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Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt auch zur Beobachtung innerhalb einer politischen Partei gebildeter Gruppierungen. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen steht im Einklang mit Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes konzentriert sich auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
Bestrebungen in diesem Sinn erfordern ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen.
Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen.
Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten der Gruppierung widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz zielt nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen; die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin ist eine im Deutschen Bundestag, in 14 deutschen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertretene politische Partei. Sie wendet sich dagegen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) die Sammlungsbewegung „Der Flügel“ als „Verdachtsfall“ und als „erwiesen extremistische Bestrebung“ beobachtet und darüber öffentlich berichtet hat.
3Am 14. März 2015 stellten der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen der Klägerin, Björn Höcke, und der damalige Vorsitzende des Landesverbands Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, auf dem Thüringer Landesparteitag die „Erfurter Resolution“ vor, die von 21 weiteren Amts- und Funktionsträgern der Klägerin unterzeichnet und auf der Internetseite „derfluegel.de“ als „erster Schritt“ einer innerhalb der Klägerin gebildeten „Sammlungsbewegung“ veröffentlicht wurde. Unter den Erstunterzeichnern waren Alexander Gauland, der spätere Co-Bundessprecher und heutige Ehrenvorsitzende der Klägerin, Christina Baum, damals Landtagsabgeordnete, zuletzt Abgeordnete im Bundestag und im Bundesvorstand der Klägerin, die Landtagsabgeordneten Birgit Bessin, Andreas Kalbitz und Hans-Thomas Tillschneider sowie der spätere Bundesvorsitzende der „Jungen Alternative für Deutschland“ und heutige Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier. Gemäß der Resolution sehen die Erstunterzeichner „im vollen Einsatz der [Klägerin] für eine grundsätzliche politische Wende in Deutschland die eigentliche Daseinsberechtigung der Partei“. Dieser Einsatz werde zu „echten Auseinandersetzungen mit den Altparteien, den Medien und den Trägern der verheerenden Gesellschaftsexperimente führen“. Von den Funktionsträgern der Partei werde verlangt, diese Auseinandersetzung „mutig und wahrhaftig zu führen“. In der Erklärung wird die Sorge geäußert, dass sich die Klägerin ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb anpasse: „dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes.“
4In einer weiteren auf der Internetseite „derfluegel.de“ veröffentlichten Erklärung vom 24. Juni 2016 beschrieb sich der „Flügel“ als „zentral organisierter, loser Verbund von Mitgliedern der [Klägerin] im gesamten Bundesgebiet“. Er werde maßgeblich vom Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen (Nordthüringen) getragen. Dort sei auch die organisatorische Arbeit konzentriert. Seit dem Jahr 2015 fanden jährliche Veranstaltungen unter dem Namen „Kyffhäusertreffen“ mit zuletzt fast 1.000 Teilnehmern statt.
5Der Präsident des Bundesamts gab im Rahmen einer Pressekonferenz am 15. Januar 2019 bekannt, dass die Klägerin als „Prüffall“ bearbeitet werde. Dem Bundesamt lägen erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Politik der Klägerin vor. Diese seien jedoch nicht hinreichend verdichtet, um eine Beobachtung auch unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln einzuleiten. Die Jugendorganisation der Klägerin „Junge Alternative für Deutschland“ (im Folgenden: JA) und die innerhalb der Klägerin gebildete Sammlungsbewegung „Der Flügel“ (im Folgenden: „Flügel“) um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke würden hingegen als „Verdachtsfälle“ eingestuft. Insoweit lägen jeweils stark verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um extremistische Gruppierungen handele. Dies ermögliche eine personenbezogene Auswertung und eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Dateien und Akten des Verfassungsschutzes, unter bestimmten besonderen Voraussetzungen könnten auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Im Hinblick auf die Klägerin werde das Bundesamt die Auswertung ihrer offen wahrnehmbaren Aktivitäten kontinuierlich weiterführen.
6Die Anhaltspunkte, die eine Prüffallbearbeitung der Klägerin erforderten, ergäben sich im Wesentlichen aus Aussagen von Funktionären und anderen Mitgliedern. Besonders relevant seien hier jene Verlautbarungen, die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar seien. Dies betreffe sowohl völkisch-nationalistische wie auch muslimfeindliche und andere fremden- und minderheitenfeindliche Aussagen.
7Hinsichtlich der JA zeige sich bereits an dem sogenannten Deutschlandplan, ihrem zentralen politischen Programm, sowie an zahlreichen Äußerungen von Funktionären, dass sie die Würde des Menschen als obersten Wert der Verfassung nicht respektiere. Sie ziele auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs und mache diejenigen, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehörten, in eindeutiger Weise verächtlich. Neben pauschalen Verunglimpfungen von Flüchtlingen, zum Beispiel wenn wiederholt von „Messermigration“ gesprochen werde oder Migranten grundsätzlich als rückständig, unzivilisiert und triebgesteuert bezeichnet würden, fordere die JA unter anderem eine generelle abendliche Ausgangssperre für alle männlichen Flüchtlinge, „um die Sicherheit für die Bevölkerung und vor allem der Frauen in Deutschland zu erhöhen“, und spreche mit Blick auf die Migration von einem drohenden „Bevölkerungsaustausch“. Die JA richte sich nach bisherigen Erkenntnissen auch gegen das Demokratieprinzip. Es lägen zahlreiche pauschal diffamierende Aussagen vor, die den Parlamentarismus absolut verächtlich machten, ohne dass eine Alternative benannt werde, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben pluralistischer Willensbildung entspreche. Das politische Konzept der JA stehe zudem im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip, insbesondere würden das Gewaltmonopol des Staates und die Rechtsbindung der Verwaltung in Frage gestellt.
8Beim „Flügel“ sei das Politikkonzept auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletze die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip, zudem werde der historische Nationalsozialismus immer wieder verharmlost. Der Erhalt eines organisch einheitlichen Volkes werde vom „Flügel“ als höchster Wert angesehen, hinter dem der Mensch als Individuum zurücktrete. Insbesondere außereuropäische Migranten könnten aus Sicht des „Flügel“ aufgrund naturgegebener Unterschiede nicht integriert werden. Ihnen solle eine Bleibeperspektive dauerhaft verwehrt werden. Diese völkische Haltung werde durch flüchtlings- und muslimfeindliche Positionen untermauert. Mittels einer aggressiven Wortwahl werde die von Migranten ausgehende Kriminalität krass überzeichnet. Vertreter des „Flügel“ wendeten sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen würden nur akzeptiert, wenn sie zur Umsetzung der durch den „Flügel“ vertretenen ideologischen Vorgaben führten. Anderenfalls würden revolutionäre Mittel angedeutet, so mit der Aussage: „Danach kommt nur noch: Helm auf.“
9Zur Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ sowie der JA und des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ veröffentlichte das Bundesamt am selben Tag auch eine Pressemitteilung und eine sogenannte „Fachinformation“.
10Das Bundesamt stützte seine Bewertung auf ein behördeninternes Gutachten („Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) und ihren Teilorganisationen“, im Folgenden: Gutachten I), in dem als (Zwischen-)Ergebnis einer im Frühjahr 2018 eingeleiteten Prüfung programmatische Schriften der Klägerin und der JA sowie eine Vielzahl sonstiger öffentlich zugänglicher Verlautbarungen von deren Organisationseinheiten, Funktionären und sonstigen Mitgliedern ausgewertet wurden. Unter anderem wurden die Internetseiten und Facebook-Profile aller AfD- und JA-Landesverbände untersucht, aber auch sonstige im Internet veröffentlichte Aussagen sowie Reden auf Parteitagen, im Wahlkampf oder bei sonstigen Versammlungen.
11Auf einen Eilantrag der Klägerin untersagte das Verwaltungsgericht Köln dem Bundesamt mit Beschluss vom 26. Februar 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung, in Bezug auf die Klägerin zu äußern oder verbreiten, diese werde als „Prüffall“ bearbeitet (13 L 202/19, VG Köln). Die Einstufung des „Flügel“ und der JA war nicht Gegenstand des Verfahrens.
12Mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 forderte die Klägerin das Bundesamt auf, es zu unterlassen, die JA und den „Flügel“ als Verdachtsfall einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, sowie es zu unterlassen, Daten über die JA und den „Flügel“ als „Verdachtsfall“ zu sammeln, zu speichern und/oder gespeichert zu lassen. Mit Schreiben vom 6. Januar 2020 lehnte das Bundesamt gegenüber der Klägerin ab, die geforderten Unterlassungserklärungen abzugeben.
13Am 13. Januar 2020 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
14Am selben Tag hat die Klägerin auch gegen die Einstufung der JA Klage erhoben (13 K 208/20, VG Köln). Am 4. März 2020 veröffentlichte Björn Höcke auf Facebook „Anmerkungen zu den Interpretationen des Verfassungsschutzes“, in denen er einzelne vom Bundesamt beanstandete Äußerungen erläutert. Im Rahmen einer Pressekonferenz am 12. März 2020 gab der Präsident des Bundesamts bekannt, dass das Bundesamt den „Flügel“ als „erwiesen extremistische Bestrebung“ eingestuft habe. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte hätten sich zur Gewissheit verdichtet. Es könnten entsprechende Verstöße gegen prägende Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – konstatiert werden. Außerdem sei ein signifikanter Bedeutungszuwachs der maßgeblichen Träger der extremistischen Bestrebungen im „Flügel“, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, festzustellen. Der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus erklärte, der „Flügel“ verfüge über ein geschätztes Personenpotential von etwa 7.000 Mitgliedern. Die Verdichtung der Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zeige sich insbesondere in einer quantitativen Verfestigung der den Extremismusverdacht begründenden Positionen. Björn Höcke und Andreas Kalbitz sowie sonstige Funktionäre und Anhänger des „Flügel“ zielten mit ihrer Agitation erneut auf die Umsetzung eines völkischen Gesellschaftskonzepts, das auf biologistischen Grundannahmen beruhe, ein ethnokulturell homogenes Staatsvolk postuliere, Migranten außereuropäischer Herkunft als grundsätzlich nicht integrierbar ausgrenze und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der organisch gewachsenen europäischen Völker sehe. Die diesen Ideologemen zugrundeliegende Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, die Vorrangstellung des Kollektivs gegenüber dem Einzelnen sowie die pauschale Ausgrenzung und Herabwürdigung von Minderheiten ständen im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, ebenso wie die fortgesetzte Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten. Dabei verbänden sich fremdenfeindliche Argumentationsmuster mit islamfeindlichen Ressentiments. Insbesondere Zuwanderern mit muslimischem Hintergrund würden in pauschaler Weise Negativeigenschaften wie kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion angelastet. Migranten und vor allem Muslimen werde als Folge der Zuschreibung negativer Attribute vielfach ein minderwertiger und untergeordneter Status zugesprochen und somit die Menschenwürde des Einzelnen beeinträchtigt. Aussagen der „Flügel“-Führungspersonen Björn Höcke und Andreas Kalbitz zeigten deutlich die von ihnen ausgehende Verachtung der derzeitigen demokratischen Ordnung und der legitimierten Repräsentanten des Volkes und lieferten damit Belege für Verstöße gegen das Demokratieprinzip. Beide sähen in der gegenwärtigen Politik keinen bloßen Gegner, sondern ein in Gänze verabscheuungswürdiges System, das sie z. B. mit dem DDR-Unrechtsstaat verglichen oder gleichsetzten. Den Parlamentarismus lehnten sie ab, ohne alternative, den Meinungspluralismus wahrende demokratische Staatsformen aufzuzeigen. In der Gesamtschau führten die verunglimpfenden Aussagen des „Flügel“ gegenüber Volksvertretern, denen totalitäre Merkmale zugeschrieben werden, zu einer Verächtlichmachung des Parlamentarismus mit dem Ziel, eine ausschließlich am konstruierten einheitlichen Volkswillen orientierte politische Ordnung zu etablieren.
15Das Bundesamt stützte seine Einstufung auf ein zweites behördeninternes Gutachten („Gutachten zur Einstufung des ‚Flügel‘ als erwiesen extremistische Bestrebung“, im Folgenden: Gutachten II), in dem neuere Aktivitäten und Aussagen von Anhängern des „Flügel“ aufgeführt und das Gesamtbild einer aktualisierten Bewertung unterzogen wurden.
16Am 20. März 2020 beschloss der Bundesvorstand der Klägerin mehrheitlich, dass er „als Ergebnis des morgigen ‚Flügel‘-Treffens eine Erklärung darüber [erwartet], dass sich der informelle Zusammenschluss ‚Flügel‘ bis zum 20. April 2020 auflöst“. Am 6. April 2020 fasste der Bundesvorstand der Klägerin einen weiteren Beschluss, in dem der „Flügel“ zu konkreten Schritten zur Umsetzung dieser Forderung aufgefordert wurde, namentlich „1) zu erklären, dass alle Obleute (Landesbeauftragten) abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind; 2) die Logonutzung ‚Der Flügel‘ zu beenden und alle eingetragenen und/oder beantragten Wort- und/oder Bildmarken an eine vom Bundesvorstand beauftragte Markenrechts-Kanzlei zu übertragen; 3) die Webseite(n) des ‚Flügels‘ abzuschalten; 4) den ‚Flügel‘-Onlineshop zu schließen sowie 5) die ‚Flügel‘-Facebookseite(n) sowie – falls vorhanden, ebenso Instagram und/oder Twitter-Accounts – zu beenden und die Admin-Rechte soweit möglich an die Bundesgeschäftsstelle zu übertragen.“
17Zum 30. April 2020 wurde der „Flügel“ formal durch Löschung des bestehenden Internetauftritts und aller Profile und Accounts in den sozialen Medien aufgelöst. Zuvor hatten Björn Höcke und Andreas Kalbitz in einer auf Facebook veröffentlichten Botschaft an die „Freunde des Flügels“ geschrieben: „Grundsätzlich kann nicht aufgelöst werden, was formal nicht existiert. Um die Einheit der Partei zu wahren und das Projekt einer politischen Alternative für Deutschland nicht zu gefährden, haben Björn Höcke und Andreas Kalbitz jedoch entschieden, diesem Wunsch nachzukommen. Wir fordern alle, die sich der Interessengemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des ‚Flügels‘ einzustellen.“
18Am 15. Mai 2020 beschloss der Bundesvorstand der Klägerin, die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, zum damaligen Zeitpunkt Mitglied im Bundesvorstand und Vorsitzender des Landesverbands Brandenburg sowie der dortigen Landtagsfraktion, aufzuheben, weil er bei seiner Aufnahme seine früheren Mitgliedschaften in der rechtsextremen und heute verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ und in der Partei „Die Republikaner“ verschwiegen habe. Das Bundesschiedsgericht der Klägerin bestätigte nachfolgend den Beschluss des Bundesvorstands, der dagegen gerichtete Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieb erfolglos (vgl. KG Berlin, Urteil vom 22. Januar 2021 – 7 U 1081/20 –, juris). Andreas Kalbitz blieb als parteiloser Abgeordneter Mitglied der Fraktion der Klägerin im brandenburgischen Landtag und gehört der Fraktion bis heute an.
19Am 9. Juli 2020 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (im Folgenden: BMI) den Verfassungsschutzbericht 2019, in dem über die Einstufung des „Flügel“ und der JA als „Verdachtsfall“ berichtet wird.
20Am Vortag des Bundesparteitags verabschiedete der Bundesvorstand der Klägerin am 27. November 2020 einen „Grundsatzbeschluss zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, in dem es unter anderem heißt: „1. Die AfD bejaht die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Sie tritt aktiv für die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde ein. 2. Wenn ein Mitglied sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist das ein sehr schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Partei.“ Dieser Beschluss wurde in der Partei teilweise auch kritisch gesehen. So bezeichnete Björn Höcke, damals wie heute Vorsitzender des Landesverbands Thüringen und der dortigen Landtagsfraktion, ihn auf einer Parteiveranstaltung am 5. Dezember 2020 als „ängstliches Bekenntnis zur Grundordnung unseres Staates“ und erklärte dazu unter anderem: „Anwürfe des Establishments dürfen nicht von der Parteiführung aufgenommen und schlimmstenfalls noch gegen innerparteiliche Gegner in Stellung gebracht werden. Im Gegenteil, sie sind konsequent und energisch zurückzuweisen.“
21Am 18. Januar 2021 veröffentlichte die Klägerin auf ihrer Website eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die auch von Vertretern der JA und des (ehemaligen) „Flügel“ unterzeichnet wurde und in der es unter anderem heißt: „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
22Am 25. Februar 2021 stufte das Bundesamt auch die Klägerin als „Verdachtsfall“ ein, wogegen die Klägerin bereits am 21. Januar 2021 ebenfalls Klage erhoben hatte (13 K 326/21, VG Köln). Die Beklagte teilte mit, die Entscheidung sei auf der Grundlage einer zweijährigen weiteren Sammlung und Auswertung von offen verfügbaren Informationen seit der Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ getroffen worden, die in einem aktuellen behördeninternen Gutachten („Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“, im Folgenden: Gutachten III) dokumentiert seien.
23Am 15. Juni 2021 veröffentlichte das BMI den Verfassungsschutzbericht 2020, in dem über die Einstufung des „Flügel“ als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ und der JA als „Verdachtsfall“ berichtet wurde.
24Zur Klagebegründung hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren im Wesentlichen geltend gemacht, dass sie vor der Einstufung durch das Bundesamt hätte angehört werden müssen. Außerdem sei das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) generell nicht auf politische Parteien anwendbar, weil Art. 21 GG eine abschließende Regelung enthalte und weitergehende Einschränkungen der politischen Tätigkeit auch nicht mit Art. 11 Abs. 2 EMRK zu vereinbaren seien. Über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheide allein das Bundesverfassungsgericht im dafür vorgesehen Verfahren. Bis zum Verbot müsse eine Partei ungestört und ungehindert agieren dürfen. Bereits die Einstufung als „Verdachtsfall“ und die öffentliche Bekanntgabe dieser Einstufung stellten daher gravierende Eingriffe in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit dar.
25Der „Flügel“ sei schon kein abgrenzbarer Personenzusammenschluss. Es habe sich nie um eine satzungsmäßige Untergliederung der Klägerin gehandelt. Zudem habe sich der „Flügel“ zum 30. April 2020 aufgelöst. Auch seien Fortsetzungsaktivitäten nicht festzustellen. Außerdem seien führende und prägende ehemalige „Flügel“-Führungspersonen wie Andreas Kalbitz und Frank Pasemann aus der Partei ausgeschlossen worden. Maßgebende Vertreter des ehemaligen „Flügel“ wie Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider oder Thorsten Weiß hätten umfassende Richtigstellungen von mehrdeutigen Positionen veröffentlicht, in denen sie sich klar von vermeintlich verfassungsschutzrechtlich als problematisch auslegbaren Aussagen distanziert hätten.
26Unabhängig davon gebe es keine Erklärungen des (ehemaligen) „Flügel“, die Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung böten. Die Klägerin grenze sich mit einer Unvereinbarkeitsliste bewusst von extremistischen Organisationen ab. Weder die Klägerin noch die Vertreter des ehemaligen „Flügel“ verfolgten einen „ethnischen Volksbegriff“. Sie erkennten vorbehaltlos an, dass zum Staatsvolk nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle deutschen Staatsangehörigen zählten und es keine Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe. Es sei dagegen ein legitimes politisches Ziel, das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen, ebenso die Forderung, die traditionell geprägte Zusammensetzung des deutschen Volkes nicht durch eine Masseneinwanderung aus anderen Kulturen strukturell stark zu verändern, solange diese Ziele nicht mit verfassungsfeindlichen Mitteln angestrebt würden, insbesondere deutsche Staatsangehörige nicht wegen anderer ethnisch-kultureller Herkunft ausgegrenzt oder diskriminiert werden sollten. Die rein deskriptive Verwendung des ethnischen Volksbegriffs könne nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden. Entscheidend sei, welche politischen Forderungen an den Begriff geknüpft würden. Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit könnten auseinanderfallen. Zudem sei auch dem Volksbegriff des Grundgesetzes immer schon eine abstammungsmäßige Komponente immanent gewesen, weil die Staatsangehörigkeit seit jeher vor allem durch Abstammung erworben worden sei. Das Geburtsortsprinzip, wonach auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben könnten, sei erst mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 eingeführt worden.
27Allein der Gebrauch typischerweise von Rechtsextremisten verwendeten Vokabulars sei nicht geeignet, tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu begründen. Begriffe wie „Überfremdung“, „Umvolkung“ und „Volkstod“ ließen sich ohne Weiteres in verfassungskonformen Kontexten verwenden und hätten als solche keinen verfassungsfeindlichen Inhalt. Maßgeblich sei, ob mit der konkreten Verwendung des jeweiligen Begriffs eine verfassungsfeindliche Forderung zum Ausdruck gebracht werden solle. Den von der Gegenseite angeführten Äußerungen einzelner Parteimitglieder lasse sich auch keine systematische Herabwürdigung, Verächtlichmachung oder Diskriminierung von Ausländern, Flüchtlingen, Muslimen oder Menschen mit Migrationshintergrund entnehmen. So könne zum Beispiel nicht jede kritische Reaktion auf konkrete Straftaten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität als Ausdruck einer pauschalen Diffamierung von Migranten und Zuwanderern angesehen werden. Dass männliche Zuwanderer im Zusammenhang mit Straftaten, bei denen Messer verwendet würden, überproportional häufig zu finden seien, werde durch die Polizeilichen Kriminalstatistiken bestätigt. Muslimen werde weder ihr Recht auf ungestörte Religionsausübung abgesprochen noch würden sie pauschal verunglimpft oder ausgegrenzt. Die geäußerte Kritik richte sich ausschließlich gegen den Islamismus, radikale Islamisierungstendenzen, den „orthodoxen“ bzw. „politischen“ Islam, die Rechtsvorschriften der Scharia oder gegen einen Islam, der die deutsche Rechtsordnung nicht respektiere. Auch Vertreter anderer Parteien – insbesondere der CSU – äußerten sich kritisch zum Islam und forderten eine Begrenzung der Zuwanderung.
28Bei der Bewertung der Äußerungen von Parteimitgliedern verkenne das Bundesamt generell die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie. Gerade neuere politische Parteien versuchten häufig, durch überspitzt formulierte Meinungen Aufmerksamkeit zu erregen, um sich im politischen Diskurs zu behaupten. Äußerungen, die für sich genommen verfassungsrechtlich zulässig seien, könnten jedoch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Bestrebung dienen. Polemische Kritik einer Oppositionspartei gegenüber den übrigen Parteien oder der Bundesregierung sei nicht sogleich Kritik am parlamentarischen Regierungs- oder Demokratiesystem. Auch unberechtigte oder überzogene Kritik gehöre zur demokratischen Auseinandersetzung. Kritik an „den Parteien“, an den „etablierten Parteien“ oder an der „politischen Klasse“, möge sie auch überzogen oder nicht hinreichend differenziert sein, lasse für sich genommen nicht auf eine Ablehnung des Mehrparteiensystems schließen und dürfe somit auch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung gewertet werden.
29Eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung könne auch nicht schon bei sogenannten „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden. Vielmehr sei erforderlich, dass die Partei oder Organisation von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht werde. Dies gelte auch bei der Einstufung als „Verdachtsfall“. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Partei „Die Republikaner“ seien insoweit übertragbar. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder sei eine Zurechnung zur Gesamtpartei zudem nur dann möglich, wenn jene in einem politischen Kontext stünden und die Partei oder Organisation sie gebilligt oder geduldet habe, obwohl Gegenmaßnahmen möglich und zumutbar seien, zum Beispiel Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen, Missbilligung oder zumindest „Distanzierung“. Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssten darüber hinaus stets von einem direkten Vorsatz begleitet sein.
30Das Bundesamt habe sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen und handle aus politischen Motiven. Dies zeige sich insbesondere an der wiederholten Überschreitung rechtlicher Grenzen, angefangen bei öffentlichen Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung und des Bundesamts bis hin zur Weitergabe vertraulicher Informationen an die Presse, aber auch an der Ungleichbehandlung gegenüber der Partei „Die Linke“. Die Datensammlung des Bundesamts stelle zudem einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und unterliege daher einem Beweisverwertungsverbot. Auch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Erstellung des Folgegutachtens sei rechtswidrig. Vor dem Hintergrund der jahrelangen Praxis der Beklagten, V-Leute schon vor der Beobachtung in Parteien einzuschleusen, sei es außerdem Aufgabe der Beklagten darzulegen, welche Aussagen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden.
31Das Vorgehen des Bundesamts führe zudem zu einer unverhältnismäßigen Dauerbeobachtung. Eine Beobachtung als „Verdachtsfall“ müsse beendet werden, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt habe und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben seien. In gleicher Weise entfalle nach rund zwei Jahren auch die verfassungsschutzrechtliche Verwertbarkeit bestimmter Erkenntnisse, wenn keine vergleichbaren Fortsetzungsaktivitäten feststellbar seien.
32Die Öffentlichkeit dürfe über die Einstufung auch nicht unterrichtet werden. Eine Verdachtsberichterstattung über politische Parteien sei unzulässig, insbesondere im Vorfeld von Wahlen. Die Regelung des § 16 BVerfSchG sei insoweit verfassungskonform einschränkend auszulegen.
33Die Klägerin hat beantragt,
341. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 16. Januar 2019 bis zum 11. März 2020 rechtswidrig war,
2. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 16. Januar 2019 bis zum 11. März 2020 rechtswidrig war,
3. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, den „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
hilfsweise,
41die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, den „Flügel“ aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
424. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass der „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
43hilfsweise,
44die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass der „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
455. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 3. und/oder 4. ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro anzudrohen,
466. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ am 12. März 2020 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
477. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ am 12. März 2020 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
488. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
499. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
5010. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war.
51Die Beklagte hat beantragt,
52die Klage abzuweisen.
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Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei hinsichtlich der Einstufung zum Verdachtsfall und zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung unzulässig, da es sich dabei um eine rein behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung handele. Erst wenn an die behördeninterne Einstufung Maßnahmen im Außenverhältnis geknüpft würden, sei Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen möglich. Jedenfalls sei die diesbezügliche Einordnung und Prüfung durch das Bundesamt in der Sache nicht zu beanstanden. Ausreichend sei dabei, dass konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis existierten, die bei vernünftiger Betrachtung auf das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen hindeuteten und die deshalb eine weitere Klärung erforderlich erscheinen ließen. Eine Beobachtung setze nicht voraus, dass die Gruppierung von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde. Abstufungen hinsichtlich der Art und Intensität der Beobachtung ergäben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
55Der „Flügel“ sei ein Personenzusammenschluss im Sinn von § 3 Abs. 1 BVerfSchG und komme dementsprechend auch als Beobachtungsobjekt in Betracht. Ob die dem „Flügel“ angehörenden Mitglieder wechselten, sei demgegenüber ebenso unerheblich wie die Frage, ob deren genaue Anzahl und Identität bekannt sei. Die organisatorische Verfestigung des „Flügel“ habe sich unter anderem an den jährlichen Kyffhäusertreffen, der Bestellung von Landesobleuten und dem Betrieb einer eigenen Internetseite gezeigt. Die weitere Beobachtung des „Flügel“ sei auch nicht mit der zum Ende April 2020 erklärten formellen Selbstauflösung unmöglich oder unzulässig geworden, sondern dürfe fortgesetzt werden, bis geklärt sei, ob der „Flügel“ tatsächlich aufgelöst und seine Existenz beendet sei.
56Es lägen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte vor, die in der Gesamtschau die Bewertung rechtfertigten, dass der „Flügel“ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Das vom „Flügel“ propagierte „ethnisch-kulturelle" Volksverständnis sei in Wirklichkeit ein völkisch-abstammungsmäßiges, das dem grundgesetzlichen Volksbegriff widerspreche. Es richte sich insbesondere gegen die Grundrechte von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund sowie von Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die im selben Kontext wie der „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ gebrauchten Begriffe wie „Umvolkung“, „Volkstod“, „Genozid“, „Auflösung“ und „Verschwinden“ des deutschen Volkes, „großer Austausch“ oder „Abstieg“ von „Mischvölkern“ seien keine sachlich neutralen, deskriptiven Begriffe, sondern brächten eine entschieden ablehnende Haltung zum Ausdruck, die die Behauptung, der „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ werde rein deskriptiv verwendet, als Schutzbehauptung entlarve. Migranten würden pauschal als „Invasoren“ und Kriminelle verunglimpft. Außerdem richteten sich die Bestrebungen des „Flügel“ gegen die Grundrechte von Muslimen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die pauschale Ablehnung des Islam führe zu Forderungen nach einer mittels „Re-Migration“ von Muslimen zu bewirkenden „De-Islamisierung“ Europas sowie zu Einschränkungen der Religionsfreiheit von Muslimen in Deutschland. Ferner werde von Seiten des „Flügel“ die demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft, insbesondere deren Entstehung nach dem Zweiten Weltkrieg diskreditiert und in revisionistischer Weise eine Abkehr von der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gefordert. Die Bundesregierung und die Politiker sämtlicher konkurrierender Parteien würden durchgängig verunglimpft. Demokratisch zustande gekommene Entscheidungen würden nicht akzeptiert, sondern ein – auch gewaltsamer – Widerstand jedenfalls als letztes Mittel befürwortet, wenn es der Klägerin nicht gelingen sollte, die nach den Vorstellungen des „Flügel“ geprägten Vorstellungen auf politischem Wege durchzusetzen.
57Das Bundesamt dürfe die Öffentlichkeit auch gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG über die Einstufung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ und „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ informieren. Der Verfassungsschutz als Instrument der wehrhaften Demokratie diene als Frühwarnsystem hinsichtlich Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Information der Öffentlichkeit solle die politische Auseinandersetzung mit den betreffenden Bestrebungen ermöglichen.
58Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage im Hinblick auf die Unterlassungsanträge nebst Ordnungsgeldandrohung stattgegeben (Klageanträge zu 3. bis 5.) und sie im Übrigen abgewiesen (Klageanträge zu 1., 2. und 6. bis 10.). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei im Hinblick auf den Klageantrag zu 10. unzulässig. Die auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bezogene Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung sei bereits im Rahmen des mit dem Klageantrag zu 3. geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zu prüfen. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Anträge, die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ sowie deren Bekanntgabe zu unterlassen, seien begründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass der „Flügel“ als Personenzusammenschluss noch existiere. Es gebe zwar gewisse Anhaltspunkte dafür, dass der „Flügel“ auch nach dessen formeller Auflösung zum 30. April 2020 weiterhin als Personenzusammenschluss agiere, aber keine hinreichende Gewissheit. Vielmehr habe die Beklagte selbst mitgeteilt, dass nicht geklärt sei, ob der „Flügel“ seine Bestrebungen fortsetze. Die auf die Einstufung, Beobachtung und Bekanntgabe in der Vergangenheit bezogenen Feststellungsanträge seien dagegen unbegründet. Ermächtigungsgrundlage für die Einordnung, Prüfung und Beobachtung des „Flügel“ durch das Bundesamt sei § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG. Die Vorschrift stehe insoweit auch im Einklang mit Art. 21 Abs. 1 GG und der EMRK. Die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie rechtfertige den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien. Der „Flügel“ sei ein Personenzusammenschluss und damit ein taugliches Beobachtungsobjekt gewesen. Es komme nicht darauf an, über welche Organisationsstruktur er verfügt habe. Es hätten hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des „Flügel“ vorgelegen, die sich zum 12. März 2020 auch zur Gewissheit verdichtet gehabt hätten. Eine zentrale politische Vorstellung des „Flügel“ sei gewesen, dass das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand zu erhalten sei und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollten. Das in den Äußerungen verschiedener führender Vertreter des „Flügel“ zutage tretende Volksverständnis widerspreche dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und sei geeignet, Zugehörige anderer Ethnien auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Es trete das Ziel zutage, Migranten – insbesondere Muslime – auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handele sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses, die sich von der Linie des „Flügel“ abheben würden. Aus dem Grundtenor der Aussagen lässt sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens des „Flügel“ seien. Die Anhaltspunkte entfielen auch nicht durch ein Tätigwerden oder Einschreiten des „Flügel“ oder der Klägerin. Insbesondere entfielen die Anhaltspunkte nicht durch die von der Klägerin durchgeführten Parteiordnungsverfahren und Parteiausschlüsse von (ehemaligen) „Flügel“-Mitgliedern, da ein Ausschluss auf Betreiben des „Flügel“ oder eine Distanzierung von Seiten des „Flügel“ nicht festzustellen sei. Die Entscheidung des Bundesamts für eine entsprechende Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ begegne auch auf der Rechtsfolgenseite keinen Bedenken. Das Bundesamt habe, sofern es hierauf überhaupt ankommen sollte, ermessensfehlerfrei gehandelt. Insbesondere seien die Maßnahmen verhältnismäßig, auch die Beobachtung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“. Sie sei geeignet und erforderlich, den auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Verdacht der verfassungsfeindlichen Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wiege dabei schwerer als der Eingriff in die Rechte der Klägerin. Ermächtigungsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung als „Verdachtsfall“ und „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ sei § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Die frühzeitige Bekanntgabe diene der Aufklärung der Öffentlichkeit zur zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz ziele nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen wie ein Parteienverbot vorzubereiten, sondern solle die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
59Am 8. März 2022 hat das Verwaltungsgericht auch über die Klagen der Klägerin und der JA gegen die Einstufung und Beobachtung der Klägerin und der JA als „Verdachtsfall“ entschieden und beide Klagen abgewiesen (13 K 326/21 und 13 K 208/20, jeweils bei juris).
60Am 20. Juni 2023 stellten die Bundesministerin des Innern und für Heimat und der Präsident des Bundesamts den Verfassungsschutzbericht 2022 vor, in dem die Einstufung der Klägerin und der JA als „Verdachtsfall“ erläutert wird. Am gleichen Tag äußerte sich der Präsident des Bundesamts hierzu ebenfalls in einem Interview gegenüber dem ZDF heute journal und führte unter anderem aus, es gebe bei der Klägerin starke Strömungen, die verfassungsfeindlich agierten, und es sei wichtig, über die Partei und ihre Bestrebungen aufzuklären, um die gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, sich diesem Trend stärker entgegenzustellen. Er führte wörtlich aus: „Denn nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der [Klägerin] zu senken, dazu haben wir keinerlei Möglichkeiten. Aber wir können die Bevölkerung wachrütteln, wir können Politiker wachrütteln, und ja, der Kampf für unsere Demokratie muss in der Gesamtgesellschaft geführt werden.“ In einer von der Pressestelle des Bundesamts am 30. Juli 2023 verbreiteten Mitteilung und einem Interview in den Tagesthemen am 7. August 2023 äußerte sich der Präsident des Bundesamts erneut zur Klägerin und erklärte, deren Europawahlversammlung belege einmal mehr die Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen beständen, deren Einfluss weiter zunehme. Nach dem Austritt des früheren Bundessprechers Jörg Meuthen und anderen gemäßigteren Parteimitgliedern hätten Björn Höcke und die Personen, die man dem früheren „Flügel“ habe zurechnen können, deutlich an Einfluss gewonnen.
61Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung nimmt die Klägerin zunächst Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und wiederholt und vertieft ihre bisherige Argumentation. Insbesondere bekräftigt sie, dass es nicht mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren sei, verfassungsrechtlich zulässige Äußerungen als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen heranzuziehen, und macht geltend, dass die vom Verwaltungsgericht angeführte diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht haltbar sei. Unabhängig davon sei die Verwendung eines „ethnischen Volksbegriffs“ kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Anerkennung einer ethnisch-kulturellen Identität stelle die staatsbürgerlichen Rechte von Deutschen mit Migrationshintergrund in keiner Weise in Frage. Das Grundgesetz selbst unterscheide zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der deutschen Volkszugehörigkeit. Migrations- oder islamkritische Äußerungen seien ebenfalls keine Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen. Die Klägerin macht darüber hinaus ergänzend unter anderem geltend, das Verwaltungsgericht habe lediglich Einzelaussagen aneinandergereiht, aber nicht begründet, warum diese nicht als „Entgleisungen“ Einzelner anzusehen seien, und habe insgesamt entlastende Aspekte nicht hinreichend berücksichtigt. Neu zu beachten seien nunmehr auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) sowie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 2022 zu §§ 20, 21 BVerfSchG. Denn danach hätte das Verwaltungsgericht die Anträge zur „Beobachtung“ zumindest in Teilen, vor allem im Hinblick auf den Einsatz von V-Leuten und hinsichtlich der Datenübermittlung an andere Behörden, nicht abweisen dürfen, da die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des BVerfSchG unter den identischen verfassungsrechtlichen Mängeln des BayVSG litten und daher verfassungswidrig seien. Im gerichtlichen Verfahren sei nicht nur aufzuklären, welche Äußerungen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden, sondern auch ob und in welchem Umfang Vertrauenspersonen und andere menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerin eingesetzt worden seien und ob und in welchem Umfang staatliche Stellen die Prozessstrategie der Klägerin ausgespäht hätten. Für den auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bezogenen Feststellungsantrag bestehe wegen der breiten medialen Rezeption des erstinstanzlichen Urteils ein eigenständiges Feststellungsinteresse. Die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ und „erwiesen extremistische Bestrebung“ sei im Übrigen schon deshalb rechtswidrig, weil die Kategorienbildung des Bundesamts („Prüffall“, „Verdachtsfall“ und „erwiesen extremistische Bestrebung“) im BVerfSchG nicht vorgesehen sei. Für die Beobachtung als „Prüffall“ gebe es keine Rechtsgrundlage; dies führe zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der in diesem Zeitraum gesammelten Erkenntnisse. Die politische Motivation des Bundesamts werde nunmehr auch durch die Aussagen des Präsidenten des Bundesamts im Sommer 2023 belegt, insbesondere durch die Erklärung im ZDF heute journal vom 20. Juni 2023, wonach es Aufgabe des Verfassungsschutzes sei, die Umfragewerte der Partei zu senken. Sein Amtsvorgänger habe öffentlich erklärt, dass es politischen Druck gegeben habe, die Klägerin unbedingt zu beobachten. Die Bundesministerin des Innern und für Heimat habe sich zum Ziel gesetzt, die Klägerin zu bekämpfen. Dies zeige sich nicht zuletzt an den Presseberichten über eine Leitungsklausur im BMI im Januar 2024, in der an einem „BMI-Wunschbaum“ auch die Forderung nach einer „Strategie zur Bekämpfung der AfD“ angebracht und von der Ministerin nicht moniert worden sei.
62Die Klägerin beantragt,
63das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln abzuändern und
641. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 16. Januar 2019 bis zum 11. März 2020 rechtswidrig war,
2. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 16. Januar 2019 bis zum 11. März 2020 rechtswidrig war,
3. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ am 12. März 2020 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
694. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ am 12. März 2020 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
705. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
716. festzustellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ am 15. Januar 2019 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
727. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Köln am 8. März 2022 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
738. hilfsweise, soweit der Senat in der Sache eine weitere Verhandlung für erforderlich hält, weil das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 (13 K 207/20) aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Köln zurückzuverweisen.
74Die Beklagte beantragt,
75die Berufung zurückzuweisen.
76Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor: Es könne dahinstehen, ob und inwieweit die Maßgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum BayVSG auf die teilweise anders formulierten und konzipierten Vorschriften des BVerfSchG übertragbar seien. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung der Klägerin als Verdachtsfall einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung hänge vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 3, 4 BVerfSchG ab, nicht davon, ob und gegebenenfalls welche nachrichtendienstlichen Mittel im Rahmen dieser Beobachtung eingesetzt werden könnten. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht festgestellt, dass der „Flügel“ jedenfalls bis zu seiner formalen Auflösung von einer die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnenden Grundtendenz beherrscht gewesen sei, da gegenläufige Äußerungen, Zurechtweisungen oder Distanzierungen innerhalb des „Flügel“ nicht hätten verzeichnet werden können. Bloß formale Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien nicht ausreichend, um eine glaubwürdige Abkehr von verfassungsfeindlichen Positionen feststellen zu können. Das Bundesamt habe die Beobachtung des „Flügel“ zum Ende Dezember 2023 eingestellt. Die ehemals im Personenzusammenschluss „Flügel“ organisierten Mitglieder der Gesamtpartei verfolgten ihre Bestrebungen nunmehr unmittelbar in der Gesamtpartei. Diese würden im Rahmen der Verdachtsfallbearbeitung der Gesamtpartei miterfasst. Der „Flügel“ werde nicht mehr als eigenständiges Beobachtungsobjekt bearbeitet. Das Bundesverfassungsgericht habe keine Bedenken gegenüber einem Einsatz von Vertrauenspersonen vor Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens geäußert und auch für das Parteiverbotsverfahren nur festgestellt, dass ein Verbotsantrag nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden dürfe, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst worden sei. Es würden keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt, um Informationen über die Prozessstrategie der Klägerin zu erhalten. Sofern zufällig Erkenntnisse anfielen, die die Prozesstaktik der Gegenseite beträfen, würden diese nicht zur Akte genommen und entsprechend nicht berücksichtigt. Der Vorwurf, das Bundesamt lasse sich bei der Entscheidung über die Beobachtung der Klägerin oder des „Flügel“ von parteipolitischen Erwägungen leiten oder sei einem entsprechenden Druck des BMI ausgesetzt, sei geradezu abwegig. Die Einstufungen der Klägerin und des „Flügel“ beruhten auf einer umfangreichen Sammlung von Materialien, die in den verschiedenen Gutachten und Schriftsätzen sachlich und unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe bewertet worden seien.
77Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Gleiches gilt für die von den Beteiligten eingeführten Inhalte der Verfahren 5 A 1217/22, 5 A 1218/22, 5 B 757/23 und des vor dem Verwaltungsgericht Köln geführten Eilverfahrens 13 L 105 /21 (zur Einstufung und Beobachtung der Klägerin als Verdachtsfall).
78Entscheidungsgründe
79Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ihre Klage ist im Hinblick auf den Antrag zu 7. unzulässig und im Hinblick auf die übrigen im Berufungsverfahren noch anhängigen Klageanträge zulässig, aber unbegründet.
80A. Die Klage ist überwiegend zulässig.
81I. Für die mit den im Berufungsverfahren noch anhängigen Klageanträgen formulierten Feststellungsbegehren ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart.
82Der Senat versteht – wie bereits das Verwaltungsgericht – die von der Klägerin formulierten Rechtsschutzbegehren, festzustellen, dass die vom Bundesamt vorgenommene Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung des „Flügel“ als „Verdachtsfall“ und „gesichert (rechts)extremistische Bestrebung“ in bestimmten Zeitpunkten oder Zeitabschnitten rechtswidrig war, als einheitliche Feststellungsbegehren, die darauf gerichtet sind, jede Tätigkeit des Bundesamts für rechtswidrig zu erklären, die an die Einstufung als Verdachtsfall oder erwiesen extremistische Bestrebung anknüpft. Die Beobachtung schließt das Sammeln und Auswerten von Informationen ein, womit die Klägerin zugleich als Beobachtungsobjekt geführt, behandelt und geprüft wird, und setzt die vorherige Einstufung als Beobachtungsobjekt voraus.
83Vgl. zum Begriff der Beobachtung BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 14.
84Die Klägerin wendet sich dabei nicht gegen die Beobachtung als solche, sondern konkret gegen die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und als erwiesen extremistische Bestrebung und hat dazu in der Klagebegründung vom 13. Januar 2020 ausgeführt, dass sie selbst zum damaligen Zeitpunkt nur als „Prüffall“ eingestuft und Gegenstand dieses Verfahrens die weitergehende Einordnung, Prüfung und Bearbeitung (nebst entsprechender Äußerungen) des „Flügel“ als Verdachtsfall sei, an die die Beklagte nachrichtendienstliche Maßnahmen anknüpfe. Die Klägerin hat dieses Begehren auch in ihren weiteren Schriftsätzen bestätigt und deutlich gemacht, dass sie bereits die Voraussetzungen für eine Einstufung als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung nicht erfüllt sieht und deshalb in ihren Augen jede daran anknüpfende Maßnahme des Bundesamts rechtswidrig war. Das Bundesamt verwendet im Gutachten II die Bezeichnungen „erwiesen extremistisch“ und „gesichert extremistisch“ ohne Bedeutungsunterschied, jeweils um auszudrücken, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen erwiesen sind, weil gesicherte Erkenntnisse zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen vorliegen. Nachfolgend wird abweichend von den Klageanträgen die Bezeichnung „erwiesen“ extremistisch verwendet, da ausschließlich diese Formulierung auch vom Bundesamt bei der streitgegenständlichen öffentlichen Bekanntgabe der „Hochstufung“ des „Flügel“ am 12. März 2020 und vom BMI im Verfassungsschutzbericht 2020 verwendet wurde und dies auch der bislang in der Rechtsprechung geläufigen Terminologie entspricht.
85Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 89; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 18.
86Die von der Klägerin formulierten Feststellungsanträge beziehen sich damit auch auf hinreichend bestimmte feststellungsfähige Rechtsverhältnisse im Sinn von § 43 VwGO, nämlich auf die aus § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG abgeleitete Befugnis des Bundesamts, den „Flügel“ wegen tatsächlicher Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen zu beobachten. Damit ist nicht lediglich eine Vorfrage angesprochen, die gegebenenfalls bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit konkreter Beobachtungsmaßnahmen zu berücksichtigen ist. Die generelle Berechtigung des Bundesamts zum Sammeln und Auswerten von Informationen stellt ein eigenständiges übergreifendes Rechtsverhältnis dar. Innerhalb dieser Rechtsbeziehung zwischen Klägerin und Beklagter können weitere nachgeordnete Rechtsverhältnisse im Streit stehen, die sich zum Beispiel auf die Beobachtung bestimmter Personen oder den Einsatz bestimmter Beobachtungsmittel beziehen. Dies hindert die Klägerin aber nicht, die generelle Befugnis des Bundesamts zur Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall oder erwiesen extremistische Bestrebung überprüfen zu lassen. Angesichts der Vielzahl möglicher Einzelhandlungen bei der Sammlung und Auswertung von Informationen ist eine weitere Konkretisierung der Klageanträge nicht erforderlich.
87Soweit die Klägerin erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragen hat, dass ihrer Klage zumindest teilweise, in Bezug auf den Einsatz bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel stattzugeben sei, weil einzelne Regelungen im BVerfSchG verfassungswidrig seien, betrifft dies einen anderen Streitgegenstand, der im bisherigen Klagegrund nicht enthalten war. Dessen Einbeziehung im Weg der Klageänderung hat die Beklagte widersprochen; sie ist auch nicht als sachdienlich im Sinn von § 91 VwGO anzusehen. Der Einsatz einzelner nachrichtendienstlicher Mittel ist in den §§ 8 ff. BVerfSchG näher geregelt. Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren weder ausdrücklich noch sinngemäß mit dem Vorliegen der besonderen Voraussetzungen für den Einsatz dieser Mittel befasst, sondern ausschließlich die Einstufung und Beobachtung als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung angegriffen. Damit hat sie den für den Streitgegenstand maßgeblichen Lebenssachverhalt festgelegt, aus dem sie die mit dem Klageantrag begehrte Rechtsfolge ableitet. Wenn sie ihre Klageanträge nunmehr (zum Teil) darauf stützen möchte, dass eine bestimmte Art und Weise der Beobachtung rechtswidrig ist, obliegt es ihr zum einen, näher zu bezeichnen, welche konkreten Maßnahmen sie als rechtswidrig festgestellt haben möchte, und stellt dies zum anderen eine wesentliche Erweiterung des Klagegrunds dar, die den Abschluss des anhängigen Berufungsverfahrens und die weitere Klärung der bereits erstinstanzlich erörterten und entschiedenen Streitfragen wesentlich verzögern würde. Gegenstand ihrer Unterlassungs- und Feststellungsbegehren war in erster Instanz zu keinem Zeitpunkt eine bestimmte Form der Beobachtung, sondern generell jede Beobachtung und Behandlung als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung, unabhängig von den vom Bundesamt konkret eingesetzten Mitteln. Nur darüber hat das Verwaltungsgericht entschieden, mit der Klageabweisung hat es nicht zugleich festgestellt, dass jede einzelne Beobachtungsmaßnahme des Bundesamts rechtmäßig gewesen ist.
88Die Klägerin hat ihre Anträge dahingehend konkretisiert, dass sie sich gegen eine Einstufung und Beobachtung als Verdachtsfall und als erwiesen extremistische Bestrebung wendet und generell den Einsatz nachrichtendienstlicher Maßnahmen für rechtswidrig hält. Damit bezieht sie sich auf die vom Bundesamt bekannt gegebenen Einordnungen, die an das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG anknüpfen. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ist die zentrale befugnisrechtliche Kategorie des BVerfSchG, die das Bundesamt zur nachrichtendienstlichen Sammlung und Auswertung von Informationen nach Maßgabe der §§ 8 ff. BVerfSchG berechtigt.
89Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 18, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29.
90Diese Befugnis nimmt das Bundesamt für sich in Anspruch, wenn es den „Flügel“ als Verdachtsfall und als erwiesen extremistische Bestrebung einstuft und beobachtet. Die Einstufung als erwiesen extremistische Bestrebung eröffnet dem Bundesamt dabei nach dem BVerfSchG keine weitergehenden Befugnisse als die Einstufung als Verdachtsfall. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren ausdrücklich gerügte Kategorienbildung des Bundesamts ist im Gesetz in der Tat nicht vorgesehen. Bei der „Hochstufung“ vom Verdachtsfall zur erwiesen extremistischen Bestrebung handelt sich im Hinblick auf die Beobachtung um eine interne Einordnung ohne Außenwirkung, die den Streitgegenstand eines auf die grundsätzliche Befugnis zur Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln bezogenen Unterlassungs- oder Feststellungsbegehrens nicht verändert. Die Kategorie der erwiesenen Verfassungsfeindlichkeit war nach der bis zum 20. November 2015 geltenden Rechtslage relevant für die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht nach § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, weist aber im Übrigen für das Gesetz kein systemprägendes Gewicht auf.
91Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 18.
92Eine unmittelbare Außenwirkung hat dagegen die Bekanntgabe der „Hochstufung“ zur erwiesen extremistischen Bestrebung. Die entsprechende Befugnis des Bundesamts stellt gegenüber der Berechtigung zur Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall ein eigenständiges feststellungsfähiges Rechtsverhältnis mit verändertem Streitgegenstand dar, weil das Bundesamt damit die Öffentlichkeit nicht nur über die Beobachtung als solche unterrichtet, sondern für sich in Anspruch nimmt, den „Flügel“ öffentlich als erwiesen extremistische Bestrebung bewerten zu dürfen. Auch wenn es sich dabei nur um ein Werturteil der zuständigen Behörde handelt, das sie in Zusammenhang mit ihrer Aufgabe, Informationen über verfassungsfeindliche Gruppen und Aktivitäten zu sammeln und auszuwerten, abgibt,
93vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 23 (zur Einstufung einer Partei als „rechtsextremistisch“ im Verfassungsschutzbericht),
94liegt in der öffentlichen Bezeichnung von Teilen einer Partei als „rechtsextremistisch“ ein eigenständiger, verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Parteienfreiheit.
95Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 50 ff. (zu einem Eingriff in die Pressefreiheit).
96Die im Hilfsantrag zu 8. formulierten Bedingungen, mit denen die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgreift, liegen nicht vor, so dass über den Antrag nicht zu entscheiden ist. Der Hilfsantrag zu 8. ist ein zulässiger prozessualer Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO, den die Klägerin unter der innerprozessualen Bedingung gestellt hat, dass nach der rechtlichen Bewertung des Senats die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen. Über diesen Antrag ist nicht zu entscheiden, da – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig, sondern der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen.
97II. Die Feststellungsanträge sind – abgesehen von dem Antrag zu 7. – auch im Übrigen zulässig.
98Die Klägerin hat ein im Sinn von § 43 Abs. 1 VwGO berechtigtes Interesse an der auf bestimmte Zeitpunkte oder Zeiträume in der Vergangenheit bezogenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung, Beobachtung und Bekanntgabe des „Flügel“ als Verdachtsfall oder erwiesen extremistische Bestrebung. Die damit verbundenen Auswirkungen auf ihre durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Betätigung als politische Partei begründen ein beachtliches Rehabilitationsinteresse. Für das Bundesamt setzte sich der „Flügel“ aus Mitgliedern der Klägerin zusammen und war gerade darauf ausgerichtet, auf die interne Willensbildung und politische Betätigung der Klägerin Einfluss zu nehmen. Der „Flügel“ war dabei als eigenständiges Beobachtungsobjekt eingestuft, zu dessen Beobachtung sich das Bundesamt unabhängig von der Einstufung der Gesamtpartei berechtigt sah.
99Der auf die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. März 2022 bezogene Klageantrag zu 7. ist hingegen wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Die Klägerin konnte ihre Rechte ebenso effektiv mit dem erstinstanzlich als Klageantrag zu 2. gestellten Unterlassungsantrag verfolgen. Bereits im Rahmen des von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruchs hat das Verwaltungsgericht geprüft, ob die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig war. An der zusätzlichen prozessualen Feststellung der Rechtswidrigkeit hat die Klägerin daneben kein schützenswertes Interesse. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht bereits rechtskräftig festgestellt, dass das Bundesamt zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr berechtigt war, den „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung einzustufen. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung darauf verweist, dass für den auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bezogenen Feststellungsantrag wegen der breiten medialen Rezeption des erstinstanzlichen Urteils ein eigenständiges Feststellungsinteresse bestehe, begründet dies kein berechtigtes Interesse, den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch einmal in einem Feststellungsurteil bestätigen zu lassen.
100B. Soweit die Klageanträge zulässig sind, ist die Klage unbegründet.
101I. Die Beobachtung des „Flügel“ durch das Bundesamt war rechtmäßig (Anträge zu 1., 3. und 5.). Das Bundesamt durfte den „Flügel“ am 15. Januar 2019 und im Zeitraum vom 16. Januar 2019 bis zum 11. März 2020 als Verdachtsfall sowie am 12. März 2020 als erwiesen extremistische Bestrebung beobachten und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.
1021. Rechtsgrundlage für die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ durch das Bundesamt ist § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG.
103Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten. Das BVerfSchG knüpft hier an die Begriffsdefinition in § 46 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz an, wonach die Verarbeitung auch das Erheben, Speichern und Nutzen der Daten umfasst.
104Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) vom 24. Februar 2017, BT-Drs. 18/11325, S. 121.
105Zu den Aufgaben des Bundesamts gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG unter anderem die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung der Informationen ist nach § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für solche Bestrebungen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. In § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannt werden das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchst. a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Buchst. b), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchst. c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Buchst. d), die Unabhängigkeit der Gerichte (Buchst. e), der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchst. f) und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchst. g).
106Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dabei darf nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Individualrechte nur nach Maßgabe besonderer Befugnisse eingegriffen werden. So ist in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BVerfSchG unter der Überschrift „Besondere Formen der Datenerhebung“ geregelt, dass das Bundesamt Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG erheben darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können, und die Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Die Anwendung einzelner Mittel unterliegt weiteren besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, so nach §§ 9a und 9b BVerfSchG für den Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten.
107Sind zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG verschiedene Maßnahmen geeignet, hat das Bundesamt nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Nach § 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG darf eine Maßnahme keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.
108§ 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG ist danach die Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung und als solche zugleich Voraussetzung für die einzelfallbezogene Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel im Sinn des § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, insbesondere nach der diesbezüglichen Generalklausel des § 9 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 245 ff., 345 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 8 BVerfSchG Rn. 3 ff.
110Die in Rede stehenden Vorschriften ermächtigen das Bundesamt zu Maßnahmen der Informationsbeschaffung und zwar entsprechend der Aufgabe des Amtes, politische Vorfeldaufklärung ohne operative Verantwortung in Bezug auf konkrete Gefährdungslagen zu betreiben, geknüpft an die niedrige Eingriffsschwelle eines bloßen Verdachts.
111Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25.
112Die genannten Vorschriften des BVerfSchG ermächtigen auch zur Beobachtung politischer Parteien. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
113Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 153, 220, 239, vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 418, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 u. a. –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 77 f. (Senatsminderheit).
114Dies gilt auch bei einem bloßen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, also wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.
115Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 31, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 27.
116Die durch Art. 21 GG geschützte besondere Stellung politischer Parteien steht dem nicht entgegen.
117Art. 21 GG stattet die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem so genannten Parteienprivileg) aus. Diese findet ihren Ausdruck vor allem darin, dass die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können. Das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch so feindlich verhalten. Die Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, auch wenn sie verfassungsfeindliche Ziele propagiert, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz.
118Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 224, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 68 f. (Senatsminderheit) m. w. N.
119Die nachrichtendienstliche Beobachtung kann aber zum einen notwendig sein, um ein Parteiverbots- oder ein Finanzierungsausschlussverfahren nach Art. 21 Abs. 4 GG vorzubereiten. Da verfassungswidrige Parteien häufig aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiern und sich konspirativ verhalten, müssen die Verfassungsschutzämter in der Lage sein, ihre Informationen ebenfalls unter Geheimhaltung und Tarnung zu gewinnen, um der geheimen Arbeitsweise der Verfassungsgegner auf die Spur zu kommen. Daher ist es grundsätzlich erforderlich, zur Informationsgewinnung auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen.
120BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 147 (Senatsmehrheit) m. w. N.
121Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen aber nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Um die Überschreitung der Linie feststellen zu können, von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mitteln, sondern nur noch mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muss dieses Vorfeld notwendig beobachtet werden.
122Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
123In gleicher Weise hat auch das Bundesverfassungsgericht die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz schon früher als vereinbar mit der durch Art. 21 GG geschützten Parteienfreiheit angesehen und dazu ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn eine Partei im Verfassungsschutzbericht genannt wird, aber die Bundesregierung es vorzieht, das Parteiverbotsverfahren nicht einzuleiten, weil die politische Auseinandersetzung mit ihr ausreicht oder wirkungsvoller die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen vermag als ein förmliches Parteiverbot.
124Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Oktober 1975 – 2 BvE 1/75 –, BVerfGE 40, 287, juris, Rn. 16, 20, und vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, BVerfGE 39, 334, juris, Rn. 62.
125Wie das Bundesverwaltungsgericht weiter dargelegt hat, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener. Dies gilt auch für politische Parteien.
126BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25.
127Das Bundesverfassungsgericht hat das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, weil die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nicht gewahrt war, hat aber die vom Bundesverwaltungsgericht zugrunde gelegten allgemeinen Maßstäbe zu den Voraussetzungen einer Beobachtung von politischen Parteien und Abgeordneten durch den Verfassungsschutz nicht in Frage gestellt.
128Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.
129Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darf dabei nicht als zu enge Vorgabe verstanden werden, sondern erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG sowie zum Finanzierungsausschluss nach Art. 21 Abs. 3 GG aufgestellt hat, lassen sich insoweit vollumfänglich auf die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz übertragen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, hat die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot oder ein Finanzierungsausschluss ausgelöst werden kann. Wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die politische Betätigung die Grenzen zulässiger politischer Willensbildung überschreitet, besteht dementsprechend auch kein Anlass für eine nachrichtendienstliche Beobachtung. Die katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute in § 4 Abs. 2 BVerfSchG steht dazu nicht in Widerspruch, sondern knüpft an die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, die nicht die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern die sich daraus ergebenden Ableitungen in den Vordergrund gestellt hatte.
130Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 248, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 529 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 49; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. April 1989, BT-Drs. 11/4306, S. 60; Unterrichtung durch den Bundesrat vom 26. Juni 1990, BT-Drs. 11/7504, S. 8.
131Die Anwendbarkeit des BVerfSchG auf politische Parteien steht auch im Einklang mit den Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insgesamt sehr strenge Anforderungen an ein Parteiverbot stelle, betrifft dies zum einen nicht die hier streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts und hat das Bundesverfassungsgericht zum anderen bereits ausführlich dargelegt, dass die grundgesetzlichen Maßstäbe für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vereinbar sind.
132Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 607 ff.; zum Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 302 ff., 311 ff.
133Den für sonstige Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit geltenden Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden.
134Vgl. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
135Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen die Ausnahmen in Art. 11 Abs. 2 EMRK bei politischen Parteien eng ausgelegt werden. Nur überzeugende und zwingende Gründe können eine Einschränkung ihrer Vereinigungsfreiheit rechtfertigen. Bei der Beurteilung, ob eine Einschränkung im Sinn von Art. 11 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, haben die Konventionsstaaten nur einen reduzierten Ermessensspielraum.
136Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 77, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u.a. – (Refah Partisi u.a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 100.
137Dabei kann ein Staat politische Parteien verpflichten, die von der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten zu achten und zu schützen, sowie auch dazu, kein politisches Programm zu vertreten, das den Grundprinzipien der Demokratie widerspricht. Eine politische Partei, deren Führung zu Gewalt aufruft oder eine Politik verfolgt, die nicht die Demokratie achtet oder deren Abschaffung sowie die Missachtung der in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat, kann sich nicht auf den Schutz der Konvention gegenüber Sanktionen berufen, die eben deswegen verhängt werden. Jeder Vertragsstaat kann sich entsprechend seinen historischen Erfahrungen im Einklang mit der Konvention gegen derartige politische Bewegungen wenden.
138Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 79, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u.a. – (Refah Partisi u.a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 98, 124.
139Diesen Vorgaben entsprechen die dargelegten innerstaatlichen Maßstäbe für die nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der Gerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass die politische Erfahrung der Konventionsstaaten gezeigt hat, dass in der Vergangenheit politische Parteien mit Zielen, die Grundprinzipien der Demokratie widersprechen, das nicht zu erkennen gegeben haben, bevor sie an der Macht waren. Es lasse sich daher nicht ausschließen, dass das Programm einer Partei andere Ziele und Absichten verberge als die, welche sie öffentlich verkündet. Um das zu prüfen, müsse der Inhalt des Programms mit dem Verhalten und den Stellungnahmen der Mitglieder und Verantwortlichen der Partei verglichen werden.
140Vgl. EGMR, Urteil vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 96.
141Diese Erwägungen rechtfertigen auch eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte der Partei und ihrer Mitglieder ist nicht zu vergleichen mit den konkreten Umständen in dem von der Klägerin angeführten Fall der Entlassung einer Lehrerin aus dem Beamtenverhältnis, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als unverhältnismäßig angesehen hat.
142Vgl. EGMR, Urteil vom 26. September 1995 – 17851/91 – (Vogt/Deutschland), NJW 1996, 375.
143Im Übrigen hat die nachrichtendienstliche Beobachtung auch nach innerstaatlichen Maßstäben zu unterbleiben, wenn sie im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
144Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
145Die Frage, ob sich die streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts an den Regelungen der europäischen Grundrechtecharta (GrCh), namentlich Art. 12 Abs. 1 GrCH, messen lassen müssen,
146vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 632,
147bedarf an dieser Stelle keiner Vertiefung. Jedenfalls entspricht der Prüfungsmaßstab von Art. 12 Abs. 1 GrCh demjenigen von Art. 11 EMRK.
148Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/22; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 1; Rixen/Scharl, in: Stern/Sachs, Europäische Grundrechte-Charta, 2016, Art. 12 Rn. 1 f.
1492. Die Beobachtung durch das Bundesamt war formell rechtmäßig. Eine vorherige Anhörung der Klägerin war nicht erforderlich, weder vor der Beobachtung noch vor deren öffentlicher Bekanntgabe. Sie ist weder gesetzlich vorgesehen noch war sie von Verfassungs wegen geboten.
150In Bezug auf die Beobachtung und Informationssammlung durch das Bundesamt ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass auf eine vorherige Anhörung der Betroffenen verzichtet wird. Den Nachrichtendiensten kommt die Aufgabe zu, Aufklärung bereits im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben, ohne dass sie über eigene operative Anschlussbefugnisse verfügen. Sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und sie gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen. Der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung gilt für sie nicht, und sie sind von Transparenz- und Berichtspflichten gegenüber den Betroffenen weithin freigestellt. Im Gegenzug und zum Ausgleich zu der Weite dieser Datenerhebungsbefugnisse ist die Zielrichtung der Aufklärung begrenzt und unterliegt die Datenverwendung strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
151Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2022 – 1 BvR 2354/13 –, BVerfGE 163, 43, juris, Rn. 117 ff., sowie Urteile vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 156 ff., 236 ff., und vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 –, BVerfGE 133, 277, juris, Rn. 116 ff.
152Dem Informationsbedürfnis der Betroffenen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes wird durch den Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG Rechnung getragen. Soweit die Grundrechte die Möglichkeit des Einzelnen schützen, von einer ihn betreffenden informationsbezogenen Maßnahme des Staates Kenntnis zu erlangen, gibt das Grundgesetz nicht vor, wie dies im Einzelnen gesetzlich auszugestalten ist. Denkbar ist auch eine die Datenerhebung begleitende Information oder eine nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen, wie sie hier der Sache nach mit der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt erfolgt ist.
153Vgl. BVerfG, Urteile vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09 –, BVerfGE 141, 220, juris, Rn. 136, und vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 –, BVerfGE 125, 260, juris, Rn. 240 ff., sowie Beschluss vom 10. März 2008 – 1 BvR 2388/03 –, BVerfGE 120, 351, juris, Rn. 67 ff.
154Auch im Hinblick auf die Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt gebieten Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG keine vorherige Anhörung der Klägerin. Soweit die Klägerin eine Anhörungspflicht daraus ableitet, dass lediglich über einen Verdacht berichtet wird, hat das Bundesverfassungsgericht – in anderem Zusammenhang – bereits entschieden, dass der Träger der Staatsgewalt unter besonderen Voraussetzungen auch zur Verbreitung von Informationen berechtigt sein kann, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, und ausgeführt, dass in solchen Fällen die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon abhängt, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist.
155Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 –, BVerfGE 105, 252, juris, Rn. 60.
156Eine Anhörung des Betroffenen kann danach nach den Umständen des Einzelfalls zur sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung geboten sein, ist aber keine eigenständige Voraussetzung staatlichen Informationshandelns. Ein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Weise, dass die Regierung verpflichtet wäre, Informationen vor ihrer Veröffentlichung den Personen oder Gruppen, die in der Information erwähnt werden, zur vorherigen Stellungnahme zuzuleiten, findet keine rechtliche Grundlage und besteht deshalb grundsätzlich nicht.
157Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. Januar 2003 – 11 TG 1982/02 –, NVwZ 2003, 1000, juris, Rn. 8; siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 2004 – 7 B 19.04 –, KirchE 46, 237, juris, Rn. 24, und vom 13. März 1991 – 7 B 99.90 –, NJW 1991, 1770, juris, Rn. 8.
158Eine Anhörung war im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Der Klägerin waren die drohende Einstufung, Beobachtung und öffentliche Bezeichnung des „Flügel“ als Verdachtsfall und die Gründe dafür bereits vor dem 15. Januar 2019 bekannt, wie sich schon daran zeigt, dass die Klägerin bereits im Jahr 2018 ein Rechtsgutachten hat erstellen lassen, das sich mit der Rechtmäßigkeit einer möglichen Beobachtung durch das Bundesamt auseinandersetzt und Handlungsempfehlungen enthält, um eine Beobachtung zu vermeiden („Rechtliche Voraussetzungen für die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz – Kurzgutachten und Handlungsempfehlungen für die AfD“ von Professor Dr. Dietrich Murswiek, abrufbar: https://www.afd.de/wp-content/uploads/2019/01/2018-10-22_vs-kurzgutachten_prof-murswiek_voraussetzungen-allgemein.pdf, zuletzt abgerufen am 17. Juni 2024). Schon am 13. September 2018 hatte der Bundesvorstand der Klägerin beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit dem Thema einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz befasst. Die drohende „Hochstufung“ des „Flügel“ war der Klägerin spätestens seit der Bekanntgabe der Einstufung als Verdachtsfall am 15. Januar 2019 bekannt. In der an diesem Tag veröffentlichten Fachinformation hatte das Bundesamt sogar darauf hingewiesen, dass der „Flügel“ zur erwiesen extremistischen Bestrebung erhoben werde, sofern sich die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zur Gewissheit verdichten sollten.
1593. Die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung war auch materiell rechtmäßig.
160a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung des „Flügel“ nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG waren gegeben.
161Bei dem „Flügel“ handelte es sich um einen Personenzusammenschluss im Sinn des § 4 Abs. 1 BVerfSchG. Ein solcher ist in Abgrenzung zur Einzelperson jede Personenmehrheit unabhängig von ihrer Rechtsform oder Organisationsstruktur, die einen gemeinsamen Zweck verfolgt.
162Vgl. Warg, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, V § 1 Rn. 27; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 7.
163Im „Flügel“ hatten sich Mitglieder der Klägerin zusammengeschlossen, die als gemeinsamen Zweck verfolgten, auf die politische Ausrichtung und Arbeit der Klägerin Einfluss zu nehmen. Auf der Internetseite „derfluegel.de“ hatte sich der Flügel im März 2015 selbst als „Sammlungsbewegung innerhalb der [Klägerin]“ und im Juni 2016 als „zentral organisierter, loser Verbund von Mitgliedern der [Klägerin] im gesamten Bundesgebiet“ bezeichnet, in dem es keine „Mitgliedschaft im eigentlichen Sinne“ gebe. In der „Erfurter Resolution“ vom 14. März 2015 wurden erste gemeinsame Zielvorstellungen formuliert. Auf die gemeinsamen Ziele weist auch die im Juni 2016 auf der Internetseite „derfluegel.de“ veröffentlichte Erklärung hin, „wer sich zu den Zielen des Flügels bekennt bzw. bekennen möchte und zugleich im Verteiler regelmäßiger Rundschreiben des Flügels aufgenommen werden möchte, kann dies im Wege der Unterzeichnung der Erfurter Resolution auf unserer Netzseite tun.“ Besonders deutlich zeigten sich die gemeinsam verfolgten Ziele auf den von 2015 bis 2019 jährlich veranstalteten „Kyffhäusertreffen“. Am 5. September 2017 wurde auf der Internetseite „derfluegel.de“ ein „Kyffhäuser-Manifest 2017“ veröffentlicht und dazu erklärt, dass sich der „Flügel“ „zwei Jahre nach der Erfurter Resolution […] als ideelles Bündnis etabliert“ habe und „seine Aufgabe […] darin [bestehe], grundsätzliche Überzeugungen, die jedem [Mitglied der Klägerin] gut zu Gesicht [stünden], in politisches Handeln zu übersetzen“. Auf Facebook wurden im Juni 2018 im Vorfeld eines Bundesparteitags der Klägerin „im Flügel-Team vorab konsensualisiert[e]“ Abstimmungsempfehlungen veröffentlicht.
164Auch wenn der „Flügel“ mangels formeller Mitgliedschaft über keinen klar abgrenzbaren Mitgliederbestand verfügte, besaß er eine verfestigte Organisationsstruktur, die sich nicht nur an dem Betrieb der Internetseite „derfluegel.de“ und der Veranstaltung der „Kyffhäusertreffen“ zeigte. Auf der Internetseite „derfluegel.de“ wurde im Juni 2016 darauf hingewiesen, dass die „organisatorische Arbeit“ beim Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen (Nordthüringen) konzentriert sei, dessen Vorsitzender Björn Höcke war, im Jahr 2019 wurde dort über die Berufung von Landesobleuten berichtet, Christina Baum bezeichnete sich selbst als „Flügel-Vertreterin für Baden-Württemberg“ und sprach von einer gemeinsamen Veranstaltung des „bayerischen und baden-württembergischen Flügelverbands“.
165Eine maßgebliche Führungsperson des „Flügel“ war von Beginn an Björn Höcke, der gemeinsam mit André Poggenburg die Erfurter Resolution initiiert hatte und bei dessen Kreisverband die organisatorische Arbeit konzentriert war. Die Führungsrolle Björn Höckes wurde auch bei seinen Auftritten auf den „Kyffhäusertreffen“ sichtbar, zum Beispiel bei der Verleihung der „Flügelabzeichen“, den Aussagen in seiner Rede auf dem „Kyffhäusertreffen 2019“, dass er „eine programmatische Verschiebung unserer Partei anstoßen“ wolle und dass er sich „zum ersten Mal mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft der Neuwahl des Bundesvorstandes hingeben“ werde und „garantieren [könne], dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt“ werde, den wiederholten Sprechchören mit seinem Namen oder dem dort abgespielten Filmbeitrag zu seiner Person. Andreas Kalbitz gehörte zu den Erstunterzeichnern der „Erfurter Resolution“ und war ebenfalls von Beginn an einer der Hauptredner auf den „Kyffhäusertreffen“. Ein klarer Beleg für seine Führungsrolle innerhalb des „Flügel“ ist vor allem die im März 2020 gemeinsam mit Björn Höcke veröffentlichte Erklärung, in der sie mitteilten, dass sie entschieden hätten, dem Wunsch des Bundesvorstands nach Auflösung des „Flügel“ nachzukommen, und alle „Flügel“-Anhänger aufforderten, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des „Flügel“ einzustellen. Die Klägerin selbst hat im gerichtlichen Verfahren Björn Höcke, Andreas Kalbitz, Frank Pasemann, Hans-Thomas Tillschneider und Thorsten Weiß als „ehemalige ʹFlügelʹ-Führungspersonen“ und „maßgebende Vertreter des ehemaligen ʹFlügelʹ“ bezeichnet. Zu den Landesobleuten des „Flügel“ gehörten neben Hans-Thomas Tillschneider und Thorsten Weiß jedenfalls auch Jens Maier und Christina Baum.
166Es lagen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren.
167Bestrebungen im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfordern als „politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen“ ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgutbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Kritik an Verfassungsgrundsätzen reicht für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, wenn sie nicht mit der Ankündigung von oder der Aufforderung zu konkreten Aktivitäten zur Beseitigung dieser Grundsätze verbunden ist.
168Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 185 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 20, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 59 ff.; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 94, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 319.
169Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Dabei darf eine Beobachtung nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Behörde bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt waren. Die Behörde hat auf Grund der ihr bekannten tatsächlichen Anhaltspunkte eine Prognose anzustellen, ob ein solcher Verdacht besteht. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
170Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 188 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 270.
171Die Ziele einer Partei ergeben sich in der Regel aus ihrem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften oder sonstigen Publikationsorganen.
172Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 263 ff., vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 558, und vom 17. August 1956 – 1 BvB 2/51 –, BVerfGE 5, 85, juris, Rn. 228; OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 – 5 B 1236/93 –, NVwZ 1994, 588, juris, Rn. 46.
173Gleiches gilt für einen innerhalb einer Partei gebildeten Personenzusammenschluss, der darauf ausgerichtet ist auf die politische Tätigkeit der Partei Einfluss zu nehmen. Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können dabei bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
174Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, und Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43.
175Entscheidend sind die wirklichen Ziele der Gruppierung, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht erforderlich, dass sie sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Eine Beschränkung der Feststellung der von einem Personenzusammenschluss verfolgten Ziele auf das Programm oder offizielle Erklärungen ist daher nicht geboten, auch wenn derartige Veröffentlichungen oder Erklärungen wesentliche Erkenntnismittel zur Feststellung der Zielsetzung einer Gruppierung darstellen können.
176Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 559; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 264.
177Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, können insbesondere auch Äußerungen und Taten von Mitgliedern oder sonstigen Anhängern der Gruppierung sein. Bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden, denn politische Parteien sind auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtete Organisationen.
178Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 265, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 560 f.; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
179Dabei ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe zuzurechnen, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre. Auch die Tätigkeit von Publikationsorganen der Partei und das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen können ihr ohne Weiteres zugerechnet werden. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt. Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären. Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine – wie auch immer geartete – Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit.
180Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 271 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 562 ff.
181Bei einer Gruppierung mit einer offeneren Organisationsstruktur – wie hier dem „Flügel“ – ist ebenfalls zwischen den Äußerungen und Forderungen von Führungspersonen und einfachen Anhängern zu unterscheiden und können Einzeläußerungen einfacher Anhänger nicht ohne weiteres der Gruppierung insgesamt zugerechnet werden.
182Die Gesamtpartei ist als Personenzusammenschluss nur dann darauf gerichtet, Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen das Gesamtbild der Partei bestimmen. Wie das Bundesverfassungsgericht sowohl zum Parteiverbot als auch zum Finanzierungsausschluss ausgeführt hat, können Bestrebungen einzelner Parteianhänger bei sonst loyaler Haltung der Partei zu den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen. In gleicher Weise hat das Bundesverwaltungsgericht zu § 8 Soldatengesetz festgestellt, dass eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetzt, dass die Partei von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht wird. Das ist bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger bei sonst loyaler Haltung der politischen Partei noch nicht der Fall. Die Überzeugung von einer verfassungsfeindlichen Grundhaltung gegenüber der bestehenden Verfassungsordnung kann allein aus einer Gesamtbetrachtung der vielfältigen Einzelakte der Partei und ihrer Funktionäre gewonnen werden, die erst in dieser Zusammenschau ein eindeutiges Bild ergeben. Gleiches gilt für den „Flügel“ als Personenzusammenschluss, den Mitglieder der Klägerin innerhalb der Partei gebildet hatten.
183Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 293, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 576; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 14; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 190.
184Bei der Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen begründen, bleibt ebenfalls der gesamte Personenzusammenschluss der Bezugspunkt, wenn es um die rechtlichen Voraussetzungen der Beobachtung der Gruppierung insgesamt geht. Auch insoweit genügen „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger nicht, um in Bezug auf den gesamten Personenzusammenschluss den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Ebenso wie bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit reicht aber auch hier aus, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte, d. h. der vielfältigen Einzelakte der Vereinigung und ihrer Funktionäre und Mitglieder, auf entsprechende Bestrebungen hindeuten, selbst wenn jeder einzelne Anhaltspunkt für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag.
185Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 30, 45, 54.
186In gleicher Weise kommt es bei der Frage, ob bestimmte Verlautbarungen hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, nicht auf die abstrakte Interpretierbarkeit und Bewertung der Äußerungen an, sondern auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtpolitik der Gruppierung.
187Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 31; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 47.
188Dagegen ist nicht entscheidend, ob die als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogenen Äußerungen für sich genommen zulässig sind, da sie vom Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst sind. Die Meinungsfreiheit ist ihrerseits ein konstituierender Bestandteil der Demokratie, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt. Die bloße Kritik an Verfassungswerten und -grundsätzen ist daher nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen, wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde bei der Einstufung und Beobachtung einer politischen Partei oder einer in ihr gebildeten Gruppierung insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden.
189Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – , BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 70 ff., und Kammerbeschluss vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 281; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 32; Bay. VGH, Beschlüsse vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 97, und vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 24; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
190Wie das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbots- und auch zum Finanzierungsausschlussverfahren ausgeführt hat, kommt es bei der Feststellung, ob eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angestrebt wird, nicht darauf an, ob eine Betätigung grundrechtlicher Freiheiten vorliegt. Die „streitbare Demokratie“ will gerade den Missbrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten zur Abschaffung der Freiheit verhindern.
191Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 294, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 579.
192Entgegen der Annahme der Klägerin besteht dabei weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen eine starre zeitliche Grenze, nach der bestimmte Äußerungen nicht mehr als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen werden können. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit länger zurückliegende Äußerungen weiterhin Rückschlüsse auf die aktuellen politischen Zielsetzungen der Gruppierung zulassen. Wenn bestimmte Positionierungen aufgegeben und diesbezügliche Äußerungen über einen längeren Zeitraum nicht wiederholt werden, kann die Aussagekraft der älteren Aussagen vollständig entfallen. Wenn aber auch in jüngerer Zeit weiterhin ähnliche Aussagen getätigt werden, kann dies ein Beleg für die Kontinuität in den politischen Zielsetzungen sein. In diesen Fällen verlieren die älteren Aussagen nicht an Aussagekraft, sondern können auch bei der Bewertung der aktuellen politischen Ziele herangezogen werden. Vielmehr wäre es mit dem bundesrechtlichen Prinzip der streitbaren Demokratie nicht vereinbar und liefe der den Ämtern für Verfassungsschutz übertragenen Aufgabe zuwider, über eine allgemeine, kurz bemessene – etwa zweijährige – Verwertungsfrist Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ohne konkrete Hinweise darauf auszuklammern, dass sie durch Entwicklungen in dem Personenzusammenschluss überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
193Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34; siehe auch (zur Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht) OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 5 A 203/08 –, juris, Rn. 3; OVG M.-V., Beschluss vom 6. Juni 2013 – 2 M 110/13 –, juris, Rn. 17.
194Der Verdacht einer verfassungsfeindlichen Zielsetzung entfällt auch nicht allein deshalb, weil er sich nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums verifizieren lässt. Auch dies hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Unter Umständen kann ein auf öffentliche Äußerungen gestützter Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräftet werden, wenn sich am tatsächlichen Handeln zeigt, dass die wahren Zielsetzungen nicht verfassungsfeindlich sind; jedoch setzt dies bei einer Gruppierung innerhalb einer politischen Partei typischerweise voraus, dass sie über politische Mehrheiten verfügt, die ihr erlauben, ihre Ziele vollumfänglich umzusetzen. Solange dies nicht der Fall ist, behalten auch länger zurückliegende verdachtsbegründende Äußerungen in der Regel ihre Aussagekraft. Auch wenn sie dazu nicht verpflichtet ist, hat es die Gruppierung auch in diesem Fall letztlich selbst in der Hand, unbestimmte Äußerungen zu konkretisieren, ihre politischen Ziele offenzulegen und abweichenden Aussagen einzelner Mitglieder entgegenzutreten, wenn sie den begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräften möchte. Dies setzt allerdings in jedem Fall voraus, dass über einen längeren Zeitraum entweder keine neuen verdachtsbegründenden Umstände auftreten oder zumindest systematisch und umfassend verdachtsbegründenden Äußerungen entgegengetreten wird. Wie bereits dargelegt, wird die Aussagekraft konkreter Einzeläußerungen nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
195Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 46, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, sowie Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43; a. A. in Bezug auf verfassungskonforme Äußerungen zum gleichen „Teilbereich“ Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 58 f.
196Nach diesen Maßstäben lagen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren, namentlich gegen das für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbare Grundprinzip der Menschenwürdegarantie.
197aa) Die vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen verschiedener Führungspersonen des „Flügel“ begründeten am 15. Januar 2019 jedenfalls den starken Verdacht und rechtfertigten am 12. März 2020 auch die Schlussfolgerung, dass die politischen Zielsetzungen des „Flügel“ auch beinhalteten, den Schutz der Menschenwürde hinsichtlich bestimmter Personengruppen außer Geltung zu setzen.
198Der Schutz der Menschenwürde gehört zu den Wesenselementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die – eng zu verstehenden – Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich – ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen.
199Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff.; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
200Es lagen konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass nach dem politischen Konzept des „Flügel“ jedenfalls deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden sollte.
201Entscheidungserheblich sind dabei nur diejenigen tatsächlichen Anhaltspunkte, die dem Bundesamt bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt waren und auf die es seine Beobachtung gestützt hat. Das Bundesamt kann eine Beobachtung, die es auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen rechtfertigen, mögen diese auch Tatsachen betreffen, die bereits bei Beginn der Maßnahme vorhanden waren. Derartige Erkenntnisse können lediglich als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
202Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
203Zu bewerten ist das Gesamtbild aller vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen und Veröffentlichungen, denen die Klägerin auf tatsächlicher Ebene nicht substantiiert entgegengetreten ist. Soweit die Klägerin erstmalig in der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung in der Sitzung am 6. Mai 2024 vorgetragen hat, sie habe „aufgrund eigener Befragungen und Auswertungen der von der Beklagten vorgelegten Gutachten, Folgegutachten, Schriftsätze und Verwaltungsvorgänge erhebliche Zweifel daran, dass die darin zum Beleg von (angeblich) (hinreichend gewichtigen) tatsächlichen Anhaltspunkten für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen genannten Äußerungen und/oder menschlichen Verhaltensweisen tatsächlich getätigt wurden bzw. erfolgt sind“, jedenfalls seien diese aber „oftmals aus dem Kontext gerissen“ worden, fehlt es an jeder näheren Substantiierung, welche der vom Bundesamt unter anderem durch Ausdrucke, Kopien und Videodateien auch jeweils kontextbezogen dokumentierten Äußerungen die Klägerin in Zweifel zieht. Auch in dem Schriftsatz vom 23. April 2024, in dem sich die Klägerin vorbehalten hat, „zu allen in den Gutachten, Schriftsätzen, Anlagen, Verwaltungsvorgängen und Urteilen benannten Einzelpersonen (natürliche wie juristische Personen) und deren Einzelaussagen bzw. Vorgängen weitere neue Beweisanträge zu stellen“, hat sie nicht ansatzweise aufgezeigt, inwieweit Zweifel an konkreten Tatsachenfeststellungen des Bundesamts bestehen, die Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung geben könnten.
204(1) Es bestand der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen des „Flügel“ entsprach, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, weil zu den zentralen politischen Vorstellungen der Führungspersonen des „Flügel“ gehörte, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gibt, die von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der deutschen Kultur und Identität ist und es deshalb rechtfertigt, bei rechtlichen Zuordnungen danach zu unterscheiden, ob und gegebenenfalls aus welchem Kulturraum deutsche Staatsangehörige oder deren Eltern zugewandert sind. Dies stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
205Dabei steht außer Frage, dass bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinn von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zukommt. Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Danach kann der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich an das Abstammungsprinzip oder die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfen. Insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets kann er aber auch dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes.
206Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 377, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 690 f.
207Das schließt es nicht aus, auch bei deutschen Staatsangehörigen „ethnisch-kulturelle“ Gemeinsamkeiten oder Unterschiede in den Blick zu nehmen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um rechtliche Kategorisierungen und ist die Zugehörigkeit zu einer „ethnisch-kulturellen“ Gruppe daher nicht objektiv bestimmbar, sondern hängt von dem jeweiligen Begriffsverständnis ab. Dementsprechend ist auch die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ im Rechtssinn weder richtig noch falsch, sondern eine von persönlichen Wertungen abhängige Zustandsbeschreibung, die zum Beispiel soziologische, ethnologische oder historische Differenzierungen einbeziehen kann. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist allerdings die Verknüpfung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird.
208Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 105; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 34 ff.
209In den Veröffentlichungen des „Flügel“ und den Äußerungen seiner Führungspersonen finden sich keine eindeutigen Forderungen nach einer rechtlichen Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund. Hinreichende Anhaltspunkte für dahingehende Bestrebungen bieten aber auch abwertende Äußerungen, die kein konkretes Ziel benennen, aber deutlich machen, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden, wenn diese Äußerungen im Zusammenhang mit der politischen Betätigung des „Flügel“ abgegeben werden und sich aus dem Kontext ergibt, dass der Migrationshintergrund als solcher als Problem gesehen wird und nicht lediglich – rechtlich zulässig – eine fehlende Integration beklagt oder für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik geworben werden soll. Dabei kann auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele des „Flügel“ geschlossen werden, wenn die abwertenden und ausgrenzenden Äußerungen wiederholt mit politischen Forderungen verknüpft werden, die eine verfassungsfeindliche Diskriminierung zumindest nahelegen, und keine gegenläufigen Aussagen anderer Führungsmitglieder festzustellen sind, sondern die Herabwürdigung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund einer innerhalb der Gruppierung charakteristischen Grundtendenz entspricht.
210Vgl. zu ausgrenzenden und diffamierenden Äußerungen als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 635, 721, 773; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 48 f.,70.
211Björn Höcke verwendet einen „ethnisch-kulturellen“ Volksbegriff, wenn er im Jahr 2018 schreibt, ein Volk könne „als dynamische Einheit aus Abstammung, Sprache, Kultur und gemeinsam erlebter Geschichte“ beschrieben werden (Belegsammlung I, S. 5203). Er beschränkt sich aber nicht auf die deskriptive Begriffsverwendung, sondern erklärt, dass „die Kategorie ʹVolkʹ der zentrale Orientierungspunkt in unserem politischen Denken und Handeln“ sein sollte (Belegsammlung I, S. 5199). In der amerikanischen Gesellschaft sieht er eine Verbindung von „hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten“ zu einer gemeinsamen „Masse“ und schreibt, „diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren“ (Belegsammlung I, S. 5199). Dabei hält er nach eigenen Angaben nicht jegliche Veränderung für problematisch, sondern sieht vor allem eine „Masseneinwanderung“ kritisch (Belegsammlung I, S. 2282). An anderer Stelle wählt er eine schärfere Formulierung und spricht von dem „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ (Belegsammlung I, S. 5217).
212In ähnlicher Weise erklärte später im Juli 2019 Andreas Kalbitz, dass es ihm bei dem angestrebten Erhalt des Volkes, um „identitäre und kulturelle Kriterien“ gehe. Er differenziert ausdrücklich zwischen der „angestammten deutschen Bevölkerung“ und „Eingebürgerten mit Migrationshintergrund“ und führt aus, dass er daran glaube, dass „sich Volkszugehörigkeit nicht rein ethnisch definiert“ und „Migration zu einem gewissen Anteil immer stattgefunden hat“, aber nicht „in dieser Form und Qualität der Unterwerfung, wie wir es seit 2015 erleben“ (Belegsammlung II, S. 1786 f.). In seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018 sprach er von „kulturfremder Masseninvasion“ (Belegsammlung I, S. 4533). Bereits im Jahr 2017 verwendete er den Begriff der „Ethnodeutschen“ für „alle Menschen, deren familiäre und traditionelle Wurzeln in unserem Land liegen“ (Belegsammlung I, S. 1432).
213Hans-Thomas Tillschneider verteidigte bereits im Jahr 2016 die Verwendung des Begriffs „Umvolkung“ im Zusammenhang mit migrationspolitischen Fragen (Belegsammlung I, S. 2676) und verdeutlichte sein gegenüber deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund ausgrenzendes Volksverständnis in seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018, in der er erklärte, bei der deutschen Fußballnationalmannschaft handele es sich nicht um eine „echte Nationalmannschaft“, sondern um eine „bunt zusammengewürfelte Söldnertruppe der Deutschland-AG“, und dabei insbesondere Nationalspieler mit türkischen Wurzeln angriff und sie als „Türken mit deutschem Pass“ bezeichnete (Belegsammlung I, S. 4415).
214Auch Christina Baum, Thorsten Weiß und Jens Maier beziehen sich auf ein „ethnisch-kulturelles Volksverständnis“, wenn Christina Baum im Jahr 2016 von einem „schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung durch die falsche Flüchtlingspolitik der Grünen“ spricht (Belegsammlung I, S. 2634), Thorsten Weiß im Jahr 2018 mit Blick auf die Migration schreibt „2050 soll es kein erkennbares deutsches Volk mehr geben: Regierung plant den Volkstod!“ (Belegsammlung I, S. 2787), und Jens Maier im Jahr 2018 eine gezielte „Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen“ beobachtet (Belegsammlung I, S. 2669). Der im Januar 2020 veröffentlichte Facebook-Beitrag von Christina Baum, sie sei der „Lobbyist der ʹBiodeutschenʹ“, also für das „hellhäutige, hier seit Jahrhunderten ansässige Volk“, die „ethnische deutsche (Noch-)Mehrheit)“ (Belegsammlung III, S. 2715), deutet sogar klar darauf hin, dass für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk aus ihrer Sicht nicht die kulturelle Prägung ausschlaggebend ist, sondern die an der Hautfarbe sichtbare Abstammung. Die Betonung der Hautfarbe legt dabei nahe, dass die Zugehörigkeit zum deutschen Volk in rassistischer Weise auch von erblichen äußerlichen Merkmalen abhängig gemacht wird.
215In diesen Äußerungen fast sämtlicher bekannter Führungspersonen des „Flügel“ zeigt sich eine charakteristische Grundtendenz, die Existenz des vom rechtlichen Staatsvolk unterschiedenen „ethnisch-kulturellen“ deutschen Volks durch Migration bedroht zu sehen. Es droht der „Volkstod“, der „schleichende Genozid“ durch „kulturfremde Masseninvasion“, „Bevölkerungsaustausch“ und „Umvolkung“. Diese Bedrohung soll abgewehrt werden, dies ist ein zentrales politisches Ziel des „Flügel“. Dabei werden gerade auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Bedrohung angesehen, sie werden von der „angestammten“, „hellhäutigen“ Bevölkerung unterschieden, die „Herstellung von Mischvölkern“ soll verhindert werden.
216Da der „Flügel“ als innerhalb einer politischen Partei gebildete „Sammlungsbewegung“ grundsätzlich darauf ausgerichtet war, die nach seiner Überzeugung bestehenden Problemlagen nicht nur zu benennen, sondern etwaigen Fehlentwicklungen mit politischen und rechtlichen Mitteln aktiv entgegenzusteuern, begründeten bereits diese Aussagen jedenfalls den starken Verdacht, dass deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden sollte. Dies gilt für den gesamten Zeitraum vom 15. Januar 2019 bis zum 12. März 2020; der Großteil der zitierten Aussagen wurde bereits im Jahr 2018 oder früher getätigt, die Äußerungen von Andreas Kalbitz aus dem Jahr 2019 und Christina Baum aus dem Januar 2020 bestätigen das bereits vorher erkennbare Gesamtbild. Gegenläufige Erklärungen waren in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht festzustellen. Das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in der auch von Björn Höcke unterzeichneten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ wurde erst am 18. Januar 2021 veröffentlicht.
217Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 63 ff. des Urteilsabdrucks.
218Da sich die Führungspersonen des „Flügel“ nicht auf abwertende und ausgrenzende Äußerungen gegenüber Migranten beschränkt, sondern daneben politische Forderungen erhoben haben, die eine verfassungsfeindliche Diskriminierung zumindest nahelegten, war nach den zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen jedenfalls am 12. März 2020 auch der Schluss gerechtfertigt, dass es tatsächlich zu den politischen Zielsetzungen des „Flügel“ gehörte, deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund zu deutschen Staatsbürgern zweiter Klasse zu degradieren.
219Bereits im Jahr 2017 hatte Christina Baum ein „Wahlrecht nach Abstammung“ gefordert (Belegsammlung I, S. 2632). Dies stellt eine deutliche rechtliche Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund dar. Christina Baum verknüpft ihre Aussage zwar ausdrücklich mit der Forderung, es müsse „das Staatsangehörigkeitsgesetz vom Jahr 2000 wieder zurückgenommen werden“, und formuliert im Anschluss daran wörtlich: „Wir brauchen wieder das Wahlrecht nach Abstammung, so wie es vor 2000 war.“ Dies legt auf den ersten Blick die Deutung nahe, dass es ihr allein um die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts geht und sie lediglich eine Rückkehr zu der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Rechtslage anstrebt. Allerdings waren auch nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung die Staatsangehörigkeit und das damit verbundene Wahlrecht nicht ausschließlich an die Abstammung geknüpft, sondern gab es auch damals schon die Möglichkeit der Einbürgerung, und macht Christina Baum am Ende ihrer Aussage deutlich, dass es ihr vor allem darum geht, Entscheidungen zu verhindern, die „gegen den Willen der ethnischen deutschen Bevölkerung“ getroffen werden. Dies ist jedenfalls ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass ihre eigentliche Zielsetzung über die Rücknahme der Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht hinausgeht.
220Vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 694 f.
221Björn Höcke hatte im Jahr 2018 die „geordnete Rückführung der hier nicht integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer“ als „gesamteuropäisches Remigrationsprojekt“ bezeichnet (Belegsammlung I, S. 2433). In seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018 forderte er zunächst unter anderem „null Einwanderung bis die illegale Einwanderung der letzten Jahre zurückgeführt ist“ und bezeichnete dies als Bestandteil seiner „Sofort-Agenda“. Anschließend führte er aus: „Langfristig, liebe Freunde, stehen die Auflösung der Parallelgesellschaften sowie die Remigrationsprogramme, die natürlich De-Islamisierungsprogramme inkludieren, auf der Tagesordnung“ (Belegsammlung I, S. 4508 f.). Diese Formulierung legt zumindest nahe, dass sich die Forderung nach „Remigration“ nicht auf Ausländer ohne Aufenthaltsrecht beschränkt, sondern dass auf lange Sicht auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen sollen, wenn sie kulturell nicht integriert sind. In gleicher Weise forderte Christina Baum im September 2019 „eine sofortige Rückführung – Remigration, damit Deutschland weiter leben kann“ und leitete diese Forderung in ihrem Facebook-Beitrag mit den Worten ein: „Eine Arabisierung/Islamisierung findet n i c h t statt. Wir bilden uns das ein. Es ist alles nur ʹgefühltʹ“ (Belegsammlung II, S. 2280). Auch hier zeigt sich, dass die Forderung nach „Remigration“ nicht an die ausländische Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern an die arabische Abstammung und den islamischen Glauben. Zu diesen Äußerungen gab es von anderen Führungsmitgliedern des „Flügel“ keinen Widerspruch und keine gegenläufigen Erklärungen. Vielmehr erhielt Björn Höcke für seine Aussage auf dem Kyffhäusertreffen 2018 Beifall; Andreas Kalbitz unterstützte die Forderung Höckes in seiner eigenen Rede ausdrücklich, indem er erklärte, „Björn Höcke hat das auch schon richtig gesagt, wir brauchen die Festung Europa! Grenzen dicht! Remigration jetzt!“ (Belegsammlung I, S. 4533).
222Erst am 4. März 2020 veröffentlichte Björn Höcke auf Facebook „Anmerkungen zu den Interpretationen des Verfassungsschutzes“, in denen er erklärte, seine „Forderungen nach einer Remigration ziel[t]en nicht auf Zwangsmaßnahmen, die sich auf Staatsangehörige mit Migrationshintergrund“ bezögen, sondern richteten sich „ausschließlich auf die Rückführung illegaler und dauerhaft nicht integrierbarer Ausländer mit temporärem Aufenthaltsstatus“, eine „gewisse ʹDe-Islamisierungʹ wäre angesichts der religiösen Migrantenstruktur mit einer solchen verfassungskonformen Remigration automatisch verbunden“ (Belegsammlung IIII, S. 4272). Diese Erklärung kann die in seiner früheren Äußerung betonte langfristige Perspektive und die eigenständige Begrifflichkeit „De-Islamisierungsprogramme“ nicht plausibel erklären, so dass der gegenteilige Verdacht dadurch jedenfalls nicht vollständig ausgeräumt ist. Aber auch der Feststellung, dass der „Flügel“ verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, stand diese Erklärung jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitpunkt am 12. März 2020 nicht entgegen. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob die durchaus differenzierten Erläuterungen Björn Höckes seine wahren Überzeugungen wiedergeben oder zumindest teilweise taktisch motiviert waren. Die Aussagekraft dieser Erklärungen für die politischen Zielsetzungen des „Flügel“ war am 12. März 2020 noch in keiner Weise abzusehen. Bis zu diesem Zeitpunkt lagen noch keine Reaktionen von anderen Führungsmitgliedern des „Flügel“ vor. Die frühere Aussage auf dem Kyffhäusertreffen 2018, für die Björn Höcke Beifall und Unterstützung erhalten hatte, legte in Zusammenhang mit den Erklärungen zur „Sofort-Agenda“ eine Deutung nahe, zu der die Erklärung vom 4. März 2020 in Widerspruch steht. In einer derartigen Situation ist eine einmalige Gegenerklärung, die nicht auf einer politischen Veranstaltung des „Flügel“ oder der Gesamtpartei abgegeben wird, für sich genommen nicht ausreichend, die nach den aufgrund der mehrjährigen vorherigen Beobachtung vorliegenden Erkenntnissen gerechtfertigte Feststellung zu den Zielsetzungen des „Flügel“ zu entkräften. Vielmehr wäre die weitere Entwicklung zu beobachten gewesen, insbesondere ob Björn Höcke seine Aussagen vom 4. März 2020 bei anderer Gelegenheit wiederholt, wie er sich auf dem nächsten Treffen des „Flügel“ positioniert und wie die Reaktionen anderer führender „Flügel“-Anhänger ausfallen. Dazu ist es nicht mehr gekommen, weil Björn Höcke und Andreas Kalbitz erklärt haben, den „Flügel“ zum 30. April 2020 aufzulösen, seitdem keine „Flügel“-Veranstaltungen mehr stattgefunden haben und bereits aus diesem Grund die Einstufung des „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung nicht mehr gerechtfertigt war. Für die Bewertung der Gesamtpartei haben die Erklärungen Björn Höckes vom 4. März 2020 ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung, weil hier ohnehin nur der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestand.
223Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 60 ff. des Urteilsabdrucks.
224(2) Es lagen auch konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Muslimen verbunden sind.
225Wenn Muslime wegen ihres Glaubens diskriminiert werden, stellt dies nicht nur eine Verletzung von Art. 4 GG dar, sondern liegt darin eine gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
226Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff.; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
227Eine konkrete Diskriminierung von Muslimen liegt in der pauschalen, unabhängig von möglichen allgemein geltenden baurechtlichen Vorgaben erhobenen Forderung, den Bau von Moscheen oder Minaretten zu verbieten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Muslime zur Religionsausübung zwingend auf Moscheen angewiesen sind oder Moscheen auch ohne Minarette gebaut werden können. Die Menschenwürdegarantie wird schon dadurch verletzt, dass Muslimen allein wegen ihres Glaubens der Bau bestimmter religiöser Gebäude unmöglich gemacht werden soll, während Christen oder andere Religionsgemeinschaften vergleichbare religiöse Bauten errichten dürfen.
228Ein deutlicher Anhaltspunkt für dahingehende Bestrebungen des „Flügel“ waren die Aussagen Björn Höckes in einer Rede am 20. Januar 2018, wenn die Klägerin „die Macht bekommen“ werde, werde „die Direktive ausgegeben, dass am Bosporus mit […] Mohammed, Muezzin und Minarett Schluss“ sei, dann werde „es nicht mehr möglich sein, den Bau eines Minarettes […] mit der Religionsfreiheit durchzudrücken“, es müsse „die De-Islamisierung Deutschlands und Europas“ vorbereitet werden (Belegsammlung III, S. 4266). Björn Höcke hat in seiner späteren Erklärung vom 4. März 2020 betont, für ihn sei „Religion Privatsache und deren freie Ausübung ein unbedingt schützenswertes Gut“, von seiner generellen Ablehnung der Genehmigung von Minaretten ist er aber nicht abgerückt, sondern hat dazu nur erklärt, er meine mit „dem Begriff der ʹDe-Islamisierungʹ […] die Zurückweisung einer kulturell-gesellschaftlichen Transformation in Richtung eines islamischen Gemeinwesens, wie sie sich z. B. in Moscheebauten mit Minaretten […] ausdrück[e]“ (Belegsammlung III, S. 4266). Bereits im Jahr 2018 hatte Björn Höcke sich für eine „klare, konsequente Verhinderung der drohenden Islamisierung Deutschlands und Europas“ ausgesprochen, aber zugleich darauf hingewiesen, dass dies „ohne Vorurteile oder Hass auf den Islam als Religion und mit einem gebührenden Respekt gegenüber einer uns fremden Kultur“ geschehen solle (Belegsammlung I, S. 2345 f.). In diesem Fall entspricht seine Erklärung vom 4. März 2020 also im Wesentlichen seinen früheren Aussagen, in denen er einerseits forderte, die islamische Kultur und Religion zu respektieren, diesem Anspruch mit seiner Forderung, dass „am Bosporus mit […] Mohammed, Muezzin und Minarett Schluss“ sein solle, aber selbst nicht in jeder Hinsicht gerecht wird.
229Andere Führungspersonen des „Flügel“ äußerten sich ähnlich, jedenfalls gab es aus diesem Kreis keine gegenläufigen Äußerungen, die an diesen Forderungen Kritik übten oder den Bau von Moscheen verteidigten. So erklärte Hans-Thomas Tillschneider im Jahr 2016, der „Islam mag eine fremdkulturelle Religion sein, er ist nichtsdestotrotz Religion und kann sich auf Art. 4 GG berufen“, forderte aber zugleich, dass jede „Berufung auf die Religionsfreiheit […] unter den stärkstmöglichen Kulturvorbehalt gestellt werden“ müsse (Belegsammlung I, S. 4674). Die genaue Reichweite dieses „Kulturvorbehalts“ bleibt unklar, ein deutlicher Anhaltspunkt für eine fehlende Anerkennung von Muslimen als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft ist aber die Aussage Tillschneiders in seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2017, in der er in Bezug auf Vertreter von Islamverbänden erklärt: „Wenn sie sich fügen, dürfen sie in dem Rahmen, den wir ihnen anweisen, ihre Religion praktizieren und darüber hinaus haben sie nichts zu melden“ (Belegsammlung I, S. 4447). Andreas Kalbitz forderte auf dem Kyffhäusertreffen 2018 ein Ende der „kulturfremden Masseninvasion“ (Belegsammlung I, S. 4533) und erklärte im Jahr 2019 zur Migration, „das Thema heißt Islam“, allerdings nicht in pauschaler Ablehnung, sondern in Zusammenhang mit Aussagen zur Integrationsfähigkeit (Belegsammlung II, S. 1787). Eine pauschale Abwertung von Muslimen unabhängig vom Umfang ihrer gesellschaftlichen Integration zeigt sich dagegen in der Erklärung von Thorsten Weiß aus dem Jahr 2019, in der er die Aussage zu einem denkbaren muslimischen Bundeskanzler als „irrsinnige Aussage“ bezeichnet und mit einem „vom Islam regierten Deutschland“ gleichsetzt (Belegsammlung II, S. 3006). Auch Christina Baum beklagte im September 2019 eine von ihr beobachtete „Arabisierung/Islamisierung“ und forderte als Gegenmaßnahme „eine sofortige Rückführung“ (Belegsammlung II, S. 2280).
230Angesichts dieser übereinstimmenden Grundtendenz lagen auch im Hinblick auf den „Flügel“ als Personenzusammenschluss im hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 15. Januar 2019 bis zum 12. März 2020 zumindest hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche, die Rechte von Muslimen missachtende Bestrebungen vor, auch wenn die getätigten Äußerungen deutlich hinter der späteren, im Oktober 2021 veröffentlichten islamfeindlichen Aussage von Christina Baum zurückblieben, „Moscheen, der Muezzin-Ruf oder die Burka haben in Deutschland […] nichts zu suchen“ (Materialsammlung Januar 2022, S. 104).
231Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 79 f. des Urteilsabdrucks.
232bb) Angesichts der nach den vorstehenden Ausführungen vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für mit der Menschenwürdegarantie unvereinbare Bestrebungen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich aus Äußerungen von Mitgliedern und Anhängern des „Flügel“ tatsächliche Anhaltspunkte für weitere verfassungsfeindliche, gegen die Menschenwürdegarantie, das Demokratieprinzip oder das Rechtsstaatsprinzip gerichtete Bestrebungen ergaben.
233cc) Die vom Bundesamt gesammelten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind uneingeschränkt verwertbar.
234Entgegen dem Einwand der Klägerin stellt die Datensammlung des Bundesamts keinen ein Beweisverwertungsverbot begründenden schwerwiegenden Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die grundsätzliche Berechtigung des Bundesamts zur Sammlung und Auswertung von Informationen ergibt sich – wie bereits dargelegt – aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Ausweislich der vorgelegten Belege hat das Bundesamt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen, indem es den „Flügel“ im Wesentlichen mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung beobachtet hat. Die daran anknüpfende umfassende Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot, da sie dem Zweck dient, ein aussagekräftiges Gesamtbild über die politischen Zielsetzungen des „Flügel“ zu erhalten, und sich nur geringfügig auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin auswirkt, da sie ausschließlich dem „Flügel“ zurechenbare öffentliche Betätigungen betrifft und damit keine Informationen umfasst, die dem persönlichen Lebensbereich der betroffenen Personen zuzuordnen wären.
235Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 102 ff.
236Selbst wenn die Speicherung einzelner Informationen unverhältnismäßig sein sollte, weil sie nicht geeignet sind, zur Aufklärung des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen beizutragen, bliebe die Verwertbarkeit der entscheidungserheblichen Informationen im Übrigen unberührt. Unabhängig davon können selbst Erkenntnisse, die das Bundesamt während einer auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnenen Beobachtung gewonnen hat, als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
237Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
238Dementsprechend gibt es auch kein Beweisverwertungsverbot für Erkenntnisse, die möglicherweise ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte im Rahmen der Bearbeitung als „Prüffall“ gewonnen wurden, so dass vorliegend offenbleiben kann, ob der „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird.
239Entgegen dem weiteren Einwand der Klägerin durfte sich das Bundesamt bei der Erstellung der Gutachten I - III auch der Hilfe eines externen Rechtsanwalts bedienen. Das Bundesamt hat seine Entscheidungsbefugnisse damit nicht auf einen außenstehenden Dritten übertragen, sondern lediglich rechtliche Unterstützung bei der Bewertung eingeholt, ob die normativ-tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung des „Flügel“ unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln vorliegen. Bei den Gutachten handelt es sich in der Sache um behördeninterne Rechtsgutachten, die als Entscheidungsgrundlage dienen und in der abgestimmten Endfassung zugleich die entscheidungstragenden Annahmen des Bundesamts dokumentieren, die Entscheidung aber nicht vorgeben.
240Die Verwertbarkeit der vom Bundesamt angeführten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entfällt auch nicht deshalb, weil nicht belegt ist, ob Aussagen von Personen stammen, die als Vertrauensleute im Sinn von § 9b BVerfSchG (V-Leute) tätig sind oder in sonstiger Weise mit dem Bundesamt zusammenarbeiten. Es kann vorliegend offenbleiben, ob – wie die Klägerin behauptet – das Bundesamt, die Landesämter für Verfassungsschutz oder sonstige staatliche Behörden V-Leute, Verdeckte Mitarbeiter oder sonstige menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerin und der JA eingesetzt haben und das Bundesamt die Einstufung der Klägerin und der JA auf Materialien und Sachverhalte gestützt hat, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Weder der Einsatz von V-Leuten oder sonstigen Informanten noch die Verwertung der von diesen Personen getätigten Aussagen widerspricht den Grundsätzen eines fairen, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren, wonach eine Verwertung von Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, aus rechtsstaatlichen Gründen zu unterbleiben hat, da sie aufgrund der mit der V-Mann-Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden können,
241vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 150, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 411,
242lässt sich bereits deshalb nicht auf die nachrichtendienstliche Beobachtung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG übertragen, da diese keine eindeutige „Zuordnung“ voraussetzt, sondern der diesbezügliche – bloße – Verdacht ausreicht. Dies ist eine im Gegensatz zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren gerade niedrigere Eingriffsschwelle.
243Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 90 f. des Urteilsabdrucks.
244Das Bundesverfassungsgericht hat zudem klargestellt, dass auch während eines laufenden Parteiverbotsverfahrens eine Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG grundsätzlich zulässig ist und V-Leute in den Führungsgremien der Partei erst im Vorfeld eines Verbotsverfahrens abgeschaltet werden müssen. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und entsprechender Verdachtsfälle ist – wie ausgeführt – Ausfluss des Prinzips der „streitbaren Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
245Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 148, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 409, 418; Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24.
246Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn bereits im Verdachtsstadium in Bezug auf alle Vertreter der Partei oder der parteiinternen Gruppierung, deren Äußerungen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, offengelegt werden müsste, ob sie dauerhafte Kontakte zu nachrichtendienstlichen Behörden unterhalten.
247Zudem war die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall – wie oben dargelegt – schon auf der Grundlage der vor der Einstufung zum Verdachtsfall am 15. Januar 2019 und dem möglichen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel vorliegenden Erkenntnisse gerechtfertigt und liegen unabhängig davon auch keine Anhaltspunkte dafür vor und wird auch von der Klägerin nicht behauptet, dass staatliche Quellen auf der Führungsebene des „Flügel“ eingesetzt wurden und das Bundesamt dessen Einstufung auf Materialien und Sachverhalte gestützt hat, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Unabhängig davon darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zudem selbst ein Verbots- oder Finanzierungsausschlussantrag nur nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde.
248Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 140, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 401.
249Dafür liegen erst recht keine Anhaltspunkte vor. Soweit die Klägerin geltend macht, dass verdachtsbegründende Äußerungen auf „Provokationen“ durch behördliche „fake-Accounts“ zurückgehen könnten, hat sie bereits nicht dargelegt, welche der vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen nach ihrer Auffassung durch anderweitige Veröffentlichungen provoziert worden sind. Im Übrigen gilt auch für den Einsatz von „fake-Accounts“, dass eine zulässige Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG nach den vom Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Maßstäben erst im Vorfeld eines Verbots- oder Finanzierungsausschlussverfahrens eingestellt oder offengelegt werden muss.
250Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beobachtung des „Flügel“ oder der Klägerin der Ausspähung ihrer Prozessstrategie dient oder dass im Rahmen der Beobachtung zufällig oder von anderen Behörden erlangte Informationen über die Prozessstrategie zulasten der Klägerin verwendet werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass, sofern zufällig derartige Erkenntnisse anfielen – was bei dem Einsatz von Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung oder den von der Klägerin angeführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann –, diese nicht zur Akte genommen und verwendet würden. Die ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein erhobenen Gegenbehauptungen der Klägerin geben keinen Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung. Insbesondere lassen sich auch dem Prozessverlauf keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beklagten die „Prozessstrategie“ der Klägerin bekannt gewesen sein und sie dieses Wissen im gerichtlichen Verfahren verwendet haben könnte. Unabhängig davon würde sich auch eine etwaige Ausspähung der Prozessstrategie im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich auswirken. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ bliebe davon unberührt. Das gerichtliche Verfahren ist nicht die Grundlage für die Beobachtung des „Flügel“, sondern ermöglicht, die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidungen über die Beobachtung des „Flügel“ zu überprüfen. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren geltenden Grundsätze,
251vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 151 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 415 ff.,
252lassen sich daher auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen.
253b) Die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden.
254Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung verpflichtet. Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen, die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG („Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf …“) begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung. Dafür sprechen bereits die Regelungen in § 6 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 und 2 BVerfSchG, wonach eine Pflicht zum Informationsaustausch mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz und zur Information der Öffentlichkeit besteht, die ohne eine vorherige Sammlung und Auswertung von Informationen nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG nicht sachgerecht erfüllt werden kann. Gestützt wird dies durch den Gesetzeszweck, eine Beobachtung schon bei tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu ermöglichen, um frühzeitig feststellen zu können, ob von ihnen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht. Ob und in welchem Umfang eine weitere Beobachtung im Einzelfall erforderlich und zweckmäßig ist, kann dabei nur beurteilt werden, nachdem erste Informationen im Sinn von § 3 Abs. 1 BVerfSchG gesammelt und ausgewertet wurden.
255Vgl. Warg, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, V § 1 Rn. 40; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 131 ff.
256Die Rechtmäßigkeit der konkreten Auswahl einzelner Beobachtungsmaßnahmen ist – wie oben dargelegt – nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Zum Auswahlermessen zählen allerdings auch die mit der formellen Einstufung als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung verbundene grundsätzliche Bereitschaft zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die zeitliche Dauer der Beobachtung, die mit den Klageanträgen angegriffen werden. Insoweit liegen keine Ermessensfehler vor.
257aa) Das Bundesamt hat sich bei den Entscheidungen, die Beobachtung fortzusetzen und dabei auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, vom Zweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen leiten lassen, bereits im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken.
258Vgl. zum Gesetzeszweck BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
259In den behördeninternen Gutachten werden die rechtlichen Maßstäbe für eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien und innerhalb einer Partei gebildeter Gruppierungen zutreffend wiedergegeben; ausdrücklich wird auf den hohen Wert der aus den für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlichen Grundprinzipien bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die gesetzgeberische Konzeption des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem hingewiesen, ebenso auf die Pflicht, über die Beobachtungsmittel und -intensität nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Gutachten I, S. 5 ff., Gutachten III, S. 13 ff.). Weder den Gutachten noch den sonstigen Verwaltungsvorgängen oder den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftsätzen lassen sich auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Entscheidung über die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ nicht auf dem Schutzzweck des BVerfSchG, sondern auf sachwidrigen parteipolitischen Motiven beruhen könnte, mit anderen Worten einem unzulässigen „parteipolitischen Konkurrenzschutz“.
260Die gegenteiligen Behauptungen der Klägerin sind vor diesem Hintergrund letztlich aus der Luft gegriffen. Soweit die Klägerin in den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen einzelne Vorfälle oder Äußerungen benennt, ergeben sich daraus keine Indizien für eine sachwidrige politische Einflussnahme oder Motivation. Insoweit wird auf die Beschlüsse über die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Bezug genommen (Anlage zum Protokoll der Sitzung vom 29. April 2024). Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Argumentation der Klägerin zum Teil schon auf einem Zirkelschluss beruht: Die Klägerin bewertet jede politische Einflussnahme als sachwidrig, weil nach ihrer Auffassung die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung nicht vorliegen. Wenn aber – wie hier festgestellt – die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung vorliegen, ist eine dahingehende Einflussnahme politischer Entscheidungsträger für sich genommen noch kein Indiz für eine sachwidrige, gerade auf parteipolitischen Gründen beruhende Einflussnahme. Aber auch die von der Klägerin benannten Äußerungen, die sich darauf beziehen, die „Umfragewerte der [Klägerin] zu senken“ – so eine Formulierung des Präsidenten des Bundesamts im Rahmen eines Fernsehinterviews – oder eine Strategie zur „Bekämpfung“ der Klägerin zu entwickeln – so eine im Rahmen einer Leitungsklausur getroffene Aussage eines Mitarbeiters des BMI –, deuten, wie bereits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nicht auf eine sachwidrige parteipolitische Motivation hin, weil sie keine Rückschlüsse auf entsprechende Beweggründe für die zurückliegenden Entscheidungen über die Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ oder der Klägerin zulassen.
261Siehe dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 –, S. 96 ff. des Urteilsabdrucks.
262Der Hinweis der Klägerin auf eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen politischen Parteien ist ebenfalls nicht geeignet, die Beweggründe des Bundesamts in Frage zu stellen. Das Bundesamt hat Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in anderen Parteien nicht ignoriert, sondern in der Vergangenheit auch über andere politische Parteien wegen des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen berichtet, unter anderem über die Parteien „Die Republikaner“ und „Die Linke“. Die Entscheidung über die Dauer und Art der Beobachtung und Berichterstattung hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer länger andauernden umfassenden Beobachtung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen lediglich in Bezug auf einzelne Untergliederungen festgestellt werden.
263Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 136 ff.
264Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat das Bundesamt bei seiner Entscheidung, den „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung zu beobachten, auch entlastende Gesichtspunkte berücksichtigt, zum Beispiel die „sich widersprechenden Positionen Höckes zum Islam“ (Gutachten I, S. 365). Dass das Bundesamt der selbst erklärten Auflösung des „Flügel“ kein hinreichendes Gewicht beigemessen hat, hat bereits das Verwaltungsgericht festgestellt und ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Im Übrigen war das einheitliche Gesamtbild des „Flügel“, bei dem es – anders als bei der Klägerin – keine wesentlichen inhaltlichen Widersprüche in den Positionierungen der Führungspersonen gab, gerade maßgeblich für die Einstufung der gesamten Gruppierung als erwiesen extremistische Bestrebung.
265bb) Die Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung war auch verhältnismäßig.
266Die Beobachtung einer Partei oder einer parteiinternen Gruppierung unter Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informanten und Gewährspersonen sowie mittels verdeckter Ermittlungen und Befragungen stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Freiheitssphäre der Partei dar. Wie bereits ausgeführt, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz aber so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener.
267Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 36 ff.
268Die Beobachtung des „Flügel“ bezweckte, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel war auch geeignet, diesen Zweck zu fördern. Dem steht nicht entgegen, dass gegebenenfalls aufgrund spezialgesetzlicher oder dienstlicher Regelungen weitere Anforderungen an die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel zu stellen sind. Es obliegt insoweit der Prüfung im konkreten Einzelfall, ob die jeweiligen Einsatzvoraussetzungen erfüllt waren. Eine generelle Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verwendung solcher Mittel, wie sie die Klägerin anstrebt, rechtfertigt sich daraus nicht.
269So bereits (zur nachrichtendienstlichen Beobachtung von Scientology) OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 346.
270Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel war auch nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil sie gegenüber einer Untergruppierung einer öffentlich agierenden politischen Partei nicht erforderlich wären (vgl. § 9 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Beobachtung mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung war zum einen nicht in gleicher Weise geeignet, Inhalt und Umfang der vom „Flügel“ verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen aufzuklären, da konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der „Flügel“ seine wahren politischen Zielsetzungen nicht vollständig offenlegte, insbesondere – wie oben dargelegt – im Hinblick auf die Forderungen nach „Remigration“ und einem „Wahlrecht nach Abstammung“. Es sind immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zum Beispiel nicht erforderlich, wenn er nur dazu dient, die Erkenntnisse in Details zu perfektionieren.
271Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 38.
272Die vorliegenden Erkenntnisse rechtfertigten zwar spätestens am 12. März 2020 den Schluss, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren, aber die politischen Zielsetzungen ließen sich aufgrund der aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen Erkenntnisse nicht im Einzelnen feststellen, so dass ein genereller Verzicht auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht geboten war. Zum anderen kann die Beobachtung auch dazu dienen, nähere Erkenntnisse über die Verbreitung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu gewinnen, hier insbesondere dazu, wie viele Personen dem „Flügel“ zugerechnet werden konnten und wie groß der Einfluss des „Flügel“ innerhalb der Gesamtpartei war. Auch insoweit war nicht generell ausgeschlossen, dass mit nachrichtendienstlichen Mitteln Erkenntnisse gewonnen werden können, die sich allgemein zugänglichen Quellen nicht entnehmen lassen.
273Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann unter Umständen auch dann generell unverhältnismäßig sein, wenn zwar hinreichende, aber nur relativ schwache tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Vielfach dürfte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch gebieten, beim Vorliegen erster Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zunächst von einer Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln abzusehen, da nicht auszuschließen ist, dass der Verdacht sich bereits bei einer intensiveren Sammlung von allgemein zugänglichen Informationen entkräften lässt. Derartige Umstände waren hier aber nicht gegeben. Wie oben dargelegt, lagen bereits am 15. Januar 2019 deutliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die nicht mit der Menschenwürdegarantie zu vereinbaren sind, vor allem im Hinblick auf eine Ausgrenzung und Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund, denen die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt wird. Das Bundesamt hat den „Flügel“ auch nicht von Beginn an mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet, sondern jedenfalls bis zur Einstufung als Verdachtsfall zunächst über einen längeren Zeitraum auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verzichtet.
274Dabei kann auch an dieser Stelle dahinstehen, ob die vom Bundesamt im Hinblick auf die Klägerin offengelegte Einstufung als „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird, oder diesem zeitlich wie normativ vorgelagert ist. Entscheidend ist hier allein, dass vor der mit der formellen Einstufung zum „Verdachtsfall“ erklärten grundsätzlichen Absicht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel der „Flügel“ bereits über einen längeren Zeitraum mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung beobachtet wurde, ohne den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen damit ausschließen zu können. Mit anderen Worten: Die von der Klägerin im Berufungsverfahren gerügte Kategorienbildung des Bundesamts ist im BVerfSchG zwar nicht vorgesehen, steht dazu aber auch nicht in Widerspruch, sondern dient gerade der Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.
275Im Einzelfall kann es auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar sein, wenn einmal gegebene Verdachtsmomente zu einer „Dauerbeobachtung“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln führen, obwohl sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind.
276Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 66 (Beobachtungszeitraum von 35 Jahren unverhältnismäßig), und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34 (Beobachtungszeitraum von vier Jahren unbedenklich).
277Es kann offenbleiben, ob dies nur Fallgestaltungen betrifft, in denen entweder letztlich kein Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen mehr besteht oder eine weitere Beobachtung nicht erforderlich ist, weil nicht zu erwarten ist, dass damit neue relevante Erkenntnisse gewonnen werden können, oder ob auch Fälle denkbar sind, in denen der zu erwartende zusätzliche Erkenntnisgewinn so gering ist, dass nur die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn nicht gewahrt wäre. Die Grenze einer unzulässigen „Dauerbeobachtung“ war hier im März 2020 jedenfalls bei weitem nicht überschritten.
278II. Die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung war ebenfalls rechtmäßig (Anträge zu 2., 4. und 6.).
2791. Rechtsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe durch das Bundesamt ist § 16 Abs. 1 BVerfSchG.
280Nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes vom 17. November 2015 (BGBl. I S. 1938) informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz.
281Mit der Neuregelung sollte das Bundesamt nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich dazu ermächtigt werden, die Öffentlichkeit auch über Verdachtsfälle zu unterrichten, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Grundlage der bis dahin geltenden Fassung des § 16 BVerfSchG nicht möglich war, weil die Norm nach ihrem Wortlaut nur Fälle erfasste, in denen verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt werden konnten. Die konkrete Formulierung der Neuregelung soll dabei deutlich machen, dass eine Abwägung der Erkenntnisdichte und des öffentlichen Interesses an einer Verdachtsberichterstattung erfolgen muss.
282Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. April 2015, BT-Drs. 18/4654, S. 32; Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 18/5415, S. 12; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12 ff.
283Bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Öffentlichkeit auch über Verdachtsfälle zu unterrichten, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend gewichtig sind, um die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung als Verdachtsfall auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen.
284Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12; siehe auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 564/19 –, NJW 2022, 3629, juris. Rn. 18, und vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16.
285Dies gilt auch für politische Parteien oder innerhalb einer Partei gebildete Gruppierungen. Die Aufnahme einer Partei in einen Verfassungsschutzbericht ist zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, und die belastenden Maßnahmen den rechtsstaatlichen Anforderungen namentlich der Verhältnismäßigkeit genügen.
286Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; siehe auch BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 45; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 19; a. A. Murswiek, NVwZ 2004, 769 (775 ff.); Conrad, in: Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht, 2022, § 3 Rn. 139.
287Wie oben bereits ausgeführt, findet das Selbstbestimmungsrecht der Parteien seine Schranke in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ und zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
288Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
289Politische Parteien müssen sich entsprechend ihrer Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG), der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Teil der öffentlichen Auseinandersetzung sind Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei als verfassungsfeindlich, sofern sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz halten. Solchen Äußerungen kann und muss die betroffene Partei mit den Mitteln des Meinungskampfes begegnen. Auch staatliche Stellen sind nicht gehindert, zum Beispiel das Für und Wider eines Verbotsverfahrens mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit verbietet staatlichen Stellen grundsätzlich nur dann, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
290Vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 – 2 BvE 4/13 –, BVerfGE 136, 323, juris, Rn. 26, und Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 20 ff.
2912. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung waren gegeben.
292Wie oben bereits dargelegt, lagen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der „Flügel“ Bestrebungen verfolgte, die im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren. Es lagen auch „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ im Sinn von § 16 Abs. 1 BVerfSchG vor.
293Der gesetzliche Maßstab weicht insoweit aus guten Gründen von dem für die Beobachtung maßgeblichen Begriff der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ in § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ab. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung einer Partei oder einer parteiinternen Gruppierung als Verdachtsfall oder erwiesen extremistische Bestrebung beeinträchtigt sie deutlich stärker in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit als die bloße Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. Der Eingriff ist möglicherweise weniger schwerwiegend als eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, da sich politische Parteien – wie ausgeführt – der öffentlichen Auseinandersetzung stellen müssen und Teil dieser öffentlichen Auseinandersetzung auch Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei als verfassungsfeindlich sind.
294Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 21.
295Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall oder erwiesen extremistische Bestrebung kann aber gravierende Auswirkungen auf die politische Betätigung der Partei haben, weil sie der Partei erschweren kann, Anhänger und Wähler für sich zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen.
296Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 95.
297Darin liegt nicht automatisch eine Verletzung des Rechts politischer Parteien auf Chancengleichheit. Es ist – wie bereits dargelegt – gerade ein legitimes Ziel und von der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ gedeckt, die Öffentlichkeit über den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch deshalb zu informieren, um sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der betreffenden Partei anzuhalten und möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Es ist aber in besonderer Weise darauf zu achten, dass die Äußerungen zur Einordnung als Verdachtsfall mit der gebotenen Sachlichkeit erfolgen und nicht der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die betroffene Partei oder Gruppierung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.
298Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 22 f., und vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 78; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 7. August 2018 – 5 A 1698/15 –, juris, Rn. 128 ff. (zu § 3 Abs. 3, § 5 Abs. 7 VSG NRW); Hess. VGH, Beschluss vom 3. März 2021 – 7 B 190/21 –, juris, Rn. 24 ff. (zu § 2 Abs. 1 Satz 4 VSG Hessen); Brandt, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, VIII § 2 Rn. 38 ff.
299Dementsprechend sind an die grundsätzliche Befugnis zur Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall hier im Ergebnis keine strengeren Anforderungen zu stellen als an die grundsätzliche Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die über einen längeren Zeitraum beobachteten deutlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründeten bereits am 15. Januar 2019 einen gewichtigen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der es rechtfertigte, die Öffentlichkeit über die Beobachtung durch das Bundesamt zu unterrichten.
3003. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat ermessensfehlerfrei angenommen, dass ein öffentliches Interesse an der Bekanntgabe bestand und die Klägerin und die Mitglieder des „Flügel“ dadurch nicht unverhältnismäßig in ihrer politischen Betätigung beschränkt wurden.
301Angesichts der politischen Bedeutung der Klägerin, die im Jahr 2019 im Deutschen Bundestag, in sämtlichen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertreten war, bestand ein erhebliches öffentliches Interesse, über die Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung unterrichtet zu werden. Da sich der „Flügel“ zum Ziel gesetzt hatte, auf die politische Arbeit und Ausrichtung der Klägerin Einfluss zu nehmen, musste grundsätzlich auch damit gerechnet werden, dass sich mögliche oder feststellbare verfassungsfeindliche Bestrebungen des „Flügel“ auch in der Klägerin verbreiten werden.
302Je größer die Anhängerschaft einer Partei ist, umso größer ist auch das Bedürfnis, möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken, auch wenn nicht feststeht, ob sie tatsächlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Die öffentliche Bekanntgabe, dass eine innerhalb der Klägerin gebildete Gruppierung als Verdachtsfall und erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft und beobachtet wird, ist nicht darauf gerichtet, die Klägerin als Partei zu schwächen, sondern soll die Öffentlichkeit auf mögliche Gefahren hinweisen. Gerade wenn nur bei einzelnen Gruppen oder Personen innerhalb der Klägerin Anhaltspunkte oder Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, kann sich die Klägerin der politischen Auseinandersetzung auch stellen, indem sie ihre Zielsetzungen erläutert und missverständlichen Äußerungen und verfassungswidrigen Forderungen einzelner Parteimitglieder entgegentritt.
303Die sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen des „Flügel“ sammelt und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzt, belastete die Klägerin und die Mitglieder des „Flügel“ daher auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere wurde mit der Bezeichnung als Verdachtsfall in keiner Weise der Eindruck erweckt, es stehe fest, dass der „Flügel“ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Der Begriff „Verdachtsfall“ findet sich nicht im BVerfSchG, ist aber eine inhaltlich zutreffende Beschreibung für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen.
304Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29, und vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23.
305Die öffentliche Bekanntgabe, dass der „Flügel“ am 12. März 2020 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde, war ebenfalls eine inhaltlich zutreffende und sachlich formulierte Mitteilung. Sie beinhaltete die – wie oben dargelegt – zutreffende rechtliche Wertung, dass die gesammelten Erkenntnisse zum damaligen Zeitpunkt den Schluss rechtfertigten, dass der „Flügel“ tatsächlich Bestrebungen verfolgte, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren. Zur Bekanntgabe dieser Bewertung war das Bundesamt nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG berechtigt. Wie bereits dargelegt war die entsprechende rechtliche Prüfung bis zur Neufassung des § 16 Abs. 1 BVerfSchG sogar eine Voraussetzung für die Unterrichtung der Öffentlichkeit.
306Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12 ff.
307In welcher Form sich das Bundesamt abgesehen von der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung des „Flügel“ als Verdachtsfall und erwiesen rechtsextremistische Bestrebung weiter über den „Flügel“ und die Gründe für seine Beobachtung äußern durfte, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens, ebenso wenig die Aufnahme des „Flügel“ in den Verfassungsschutzbericht des BMI nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG.
308Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
309Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil ein über den Einzelfall hinausgreifendes, allgemeines rechtliches Interesse an der höchstrichterlichen Klärung einer für den erkennenden Senat erheblichen Frage des revisiblen Rechts nicht besteht. Die maßgeblichen Rechtsfragen der Beobachtung einer parteiinternen Gruppierung auf Grundlage der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG sowie deren Bekanntgabe nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG sind in der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.