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1 Wird die Vaterschaft durch den Kindsvater erfolgreich angefochten, berührt das trotz dem damit einhergehenden Wegfalls der Vaterschaft ex tunc nicht die deutsche Staatangehörigkeit des Kindes.2 Dieses behält wegen der nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlichen, aber nach wie vor fehlenden gesetzlichen Grundlage unabhängig von seinem Alter die deutsche Staatsangehörigkeit.3 Unabhängig davon wird das Abstellen auf ein festes Alter (hier: Vollendung des fünften Lebensjahres) in Fällen der Vaterschaftsanfechtung unionsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, da die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften die Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht gewährleisten (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 (Rottmann) -.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Januar 2021 verpflichtet, die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers festzustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Für den am 00.0. 2014 in N. als Kind einer kongolesischen Mutter, die im Jahr 2013 in das Bundesgebiet eingereist war, geborenen Kläger erkannte der deutsche Staatsangehörig C. die Vaterschaft an, so dass der Kläger mit der Zustimmung der Kindsmutter die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb.
3Mit seit dem 3. November 2017 rechtskräftigen Beschluss des AG Duisburg vom 29. August 2017 - 55 F 176/16 - stellte das Amtsgericht auf Antrag des C. fest, dass der Kläger nicht von diesem abstamme.
4Mit Bescheid vom 6. Januar 2021 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sei. Zur Begründung führte sie aus, § 17 Abs. 2, Abs. 3 StAG sei eine hinreichend bestimmte, gesetzliche Grundlage, für den auf den Zeitpunkt der Geburt rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.
5Dagegen hat der Kläger am 11. Februar 2021 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, er habe auf den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit vertraut; es fehle für den Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit an einer gesetzlichen Grundlage; das Bürgerliche Gesetzbuch regle allein den rückwirkenden Verlust der Vaterschaft; auch die Neufassung des § 17 StAG im Jahr 2009 genüge nicht; der angefochtene Bescheid stelle ferner einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Unionsbürgerschaft dar; das nunmehr bestehende Bewusstsein für die Unionsbürgerschaft könne nicht ohne Berücksichtigung seiner persönlichen Belange, mithin automatisch entfallen.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Januar 2021 zu verpflichten, seine deutsche Staatsangehörigkeit festzustellen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie meint, eine hinreichend bestimmt, gesetzliche Grundlage für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bestehe; das habe auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss aus dem Jahr 2016 zumindest mittelbar bestätigt; das gelte jedenfalls für Kinder unter fünf Jahren, wie dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung; Unionsrecht greife nicht, da dem Kläger keine Staatenlosigkeit drohe; dieser sei abgeleitet von seiner Mutter kongolesischer Staatsangehöriger; zu berücksichtigen sei das Alter des Klägers; dieser habe sich aufgrund der sehr geringen Zeitdauer des Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit und damit der Unionsbürgerschaft noch nicht auf diese verlassen können, bzw. eingerichtet haben.
11Entscheidungsgründe:
12Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 18. Mai 2021 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO übertragen worden ist.
13Die zulässige Klage ist begründet.
14Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit. Entsprechend erweist sich der Bescheid vom 6. Januar 2021 als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15Der Anspruch des Klägers folgt aus § 30 Abs. 1 Sätze 1 und 3 StAG. Danach wird das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses von Amts wegen festgestellt. Dieses öffentliche Interesse ergibt sich zum einen aus dem Handeln der Beklagten selbst; sie hielt es offensichtlich für erforderlich, das Nichtbestehen festzustellen. Nichts anders kann sich so für das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit ergeben. Zum anderen hat die Feststellung verbindliche Wirkung in allen Angelegenheiten, für die das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist; das betrifft insbesondere die aufenthaltsrechtliche Situation des Klägers und seiner Mutter. Auch daraus folgt die Notwendigkeit im öffentlichen Interesse, verbindliche Verhältnisse zu schaffen.
16Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger.
17Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StAG erworben, da er nach der erfolgten Anerkennung der Vaterschaft durch einen deutschen Staatsangehörigen und der Zustimmung der Kindsmutter von einem deutschen Staatsangehörigen abstammt, mithin ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
18Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht nach dem Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 29. August 2017 wieder verloren, auch wenn darin rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Kläger nicht von dem angenommen deutschen Kindsvater abstammt, dieser mithin kein Elternteil des Kläger ist.
19Auch wenn diese Feststellung gemäß § 1599 Abs. 1, 1592 Nr. 2 BGB auf den Zeitpunkt der Geburt des Klägers zurückwirkt,
20BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 1.17 -, unter: bverwg.de (Rn. 12, 18), BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 194/09 -, in: juris,
21und der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft am 3. November 2017 der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung ist,
22BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 1.17 -, unter: bverwg.de (Rn. 11),
23steht dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit entgegen, dass es für diesen keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage gibt,
24so ebenfalls OVG Bremen, Urteil vom 10. März 2020 - 1 LC - 171/16 - und VG Hamburg, Urteil vom 17. Juni 2020 - 6 K 4501/19 -; a.A. VGH Mannheim, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 11 S 2426/19 - und OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2019 - 8 ME 66/19 -, jeweils in: juris.
25Es handelt sich bei der Rechtsfolge, die sich aus der erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft für die Staatsangehörigkeit des Klägers ergibt, um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der an Art. 16 Abs. 1 GG zu messen ist, da der seine deutsche Staatsangehörigkeit allein vom Anfechtungskläger, dem deutschen Staatsangehörigen C. herleitet. Denn die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft, an der der Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes hängt, beseitigt eine zuvor bestehende deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes und nicht etwa nur den Schein einer solchen. Aus der verfassungsrechtlich maßgeblichen Perspektive handelt es sich mithin um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der dem Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG unterfällt,
26BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 20).
27Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG darf ein Verlust der Staatsangehörigkeit unter anderem nur aufgrund eines Gesetzes eintreten. Das verlangt zur Legitimierung des unfreiwilligen Verlusts der Staatsangehörigkeit eine gesetzliche Grundlage. Dabei gebietet Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG, den Verlust der Staatsangehörigkeit so bestimmt zu regeln, dass die für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zum Staatsvolk nicht beeinträchtigt wird. Hierbei sind die strengen Anforderungen zu beachten, die der Gesetzesvorbehalt an die Regelung der Staatsangehörigkeit stellt. Zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen,
28BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 20).
29Diesen Anforderungen genügt weder § 17 Abs. 2, Abs. 3 StAG in der Fassung von Art. 1 Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 noch die familienrechtlichen Vorschriften zur Anfechtung der Vaterschaft.
30Die genannten familienrechtlichen Vorschriften zur Anfechtung durch den Vater regeln die Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit nicht ausdrücklich; sie genügen dem Gesetzesvorbehalt nicht,
31BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 34).
32Auch die Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes mit der Einführung der Abs. 2 und Abs. 3 in § 17 StAG genügt nicht.
33Insofern bleibt zunächst festzuhalten, dass der nicht abschließende § 17 Abs. 1 StAG zunächst die Verlustgründe im Staatsangehörigkeitsgesetz bestimmt. Die Formulierung „Die Staatsangehörigkeit geht verloren […]“ ist eindeutig. Unter den nachfolgenden sieben Nummern findet sich nicht die Anfechtung der Vaterschaft.
34Die erforderliche gesetzliche Grundlage kann so - wie die Beklagte letztlich zutreffend einräumt - erst in doppelter, mittelbarer Anwendung durch Bezugnahmen geschaffen werden. Das genügt nicht.
35Zunächst bestimmt § 17 Abs. 2 StAG allein, dass bei der Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung (§ 35 StAG) die deutsche Staatsangehörigkeit der Kinder unberührt bleibt, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet haben. § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG erweitert dies durch eine entsprechende Anwendung bei Entscheidung nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge haben, insbesondere bei der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft nach § 1599 BGB. Von einer erforderlichen, ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes, mithin einer Regelung, die den „Verlust der Vaterschaft […] anordnet“,
36so wörtlich BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 34),
37kann nach wie vor keine Rede sein. Das vermag etwa auch das OVG Lüneburg,
38Beschluss vom 12. September 2019 - 8 ME 66/19 -, in: juris (Rn. 49),
39nicht darzulegen, auch wenn es dort heißt, dass der Umstand, dass die Staatsangehörigkeit infolge der Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft wegfällt, ausdrücklich gesetzlich geregelt sei; die nachfolgenden Ausführungen des Gerichts verdeutlichen selbst, dass davon keine Rede sein kann, da gerade Tatbestand und Rechtsfolge des rückwirkenden Entfallens nicht in einer eigenen Vorschrift mit konstitutiver Wirkung angeordnet wurden, was dem Gesetzgeber durch Einführung einer weiteren Nummer in § 17 Abs. 1 StAG jederzeit möglich wäre.
40Ohne diese eindeutige konstitutive Wirkung einer gesetzlichen Regelung ergibt sich ein Wegfall der Staatsangehörigkeit des Kindes - wie vor der Neuregelung im Jahr 2009 - weiterhin lediglich aus der Anwendung zweier ungeschriebener Rechtsregeln, an die § 1599 Abs. 1 BGB unausgesprochen anknüpft. Zugrunde liegen erstens die Annahme der Rückwirkung der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung auf den Zeitpunkt der Geburt und zweitens die Annahme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in vollem Umfang den familienrechtlichen Abstammungsvorschriften folgt, sodass die staatsangehörigkeitsrechtlichen Erwerbsvoraussetzungen mit der Vaterschaft rückwirkend entfallen,
41BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 34),
42was als solches nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht genügt.
43Diese Regelungswirkung kraft Familienrechts setzt der Gesetzgeber aber offensichtlich weiter voraus, ohne den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit mit der Gesetzesänderung im Jahr 2009 erkennbar geregelt zu haben, was aber erforderlich ist. Dagegen spricht, dass es sich nach der gesetzgeberischen Intention bei der Regelung in Abs. 2, auf die Abs. 3 entsprechend Bezug nimmt, nur um eine Klarstellung handelt („Absatz 2 stellt klar […]),
44BR-Drs. 549/08, Seite 9,
45der eine konstitutive Wirkung für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit schon nach dem Willen des Gesetzgebers nicht entnommen werden kann. Auch dass der Gesetzgeber nur „beispielhaft“,
46BR-Drs. 549/08, Seite 7,
47mithin nicht abschließend, Regelungen für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit treffen wollte, spricht eindeutig gegen ein Bewusstsein des Gesetzgebers, überhaupt einen Verlustgrund regeln zu wollen und nicht nur mittelbar mit der Vollendung des fünften Lebensjahres eine Frist zu bestimmen, nach der ein Verlust nicht mehr eintreten kann. Das fehlende Regelungsbewusstsein betriff eben nicht nur die in Abs. 3 und der Gesetzesbegründung angesprochenen Fälle („insbesondere“), sondern etwa auch die Rücknahme einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU (§ 51 Abs. 9 Nr. 1 AufenthG), den Widerruf eines unbefristeten Aufenthaltstitels (§ 51 Abs. 1 Hs. 1 Nr. 4 AufenthG) oder die Nichtigkeit von Aufenthaltstiteln oder einer Adoption,
48vgl, Oberhäuser, in Hofmann, Ausländerrecht, StAG § 17, Rn. 36.
49Nimmt der Gesetzgeber folglich nicht alle Fälle in den Blick und verweist nur auf eine (gerade nicht) klarstellende Regelung, kann von einem gesetzgeberischen Willen, den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit entsprechend Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG regeln zu wollen, keine Rede sein.
50Der damit angedachten gleichstellenden Regelung aller möglichen Entscheidungen nach anderen Gesetzes im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG kann den unionsrechtlichen Bezügen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Angemessenheit des Verlust in Bezug auf die Bedeutung für das Kind nicht gerecht werden, so dass die Gleichstellung aller sonstigen Verlustgründe eine willkürlichen Regelung gleichkommt, die es nicht geben kann und vor der auch Kleinkinder geschützt sind,
51BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 30).
52Unionsrechtlich ist klargestellt, dass die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem Völkerrecht in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt. Das schließt es aber nicht aus, dass die betreffenden nationalen Vorschriften in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, dieses Recht beachten müssen, so dass auch im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts das Unionsrecht zu beachten ist,
53EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 (Rottmann) -, unter: curia.eu (Rn. 39, 41, 45).
54Das erfordert unionsrechtlich, dass in den Fällen, in denen der Betroffene neben der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats auch die Unionsbürgerschaft verliert, die Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen müssen,
55EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-135/08 (Rottmann) -, unter: curia.eu (Rn. 54, 55).
56Die gebotene Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann national nur über die Einräumung von Ermessen oder der entsprechenden Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verlustgrundes erfolgen. Damit ergeben sich grundsätzlich keine Bedenken bei den angesprochenen Fällen nach §§ 35 StAG, 51 Abs. 1, Abs. 9 AufenthG oder 15 BVFG. Anders liegt die Sachlage hingegen im Verfahren der Anfechtung der Vaterschaft. Dort wird im amtsgerichtlichen Verfahren allein berücksichtigt, ob das Kind vom Anfechtungsberechtigten (§ 1600 Abs. 1 Nr. 1 BGB) abstammt und die gesetzliche Vermutung des § 1600c Abs. 1 BGB widerlegt werden kann. Für die beschriebenen unionsrechtlichen Aspekte lassen weder Tatbestand noch Rechtsfolgen der Norm Raum.
57Das gilt entsprechend für Art. 16 Abs. 1 Satz 2 BGB. Selbst bei der Annahme des § 17 Abs. 2 StAG, dass Kinder bis zur Vollendung des fünfte Lebensjahres üblicherweise noch kein eigenes Vertrauen auf Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit entwickelt haben, wird eine starre Grenze den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt nämlich nicht allein auf das geringe Alter des Kindes ab, sondern kumulativ auch auf die nichtdiskriminierende Natur der Regelungen. Vor willkürlicher Aberkennung/Entziehung der Staatsangehörigkeit sind auch Kleinkinder geschützt,
58BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 2 BvR 1327/18 -, unter: bverfg.de (Rn. 30).
59Diesem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit wird nur eine Regelung gerecht, die abweichend von einer festen Altersgrenze die Berücksichtigung individueller Umstände zulässt, indem bei der zugrundeliegenden Entscheidung, welche den Elternteil betrifft, auch die Belange der davon abgängigen Angehörigen hinreichend berücksichtigt werden.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
61Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
62Die Zulassung war gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtsache - auch vor dem Hintergrund divergierender Rechtsprechung der Obergerichte - grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob die deutsche Staatsangehörigkeit erlischt wird so in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht nur unterschiedlich bewertet; sie betrifft zudem nicht allein Fragestellungen im Bereich des Staatsangehörigkeitsrecht, sondern hat - als Vorfrage - unmittelbare Auswirkungen auf die aufenthaltsrechtliche Situation des Kindes und seiner Familienangehörigen.
63Rechtsmittelbelehrung:
64Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
65Die Berufung kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
66Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen.
67Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
68Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
69Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.