vom 11.10.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Den Klägern zu 1. und 2. wurde am 11.1.2016 von der Stadt L. eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende ausgestellt, in der die Klägerin zu 3. und N. B. als gemeinsam eingereiste Kinder aufgeführt sind.
3Die Kläger haben gegen die Verweigerung der Flüchtlingsanerkennung rechtzeitig Klage erhoben und geltend gemacht: Sie hätten unabhängig von einer Vorverfolgung Anspruch auf Flüchtlingsschutz, da ihnen wegen ihrer Asylantragstellung und ihres Aufenthalts im Ausland vom syrischen Staat eine regimefeindliche Gesinnung zugeschrieben werde und ihnen in Anknüpfung daran bei Rückkehr Verfolgungshandlungen drohten. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sei der Auffassung, dass syrische Flüchtlinge in der Regel Anspruch auf Flüchtlingsschutz hätten. Amnesty international bestätige, dass Rückkehrer einer mehrtägigen und intensiven Befragung ausgesetzt würden. Sie, die Kläger, würden von der FSA verfolgt, weil sie in ein Regierungsgebiet geflüchtet seien, vom Regime würden sie verfolgt, weil die Söhne sich dem Militärdienst entzogen hätten. Auch als Sunniten würden sie verfolgt.
4Die Kläger haben beantragt,
5die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts vom 11.10.2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
6Die Beklagte hat beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Kläger.
9Die Kläger tragen vor: Ihnen stehe als Eltern bzw. Schwester des als Flüchtling anerkannten N. B. ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz gemäß § 26 Abs. 3 AsylG zu. Es sei unerheblich, dass N. B. im Zeitpunkt der förmlichen Asylantragstellung der Kläger am 20.9.2016 und erst Recht im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts volljährig gewesen sei, da es auf den Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender ankomme, als er noch minderjährig gewesen sei.
10Die Kläger beantragen,
11das angegriffene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen,
12hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die entsprechenden für den Flüchtlingsschutz geltenden Fragen aus dem Beschluss des BVerwG 1 C 32.18 dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im angegriffenen Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑). Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
19Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes - AsylG - ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
20Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u.a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
21Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 ‑ 10 C 52.07 ‑, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24.
23Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, BVerwGE 146, 67, Rn. 19.
25Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.3.2012 ‑ 10 C 7.11 ‑, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG, Nr. 43, Rn. 12, zur Vorgängerrichtlinie.
27Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.6.2011 ‑ 10 C 25.10 ‑, BVerwGE 140, 22, Rn. 21 f.
29Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, BVerwGE 146, 67, Rn. 32.
31Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Kläger vor flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung unbegründet.
32Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung kann nicht festgestellt werden. In Betracht kommt eine Verfolgung durch den syrischen Staat, da eine ‑ hypothetische ‑ Abschiebung alleine über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt hier ernsthaft nur Damaskus in Betracht.
33Vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 12.10.2016 gegenüber dem Verwaltungsgericht Trier, Az. 313-516.00 SYR, zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 21.3.2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.
34Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt sich nicht aus den vor dem Bundesamt vorgebrachten Gründen. Aus ihnen ergibt sich, dass die Kläger vor allem aus Furcht vor den Kriegseinwirkungen und aus Sorge vor einer Einziehung der Söhne zum Militär das Land verlassen haben. Das begründet keine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung.
35Der Senat hat die tatsächliche Situation in Syrien dahin bewertet, dass aus dem Ausland rückkehrenden syrischen Asylbewerbern, auch wenn sie Syrien illegal verlassen haben, keine politische Verfolgung droht wegen einer zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung.
36Vgl. zu den Gründen im Einzelnen OVG NRW, Urteile vom 21.2.2017 ‑ 14 A 2316/16.A ‑, NRWE, Rn. 30 ff. und juris, Rn. 28 ff., vom 4.5.2017 ‑ 14 A 2023/16.A ‑, NRWE, Rn. 32 ff. und juris, Rn. 30 ff., vom 7.2.2018 ‑ 14 A 2390/16.A ‑, NRWE, Rn. 36 ff. und juris, Rn. 34 ff., und vom 18.4.2019 ‑ 14 A 2608/18.A ‑, NRWE, Rn. 43 ff. und juris, Rn. 41 ff.
37Daran hält der Senat fest.
38Politische Verfolgung aus diesen Gründen verneinend ebenso Schl.-H. OVG, Urteile vom 23.11.2016 ‑ 3 LB 17/16 ‑, juris, Rn. 37 ff., und vom 17.8.2018 ‑ 2 LB 30/18 ‑, juris, Rn. 35 ff. und 104; OVG Rh.‑Pf., Urteil vom 16.12.2016 ‑ 1 A 10922/16 ‑, juris, Rn. 55 ff.; OVG Saarl., Urteil vom 17.10.2017 ‑ 2 A 365/17 ‑, juris, Rn. 22 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris, Rn. 43 ff., Beschlüsse vom 5.12.2018 ‑ 2 LB 570/18 ‑, juris, Rn. 28 ff., und vom 16.1.2020 ‑ 2 LB 731/19 ‑, juris, Rn. 29 ff.; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 22.11.2017 ‑ 3 B 12/17 ‑, juris, Rn. 27 ff., Hamb. OVG, Urteil vom 11.1.2018 ‑ 1 Bf 81/17.A ‑, juris, Rn. 62 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24.1.2018 ‑ 2 LB 194/17 ‑, juris, Rn. 39 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 7.2.2018 ‑ 5 A 1245/17.A ‑, juris, Rn. 21 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.10.2018 ‑ A 3 S 791/18 ‑, juris, Rn. 18 ff.; Thür. OVG, Urteil vom 15.6.2018 ‑ 3 KO 155/18 ‑, juris, Rn. 60 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 22.6.2018 ‑ 21 B 18.30852 ‑, juris, Rn. 22 ff., insbes. 35; Hess. VGH, Urteil vom 26.7.2018, ‑ 3 A 403/18.A ‑, juris, Rn. 13.
39Das angegriffene Urteil und der Vortrag der Kläger geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Das gilt auch für den jüngsten Bericht des Auswärtigen Amtes vom 20.11.2019 über die Lage in der Arabischen Republik Syrien. Dieser führt im Wesentlichen aus, dass generell weiterhin die Gefahr bestehe (insbesondere für Menschen, die der Opposition angehörten, vom Regime als oppositionell eingestuft würden oder sich in sonstiger Weise den Missfallen des Regimes zugezogen hätten), Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden (S. 8 f. des Berichts), wobei Personen, die unter dem Verdacht stünden, sich oppositionell zu engagieren, einem hohen Folterrisiko unterlägen (S. 15 und 21 des Berichts). Die Lage in allen Regimegebieten sei aufgrund des Herrschaftssystems des syrischen Regimes und seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung und verfügbare Rechtswege weiterhin von weitreichender Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit geprägt (S. 21 des Berichts). Zwar habe das Regime seine offizielle Haltung zu Rückkehrern nach außen hin modifiziert, einen Minister für Flüchtlingsrückkehr benannt und eine Rückkehrkommission ernannt. Innerhalb der besonders regimenahen Sicherheitsbehörden, aber auch in Teilen der vom Konflikt und der extremen Polarisierung geprägten Bevölkerung gälten Rückkehrer hingegen nach wie vor als Feiglinge und Fahnenflüchtige, schlimmstenfalls sogar als Verräter bzw. Anhänger von Terroristen (S. 21 f. des Berichts). Es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft "verschwunden" seien. Dies könne in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (z.B. Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder einem nicht abgeleisteten Wehrdienst stehen (S. 25 des Berichts). Damit bestätigt der Bericht die schon bislang vorliegende Erkenntnis, dass die syrischen Machtorgane und ihre Verbündeten gegen Oppositionelle und für solche Gehaltene mit unumschränkter Gewalt vorgehen und ein allgemeines Umfeld von Rechtlosigkeit und Willkür herrscht. Von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung jedweden aus dem Ausland rückkehrenden Asylbewerbers ‑ unbeschadet der Tatsache, dass bei Rückkehr mit einer auch politisch motivierten Sicherheitsüberprüfung zu rechnen ist (S. 22 des Berichts) ‑ kann aber nach wie vor keine Rede sein. Das lässt sich auch nicht aus dem Hinweis in dem Bericht ableiten, wonach insbesondere "‑ aber nicht nur ‑" (S. 21 des Berichts) solche Rückkehrer, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt seien oder auch nur als solche erachtet würden, Repressionen unterlägen. Die Einschränkung "aber nicht nur" ist zu unspezifisch, als dass sich daraus ein Rückschluss auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung jedweden Rückkehres ableiten ließe.
40Auch der Umstand, dass die Kläger aus einem früher von Rebellen beherrschten Gebiet umgezogen sind, stellt für sich keinen ausreichenden Anhaltspunkt für die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dar.
41Vgl. zur Bedeutung der Herkunft aus einem Rebellengebiet OVG NRW, Urteil vom 3.9.2018 ‑ 14 A 837/18.A ‑, NRWE, Rn. 36 ff. = juris, Rn. 34 ff.
42Das gilt auch, soweit eine mögliche Gefahr von Seiten der FSA in Rede steht, da diese Oppositionsgruppe keine Herrschaft mehr in Damaskus und Umgebung ausübt, dem Herkunftsgebiet der Kläger.
43Auch der Umstand, dass die Kläger Sunniten sind, führt nicht zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung.
44Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21.2.2017 ‑ 14 A 2316/16.A ‑, NRWE, Rn. 83 ff. = juris, Rn. 81 ff.
45Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung unter dem Gesichtspunkt, dass ‑ nach Darstellung des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ‑ seine fünf Söhne Wehrdienstflucht begangen hätten und deshalb die Kläger im Wege der Sippenverfolgung bei ihrer Rückkehr mit einer Bestrafung rechnen müssten.
46Der Senat hält nämlich nach Auswertung der vorhandenen Erkenntnisse und der obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass die einen Wehrdienstentzieher erwartende Bestrafung durch den syrischen Staat nicht nach § 3a Abs. 3 AsylG an Verfolgungsgründe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpft, also an Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und sei es auch nur in Form einer unberechtigten Zuschreibung dieser Merkmale durch den syrischen Staat (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für eine Anknüpfung an eine dem Wehrdienstentzieher unterstellte regimefeindliche Gesinnung gibt es keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte.
47Vgl. zu den Gründen im Einzelnen und zur Bewertung abweichender Rechtsprechung anderer Obergerichte OVG NRW, Urteile vom 4.5.2017 ‑ 14 A 2023/16.A ‑, NRWE, Rn. 39 ff. und juris, Rn. 37 ff., vom 7.2.2018 ‑ 14 A 2390/16.A ‑, NRWE, Rn. 43 ff. und juris, Rn. 41 ff., und vom 18.4.2019 ‑ 14 A 2608/18.A ‑, NRWE, Rn. 48 ff. und juris, Rn. 46 ff.
48Das angegriffene Urteil und das klägerische Vorbringen geben keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Wehrdienstentziehern anders zu beurteilen wäre, liegen nicht vor. Auch insoweit gibt der jüngste Bericht des Auswärtigen Amtes vom 20.11.2019 keinen Anlass zu einer für die Kläger günstigeren Beurteilung. Hinsichtlich der Wehrdienstentzieher verweist der Bericht auf einen unverändert hohen Personalbedarf des syrischen Militärs und Zwangsrekrutierungen wehrpflichtiger Männer, die auf Einberufungsbescheide nicht reagieren. Die Rekrutierungsbemühungen hätten sich seit Dezember 2018 sogar verstärkt (S. 11 des Berichts). Die Behandlung von Wehrdienstentziehern scheint einer eher pragmatischen Handhabung gewichen zu sein. So sollen Wehrpflichtige nach ihrer Rückkehr in der Regel zum Militärdienst eingezogen werden, teilweise im Anschluss an eine mehrmonatige Haftstrafe wegen Desertion. Seit der Amnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer von 2018 würden die Strafen aber zumindest stellenweise erlassen (S. 25 des Berichts). Der Bericht stützt daher die Auffassung des Senats, dass sich auch für Wehrdienstentzieher die Gefahr politischer Verfolgung nur dann beachtlich wahrscheinlich zeigt, wenn der Betreffende als oppositionell oder regimekritisch erachtet wird. Daher kann erst Recht nicht bei möglicherweise von Sippenverfolgung bedrohten Verwandten von Wehrdienstentziehern davon ausgegangen werden, dass diesen eine Verfolgung aus Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht.
49Ebenso politische Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung durch Flucht verneinend OVG Rh.-Pf., Urteil vom 16.12.2016 ‑ 1 A 10922/16 ‑, juris, Rn. 134 ff., und Beschluss vom 6.2.2018 ‑ 1 A 10849/17.OVG ‑, S. 13 ff.; OVG Saarl., Urteile vom 2.2.2017 ‑ 2 A 515/16 ‑, juris, Rn. 31, und vom 30.11.2017 ‑ 2 A 236/17 ‑, juris, S. 9 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 ‑ 2 LB 91/17 ‑, juris, Rn. 72 ff., und Beschlüsse vom 14.3.2018 ‑ 2 LB 1749/17 ‑, juris, Rn. 71 ff., vom 5.12.2018 ‑ 2 LB 570/18 ‑, juris, Rn. 32 ff., und 16.1.2020 ‑ 2 LB 731/19 ‑, juris, Rn. 34 ff.; Hamb. OVG, Urteil vom 11.1.2018 ‑ 1 Bf 81/17.A ‑, juris, Rn. 90 ff.; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 21.3.2018 ‑ 3 B 28.17 ‑, juris, Rn. 25 ff.; Schl.-H. OVG, Urteile vom 4.5.2018 ‑ 2 LB 17/18 ‑, juris, Rn. 88 ff. und 127 ff., und vom 17.8.2018 ‑ 2 LB 30/18 ‑, juris, Rn. 41 ff. und 104; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.10.2018 ‑ A 3 S 791/18 ‑, juris, Rn. 25 ff., Bay. VGH, Urteil vom 12.4.2019 ‑ 21 B 18.32459 ‑, Bayern.Recht, Rn. 42 ff., und Sächs. OVG, Urteil vom 21.8.2019 ‑ 5 A 50/17.A ‑, juris, Rn. 31 ff., jeweils unter Aufgabe der in der bisherigen Rechtsprechung vertretenen Auffassung; a.A. OVG M.-V., Urteil vom 21.3.2018 ‑ 2 L 238/13 ‑, juris; Thür. OVG, Urteil vom 15.6.2018 ‑ 3 KO 155/18 ‑, juris, Rn. 69 ff.; Hess. VGH, Urteil vom 26.7.2018 ‑ 3 A 403/18.A ‑, juris, Rn. 16 ff.
50Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist auch nicht wegen einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gerechtfertigt. Danach kann Verfolgungshandlung sein die "Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen". § 3 Abs. 2 AsylG schließt Personen von der Flüchtlingsanerkennung trotz Vorliegens einer grundsätzlich asylrelevanten Verfolgung aus, wenn es sich ‑ verkürzt gesagt ‑ um ‑ vor allem unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten ‑ Schwerkriminelle handelt.
51Selbst wenn hier eine hinreichend unmittelbare Beteiligung an den inkriminierten Handlungen und eine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung in Rede stünden, erfordert § 3a Abs. 3 AsylG, dass die dann drohende Strafverfolgung oder Bestrafung mit einem Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verknüpft ist.
52Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.12.2017 ‑ 1 B 131.17 ‑, juris, Rn. 9 f.
53Wenn die Vorschrift auf Fälle bloßer Wehrdienstentziehung durch Flucht anwendbar sein sollte, lässt sich auch insoweit die notwendige Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht feststellen, wie oben bereits ausgeführt wurde.
54Ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung ergibt sich auch nicht aus § 26 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG unter dem Gesichtspunkt internationalen Schutzes für Familienangehörige. Nach Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 und 2 dieser Vorschrift werden die Eltern eines minderjährigen ledigen international Schutzberechtigten auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn 1. die Anerkennung des international Schutzberechtigten unanfechtbar ist, 2. die Familie schon in dem Staat bestanden hat, in dem der international Schutzberechtigte politisch verfolgt wird, 3. sie vor der Anerkennung des international Schutzberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, 4. die Anerkennung des international Schutzberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und 5. sie die Personensorge für den international Schutzberechtigten innehaben. Diese Vorschriften sind für die Kläger zu 1. und 2. als Eltern des N. B. einschlägig. Für die Klägerin zu 3. als dessen Schwester ist § 26 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG einschlägig, die die entsprechende Anwendbarkeit des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 AsylG für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen international Schutzberechtigten anordnet.
55Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Grundsätzlich ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Das entspricht auch am ehesten der unionsrechtlichen Lage, die ‑ jedenfalls für die behördliche Entscheidung ‑ auf die Tatsachen und persönlichen Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung abstellt (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war N. B. nicht minderjährig, im Übrigen auch schon nicht im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes über seinen Asylantrag und den der Kläger. Das Gesetz stellt allerdings für bestimmte Fälle hinsichtlich der Merkmale "minderjährig" und "ledig" nicht auf diesen Zeitpunkt ab, sondern auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der Person, die Familienschutz beansprucht, nämlich bei minderjährigen ledigen Kindern von international Schutzberechtigten (§ 26 Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG) und bei minderjährigen ledigen Geschwistern von international Schutzberechtigten (§ 26 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG). Für die Minderjährigkeit und den Familienstatus des Stammberechtigten, von dem der um Familienschutz nachsuchende Antragsteller (Eltern bzw. Bruder/Schwester) sein Recht ableiten will, sieht das Gesetz eine Vorverlagerung des maßgebenden Zeitpunkts nicht vor. Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung der Minderjährigkeit des Stammberechtigten sei ‑ wie in den gesetzlich geregelten Fällen ‑ der Zeitpunkt der Asylantragstellung durch die um Familienschutz nachsuchende Person.
56Vgl. mit weiteren Nachweisen Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattsammlung (Stand: Dezember 2019), § 26 AsylG, Rn. 75 ff., und Epple in: GK-AsylG, Loseblattsammlung (Stand: 124. Lfg.), § 26, Rn. 62, 68; zu den denkbaren maßgeblichen Zeitpunkten bei subsidiärem Schutz des Stammberechtigten s. BVerwG, Vorlagebeschluss vom 15.8.2019 ‑ 1 C 32.18 ‑, juris.
57Angesichts des Schweigens des Normgebers hinsichtlich eines anderen maßgeblichen Zeitpunkts als des der mündlichen Verhandlung bei gleichzeitiger abweichender Regelung für andere Fälle in derselben Norm erscheint dies nicht richtig. Es ist auch dem Zweck nach nicht geboten. Während es in den Fällen der ausdrücklich anderweitigen Regelung um die Wahrung der Rechtstellung der um Familienschutz nachsuchenden minderjährigen Person vor den Zufälligkeiten der Bearbeitung des Asylantrags geht, wenn auf deren Minderjährigkeit im Zeitpunkt ihres Asylantrags abgestellt wird,
58so ist etwa auch für den ausländerrechtlichen Anspruch des unbegleiteten Minderjährigen auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern auf den Zeitpunkt seines Asylantrags abzustellen, vgl. EuGH, Urteil vom 12.4.2018 ‑ C-550/16 ‑, juris, Rn. 39 ff.,
59soll hier eine Festschreibung des Alters der stammberechtigten Person auf den Zeitpunkt des Asylantrags der um Familienschutz nachsuchenden Person erfolgen. Das ist aber lediglich ein allgemeines anspruchbegründendes Merkmal für diese Person. Es besteht kein Grund, dieses Merkmal anders zu behandeln als etwa den Umstand politischer Verfolgung, der nicht zum Anspruch auf Flüchtlingsschutz führt, wenn er zwar im Zeitpunkt der Asylantragstellung, aber nicht mehr im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegt. Insbesondere der Gesichtspunkt der Wahrung des Familienverbands (Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU) zwingt nicht zu einer solchen Auslegung. Denn in § 26 Abs. 3 AsylG geht es um Minderjährigenschutz (vgl. auch Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2011/95/EU), der hier wegen der Volljährigkeit des stammberechtigten N. B. nicht mehr Platz greift.
60Daher liegt hinsichtlich des Zeitpunkts, auf den beim Merkmal der Minderjährigkeit des Stammberechtigten in § 26 Abs. 3 AsylG abzustellen ist, keine durch Auslegung zu schließende Lücke, sondern ein beredtes Schweigen vor. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betonte allgemeine Billigkeitserwägung, dass Verfahrenslaufzeiten und damit einhergehende Veränderungen im Alter von Beteiligten nicht zu Lasten von Asylantragstellern gehen sollen, rechtfertigt es nicht, dass das Gericht die gesetzgeberische Entscheidung, in zwei ausgewählten Fällen die Minderjährigkeit auf einen vom Regelfall abweichenden Zeitpunkt festzuschreiben, auf andere, vom Gesetz nicht erfasste Fälle ausdehnt. Ob Missbrauchsfälle, in denen die Behörde das Verfahren bis zum Erreichen der Altersgrenze zur Verhinderung eines Familienasylanspruchs verzögert, anders zu behandeln wären, kann dahinstehen. Für einen Missbrauch gibt es angesichts des Verfahrensablaufs keinen Anhalt. Das Verfahren aller Beteiligten ist binnen zehn Monaten nach Einreise abgeschlossen worden.
61Angesichts der Maßgeblichkeit der Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt für das Merkmal der Minderjährigkeit des Stammberechtigten kommt es somit nicht mehr darauf an, ob statt auf die förmliche Asylantragstellung der um Flüchtlingsschutz nachsuchenden Person nach § 14 AsylG sogar auf die Meldung als Asylsuchender (§ 63a Abs. 1 Satz 1 AsylG) abzustellen ist, wie die Kläger meinen.
62Unabhängig vom Vorstehenden besteht der Klageanspruch aber auch deshalb nicht, weil die allgemeine Voraussetzung des § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG fehlt, dass es sich um Eltern bzw. Geschwister minderjähriger lediger international Schutzberechtigter handelt. Der Sohn bzw. Bruder N. B. war nie ein minderjähriger lediger international Schutzberechtigter und ist es auch heute nicht, sondern er war nur ein minderjähriger lediger Asylantragsteller, dann ein erwachsener lediger Asylantragsteller und schließlich ein erwachsener lediger international Schutzberechtigter, was er noch heute ist. Wenn für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten schon auf einen früheren Zeitpunkt als den der mündlichen Verhandlung abgestellt werden soll, muss gleiches für das Merkmal "Asylberechtigter" in § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG bzw. "international Schutzberechtigter" in § 26 Abs. 5 Satz 1 AsylG gelten, denn es geht um dessen Minderjährigkeit. Es wäre eine willkürliche Ausweitung des Anspruchs auf Familienschutz, wenn die drei Merkmale des Stammberechtigten, nämlich minderjährig, ledig und asylberechtigt bzw. international schutzberechtigt, nur irgendwann einmal jeweils für sich zwischen Antragstellung des um Familienschutz Nachsuchenden (oder gar nur zwischen dessen Meldung als Asylsuchender) und mündlicher Verhandlung vorgelegen haben müssen, nie aber gleichzeitig. Eine solche verselbständigende Atomisierung einzelner Tatbestandselemente würde sich nicht nur vom Wortlaut, sondern auch vom gesetzgeberischen Ziel lösen, den Familienverband zwischen minderjährigem ledigem international Schutzberechtigten und seinen Eltern bzw. Geschwistern zu wahren.
63So wohl auch Marx, AsylG, 10. Aufl., § 26, Rn. 36, der fordert, dass ‑ im Zeitpunkt der Antragstellung der um Familienschutz nachsuchenden Person ‑ in der Person des Stammberechtigten die Anspruchsvoraussetzungen minderjährig, ledig und unanfechtbar als Statusberechtigter anerkannt vorliegen müssten.
64Dieser Auslegung kann nicht entgegengehalten werden, dass N. B. auch schon vor Anerkennung durch das Bundesamt international schutzberechtigt gewesen sei. Daran könnte man denken, da die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt ist (21. Erwägensgrund der Richtlinie 2011/95/EU). Das liegt aber fern, da das Gesetz für das Familienasyl gerade auf die Anerkennung und sogar auf deren Unanfechtbarkeit, nicht bloß auf den Anspruch auf Anerkennung abstellt, wie im Übrigen auch das europäische Recht, wie später ausgeführt wird.
65Diese Auslegung ist auch mit europäischem Recht vereinbar. Nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist. Bei diesen Leistungen handelt es sich um einen Aufenthaltstitel, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss (Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Weiter besteht nach Art. 25 der Richtlinie 2011/95/EU ein Anspruch auf einen Reiseausweis ‑ wie im Anhang zur Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen ‑ für Reisen außerhalb Deutschlands. Nach Art. 26 der Richtlinie 2011/95/EU besteht ein näher geregelter Anspruch auf Zugang zur Beschäftigung, nach Art. 27 auf Zugang zu Bildung, nach Art. 28 auf Zugang zu Verfahren für die Anerkennung von Befähigungsnachweisen, nach Art. 29 auf Sozialleistungen, nach Art. 30 auf medizinische Versorgung, nach Art. 32 auf Zugang zu Wohnraum und nach Art. 34 auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Nach Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU wird Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats gewährt, und nach Art. 35 kann Personen, die zurückkehren möchten, Unterstützung gewährt werden. Schließlich gibt es noch Sonderrechte für unbegleitete Minderjährige nach Art. 31 der Richtlinie 2011/95/EU. Die Richtlinie verpflichtet also die Mitgliedstaaten nicht etwa, zur Wahrung des Familienverbands den abgeleitetet Berechtigten ebenfalls Flüchtlingsstatus zu gewähren, sondern lediglich, ihnen nach nationalem Verfahrensrecht näher bezeichnete Rechte einzuräumen, wie sie auch anerkannte Flüchtlinge genießen.
66Die Kläger machen schon nicht geltend, dass ihnen als subsidiär schutzberechtigten Ausländern solche Rechte überhaupt oder jedenfalls einzelne vorenthalten würden. Selbst wenn dem so sein sollte, wäre die Beklagte zwar nach der Richtlinie verpflichtet, ihnen diese einzuräumen, wenn die Kläger die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU erfüllen. Zur Erfüllung des eingeklagten Anspruchs auf Anerkennung als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, die sie nach den obigen Ausführungen nicht sind, verpflichtet die Richtlinie 2011/95/EU aber weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck nach. Die Richtlinie bezweckt nur die Gewährung näher bezeichneter Rechtspositionen.
67Unabhängig davon liegen aber auch die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU nicht vor. Zu den Familienangehörigen zählen gemäß Art. 2 Buchst. j, dritter Spiegelstrich der Richtlinie 2011/95/EU Vater und Mutter, die für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich sind, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist. Das war nie der Fall, da dem minderjährigen N. B. internationaler Schutz nicht zuerkannt worden ist und er, als ihm internationaler Schutz zuerkannt worden ist, nicht minderjährig war. Diese unionsrechtliche Lage spricht auch gegen eine Auslegung des Begriffs des international Schutzberechtigten in § 26 Abs. 5 Satz 1 AsylG im Sinne eines bloßen Innehabens eines Anspruchs auf internationalen Schutzes schon im Vorfeld der Zuerkennung. Die Richtlinie stellt bei der Definition des Familienangehörigen in Art. 2 Buchst. j, dritter Spiegelstrich, gerade nicht auf eine Person ab, die einen Anspruch auf internationalen Schutz hat oder die international schutzberechtigt ist, sondern auf eine Person, "der internationaler Schutz zuerkannt worden ist", somit auf den Akt der Anerkennung. Gleiches gilt für die Norm zur Wahrung des Familienverbandes in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie.
68Angesichts dieser klaren unionsrechtlichen Lage sieht der Senat davon ab, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einzuholen.
69Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10 sowie 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist trotz der Anregung beider Beteiligter nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Das nationale Recht ist im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Minderjährigkeit eindeutig. Das Unionsrecht bietet keinen Anlass, den Wortlaut des nationalen Rechts im Sinne der Kläger zu korrigieren.