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1.
Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt auch zur Beobachtung politischer Parteien. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen steht im Einklang mit Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
2.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes konzentriert sich auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
3.
Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
4.
Bestrebungen in diesem Sinn erfordern ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen.
5.
Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen.
6.
Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten der Partei widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
7.
Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz zielt nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
8.
Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen; die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin ist eine im Deutschen Bundestag, in 14 deutschen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertretene politische Partei. Sie wendet sich dagegen, dass sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) als „Verdachtsfall“ beobachtet wird und das Bundesamt darüber öffentlich berichtet.
3Der Präsident des Bundesamts gab im Rahmen einer Pressekonferenz am 15. Januar 2019 bekannt, dass die Klägerin als „Prüffall“ bearbeitet werde. Dem Bundesamt lägen erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Politik der Klägerin vor. Diese seien jedoch nicht hinreichend verdichtet, um eine Beobachtung auch unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln einzuleiten. Die Jugendorganisation der Klägerin „Junge Alternative für Deutschland“ (im Folgenden: JA) und die innerhalb der Klägerin gebildete Sammlungsbewegung „Der Flügel“ (im Folgenden: „Flügel“) um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke würden hingegen als „Verdachtsfälle“ eingestuft. Insoweit lägen jeweils stark verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um extremistische Gruppierungen handele. Dies ermögliche eine personenbezogene Auswertung und eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Dateien und Akten des Verfassungsschutzes; unter bestimmten besonderen Voraussetzungen könnten auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Im Hinblick auf die Klägerin werde das Bundesamt die Auswertung ihrer offen wahrnehmbaren Aktivitäten kontinuierlich weiterführen.
4Die Anhaltspunkte, die eine Prüffallbearbeitung der Klägerin erforderten, ergäben sich im Wesentlichen aus Aussagen von Funktionären und anderen Mitgliedern. Besonders relevant seien hier jene Verlautbarungen, die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar seien. Dies betreffe sowohl völkisch-nationalistische wie auch muslimfeindliche und andere fremden- und minderheitenfeindliche Aussagen.
5Hinsichtlich der JA zeige sich bereits an dem sogenannten Deutschlandplan, ihrem zentralen politischen Programm, sowie an zahlreichen Äußerungen von Funktionären, dass sie die Würde des Menschen als obersten Wert der Verfassung nicht respektiere. Sie ziele auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs und mache diejenigen, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehörten, in eindeutiger Weise verächtlich. Neben pauschalen Verunglimpfungen von Flüchtlingen, zum Beispiel wenn wiederholt von „Messermigration“ gesprochen werde oder Migranten grundsätzlich als rückständig, unzivilisiert und triebgesteuert bezeichnet würden, fordere die JA unter anderem eine generelle abendliche Ausgangssperre für alle männlichen Flüchtlinge, „um die Sicherheit für die Bevölkerung und vor allem der Frauen in Deutschland zu erhöhen“, und spreche mit Blick auf die Migration von einem drohenden „Bevölkerungsaustausch“. Die JA richte sich nach bisherigen Erkenntnissen auch gegen das Demokratieprinzip. Es lägen zahlreiche pauschal diffamierende Aussagen vor, die den Parlamentarismus absolut verächtlich machten, ohne dass eine Alternative benannt werde, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben pluralistischer Willensbildung entspreche. Das politische Konzept der JA stehe zudem im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip, insbesondere würden das Gewaltmonopol des Staates und die Rechtsbindung der Verwaltung in Frage gestellt.
6Beim „Flügel“ sei das Politikkonzept auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletze die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip, zudem werde der historische Nationalsozialismus immer wieder verharmlost. Der Erhalt eines organisch einheitlichen Volkes werde vom „Flügel“ als höchster Wert angesehen, hinter dem der Mensch als Individuum zurücktrete. Insbesondere außereuropäische Migranten könnten aus Sicht des „Flügel“ aufgrund naturgegebener Unterschiede nicht integriert werden. Ihnen solle eine Bleibeperspektive dauerhaft verwehrt werden. Diese völkische Haltung werde durch flüchtlings- und muslimfeindliche Positionen untermauert. Mittels einer aggressiven Wortwahl werde die von Migranten ausgehende Kriminalität krass überzeichnet. Vertreter des „Flügel“ wendeten sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen würden nur akzeptiert, wenn sie zur Umsetzung der durch den „Flügel“ vertretenen ideologischen Vorgaben führten. Anderenfalls würden revolutionäre Mittel angedeutet, so mit der Aussage: „Danach kommt nur noch: Helm auf.“
7Zur Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ sowie der JA und des Flügels als „Verdachtsfall“ veröffentlichte das Bundesamt am selben Tag auch eine Pressemitteilung und eine sogenannte „Fachinformation“.
8Das Bundesamt stützte seine Bewertung auf ein behördeninternes Gutachten („Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) und ihren Teilorganisationen“, im Folgenden: Gutachten I), in dem als (Zwischen-)Ergebnis einer im Frühjahr 2018 eingeleiteten Prüfung programmatische Schriften der Klägerin und der JA sowie eine Vielzahl sonstiger öffentlich zugänglicher Verlautbarungen von deren Organisationseinheiten, Funktionären und sonstigen Mitgliedern ausgewertet wurden. Unter anderem wurden die Internetseiten und Facebook-Profile aller AfD- und JA-Landesverbände untersucht, aber auch sonstige im Internet veröffentlichte Aussagen sowie Reden auf Parteitagen, im Wahlkampf oder bei sonstigen Versammlungen.
9Auf einen Eilantrag der Klägerin untersagte das Verwaltungsgericht Köln dem Bundesamt mit Beschluss vom 26. Februar 2019 im Wege der einstweiligen Anordnung, in Bezug auf die Klägerin zu äußern oder verbreiten, diese werde als „Prüffall“ bearbeitet (13 L 202/19, VG Köln). Die Einstufung des „Flügel“ und der JA war nicht Gegenstand des Verfahrens.
10Mit Schreiben vom 16. Dezember 2019 forderte die Klägerin das Bundesamt auf, es zu unterlassen, die JA und den „Flügel“ als Verdachtsfall einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, sowie es zu unterlassen, Daten über die JA und den „Flügel“ als „Verdachtsfall“ zu sammeln, zu speichern und/oder gespeichert zu lassen. Mit Schreiben vom 6. Januar 2020 lehnte das Bundesamt gegenüber der Klägerin ab, die geforderten Unterlassungserklärungen abzugeben. Die Klägerin erhob am 13. Januar 2020 Klage gegen die Einstufungen der JA (13 K 208/20, VG Köln) und des „Flügel“ (13 K 207/20, VG Köln). Am 4. März 2020 veröffentlichte Björn Höcke auf Facebook „Anmerkungen zu den Interpretationen des Verfassungsschutzes“, in denen er einzelne vom Bundesamt beanstandete Äußerungen erläutert.
11Im Rahmen einer Pressekonferenz am 12. März 2020 gab der Präsident des Bundesamts bekannt, dass das Bundesamt den „Flügel“ als „erwiesen extremistische Bestrebung“ eingestuft habe. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte hätten sich zur Gewissheit verdichtet. Es könnten entsprechende Verstöße gegen prägende Merkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – konstatiert werden. Außerdem sei ein signifikanter Bedeutungszuwachs der maßgeblichen Träger der extremistischen Bestrebungen im „Flügel“, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, festzustellen. Der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus erklärte, der „Flügel“ verfüge über ein geschätztes Personenpotential von etwa 7.000 Mitgliedern. Die Verdichtung der Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zeige sich insbesondere in einer quantitativen Verfestigung der den Extremismusverdacht begründenden Positionen. Björn Höcke und Andreas Kalbitz sowie sonstige Funktionäre und Anhänger des „Flügel“ zielten mit ihrer Agitation erneut auf die Umsetzung eines völkischen Gesellschaftskonzepts, das auf biologistischen Grundannahmen beruhe, ein ethnokulturell homogenes Staatsvolk postuliere, Migranten außereuropäischer Herkunft als grundsätzlich nicht integrierbar ausgrenze und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der organisch gewachsenen europäischen Völker sehe. Die diesen Ideologemen zugrundeliegende Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, die Vorrangstellung des Kollektivs gegenüber dem Einzelnen sowie die pauschale Ausgrenzung und Herabwürdigung von Minderheiten ständen im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, ebenso wie die fortgesetzte Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten. Dabei verbänden sich fremdenfeindliche Argumentationsmuster mit islamfeindlichen Ressentiments. Insbesondere Zuwanderern mit muslimischem Hintergrund würden in pauschaler Weise Negativeigenschaften wie kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion angelastet. Migranten und vor allem Muslimen werde als Folge der Zuschreibung negativer Attribute vielfach ein minderwertiger und untergeordneter Status zugesprochen und somit die Menschenwürde des Einzelnen beeinträchtigt. Aussagen der „Flügel“-Führungspersonen Björn Höcke und Andreas Kalbitz zeigten deutlich die von ihnen ausgehende Verachtung der derzeitigen demokratischen Ordnung und der legitimierten Repräsentanten des Volkes und lieferten damit Belege für Verstöße gegen das Demokratieprinzip. Beide sähen in der gegenwärtigen Politik keinen bloßen Gegner, sondern ein in Gänze verabscheuungswürdiges System, das sie z. B. mit dem DDR-Unrechtsstaat verglichen oder gleichsetzten. Den Parlamentarismus lehnten sie ab, ohne alternative, den Meinungspluralismus wahrende demokratische Staatsformen aufzuzeigen. In der Gesamtschau führten die verunglimpfenden Aussagen des „Flügel“ gegenüber Volksvertretern, denen totalitäre Merkmale zugeschrieben werden, zu einer Verächtlichmachung des Parlamentarismus mit dem Ziel, eine ausschließlich am konstruierten einheitlichen Volkswillen orientierte politische Ordnung zu etablieren.
12Das Bundesamt stützte seine Einstufung auf ein zweites behördeninternes Gutachten („Gutachten zur Einstufung des ‚Flügel‘ als erwiesen extremistische Bestrebung“, im Folgenden: Gutachten II), in dem neuere Aktivitäten und Aussagen von Anhängern des „Flügel“ aufgeführt und das Gesamtbild einer aktualisierten Bewertung unterzogen wurde.
13Am 20. März 2020 beschloss der Bundesvorstand der Klägerin mehrheitlich, dass er „als Ergebnis des morgigen ‚Flügel‘-Treffens eine Erklärung darüber [erwartet], dass sich der informelle Zusammenschluss ‚Flügel‘ bis zum 20. April 2020 auflöst“. Am 6. April 2020 fasste der Bundesvorstand der Klägerin einen weiteren Beschluss, in dem der „Flügel“ zu konkreten Schritten zur Umsetzung dieser Forderung aufgefordert wurde, namentlich „1) zu erklären, dass alle Obleute (Landesbeauftragten) abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind; 2) die Logonutzung ‚Der Flügel‘ zu beenden und alle eingetragenen und/oder beantragten Wort- und/oder Bildmarken an eine vom Bundesvorstand beauftragte Markenrechts-Kanzlei zu übertragen; 3) die Webseite(n) des ‚Flügels‘ abzuschalten; 4) den ‚Flügel‘-Onlineshop zu schließen sowie 5) die ‚Flügel‘-Facebookseite(n) sowie – falls vorhanden, ebenso Instagram und/oder Twitter-Accounts – zu beenden und die Admin-Rechte soweit möglich an die Bundesgeschäftsstelle zu übertragen.“
14Zum 30. April 2020 wurde der „Flügel“ formal durch Löschung des bestehenden Internetauftritts und aller Profile und Accounts in den sozialen Medien aufgelöst. Zuvor hatten Björn Höcke und Andreas Kalbitz in einer auf Facebook veröffentlichten Botschaft an die „Freunde des Flügels“ geschrieben: „Grundsätzlich kann nicht aufgelöst werden, was formal nicht existiert. Um die Einheit der Partei zu wahren und das Projekt einer politischen Alternative für Deutschland nicht zu gefährden, haben Björn Höcke und Andreas Kalbitz jedoch entschieden, diesem Wunsch nachzukommen. Wir fordern alle, die sich der Interessengemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des ‚Flügels‘ einzustellen.“
15Am 15. Mai 2020 beschloss der Bundesvorstand der Klägerin, die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, zum damaligen Zeitpunkt Mitglied im Bundesvorstand und Vorsitzender des Landesverbands Brandenburg sowie der dortigen Landtagsfraktion, aufzuheben, weil er bei seiner Aufnahme seine früheren Mitgliedschaften in der rechtsextremen und heute verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ und in der Partei „Die Republikaner“ verschwiegen habe. Das Bundesschiedsgericht der Klägerin bestätigte nachfolgend den Beschluss des Bundesvorstands, der dagegen gerichtete Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieb erfolglos (vgl. KG Berlin, Urteil vom 22. Januar 2021 – 7 U 1081/20 –, juris). Andreas Kalbitz blieb als parteiloser Abgeordneter Mitglied der Fraktion der Klägerin im brandenburgischen Landtag und gehört der Fraktion bis heute an.
16Am 9. Juli 2020 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (im Folgenden: BMI) den Verfassungsschutzbericht 2019, in dem über die Einstufung des „Flügel“ und der JA als „Verdachtsfall“ berichtet wird.
17Am Vortag des Bundesparteitags verabschiedete der Bundesvorstand der Klägerin am 27. November 2020 einen „Grundsatzbeschluss zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, in dem es unter anderem heißt: „1. Die AfD bejaht die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Sie tritt aktiv für die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde ein. 2. Wenn ein Mitglied sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist das ein sehr schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Partei.“ Dieser Beschluss wurde in der Partei teilweise auch kritisch gesehen. So bezeichnete Björn Höcke, damals wie heute Vorsitzender des Landesverbands Thüringen und der dortigen Landtagsfraktion, ihn auf einer Parteiveranstaltung am 5. Dezember 2020 als „ängstliches Bekenntnis zur Grundordnung unseres Staates“ und erklärte dazu unter anderem: „Anwürfe des Establishments dürfen nicht von der Parteiführung aufgenommen und schlimmstenfalls noch gegen innerparteiliche Gegner in Stellung gebracht werden. Im Gegenteil, sie sind konsequent und energisch zurückzuweisen.“
18Am 18. Januar 2021 veröffentlichte die Klägerin auf ihrer Website eine „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die auch von Vertretern der JA und des (ehemaligen) „Flügel“ unterzeichnet wurde und in der es unter anderem heißt: „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
19Am 19. Januar 2021 verkündeten mehrere Pressemeldungen, dass die Klägerin vom Bundesamt in der darauf folgenden Woche zum „Verdachtsfall“ erklärt werden solle. Daraufhin schrieb die Klägerin das Bundesamt am Morgen des 20. Januar 2021 an und forderte dieses mit Fristsetzung bis 18 Uhr desselben Tages auf, eine Unterlassungserklärung darüber abzugeben, dass es die Klägerin weder als „Verdachtsfall“ einstufen noch eine derartige Einstufung öffentlich bekannt geben werde. Mit Schreiben vom 21. Januar 2021 teilte das Bundesamt der Klägerin mit, dass es die gewünschte Unterlassungserklärung nicht abgeben werde.
20Am 21. Januar 2021 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
21Zugleich hat sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (13 L 105/21, VG Köln). Im Eilverfahren hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. März 2021 mitgeteilt, dass das Bundesamt die Klägerin am 25. Februar 2021 als „Verdachtsfall“ eingestuft habe, weil hinreichend verdichtete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge. Die Entscheidung sei auf der Grundlage einer zweijährigen weiteren Sammlung und Auswertung von offen verfügbaren Informationen seit der Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ getroffen worden, die in einem aktuellen behördeninternen Gutachten („Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“, im Folgenden: Gutachten III) dokumentiert seien. Nachdem am 3. März 2021 in verschiedenen Presseveröffentlichungen über die Einstufung und Beobachtung der Klägerin berichtet worden ist, hat das Verwaltungsgericht der Beklagten mit Beschluss vom 5. März 2021 als Zwischenentscheidung aufgegeben, es bis zur Entscheidung des Gerichts in dem Eilverfahren 13 L 105/21 zu unterlassen, die Klägerin als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen und dies erneut öffentlich oder nicht öffentlich bekannt zu geben. Am 15. Juni 2021 hat das BMI den Verfassungsschutzbericht 2020 veröffentlicht, in dem nur über die Einstufung des „Flügel“ als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ und der JA als „Verdachtsfall“ berichtet wird.
22Zur Klagebegründung hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht, dass sie vor der Einstufung durch das Bundesamt hätte angehört werden müssen. Außerdem sei das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) generell nicht auf politische Parteien anwendbar, weil Art. 21 GG eine abschließende Regelung enthalte und weitergehende Einschränkungen der politischen Tätigkeit auch nicht mit Art. 11 Abs. 2 EMRK zu vereinbaren seien. Über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheide allein das Bundesverfassungsgericht im dafür vorgesehen Verfahren. Bis zum Verbot müsse eine Partei ungestört und ungehindert agieren dürfen. Bereits die Einstufung als „Verdachtsfall“ und die öffentliche Bekanntgabe dieser Einstufung stellten daher gravierende Eingriffe in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit dar.
23Unabhängig davon verfolge sie keine verfassungsfeindlichen Ziele, sondern grenze sich mit einer Unvereinbarkeitsliste bewusst von extremistischen Organisationen ab. Insbesondere vertrete sie keinen „ethnischen Volksbegriff“, sondern erkenne vorbehaltlos an, dass zum Staatsvolk nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle deutschen Staatsangehörigen zählten und es keine Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe. Es sei dagegen ein legitimes politisches Ziel, das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen, ebenso die Forderung, die traditionell geprägte Zusammensetzung des deutschen Volkes nicht durch eine Masseneinwanderung aus anderen Kulturen strukturell stark zu verändern, solange diese Ziele nicht mit verfassungsfeindlichen Mitteln angestrebt würden, insbesondere deutsche Staatsangehörige nicht wegen anderer ethnisch-kultureller Herkunft ausgegrenzt oder diskriminiert werden sollten. Die rein deskriptive Verwendung des ethnischen Volksbegriffs könne nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden. Entscheidend sei, welche politischen Forderungen an den Begriff geknüpft würden. Staatsangehörigkeit und Volkszugehörigkeit könnten auseinanderfallen. Zudem sei auch dem Volksbegriff des Grundgesetzes immer schon eine abstammungsmäßige Komponente immanent gewesen, weil die Staatsangehörigkeit seit jeher vor allem durch Abstammung erworben worden sei. Das Geburtsortsprinzip, wonach auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben könnten, sei erst mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 eingeführt worden.
24Allein der Gebrauch typischerweise von Rechtsextremisten verwendeten Vokabulars sei nicht geeignet, tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu begründen. Begriffe wie „Überfremdung“, „Bevölkerungsaustausch“ und „Umvolkung“ ließen sich ohne Weiteres in verfassungskonformen Kontexten verwenden und hätten als solche keinen verfassungsfeindlichen Inhalt. Maßgeblich sei, ob mit der konkreten Verwendung des jeweiligen Begriffs eine verfassungsfeindliche Forderung zum Ausdruck gebracht werden solle. Den von der Gegenseite angeführten Äußerungen einzelner Parteimitglieder lasse sich auch keine systematische Herabwürdigung, Verächtlichmachung oder Diskriminierung von Ausländern, Flüchtlingen, Muslimen oder Menschen mit Migrationshintergrund entnehmen. So könne zum Beispiel nicht jede kritische Reaktion auf konkrete Straftaten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität als Ausdruck einer pauschalen Diffamierung von Migranten und Zuwanderern angesehen werden. Dass männliche Zuwanderer im Zusammenhang mit Straftaten, bei denen Messer verwendet würden, überproportional häufig zu finden seien, werde durch die Polizeilichen Kriminalstatistiken bestätigt. Muslimen werde weder ihr Recht auf ungestörte Religionsausübung abgesprochen noch würden sie pauschal verunglimpft oder ausgegrenzt. Die geäußerte Kritik richte sich ausschließlich gegen den Islamismus, radikale Islamisierungstendenzen, den „orthodoxen“ bzw. „politischen“ Islam, die Rechtsvorschriften der Scharia oder gegen einen Islam, der die deutsche Rechtsordnung nicht respektiere. Auch Vertreter anderer Parteien – insbesondere der CSU – äußerten sich kritisch zum Islam und forderten eine Begrenzung der Zuwanderung.
25Bei der Bewertung der Äußerungen von Parteimitgliedern verkenne das Bundesamt generell die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie. Gerade neuere politische Parteien versuchten häufig, durch überspitzt formulierte Meinungen Aufmerksamkeit zu erregen, um sich im politischen Diskurs zu behaupten. Äußerungen, die für sich genommen verfassungsrechtlich zulässig seien, könnten jedoch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Bestrebung dienen. Polemische Kritik einer Oppositionspartei gegenüber den übrigen Parteien oder der Bundesregierung sei nicht sogleich Kritik am parlamentarischen Regierungs- oder Demokratiesystem. Auch unberechtigte oder überzogene Kritik gehöre zur demokratischen Auseinandersetzung. Kritik an „den Parteien“, an den „etablierten Parteien“ oder an der „politischen Klasse“, möge sie auch überzogen oder nicht hinreichend differenziert sein, lasse für sich genommen nicht auf eine Ablehnung des Mehrparteiensystems schließen und dürfe somit auch nicht als Beleg für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung gewertet werden.
26Eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung könne auch nicht schon bei sogenannten „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden. Vielmehr sei erforderlich, dass die Partei von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht werde. Dies gelte auch bei der Einstufung als „Verdachtsfall“. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Partei „Die Republikaner“ seien insoweit übertragbar. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder sei eine Zurechnung zur Gesamtpartei zudem nur dann möglich, wenn jene in einem politischen Kontext stünden und die Partei sie gebilligt oder geduldet habe, obwohl Gegenmaßnahmen möglich und zumutbar seien, zum Beispiel Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen, Missbilligung oder zumindest „Distanzierung“. Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssten darüber hinaus stets von einem direkten Vorsatz begleitet sein. Tatsächlich seien problematische Äußerungen und Veröffentlichungen von Parteimitgliedern verschiedentlich zum Anlass für Parteiordnungsmaßnahmen genommen worden. Zum Beispiel habe der Bundesvorstand im Februar 2022 unter anderem beschlossen, eine Parteiordnungsmaßnahme gegen MdB Christina Baum zu prüfen und dem zuständigen Landesvorstand zu empfehlen, eine Parteiordnungsmaßnahme gegenüber Maximilian Krah MdEP auszusprechen, sowie Björn Höcke aufgefordert, zur nächsten Präsenzsitzung des Bundesvorstands zu erscheinen, um sich zu der Aussage „Alles für Deutschland“ zu erklären. Aufgrund der bekannt gewordenen „Bayern-Chatgruppe“ seien die Mitglieder Alois Ostermair und Hubertus Huber aus der Partei ausgetreten. Gegen die Mitglieder Georg Hock und Anne Cyron seien schriftliche Abmahnungen beschlossen und umgesetzt worden. Sowohl der Bundesvorstand als auch der Landesvorstand Bayern hätten sich von den Äußerungen distanziert. Der von dem Bundesamt als führende Figur des „Flügel“ eingestufte Andreas Kalbitz MdL habe seine Parteimitgliedschaft verloren. Zudem habe sich der „Flügel“ zum 30. April 2020 insgesamt aufgelöst. Weitere Personen, die von dem Bundesamt dem ehemaligen „Flügel“ zugerechnet worden seien, seien ausgeschlossen worden, es seien Parteiordnungsmaßnahmen gegen diese beschlossen worden oder diese seien bei innerparteilichen Wahlen und Aufstellungsversammlungen nicht mehr berücksichtigt worden. Der ohnehin kaum vorhandene Einfluss von Anhängern des „Flügel“ auf die Gesamtpartei habe sich drastisch reduziert. Der Landtagsabgeordnete Björn Höcke spiele auf Bundesebene keine relevante Rolle.
27Das Bundesamt habe sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen und handle aus politischen Motiven. Dies zeige sich insbesondere an der wiederholten Überschreitung rechtlicher Grenzen, angefangen bei öffentlichen Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung und des Bundesamts bis hin zur Weitergabe vertraulicher Informationen an die Presse und der gebrochenen Stillhaltezusage gegenüber dem Verwaltungsgericht, aber auch an der Ungleichbehandlung gegenüber der Partei „Die Linke“. Die Datensammlung des Bundesamts stelle zudem einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und unterliege daher einem Beweisverwertungsverbot. Auch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an der Erstellung des Folgegutachtens sei rechtswidrig. Vor dem Hintergrund der jahrelangen Praxis der Beklagten, V-Leute schon vor der Beobachtung in Parteien einzuschleusen, sei es außerdem Aufgabe der Beklagten darzulegen, welche Aussagen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden.
28Das Vorgehen des Bundesamts führe zudem zu einer unverhältnismäßigen Dauerbeobachtung. Eine Beobachtung als „Verdachtsfall“ müsse beendet werden, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt habe und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben seien. In gleicher Weise entfalle nach rund zwei Jahren auch die verfassungsschutzrechtliche Verwertbarkeit bestimmter Erkenntnisse, wenn keine vergleichbaren Fortsetzungsaktivitäten feststellbar seien.
29Die Öffentlichkeit dürfe über die Einstufung auch nicht unterrichtet werden. Eine Verdachtsberichterstattung über politische Parteien sei unzulässig, insbesondere im Vorfeld von Wahlen. Die Regelung des § 16 BVerfSchG sei insoweit verfassungskonform einschränkend auszulegen.
30Die Klägerin hat beantragt,
311. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
hilfsweise,
34die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
352. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
36hilfsweise,
37die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
383. der Beklagten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro anzudrohen,
394. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz am 25. Februar 2021 rechtswidrig war,
405. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Verdachtsfall“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war.
41Die Beklagte hat beantragt,
42die Klage abzuweisen.
43Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei hinsichtlich der Einstufung zum Verdachtsfall unzulässig, da es sich dabei um eine rein behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung handele. Erst wenn an die behördeninterne Einstufung Maßnahmen im Außenverhältnis geknüpft würden, sei Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen möglich. Jedenfalls sei die diesbezügliche Einordnung und Prüfung durch das Bundesamt in der Sache nicht zu beanstanden. Ausreichend sei dabei, dass konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis existierten, die bei vernünftiger Betrachtung auf das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen hindeuteten und die deshalb eine weitere Klärung erforderlich erscheinen ließen. Eine Beobachtung setze nicht voraus, dass die Partei von einer verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde. Abstufungen hinsichtlich der Art und Intensität der Beobachtung ergäben sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
44Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen fänden sich auf allen Parteiebenen, zum Teil in programmatischen Schriften, vor allem aber in einer großen Anzahl von Aussagen hochrangiger Funktionäre der Klägerin und ihrer Untergliederungen. Es beständen zunächst Anhaltspunkte dafür, dass in der Partei ein menschenwürdewidriger völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff vertreten werde. Das Konzept der Erhaltung der „ethnisch-kulturellen Identität" ziele darauf ab, das grundgesetzliche Verständnis des deutschen Volkes durch einen hiervon abweichenden, engeren Volksbegriff zu ersetzen, unter Ausklammerung der – nach welchen Kriterien auch immer – ethnisch nicht diesem Volk zugerechneten Menschen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit. Dabei stelle es keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar, überhaupt für eine restriktive Einwanderungspolitik oder für eine Förderung der nationalen Identität und Kultur einzutreten. Mit der Menschenwürdegarantie sei aber nicht zu vereinbaren, wenn die Zuwanderung nach ethnischen oder völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien gesteuert werden solle oder das Ziel verfolgt werde, das deutsche Volk in seinem ethnischen Bestand zu erhalten und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit auszuschließen. Soweit von einem „ethnisch-kulturellen“ Volksverständnis gesprochen werde, stelle das „kulturelle“ Identitätsmoment einen allenfalls untergeordneten, wenn nicht sogar vorgeschobenen Faktor dar, während es tatsächlich um die „ethnische“ Identität gehe. Dies zeige sich auch an der Verwendung von in rechtsextremistischen Kreisen gebräuchlichen Begriffen wie „Volkstod“, „Umvolkung“ oder „großer Austausch“, mit denen vor dem angeblichen Untergang des deutschen Volkes aufgrund der „Vermischung“ mit Einwanderern gewarnt werde. Insbesondere der führende Kopf des „Flügel“, Björn Höcke, vertrete dieses Volksverständnis. Aber auch bei anderen führenden Mitgliedern der Klägerin fänden sich Äußerungen, mit denen zum Ausdruck gebracht werde, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als vollwertige Mitglieder des deutschen Volkes angesehen würden.
45Die Anhaltspunkte für ein völkisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis entfielen auch nicht durch die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ der Klägerin vom 18. Januar 2021. Es dränge sich der Verdacht auf, dass die Erklärung prozesstaktisch motiviert sei und überdies keine wirkliche Abkehr von völkischen Vorstellungen bedeute. Zwar werde dort das „deutsche Staatsvolk“ als Summe aller Personen bezeichnet, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand habe. In Ziffer 2 der Erklärung werde sodann aber eine Unterscheidung zum „Deutschen Volk“ gemacht, welches langfristig erhalten werden solle. Dies lege nahe, dass das „deutsche Staatsvolk" ein rechtliches Gebilde, wohingegen das „deutsche Volk" ein dem rechtlichen Konstrukt vorausliegendes tatsächliches und „ethnisch-kulturell" bestimmtes Gebilde sei.
46Darüber hinaus finde sich in vielzähligen Verlautbarungen eine ausländer- und fremdenfeindliche Agitation, die in der Gesamtschau den Verdacht begründe, dass die Achtung der Menschenwürde für bestimmte Gruppierungen außer Geltung gesetzt werden solle. In zahlreichen Äußerungen würden Flüchtlinge und andere Migranten pauschal verunglimpft. Insbesondere in den sozialen Medien würden Flüchtlinge und Migranten verächtlich gemacht und in der Folge als minderwertig und vor allem als kriminell herabgewürdigt. Derartige Äußerungen, mit denen Ausländer und insbesondere Flüchtlinge pauschal als kriminell hingestellt würden, zielten darauf ab, Ängste, Unsicherheiten und Vorurteile zu schüren und seien damit letztlich auch geeignet, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen zu bereiten. Insbesondere Muslime würden aufgrund ihres Glaubens kontinuierlich pauschal diffamiert, herabgewürdigt und ausgegrenzt. Die pauschale Ablehnung des Islam führe zu Forderungen nach einer Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, die sich in ihrer verfassungsfeindlichen Zielrichtung gegen die freie Ausübung der Religionsfreiheit muslimischer Gläubiger richteten, bis hin zu Forderungen nach einer mittels „Re-Migration“ von Muslimen zu bewirkenden „De-Islamisierung“ Deutschlands. Dies sei nicht nur eine mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbare Diskriminierung, sondern stelle die Betroffenen unabhängig von ihrer persönlichen Haltung und ihrem persönlichen Rechtsstatus als unwert in Deutschland zu leben und schädlich dar und verletze sie im Kern ihres Achtungsanspruchs nach Art. 1 Abs. 1 GG. Daneben würden auch wiederholt antisemitische Argumentationsmuster gebraucht, die zumindest deutliche tatsächliche Anhaltspunkte für einen gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstoßenden Antisemitismus böten.
47Es lägen überdies gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip verfolge. Die Diffamierungen und Verunglimpfungen von politischen Gegnern und Vertretern des Staates zielten nicht auf eine – und sei es auch scharfe und polemische – Auseinandersetzung in der Sache, sondern auf eine generelle Herabwürdigung und Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Wiederholt fänden sich auf Seiten der Klägerin geschichtsrevisionistische Thesen, mit denen zwar die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht geleugnet und als solches verharmlost würden, aber die Aufarbeitung der Vergangenheit und die daraus gezogenen Lehren diskreditiert werden sollten. Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen zeigten sich auch in den häufigen Aufrufen zum „Widerstand“, die zum Teil auf den Willen zu einem Systemumsturz hindeuteten. Insbesondere hätten zahlreiche Funktionäre der bayerischen AfD in der geschlossenen Chatgruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ nicht nur die Bundesrepublik Deutschland als totalitäres System verunglimpft, das beseitigt werden müsse, sondern wiederholt Umsturzfantasien und Aufrufe zur Gewalt geäußert.
48Die für die Verfolgung von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen sprechenden tatsächlichen Anhaltspunkte entfielen auch nicht durch die Auflösung des „Flügel“, die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz, das Ergreifen diverser Parteiordnungsmaßnahmen, den Beschluss des Bundesvorstands vom 27. November 2020 oder die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ vom 18. Januar 2021. Mit der Selbstauflösung des „Flügel“ seien dessen bisherige Protagonisten, Mitglieder und Anhänger nicht aus der Partei ausgeschieden. Andreas Kalbitz sei unter anderem weiterhin parteiloses Mitglied der Landtagsfraktion. Einzelne Maßnahmen könnten als Belege für eine Distanzierung von antisemitischen Äußerungen angeführt werden. Das abstrakte Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei dagegen nicht geeignet, die konkreten Anhaltspunkte für dagegen gerichtete Bestrebungen zu entkräften. Letztlich könnten die von der Klägerin angeführten gegenläufigen Äußerungen und Maßnahmen die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte in der Gesamtbetrachtung nicht ausräumen. Der am 28. Januar 2022 erklärte Rücktritt und Parteiaustritt des bisherigen Bundessprechers der Klägerin Jörg Meuthen, der sich bemüht habe, extremistischen Bestrebungen in der Partei entgegenzutreten, spreche vielmehr dafür, dass der Einfluss extremistischer Kräfte bei der Klägerin zunehmen werde.
49Eine zeitliche Obergrenze für die Beobachtung existiere nicht. Es sei vielmehr Aufgabe des Verfassungsschutzes, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, solange entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Das Bundesamt dürfe die Öffentlichkeit auch gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG über die Einstufung der Klägerin als „Verdachtsfall“ informieren. Der Verfassungsschutz als Instrument der wehrhaften Demokratie diene als Frühwarnsystem hinsichtlich Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Information der Öffentlichkeit solle die politische Auseinandersetzung mit den betreffenden Bestrebungen ermöglichen.
50Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei im Hinblick auf den Klageantrag zu 5. unzulässig. Die auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bezogene Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung sei bereits im Rahmen des mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zu prüfen. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Ermächtigungsgrundlage für die Einordnung, Prüfung und Beobachtung der Klägerin durch das Bundesamt sei § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG. Die Vorschrift stehe insoweit auch im Einklang mit Art. 21 Abs. 1 GG und der EMRK. Die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie rechtfertige den Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien. Es lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin vor. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass bei den der Klägerin zuzuordnenden Teilorganisationen JA und „Flügel“ jeweils tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen von hinreichendem Gewicht vorlägen und alles andere als ausgeschlossen sei, dass diese sich mit ihren verfassungsfeindlichen Positionen in der Klägerin durchsetzten. Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ließen sich aber auch aus den Verlautbarungen von führenden Repräsentanten der Gesamtpartei entnehmen. Es fänden sich viele Äußerungen, die die Menschenwürdegarantie verletzten. Das in den Äußerungen zutage tretende Volksverständnis widerspreche dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und sei geeignet, Zugehörige anderer Ethnien auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Eine wirkliche Abkehr von diesem Volksverständnis ergebe sich auch nicht aus der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, so dass dahinstehen könne, ob die Erklärung aus (prozess-)taktischen Gründen abgegeben worden sei. Es trete außerdem das Ziel zutage, Migranten – insbesondere Muslime – auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handele sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger. Aus dem Grundtenor der Aussagen lasse sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens der Klägerin und ihrer Teilorganisationen JA und „Flügel“ seien. Die Anhaltspunkte entfielen auch nicht durch die Reaktionen der Klägerin auf die im Einzelnen beanstandeten Äußerungen. Dass es innerhalb der Klägerin Bemühungen gebe, verfassungsfeindliche Äußerungen zu sanktionieren und ihnen entgegen zu treten, sei nicht insgesamt infrage zu stellen. Die genannten Maßnahmen seien aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung jedenfalls nicht geeignet, die tatsächlichen Anhaltspunkte insgesamt entfallen zu lassen. Die Entscheidung des Bundesamts für eine entsprechende Einstufung und Beobachtung der Klägerin begegne auch auf der Rechtsfolgenseite keinen Bedenken. Das Bundesamt habe, sofern es hierauf überhaupt ankommen sollte, ermessenfehlerfrei gehandelt. Insbesondere seien die Maßnahmen verhältnismäßig. Die Beobachtung der Klägerin durch das Bundesamt sei geeignet und erforderlich, den auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Verdacht der verfassungsfeindlichen Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wiege dabei schwerer als der Eingriff in die Rechte der Klägerin. Ermächtigungsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung als „Verdachtsfall“ sei § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Sie diene der Aufklärung der Öffentlichkeit zur zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz ziele nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen wie ein Parteienverbot vorzubereiten, sondern solle die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
51Mit Beschluss vom 10. März 2022 hat das Verwaltungsgericht nachfolgend auch den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (13 L 105/21, juris) abgelehnt und zur Begründung die wesentlichen Erwägungen des Urteils vom 8. März 2022 wiederholt bzw. auf diese Bezug genommen. In einem Interview mit dem ZDF-Morgenmagazin am 19. Mai 2022 bestätigte der Präsident des Bundesamts, dass die Klägerin mittlerweile auch als Gesamtpartei als „Verdachtsfall“ bearbeitet werde, auch unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Am 7. Juni 2022 veröffentlichte das BMI den Verfassungsschutzbericht 2021, in dem über die Einstufung des „Flügel“ und der JA als „Verdachtsfall“, aber noch nicht über die Einstufung der Klägerin berichtet wird. Am 18. Juni 2022 wählte die Klägerin auf ihrem Parteitag einen neuen Bundesvorstand. Als Bundessprecher wurden Alice Weidel und Tino Chrupalla gewählt, als Beisitzer unter anderem erstmalig Maximilian Krah und Christina Baum.
52Am 20. Juni 2023 stellten die Bundesministerin des Innern und für Heimat und der Präsident des Bundesamts den Verfassungsschutzbericht 2022 vor, in dem die Einstufung der Klägerin und der JA als „Verdachtsfall“ erläutert wird. Am gleichen Tag äußerte sich der Präsident des Bundesamts hierzu in einem Interview gegenüber dem ZDF heute journal und führte unter anderem aus, es gebe bei der Klägerin starke Strömungen, die verfassungsfeindlich agierten, und es sei wichtig, über die Partei und ihre Bestrebungen aufzuklären, um die gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, sich diesem Trend stärker entgegenzustellen. Er führte wörtlich aus: „Denn nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der [Klägerin] zu senken, dazu haben wir keinerlei Möglichkeiten. Aber wir können die Bevölkerung wachrütteln, wir können Politiker wachrütteln, und ja, der Kampf für unsere Demokratie muss in der Gesamtgesellschaft geführt werden.“ In einer von der Pressestelle des Bundesamts am 30. Juli 2023 verbreiteten Mitteilung und einem Interview in den Tagesthemen am 7. August 2023 äußerte sich der Präsident des Bundesamts erneut zur Klägerin und erklärte, deren Europawahlversammlung belege einmal mehr die Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen beständen, deren Einfluss weiter zunehme. Nach dem Austritt des früheren Bundessprechers Jörg Meuthen und anderen gemäßigteren Parteimitgliedern hätten Björn Höcke und die Personen, die man dem früheren „Flügel“ habe zurechnen können, deutlich an Einfluss gewonnen.
53Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung nimmt die Klägerin zunächst Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und wiederholt und vertieft ihre bisherige Argumentation. Insbesondere bekräftigt sie, dass es nicht mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren sei, verfassungsrechtlich zulässige Äußerungen als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen heranzuziehen, und macht geltend, dass die vom Verwaltungsgericht angeführte diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht haltbar sei. Unabhängig davon sei die Verwendung eines „ethnischen Volksbegriffs“ kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Anerkennung einer ethnisch-kulturellen Identität stelle die staatsbürgerlichen Rechte von Deutschen mit Migrationshintergrund in keiner Weise in Frage. Das Grundgesetz selbst unterscheide zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der deutschen Volkszugehörigkeit. Migrations- oder islamkritische Äußerungen seien ebenfalls keine Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen. Die Klägerin macht darüber hinaus ergänzend unter anderem geltend, das Verwaltungsgericht habe lediglich Einzelaussagen aneinandergereiht, aber nicht begründet, warum diese nicht als „Entgleisungen“ Einzelner anzusehen seien, und habe insgesamt entlastende Aspekte nicht hinreichend berücksichtigt. Die Äußerungen innerhalb der „Bayern-Chatgruppe“ seien nicht belegt, die diesbezüglich eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seien eingestellt worden. Neu zu beachten seien nunmehr auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) sowie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 2022 zu §§ 20, 21 BVerfSchG. Denn danach hätte das Verwaltungsgericht die Anträge zur „Beobachtung“ zumindest in Teilen, vor allem im Hinblick auf den Einsatz von V-Leuten und hinsichtlich der Datenübermittlung an andere Behörden, nicht abweisen dürfen, da die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des BVerfSchG unter den identischen verfassungsrechtlichen Mängeln des BayVSG litten und daher verfassungswidrig seien. Im gerichtlichen Verfahren sei nicht nur aufzuklären, welche Äußerungen von Personen getätigt worden seien, die im Einflussbereich des Staates stünden, sondern auch ob und in welchem Umfang Vertrauenspersonen und andere menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerin eingesetzt worden seien und ob und in welchem Umfang staatliche Stellen die Prozessstrategie der Klägerin ausgespäht hätten. Für den auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bezogenen Feststellungsantrag zu 5. bestehe wegen der breiten medialen Rezeption des erstinstanzlichen Urteils ein eigenständiges Feststellungsinteresse. Die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ sei im Übrigen schon deshalb rechtswidrig, weil die Kategorienbildung des Bundesamts („Prüffall“, „Verdachtsfall“ und „erwiesen extremistische Bestrebung“) im BVerfSchG nicht vorgesehen sei. Für die Beobachtung als „Prüffall“ gebe es keine Rechtsgrundlage; dies führe zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der in diesem Zeitraum gesammelten Erkenntnisse. Die politische Motivation des Bundesamts werde nunmehr auch durch die Aussagen des Präsidenten des Bundesamts im Sommer 2023 belegt, insbesondere durch die Erklärung im ZDF heute journal vom 20. Juni 2023, wonach es Aufgabe des Verfassungsschutzes sei, die Umfragewerte der Partei zu senken. Sein Amtsvorgänger habe öffentlich erklärt, dass es politischen Druck gegeben habe, die Klägerin unbedingt zu beobachten. Die Bundesministerin des Innern und für Heimat habe sich zum Ziel gesetzt, die Klägerin zu bekämpfen. Dies zeige sich nicht zuletzt an den Presseberichten über eine Leitungsklausur im BMI im Januar 2024, in der an einem „BMI-Wunschbaum“ auch die Forderung nach einer „Strategie zur Bekämpfung der AfD“ angebracht und von der Ministerin nicht moniert worden sei.
54Die Klägerin beantragt,
55das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln abzuändern und
561. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu Ziffer 1,
59die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Klägerin aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
602. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
61hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu Ziffer 2,
62die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung und der Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Verdachtsfall“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
633. der Beklagten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und/oder 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen,
644. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz am 25. Februar 2021 rechtswidrig war,
655. festzustellen, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Verdachtsfall“ im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Köln am 8. März 2022 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig war,
666. hilfsweise, soweit der Senat in der Sache eine weitere Verhandlung für erforderlich hält, weil das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 (13 K 326/21) aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Köln zurückzuverweisen.
67Die Beklagte beantragt,
68die Berufung zurückzuweisen.
69Sie verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor: Es könne dahinstehen, ob und inwieweit die Maßgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 zum BayVSG auf die teilweise anders formulierten und konzipierten Vorschriften des BVerfSchG übertragbar seien. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung der Klägerin als Verdachtsfall einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung hänge vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 3, 4 BVerfSchG ab, nicht davon, ob und gegebenenfalls welche nachrichtendienstlichen Mittel im Rahmen dieser Beobachtung eingesetzt werden könnten. Die Anhänger des ehemaligen „Flügel“ fänden auch nach dessen erklärter Selbstauflösung innerhalb der Klägerin großen Rückhalt, eine Distanzierung finde nicht statt; Björn Höcke habe seinen Einfluss auf die Gesamtpartei weiter gestärkt, und auch Andreas Kalbitz trete weiter bei Parteiveranstaltungen auf und werde offen durch seinen Landesverband unterstützt. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergäben sich nicht nur aus Einzelaussagen einfacher Parteimitglieder, sondern auch aus zahlreichen Äußerungen hochrangiger Funktionäre und Abgeordneter wie Alice Weidel, Björn Höcke, Maximilian Krah oder Christina Baum. Die von der Klägerin als entlastende Umstände angeführten Erklärungen und Parteiordnungsverfahren könnten die tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen nicht so weit entkräften, dass die Einstufung als Verdachtsfall unzutreffend wäre. Insbesondere seien die Parteiordnungsverfahren innerhalb der Klägerin zum Teil scharf kritisiert worden und zahlreiche verfassungsfeindliche Äußerungen unbeanstandet geblieben. Das Bundesverfassungsgericht habe keine Bedenken gegenüber einem Einsatz von Vertrauenspersonen vor Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens geäußert und auch für das Parteiverbotsverfahren nur festgestellt, dass ein Verbotsantrag nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden dürfe, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst worden sei. Es würden keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt, um Informationen über die Prozessstrategie der Klägerin zu erhalten. Sofern zufällig Erkenntnisse anfielen, die die Prozesstaktik der Gegenseite beträfen, würden diese nicht zur Akte genommen und entsprechend nicht berücksichtigt. Der Vorwurf, das Bundesamt lasse sich bei der Entscheidung über die Beobachtung der Klägerin von parteipolitischen Erwägungen leiten oder sei einem entsprechenden Druck des BMI ausgesetzt, sei geradezu abwegig. Die Einstufung der Klägerin beruhe auf einer umfangreichen Sammlung von Materialien, die in den verschiedenen Gutachten und Schriftsätzen sachlich und unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäbe bewertet worden seien.
70Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Gleiches gilt für die von den Beteiligten eingeführten Inhalte der Verfahren 5 A 1216/22, 5 A 1217/22, 5 B 757/23 und des vor dem Verwaltungsgericht Köln geführten Eilverfahrens 13 L 105 /21.
71Entscheidungsgründe
72Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ihre Klage ist zulässig, aber unbegründet.
73A. Die Klage ist zulässig.
74I. Für die mit den Klageanträgen zu 1. und 2. geltend gemachten Unterlassungsansprüche ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage die statthafte Klageart, für die mit den Klageanträgen zu 4. und 5. formulierten Feststellungsbegehren die Feststellungsklage.
75Der Senat versteht – wie bereits das Verwaltungsgericht – das von der Klägerin formulierte Rechtsschutzbegehren, der Beklagten zu untersagen, sie als „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, als einheitliches Unterlassungsbegehren, das darauf gerichtet ist, dem Bundesamt jede Tätigkeit zu untersagen, die an die Einstufung als „Verdachtsfall“ anknüpft. Die Beobachtung schließt das Sammeln und Auswerten von Informationen ein, womit die Klägerin zugleich als Beobachtungsobjekt geführt, behandelt und geprüft wird, und setzt die vorherige Einstufung als Beobachtungsobjekt voraus.
76Vgl. zum Begriff der Beobachtung: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 14.
77Die Klägerin wendet sich dabei nicht gegen die Beobachtung als solche, sondern konkret gegen die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ und hat dazu in der Klagebegründung ausgeführt, dass sie zuvor nur als „Prüffall“ behandelt worden sei und die „Hochstufung“ zum „Verdachtsfall“ und der damit verbundene Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln sie in ihren Rechten verletze. Die Klägerin hat dieses Begehren auch in ihren weiteren Schriftsätzen bestätigt und deutlich gemacht, dass sie bereits die Voraussetzungen für eine Einstufung als „Verdachtsfall“ nicht erfüllt sieht und deshalb in ihren Augen jede daran anknüpfende Maßnahme des Bundesamts rechtswidrig ist. Die auf die Rechtswidrigkeit der Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ bezogenen Feststellungsbegehren entsprechen inhaltlich dem diesbezüglichen Unterlassungsbegehren und beziehen sich lediglich auf einen anderen Zeitpunkt.
78Die von der Klägerin formulierten Unterlassungs- und Feststellungsanträge sind damit auch hinreichend bestimmt. Angesichts der Vielzahl möglicher Einzelhandlungen bei der Sammlung und Auswertung von Informationen ist eine weitere Konkretisierung des Klageantrags nicht erforderlich. Eine Unterlassungsklage, mit der ein drohendes tatsächliches Verwaltungshandeln abgewehrt werden soll, ist statthaft, wenn sich das Handeln hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere die für eine Rechtmäßigkeitsprüfung erforderliche Bestimmtheit aufweist.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 6 A 6.16 –, BVerwGE 161, 76, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 6. September 1994 – 25 B 1507/94 –, NVwZ-RR 1995, 278.
80Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat ihre Anträge dahingehend konkretisiert, dass sie sich gegen eine Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ wendet. Damit bezieht sie sich auf die vom Bundesamt bekannt gegebene Einordnung, mit der das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG beschrieben wird. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ist die zentrale befugnisrechtliche Kategorie des BVerfSchG, die das Bundesamt zur nachrichtendienstlichen Sammlung und Auswertung von Informationen nach Maßgabe der §§ 8 ff. BVerfSchG berechtigt.
81Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 18, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29.
82Die aus § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG abgeleitete Befugnis des Bundesamts, die Klägerin wegen des Verdachts gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen zu beobachten, stellt auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinn von § 43 VwGO dar. Damit ist nicht lediglich eine Vorfrage angesprochen, die gegebenenfalls bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit konkreter Beobachtungsmaßnahmen zu berücksichtigen ist. Die generelle Berechtigung des Bundesamts zum Sammeln und Auswerten von Informationen stellt ein eigenständiges übergreifendes Rechtsverhältnis dar. Innerhalb dieser Rechtsbeziehung zwischen Klägerin und Beklagter können weitere nachgeordnete Rechtsverhältnisse im Streit stehen, die sich zum Beispiel auf die Beobachtung bestimmter Personen oder den Einsatz bestimmter Beobachtungsmittel beziehen. Dies hindert die Klägerin aber nicht, die generelle Befugnis des Bundesamts zur Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ überprüfen zu lassen.
83Soweit die Klägerin erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragen hat, dass ihrer Klage zumindest teilweise, in Bezug auf den Einsatz bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel stattzugeben sei, weil einzelne Regelungen im BVerfSchG verfassungswidrig seien, betrifft dies einen anderen Streitgegenstand, der im bisherigen Klagegrund nicht enthalten war. Dessen Einbeziehung im Weg der Klageänderung hat die Beklagte widersprochen; sie ist auch nicht als sachdienlich im Sinn von § 91 VwGO anzusehen. Der Einsatz einzelner nachrichtendienstlicher Mittel ist in den §§ 8 ff. BVerfSchG näher geregelt. Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren weder ausdrücklich noch sinngemäß mit dem Vorliegen der besonderen Voraussetzungen für den Einsatz dieser Mittel befasst, sondern ausschließlich die Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ angegriffen. Damit hat sie den für den Streitgegenstand maßgeblichen Lebenssachverhalt festgelegt, aus dem sie die mit dem Klageantrag begehrte Rechtsfolge ableitet. Wenn sie ihren Unterlassungsanspruch nunmehr (zum Teil) darauf stützen möchte, dass eine bestimmte Art und Weise der Beobachtung rechtswidrig ist, obliegt es ihr zum einen, näher zu bezeichnen, welche konkreten aktuellen oder drohenden Maßnahmen sie abwehren möchte, und stellt dies zum anderen eine wesentliche Erweiterung des Klagegrunds dar, die den Abschluss des anhängigen Berufungsverfahrens und die weitere Klärung der bereits erstinstanzlich erörterten und entschiedenen Streitfragen wesentlich verzögern würde. Gegenstand ihres Unterlassungsbegehrens war in erster Instanz zu keinem Zeitpunkt eine bestimmte Form der Beobachtung, sondern generell jede Beobachtung und Behandlung als „Verdachtsfall“, unabhängig von den vom Bundesamt konkret eingesetzten Mitteln. Nur darüber hat das Verwaltungsgericht entschieden; mit der Klageabweisung hat es nicht zugleich festgestellt, dass jede denkbare Form der Beobachtung durch das Bundesamt rechtmäßig wäre. In gleicher Weise beziehen sich auch die Feststellungsanträge auf die generelle Befugnis zur Einstufung und Beobachtung der Klägerin und nicht auf die einzelfallabhängige Berechtigung des Bundesamts zum Einsatz bestimmter Mittel.
84Die zu den Unterlassungsanträgen zu 1. und 2. formulierten Hilfsanträge unterscheiden sich im Streitgegenstand nicht von den jeweiligen Hauptanträgen. Die Klägerin hat lediglich Angaben zu dem für die Prüfung der geltend gemachten Unterlassungsansprüche maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eingefügt.
85Bei der unter 3. beantragten Androhung eines Ordnungsgelds handelt es sich nicht um einen eigenständigen Klageantrag, sondern um einen, schon im Erkenntnisverfahren zulässigen, auf die Vollstreckung der begehrten gerichtlichen Entscheidung zu den Klageanträgen zu 1. und 2. bezogenen Antrag nach § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 890 Abs. 2 ZPO.
86Die im Hilfsantrag zu 6. formulierten Bedingungen, mit denen die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgreift, liegen nicht vor, so dass über den Antrag nicht zu entscheiden ist. Der Hilfsantrag zu 6. ist ein zulässiger prozessualer Antrag nach § 130 Abs. 2 VwGO, den die Klägerin unter der innerprozessualen Bedingung gestellt hat, dass nach der rechtlichen Bewertung des Senats die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen. Über diesen Antrag ist nicht zu entscheiden, da – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig, sondern der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegen.
87II. Die Unterlassungs- und Feststellungsanträge zu 1., 2., 4. und 5. sind auch im Übrigen zulässig.
88Die für die Unterlassungsanträge entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus der möglichen Verletzung ihrer durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützten subjektiven Rechte als politische Partei. Das Bundesamt ist weiterhin der Auffassung, dass tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vorliegen, die es zur Sammlung und Auswertung von Informationen über die Klägerin berechtigen, und hat die zwischenzeitlich ausgesetzte Bearbeitung als „Verdachtsfall“ auch tatsächlich wieder aufgenommen. Die Einstufung als solche ist zwar für sich genommen eine behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung, die die Klägerin nicht in ihren Rechten berührt. Sie ist aber ein untrennbarer Bestandteil der außenwirksamen Beobachtung und Informationssammlung und von der Klägerin auch als solcher angegriffen.
89Die Klägerin hat auch ein besonderes Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die begehrte umfassende Untersagung der weiteren Bearbeitung als „Verdachtsfall“, auch wenn der künftige Einsatz einzelner nachrichtendienstlicher Mittel noch nicht soweit bestimmt oder absehbar ist, dass eine diesbezügliche Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Gerichte möglich wäre. Die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG vorliegen, ist die Mindestvoraussetzung für die fortdauernde Beobachtung der Klägerin, unabhängig vom Einsatz bestimmter Beobachtungsmittel.
90Siehe auch Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 60 ff.
91Die Klägerin hat auch ein im Sinn von § 43 Abs. 1 VwGO berechtigtes Interesse an der auf bestimmte Zeitpunkte oder Zeiträume in der Vergangenheit bezogenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“. Die damit verbundenen Auswirkungen auf ihre durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Betätigung als politische Partei begründen ein beachtliches Rehabilitationsinteresse, das nicht bereits durch die zugleich erhobene Unterlassungsklage abgedeckt ist, weil bei der Prüfung der Begründetheit der Unterlassungsanträge (allein) die aktuelle Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist.
92Der Zulässigkeit des Klageantrags zu 5. steht im Berufungsverfahren auch nicht mehr die Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO entgegen. Das mit dem Klageantrag zu 5. verfolgte Feststellungsbegehren ist auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. März 2022 gerichtet; dieses Begehren und der mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Unterlassungsanspruch beziehen sich damit nunmehr auf unterschiedliche Zeitpunkte.
93B. Die Klage ist unbegründet.
94I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt (Klageantrag zu 1.). Die auf die Rechtswidrigkeit ihrer Einstufung und Beobachtung am 25. Februar 2021 und 8. März 2022 bezogenen Feststellungsanträge sind ebenfalls unbegründet (Klageanträge zu 4. und 5.).
95Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass die streitgegenständliche hoheitliche Tätigkeit aktuell rechtswidrig ist. Die vergangenheitsbezogenen Feststellungsbegehren beziehen sich auf die Rechtmäßigkeit zu den von der Klägerin genannten Zeitpunkten. Die Beobachtung der Klägerin durch das Bundesamt war und ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Bundesamt durfte und darf die Klägerin auch weiterhin beobachten und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.
961. Rechtsgrundlage für die Einstufung und Beobachtung der Klägerin als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt ist § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG.
97Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten. Das BVerfSchG knüpft hier an die Begriffsdefinition in § 46 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz an, wonach die Verarbeitung auch das Erheben, Speichern und Nutzen der Daten umfasst.
98Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) vom 24. Februar 2017, BT-Drs. 18/11325, S. 121.
99Zu den Aufgaben des Bundesamts gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG unter anderem die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung der Informationen ist nach § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für solche Bestrebungen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. In § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannt werden das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchst. a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Buchst. b), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchst. c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Buchst. d), die Unabhängigkeit der Gerichte (Buchst. e), der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchst. f) und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchst. g).
100Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG darf das Bundesamt Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dabei darf nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Individualrechte nur nach Maßgabe besonderer Befugnisse eingegriffen werden. So ist in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BVerfSchG unter der Überschrift „Besondere Formen der Datenerhebung“ geregelt, dass das Bundesamt Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG erheben darf, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können, und die Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Die Anwendung einzelner Mittel unterliegt weiteren besonderen gesetzlichen Voraussetzungen, so nach §§ 9a und 9b BVerfSchG für den Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten.
101Sind zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG verschiedene Maßnahmen geeignet, hat das Bundesamt nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Nach § 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG darf eine Maßnahme keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.
102§ 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG ist danach die Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung und als solche zugleich Voraussetzung für die einzelfallbezogene Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel im Sinn des § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, insbesondere nach der diesbezüglichen Generalklausel des § 9 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG.
103Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 245 ff., 345 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 8 BVerfSchG Rn. 3 ff.
104Die in Rede stehenden Vorschriften ermächtigen das Bundesamt zu Maßnahmen der Informationsbeschaffung und zwar entsprechend der Aufgabe des Amtes, politische Vorfeldaufklärung ohne operative Verantwortung in Bezug auf konkrete Gefährdungslagen zu betreiben, geknüpft an die niedrige Eingriffsschwelle eines bloßen Verdachts.
105Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25.
106Die genannten Vorschriften des BVerfSchG ermächtigen auch zur Beobachtung politischer Parteien. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 und 3 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
107Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 153, 220, 239, vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 418, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 u. a. –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 77 f. (Senatsminderheit).
108Dies gilt auch bei einem bloßen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, also wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.
109Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 31, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 27.
110Die durch Art. 21 GG geschützte besondere Stellung politischer Parteien steht dem nicht entgegen.
111Art. 21 GG stattet die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem so genannten Parteienprivileg) aus. Diese findet ihren Ausdruck vor allem darin, dass die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können. Das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts schließt ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch so feindlich verhalten. Die Partei kann zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Tätigkeit der Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Die Partei handelt, auch wenn sie verfassungsfeindliche Ziele propagiert, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz.
112Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 224, und Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 68 f. (Senatsminderheit) m. w. N.
113Die nachrichtendienstliche Beobachtung kann aber zum einen notwendig sein, um ein Parteiverbots- oder ein Finanzierungsausschlussverfahren nach Art. 21 Abs. 4 GG vorzubereiten. Da verfassungswidrige Parteien häufig aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiern und sich konspirativ verhalten, müssen die Verfassungsschutzämter in der Lage sein, ihre Informationen ebenfalls unter Geheimhaltung und Tarnung zu gewinnen, um der geheimen Arbeitsweise der Verfassungsgegner auf die Spur zu kommen. Daher ist es grundsätzlich erforderlich, zur Informationsgewinnung auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen.
114BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 147 (Senatsmehrheit) m. w. N.
115Wie bereits das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen aber nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Um die Überschreitung der Linie feststellen zu können, von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mitteln, sondern nur noch mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muss dieses Vorfeld notwendig beobachtet werden.
116Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
117In gleicher Weise hat auch das Bundesverfassungsgericht die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz schon früher als vereinbar mit der durch Art. 21 GG geschützten Parteienfreiheit angesehen und dazu ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn eine Partei im Verfassungsschutzbericht genannt wird, aber die Bundesregierung es vorzieht, das Parteiverbotsverfahren nicht einzuleiten, weil die politische Auseinandersetzung mit ihr ausreicht oder wirkungsvoller die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen vermag als ein förmliches Parteiverbot.
118Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Oktober 1975 – 2 BvE 1/75 –, BVerfGE 40, 287, juris, Rn. 16, 20, und vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, BVerfGE 39, 334, juris, Rn. 62.
119Wie das Bundesverwaltungsgericht weiter dargelegt hat, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener. Dies gilt auch für politische Parteien.
120BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25.
121Das Bundesverfassungsgericht hat das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, weil die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nicht gewahrt war, hat aber die vom Bundesverwaltungsgericht zugrunde gelegten allgemeinen Maßstäbe zu den Voraussetzungen einer Beobachtung von politischen Parteien und Abgeordneten durch den Verfassungsschutz nicht in Frage gestellt.
122Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.
123Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darf dabei nicht als zu enge Vorgabe verstanden werden, sondern erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG sowie zum Finanzierungsausschluss nach Art. 21 Abs. 3 GG aufgestellt hat, lassen sich insoweit vollumfänglich auf die Beobachtung politischer Parteien durch den Verfassungsschutz übertragen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, hat die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot oder ein Finanzierungsausschluss ausgelöst werden kann. Wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die politische Betätigung die Grenzen zulässiger politischer Willensbildung überschreitet, besteht dementsprechend auch kein Anlass für eine nachrichtendienstliche Beobachtung. Die katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute in § 4 Abs. 2 BVerfSchG steht dazu nicht in Widerspruch, sondern knüpft an die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, die nicht die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern die sich daraus ergebenden Ableitungen in den Vordergrund gestellt hatte.
124Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 248, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 529 ff.; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 49; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 6. April 1989, BT-Drs. 11/4306, S. 60; Unterrichtung durch den Bundesrat vom 26. Juni 1990, BT-Drs. 11/7504, S. 8.
125Die Anwendbarkeit des BVerfSchG auf politische Parteien steht auch im Einklang mit den Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insgesamt sehr strenge Anforderungen an ein Parteiverbot stelle, betrifft dies zum einen nicht die hier streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts und hat das Bundesverfassungsgericht zum anderen bereits ausführlich dargelegt, dass die grundgesetzlichen Maßstäbe für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei mit der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vereinbar sind.
126Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 607 ff.; zum Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 302 ff., 311 ff.
127Den für sonstige Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit geltenden Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 EMRK kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden.
128Vgl. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
129Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen die Ausnahmen in Art. 11 Abs. 2 EMRK bei politischen Parteien eng ausgelegt werden. Nur überzeugende und zwingende Gründe können eine Einschränkung ihrer Vereinigungsfreiheit rechtfertigen. Bei der Beurteilung, ob eine Einschränkung im Sinn von Art. 11 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, haben die Konventionsstaaten nur einen reduzierten Ermessensspielraum.
130Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 77, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u. a. – (Refah Partisi u. a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 100.
131Dabei kann ein Staat politische Parteien verpflichten, die von der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten zu achten und zu schützen, sowie auch dazu, kein politisches Programm zu vertreten, das den Grundprinzipien der Demokratie widerspricht. Eine politische Partei, deren Führung zu Gewalt aufruft oder eine Politik verfolgt, die nicht die Demokratie achtet oder deren Abschaffung sowie die Missachtung der in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat, kann sich nicht auf den Schutz der Konvention gegenüber Sanktionen berufen, die eben deswegen verhängt werden. Jeder Vertragsstaat kann sich entsprechend seinen historischen Erfahrungen im Einklang mit der Konvention gegen derartige politische Bewegungen wenden.
132Vgl. EGMR, Urteile vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 79, und vom 13. Februar 2003 – 41340/98 u. a. – (Refah Partisi u. a./Türkei), NVwZ 2003, 1489, Rn. 98, 124.
133Diesen Vorgaben entsprechen die dargelegten innerstaatlichen Maßstäbe für die nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der Gerichtshof hat ausdrücklich festgestellt, dass die politische Erfahrung der Konventionsstaaten gezeigt hat, dass in der Vergangenheit politische Parteien mit Zielen, die Grundprinzipien der Demokratie widersprechen, das nicht zu erkennen gegeben haben, bevor sie an der Macht waren. Es lasse sich daher nicht ausschließen, dass das Programm einer Partei andere Ziele und Absichten verberge als die, welche sie öffentlich verkündet. Um das zu prüfen, müsse der Inhalt des Programms mit dem Verhalten und den Stellungnahmen der Mitglieder und Verantwortlichen der Partei verglichen werden.
134Vgl. EGMR, Urteil vom 5. Mai 2020 – 78635/13 – (Ignatencu u. Die Kommunistische Partei Rumäniens/Rumänien), NVwZ 2021, 705, Rn. 96.
135Diese Erwägungen rechtfertigen auch eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte der Partei und ihrer Mitglieder ist nicht zu vergleichen mit den konkreten Umständen in dem von der Klägerin angeführten Fall der Entlassung einer Lehrerin aus dem Beamtenverhältnis, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als unverhältnismäßig angesehen hat.
136Vgl. EGMR, Urteil vom 26. September 1995 – 17851/91 – (Vogt/Deutschland), NJW 1996, 375.
137Im Übrigen hat die nachrichtendienstliche Beobachtung auch nach innerstaatlichen Maßstäben zu unterbleiben, wenn sie im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
138Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 132 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
139Die Frage, ob sich die streitgegenständlichen Maßnahmen des Bundesamts an den Regelungen der europäischen Grundrechtecharta (GrCh), namentlich Art. 12 Abs. 1 GrCH, messen lassen müssen,
140vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 632,
141bedarf an dieser Stelle keiner Vertiefung. Jedenfalls entspricht der Prüfungsmaßstab von Art. 12 Abs. 1 GrCh demjenigen von Art. 11 EMRK.
142Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/22; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 1; Rixen/Scharl, in: Stern/Sachs, Europäische Grundrechte-Charta, 2016, Art. 12 Rn. 1 f.
1432. Die Beobachtung durch das Bundesamt war und ist formell rechtmäßig. Eine vorherige Anhörung der Klägerin war nicht erforderlich, weder vor der Beobachtung noch vor deren öffentlicher Bekanntgabe. Sie ist weder gesetzlich vorgesehen noch war sie von Verfassungs wegen geboten.
144In Bezug auf die Beobachtung und Informationssammlung durch das Bundesamt ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass auf eine vorherige Anhörung der Betroffenen verzichtet wird. Den Nachrichtendiensten kommt die Aufgabe zu, Aufklärung bereits im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben, ohne dass sie über eigene operative Anschlussbefugnisse verfügen. Sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und diese gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen. Der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung gilt für sie nicht, und sie sind von Transparenz- und Berichtspflichten gegenüber den Betroffenen weithin freigestellt. Im Gegenzug und zum Ausgleich zu der Weite dieser Datenerhebungsbefugnisse ist die Zielrichtung der Aufklärung begrenzt und unterliegt die Datenverwendung strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
145Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. September 2022 – 1 BvR 2354/13 –, BVerfGE 163, 43, juris, Rn. 117 ff., sowie Urteile vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 156 ff., 236 ff., und vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 –, BVerfGE 133, 277, juris, Rn. 116 ff.
146Dem Informationsbedürfnis der Betroffenen und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes wird durch den Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG Rechnung getragen. Soweit die Grundrechte die Möglichkeit des Einzelnen schützen, von einer ihn betreffenden informationsbezogenen Maßnahme des Staates Kenntnis zu erlangen, gibt das Grundgesetz nicht vor, wie dies im Einzelnen gesetzlich auszugestalten ist. Denkbar ist auch eine die Datenerhebung begleitende Information oder eine nachträgliche Benachrichtigung des Betroffenen, wie sie hier der Sache nach mit der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt erfolgt ist.
147Vgl. BVerfG, Urteile vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09 –, BVerfGE 141, 220, juris, Rn. 136, und vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08 –, BVerfGE 125, 260, juris, Rn. 240 ff., sowie Beschluss vom 10. März 2008 – 1 BvR 2388/03 –, BVerfGE 120, 351, juris, Rn. 67 ff.
148Auch im Hinblick auf die Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung durch das Bundesamt gebieten Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG keine vorherige Anhörung der Klägerin. Soweit die Klägerin eine Anhörungspflicht daraus ableitet, dass lediglich über einen Verdacht berichtet wird, hat das Bundesverfassungsgericht – in anderem Zusammenhang – bereits entschieden, dass der Träger der Staatsgewalt unter besonderen Voraussetzungen auch zur Verbreitung von Informationen berechtigt sein kann, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, und ausgeführt, dass in solchen Fällen die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon abhängt, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist.
149Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 –, BVerfGE 105, 252, juris, Rn. 60.
150Eine Anhörung des Betroffenen kann danach nach den Umständen des Einzelfalls zur sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung geboten sein, ist aber keine eigenständige Voraussetzung staatlichen Informationshandelns. Ein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Weise, dass die Regierung verpflichtet wäre, Informationen vor ihrer Veröffentlichung den Personen oder Gruppen, die in der Information erwähnt werden, zur vorherigen Stellungnahme zuzuleiten, findet keine rechtliche Grundlage und besteht deshalb grundsätzlich nicht.
151Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 24. Januar 2003 – 11 TG 1982/02 –, NVwZ 2003, 1000, juris, Rn. 8; siehe auch BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 2004 – 7 B 19.04 –, KirchE 46, 237, juris, Rn. 24, und vom 13. März 1991 – 7 B 99.90 –, NJW 1991, 1770, juris, Rn. 8.
152Eine Anhörung war im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Der Klägerin waren die drohende Einstufung, Beobachtung und öffentliche Bezeichnung als „Verdachtsfall“ und die Gründe dafür spätestens seit den öffentlichen Äußerungen des Präsidenten des Bundesamts am 15. Januar 2019 zur Einstufung der Klägerin als „Prüffall“ sowie des „Flügel“ und der JA als „Verdachtsfall“ bekannt. Sie konnte dazu in der Folgezeit öffentlich oder gegenüber dem Bundesamt Stellung nehmen und hat im Januar 2021 schließlich auch einen Antrag auf Gewährung vorbeugenden Eilrechtsschutzes gestellt. Dass der Klägerin die Gefahr einer Beobachtung durch das Bundesamt bereits länger bewusst war, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass sie schon im Jahr 2018 ein Rechtsgutachten hat erstellen lassen, das sich mit der Rechtmäßigkeit einer möglichen Beobachtung durch das Bundesamt auseinandersetzt und Handlungsempfehlungen enthält, um eine Beobachtung zu vermeiden („Rechtliche Voraussetzungen für die Beobachtung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz – Kurzgutachten und Handlungsempfehlungen für die AfD“ von Professor Dr. Dietrich Murswiek, abrufbar unter: https://www.afd.de/wp-content/uploads/2019/01/2018-10-22_vs-kurzgutachten_ prof-murswiek_voraussetzungen-allgemein.pdf, zuletzt abgerufen am 17. Juni 2024).
153Unabhängig davon wäre ein möglicher Anhörungsmangel jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft entsprechend § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt, nachdem die Klägerin in den von ihr geführten gerichtlichen Verfahren umfassend zur Beobachtung und deren Bekanntgabe Stellung genommen und das Bundesamt sich mit dem Vorbringen der Klägerin auseinandergesetzt, es in seine fortlaufende Aktualisierung der Informationssammlung und -auswertung einbezogen und an seiner Entscheidung, die Klägerin als „Verdachtsfall“ einzustufen und zu beobachten und darüber öffentlich zu berichten, auch unter ausdrücklicher Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse festgehalten hat.
1543. Die Einstufung und Beobachtung der Klägerin als „Verdachtsfall“ war und ist auch materiell rechtmäßig.
155a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Klägerin nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Satz 5 BVerfSchG waren und sind gegeben.
156Bei der Klägerin handelt es sich um einen Personenzusammenschluss im Sinn des § 4 Abs. 1 BVerfSchG. Es lagen und liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
157Bestrebungen im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfordern als „politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen“ ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives oder illegales Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Die Aktivitäten müssen über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, auf die Durchsetzung eines politischen Ziels ausgerichtet sein und dabei auf die Beeinträchtigung eines der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgutbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Kritik an Verfassungsgrundsätzen reicht für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, wenn sie nicht mit der Ankündigung von oder der Aufforderung zu konkreten Aktivitäten zur Beseitigung dieser Grundsätze verbunden ist.
158Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 185 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 20, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 59 ff.; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 94, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 319.
159Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG setzt nicht voraus, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen tatsächlich bestehen, und verlangt auch keine Gefahrenlage im Sinn des Polizeirechts. Andererseits sind bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, unzureichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis geeignet sein, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Dabei darf eine Beobachtung nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die der Behörde bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt waren. Die Behörde hat auf Grund der ihr bekannten tatsächlichen Anhaltspunkte eine Prognose anzustellen, ob ein solcher Verdacht besteht. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses Verdachts.
160Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 –, BVerfGE 162, 1, juris, Rn. 188 f.; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23, und vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 28 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 270.
161Die Ziele einer Partei ergeben sich in der Regel aus ihrem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften oder sonstigen Publikationsorganen.
162Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 263 ff., vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 558, und vom 17. August 1956 – 1 BvB 2/51 –, BVerfGE 5, 85, juris, Rn. 228; OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 1994 – 5 B 1236/93 –, NVwZ 1994, 588, juris, Rn. 46.
163Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können dabei bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten des Personenzusammenschlusses widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
164Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, und Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43.
165Entscheidend sind die wirklichen Ziele der Partei, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht erforderlich, dass eine Partei sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Eine Beschränkung der Feststellung der von einer Partei verfolgten Ziele auf das Programm oder offizielle Erklärungen der Partei ist daher nicht geboten, auch wenn das Programm regelmäßig ein wesentliches Erkenntnismittel zur Feststellung der Zielsetzung einer Partei darstellen wird.
166BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 559; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 264.
167Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, können insbesondere auch Äußerungen und Taten von Mitgliedern oder sonstigen Anhängern der Partei sein. Bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden, denn politische Parteien sind auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtete Organisationen.
168Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 265, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 560 f.; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
169Dabei ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe zuzurechnen, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre. Auch die Tätigkeit von Publikationsorganen der Partei und das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen können ihr ohne Weiteres zugerechnet werden. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt. Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären. Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine – wie auch immer geartete – Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit.
170Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 271 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 562 ff.
171Als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können dabei nicht nur Meinungsäußerungen und Aktivitäten von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien der Bundespartei, sondern auch entsprechende Verhaltensweisen in den Landesverbänden und deren Untergliederungen herangezogen werden, insbesondere Äußerungen von Fraktionsmitgliedern auf Landesebene. Die von § 7 PartG vorgeschriebene Untergliederung einer Partei bedeutet nicht, dass ein Landesverband gegenüber der Bundespartei oder gegenüber den übrigen Landesverbänden im Rahmen einer verfassungsschutzrechtlichen Prüfung jeweils als „Dritter“ anzusehen ist, sondern im Gegenteil, dass er insoweit integrierter Teil des Ganzen ist.
172Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 88 ff., und vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 21; Nds. OVG, Urteil vom 19. Oktober 2000 – 11 L 87/00 –, NVwZ-RR 2002, 242, juris, Rn. 22.
173Die Gesamtpartei ist als Personenzusammenschluss nur dann darauf gerichtet, Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen das Gesamtbild der Partei bestimmen. Wie das Bundesverfassungsgericht sowohl zum Parteiverbot als auch zum Finanzierungsausschluss ausgeführt hat, können Bestrebungen einzelner Parteianhänger bei sonst loyaler Haltung der Partei zu den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen. In gleicher Weise hat das Bundesverwaltungsgericht zu § 8 Soldatengesetz festgestellt, dass eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraussetzt, dass die Partei von einer entsprechenden Grundtendenz beherrscht wird. Das ist bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger bei sonst loyaler Haltung der politischen Partei noch nicht der Fall. Die Überzeugung von einer verfassungsfeindlichen Grundhaltung gegenüber der bestehenden Verfassungsordnung kann allein aus einer Gesamtbetrachtung der vielfältigen Einzelakte der Partei und ihrer Funktionäre gewonnen werden, die erst in dieser Zusammenschau ein eindeutiges Bild ergeben.
174Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 293, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 576; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 14; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 190.
175Bei der Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen begründen, bleibt ebenfalls die Gesamtpartei der Bezugspunkt, wenn es um die rechtlichen Voraussetzungen der Beobachtung der Gesamtpartei geht. Auch insoweit genügen „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger nicht, um in Bezug auf die Gesamtpartei den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Ebenso wie bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit reicht aber auch hier aus, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte, d. h. der vielfältigen Einzelakte der Vereinigung und ihrer Funktionäre und Mitglieder, auf entsprechende Bestrebungen hindeuten, selbst wenn jeder einzelne Anhaltspunkt für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 30, 45, 54.
177Da insoweit nicht festgestellt werden muss, ob tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden, sondern bereits der entsprechende, auf konkrete Tatsachen gestützte Verdacht eine nachrichtendienstliche Beobachtung rechtfertigt, muss auch nicht festgestellt werden, ob die Verdachtsmomente das Gesamtbild der Partei bestimmen, sondern kann ausreichen, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die fraglichen Äußerungen einer Grundtendenz in der Partei entsprechen, also die sich daraus ablesbaren Zielsetzungen in der Partei mehrheitsfähig sind und sich bei innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten durchsetzen können. Auch dies führt zu einem Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der durch eine nachrichtendienstliche Beobachtung aufgeklärt werden kann. Insbesondere können auch verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen für die künftige Entwicklung der Gesamtpartei von Bedeutung sein. Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei, Flügelkämpfe und eine Annäherung an extremistische Gruppierungen oder Parteien können eine Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden erfordern. Nur so ist festzustellen, in welche Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die Beobachtung können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig und angemessen unterrichtet werden. So können eindeutige verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb einer Partei Anhaltspunkte dafür liefern, in welche Richtung die Partei sich entwickeln kann. Das erfordert die Beobachtung der Partei insgesamt, nicht nur der einzelnen Gruppierung, mag auch diese für sich einen Personenzusammenschluss im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG darstellen.
178Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 45.
179Voraussetzung für die Beobachtung der Gesamtpartei ist dabei, dass die Gruppierungen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bestehen, innerhalb der Partei einen Einfluss von nennenswertem Gewicht besitzen. Dies ist nicht der Fall, wenn ausgeschlossen erscheint, dass es ihnen gelingt, ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen innerhalb der Partei durchzusetzen.
180Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 46 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 70.
181Maßgeblich bleibt immer, ob im Hinblick auf die Gesamtpartei insgesamt konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Wenn zwar hinreichende, aber verhältnismäßig schwache Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen vorliegen, müssen mindestens starke Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass diesen Gruppierungen ein bestimmender Einfluss innerhalb der Partei zukommt. Bei eindeutigen verfassungsfeindlichen Bestrebungen einzelner Gruppierungen oder starken dahingehenden Anhaltspunkten kann umgekehrt auch eine geringere Wahrscheinlichkeit dafür ausreichen, dass sich die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen innerhalb der Partei durchsetzen. Für das Gesamtbild können daher nicht nur Art und Umfang der Veröffentlichungen und Äußerungen von Bedeutung sein, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellen, sondern auch mögliche Reaktionen und Gegenäußerungen in der Partei, auch wenn sie die Zurechnung als solche nicht ausschließen.
182In gleicher Weise kommt es bei der Frage, ob bestimmte Verlautbarungen hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, nicht auf die abstrakte Interpretierbarkeit und Bewertung der Äußerungen an, sondern auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtpolitik der Partei.
183Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 31; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 – OVG 3 B 3.99 –, NVwZ 2006, 838, juris, Rn. 47.
184Dagegen ist nicht entscheidend, ob die als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogenen Äußerungen für sich genommen zulässig sind, da sie vom Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst sind. Die Meinungsfreiheit ist ihrerseits ein konstituierender Bestandteil der Demokratie, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt. Die bloße Kritik an Verfassungswerten und -grundsätzen ist daher nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen, wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde bei der Einstufung und Beobachtung einer politischen Partei insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden.
185Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 70 ff., und Kammerbeschluss vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 61; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 281; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 32; Bay. VGH, Beschlüsse vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 97, und vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 24; Murswiek, NVwZ 2006, 121 (124 f., 128).
186Wie das Bundesverfassungsgericht zum Parteiverbots- und auch zum Finanzierungsausschlussverfahren ausgeführt hat, kommt es bei der Feststellung, ob eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angestrebt wird, nicht darauf an, ob eine Betätigung grundrechtlicher Freiheiten vorliegt. Die „streitbare Demokratie“ will gerade den Missbrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten zur Abschaffung der Freiheit verhindern.
187Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 294, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 579.
188Entgegen der Annahme der Klägerin besteht dabei weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen eine starre zeitliche Grenze, nach der bestimmte Äußerungen nicht mehr als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen werden können. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit länger zurückliegende Äußerungen weiterhin Rückschlüsse auf die aktuellen politischen Zielsetzungen der Partei zulassen. Wenn bestimmte Positionierungen aufgegeben und diesbezügliche Äußerungen über einen längeren Zeitraum nicht wiederholt werden, kann die Aussagekraft der älteren Aussagen vollständig entfallen. Wenn aber auch in jüngerer Zeit weiterhin ähnliche Aussagen getätigt werden, kann dies ein Beleg für die Kontinuität in den politischen Zielsetzungen sein. In diesen Fällen verlieren die älteren Aussagen nicht an Aussagekraft, sondern können auch bei der Bewertung der aktuellen politischen Ziele herangezogen werden. Vielmehr wäre es mit dem bundesrechtlichen Prinzip der streitbaren Demokratie nicht vereinbar und liefe der den Ämtern für Verfassungsschutz übertragenen Aufgabe zuwider, über eine allgemeine, kurz bemessene – etwa zweijährige – Verwertungsfrist Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ohne konkrete Hinweise darauf auszuklammern, dass sie durch Entwicklungen in der politischen Partei überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
189Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34; siehe auch (zur Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht) OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 5 A 203/08 –, juris, Rn. 3; OVG M.-V., Beschluss vom 6. Juni 2013 – 2 M 110/13 –, juris, Rn. 17.
190Der Verdacht einer verfassungsfeindlichen Zielsetzung entfällt auch nicht allein deshalb, weil er sich nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums verifizieren lässt. Auch dies hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Unter Umständen kann ein auf öffentliche Äußerungen gestützter Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräftet werden, wenn sich am tatsächlichen Handeln zeigt, dass die wahren Zielsetzungen nicht verfassungsfeindlich sind; jedoch setzt dies bei einer politischen Partei typischerweise voraus, dass sie über politische Mehrheiten verfügt, die ihr erlauben, ihre Ziele vollumfänglich umzusetzen. Solange dies nicht der Fall ist, behalten auch länger zurückliegende verdachtsbegründende Äußerungen in der Regel ihre Aussagekraft. Auch wenn sie dazu nicht verpflichtet ist, hat es die Partei auch in diesem Fall letztlich selbst in der Hand, unbestimmte Äußerungen zu konkretisieren, ihre politischen Ziele offenzulegen und abweichenden Aussagen einzelner Mitglieder entgegenzutreten, wenn sie den begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entkräften möchte. Dies setzt allerdings in jedem Fall voraus, dass über einen längeren Zeitraum entweder keine neuen verdachtsbegründenden Umstände auftreten oder zumindest systematisch und umfassend verdachtsbegründenden Äußerungen entgegengetreten wird. Wie bereits dargelegt, wird die Aussagekraft konkreter Einzeläußerungen nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
191Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteile vom 13. Februar 2009 – 16 A 845/08 –, DVBl. 2009, 922, juris, Rn. 46, und vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304, sowie Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 43; a. A. in Bezug auf verfassungskonforme Äußerungen zum gleichen „Teilbereich“ Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 58 f.
192Die Klägerin geht insofern von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus, wenn sie die behördliche wie gerichtliche Sachverhaltsaufklärung für unzureichend hält und – in Anlehnung an die von Murswiek als ausdrückliche Gegenposition zu der durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Rechtsprechung des erkennenden Senats vertretene Auffassung – eine abschließende Gesamtschau vermisst, bei der die Gesamtzahl der verdachtsbegründenden Äußerungen denjenigen Äußerungen und Verhaltensweisen gegenübergestellt wird, die für eine verfassungskonforme Ausrichtung sprechen. Wenn eine Vielzahl von Äußerungen vorliegt, die für sich genommen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kann der dadurch begründete Verdacht nur entkräftet werden, wenn konkret diesen Äußerungen in irgendeiner Form entgegengetreten wird oder sie durch Entwicklungen in der politischen Partei überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
193Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34.
194So kann zum Beispiel mit einer Parteiordnungsmaßnahme, die wegen einer bestimmten Äußerung ergriffen wird, stets nur der sich aus dieser Äußerung ergebende Anhaltspunkt beseitigt oder abgemildert werden – bei einem mit einer vollständigen Distanzierung verbundenen Parteiausschluss unter Umständen auch sämtliche von dem ausgeschlossenen Mitglied getätigten Äußerungen –, nicht jedoch die Verdachtsmomente, die sich aus vergleichbaren Äußerungen ergeben, gegen die keine Maßnahmen ergriffen wurden.
195Für die Frage, ob hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, kommt es ebenfalls nicht darauf an, mit welcher inneren Motivation die verdachtsbegründenden Äußerungen abgegeben wurden. Eine von einem Parteimitglied in einem politischen Kontext getätigte Äußerung erlaubt vorrangig nicht deshalb Rückschlüsse auf die möglichen Zielsetzungen der Partei, weil es seine eigenen persönlichen Zielsetzungen offenbart. Maßgeblich ist vielmehr der Beitrag, den diese Äußerung zur Meinungsbildung in der Partei leistet, der sich an ausdrücklicher Unterstützung, aber auch schon an fehlendem Widerspruch aus der Partei zeigt. Ein möglicher innerer Vorbehalt, der sich vom objektiven Erklärungsgehalt der Äußerungen unterscheidet, kann den durch die getätigte Äußerung begründeten Verdacht daher nicht beseitigen. Die nachweisbare innere Billigung oder Missbilligung bestimmter Äußerungen kann hingegen möglicherweise für die Feststellung relevant werden, in welchem Umfang tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden. Der Verdacht derartiger Bestrebungen kann aber nur entkräftet werden, wenn ihnen öffentlich wahrnehmbar innerhalb der Partei entgegengetreten wird.
196Es ist vorliegend ebenfalls rechtlich nicht von Bedeutung, auf Grundlage welcher Gutachten und Materialsammlungen Verfassungsschutzbehörden der Länder die Klägerin oder deren Landesverbände beobachten. Das Bundesamt ist an die rechtliche Bewertung der Landesämter nicht gebunden und nicht verpflichtet, deren Gutachten bei seiner eigenen Entscheidungsfindung einzubeziehen. Auch wenn dem Bundesamt die entsprechenden Gutachten bekannt sein sollten, führt dies nicht – wie die Klägerin geltend macht – zu einer rechtsstaatswidrigen Informationsasymmetrie. Entscheidungserheblich sind stets nur diejenigen tatsächlichen Anhaltspunkte, die dem Bundesamt bei Beginn der jeweiligen Beobachtung bekannt sind und auf die es seine Beobachtung stützt. Das Bundesamt kann eine Beobachtung, die es auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen rechtfertigen, mögen diese auch Tatsachen betreffen, die bereits bei Beginn der Maßnahme vorhanden waren. Derartige Erkenntnisse können lediglich als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
197Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
198Für die eigene Bewertung relevante – belastende wie entlastende – Erkenntnisse der anderen Landesverfassungsschutzbehörden hat das Bundesamt zu berücksichtigen. Anhaltspunkte, dass dies nicht geschehen sein sollte, sind indes nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin einwendet, dass in den Gutachten der Landesämter auch bisher unberücksichtigte entlastende Umstände enthalten sein könnten, obliegt es ihr, diejenigen konkreten Äußerungen oder Vorgänge zu bezeichnen, die nach ihrer Auffassung geeignet sind, die vom Bundesamt angeführten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu entkräften. Derartige entlastende Umstände – wie sie die Klägerin zum Teil auch vorgetragen hat, zum Beispiel in Bezug auf beschlossene oder vom Bundesvorstand empfohlene Parteiordnungsmaßnahmen – sind auch dann vollumfänglich zu berücksichtigen, wenn sie in der vom Bundesamt vorgelegten Materialsammlung nicht enthalten sind. Sie sind von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren auch entsprechend gewürdigt worden.
199Nach diesen Maßstäben lagen und liegen weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, namentlich gegen die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbaren Grundprinzipien der Menschenwürdegarantie (aa) und des Demokratieprinzips (bb).
200aa) Die vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen verschiedener Funktionäre, Mandatsträger und sonstiger Mitglieder der Klägerin begründen den starken Verdacht, dass die politischen Zielsetzungen der Klägerin auch beinhalten, den Schutz der Menschenwürde außer Geltung zu setzen.
201Der Schutz der Menschenwürde gehört zu den Wesenselementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die – eng zu verstehenden – Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich – ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte – jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen.
202Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff.; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
203Es liegen konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass nach dem politischen Konzept der Klägerin jedenfalls Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden soll. Die im Folgenden aufgeführten einzelnen Äußerungen überschreiten zum Teil für sich genommen nicht die Grenze der Missachtung der Menschenwürde; die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentiert in der Gesamtschau aber hinreichende Anhaltspunkte von Gewicht, dass es sich nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine charakteristische Grundtendenz der Klägerin handelt.
204Vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 326.
205Maßgeblich ist, dass die bereits von Bundesamt und Verwaltungsgericht im Einzelnen benannten und der Klägerin bekannten Äußerungen in der Gesamtschau mehr als hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten. Zu bewerten ist das Gesamtbild aller vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen und Veröffentlichungen, denen die Klägerin auf tatsächlicher Ebene nicht substantiiert entgegengetreten ist. Soweit die Klägerin erstmalig in der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung in der Sitzung am 6. Mai 2024 vorgetragen hat, sie habe „aufgrund eigener Befragungen und Auswertungen der von der Beklagten vorgelegten Gutachten, Folgegutachten, Schriftsätze und Verwaltungsvorgänge erhebliche Zweifel daran, dass die darin zum Beleg von (angeblich) (hinreichend gewichtigen) tatsächlichen Anhaltspunkten für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen genannten Äußerungen und/oder menschlichen Verhaltensweisen tatsächlich getätigt wurden bzw. erfolgt sind“, jedenfalls seien diese aber „oftmals aus dem Kontext gerissen“ worden, fehlt es an jeder näheren Substantiierung, welche der vom Bundesamt unter anderem durch Ausdrucke, Kopien und Videodateien auch jeweils kontextbezogen dokumentierten Äußerungen die Klägerin in Zweifel zieht. Auch in dem Schriftsatz vom 23. April 2024, in dem sich die Klägerin vorbehalten hat, „zu allen in den Gutachten, Schriftsätzen, Anlagen, Verwaltungsvorgängen und Urteilen benannten Einzelpersonen (natürliche wie juristische Personen) und deren Einzelaussagen bzw. Vorgängen weitere neue Beweisanträge zu stellen“, hat sie nicht ansatzweise aufgezeigt, inwieweit Zweifel an konkreten Tatsachenfeststellungen des Bundesamts bestehen, die Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung geben könnten.
206(1) Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der Klägerin entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, weil zu ihren zentralen politischen Vorstellungen gehört, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gibt, die von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der deutschen Kultur und Identität ist und es deshalb rechtfertigt, bei rechtlichen Zuordnungen danach zu unterscheiden, ob und gegebenenfalls aus welchem Kulturraum deutsche Staatsangehörige oder deren Eltern zugewandert sind. Dies stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
207Dabei steht außer Frage, dass bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinn von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zukommt. Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Danach kann der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich an das Abstammungsprinzip oder die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfen. Insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets kann er aber auch dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes.
208Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 377, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 690 f.
209Das schließt es nicht aus, auch bei deutschen Staatsangehörigen „ethnisch-kulturelle“ Gemeinsamkeiten oder Unterschiede in den Blick zu nehmen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um rechtliche Kategorisierungen und ist die Zugehörigkeit zu einer „ethnisch-kulturellen“ Gruppe daher nicht objektiv bestimmbar, sondern hängt von dem jeweiligen Begriffsverständnis ab. Dementsprechend ist auch die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ im Rechtssinn weder richtig noch falsch, sondern eine von persönlichen Wertungen abhängige Zustandsbeschreibung, die zum Beispiel soziologische, ethnologische oder historische Differenzierungen einbeziehen kann. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist allerdings die Verknüpfung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird.
210Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 105; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 34 ff.
211Weder in dem Parteiprogramm noch in sonstigen Veröffentlichungen oder Äußerungen der Klägerin oder ihr zurechenbarer Anhänger finden sich eindeutige Forderungen nach einer rechtlichen Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund. Hinreichende Anhaltspunkte für dahingehende Bestrebungen bieten aber auch abwertende Äußerungen, die kein konkretes Ziel benennen, aber deutlich machen, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden, wenn diese Äußerungen im Zusammenhang mit der politischen Betätigung der Klägerin abgegeben werden und sich aus dem Kontext ergibt, dass der Migrationshintergrund als solcher als Problem gesehen wird und nicht lediglich – rechtlich zulässig – eine fehlende Integration beklagt oder für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik geworben werden soll. Da die Klägerin als politische Partei grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, die nach ihrer Überzeugung bestehenden Problemlagen nicht nur zu benennen, sondern etwaigen Fehlentwicklungen mit politischen und rechtlichen Mitteln aktiv entgegenzusteuern, rechtfertigt dies zumindest den Verdacht, dass die wahren Zielsetzungen aus taktischem Kalkül bewusst nicht vollständig offengelegt werden. Gerade in einer derartigen Situation kann es erforderlich sein, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln fortzusetzen, um nähere Erkenntnisse über die von der Klägerin tatsächlich verfolgten Ziele zu gewinnen.
212Vgl. zu ausgrenzenden und diffamierenden Äußerungen als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 635, 721, 773; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 48 f., 70.
213Bei der Klägerin finden sich zahlreiche derartige abwertende Aussagen. Das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in der am 18. Januar 2021 veröffentlichten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ kann den Verdacht gegenteiliger Bestrebungen letztlich schon deshalb nicht ausräumen, weil sie nur ein abstraktes Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen enthält, aber nicht konkretisiert, wie dies mit den vom Bundesamt dokumentierten gegenläufigen Einzeläußerungen verschiedener, auch führender Parteimitglieder in Einklang zu bringen ist. Es kann daher auch im Berufungsverfahren weiterhin offenbleiben, ob die Unterzeichnung der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ aus taktischen Motiven oder – wie von der Klägerin behauptet – „in ernsthafter Weise, im Wissen und Wollen des unterzeichneten Inhalts“ erfolgte. Auch wenn dies zu Gunsten der Klägerin unterstellt wird, fehlt es an einer klaren und eindeutigen Distanzierung von konkreten Gegenaussagen, die erforderlich wäre, um den dadurch begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen entfallen zu lassen. Vielmehr bestätigt die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, dass die politischen Zielsetzungen der Klägerin insgesamt maßgeblich von der Vorstellung bestimmt werden, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gibt, die die deutsche Kultur und Identität prägt. Die Erklärung selbst stellt nur in Frage, ob die Klägerin tatsächlich eine Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund anstrebt oder sich lediglich in zulässiger Weise für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik einsetzt, ohne aber den durch andere Äußerungen begründeten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen vollständig auszuräumen.
214Es ist ein erklärtes Ziel der Klägerin, die Zuwanderung einzuschränken, um die deutsche kulturelle Identität zu bewahren. So heißt es in der genannten, von zahlreichen führenden Parteimitgliedern unterzeichneten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ unter anderem:
215„Im Sinne unseres politischen Ziels, dem deutschen Staatsvolk auch eine deutsche kulturelle Identität über den Wandel der Zeit zu erhalten, wollen wir die aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht, beenden. […] Die Zuwanderung muss nach dem Bedarf des deutschen Staates in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteuert werden und findet ihre Grenze an der Aufnahmefähigkeit der deutschen Gesellschaft.“
216Aus dem gleichen Grund wird in der Erklärung – ebenfalls dem Grunde nach zulässig – auch eine restriktive Einbürgerungspolitik gefordert:
217„Nur wer unsere Sprache spricht, unsere Werte teilt und unsere Lebensweise bejaht, soll Deutscher nach dem Gesetz werden können. Und nur wenn die Zahl der in Deutschland aufgenommenen und eingebürgerten Personen die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft nicht übersteigt, bleibt das Staatsvolk auf lange Sicht auch Träger der deutschen Kultur und Identität.“
218Das Staatsvolk als Gesamtheit aller deutschen Staatsangehörigen ist demnach nicht an sich „Träger der deutschen Kultur und Identität“, sondern bleibt es nur, wenn nicht zu viele „kulturfremde“ Personen eingebürgert werden. Es gibt folglich nach dem Verständnis der Klägerin deutsche Staatsangehörige, die „Träger der deutschen Kultur und Identität“ sind, und deutsche Staatsangehörige, die dies nicht sind. Auf diese Unterscheidung nimmt auch das Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen Bezug:
219„Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
220Die Formulierungen „ethnisch-kultureller Hintergrund“ und „Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie“ machen dabei deutlich, dass für die Klägerin nicht nur die kulturelle Prägung, sondern auch die Abstammung von maßgeblicher Bedeutung für die „ethnisch-kulturelle Identität“ ist. Insbesondere Björn Höcke verknüpft diese Zuordnung mit dem Begriff „Volk“, das er als „dynamische Einheit aus Abstammung, Sprache, Kultur und gemeinsam erlebter Geschichte“ beschreibt, und fordert, „die Völker [zu] bewahren“ (Belegsammlung I, S. 5203, 5206). Dabei hält er nach eigenen Angaben nicht jegliche Veränderung für problematisch, sondern sieht vor allem eine „Masseneinwanderung“ kritisch (Belegsammlung I, S. 2282). In ähnlicher Weise formulierte im Februar 2019 auch Alexander Gauland, damals Bundessprecher und heute Ehrenvorsitzender der Klägerin, „[d]as elementare Bedürfnis eines Volkes besteh[e] darin, sich im Dasein zu erhalten“, und erklärte dazu, dass es nicht um eine „ethnische Reinheit“ gehe, gegen eine allmähliche Veränderung des Volkes nichts zu sagen sei, aber eine übermäßige Migration die eigene Identität bedrohe (Belegsammlung III, S. 2651 f.).
221Diese Aussagen stellen für sich genommen keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar. Sie schließen aber auch nicht aus, dass zur Bewahrung der „ethnisch-kulturellen Identität“ gegebenenfalls auch diskriminierende Maßnahmen gegenüber deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund herangezogen werden sollen. In diese Richtung deuten zunächst die zahlreichen Äußerungen, die Zuwanderung als unmittelbare Gefahr für den Bestand des deutschen Volks darstellen, ohne dass sich aus dem Kontext ergibt, dass damit lediglich den zulässigen Forderungen nach einer restriktiven Migrations- oder Einbürgerungspolitik Nachdruck verliehen werden soll. Wenn Björn Höcke und andere führende Vertreter der Klägerin mit Blick auf die Migration wiederholt von „Umvolkung“, „Volksaustausch“, einem drohenden „Volkstod“ oder ähnlichem sprechen (Belegsammlung I, S. 5217; Belegsammlung III, S. 2651, 2655, 2664, 2669 ff., 2695; Gerichtsakte 13 K 326/21, Bl. 207; Materialsammlung November 2021, S. 847; Materialsammlung Juli 2023, S. 141), wird der Verlust der „ethnisch-kulturellen Identität“ mit dem Ende des deutschen Volks gleichgesetzt. Unabhängig von dem Gebrauch des Begriffs „Volkstod“ in anderen, als rechtsextrem eingestuften Gruppierungen weckt dessen häufige Verwendung deshalb schon für sich genommen erhebliche Zweifel daran, ob die Ausführungen in der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ die damit verbundenen politischen Ziele der Klägerin vollständig erfassen. Das Gleiche gilt, wenn Björn Höcke erklärt, dass „die Kategorie ʹVolkʹ der zentrale Orientierungspunkt in unserem politischen Denken und Handeln“ sein sollte (Belegsammlung I, S. 5199), Maximilian Krah, früher im Vorstand des sächsischen Landesverbands, zuletzt im Bundesvorstand und Spitzenkandidat für die Europawahl, die „Existenz unseres kulturell und […] ethnisch bereits nicht mehr homogenen Volkes“ bedroht sieht (Belegsammlung III, S. 2595) oder Christina Baum, früher Landtagsabgeordnete, zuletzt im Bundestag und im Bundesvorstand der Klägerin, wiederholt von einem „schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung durch die falsche Flüchtlingspolitik der Grünen“ spricht (Belegsammlung I, S. 2634, Materialsammlung Dezember 2022, S. 348). In allen diesen Äußerungen wird nicht zwischen Ausländern und deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund unterschieden, sondern jede Veränderung der „ethnisch-kulturellen Identität“ als existentielle Bedrohung beschrieben.
222Entsprechende Äußerungen, die das Bekenntnis zur Gleichwertigkeit aller Staatsangehörigen in Frage stellen, finden sich auch nach der Veröffentlichung der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, insbesondere von Maximilian Krah, der im September 2022 zum Beispiel die Veränderung der „ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung zu Lasten des autochthonen Bevölkerungsanteils“ beklagt (Materialsammlung Dezember 2022, S. 392), und Christina Baum, die im August 2022 erklärt, für sie beziehe sich der „Begriff des Volkes […] ganz eindeutig auf eine Abstammungsgemeinschaft – auf eine ethnisch gleiche Gruppe“, und kritisiert, dass in Deutschland „jeder zum Rassisten erklärt [wird], der sich für den Erhalt des eigenen deutschen Volkes als ethnische Einheit einsetzt“ (Materialsammlung Dezember 2022, S. 384).
223Wenn Björn Höcke die „geordnete Rückführung der hier nicht integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer“ als „gesamteuropäisches Remigrationsprojekt“ bezeichnet (Belegsammlung I, S. 2433) oder davon spricht, dass „langfristig […] die Auflösung der Parallelgesellschaften sowie die Remigrationsprogramme, die natürlich De-Islamisierungsprogramme inkludieren, auf der Tagesordnung“ stehen (Belegsammlung I, S. 4509), beschränkt sich die Forderung nach „Remigration“ nicht auf Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, sondern legt die Formulierung zumindest nahe, dass auf lange Sicht auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen sollen, wenn sie kulturell nicht integriert sind. In gleicher Weise forderte Christina Baum im September 2019 „eine sofortige Rückführung – Remigration, damit Deutschland weiter leben kann“ und leitete diese Forderung in ihrem Facebook-Beitrag mit den Worten ein: „Eine Arabisierung/Islamisierung findet n i c h t statt. Wir bilden uns das ein. Es ist alles nur ʹgefühltʹ“ (Belegsammlung II, S. 2280). Auch hier zeigt sich, dass die Forderung nach „Remigration“ nicht an die ausländische Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern an die arabische Abstammung und den islamischen Glauben. Die am 4. März 2020 von Björn Höcke veröffentlichte Klarstellung, seine „Forderungen nach einer Remigration ziel[t]en nicht auf Zwangsmaßnahmen, die sich auf Staatsangehörige mit Migrationshintergrund“ bezögen, sondern richteten sich „ausschließlich auf die Rückführung illegaler und dauerhaft nicht integrierbarer Ausländer mit temporärem Aufenthaltsstatus“, eine „gewisse ʹDe-Islamisierungʹ wäre angesichts der religiösen Migrantenstruktur mit einer solchen verfassungskonformen Remigration automatisch verbunden“ (Belegsammlung IIII, S. 4272), kann die in seiner früheren Äußerung betonte langfristige Perspektive und die eigenständige Begrifflichkeit „De-Islamisierungsprogramme“ nicht plausibel erklären, so dass der gegenteilige Verdacht dadurch jedenfalls nicht vollständig ausgeräumt ist. Die neueren Erklärungen der Klägerin zum Begriff „Remigration“ – wie das in der mündlichen Verhandlung überreichte Faltblatt „7 Punkte zur Remigration“ – setzen sich mit den genannten Äußerungen von Björn Höcke und Christina Baum nicht auseinander, sondern belegen lediglich, dass der Begriff „Remigration“ in verschiedener Art und Weise gebraucht werden kann und nicht jede Verwendung des Begriffs einen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen bietet, sondern jeweils der konkrete Kontext zu beachten ist.
224Ein eindeutiger Anhaltspunkt dafür, dass deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur ein abgewerteter Status zugesprochen wird, ist vor allem auch die wiederholte Verwendung der Bezeichnung „Passdeutsche“, mit dem nicht alle Staatsangehörigen mit deutschem Pass gemeint sind, sondern zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die so bezeichneten Personen nur im Hinblick auf die Inhaberschaft eines Passes Deutsche sind, also nur die formal betrachtete deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, aber abgesehen davon keine Deutschen sind. Der Begriff wird teilweise ausdrücklich nicht auf „integrierte Migranten“ bezogen (Materialsammlung November 2021, S. 116), teilweise bleibt die genaue Bedeutung offen, aber es liegt nahe, dass für die Unterscheidung „deutsch oder Pass-deutsch“ allein die „nicht-deutsche Herkunft“ maßgeblich ist (Belegsammlung III, S. 2557, 2714, 2870). Auch die Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag Alice Weidel erklärte im Juli 2019 auf Facebook unter der Überschrift „Das sind keine Deutschen!“, dass es sich bei Tatverdächtigen einer Gruppenvergewaltigung nicht um Deutsche, sondern „richtigerweise […] um Passdeutsche bzw. Deutsch-Türken“ handelt (Belegsammlung III, S. 2558). Dabei geht sie in der Wortwahl deutlich über die auch von anderen Parteimitgliedern in zugespitzter, aber verfassungsschutzrechtlich unbedenklicher Form geäußerte Kritik an der Medienberichterstattung, in der der Migrationshintergrund der Tatverdächtigen nicht genannt worden war, hinaus und beschränkt sich nicht darauf, die Bezeichnung als „Deutsche“ als unvollständig oder irreführend zu kritisieren, sondern nutzt diesen Anlass, um zugleich deutlich zu machen, dass „Passdeutsche“ für sie generell keine „Deutschen“ sind. Dabei kann die Überschrift „Das sind keine Deutschen!“ zunächst auch als Distanzierung von der schweren Straftat verstanden werden. Aus dem nachfolgenden Text wird dann aber deutlich, dass es dabei (jedenfalls vorrangig) um den Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter geht. Dass Deutsche mit Migrationshintergrund nach Ansicht der Klägerin keine vollwertigen Deutschen sind, wird auch deutlich, wenn Alexander Gauland sagt, „eine deutsche oder eine englische Nationalmannschaft sind eben schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne“ (Belegsammlung III, S. 2659), Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter und stellvertretender Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, erklärt, bei der deutschen Fußballnationalmannschaft handele es sich nicht um eine „echte Nationalmannschaft“, sondern um eine „bunt zusammengewürfelte Söldnertruppe der Deutschland-AG“ und dabei insbesondere Nationalspieler mit türkischen Wurzeln angreift und als „Türken mit deutschem Pass“ bezeichnet (Belegsammlung I, S. 4415), Christina Baum von einer „Passdeutschen Fußballnationalmannschaft“ spricht (Materialsammlung Dezember 2022, S. 320) oder der Kreisverband Kaiserslautern eine deutsch-iranische Journalistin als „Ausländerin“ bezeichnet (Belegsammlung III, S. 2879).
225Darüber hinaus finden sich bei der Klägerin auch Aussagen, die darauf hindeuten, dass hinter dem von ihr behaupteten politischen Ziel der Bewahrung der deutschen Kultur und Identität in Wahrheit ein „ethnisch-biologisches“ oder schlicht abstammungsbezogenes Volksverständnis steht. So werden zwar nicht von führenden Funktionären der Klägerin, aber von Kreisverbänden und anderen politisch aktiven Mitgliedern wiederholt Tiermetaphern gebraucht, die deutlich zum Ausdruck bringen, dass nach ihrem Verständnis Migranten auch mit der Einbürgerung keine Deutschen werden können, sondern zwischen Migranten und Deutschen ein gleichsam unüberwindlicher biologischer, abstammungsmäßiger Unterschied besteht (siehe im Einzelnen VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 –13 K 326/21 –, juris, Rn. 295 ff., 866 ff., Belegsammlung III S. 2797, 2838, 2856, 2860). In die gleiche Richtung gehen auch der im Januar 2020 veröffentlichte Facebook-Beitrag von Christina Baum, sie sei der „Lobbyist der ʹBiodeutschenʹ“, also für das „hellhäutige, hier seit Jahrhunderten ansässige Volk“, die „ethnische deutsche (Noch-)Mehrheit)“ (Belegsammlung III, S. 2715), und die Warnung von Hans Peter Stauch, damals Landtagsabgeordneter, vor der „multikulturellen Volksvermischung“, die zu einem „hellbraunen, afroasiatischmitteleuropäischen Menschentyp“ führe (Belegsammlung III, S. 2798). Ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk ist nach dieser Auffassung nicht die kulturelle Prägung, sondern die an der Hautfarbe sichtbare Abstammung.
226Die Betonung der Hautfarbe legt dabei nahe, dass die Zugehörigkeit zum deutschen Volk in rassistischer Weise auch von erblichen äußerlichen Merkmalen abhängig gemacht wird. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Franziska Gminder störte sich an Werbeanzeigen, auf denen Paare mit hellhäutigen Frauen und dunkelhäutigen Männern abgebildet sind, ohne den Grund für ihre Missbilligung zu erläutern (Belegsammlung III, S. 2662). Im Januar 2023 veröffentlichte die AfD-Kreistagsfraktion Aichach-Friedberg (Bayern) bei Facebook ein Bild von zwei dunkelhäutigen Jugendlichen mit deutschen Pässen und der Aussage „Wir sind Deutsche“ zusammen mit einem Bild von zwei Löwen und der mit zwei „Lach-Smileys“ verbundenen Aussage „Und wir sind Vegetarier“ (Materialsammlung März 2023, S. 246). Die Beklagte hat dies mit Recht als rassistische Fotomontage bezeichnet, mit der zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Schwarze genauso wenig Deutsche sein können wie Löwen Vegetarier. Eine andere Deutung ist fernliegend, weil außer der sichtbaren Hautfarbe keine näheren Informationen über den Hintergrund der abgebildeten Personen gegeben werden, aber dies für die Kreistagsfraktion ausreichend ist, über die Bezeichnung als Deutsche zu lachen. Ebenfalls rassistisch ist es, wenn Fabian Küble, Mitglied im Bundesvorstand der JA, im Juli 2022 auf Facebook schreibt, dass es sich bei der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer um eine „durchmultikulturalisierte […] Söldnertruppe“ und nicht um eine „echte deutsche“ Nationalmannschaft handele und dazu ein Bild von vier Nationalspielern mit dunklerer Hautfarbe postet. Dass sämtliche abgebildeten Nationalspieler in Deutschland aufgewachsen sind und großteils lediglich ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, lässt dabei erkennen, dass für ihn nicht die deutsche Abstammung und kulturelle Identität, sondern tatsächlich die Hautfarbe das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal darstellt (Materialsammlung JA Dezember 2022, S. 22, Verwaltungsvorgänge JA Oktober 2023, S. 1205). Auch die von Christina Baum gebrauchte Bezeichnung „passdeutsche Fußballnationalmannschaft“ ist angesichts des dazu geposteten Bilds plausibel nur so zu erklären, dass für sie schon ein anteiliger Migrationshintergrund und eine dunklere Hautfarbe ausreichen, um jemanden als „passdeutsch“ zu bezeichnen (Materialsammlung Dezember 2022, S. 320).
227Eine mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbare Zielsetzung benennt Christina Baum, wenn sie ein „Wahlrecht nach Abstammung“ fordert (Belegsammlung I, S. 2632). Dies stellt eine deutliche rechtliche Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund dar. Christina Baum verknüpft ihre Aussage zwar ausdrücklich mit der Forderung, es müsse „das Staatsangehörigkeitsgesetz vom Jahr 2000 wieder zurückgenommen werden“, und formuliert im Anschluss daran wörtlich: „Wir brauchen wieder das Wahlrecht nach Abstammung, so wie es vor 2000 war.“ Dies legt auf den ersten Blick die Deutung nahe, dass es ihr allein um die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts geht und sie lediglich eine Rückkehr zu der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Rechtslage anstrebt. Allerdings waren auch nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung die Staatsangehörigkeit und das damit verbundene Wahlrecht nicht ausschließlich an die Abstammung geknüpft, sondern gab es auch damals schon die Möglichkeit der Einbürgerung, und macht Christina Baum am Ende ihrer Aussage deutlich, dass es ihr vor allem darum geht, Entscheidungen zu verhindern, die „gegen den Willen der ethnischen deutschen Bevölkerung“ getroffen werden. Dies ist jedenfalls ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass ihre eigentliche Zielsetzung über die Rücknahme der Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht hinausgeht.
228Vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 694 f.
229Abgesehen von der letztgenannten Aussage wird in keiner der oben genannten Äußerungen von den Vertretern der Klägerin ausdrücklich die Forderung erhoben, deutschen Staatsangehörigen, die von ihr nicht als „ethnisch-kulturell deutsch“ angesehen werden, nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Die große Anzahl der gegen Migranten gerichteten Äußerungen, mit denen sie auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird, legt aber nahe, dass jedenfalls maßgebliche Teile der Klägerin bei entsprechenden politischen Mehrheiten auch Maßnahmen ergreifen würden, die deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Abstammung diskriminieren, auch wenn sich die konkreten Ziele zum Beispiel im Hinblick auf das Wahl- und Aufenthaltsrecht nicht feststellen lassen. Die Klägerin hat sich von den oben genannten Äußerungen nicht distanziert, noch nicht einmal von den menschenverachtenden abstammungsbezogenen und rassistischen Aussagen, der herabwürdigenden Verwendung der Bezeichnung „Passdeutsche“ oder der Forderung nach einem „Wahlrecht nach Abstammung“. Sie hat sich nur vereinzelt bemüht, mehrdeutige Aussagen öffentlich klarzustellen und die dahinterstehenden Ziele zu erläutern, so in der „Erklärung zur deutschen Staatsangehörigkeit und Identität“ vom 18. Januar 2021 und den „Anmerkungen zu den Interpretationen des Verfassungsschutzes“ von Björn Höcke vom 4. März 2020. Beide Erklärungen können den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen jedoch nicht vollständig ausräumen, da sie darüber hinaus keine hinreichende Distanzierung von früheren verdachtsbegründenden Äußerungen beinhalten und sie auch spätere ausgrenzende und herabwürdigende Äußerungen weder verhindert haben noch von der Klägerin zum Anlass genommen wurden, den fortgesetzten abwertenden Äußerungen systematisch entgegenzutreten. So vermeidet die „Erklärung zur deutschen Staatsangehörigkeit und Identität“ ausgrenzende und abwertende Formulierungen und verdeutlicht verfassungsrechtlich zulässige politische Zielsetzungen der Klägerin in der Migrations- und Einbürgerungspolitik. Sie vermag aber nicht zu erklären, warum sich (auch führende) Mitglieder der Klägerin wiederholt abweichend äußern und nicht nur die „kulturelle Identität“ bedroht sehen, sondern den Verlust der „ethnischen Homogenität“ beklagen, das deutsche Volk ausschließlich als „Abstammungsgemeinschaft“ definieren oder Staatsangehörige mit Migrationshintergrund diffamierend als „Passdeutsche“ bezeichnen. Der konkrete Aussagegehalt des abstrakten Bekenntnisses zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in der „Erklärung zur deutschen Staatsangehörigkeit und Identität“ bleibt vor diesem Hintergrund unklar. Dies ist bei einer Erklärung, die von einer Vielzahl von Parteimitgliedern unterzeichnet und mitgetragen wird, nicht ungewöhnlich, kann die konkrete Auseinandersetzung mit abweichenden Äußerungen aber nicht ersetzen. Die differenzierteren Erläuterungen Björn Höckes gehen hier weiter, aber betreffen zum einen nur von ihm selbst getätigte Äußerungen und sind zum anderen – wie bereits oben festgestellt – zumindest teilweise nicht plausibel.
230Dabei lag bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Einstufung als Verdachtsfall am 25. Februar 2021 eine Vielzahl von verdachtsbegründenden Äußerungen vor, die das Bundesamt in den Gutachten I, II und III dokumentiert und ausgewertet hat. Von den entsprechenden Positionierungen sind die Vertreter der Klägerin in der Folgezeit auch nicht abgerückt; wie oben beispielhaft angeführt, sind vielmehr auch während des gerichtlichen Verfahrens weiter vergleichbare Äußerungen getätigt worden. Die älteren Verlautbarungen haben daher ihre Aussagekraft als konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht verloren; die weiteren nach dem 25. Februar 2021 gesammelten Erkenntnisse bestätigen die Einstufung als Verdachtsfall. In Bezug auf die Bedeutung der Einzelaussagen für die Gesamtpartei hat sich der Verdacht sogar insoweit verfestigt, als Maximilian Krah und Christina Baum, deren Äußerungen in besonderer Weise den Verdacht begründen, dass die politischen Ziele der Klägerin auch eine Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund beinhalten, zwischenzeitlich, nämlich im Juni 2022 in den Bundesvorstand gewählt wurden. Auch wenn schon vorher führende Funktionäre der Klägerin wie Björn Höcke, Alexander Gauland und Alice Weidel ähnliche Positionen vertreten haben, macht die Wahl von Maximilian Krah und Christina Baum noch einmal deutlicher, dass die ausgrenzenden und abwertenden Aussagen gegenüber „Passdeutschen“, die nicht zur „ethnischen deutschen Bevölkerung“ gehören, breite Unterstützung in der Partei genießen.
231Soweit die Klägerin erstinstanzlich vorgetragen hat, dass der Bundesvorstand am 18. Februar 2022 beschlossen habe, wegen der im Schriftsatz der Beklagten vom 3. Januar 2022 genannten Äußerungen eine Parteiordnungsmaßnahme gegen Christina Baum zu prüfen und dem zuständigen Landesvorstand zu empfehlen, eine Parteiordnungsmaßnahme gegenüber Maximilian Krah auszusprechen, lässt dies die Aussagen von Maximilian Krah und Christina Baum schon deshalb weder in einem anderen Licht erscheinen noch mindert es ihre Aussagekraft für die Gesamtpartei, weil die Klägerin nicht mitgeteilt hat, welche genauen Aussagen aus welchen Gründen vom Bundesvorstand missbilligt und welche Parteiordnungsmaßnahmen letztlich ergriffen worden sind. Unabhängig davon besteht zumindest ein starker Verdacht, dass die genannten Beschlüsse des Bundesvorstands lediglich aus prozesstaktischen Gründen kurz vor der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht getroffen worden sind, da jedenfalls andere der oben und nachfolgend aufgeführten Äußerungen von Christina Baum und Maximilian Krah nicht in gleicher Weise vom Bundesvorstand beanstandet worden sind, beide auch nach dem 18. Februar 2022 noch Äußerungen getätigt haben, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten (Materialsammlung Dezember 2022, S. 320, 348, 384, 392, 576, und März 2023, S. 381), und beide im Juni 2022 in den Bundesvorstand gewählt worden sind. Maximilian Krah ist zudem auf der Europawahlversammlung der Klägerin im Juli 2023 zu deren Spitzenkandidat gewählt worden.
232Das abstrakte Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Grundsatzbeschluss vom November 2020 ist vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht geeignet, den auf konkrete Äußerungen zahlreicher, auch führender Mitglieder gestützten Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu entkräften. Ein Verdacht extremistischer Betätigung im Sinn des § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG entfällt nicht, wenn der Personenzusammenschluss ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablegt, seine sonstigen Aktivitäten dies aber konterkarieren.
233Vgl. Warg, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, V § 1 Rn. 15; zur begrenzten Aussagekraft formaler Bekenntnisse vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 12. März 1986 – 1 D 103.84 –, BVerwGE 83, 158, juris, Rn. 35; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Oktober 1993 – 5 CE 93.2327 –, NJW 1994, 748, juris, Rn. 23.
234(2) Es liegen auch konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind.
235Dafür ist wiederum nicht erforderlich, dass die Klägerin sich offen zu verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Soweit Äußerungen von Funktionären, Mitgliedern und Anhängern einer Partei die Menschenwürde Dritter nicht nur vereinzelt beeinträchtigen, sondern systematisch verletzen und missachten, kann auch auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele dieser Partei geschlossen werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, stellt sich als derartige Verhaltensweise insbesondere die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an Ausländer und Asylsuchende dar, die – insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen – den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühl hervorzurufen, und generell geeignet ist, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten.
236Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 48 f.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 5 A 2256/94 –, NWVBl. 2001, 178, juris, Rn. 35 ff.
237Bei der Klägerin findet sich eine Vielzahl von Äußerungen, die die Menschenwürde von Ausländern und Muslimen systematisch verletzen und missachten. In pauschaler und undifferenzierter Weise werden Migranten für Straftaten verantwortlich gemacht und als „Messermänner“, „Invasoren“, „Eindringlinge“ und „Parasiten“ verunglimpft (Belegsammlung III, S. 3330, 3335 ff., 3489, 3495, 3497, 3665 ff., 3866 f., 3877 ff., 3882 ff., 3887 f.). Muslime werden als „nicht integrierbar“ bezeichnet (Belegsammlung III, S. 4307), der Islam als „totalitäre Ideologie“ (Belegsammlung III, S. 4483), mit dem es „keine innere Sicherheit mehr gibt“ (Belegsammlung III, S. 4453), Deutschland als ein Land, „in dem nach der muslimischen Massen-Invasion Messer-Morde und rohe Gewalt alltäglich sind“ (Belegsammlung III, S. 4173).
238Diese Äußerungen gehen in der Gesamtschau über eine legitime Thematisierung der von Migranten begangenen Straftaten und deren Hintergründe und Ursachen hinaus, da sie sich pauschal gegen sämtliche Migranten oder bestimmte Migrantengruppen, insbesondere männliche Muslime, richten, dabei herabwürdigende Begriffe verwenden und in ihrer Vielzahl und Schärfe geeignet sind, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten. Schon der Begriff der „Invasoren“ legt nahe, dass Migranten generell kein Aufenthaltsrecht zuzusprechen ist und es grundsätzlich gerechtfertigt ist, sie gewaltsam aus dem eigenen Lebensbereich zurückzudrängen. Die pauschale Zuweisung der Verantwortung für „Messer-Morde und rohe Gewalt“ stellt sämtliche Migranten und Muslime unter Generalverdacht und macht deutlich, dass ein friedliches Zusammenleben für aussichtslos gehalten wird. Dabei mögen einzelne Äußerungen für sich genommen die Grenze der Missachtung der Menschenwürde nicht überschreiten. Insbesondere bei spontanen, als Reaktion auf eine konkrete Gewalttat abgegebenen Äußerungen kann es sein, dass vereinzelt zu generalisierenden Verantwortungszuschreibungen und gruppenbezogenen erniedrigenden Bezeichnungen gegriffen wird, die mit etwas zeitlichem Abstand nicht in gleicher Form verwendet worden wären und weder sichere Rückschlüsse auf die Grundhaltung der betreffenden Person zulassen noch repräsentativ für die Gesamtpartei sind. Die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentiert in der Gesamtschau aber, dass es sich hier nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine charakteristische Grundtendenz handelt.
239Ähnlich BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 326, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 635, 721; Bay. VGH, Beschluss vom 14. September 2023 – 10 CE 23.796 –, juris, Rn. 136 ff.; siehe auch OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 37.
240Insbesondere hat das Bundesamt Beispiele für menschenverachtende ausländer- und islamfeindliche Formulierungen auf allen Parteiebenen gefunden, nicht nur von einfachen Mitgliedern, Kommunalpolitikern oder Kreisverbänden, sondern auch von zahlreichen Funktions- und Mandatsträgern auf Landes- und Bundesebene. So werden die pauschal herabwürdigenden Begriffe „Messermänner“, „Messermigration“ oder „Messerstechermigration“ unter anderem auch von der Bundessprecherin Alice Weidel, dem Bundesvorstandsmitglied Stephan Brandner und den Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz und Jürgen Braun gebraucht (Gutachten III, S. 62, Belegsammlung III, S. 3337, 3342, 3345), die Formulierungen „Invasoren“ oder „Invasion“ unter anderem von den Bundestags- und Landtagsabgeordneten Jörg Schneider, Johannes Huber, Nicole Höchst, Matthias Moosdorf, Jan-Oliver Zwerg und Lena Kotré (Belegsammlung III, S. 3495 ff., 3664 ff.). Das oben genannte Zitat zur „muslimischen Massen-Invasion“ stammt vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Lothar Maier (Belegsammlung III, S. 4173), ähnlich formuliert der ehemalige Bundestagsabgeordnete Armin-Paulus Hampel, die „Massenmigration muslimischer Menschen brachte und bringt Gewalt in unsere Heimat“ (Belegsammlung III, S. 4171), oder der Bundestagsabgeordnete Andreas Bleck, mit „dem vermehrten Zuzug von Muslimen nach Deutschland wird unser einst so sicheres und friedliches Land von einer neuen Dimension von Verbrechen heimgesucht“ (Belegsammlung III, S. 4207). Der Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Landesverbands Rheinland-Pfalz Jan Bollinger behauptet, beim Muezzinruf gehe es „um den Sieg des Islam über Deutschland, um die Unterwerfung von uns Ungläubigen, darum, aus Deutschland ein islamisches Land zu machen“ (Belegsammlung III, S. 4243), der Landtagabgeordnete und Co-Vorsitzende des Landesverbands Baden-Württemberg Emil Sänze bezeichnet ihn als einen „Brauch, der einen harten kulturellen Vorherrschaftsanspruch einer totalitären Ideologie darstellt“ (Belegsammlung III, S. 4317). Der bayerische Landtagsabgeordnete Harald Meußgeier erklärte auf Facebook: „Wir müssen uns nur darüber im klaren werden, dass der Islam erstens keine Religion ist und zweitens keinen Frieden und Barmherzigkeit beinhaltet. Egal wo der Islam weltweit ist gibt es Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror“ (Belegsammlung III, S. 4407).
241Diese konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werden nicht dadurch entkräftet, dass in programmatischen Schriften der Klägerin oder Äußerungen ihrer Mitglieder auch in sachlicher oder nur polemisch zugespitzter, aber nicht pauschal diffamierender Weise zur Kriminalität von Migranten und Muslimen oder kulturellen Unterschieden und Integrationsproblemen Stellung genommen wird. Dafür finden sich bei der Klägerin ebenfalls zahlreiche Beispiele, zum Teil auch mit gleichen Formulierungen wie in den oben angeführten Belegstellen, die aber aufgrund des jeweiligen Kontextes nicht pauschal herabwürdigend, sondern einzelfallbezogen verstanden werden können. Derartige Äußerungen beinhalten keine Distanzierung von den in gleichem Zusammenhang gebrauchten, oben angeführten generalisierenden ausländer- und islamfeindlichen Aussagen und stehen zu ihnen nicht in Widerspruch. Maßgeblich ist, dass aufgrund der Vielzahl der auch von führenden Parteimitgliedern getätigten grenzüberschreitenden Äußerungen, die keinen Widerspruch innerhalb der Partei hervorgerufen haben, eine gegen die Menschenwürde gerichtete Grundtendenz festgestellt werden kann.
242Die genannten ausländer- und islamfeindlichen Äußerungen stammen aus der Zeit vor der erstmaligen Einstufung als Verdachtsfall am 25. Februar 2021. Das Bundesamt hat aber auch in der Folgezeit vergleichbare Aussagen dokumentiert, so von Jan-Oliver Zwerg („Messermänner“, Materialsammlung November 2021, S. 261), Stephan Brandner („Messermigration“, Materialsammlung Oktober 2023, S. 216), Maximilian Krah („Es ist Landnahme“, „Fachkräfte […] für Sozialhilfe und Messerstechen“, Materialsammlung Dezember 2022, S. 576, und März 2023, S. 381), Christina Baum („Die bewußte Entscheidung der vorwiegend muslimischen Migranten für Deutschland kann deshalb nur eines bedeuten: wir sollen unterwandert und unterworfen werden“, Materialsammlung Januar 2022, S. 104), den Bundestagsabgeordneten Roger Beckamp („Einwanderung aus Afrika und dem Orient = Messerstraftaten = Tote und Verletzte = Angst im öffentlichen Raum“, Materialsammlung Dezember 2022, S. 519) und Martin Hess („Asylbewerber stechen Passanten nieder, vergewaltigen und ermorden junge Frauen und legen Innenstädte in Schutt und Asche“, Materialsammlung März 2023, S. 396), dem Landesverband Nordrhein-Westfalen („Deutschland ist keine frei verfügbare Siedlungsregion, die sich Migranten aus Afrika und Nahost straflos zur Beute machen dürfen.“, Materialsammlung Januar 2022, S. 144), dem Mitglied des sächsischen Landesvorstands Andreas Harlaß („Stoppt den Mord-Import sofort!“, Materialsammlung „Flügel“ November 2021, S. 23, „Rushdie im Namen des Islam niedergestochen? Eine Religion, die so martialisch gegen Andersdenkende vorgeht, sollte als terroristische Vereinigung in der freien Welt eingestuft werden“, Materialsammlung Dezember 2022, S. 647) sowie dem sächsischen Landtagsabgeordneten Jörg Dornau und dem Berliner Abgeordneten Gunnar Lindemann („Invasoren“, Materialsammlung Januar 2022, S. 163, März 2023, S. 329). Die älteren Verlautbarungen haben daher ihre Aussagekraft als konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht verloren, die weiteren nach dem 25. Februar 2021 gesammelten Erkenntnisse bestätigen die Einstufung als Verdachtsfall.
243Darüber hinaus liegen weitere konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Muslimen verbunden sind, weil Funktionäre und Mitglieder der Klägerin konkrete Forderungen erheben und Aussagen tätigen, nach denen Muslime wegen ihres Glaubens diskriminiert oder ihnen generell der Schutz des Art. 4 GG versagt werden soll. Darin liegt eine gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
244Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 250 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 538 ff; Kammerbeschluss vom 2. November 2020 – 1 BvR 2727/19 –, EuGRZ 2020, 719, juris, Rn. 18; Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 25 [Stand Jan. 2024]; Baer/Markard, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 3 Rn. 407.
245Eine konkrete Diskriminierung von Muslimen liegt in der pauschalen, unabhängig von möglichen allgemein geltenden baurechtlichen Vorgaben erhobenen Forderung, den Bau von Moscheen oder Minaretten zu verbieten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Muslime zur Religionsausübung zwingend auf Moscheen angewiesen sind oder Moscheen auch ohne Minarette gebaut werden können. Die Menschenwürdegarantie wird schon dadurch verletzt, dass Muslimen allein wegen ihres Glaubens der Bau bestimmter religiöser Gebäude unmöglich gemacht werden soll, während Christen oder andere Religionsgemeinschaften vergleichbare religiöse Bauten errichten dürfen.
246Äußerungen, die den Bau von Moscheen grundsätzlich ablehnen, gibt es vom Kreisverband Wittenberg („Solange die Angehörigen des Islam sich nicht von ihrer Steinzeitkultur lösen, sollte es weder im Elbe-Elster-Kreis noch im Wittenberger Raum Moscheen oder ähnliche Einrichtungen geben.“, Belegsammlung III, S. 4486) und vom Kreisverband Saalfeld-Rudolstadt („Wir sind gegen den Bau von Moscheen und für Bürgerentscheide zu dieser Problematik.“, Belegsammlung III, S. 4110), aber auch von Christina Baum, die im Oktober 2021 auf Facebook schrieb: „Ganz einfach gesagt: Das Kreuz, die Kirchenglocken oder die Weihnachtsmärkte bleiben – Moscheen, der Muezzin-Ruf oder die Burka haben in Deutschland jedoch nichts zu suchen.“ (Materialsammlung Januar 2022, S. 104). Die ausdrückliche Forderung, Minarette zu verbieten, findet sich sogar im Europawahlprogramm der Klägerin aus dem Jahr 2019 („Minarette sind als islamische Herrschaftszeichen ebenso zu verbieten wie der Muezzin-Ruf […].“,Belegsammlung III, S. 4108), wurde identisch vom Kreisverband Westthüringen übernommen (Belegsammlung III, S. 4394) und entspricht auch der früheren Aussage Björn Höckes, wenn die Klägerin „die Macht bekommen“ werde, werde „die Direktive ausgegeben, dass am Bosporus mit […] Mohammed, Muezzin und Minarett Schluss“ sei, dann werde „es nicht mehr möglich sein, den Bau eines Minarettes […] mit der Religionsfreiheit durchzudrücken“, es müsse „die De-Islamisierung Deutschlands und Europas“ vorbereitet werden (Belegsammlung III, S. 4266). Björn Höcke hat in einer späteren Klarstellung betont, für ihn sei „Religion Privatsache und deren freie Ausübung ein unbedingt schützenswertes Gut“, von seiner generellen Ablehnung der Genehmigung von Minaretten ist er aber nicht abgerückt, sondern hat dazu erklärt, er meine mit „dem Begriff der ʹDe-Islamisierungʹ […] die Zurückweisung einer kulturell-gesellschaftlichen Transformation in Richtung eines islamischen Gemeinwesens, wie sie sich z. B. in Moscheebauten mit Minaretten […] ausdrück[e]“ (Belegsammlung III, S. 4266).
247Aus der Materialsammlung des Bundesamts lässt sich nicht entnehmen, dass diese Forderungen ebenso weit verbreitet sind wie die oben wiedergegebenen allgemeineren islamfeindlichen Aussagen. Es gibt aber auch keine gegenläufigen Äußerungen, die an diesen Forderungen Kritik üben oder den Bau von Moscheen verteidigen. Angesichts der klaren Positionierung von Christina Baum und der in die gleiche Richtung gehenden Äußerungen von Björn Höcke sowie der Aufnahme in das Wahlprogramm für die Europawahl 2019 spricht zumindest viel dafür, dass die angestrebte Diskriminierung einer religiösen Minderheit von der Gesamtpartei mitgetragen und unterstützt würde.
248Hinzu kommen weitergehende Aussagen, die generell den Schutz des Art. 4 GG für Muslime ablehnen. So erklärte der Kreisverband Kulmbach auf Facebook: „Der Islam ist meines Erachtens natürlich keine Religion im Sinne des GG. Seine Statuten (Koran, Scharia) verstoßen eklatant gegen unverbrüchliche, im GG garantierte Rechte. Der Islam ist in erster Linie eine faschistoide Ideologie, die mit unseren Gesetzen nicht zu vereinbaren ist“ (Belegsammlung III, S. 4429). In diese Richtung gehen auch die bereits zitierte Aussage des bayerischen Landtagsabgeordneten Meußgeier, wonach der Islam „keine Religion“ sei (Belegsammlung III, S. 4407), und Aussagen des Kreisverbands Merzig („Der #Islam ist KEINE Religion und gehört nicht nach Deutschland und Europa!“, Belegsammlung I, S. 2925), des Kreisverbands Main-Taunus („Ich bin jedoch der Meinung, der Islam ist keine Religion, sondern hier handelt es sich tatsächlich um eine radikale Ideologie […]“,Belegsammlung III, S. 4484) und des Vorsitzenden des Kreisverbands Lahn-Dill Willi Wagner („Nun berufen sich Muslime, Clans, Islamisten ständig auf unsere Religionsfreiheit im Grundgesetz (Art. 4). Dies ist aber ungerechtfertigt. Religionsfreiheit für Christen ist in Ordnung, denn Christen können aus einer Religionsgemeinschaft austreten; Muslime nicht!“, Belegsammlung III, S. 4485).
249Diese Äußerungen werden von führenden Parteimitgliedern nicht öffentlich geteilt, und es gibt sogar klar gegenläufige Aussagen, zum Beispiel wenn Björn Höcke zwar Maßnahmen gegen eine drohende „Islamisierung“ fordert, aber „ohne Vorurteile oder Hass auf den Islam als Religion und mit einem gebührenden Respekt gegenüber einer uns fremden Kultur“ (Belegsammlung I, S. 2346), im Wahlprogramm für die Landtagswahl 2019 in Thüringen steht, die „verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Glaubens, des religiösen Bekenntnisses und der Religionsausübung gilt selbstverständlich auch für Muslime“ (Belegsammlung III, S. 2510), oder Hans-Thomas Tillschneider erklärt, der „Islam mag eine fremdkulturelle Religion sein, er ist nichtsdestotrotz Religion und kann sich auf Art. 4 GG berufen“ (Belegsammlung I, S. 4674). Sie machen aber deutlich, dass die vorgenannten Aussagen, nach denen Muslimen der Schutz des Art. 4 GG nicht gänzlich versagt, sondern nur der Bau von Moscheen oder Minaretten verboten werden soll, auch bei anderen Teilen der Partei Unterstützung finden würden. Dass eine Diskriminierung allein wegen kultureller Unterschiede für zulässig gehalten wird, klingt im Übrigen auch bei Hans-Thomas Tillschneider an, der fordert, dass jede „Berufung auf die Religionsfreiheit […] unter den stärkstmöglichen Kulturvorbehalt gestellt werden“ müsse, auch wenn dessen genaue Reichweite unklar bleibt (Belegsammlung I, S. 4674). Christina Baum greift den Begriff des „Kulturvorbehalts“ auf („Wir brauchen einen Kulturvorbehalt“) und verbindet ihn mit der bereits zitierten Aussage, „Moscheen […] haben in Deutschland […] nichts zu suchen“ (Materialsammlung Januar 2022, S. 104).
250In der Gesamtschau ergibt sich aus den verschiedenen genannten Anhaltspunkten sogar ein starker Verdacht, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde von muslimischen Migranten gerichtet sind, da die pauschalen diffamierenden und ausgrenzenden Formulierungen durch konkrete, den gleichen Personenkreis betreffende diskriminierende Forderungen ergänzt werden. Auch wenn die konkret erhobenen Forderungen nur die gleichberechtigte Religionsausübung betreffen, rechtfertigt dies angesichts der daneben erkennbaren ausländer- und islamfeindlichen Grundtendenz den Verdacht, dass die Klägerin zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele auch andere Rechte muslimischer Zuwanderer allein wegen ihres Glaubens missachten, beschränken oder einem rechtlich wie inhaltlich unbestimmten „Kulturvorbehalt“ unterwerfen würde.
251bb) Die vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen verschiedener Funktionäre, Mandatsträger und sonstiger Mitglieder der Klägerin begründen daneben den Verdacht, dass sie Bestrebungen verfolgt, die gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.
252Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Grundgesetz hat sich für das Modell der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft besondere Bedeutung zukommt. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann.
253Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 211 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 542 ff.
254Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen liegen dabei nicht nur dann vor, wenn das parlamentarische System als solches angegriffen wird, sondern können sich auch daraus ergeben, dass staatliche Institutionen und Amtsträger verächtlich gemacht werden, zum Beispiel wenn die anderen demokratischen Parteien und deren Politiker in ihrer Gesamtheit ständig pauschal in polemischer, teilweise diffamierender und verunglimpfender Weise angegriffen werden.
255Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 381, 384 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 773; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 70, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 30.
256Allerdings ist nicht jede scharfe, polemische oder emotionale Äußerung zwangsläufig Ausdruck einer feindlichen Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung. Insbesondere kann sie auf der häufig vertretenen Überzeugung beruhen, dass ein Mitglied aus den eigenen Reihen das betreffende Staatsamt besser ausfüllen würde. Dann lässt ein solcher Angriff nicht den Schluss zu, der Angreifer wolle das Staatsamt als solches beseitigen oder dessen Legitimität untergraben, sondern ist als heftige Kritik an dem betreffenden Amtsinhaber verbunden mit dem eigenen Willen zur Macht zu verstehen. Anderes gilt dagegen für eine Schmähung in reiner Diffamierungsabsicht, die jeglichen Sachbezug vermissen lässt.
257Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 54 ff.
258Als zulässige „Machtkritik“, die noch kein Indiz für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem angesehen, wenn die etablierten Parteien als „Altparteien“ oder „Parteiendiktatur“ beschimpft werden oder ihnen „Machtmissbrauch“ vorgeworfen wird. Die Grenze zur Verächtlichmachung des Parlamentarismus ist aber überschritten, wenn sich aus den Äußerungen ergibt, dass dem politischen Gegner die Existenzberechtigung abgesprochen werden soll.
259Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 –, BVerwGE 114, 258, juris, Rn. 68 ff.
260Nach diesen Maßstäben liegen bei der Klägerin Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen. Um eine Schmähung in reiner Diffamierungsabsicht, die jeglichen Sachbezug vermissen lässt, handelt es sich jedenfalls, wenn Christina Baum die Mitglieder der Bundesregierung als „psychisch kranke Deutschlandhasser“ beschimpft (Belegsammlung II, S. 4885) oder einen Text verbreitet, in dem sie als „psychisch gestörte und moralisch deformierte Totalversager“ und „perfide, verbrecherische Minderheit“ beschrieben werden (Belegsammlung III, S. 5061), ebenso wenn der Kreisverband Kleve die politischen Gegner als „Deutschenhasser, Volksfeinde und Vernichter Deutschlands“ verunglimpft (Belegsammlung III, S. 5378). Dem politischen Gegner wird die Existenzberechtigung abgesprochen, wenn zunächst Andreas Kalbitz und später der Berliner Abgeordnete Thorsten Weiß mit Blick auf Politiker der Grünen fordern, „wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ (Belegsammlung I, S. 4552, Belegsammlung II, S. 4917). In die gleiche Richtung geht es, wenn Alexander Gauland sich dafür ausspricht, eine Politikerin der SPD „in Anatolien zu entsorgen“, und Hans-Thomas Tillschneider und Christina Baum diese Aussage unterstützen (Belegsammlung I, S. 2750 f.). Dabei kann die Äußerung Alexander Gaulands im Hinblick auf seine spätere Distanzierung für sich genommen noch als einmalige Entgleisung gewertet werden, nicht aber der ausdrückliche Zuspruch, den er dafür aus der Partei erhalten hat. Die Aussage von Andreas Kalbitz ist der Klägerin trotz der Aufhebung seiner Mitgliedschaft weiter zuzurechnen, da er weiterhin der Fraktion der Klägerin im brandenburgischen Landtag angehört und damit die Klägerin jedenfalls als aktiver Anhänger unterstützt und er umgekehrt auch aus der Partei weiterhin große Unterstützung erfährt, wie die Beklagte im Einzelnen dokumentiert hat (Belegsammlung III, S. 1595 ff., Materialsammlung Januar 2022, S. 322 ff., 333, 336 ff., 367, 371 f., und Materialsammlung Dezember 2022, S. 1351, 1359 ff.).
261Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese wenigen Aussagen für sich genommen ausreichend sind, um hinsichtlich der Klägerin als Gesamtpartei unter dem Blickwinkel einer demokratiefeindliche Haltung einen hinreichenden Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Für einen größeren Rückhalt in der Partei kann dabei sprechen, dass es nur wenig Kritik an den Äußerungen gab und Andreas Kalbitz für die Aussage in seiner Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018 nicht nur Applaus erhielt, sondern es sogar Sprechchöre gab, die die Rede unterbrachen und die Aussage mehrfach wiederholten (Belegsammlung I, S. 4552).
262Hinreichende Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen ergeben sich jedenfalls in der Gesamtschau, wenn auch die Erklärungen der Klägerin zu den Äußerungen in der oben erwähnten geschlossenen Chatgruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ einbezogen werden.
263Nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks vom 1. Dezember 2021 kommentierten im Dezember 2020 die damalige Landtagsabgeordnete Anne Cyron und das heutige Landesvorstandsmitglied Georg Hock zustimmend die Aussage des damaligen Kreisvorsitzenden Alois Ostermair, „Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr“, Anne Cyron mit dem Satz „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden“ und Georg Hock anschließend mit den Worten „Absolute Zustimmung“. Im Juni 2021 forderte Georg Hock Abgeordnete dazu auf, „das Deutschland meuchelnde System“ zu bekämpfen. Die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks ist dabei für sich genommen noch kein hinreichender Beleg für diese Aussagen, die Chatprotokolle selbst liegen nicht vor. Doch hat Anne Cyron die Berichterstattung über die von ihr „in einem Telegram-Kanal getätigte Situationsbeschreibung“ auf Facebook öffentlich bestätigt und erklärt, dass sie „mit diesem Post“ ihre Meinung geäußert und darauf hingewiesen habe, dass „die Mehrheit der Bevölkerung Widerstand leisten wird, wenn sich die derzeitige Politik nicht ändert“ (Gerichtsakte 13 K 326/21, Bl. 1177 f.). Die Klägerin hat erstinstanzlich selbst vorgetragen, dass der gesamte Chat zwischenzeitlich gelöscht wurde und der Landesvorstand Bayern gegen Georg Hock und Anne Cyron schriftliche Abmahnungen beschlossen und umgesetzt habe (Gerichtsakte 13 K 326/21, Bl. 1175, 1178). Damit liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die genannten Äußerungen tatsächlich in dieser Form abgegeben wurden.
264In diesen Äußerungen zeigen sich tatsächlich vorhandene Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, da sich aus ihnen ergibt, dass nicht nur die Demokratie und das parlamentarische „System“ abgelehnt werden, sondern ein gewaltsamer Umsturz befürwortet wird, um den gewünschten „Kurswechsel“ zu erreichen. Im Hinblick auf die Klägerin als Gesamtpartei begründen sie nur einen Verdacht demokratiefeindlicher Bestrebungen, da es sich nur um Äußerungen einzelner Mitglieder handelt, von denen sich die Klägerin nicht zuletzt durch die ergriffenen Parteiordnungsmaßnahmen in gewissem Umfang distanziert hat. Die ausgesprochenen Abmahnungen und die im Namen des Bundesvorstands und der bayerischen Landtagsfraktion abgegebenen Stellungnahmen vom 2. Dezember 2021, auf die die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen hat, lassen mit Blick auf die Klägerin aber weder die Grundlage für die Zurechnung noch den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen gänzlich entfallen, da sich aus ihnen keine ernsthafte und nachhaltige Distanzierung von den getätigten Aussagen ergibt. In den genannten Stellungnahmen wird zwar klar zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin „ihre politischen Ziele ausschließlich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verfolgen“ werde und sie „als Rechtsstaatspartei fest auf dem Boden des Grundgesetzes“ stehe. Mit den konkreten Aussagen setzen sich die Stellungnahmen aber nicht kritisch auseinander. Vielmehr schreibt die Landtagsfraktion, sie verwahre sich gegen alle Versuche, die Klägerin zu diffamieren, „etwa mit aus dem Kontext gegriffenen Aussagen einzelner Personen in einer Chat-Gruppe“ (Gerichtsakte 13 K 326/21, Bl. 1175 ff.). Die Klägerin hat auch nicht mitgeteilt, wie sie die beschlossenen Abmahnungen im Einzelnen begründet hat und warum keine weitergehenden Maßnahmen ergriffen worden sind, insbesondere warum Georg Hock sogar weiterhin Mitglied des Landesvorstands ist. Die Ernsthaftigkeit der behaupteten Distanzierung durch den Landesverband wird nicht zuletzt auch dadurch in Frage gestellt, dass die Abmahnungen nicht in zeitlicher Nähe zu den Äußerungen erfolgt sind, sondern erst nach der öffentlichen Medienberichterstattung.
265In der Gesamtschau liegen auch trotz der geringen Anzahl der Aussagen und der zwar nicht uneingeschränkten, aber doch beachtlichen Distanzierung von Seiten der Landtagsfraktion hinreichende Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vor, weil sich zum einen – wie oben dargelegt – auch bei anderen Parteimitgliedern aus unterschiedlichen Landesverbänden Anhaltspunkte für in die gleiche Richtung gehende demokratiefeindliche Bestrebungen feststellen lassen und zum anderen die Aussagen nicht öffentlich, sondern in einer geschlossenen Chatgruppe getätigt worden sind und deshalb jedenfalls der Verdacht gerechtfertigt ist, dass Mitglieder der Klägerin sich in der Öffentlichkeit grundsätzlich zurückhaltender äußern als im vertraulichen Kreis und die öffentlichen Äußerungen ihre wahren politischen Zielsetzungen nicht vollständig wiedergeben. Gerade wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Partei möglicherweise aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiert, besteht ein besonderes Bedürfnis, zur Informationsgewinnung auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Wie bereits das Bundesverfassungsgericht bezogen auf verfassungswidrige Parteien festgestellt hat, verhalten sich diese häufig konspirativ und müssen die Verfassungsschutzämter daher in der Lage sein, ihre Informationen ebenfalls unter Geheimhaltung und Tarnung zu gewinnen, um der geheimen Arbeitsweise der Verfassungsgegner auf die Spur zu kommen.
266Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01 –, BVerfGE 107, 339, juris, Rn. 147 (Senatsmehrheit) m. w. N.
267Ein aussagekräftigeres Bild ergäbe sich möglicherweise bereits, wenn der vollständige Chatverlauf vorläge, da der Gesamtkontext den Verdacht sowohl bestätigen als auch entkräften könnte. Dass die Klägerin den Chatverlauf nicht vorgelegt hat, sondern er nach ihren Angaben gelöscht wurde, ist ihr dabei nicht vorzuwerfen, doch lässt es den aufgrund der jedenfalls anderweitig bestätigten Inhalte begründeten Verdacht auch nicht entfallen.
268cc) Angesichts der nach den vorstehenden Ausführungen vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte für mit der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip unvereinbare Bestrebungen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich aus Äußerungen von Mitgliedern und Anhängern der Klägerin tatsächliche Anhaltspunkte für weitere verfassungsfeindliche, gegen die Menschenwürdegarantie, das Demokratieprinzip oder das Rechtsstaatsprinzip gerichtete Bestrebungen ergeben.
269dd) Die vom Bundesamt gesammelten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind uneingeschränkt verwertbar.
270Entgegen dem Einwand der Klägerin stellt die Datensammlung des Bundesamts keinen ein Beweisverwertungsverbot begründenden schwerwiegenden Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Die grundsätzliche Berechtigung des Bundesamts zur Sammlung und Auswertung von Informationen ergibt sich – wie bereits dargelegt – aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Das Bundesamt hat dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen, indem es zunächst auf einen Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln verzichtet und die Klägerin nur als „Prüffall“ eingestuft hat. Die daran anknüpfende umfassende Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot, da sie dem Zweck dient, ein aussagekräftiges Gesamtbild über die politischen Zielsetzungen der Klägerin zu erhalten, und sich nur geringfügig auf ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht auswirkt, da sie ausschließlich ihr zurechenbare öffentliche Betätigungen betrifft und damit keine Informationen umfasst, die dem persönlichen Lebensbereich der betroffenen Personen zuzuordnen wären.
271Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 102 ff.
272Selbst wenn die Speicherung einzelner Informationen unverhältnismäßig sein sollte, weil sie nicht geeignet sind, zur Aufklärung des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen beizutragen, bliebe die Verwertbarkeit der entscheidungserheblichen Informationen im Übrigen unberührt. Unabhängig davon können selbst Erkenntnisse, die das Bundesamt während einer auf der Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte begonnenen Beobachtung gewonnen hat, als Grundlage einer anschließenden weiteren Beobachtung dienen.
273Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 24.
274Dementsprechend gibt es auch kein Beweisverwertungsverbot für Erkenntnisse, die möglicherweise ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte im Rahmen der Bearbeitung als „Prüffall“ gewonnen wurden, so dass vorliegend offenbleiben kann, ob der „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird.
275Entgegen dem weiteren Einwand der Klägerin durfte sich das Bundesamt bei der Erstellung der Gutachten I - III auch der Hilfe eines externen Rechtsanwalts bedienen. Das Bundesamt hat seine Entscheidungsbefugnisse damit nicht auf einen außenstehenden Dritten übertragen, sondern lediglich rechtliche Unterstützung bei der Bewertung eingeholt, ob die normativ-tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Klägerin unter Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln vorliegen. Bei den Gutachten handelt es sich in der Sache um behördeninterne Rechtsgutachten, die als Entscheidungsgrundlage dienen und in der abgestimmten Endfassung zugleich die entscheidungstragenden Annahmen des Bundesamts dokumentieren, die Entscheidung aber nicht vorgeben.
276Die Verwertbarkeit der vom Bundesamt angeführten tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entfällt auch nicht deshalb, weil nicht belegt ist, ob Aussagen von Personen stammen, die als Vertrauensleute im Sinn von § 9b BVerfSchG (V-Leute) tätig sind oder in sonstiger Weise mit dem Bundesamt zusammenarbeiten. Es kann vorliegend offenbleiben, ob – wie die Klägerin behauptet – das Bundesamt, die Landesämter für Verfassungsschutz oder sonstige staatliche Behörden V-Leute, Verdeckte Mitarbeiter oder sonstige menschliche Quellen auf den Führungsebenen der Klägerin und der JA eingesetzt haben und das Bundesamt die Einstufung der Klägerin und der JA auf Materialien und Sachverhalte gestützt hat, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Weder der Einsatz von V-Leuten oder sonstigen Informanten noch die Verwertung der von diesen Personen getätigten Aussagen widerspricht den Grund- sätzen eines fairen, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren, wonach eine Verwertung von Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, aus rechtsstaatlichen Gründen zu unterbleiben hat, da sie aufgrund der mit der V-Mann-Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden können,
277vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 150, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 411,
278lässt sich bereits deshalb nicht auf die nachrichtendienstliche Beobachtung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG übertragen, da diese keine eindeutige Zuordnung voraussetzt, sondern der diesbezügliche – bloße – Verdacht ausreicht. Dies ist eine im Gegensatz zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren gerade niedrigere Eingriffsschwelle.
279Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 25.
280Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, liegen auch dann vor, wenn nicht festgestellt werden kann, inwieweit die von einem V-Mann getätigten Äußerungen der Partei als Gegenstand eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung zuzurechnen sind. Auch für die Gewichtung der verdachtsbegründenden Äußerungen ist dies nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Maßgeblich für den Verdacht ist – wie bereits oben dargelegt – der Beitrag, den die Äußerung zur Meinungsbildung in der Partei leistet. Diese Außenwirkung hängt grundsätzlich nicht von der hinter der Äußerung stehenden inneren Motivation ab. Erst für die volle Zurechnung, wie sie die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 oder 3 GG voraussetzt, muss dem Gebot der strikten Staatsfreiheit folgend sichergestellt sein, dass die tatsächlichen Feststellungen auf Beweismaterialien gestützt werden, die nicht im Wesentlichen „staatsgeprägt“ sind, und können daher nicht eindeutig zuzuordnende Äußerungen nicht verwertet werden.
281Das Bundesverfassungsgericht hat zudem klargestellt, dass auch während eines laufenden Parteiverbotsverfahrens eine Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG grundsätzlich zulässig ist und V-Leute in den Führungsgremien der Partei erst im Vorfeld eines Verbotsverfahrens abgeschaltet werden müssen. Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und entsprechender Verdachtsfälle ist – wie ausgeführt – Ausfluss des Prinzips der „streitbaren Demokratie“, das gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören.
282Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 148, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 409, 418; Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24.
283Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn bereits im Verdachtsstadium in Bezug auf alle Parteivertreter, deren Äußerungen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, offengelegt werden müsste, ob sie dauerhafte Kontakte zu nachrichtendienstlichen Behörden unterhalten.
284Unabhängig davon darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zudem selbst ein Verbots- oder Finanzierungsausschlussantrag nur nicht „im Wesentlichen“ auf Materialien und Sachverhalte gestützt werden, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde.
285Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 140, 157, und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 401.
286Bereits aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob die Einstufung und Beobachtung der Klägerin auch auf Materialien und Sachverhalte gestützt wurde, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor und wird auch von der Klägerin nicht behauptet, dass die Einstufung als Verdachtsfall im Wesentlichen auf von staatlichen Quellen beeinflussten Materialien beruht. Die Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, ergeben sich wie gezeigt nicht aus Verlautbarungen einiger weniger Personen, sondern aus einer Vielzahl von Äußerungen und Veröffentlichungen zahlreicher, auch führender Parteimitglieder, die gerade in der Gesamtschau mehr als hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Grundtendenzen bieten. Erst recht liegen keine Anhaltspunkte für eine umfangreiche staatliche Einflussnahme und Steuerung vor, die auch unabhängig von den im Parteiverbots- oder Finanzierungsauschlussverfahren geltenden Maßstäben zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten.
287Soweit die Klägerin geltend macht, dass verdachtsbegründende Äußerungen auf „Provokationen“ durch behördliche „fake-Accounts“ zurückgehen könnten, hat sie bereits nicht dargelegt, welche der vom Bundesamt dokumentierten Äußerungen nach ihrer Auffassung durch anderweitige Veröffentlichungen provoziert worden sind. Im Übrigen gilt auch für den Einsatz von „fake-Accounts“, dass eine zulässige Beobachtung unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG nach den vom Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Maßstäben erst im Vorfeld eines Verbots- oder Finanzierungsausschlussverfahrens eingestellt oder offengelegt werden muss.
288Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beobachtung der Klägerin der Ausspähung ihrer Prozessstrategie dient oder dass im Rahmen der Beobachtung zufällig oder von anderen Behörden erlangte Informationen über die Prozessstrategie zulasten der Klägerin verwendet werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass, sofern zufällig derartige Erkenntnisse anfielen – was bei dem Einsatz von Mitteln der heimlichen Informationsbeschaffung oder den von der Klägerin angeführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann –, diese nicht zur Akte genommen und verwendet würden. Die ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein erhobenen Gegenbehauptungen der Klägerin geben keinen Anlass für eine weitere Sachverhaltsaufklärung. Insbesondere lassen sich auch dem Prozessverlauf keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beklagten die „Prozessstrategie“ der Klägerin bekannt gewesen sein und sie dieses Wissen im gerichtlichen Verfahren verwendet haben könnte. Unabhängig davon würde sich auch eine etwaige Ausspähung der Prozessstrategie im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich auswirken. Die Rechtmäßigkeit der Einstufung und Beobachtung der Klägerin bliebe davon unberührt. Das gerichtliche Verfahren ist nicht die Grundlage für die Beobachtung der Klägerin, sondern ermöglicht, die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidungen über die Beobachtung der Klägerin zu überprüfen. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren geltenden Grundsätze,
289vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, NJW 2024, 645, juris, Rn. 151 ff., und vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, juris, Rn. 415 ff.,
290lassen sich daher auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen.
291b) Die Einstufung und Beobachtung der Klägerin als „Verdachtsfall“ ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden.
292Bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist das Bundesamt grundsätzlich zur Beobachtung verpflichtet. Es besteht insoweit kein Entschließungsermessen; die offene Formulierung in § 8 Abs. 1 und 2 BVerfSchG („Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf …“) begründet nur ein Auswahlermessen in Bezug auf die Intensität und die Mittel der Beobachtung. Dafür sprechen bereits die Regelungen in § 6 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 und 2 BVerfSchG, wonach eine Pflicht zum Informationsaustausch mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz und zur Information der Öffentlichkeit besteht, die ohne eine vorherige Sammlung und Auswertung von Informationen nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG nicht sachgerecht erfüllt werden kann. Gestützt wird dies durch den Gesetzeszweck, eine Beobachtung schon bei tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu ermöglichen, um frühzeitig feststellen zu können, ob von ihnen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht. Ob und in welchem Umfang eine weitere Beobachtung im Einzelfall erforderlich und zweckmäßig ist, kann dabei nur beurteilt werden, nachdem erste Informationen im Sinn von § 3 Abs. 1 BVerfSchG gesammelt und ausgewertet wurden.
293Vgl. Warg, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, V § 1 Rn. 40; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG Rn. 131 ff.
294Die Rechtmäßigkeit der konkreten Auswahl einzelner Beobachtungsmaßnahmen ist – wie oben dargelegt – nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Zum Auswahlermessen zählen allerdings auch die mit der formellen Einstufung als „Verdachtsfall“ verbundene grundsätzliche Bereitschaft zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und die zeitliche Dauer der Beobachtung, die mit den Klageanträgen angegriffen werden. Insoweit liegen keine Ermessensfehler vor.
295aa) Das Bundesamt hat sich bei den Entscheidungen, die Beobachtung fortzusetzen und dabei auch nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen, vom Zweck der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen leiten lassen, bereits im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken.
296Vgl. zum Gesetzeszweck BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
297In den behördeninternen Gutachten werden die rechtlichen Maßstäbe für eine nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien zutreffend wiedergegeben; ausdrücklich wird auf den hohen Wert der aus den für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlichen Grundprinzipien bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die gesetzgeberische Konzeption des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem hingewiesen, ebenso auf die Pflicht, über die Beobachtungsmittel und -intensität nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Gutachten I, S. 5 ff., Gutachten III, S. 13 ff.). Weder den Gutachten noch den sonstigen Verwaltungsvorgängen oder den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftsätzen lassen sich auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Entscheidung über die Einstufung und Beobachtung der Klägerin nicht auf dem Schutzzweck des BVerfSchG, sondern auf sachwidrigen parteipolitischen Motiven beruhen könnte, mit anderen Worten einem unzulässigen „parteipolitischen Konkurrenzschutz“.
298Die gegenteiligen Behauptungen der Klägerin sind vor diesem Hintergrund letztlich aus der Luft gegriffen. Soweit die Klägerin in den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen einzelne Vorfälle oder Äußerungen benennt, ergeben sich daraus keine Indizien für eine sachwidrige politische Einflussnahme oder Motivation. Insoweit wird auf die Beschlüsse über die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Bezug genommen (Anlage zum Protokoll der Sitzung vom 29. April 2024). Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Argumentation der Klägerin zum Teil schon auf einem Zirkelschluss beruht: Die Klägerin bewertet jede politische Einflussnahme als sachwidrig, weil nach ihrer Auffassung die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung nicht vorliegen. Wenn aber – wie hier festgestellt – die rechtlichen Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Beobachtung vorliegen, ist eine dahingehende Einflussnahme politischer Entscheidungsträger für sich genommen noch kein Indiz für eine sachwidrige, gerade auf parteipolitischen Gründen beruhende Einflussnahme.
299Aber auch die von der Klägerin benannten Äußerungen, die sich darauf beziehen, die „Umfragewerte der [Klägerin] zu senken“ – so eine Formulierung des Präsidenten des Bundesamts im Rahmen eines Fernsehinterviews – oder eine Strategie zur „Bekämpfung“ der Klägerin zu entwickeln – so eine im Rahmen einer Leitungsklausur getroffene Aussage eines Mitarbeiters des BMI –, deuten, wie bereits in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nicht auf eine sachwidrige parteipolitische Motivation hin. Es spricht zwar viel dafür, dass derartige Aussagen nicht mit der Einstufung als Verdachtsfall zu vereinbaren sind. Sie wären aber nicht zu beanstanden, wenn erwiesen wäre, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Das Bundesamt soll gerade Regierung und Öffentlichkeit in die Lage versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren für die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung zu erkennen und diesen mit politischen oder juristischen Mitteln entgegenzuwirken.
300Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
301In diesem Sinn mag also in gewisser Weise mittelbar oder de facto auch das Bundesamt dazu beitragen, „die Umfragewerte einer politischen Partei zu senken“ oder Strategien zu deren „Bekämpfung“ zu entwickeln, zum Beispiel durch Vorbereitung eines Verfahrens nach Art. 21 Abs. 2 und 3 GG. Die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen einer politischen Partei zu informieren, damit sich die Wähler von der Partei abwenden, kann die freiheitliche demokratische Grundordnung dabei sogar unter Umständen wirkungsvoller schützen als ein förmliches Parteiverbot oder ein Finanzierungsausschluss.
302Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Oktober 1975 – 2 BvE 1/75 –, BVerfGE 40, 287, juris, Rn. 16, 20, und vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, BVerfGE 39, 334, juris, Rn. 62.
303Sowohl die auf einer internen Leitungsklausur des BMI geäußerte Forderung, eine „Strategie zur Bekämpfung der [Klägerin]“ zu entwickeln, als auch die öffentliche Aussage des Präsidenten des Bundesamts, es sei nicht allein der Verfassungsschutz „dafür zuständig, die Umfragewerte der [Klägerin] zu senken“, deuten mit anderen Worten darauf hin, dass die Klägerin nicht mehr nur als Verdachtsfall, sondern als erwiesen extremistische Bestrebung angesehen wird. Ob diese Bewertung zutreffend ist, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Auch wenn diese Annahme fehlerhaft sein sollte, wäre dies jedoch kein Indiz für eine sachwidrige parteipolitische Motivation, sondern nur ein Indiz dafür, dass nicht ausreichend zwischen dem Vorliegen bloßer Anhaltspunkte und einer hinreichenden Gewissheit unterschieden wird. Dies folgt – wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt – bereits daraus, dass die Aussagen erst im Sommer 2023 und Januar 2024 getätigt wurden, also mehr als zwei Jahre nach der sachlich zutreffenden Einstufung der Klägerin als Verdachtsfall. Auch inhaltlich stehen diese Aussagen in keinem Widerspruch zu den Maßstäben und Bewertungen in den vorgelegten behördeninternen Gutachten. Sie bieten daher letztlich keinen konkreten Hinweis darauf, dass das Bundesamt mit seinen Maßnahmen sachfremde Ziele verfolgt, die nicht dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienen. Wie bereits im Beschluss des erkennenden Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom 27. September 2023 im Einzelnen ausgeführt, kommt in den von der Klägerin beanstandeten Äußerungen des Präsidenten des Bundesamts im Sommer 2023 im Gegenteil – unabhängig von ihrer isolierten äußerungsrechtlichen Zulässigkeit – jeweils klar zum Ausdruck, dass er sich gerade deshalb verpflichtet sieht, die Öffentlichkeit zu informieren, weil Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
304Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2023 – 5 B 757/23 –, NWVBl. 2024, 29, juris, Rn. 48 ff.
305Der Hinweis der Klägerin auf eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen politischen Parteien ist ebenfalls nicht geeignet, die Beweggründe des Bundesamts in Frage zu stellen. Das Bundesamt hat Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in anderen Parteien nicht ignoriert, sondern in der Vergangenheit auch über andere politische Parteien wegen des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen berichtet, unter anderem über die Parteien „Die Republikaner“ und „Die Linke“. Die Entscheidung über die Dauer und Art der Beobachtung und Berichterstattung hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere auch im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer länger andauernden umfassenden Beobachtung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen lediglich in Bezug auf einzelne Untergliederungen festgestellt werden.
306Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 – 2 BvE 6/08 –, BVerfGE 134, 141, juris, Rn. 136 ff.
307Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat das Bundesamt bei seiner Entscheidung, die Klägerin als „Verdachtsfall“ zu beobachten, auch entlastende Gesichtspunkte berücksichtigt, zum Beispiel die oben angeführte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ vom 18. Januar 2021, die „Anmerkungen zu den Interpretationen des Verfassungsschutzes“ von Björn Höcke vom 4. März 2020 oder die von der Klägerin ergriffenen Parteiordnungsmaßnahmen. Sie hat jeweils geprüft, ob und in welchem Umfang sie bestimmte Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entkräften. Wie bereits dargelegt ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Aussagekraft konkreter Einzeläußerungen aber nicht allein dadurch in Frage gestellt wird, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen.
308Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 49; OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 304; a. A. Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 58 f.
309Wenn eine Vielzahl von Äußerungen vorliegt, die für sich genommen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kann der dadurch begründete Verdacht nur entkräftet werden, wenn konkret diesen Äußerungen in irgendeiner Form entgegengetreten wird oder sie durch Entwicklungen in der politischen Partei überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind.
310Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34.
311Die Klägerin hat keine konkreten Äußerungen oder Beschlüsse von Parteigremien oder Mitgliedern benannt, die vom Bundesamt nicht berücksichtigt worden sind, obwohl sie nach den oben genannten Maßstäben hätten berücksichtigt werden müssen.
312bb) Die fortgesetzte Beobachtung der Klägerin als „Verdachtsfall“ war und ist auch verhältnismäßig.
313Die Beobachtung einer Partei unter Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informanten und Gewährspersonen sowie mittels verdeckter Ermittlungen und Befragungen stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Freiheitssphäre der Partei dar. Wie bereits ausgeführt, hat der Gesetzgeber die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz aber so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfreiheit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützenswerten Belange Betroffener.
314Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 25, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 35 ff.
315Die fortgesetzte Beobachtung der Klägerin bezweckt, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist auch geeignet, diesen Zweck zu fördern. Dem steht nicht entgegen, dass gegebenenfalls aufgrund spezialgesetzlicher oder dienstlicher Regelungen weitere Anforderungen an die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel zu stellen sind. Es obliegt insoweit der Prüfung im konkreten Einzelfall, ob die jeweiligen Einsatzvoraussetzungen erfüllt sind. Eine generelle Untersagung der Verwendung solcher Mittel, wie sie die Klägerin anstrebt, rechtfertigt sich daraus nicht.
316So bereits (zur nachrichtendienstlichen Beobachtung von Scientology) OVG NRW, Urteil vom 12. Februar 2008 – 5 A 130/05 –, KirchE 51, 16, juris, Rn. 346.
317Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist auch nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil sie gegenüber einer öffentlich agierenden politischen Partei nicht erforderlich wären (vgl. § 9 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Beobachtung mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist nicht in gleicher Weise geeignet, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen aufzuklären, da – wie oben dargelegt – konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Klägerin ihre wahren politischen Zielsetzungen nicht vollständig offenlegt. Dass relevante Informationen nicht in jedem Fall aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden können, wird eindrücklich durch die oben angesprochenen Äußerungen in der geschlossenen Chatgruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ belegt, die nur durch die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks bekannt geworden sind und mangels Kenntnis des weiteren Chatverlaufs nicht vollständig eingeordnet werden können. Es sind immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist zum Beispiel nicht erforderlich, wenn er nur dazu dient, die Erkenntnisse in Details zu perfektionieren.
318Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 38.
319Vorliegend lassen sich die tatsächlichen politischen Zielsetzungen der Klägerin aber – wie oben dargelegt – in verschiedenen Bereichen aufgrund der bisher aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen Erkenntnisse nicht verlässlich feststellen, so dass ein genereller Verzicht auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht geboten ist.
320Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann unter Umständen auch dann generell unverhältnismäßig sein, wenn zwar hinreichende, aber nur relativ schwache tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Vielfach dürfte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch gebieten, beim Vorliegen erster Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zunächst von einer Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln abzusehen, da nicht auszuschließen ist, dass der Verdacht sich bereits bei einer intensiveren Sammlung von allgemein zugänglichen Informationen entkräften lässt. Derartige Umstände sind hier aber nicht gegeben. Wie oben dargelegt, lagen und liegen zahlreiche tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die nicht mit der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip zu vereinbaren sind, vor allem eine Vielzahl von ausgrenzenden und diffamierenden Äußerungen, die bereits für sich genommen den Verdacht verfassungsfeindlicher Zielsetzungen rechtfertigen, aber auch einzelne konkret verfassungswidrige Forderungen, die diesen Verdacht noch einmal verstärken. Das Bundesamt hat die Klägerin auch nicht von Beginn an mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet, sondern zunächst über einen längeren Zeitraum auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verzichtet.
321Dabei kann auch an dieser Stelle dahinstehen, ob die vom Bundesamt vorgenommene Einstufung als „Prüffall“ im Rechtssinn nur einen Unterfall des „Verdachtsfalls“ im Sinn eines Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, bei dem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel generell verzichtet wird, oder diesem zeitlich wie normativ vorgelagert ist. Entscheidend ist hier allein, dass vor der mit der formellen Einstufung zum „Verdachtsfall“ erklärten grundsätzlichen Absicht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel die Klägerin bereits über einen längeren Zeitraum mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung beobachtet wurde, ohne den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen damit ausschließen zu können. Mit anderen Worten: Die von der Klägerin im Berufungsverfahren gerügte Kategorienbildung des Bundesamts ist im BVerfSchG zwar nicht vorgesehen, steht dazu aber auch nicht in Widerspruch, sondern dient gerade der Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.
322Im Einzelfall kann es auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar sein, wenn einmal gegebene Verdachtsmomente zu einer „Dauerbeobachtung“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln führen, obwohl sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind.
323Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 66 (Beobachtungszeitraum von 35 Jahren unverhältnismäßig), und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 34 (Beobachtungszeitraum von vier Jahren unbedenklich).
324Es kann offenbleiben, ob dies nur Fallgestaltungen betrifft, in denen entweder letztlich kein Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen mehr besteht oder eine weitere Beobachtung nicht erforderlich ist, weil nicht zu erwarten ist, dass damit neue relevante Erkenntnisse gewonnen werden können, oder ob auch Fälle denkbar sind, in denen der zu erwartende zusätzliche Erkenntnisgewinn so gering ist, dass nur die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn nicht gewahrt wäre.
325Die Grenze einer unzulässigen „Dauerbeobachtung“ ist jedenfalls bei weitem nicht überschritten. Die Beobachtung der Klägerin währt zum einen noch nicht übermäßig lang. Zudem war das Bundesamt aufgrund des vom Verwaltungsgericht Köln im Wege einer Zwischenentscheidung erlassenen Beschlusses vom 5. März 2021 im Verfahren 13 L 105/21 (NVwZ-RR 2021, 626, juris) über einen langen Zeitraum an einer umfassenden Aufklärung mit nachrichtendienstlichen Mitteln gehindert und hat die Beobachtung erst nach den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. und 10. März 2022 entsprechend intensiviert. Zum anderen sind die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände nicht im Wesentlichen unverändert geblieben. Insbesondere hat die Klägerin parteiintern bei weitem nicht eine Stabilität erreicht, die eine weitere Beobachtung entbehrlich machen könnte. Besonders deutlich wird dies an den – zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung noch aktuellen – Bundesvorstandsmitgliedern Christina Baum und Maximilian Krah, gegen die – wie oben bereits ausgeführt – nach den Angaben der Klägerin noch im Februar 2022 vom Bundesvorstand Parteiordnungsmaßnahmen in Betracht gezogen bzw. angeregt worden sind und die anschließend im Juni 2022 selbst in den Bundesvorstand gewählt worden sind, also innerhalb weniger Monate deutlich an Einfluss in der Partei gewonnen haben, obwohl ihre Äußerungen weiter Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten. Offen ist aber beispielsweise auch der zukünftige Einfluss von Andreas Kalbitz, dessen Mitgliedschaft zwar aufgehoben wurde, der aber weiter starke Unterstützung in der Partei genießt. Auch wenn die politischen Zielsetzungen vieler Parteimitglieder unverändert geblieben sein mögen, lässt sich dies jedenfalls nicht für den Einfluss bestimmter Strömungen innerhalb der Gesamtpartei feststellen und besteht auch insoweit Anlass für eine fortgesetzte Beobachtung, um den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären. Starre Fristen, nach denen die Beobachtung als „Verdachtsfall“ einzustellen ist, wenn der Verdacht unverändert fortbesteht, aber bislang noch nicht weiter aufgeklärt werden konnte, lassen sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ableiten. Insbesondere bei einer wesentlichen Änderung der für die Beobachtung maßgeblichen Umstände gibt es keinen Anlass, die Beobachtung allein deshalb abzubrechen, weil sie schon einen bestimmten Zeitraum andauert.
326II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung als „Verdachtsfall“ durch das Bundesamt (Klageantrag zu 2.). Das Bundesamt darf öffentlich bekanntgeben, dass es die Klägerin als „Verdachtsfall“ einordnet, beobachtet, behandelt, prüft oder führt.
3271. Rechtsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe durch das Bundesamt ist § 16 Abs. 1 BVerfSchG.
328Nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes vom 17. November 2015 (BGBl. I S. 1938) informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz.
329Mit der Neuregelung sollte das Bundesamt nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich dazu ermächtigt werden, die Öffentlichkeit auch über „Verdachtsfälle“ zu unterrichten, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Grundlage der bis dahin geltenden Fassung des § 16 BVerfSchG nicht möglich war. Die konkrete Formulierung soll dabei deutlich machen, dass eine Abwägung der Erkenntnisdichte und des öffentlichen Interesses an einer Verdachtsberichterstattung erfolgen muss.
330Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. April 2015, BT-Drs. 18/4654, S. 32; Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 18/5415, S. 12; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12 ff.
331Bei Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Öffentlichkeit auch über Verdachtsfälle zu unterrichten, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend gewichtig sind, um die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung als Verdachtsfall auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen.
332Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2013 – 6 C 4.12 –, NVwZ 2014, 233, juris, Rn. 12; siehe auch BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 564/19 –, NJW 2022, 3629, juris, Rn. 18, und vom 31. Mai 2022 – 1 BvR 98/21 –, NJW 2022, 3627, juris, Rn. 16.
333Dies gilt auch für politische Parteien. Die Aufnahme einer Partei in einen Verfassungsschutzbericht ist zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die dafür sprechen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, und die belastenden Maßnahmen den rechtsstaatlichen Anforderungen namentlich der Verhältnismäßigkeit genügen.
334Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 24; siehe auch BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 45; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 –, NVwZ-RR 2021, 39, juris, Rn. 19; a. A. Murswiek, NVwZ 2004, 769 (775 ff.); Conrad, in: Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht, 2022, § 3 Rn. 139.
335Wie oben bereits ausgeführt, findet das Selbstbestimmungsrecht der Parteien seine Schranke in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ und zielt die Beobachtung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatliche Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Parteien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln entgegenzuwirken.
336Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 24, und vom 7. Dezember 1999 – 1 C 30.97 –, BVerwGE 110, 126, juris, Rn. 19, 27.
337Politische Parteien müssen sich entsprechend ihrer Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG), der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Teil der öffentlichen Auseinandersetzung sind Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei als verfassungsfeindlich, sofern sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz halten. Solchen Äußerungen kann und muss die betroffene Partei mit den Mitteln des Meinungskampfes begegnen. Auch staatliche Stellen sind nicht gehindert, zum Beispiel das Für und Wider eines Verbotsverfahrens mit der gebotenen Sachlichkeit zur Debatte zu stellen. Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit verbietet staatlichen Stellen grundsätzlich nur dann, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
338Vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2014 – 2 BvE 4/13 –, BVerfGE 136, 323, juris, Rn. 26, und Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 20 ff.
3392. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung der Klägerin als Verdachtsfall sind gegeben.
340Wie oben bereits dargelegt, liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin Bestrebungen verfolgt, die im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Es liegen auch „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ im Sinn von § 16 Abs. 1 BVerfSchG vor.
341Der gesetzliche Maßstab weicht insoweit aus guten Gründen von dem für die Beobachtung maßgeblichen Begriff der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ in § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG ab. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung einer Partei als Verdachtsfall beeinträchtigt sie deutlich stärker in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit als die bloße Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. Der Eingriff ist möglicherweise weniger schwerwiegend als eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, da sich politische Parteien – wie ausgeführt – der öffentlichen Auseinandersetzung stellen müssen und Teil dieser öffentlichen Auseinandersetzung auch Äußerungen zur Einschätzung einer politischen Partei als verfassungsfeindlich sind.
342Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 21.
343Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall kann aber gravierende Auswirkungen auf die politische Betätigung der Partei haben, weil sie der Partei erschweren kann, Anhänger und Wähler für sich zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen.
344Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 95.
345Darin liegt nicht automatisch eine Verletzung des Rechts politischer Parteien auf Chancengleichheit. Es ist – wie bereits dargelegt – gerade ein legitimes Ziel und von der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“ gedeckt, die Öffentlichkeit über den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen auch deshalb zu informieren, um sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der betreffenden Partei anzuhalten und möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken. Es ist aber in besonderer Weise darauf zu achten, dass die Äußerungen zur Einordnung als Verdachtsfall mit der gebotenen Sachlichkeit erfolgen und nicht der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die betroffene Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.
346Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 2013 – 2 BvE 11/12 –, BVerfGE 133, 100, juris, Rn. 22 f., und vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 63, juris, Rn. 78; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 7. August 2018 – 5 A 1698/15 –, juris, Rn. 128 ff. (zu § 3 Abs. 3, § 5 Abs. 7 VSG NRW); Hess. VGH, Beschluss vom 3. März 2021 – 7 B 190/21 –, juris, Rn. 24 ff. (zu § 2 Abs. 1 Satz 4 VSG Hessen); Brandt, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, VIII § 2 Rn. 38 ff.
347Dementsprechend sind an die grundsätzliche Befugnis zur Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall hier im Ergebnis keine strengeren Anforderungen zu stellen als an die grundsätzliche Befugnis zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Die zahlreichen über einen längeren Zeitraum beobachteten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen einen gewichtigen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der es rechtfertigt, die Öffentlichkeit über die Beobachtung durch das Bundesamt zu unterrichten.
3483. Die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin als „Verdachtsfall“ ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden. Das Bundesamt muss ermessensfehlerfrei abwägen, ob ein öffentliches Interesses an der Bekanntgabe der Beobachtung als Verdachtsfall besteht, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
349Angesichts der politischen Bedeutung der Klägerin, die im Deutschen Bundestag, in 14 Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertreten ist, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse, über die Beobachtung als Verdachtsfall unterrichtet zu werden. Je größer die Anhängerschaft einer Partei ist, umso größer ist auch das Bedürfnis, möglichen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit politischen Mitteln entgegenzuwirken, auch wenn nicht feststeht, ob sie tatsächlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Die öffentliche Bekanntgabe ist nicht darauf gerichtet, die Klägerin als Partei zu schwächen, sondern soll die Öffentlichkeit auf mögliche Gefahren hinweisen. Gerade wenn möglicherweise trotz entsprechender Anhaltspunkte in Wahrheit keine verfassungsfeindlichen Zielsetzungen verfolgt werden oder nur einzelne Personen verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen oder nur einzelne, untergeordnete Zielsetzungen verfassungsfeindlich sind, kann sich die Klägerin der politischen Auseinandersetzung auch stellen, indem sie ihre Ziele erläutert und missverständlichen Äußerungen und verfassungswidrigen Forderungen einzelner Parteimitglieder entgegentritt.
350Die sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der Klägerin sammelt und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzt, belastet die Klägerin daher auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere wird mit der Bezeichnung als „Verdachtsfall“ in keiner Weise der Eindruck erweckt, es stehe fest, dass die Klägerin gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt. Der Begriff „Verdachtsfall“ findet sich nicht im BVerfSchG, ist aber eine inhaltlich zutreffende Beschreibung für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen.
351Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, juris, Rn. 29 und vom 14. Dezember 2020 – 6 C 11.18 –, BVerwGE 171, 59, juris, Rn. 23.
352In welcher Form sich das Bundesamt abgesehen von der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin als Verdachtsfall weiter über die Klägerin und die Gründe für ihre Beobachtung äußern darf oder muss, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens, ebenso wenig die Aufnahme der Klägerin in den Verfassungsschutzbericht des BMI nach § 16 Abs. 2 BVerfSchG.
353Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
354Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil ein über den Einzelfall hinausgreifendes, allgemeines rechtliches Interesse an der höchstrichterlichen Klärung einer für den erkennenden Senat erheblichen Frage des revisiblen Rechts nicht besteht. Die maßgeblichen Rechtsfragen der Beobachtung einer Partei auf Grundlage der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG sowie deren Bekanntgabe nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG sind in der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt.