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Es wird festgestellt, dass der gegenüber der Klägerin ausgesprochene Platzverweis, die Identitätsfeststellung sowie die Ingewahrsamnahme und Verbrin- gung nach Brühl am 18. Juni 1999 rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand Zwischen dem 18. und 20. Juni 1999 fand in Köln der Weltwirtschaftsgipfel statt. Im Hinblick auf dieses Treffen bestand innerhalb des Polizeipräsidiums Köln die Wei- sung, dass nicht genehmigte Veranstaltungen im Bereich der Innenstadt (innerhalb der Ringe) nicht stattfinden sollten. Falls Personen zu solchen Veranstaltungen an- reisten, sollten Platzverweise für die Innenstadt ausgesprochen und die Personalien feststellt werden.
2Vor dem Hintergrund des Weltwirtschaftsgipfels rief der ICC (Inter-Continental- Caravan for Solidarity and Resistance) zu einer "laugh-parade" am 18. Juni 1999 um 17.00 auf dem Ebertplatz (Bereich der Kölner Ringe) auf. In den Aufrufen heißt es u.a.: "We will try out an Indian form of action which consists of laughing at power- structures and the absurdity of their acts", "... und wir lachen uns kaputt! Die Staats- führer der "great 7" und Russland kommen nach Köln, um ganz tolle Sachen wie Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit für alle zu schaffen, und sich dabei wichtig zu fühlen. ....Komm zum Gipfel-Zirkus und zur einmaligen LAUGH PARADE". Eine An- meldung der Veranstaltung erfolgte nicht.
3Am 18. Juni 1999 brach eine Gruppe von ca. 300 bis 400 Personen, darunter die Klägerin, gegen 17.00 aus einem "Camp" an der Rhieler Auen in die Innenstadt auf, man wollte an der "laugh-parade" teilnehmen. Die Gruppe traf an der U-Bahn Halte- stelle "Boltensternstrasse" ein, von dort aus sollte zum Ebertplatz gefahren werden. Eine größere Anzahl von Beamten des Beklagten hinderte die Gruppe durch "Ein- kesselung" an der Weiterfahrt. Gegen 17.30 wurde gegenüber allen Mitgliedern der Gruppe Platzverweise für die Innenstadt (Bereich innerhalb der Ringe) ausgespro- chen. Sodann wurde bekannt gegeben, dass die Identität der Gruppenmitglieder festgestellt werden solle, um ggf. später die Durchsetzung der ausgesprochen Platz- verweise zu sichern. Personen, die ihre Personalien freiwillig angaben, durften ge- hen. Die anderen Personen wurden dann im Rahmen der Personalienfeststellung nach Brühl verbracht. Zu diesen Personen gehörte auch die Klägerin.
4Eine "laugh-parade" fand dann zwar am 18. Juni 1999 gegen 17.00 Uhr in der Innenstadt am Ebertplatz statt, es waren jedoch nur ca. 100 bis 200 Personen anwe- send. Auch diese Personengruppe sollte gegen 18.10 Uhr von Beamten des Beklag- ten "eingekesselt" werden, vielen Teilnehmern gelang es jedoch, sich in kleinen Gruppen abzusetzen.
5Mit Schreiben vom 24. November 1999 wendete sich die Klägerin an das beklag- te Polizeipräsidium und rügte, dass die vorgenommenen Maßnahmen rechtswidrig seien. Eine Grundlage für ein Aufenthaltsverbot für die Innenstadt sei nicht ersicht- lich, da die Teilnahme an einer ungenehmigten Veranstaltung weder strafbar noch ordnungswidrig sei. Zudem sei das Versammlungsgesetz insoweit "polizeifest", als auch eine nicht angemeldete Versammlung zunächst aufgelöst werden müsse, bevor nach dem Polizeigesetz vorgegangen werde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1999 verwies der Beklagte auf seine Stellungnahmen im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens.
6Am 5. Juni 2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wird u.a. vor- getragen, dass die Klage zulässig sei. Es bestehe ein Rehabilitierungsinteresse, da bei dem Einsatz ihr Ansehen in der Öffentlichkeit herabgewürdigt worden sei. Für einen unbefangenen Beobachter stelle sich die Situation so dar, als ob sie verhaftet worden sei, ihr also ein schwerwiegender Verstoß zur Last gefallen sei.
7Die Klage sei auch begründet. Hier sei es bei dem Platzverweis um eine Maß- nahme im Vorfeld einer Versammlung gegangen, solche Maßnahmen könnten aber nur dann auf Polizeirecht gestützt werden, wenn die Versammlung vorher förmlich aufgelöst worden sei. Dies sei hier nicht erfolgt, vielmehr sei nur der Platzverweis ausgesprochen worden. Die Rechtswidrigkeit des Platzverweises führe auch dazu, dass die durchgeführte Identitätsfeststellung rechtswidrig sei, auch hier gelte der Vor- rang des Versammlungsrechts.
8Die Klägerin beantragt,
9festzustellen, dass der gegenüber der Klägerin ausgesprochene Platzver- weis, die Identitätsfeststellung sowie die Ingewahrsamnahme und Verbringung nach Brühl am 18. Juni 1999 rechtswidrig gewesen sind.
10Das beklagte Polizeipräsidium beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei, da kein Feststellungsinteresse der Klägerin bestehe. Ihre Rehabilitierung könne sie im Strafverfahren erreichen, auch habe sie sich durch ihr eigenes Verhalten in der Öffentlichkeit selbst diskreditiert. Die Klage sie im übrigen auch unbegründet. Seinerzeit sei der gesamten Personengruppe per Lautsprecher mitgeteilt worden, dass Versammlungen in der Innenstadt verboten seien. Es sei möglich gewesen die Maßnahmen gegenüber der Klägerin auf Polizeirecht zu stützen, da es sich nicht um Maßnahmen bei einer Versammlung sondern nur um Vorfeldmaßnahmen gehandelt habe. Auf der Bahnhaltestelle habe keine Versammlung stattfinden sollen. Schließlich sei die ausgesprochene und durchgesetzte Personalienfeststellung rechtmäßig gewesen, die Klägerin sei in jedem Fall verpflichtet gewesen, den Anordnungen der Beklagten Folge zu leisten.
13Mit Beschluss vom 22. August 2002 - auf den Bezug genommen wird - hat das Gericht ausgesprochen, dass der Verwaltungsrechtsweg zulässig ist.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Akten der Strafverfahren StA Köln 121 Js 543/99 und 121 Js 548/99 verwiesen. Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig, insbesondere liegt ein berechtigtes Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor (§ 43 Abs. 2 bzw. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein schutzwürdiges ideelles Interesse an der Rechtswidrigkeitsfeststellung nicht nur in den Fällen in Betracht kommt, in denen abträgliche Nachwirkungen der erledigten Verwaltungsmaßnahme fortbestehen. Vielmehr kann auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordern, das Feststellungsinteresse anzuerkennen. Hierzu zählen namentlich Feststellungsbegehren, die polizeiliche Maßnahmen zum Gegenstand haben. Denn das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es, dass der Betroffene Ge- legenheit erhält, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkende Grund- rechtseingriffe auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensverlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann.
15BVerwG NJW 1997, S. 2534 ff.; NVwZ 1999, S. 991 ff.
16Ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Sinne dieser Rechtsprechung liegt dabei auch dann vor, wenn es um eine Freiheitsentziehung zur Durchsetzung eines Platzverweises bzw. einer Identitätsfeststellung geht.
17BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), NJW 1999, S. 3773
18Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. In der Ingewahrsamnahme lag ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, der sich typischerweise sofort nach Ende der Maßnahme erledigte. Eine "Bemakelung" der Klägerin ist darüber hinaus nicht erforderlich. Dass sie erst ein Jahr nach der Ingewahrsamnahme Klage erhob, ist vorliegend unbeachtlich. Denn sie hat sich schon frühzeitig und nachhaltig darum bemüht, die Rechtswidrigkeit der ihr gegenüber angeordneten Maßnahmen feststellen zu lassen.
19Die Klage ist begründet, weil der Klägerin ein Anspruch auf die begehrte Feststellung zusteht. Die angegriffenen Maßnahmen waren rechtswidrig.
20Der von Beamten des Beklagten am 18. Juni 1999 ihr gegenüber ausgesprochene Platzverweis für den Bereich der Kölner Innenstadt war rechtswidrig. Grundlage für diesen Platzverweis kann allein § 34 PolG NRW sein. Die Anwendung von Polizeirecht war jedoch (insoweit) gesperrt, weil abschließende Sonderregelungen des Versammlungsrechts galten, die einen Platzverweis nicht gestatteten.
21Vergl. zur insoweit gegebenen Spezialität des Versammlungsrechts z.B. BVerwG NVwZ 1988, S. 250; OVG NRW, NVwZ 2001, S. 1315.
22Bei der "laugh parade" am 18. Juni 1999 handelte es sich um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 VersG. Eine "Versammlung" liegt vor, wenn eine zahlenmäßig nicht bestimmte Menge von Menschen zusammenkommt, deren Zusammentreffen einen kollektiven Prozess von gewisser Dauer mit Bezug auf die öffentliche Meinungs- und Willensbildung auslöst; es geht um kollektive Meinungskundgabe. Der Schutz ist dabei nicht auf Versammlungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen.
23Vergl. BVerfGE 69, 315 (343); OVG NRW, NVwZ 2001, S. 1315.
24Nach diesen Maßgaben stellte die "laugh-parade" eine Versammlung dar; es ging nämlich um eine kollektive Meinungskundgabe im Rahmen des Weltwirtschaftsgipfels. Allein der Umstand, dass die "laugh parade" als "Spaßparade" u.ä. bezeichnet wurde ändert daran nichts. Klar war, dass gegen den Weltwirtschaftsgipfel bzw. gegen die Globalisierung protestiert werden sollte.
25Unerheblich ist insoweit, dass es sich bei der "laugh-parade" um eine nicht angemeldete Versammlung handelte. Der rechtliche Schutz, den Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz genießen, entfällt als solcher nicht schon dadurch, dass Versammlungen nicht angemeldet werden (vergl. § 15 Abs. 2).
26War mithin die "laugh-parade" eine Versammlung, konnten Maßnahmen gegen diese zunächst allein nach Versammlungsrecht erfolgen. Zwar gilt grundsätzlich, dass die Anwendung von Polizeirecht im Vorfeld einer Versammlung möglich ist, dies aber nur dann, wenn die Regelungen nicht darauf abzielen, die Teilnahme an der Versammlung bzw. die Versammlung selbst zu verhindern. Vorfeldregelungen sind nur zulässig, um im Rahmen der Teilnahme an der Versammlung Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten zu verhindern.
27Siehe dazu z.B. Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, Rdnr. 3 zu § 15 VersG; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl. 2000, Rdnr. 5 f. zu § 15 VersG.
28Eine zulässige Vorfeldregelung lag hier nicht vor, da der Platzverweis ersichtlich darauf zielte, die Teilnahme an der "laugh-parade" zu verhindern. Besonders deutlich wird dies daran, dass mit diesem Platzverweis wesentlich mehr Personen von der "laugh-parade" ferngehalten wurden, als letztendlich an ihr teilnehmen konnten. Auch ging es nicht darum, einzelne Störer "herauszupicken", vielmehr war Sinn der Maßnahme die Unterbindung der Teilnahme "normaler" Demonstranten.
29Endlich kann auch dann auf das Polizeirecht zurückgegriffen werden, wenn und soweit eine Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG aufgelöst wurde. Vor der Auflösung einer Versammlung verbleibt es allerdings bei der Spezialität der versammlungsrechtlichen Regelungen. Insbesondere ist die "Einkesselung" einer Versammlung ohne deren vorherige Auflösung unzulässig.
30Vergl. z.B. BVerwG NVwZ 1988, S. 250; OVG NRW, NVwZ 2001, S. 1315.
31Eine Auflösung der "laugh-parade" ist hier nicht erfolgt, wie sich aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsvorgangs und der beigezogenen Strafakten ergibt. Eine Auflösung wurde weder gegenüber den Teilnehmern auf dem Ebertplatz, noch gegenüber den potentiellen Teilnehmern an der Boltensternstraße ausgesprochen. Zwar war die Versammlung nicht angemeldet, gleichwohl hätte sie erst nach § 15 Abs. 2 VersG aufgelöst werden müssen. Dies ist unterblieben, womit die Spezialität der versammlungsrechtlichen Regelungen fortgalt und der Rückgriff auf Polizeirecht unzulässig war.
32Auch die ausgesprochene Identitätsfeststellung und die in ihrem Rahmen erfolgte "Einkesselung", Ingewahrsamnahme und Verbringung nach Brühl waren rechtswidrig. Dies folgt schon daraus, dass Sinn dieser Maßnahmen die Sicherung des Platzverweises war, dieser aber seinerseits rechtswidrig war. Eine Identitätsfeststellung, die einem rechtswidrigen Zweck dient, ist ihrerseits rechtswidrig.
33Vergl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, Abschnitt F, Rdnr. 309, 319 ff.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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