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In einem fachärztlichen Attest zum Nachweis der Erforderlichkeit eines prüfungsrechtlichen Nachteilsausgleichs muss der Facharzt über die reine Diagnose des Krankheitsbilds hinaus vor allem dessen konkrete und aktuelle Auswirkungen auf die einzelnen schulischen Leistungsanforderungen an den betroffenen Schüler in den von ihm im jeweiligen Schuljahr gewählten oder besuchten Unterrichtsfächern beschreiben und bestätigen (wie OVG NRW, Beschluss vom 21. April 2023 19 B 208/23 , NVwZ-RR 2023, 799, juris, Rn. 10).
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Der Senat entscheidet über die Beschwerde des Antragstellers vor Ablauf der noch bis zum 31. Mai 2024 laufenden einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO. Die Bezirksregierung hat die Termine für die im zentralen Abschlussverfahren abzulegenden schriftlichen Prüfungen im Rahmen der Externenprüfung zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife) beginnend ab nächsten Montag, den 6. Mai 2024 bestimmt.
2https://www.brd.nrw.de/system/files/media/document/2023-09/20230919_4_48_Schulrecht_Schulverwaltung_Externenpruefung_Realschulabschluss_Terminankuendigung.pdf (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2024).
3Für den Antragsteller beginnt die erste Klausur nach telefonischer Auskunft einer Mitarbeiterin der Bezirksregierung am Montag, dem 6. Mai 2024 um 14.00 Uhr.
4Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Diese Gründe rechtfertigen es nicht, dem Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO unter Änderung des angefochtenen Beschlusses stattzugeben. Er hat die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anordnungsanspruchs auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 294 Abs. 1, § 920 Abs. 2 ZPO). Auf der Grundlage der gegenwärtigen Aktenlage hat er keinen Anspruch aus § 22 PO-Externe-S I darauf, dass die Bezirksregierung ihm im Rahmen der Externenprüfung zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses (Fachoberschulreife) als Nachteilsausgleiche für die bei ihm diagnostizierte Lese- und Rechtschreibstörung (LRS, Legasthenie, ICD-10 F.81.0) eine um jeweils 30 Minuten verlängerte Bearbeitungszeit für die Klausuren und eine um jeweils 15 Minuten verlängerte Vorbereitungszeit für die mündlichen Prüfungen gewährt.
5Mit seiner Beschwerdebegründung wendet sich der Antragsteller im Kern gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, in den von ihm vorgelegten fachärztlichen Befundberichten fehle es gänzlich an einer konkreten Darstellung der Auswirkungen der von ihm geltend gemachten Legasthenie auf seine schulische Leistungsfähigkeit in den von ihm zuletzt besuchten und in der Externenprüfung anstehenden Unterrichtsfächern (S. 6 f. des Beschlusses). Gegen diese Feststellung wendet er ein, „die konkrete Ausprägung der Lese- und Rechtschreibschwäche und die hiervon ausgehenden prüfungsrelevanten Folgen“ seien entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts „ausführlich dokumentiert“. Aus dem Befundbericht des Q. Klinikums R. vom 20. Juni 2018 ergebe sich, dass seine Minderleistungen im Bereich des Lesens und der Rechtschreibung nicht auf einen unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten zurückzuführen seien, sondern auf für eine Lese- und Rechtschreibschwäche typische Einschränkungen im Bereich des Arbeitsgedächtnisses und der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Die Untersuchungen im Q. Klinikum R. in den Folgejahren hätten zu identischen Ergebnissen geführt, ebenso eine weitere Testung durch die Lerntherapie M. am 5. März 2024 und der zuletzt zur Gerichtsakte gereichte Bericht des behandelnden Kinderarztes (Attest Dr. T. I. vom 11. April 2024).
6Mit diesen Ausführungen wiederholt der Antragsteller lediglich sein erstinstanzliches Vorbringen, welches bereits das Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigt hat. Insbesondere hat es unter Einbeziehung jeder der vorbezeichneten fachärztlichen Äußerungen sowie der ohnehin nur auszugsweise und ohne Arztunterschriften vorgelegten Befundberichte des Q. Klinikums R. vom 28. April und 6. September 2021 festgestellt, dass keine von ihnen die in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Anforderung an ein fachärztliches Attest zum Nachweis der Erforderlichkeit eines prüfungsrechtlichen Nachteilsausgleichs erfüllt. Danach muss der Facharzt über die reine Diagnose des Krankheitsbilds hinaus vor allem dessen konkrete und aktuelle Auswirkungen auf die einzelnen schulischen Leistungsanforderungen an den betroffenen Schüler in den von ihm im jeweiligen Schuljahr gewählten oder besuchten Unterrichtsfächern beschreiben und bestätigen.
7OVG NRW, Beschluss vom 21. April 2023 ‑ 19 B 208/23 ‑, NVwZ-RR 2023, 799, juris, Rn. 10, vgl. einzelfallbezogen auch Beschluss vom 13. Februar 2024 ‑ 19 B 1217/23 ‑, juris, Rn. 27 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 28. Mai 2020 ‑ 2 ME 208/20 ‑, NJW 2020, 2425, juris, Rn. 12 ff.
8Unabhängig vom danach fehlenden Nachweis der Erforderlichkeit der geltend gemachten Nachteilsausgleiche weist der Senat darauf hin, dass es bislang schon an einer schlüssigen Diagnose einer Legasthenie beim Antragsteller fehlt. Die Legasthenie ist nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine dauerhafte Lese- und Schreibstörung aufgrund einer lebenslang anhaltenden neurobiologischen, entwicklungsbiologisch und zentralnervös begründeten Störung der Hirnfunktion, die auf einer unzureichenden Verbindung bestimmter Hirnareale beruht. Sie lässt Begabung und Intelligenz unberührt. Die intellektuelle Erfassung von Sachverhalten ist unbeeinträchtigt. Sie ist zu unterscheiden von Lese- und Rechtschreibschwächen, die andere Ursachen haben und erfolgversprechend behandelbar sind. Für die Diagnose einer Legasthenie gibt es klare Kriterien. Über die Feststellung unterdurchschnittlicher Lese- und Rechtschreibleistungen hinaus muss ein signifikantes Missverhältnis zwischen der Rechtschreibleistung und dem allgemeinen Intelligenzniveau der Person bestehen. Die hirnstrukturellen Anomalien sind bei einer Magnetresonanztomografie erkennbar.
9BVerfG, Urteil vom 22. November 2023 ‑ 1 BvR 2577/15 ‑, NJW 2024, 424, juris, Rn. 38 f.
10Der beim Antragsteller im Mittelpunkt stehende Befundbericht des Q. Klinikums R. vom 20. Juni 2018 beruht weder erkennbar auf einer Magnetresonanztomografie noch stellt er ein signifikantes Missverhältnis zwischen der Rechtschreibleistung und dem allgemeinen Intelligenzniveau des Antragstellers fest. Im Gegenteil ergeben sich aus dem Befundbericht Anhaltspunkte für die Annahme, dass seine Lese- und Rechtschreibschwächen auf anderen Ursachen als einer Legasthenie beruhen. Das gilt insbesondere für die Aussage, dass sein kognitiver Entwicklungsstand im Grenzbereich zwischen durchschnittlich und unterdurchschnittlich liege.
11Schließlich weist der Senat auf die Unerheblichkeit der einfachrechtlichen Erwägung des Verwaltungsgerichts hin, ob § 2 Abs. 1 Satz 3 PO-Externe-S I als Verweisungsnorm auf § 6 Abs. 9 APO-S I interpretierbar ist.
12Ähnlich VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Mai 2021 ‑ 18 L 983/21 ‑, juris, Rn. 9.
13Denn hier bedarf es, wie auch das Verwaltungsgericht selbst einräumt, keines Rückgriffs auf § 6 Abs. 9 APO-S I. Nach der Senatsrechtsprechung sind die einfachrechtlichen Vorschriften über Nachteilsausgleich in den verordnungsrechtlichen Prüfungsordnungen, hier also § 22 PO-Externe-S I, Ausprägungen des bundesverfassungsrechtlichen Gebots der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG.
14OVG NRW, Beschlüsse vom 9. August 2023 ‑ 19 B 539/23 ‑, juris, Rn. 5, und vom 31. Mai 2021 ‑ 19 B 943/21 ‑, juris, Rn. 3.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
16Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. In einem prüfungsrechtlichen Eilverfahren über die Gewährung von Nachteilsausgleich reduziert der Senat den für das Hauptsacheverfahren hierüber anzunehmenden Auffangwert nur dann in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013 (NWVBl. 2014, Heft 1, Sonderbeilage, S. 4) auf die Hälfte, wenn der Eilantrag auf einen Nachteilsausgleich während eines Schuljahres, eines Schulhalbjahres oder eines vergleichbaren Zeitabschnitts (z. B. Qualifikationsphase zur Abiturprüfung) mit allen in dieser Zeit stattfindenden schriftlichen und/oder mündlichen Leistungsüberprüfungen gerichtet ist. In einem solchen Fall stellt der Nachteilsausgleich eine zukunftsoffene Maßnahme dar, die im Hauptsacheverfahren auch faktisch jederzeit korrigiert werden kann.
17OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Januar 2024 ‑ 19 B 1194/23 ‑, juris, Rn. 28, vom 9. August 2023, a. a. O., Rn. 16, vom 21. April 2023, a. a. O., Rn. 23, vom 31. Mai 2021, a. a. O., Rn. 14 ff., 16, und vom 17. März 2021 ‑ 19 B 1905/20 ‑, juris, Rn. 30 ff. m. w. N.
18Ist der Eilantrag hingegen - wie hier - auf die Gewährung von Nachteilsausgleich für eine einzelne bevorstehende (Abschluss-)Prüfung gerichtet, macht der Senat in ständiger Praxis von der in Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 für das Eilverfahren vorgeschlagenen Streitwertanhebung auf den vollen Auffangwert Gebrauch, weil der begehrte Nachteilsausgleich in diesen Fällen zeitlich abschließend ist und die tatsächlich und rechtlich endgültige Vorwegnahme der Hauptsache bewirkt.
19OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2024, a. a. O., Rn. 30, vom 22. Juni 2023 ‑ 19 B 425/23 ‑, juris, Rn. 7, vom 31. Mai 2021, a. a. O., Rn. 18, und vom 20. Mai 2021 ‑ 19 B 860/21 ‑, juris, Rn. 3 ff.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).