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Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Beklagten aus dem öffentlichen Teil der Ratssitzung am 26. November 2015 unwirksam sind.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Bürgermeister der Stadt H. berief am 16. November 2015 eine Ratssitzung für den 26. November 2015 ein. Ort der Sitzung war der Ratssaal des Rathauses. Im Mittelpunkt der Tagesordnung stand - neben den Beratungen über die Haushaltssatzung 2016 - der mögliche Ausbau der B 224 zur Autobahn A 52.
3Im Dezember 2011 war der Stadt H. durch das Bundesverkehrsministerium und den damaligen Landesverkehrsminister ein Angebot zur Lösung der Verkehrsprobleme auf der B 224 und zum Ausbau der Bundesstraße zur A 52 unterbreitet worden. Kern dieses Angebots war ein Ausbau zwischen Q. - und H1. - / M.---straße als Volltunnel in einer Länge von 1,5 km sowie als Anknüpfung von der A 2 und A 52 ein Autobahnkreuz mit einem sogenannten Überflieger. Da das Vorhaben im Bereich der Stadt H. auch aus Städtebauförderungsmitteln finanziert werden sollte, wurde über die notwendige finanzielle Beteiligung der Stadt H. an den Kosten des geplanten Tunnels am 25. März 2012 ein Ratsbürgerentscheid durchgeführt. Die Mehrheit der Abstimmenden (Ja-Stimmen: 10.255; Nein-Stimmen: 12.991) sprach sich gegen die geplante Beteiligung der Stadt H. am Tunnelbau aus. Der Stimmzettel zum Referendum enthielt den folgenden Hinweis:
4"Mit "Nein" stimmen Sie gegen die finanzielle Beteiligung der Stadt H. an dem Volltunnel und für einen Abbruch des Planungsprozesses des Ausbaus der B 224 zur A 52 auf H2. Stadtgebiet durch das Land NRW".
5Im August 2014 wurde das Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der B 224 zur A 52 zwischen der Stadtgrenze C. und der A 2 - einschließlich des Autobahnkreuzes - in H. eingeleitet. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens beschloss der Beklagte für die Stadt H. in ihren Eigenschaften sowohl als Träger öffentlicher Belange im Sinne des § 73 Abs. 2 VwVfG NRW als auch als Einwender im Sinne des § 73 Abs. 4 VwVfG NRW eine umfassende kritische Stellungnahme zum Bau des Abschnitts zwischen der Stadtgrenze C. /H. und der A 2.
6Im März und November 2015 wurden erneut Gespräche zwischen Stadt, Bund und Land geführt. Zur Sitzung am 26. November 2015 wurde dem Beklagten eine Vereinbarung zum geplanten Neubau der A 52 im Zuge der B 224 auf H2. Stadtgebiet sowie Eckpunkte hierzu unter TOP 4 a) zur Erörterung und Beschlussfassung vorgelegt. Die Klägerin brachte hierzu einen Vorschlag gem. § 7 der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt H. und seiner Ausschüsse ein. Sie begehrte mit ihrem Antrag die Durchführung eines - erneuten - Ratsbürgerentscheids. Der Antrag der Klägerin wurde als Tagesordnungspunkt TOP 4 b) festgesetzt.
7Da die Verwaltung mit einem großen Zuschauerinteresse für die Ratssitzung rechnete, entschloss sie sich dazu, für die Ratssitzung Eintrittskarten zu vergeben. Im Ratssaal standen von den normalerweise vorhandenen 40 Plätzen aufgrund zusätzlicher Bestuhlung ca. 65 Sitzplätze zur Verfügung. Zusätzlich wurde die Ratssitzung akustisch in den Sitzungssaal I und den Empfangsraum übertragen. Auch die zum Tagesordnungspunkt 4 in der Sitzung gezeigte PowerPoint-Präsentation wurde in diese Räume übertragen. Dadurch konnten insgesamt weitere 100 Zuhörerplätze geschaffen werden.
8Bei der Vergabe der Eintrittskarten wurde so verfahren, dass zunächst ein Kontingent von 25 Plätzen den Fraktionen entsprechend ihrem Proporz nach dem Wahlergebnis der Kommunalwahl 2014 zur Verfügung gestellt wurde. Demnach erhielt die SPD zwölf Karten, die CDU sieben Karten, die Linke und die Grünen je zwei Karten und die SBIG und die DSL je eine Karte. Zusätzlich wurden der IHK zwei Karten zur Verfügung gestellt, dem Personalrat zwei Karten und dem Bürgermeister sieben Karten. Außerdem wurden Karten für besondere Gäste wie folgt zur Verfügung gestellt: zwei Karten für den Landrat/Kreis, eine Karte für den Verein zur Förderung der H2. Wirtschaft e.V., eine Karte für Herrn Prof. M1. von der Fachhochschule N. , der die Stadt bei der Verkehrsplanung zur B 224 / A 52 umfassend beraten hatte und eine Karte für den neuen, aber noch nicht in sein Amt eingeführten Kämmerer. 24 Plätze wurden durch die Verwaltung nach der Reihenfolge der telefonischen Anfragen an interessierte Bürger vergeben.
9Im Sitzungsraum I waren etwa 30 Zuhörer und im Empfangsraum weitere 7 Zuhörer, die die Sitzung verfolgten.
10Dieses Verfahren wurde in den örtlichen Tageszeitungen mitgeteilt. Am Tage der Ratssitzung war die erste Stuhlreihe der Zuhörerplätze im Ratssaal mit aufgelegten Zetteln "Reservierung" versehen. Nach Sitzungsbeginn hatten auf dieser Stuhlreihe Personen des öffentlichen Lebens Platz genommen. Vor und nach Beginn der Sitzung fanden am Zugangsportal des Rathauses Einlasskontrollen statt.
11Die Klägerin rügte beim Vorsitzenden des Beklagten am 24. November 2015 die Verletzung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit und kündigte einen Antrag auf Vertagung an. Vor Eintritt in die Tagesordnung wiederholte die Klägerin ihre Rüge und stellte einen Vertagungsantrag mit der Maßgabe, dass die etwaige Ausgabe von Eintrittskarten zu einer neu einzuberufenden Ratssitzung unter Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit vorzunehmen sei. Der Vertagungsantrag wurde mit großer Mehrheit der Mitglieder des Beklagten abgelehnt.
12Der Beklagte beschloss mit großer Mehrheit in namentlicher Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 4 a), das Ergebnis der Gespräche zwischen Bund, Land und Stadt zum geplanten Ausbau der B 224 zur A 52 zu begrüßen und den Bürgermeister zu beauftragen, die inhaltlich endabgestimmte Vereinbarung zum geplanten Neubau der A 52 im Zuge der B 224 auf H2. Stadtgebiet abzuschließen. Der Antrag der Klägerin auf Durchführung eines erneuten Ratsbürgerentscheids über die finanzielle Beteiligung der Stadt H. an den Ausbauvorhaben wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Die Haushaltssatzung wurde verabschiedet.
13Die Klägerin hat am 17. Dezember 2015 die vorliegende Klage erhoben.
14Zur Begründung trägt sie vor, die Beschlüsse des Beklagten in der Sitzung am 26. November 2015 seien unwirksam. Sie seien unter Verletzung des unmittelbar aus dem Demokratiegebot abzuleitenden Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit zu Stande gekommen. Verstöße gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit stellten wegen der Bedeutung des Demokratiegebotes schwere Verfahrensfehler dar, die zur Unwirksamkeit der gefassten Beschlüsse führten, ohne dass es eines Nachweises bedürfe, dass die Beschlüsse bei öffentlicher Sitzung anders ausgefallen wären.
15Sie, die Klägerin, habe als Fraktion ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit.
16Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GO NRW seien die Sitzungen des Rates öffentlich. Öffentlich sei eine Ratssitzung, wenn jeder ohne Ansehen seiner Person Zutritt zum Sitzungsraum habe. Zwar könnten Eintrittskarten ausgegeben werden, wenn die räumlichen Kapazitäten begrenzt seien. Allerdings müsse das Vergabeverfahren geeignet sein, Einfluss auf die Zusammensetzung der Öffentlichkeit zu vermeiden.
17Zwar habe die Verwaltung bei der Wahl des Modus der Kartenvergabe grundsätzlich einen Entscheidungsspielraum. Innerhalb dieses Entscheidungsspielraums sei jedoch sicherzustellen, dass für jedermann, der den Zugang zur Sitzung wünsche, grundsätzlich der freie Zugang zum Sitzungsort offen stehe.
18Dies vorausgeschickt sei es bereits zweifelhaft, ob eine Vorwegausgabe der Eintrittskarten überhaupt mit den Anforderungen des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit zu vereinbaren sei. Bei der Vergabe der Karten an die unmittelbare Öffentlichkeit, also für die Zuschauerplätze, müsse die Vergabe zwingend an objektive Kriterien gebunden sein. Eine Vorreservierung sei generell unzulässig. Prinzipiell erscheine allein die unmittelbare Weitergabe des gesamten Kartenkontingents durch die Verwaltung an die Öffentlichkeit als zulässig und sachgerecht, indem die Vergabe der Karten ausschließlich in der Reihenfolge ihrer Anforderungen geschehe. Das Gebot der Öffentlichkeit dürfte verletzt sein, wenn in Abkehr von der Sitzplatzbereitstellung die für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmte Zahl der Zuhörerplätze gezielt verringert werde. Das Vergabeverfahren sei insbesondere nicht geeignet gewesen, Einfluss auf die Zusammensetzung der Öffentlichkeit zu vermeiden.
19Die Erweiterung der Zuhörerplätze durch akustische Übertragung in den Sitzungssaal I und den Empfangsraum müsse bei der Kapazitätsbestimmung unberücksichtigt bleiben. Sie sei kein tauglicher Gesichtspunkt zur Feststellung einer ermessensorientierten Beschränkung oder gar des Ausschlusses der Öffentlichkeit im Sitzungssaal des Rathauses. Es komme allein auf die Saalöffentlichkeit an. Der Meinungs- und Willensbildungsprozess müsse für die Öffentlichkeit und jeden einzelnen Zuhörer durchsichtig und nachvollziehbar sein. Die Zuhörer sollen aus eigener unmittelbarer Beurteilung eine sachgerechte Kritik an Entscheidungen sowie an einzelnen Mandatsträgern anbringen können. Die akustische Übertragung von Sitzungsverläufen in Nebenräume könne diese unmittelbare Teilhabe am Willensbildungsprozess im Sitzungssaal des Rates nicht ersetzen.
20Jedenfalls werde aber die Vergabe eines Teilkontingents der Eintrittskarten nach Fraktionsstärke den Anforderungen des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit nicht gerecht. Es sei dadurch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Weitergabe der Eintrittskarten durch die den Zutritt letztlich vermittelnden Dritten (die Fraktionen) über den Grundsatz der Öffentlichkeit zuwiderlaufende Auswahlmaßstäbe geschehe, die zur Bevorzugung bestimmter Personen oder Personengruppen führe - etwa nach politischen oder taktischen Zielvorstellungen - und damit gerade nicht ohne Ansehen der Person erfolge. Öffentlichkeit sei ohne Ansehung der Person herzustellen. Jeder Beteiligte sei gleich zu behandeln. Werde aber die Vergabe in das Ermessen Dritter gestellt, so führe dies dazu, dass gerade keine objektiven Kriterien mehr angewandt würden.
21Unter den gegebenen Umständen erscheine allein die unmittelbare Weitergabe des gesamten Kontingents durch die Verwaltung an die Öffentlichkeit (sog. Prioritäts- oder Windhundprinzip) als zuverlässig und sachgerecht, indem die Vergabe der Karten ausschließlich in der Reihenfolge ihrer Anforderungen geschehe.
22Die Klägerin beantragt,
23festzustellen, dass die Beschlüsse des Beklagten im öffentlichen Teil der Sitzung am 26. November 2015 unwirksam sind.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung trägt er vor, dass der Zugang nach Maßgabe der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse "im Prinzip" jedermann offen stehen müsse. Zuhörer seien also nur zuzulassen, soweit tatsächlich Plätze vorhanden seien. Die Rechtsprechung habe klargestellt, dass unter dem Gesichtspunkt der Sitzungsöffentlichkeit ausdrücklich keine Verpflichtung bestehe, die üblichen Kapazitäten eines Sitzungsraumes zu erweitern oder einen besonders großen Sitzungsraum zu wählen. Allerdings dürfe auch kein so kleiner Raum gewählt werden, dass die Öffentlichkeit faktisch ganz ausgeschlossen sei oder nur so wenige Zuhörer Zutritt hätten, dass sie nicht mehr als Repräsentanten der Öffentlichkeit angesehen werden könnten.
27Vor diesem Hintergrund bliebe zunächst festzuhalten, dass der Bürgermeister der Stadt H. keinesfalls verpflichtet gewesen sei, einen größeren Saal zu wählen oder mehr Zuschauerplätze zu schaffen, als regulär im Ratssaal vorhanden gewesen seien. Indem die Zuschauerplätze im Zuschauerbereich des Ratssaals durch engere und zusätzliche Bestuhlung von regulär 40 auf 65 aufgestockt worden sei, sei mehr Öffentlichkeit ermöglicht worden, als rein rechtlich erforderlich gewesen sei. Die Pflicht zur Gewährleistung der Sitzungsöffentlichkeit sei sogar überobligatorisch erfüllt worden.
28Auch die Verteilung der Zuschauerplätze über Platzkarten sei zulässig gewesen. Anerkannt sei, dass dem mit der Sitzungsleitung betrauten Entscheidungsträger bei der Entscheidung über die Modalitäten zur Gewährung der Sitzungsöffentlichkeit ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt werde, der im Wesentlichen durch das Willkürverbot begrenzt sei. Die Vorgehensweise bei der Vergabe der Platzkarten für die Sitzung am 26. November 2015 sei keinesfalls willkürlich gewesen, sondern offensichtlich darauf gerichtet, es einerseits möglichst vielen interessierten Personen zu ermöglichen, die Debatte und Abstimmung im Rat zu verfolgen, und andererseits einen ungestörten und geordneten Ablauf der Ratssitzung sicherzustellen.
29Die Verteilung der 24 Zuschauerplätze an interessierte Bürger über Platzkarten sei rechtlich nicht zu beanstanden. In Fällen, in denen mit einem besonderen Zuschauerinteresse zu rechnen sei, seien vorbeugende Maßnahmen zulässig, mit denen die ungestörte Durchführung der Sitzung sichergestellt werde. Demnach seien Maßnahmen, die den Zutritt zur Sitzung erschwerten, nicht unzulässig, wenn für sie im Interesse der Durchführung einer ungestörten Sitzung ein verständlicher Anlass bestehe. Insbesondere die Vergabe von Platzkarten werde grundsätzlich für zulässig erachtet, wenn diese zeitnah und ohne Beschaffungsaufwand von interessierten Zuhörern besorgt werden könnten und kostenlos erhältlich seien.
30Diese Voraussetzungen seien gegeben gewesen. Angesichts der Bedeutung der Sitzung für Personen aus Verwaltung und Politik sowie des besonderen Interesses der allgemeinen Öffentlichkeit und angesichts der im Vorfeld angemeldeten Demonstrationen der Gegner des Autobahnausbaus seien vorbeugende Maßnahmen zur Steuerung der Zuschauermengen und kontrollierten Belegung der Zuschauerplätze im Ratssaal offensichtlich erforderlich gewesen, um einen ungestörten Sitzungsablauf sicherzustellen. Die Karten seien zudem kostenlos ausgegeben worden. Sie seien über die Verwaltung auch ohne besonderen Aufwand zu beschaffen gewesen, da eine telefonische Reservierung genügt habe.
31Insbesondere sei es auch unproblematisch, dass "nur" 24 Plätze nach dem Prioritätsprinzip an die "allgemeine Öffentlichkeit" vergeben worden seien. Denn eine Anzahl von 24 Zuschauerplätzen werde dem allgemeinen, durchschnittlichen Interesse an einer Ratssitzung gerecht, auf das bei der Bemessung der Plätze allein abzustellen gewesen sei.
32Letztlich komme es an dieser Stelle nicht darauf an, konkret zu beziffern, wie viele Plätze die Stadt H. für ein durchschnittliches Zuschauerinteresse hätte vorhalten müssen. Entscheidend sei, ob die hier vorgehaltenen Plätze ausreichend gewesen seien, um zu gewährleisten, dass die Zuschauer als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden könnten. Denn in diesem Fall sei gewährleistet, dass die Funktionen der Sitzungsöffentlichkeit erfüllt seien, nämlich insbesondere die Informations-, Partizipations- und Legitimations- bzw. Kontrollfunktion. Das sei bei 24 Zuschauerplätzen zweifellos der Fall.
33Auch die Ausgabe von insgesamt 41 Platzkarten an die Fraktionen und an sonstige Repräsentanten sei nicht zu bemängeln. Es liege auf der Hand, dass an einer Ratssitzung regelmäßig nicht nur die Ratsmitglieder und der Bürgermeister sowie die "allgemeine Öffentlichkeit", sondern auch eine Vielzahl anderer Mitarbeiter, Repräsentanten und Entscheidungsträger teilnehmen wollen würden. Die Gemeindeordnung unterstelle die Anwesenheit von Mitgliedern der Bezirksvertretungen und Mitgliedern der Ausschüsse, die kein Ratsmandat hätten, in der Ratssitzung etwa in § 48 Abs. 4 Satz 1 GO NRW wie selbstverständlich. Ebenso sei allgemein anerkannt, dass Fraktionsassistenten, Personalratsmitglieder, Pressevertreter, Vertreter der Aufsichtsbehörde etc. regelmäßig an den Ratssitzungen teilnehmen würden und sich insoweit - naturgemäß - das Platzangebot im Ratssaal verringere.
34Vor diesem Hintergrund sei es nicht nur angemessen, sondern notwendig gewesen, auch den Fraktionen und den zu erwartenden Repräsentanten und Vertretern Platzkarten zur Verfügung zu stellen, um sicherzustellen, dass alle sich auf das knappe Raumangebot einstellen können und dadurch einen störungsfreien Sitzungsbeginn und -ablauf zu gewährleisten. Den Fraktionen und sonstigen Personen seien insoweit keine Plätze zur Verfügung gestellt worden, die "an sich " der Öffentlichkeit "gehörten", sondern die Belegung des Ratssaals sei über die Platzkarten auch hinsichtlich der weiteren - ansonsten ebenfalls anwesenden - Personen so gesteuert worden, dass alle Interessen in angemessenem Umfang berücksichtigt worden seien, andererseits aber jeder sich auch auf die räumlichen Beschränkungen habe einstellen können und müssen.
35Die Vergabe von Platzkontingenten an die Fraktionen entsprechend ihrem Proporz stelle sich als sachlich begründet und keinesfalls als willkürlich dar, da auch in anderen Zusammenhängen der Proporz das entscheidende Kriterium für eine Differenzierung zwischen den politischen Kräften im Rat bzw. für die Verteilung von Mitteln und Ressourcen darstelle. Insoweit werde auch nicht die Ermessensentscheidung des Bürgermeisters über die Zuteilung von Plätzen an die Öffentlichkeit auf die Fraktionen verlagert, sondern den Fraktionen seien Plätze zugeteilt worden, die sie im eigenen Informationsinteresse hätten nutzen können.
36Die Anzahl der über den Bürgermeister an sonstige Repräsentanten vergebenen Plätze sei ebenfalls nicht zu beanstanden und bringe keine unangemessene oder unsachliche Bevorzugung dieser Personen und auch keine unangemessene Beschränkung des Platzangebotes für die allgemeine Öffentlichkeit mit sich. Der Bürgermeister habe insoweit das ihm eingeräumte Ermessen nicht pflichtwidrig und keinesfalls willkürlich ausgeübt.
37Wolle man dies anders sehen, läge in der Vorgehensweise der Platzvergabe jedenfalls nur eine Beschränkung der für die allgemeine Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Plätze und kein Ausschluss der Öffentlichkeit. Da mit insgesamt 24 Zuschauerplätzen und etwa 100 Zuhörerplätzen noch hinreichend Plätze für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden hätten, liege eine relevante Verletzung des Prinzips der Sitzungsöffentlichkeit nicht vor.
38Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 8. Mai 2018 und der Beklagte mit Schriftsätzen vom 26. April 2018 und 28. Juni 2018 mit einer Entscheidung ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
40Entscheidungsgründe:
41Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2, 87a Abs. 2, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
42Die Klage ist zulässig und begründet.
43Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Denn das Begehren ist auf die Feststellung des Bestehens eines innerorganschaftlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Gegenstand des Klagebegehrens ist die Frage, ob der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit in der Ratssitzung vom 26. November 2015 verletzt wurde. Dieser von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit stellt ein konkretes organschaftliches Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO dar.
44Eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines organschaftlichen Rechtsverhältnisses innerhalb kommunaler Organe (“Kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage”) ist in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn es sich bei der geltend gemachten Rechtsposition um eine durch das Innenrecht eingeräumte Zuständigkeit handelt, die dem klagenden Organ oder Organteil als wehrfähiges subjektives Organrecht zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen ist. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der jeweils einschlägigen innerorganisatorischen Norm zu ermitteln.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. September 1988 - 7 B 208.87 -; OVG NRW, Urteil vom 24. April 2011 - 15 A 3021/97 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 1992 - 1 S 2242/91-, jeweils juris.
46Nach diesen Maßstäben ist die Klagebefugnis der klagenden Ratsfraktion zu bejahen. Der Ratsfraktion steht ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit in § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW durch den Bürgermeister und den Rat zu. Ratsfraktionen sind in Bezug auf die Sitzungsöffentlichkeit mit eigenen wehrfähigen Organrechten ausgestattet. Anerkannt ist nämlich, dass der Verpflichtung des Bürgermeisters aus § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW, einen durch eine Fraktion vorgeschlagenen Tagesordnungspunkt in die Tagesordnung der Ratssitzung aufzunehmen, ein subjektives Organrecht der Fraktion korrespondiert. Diese hat einen Anspruch auf Aufnahme ihres Vorschlags in die Tagesordnung des Rates, sofern der Vorschlag die formalen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW erfüllt.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, vom 21. Dezember 1988 - 15 A 951/87 - und vom 16. Dezember 1983 - 15 A 2027/83 -, jeweils juris.
48Aus § 56 Abs. 2 Satz 1 GO NRW folgt sodann das Recht der Ratsfraktionen, ihre Auffassung öffentlich darzustellen, soweit sie bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung im Rat mitwirken. Daraus folgt, dass einer Ratsfraktion somit grundsätzlich ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit aus § 48 Abs.2 Satz 1 GO NRW durch den Rat zusteht.
49Vgl. OVG NRW, Urteile vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 - und vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, jeweils juris.
50 51Eine Verletzung dieses Rechts durch die Durchführung der Ratssitzung am 26. November 2015 und die dort gefassten Ratsbeschlüsse erscheint hier zumindest möglich.
52 53Der Zulässigkeit der Klage steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Ratssitzung vom 26. November 2015 in der Vergangenheit liegt und die gefassten Ratsbeschlüsse mittlerweile außenwirksam vollzogen sind. In einem solchen Fall ist ein Interesse an der Feststellung durch Rechtsverletzung nur unter besonderen Voraussetzungen anzuerkennen. Diese orientieren sich an den rechtlichen Anforderungen zum berechtigten Interesse bei der Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Absatz 1 Satz 4 VwGO, da die Sachverhalte in den wesentlichen Punkten gleichgelagert sind.
54Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4. August 1993- 1 S 1888/92 - juris.
55Danach ist das Feststellungsinteresse zu bejahen bei einer konkreten Wiederholungsgefahr, wenn die begehrte Feststellung für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen erheblich ist oder wenn die Maßnahme diskriminierende Wirkung hatte und der Kläger ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse besitzt.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 2010 - 15 A 2399/08 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4. August 1993 - 1 S 1888/92 -, juris.
57Die Voraussetzungen für die hier von der Klägerin geltend gemachte Wiederholungsgefahr liegen vor. Insoweit kann der Klägerin ein Interesse an der begehrten Feststellung der Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte trotz des mittlerweile erfolgten Vollzugs der Ratsbeschlüsse nicht grundsätzlich abgesprochen werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einer weiteren Ratssitzung mit besonderem Zuschauerandrang in gleicher Weise verfahren wird.
58Die Klage ist auch begründet.
59Es liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit vor. Die Durchführung der Ratssitzung am 26. November 2015 und die dort gefassten Beschlüsse verletzen die Klägerin in ihren organschaftlichen Rechten.
60Die Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse sind grundsätzlich öffentlich, vgl. § 48 Abs. 2 GO NRW. Der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit bedeutet, dass jedermann im Sinne einer Saalöffentlichkeit grundsätzlich das Recht hat, ohne Ansehen seiner Person als Zuhörer an den Sitzungen des Rates teilzunehmen. Dieser Grundsatz folgt aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes und ist grundlegend für die Funktionsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung. Denn das Demokratieprinzip beinhaltet ganz wesentlich die Kontrolle der Gewählten durch die Wähler und die Öffentlichkeit, zu der auch die Medien gehören. Zur Gewährleistung der Sitzungsöffentlichkeit ist der Ort der Ratssitzung so zu wählen, dass möglichst viele Gemeindeeinwohner ihn erreichen können. Die Räumlichkeiten sind so zu wählen, dass ein ungehinderter Zugang gewährleistet ist und ausreichend Platz für die Zuhörer zur Verfügung steht. Zuhörer sind zur Wahrung der Sitzungsöffentlichkeit nur zuzulassen, soweit Plätze vorhanden sind. Als Zuhörer ist grundsätzlich jedermann zugelassen, soweit es der für die Öffentlichkeit bestimmte Raum zulässt. Verstöße gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit führen zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüssen.
61Vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Juli 1989 - 15 A 713/87 -, DVBl. 1990, 160-161 und vom 3. November 2009 - 15 A 2318/07 - (zur entsprechenden Problematik einer Senatssitzung einer Hochschule), juris; Articus/Schneider, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, 5. Auflage, § 48; Rehn/Cronauge/Von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NRW, Kommentar, 46. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2017, § 48.
62Diesen Anforderungen entsprach das Vorgehen des Beklagten nicht. Die hier durchgeführte Vergabe der Eintrittskarten ist nicht mit dem Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit vereinbar.
63Grundsätzlich ist den kapazitativen Grenzen mittels Chancengleichheit beim Zutritt zu begegnen.
64Unbedenklich ist insoweit zunächst, dass die vorhandenen Zuschauerplätze durch Eintrittskarten vergeben und begrenzt wurden. Grundsätzlich wird durch diese Vorgehensweise nicht ausgeschlossen, dass jedermann, der an einer Teilnahme der Ratssitzung interessiert ist, die Möglichkeit hat, diese zu besuchen. Dass im Hinblick auf die räumliche Kapazität tatsächlich einzelnen Personen der Zugang verwehrt bleiben muss, verletzt nicht den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit. Bei der Entscheidung über den Umfang einer im Hinblick auf die räumlichen Verhältnisse erforderlichen faktischen Begrenzung der Öffentlichkeit ist auch die Notwendigkeit einer geordneten und ungestörten Durchführung der Ratssitzung zu berücksichtigen.
65Vgl. Zur Saalöffentlichkeit im Strafverfahren BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 1 StR 527/05 -, juris.
66Auch die konkrete Ausgestaltung, die Eintrittskarten nach der Reihenfolge der telefonischen Anfrage zu vergeben, stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit dar. Es bestand für jedermann die Chance, eine Eintrittskarte zu bekommen.
67Jedoch liegt hier ein Verstoß gegen Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit in der Weise vor, dass vorab ca. 2/3 der Eintrittskarten an die einzelnen Fraktionen im Verhältnis zu ihrer Fraktionsstärke (25 der Eintrittskarten) und an ausgewählte Personen des Öffentlichen Lebens (16 der Eintrittskarten) überlassen worden sind. Diese Vergabepraxis lässt eine an sachgerechten Kriterien regulierte Zulassung der Öffentlichkeit nicht mehr erkennen. Vielmehr wurde auf diese Weise Einfluss auf das in der Ratssitzung gebildete Abbild der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise ausgeübt. Denn von den 65 Sitzplätzen im Zuschauerraum konnten lediglich 24 Sitzplätze von der allgemeinen Bevölkerung erlangt werden. Die – wenn auch „überobligatorische“ – Erhöhung der Zuschauerkapazität muss grundsätzlich auch der Öffentlichkeit, für die die weiteren Sitzplätze geschaffen wurden, vorbehalten bleiben.
68Als Folge der gezielten Steuerung der politisch vertretenen Meinungen im Zuschauerraum kann eine Beeinflussung bei der Abstimmung der einzelnen Ratsmitglieder und Fraktionen nicht ausgeschlossen werden. Durch die Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit konnte eine ungehinderte Beratung und Beschlussfassung nicht mehr gewährleistet werden. Nach der Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts gehört es zu den essentiellen Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Sitzungsbetriebs, eine von psychologischen Hemmnissen möglichst freie Atmosphäre zu schaffen. Das beruht auf dem legitimen, letztlich in der Gewährleistung der Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten öffentlichen Interesse daran, dass die Willensbildung des Rates als demokratisch legitimierter Gemeindeverwaltung ungezwungen, freimütig und in aller Offenheit verläuft.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 1990 - 7 C 14/90 -, juris.
70Zwar kann das einzelne Ratsmitglied oder die Fraktion nicht eine ausgewogene Abbildung der vertretenen Meinungen durch die zugelassene Öffentlichkeit beanspruchen. Durch die Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit wird jedoch gewährleistet, dass die tatsächliche Meinung der Bevölkerung abgebildet wird. Die gezielte Vergabe an politische Meinungsträger konterkariert diese Gewährleistung. Die auf diese Weise zugelassenen Zuhörer können nicht mehr als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden.
71Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 3. November 2009- 15 A 2318/07 -, juris.
72Das insoweit angeführte Argument des Beklagten, dass die Gemeindeordnung die Anwesenheit von Mitgliedern der Bezirksvertretungen und Mitgliedern der Ausschüsse, die kein Ratsmandat haben, in der Ratssitzung etwa in § 48 Abs. 4 Satz 1 GO NRW unterstelle, verfängt in diesem Zusammenhang nicht. Denn eine Vergabe von Zuschauerplätzen an Personen aus diesem Kreis ist schon nicht ersichtlich.
73Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes stellt einen Verstoß gegen tragende Verfahrensprinzipien der Kommunalverfassung dar, der die Unwirksamkeit der Satzungsbeschlüsse zur Folge hat.
74Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.