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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2016 verpflichtet, dem Kläger höhere Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (Rente, Jahressonderzahlung, Kapitalentschädigung) auf der Basis eines zusätzlichen Punktes für orthopädische Schäden zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
2Der am 00.00.1961 geborene Kläger ist als Leistungsberechtigter im Sinne des Conterganstiftungsgesetzes anerkannt. Mit der Klage begehrt er die Erhöhung der bewilligten Leistungen auf der Grundlage der Zuerkennung eines weiteren Punktes für einen bisher nicht berücksichtigten Schaden der Tibia (Schienbeinknochen) der linken Körperseite.
3Der Erstantrag auf Bewilligung einer Entschädigung nach dem Conterganstiftungsgesetz wurde am 06.03.1972 gestellt. In der zuvor erfolgten Erstbegutachtung durch Prof. Dr. . M. vom 27.05.1971, die aufgrund der Aktenlage erfolgte, wurde das folgende Schadensbild angegeben:
4„re. Klumphand, Radiusaplasie, li Klumphand, bds. Daumendysplasie, li. mehr als re., Hüftluxation li., Klumpfuss li. Coxa valga bds., beide Hüftpfannen flach.“
5Der zuständige Orthopäde der Stiftung, Prof. N. , stellte am 27.06.1972 nach Untersuchung des Klägers im hier streitgegenständlichen Bereich der Unterschenkel den folgenden Schaden auf der linken Körperseite fest: „Tibiahypoplasie des Typs 1,2 b): „weniger als ¼, aber deutlich erkennbar, annähernd normale Länge mit Klumpfuß“ und vergab hierfür 20 Punkte. Handschriftlich vermerkte er in dem Berechnungsbogen: „angeb. Klumpfuß links“ mit blauem Kugelschreiber.
6Der Diagnose lagen u.a. ärztliche Atteste des Facharztes für Orthopädie Dr. . med. I. O. vom 19.06.1970 und vom 20.06.1972 zugrunde. Dieser schrieb, bei dem Kind N1. I1. habe u.a. ein angeborener Klumpfuß links bestanden. Das linke Bein sei etwa 1 cm kürzer und muskelschwächer als das rechte. Die Umfangsverminderung der linken Wade betrage 2 cm. Außerdem sei der linke Fuß jetzt wenig kürzer als der rechte. Auch in der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. . I2. N2. , vom 23.06.1970, der die Geburt begleitet hatte, wird bestätigt, dass das Kind N1. I1. mit einem Klumpfuß links sowie weiteren Fehlbildungen geboren worden sei.
7Mit Beschluss der Stiftung vom 12.10.1973 wurden dem Kläger erstmalig Leistungen wegen einer Conterganschädigung auf der Grundlage einer Punktzahl von 36,8 bewilligt. Mit Bescheid des Vorstandes der Conterganstiftung vom 04.02.1974 wurden die folgenden Körperschäden als conterganbedingt anerkannt:
8Daumenschaden zweigliedrig einseitig
9Fehlen bzw. Funktionslosigkeit des Daumens einseitig
10Langfingerschaden zweiseitig
11Leichter Unterarmschaden einseitig
12Schwerer Unterarm mit Ellenbogenschaden einseitig
13Rechter Arm pauschal
14Linker Arm pauschal
15Mittelschwerer Schienbein- mit Fußschaden einseitig (037)
16Hüftschaden einseitig
17Schwerer Hüftschaden einseitig
18Leichte Entwicklungsstörung Wirbelsäule
19Wirbelsäule pauschal.
20Aufgrund einer erneuten ärztlichen Untersuchung durch den orthopädischen Sachverständigen der Stiftung, Prof. N. , am 21.06.1978 wurde mit Bescheid vom 15.03.1979 zusätzlich eine leichte statische Skoliose anerkannt. Im Bereich des linken Unterschenkels wurde die Schadensfeststellung berichtigt, was mit rotem Kugelschreiber auf dem Berechnungsbogen von 1972 vermerkt ist. Dr. . N. ergänzte handschriftlich „ohne Tibiahypoplasie“, reduzierte die Punktzahl von 20 auf 15 Punkte und vermerkte auf dem Kopfbogen für den Bewilligungsausschuß „Zust. nach Klumpfuß links“. Infolge der Höherstufung bei anderen Schäden wurde die Gesamt-Punktzahl auf 39,00 erhöht.
21Mit Schreiben vom 04.05.2009 stellte der Kläger einen Revisionsantrag auf Überprüfung der Festsetzungen, weil sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlimmert habe und nicht alle Conterganleiden berücksichtigt worden seien. Bei einer Untersuchung bei dem orthopädischen Sachverständigen der Conterganstiftung, Dr. . H. , machte er Schmerzen im kompletten Rückenbereich, in der Hüfte links, der Knie beidseitig, der Fußsohle links und im linken Unterarm geltend.
22Mit Bescheid der Stiftung vom 26.08.2010 wurden ein Schulterschaden zweiseitig sowie eine Augenmuskellähmung als weitere Conterganschäden anerkannt. Dem Kläger wurden dafür weitere 6 Punkte zugemessen, die bei Ermittlung der Gesamtpunktezahl zu einer Erhöhung auf 43,36 Punkte führten. Die übrigen geltend gemachten Schäden wurden nicht berücksichtigt. Insbesondere stellte Dr. . H. mit Attest vom 05.07.2009 fest, dass die übrigen Schädigungen aus dem orthopädischen Bereich (Hände, Unterarme, Ellenbogen, Wirbelsäule, Hüften sowie die unteren Extremitäten) bereits angemessen bewertet seien.
23Mit Schreiben vom 11.05.2013 stellte der Kläger einen erneuten Revisionsantrag unter Bezugnahme auf eine ärztliche Bescheinigung von Dr. . H. vom 08.05.2013. In einem ausführlichen Gutachten vom 28.09.2014 empfahl Dr. . H. die Anerkennung eines Carpaltunnelsyndroms sowie zusätzlicher Schäden an den Langfingern. Die Angaben des Patienten über beidseitige Klumpfüße seit Geburt seien anhand der Akte nicht nachvollziehbar. Einseitig sei dies bepunktet und ohne Befund.
24Mit Bescheid der Conterganstiftung vom 05.11.2014 wurde dem Revisionsantrag des Klägers im Hinblick auf das geltend gemachte Karpaltunnelsyndrom und einen Langfingerschaden links stattgegeben; weitere Schäden wurden nicht anerkannt. Die weiteren anerkannten Schäden führten zu einer Erhöhung der Gesamtpunktzahl auf 48,64 Punkte. Im Hinblick auf die Geltendmachung von Klumpfüßen beiderseits wurde ausgeführt, der Klumpfuß links sei anerkannt, ein Klumpfuß rechts sei anhand der Akte nicht nachvollziehbar.
25Gegen den Bescheid legte der Kläger am 25.11.2014 Widerspruch ein. Nach Einsichtnahme in die medizinische Akte führte er mit Schreiben vom 16.01.2016 erstmals aus, es seien ihm für das linke untere Bein nur 3 Punkte zugesprochen worden. Jedoch seien ihm unter der Diagnoseziffer 037 ein mittelschwerer Schienbein- und Fußschaden links bescheinigt worden. Auch Dr. . H. spreche in einem Arztbrief vom 13.10.2013 an das Versorgungsamt I3. von einem atrophierten linken Unterschenkel. Für einen Klumpfuß mit geringem Tibiaschaden seien jedoch nach der medizinischen Punktetabelle 4 Punkte zu bewilligen.
26Mit Bescheid vom 13.02.2015 wurde die Gesamtpunktzahl von Amts wegen in der Folge eines Übertragungsfehlers um einen Punkt auf 49.60 Punkte erhöht. Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob der Kläger hiergegen am 09.04.2015 Klage mit der Begründung, die Punktzahl sei auf 50 Punkte aufzurunden. Die Klage 7 K 2082/15 wurde nach rechtskräftiger Abweisung seines PKH-Antrages durch Beschluss des OVG NRW vom 28.12.2015 am 20.01.2016 zurückgenommen.
27Dr. . H. stellte im Widerspruchsverfahren nach Untersuchung des Klägers am 18.01.2016 und Auswertung neuer Röntgenbilder mit Attest vom 11.03.2016 fest, dass der Schaden des Fußes mit der Ziffer 037 zutreffend bewertet sei. Ein eindeutiger Klumpfußschaden sei auch nach der Radiologie nicht bewiesen.
28Der Widerspruch wurde auf der Grundlage dieser Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2016 zurückgewiesen. Darin hieß es, es liege zwar ein mittelschwerer Schienbein mit Fußschaden einseitig nach Diagnoseziffer 037 vor, ein Klumpfuß könne jedoch nicht bestätigt werden. Der Unterschenkelschaden sei nach Ziff. B 1.2 der medizinischen Punktetabelle zu bewerten und liege zwischen der Bewertungsstufe a) mit 2 Punkten und b) mit 4 Punkten. Eine Höherbewertung nach b) komme nicht in Betracht, da diese nur bei zusätzlichem Vorliegen eines Klumpfußes möglich sei.
29Am 07.07.2016 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben, mit der er weiterhin die Anerkennung eines größeren Schadens (4 Punkte) im Bereich der linken unteren Extremität begehrt.
30Zur Klagebegründung hat er zunächst vorgetragen, die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid einen schweren Tibiaschaden, der zwischen Ziff. B 1.2. a) und B. 1.2 b) liege, bereits bestandskräftig anerkannt, das Vorliegen eines Klumpfußes jedoch verneint. Damit habe sie ihm verbindlich zugesichert, dass er bei Vorliegen eines Klumpfußes einen Anspruch auf einen weiteren Punkt habe. Es stehe jedoch fest, dass er auf der linken Körperseite auch einen Klumpfußschaden habe. Daher seien ihm nach der Berechnungstabelle der Stiftung 4 Punkte (früher 20 Punkte) zu bewilligen. In der Tabelle der Stiftung vom 27.06.1972, die Prof. N. zugrunde gelegt habe, befänden sich die folgenden Schadensvarianten:
31„1.2 Tibiatyp
32b) weniger als ¼, aber deutlich erkennbar, annähernd normale Länge mit Klumpfuß: 20 Punkte
33Unter dieser Position seien zwei Fälle erfasst, das trennende Komma sei wie ein „oder“ zu lesen:
341. Fall: Tibia weniger als ¼, aber deutlich erkennbar, auch ohne Klumpfuß: 20 Punkte
352. Fall: annähernd normale Länge der Tibia, aber dafür mit Klumpfuß: 20 Punkte.
36Eine andere Interpretation sei nicht möglich. Es könne nicht gleichzeitig eine deutlich erkennbare Verkürzung mit weniger als ¼ oder eine annähernd normale Länge vorliegen.
37Bei ihm liege der 2. Fall vor. In dieser Variante sei der Schienbeinknochen annähernd normal lang, aber dafür sonst wie (atrophiert: verbogen oder schmaler ...) leicht beeinträchtigt. Der Tibiaschaden sei bei ihm dadurch erkennbar, dass der linke Unterschenkel atrophiert sei. Der linke Klumpfuß sei bereits nach der Geburt durch mehrere Ärzte festgestellt worden. Ergänzend legt der Kläger noch zwei Bescheinigungen der orthopädischen Universitätsklinik G. in G1. B. N3. vom 11.04.1961 und vom 05.06.1961 vor. Darin wird berichtet, dass eine ständige Behandlung des linken Klumpfußes durch ein „Redressement“ erforderlich sei.
38Die Feststellung von Dr. . H. , dass der linke Fuß ohne Befund sei, sei für ihn nicht nachvollziehbar. Möglicherweise sei der Klumpfuß heute in den Röntgenbildern nicht mehr nachweisbar. Der Klumpfuß sei durch jahrelange Gipsversorgung, Massagen und Übungen behandelt worden und deshalb „so nicht mehr sichtbar“.
39In der Klageerwiderung stelle die Beklagte nunmehr wieder alles auf den Kopf. Jetzt werde der Klumpfußschaden anerkannt, aber der Tibiaschaden abgelehnt. Dr. . H. habe aber in allen drei Gutachten die Diagnoseziffer 037 bestätigt und damit einen Tibiaschaden anerkannt.
40In der neuen medizinischen Punktetabelle würden unter der Ziff. 1,2 f) allein für den Klumpfuß ohne Fehlbildung der Tibia bereits 3 Punkte vergeben. Bei Beibehaltung der Bewertung mit 3 Punkten würde somit der Tibiaschaden unberücksichtigt bleiben. Das sei nicht sachgerecht.
41Die Beklagte legte die medizinische Akte erneut Herrn Dr. . H. zur Beurteilung vor. Dieser erklärte mit Attest vom 13.02.2017, dass ein erheblicher muskulärer Schaden am linken Schienbein vorliege, den man als Unterschenkelschaden mit einem zusätzlichen Punkt bewerten könne. Dieser beziehe sich aber nicht auf die Tibia, sondern rein auf die Muskulatur.
42Der Kläger reichte daraufhin ein ärztliches Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. . N1. C. vom 09.03.2017 ein. Darin wird bestätigt, dass nach einer Messung der linke Unterschenkel 1 cm kürzer als der rechte Unterschenkel sei. Der Knöchelumfang links sei gegenüber dem rechten Knöchel ebenfalls um 1 cm reduziert. Der Umfang der linken Wade sei um 5 cm reduziert.
43Prof. N. habe bei der ersten Befundung 1972 einen Tibiaschaden festgestellt und mit 20 Punkten bewertet. Möglicherweise habe sich Prof. N. bei der zweiten Diagnosestellung im Jahr 1978 geirrt, weil er das rechte mit dem linken Bein verwechselt habe. Jedenfalls ergebe sich aus einem Vergleich der ärztlichen Atteste des Dr. . O. vom 19.06.1970 und des Dr. . C. vom 09.03.2017, dass nach wie vor eine Verkürzung des linken Schienbeins um 1 cm und damit ein Tibiaschaden vorliege.
44Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16.04.2018 ein neues Sachverständigengutachten des Mitgliedes der Medizinischen Kommission der Beklagten, des Facharztes für Orthopädie Dr. . T. O1. , vom 12.12.2017 vorgelegt. Darin stellt Dr. . O1. fest, dass eine gemessene Tibiaverkürzung links um 1 cm besteht sowie eine Verschmächtigung der Tibia aus den Röntgenbildern erkennbar ist. Ferner sei auch der Umfang des Knöchels um 1 cm reduziert. Auch zeige bereits ein Foto aus der Kindheit (Bl. 42 der Akte) einen Beckentiefstand links, ein tieferstehendes Knie links und somit einen möglichen Tibiaschaden, der nunmehr durch Messung verifiziert sei. Daher sei eine Anerkennung unter Ziff. B 1.2 b) „geringe Hypoplasie der Tibia mit dem Klumpfuß“ und die Vergabe von insgesamt 4 Punkten möglich.
45Auf Anforderung der Beklagten legt der Kläger ergänzend neue Röntgenaufnahmen mit hinterlegtem Rasterlineal vor, wonach die rechte Tibia eine Länge von 43,9 cm, die linke Tibia eine Länge von 42,6 cm hat.
46Die hiernach bestehende Längendifferenz von 1,3 cm komme keineswegs weltweit vor, wie die Beklagte behaupte. Vielmehr sei die Längendifferenz häufig durch Fehlstellungen der Gelenke oder nachgeburtliche Veränderungen verursacht. In seinem Fall sprächen die Umstände, dass auch der linke Knöchel im Umfang reduziert sei sowie das Vorliegen eines Klumpfußes deutlich für die Einwirkung von Contergan in der Schwangerschaft als Ursache. Dies werde durch die medizinische Punktetabelle bestätigt, die gerade unter der Ziff. 1,2 b) diese Kombination von „annähernd normalem Bein mit Klumpfuß“ (2. Variante) vorsehe.
47In der mündlichen Verhandlung am 31.07.2018 wurden die Orthopädischen Sachverständigen der Medizinischen Kommission der Beklagten, Herr Dr. . K. H. und Herr Dr. . T. O1. , als sachverständige Zeugen zum Tibiaschaden des Klägers und zur Auslegung der Medizinischen Punktetabelle vernommen. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
48Der Kläger hat nach der mündlichen Verhandlung am 02.08.2018 einen weiteren Schriftsatz übersandt, der bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnte. Dem Kläger wurde kein Schriftsatznachlass gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO eingeräumt. Zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO bestand kein Anlass.
49Der Kläger beantragt,
50die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2016 zu verpflichten, ihm höhere Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (Rente, Jahressonderzahlung, Kapitalentschädigung) auf der Basis einer Gesamtpunktzahl von 50.56 zu bewilligen.
51Die Beklagte beantragt,
52die Klage abzuweisen,
53hilfsweise,
54Beweis durch Sachverständigengutachten zu erheben zum Nachweis der folgenden Tatsachen:
551. Bei einer Länge der rechten Tibia des Klägers von 43,9 cm und einer Länge der linken Tibia des Klägers von 42,6 cm ist die linke Tibia des Klägers nicht „weniger als ¼ aber deutlich erkennbar“ verkürzt im Sinne der Ziff. IV B 1.2 b) der Anlage 2 zu den Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen Conter-
56ganschadensfällen.
572. Bei einer Längen der rechten Tibia des Klägers von 43,9 cm und einer Länge der linken Tibia des Klägers von 42, 6 cm ist die Verkürzung der linken Tibia um 1,3 cm im Vergleich zur rechten Tibia nicht klinisch relevant, sondern liegt im Rahmen der Längenverkürzungen, wie sie auch bei nicht contergangeschädigten Menschen auftreten.
58Die Beklagte vertritt – im Gegensatz zum Widerspruchsbescheid – nunmehr die Auffassung, es liege beim Kläger nach der revidierten Auffassung von Prof. N. vom 14.11.1978 ein angeborener Klumpfuß links ohne Tibiahypoplasie vor. Diese Schädigung der linken unteren Extremität sei zutreffend mit der ursprünglichen Diagnoseziffer 037 bewertet. Eine Tibiahypoplasie um „weniger als ¼, aber deutlich erkennbar“ müsse vorliegen, um zu einer höheren Bewertung nach Unterziffer b) zu gelangen. Die festgestellte Atrophie des linken Unterschenkels sei aber ein Gewebeschwund, keine Fehlbildung des Schienbeinknochens. Es handele sich ausweislich einer Stellungnahme von Dr. . H. vom 13.02.2017 um einen Folgeschaden der ursprünglichen skelettalen Fußschädigung und könne daher keine zusätzliche Berücksichtigung finden. In einer erneuten Bescheinigung von Dr. . H. vom 14.04.2018 sei ausgeführt worden, beim Kläger liege eine klassische Klumpfußwade vor. Die Zuerkennung eines weiteren Punktes sei ein Kompromissvorschlag von Dr. . H. gewesen, weil Muskelatrophien nach den üblichen Listen sonst keine Berücksichtigung fänden.
59Nach Bevollmächtigung eines externen Rechtsanwalts trägt dieser nunmehr vor, der Körperschaden des Klägers sei mit 3 Punkten zutreffend bewertet. Dies ergebe sich aus Ziff. B.1.2.f) der Medizinischen Punktetabelle. Nach Aktenlage bestehe beim Kläger am linken Bein ein Klumpfuß ohne Fehlbildung der Tibia nach Diagnoseziffer 043. Die Anwendung der Diagnoseziffer 037 sei unzutreffend gewesen, habe aber nicht zu einer bestandskräftigen Anerkennung eines Tibiaschadens geführt. Die Bewertung der Körperschäden sei eine Vorfrage, die nicht an der Bestandskraft der Regelung teilhabe (VG Köln, Urteil vom 24.02.2015 – 7 K 4608/13 – juris, Rn. 72).
60Der Kläger habe nach Aktenlage keinen Tibiaschaden. Bereits Prof. M. habe keinen Tibiaschaden notiert. Nur Prof. N. sei im Jahr 1972 von einem mittelschweren Tibiaschaden mit Klumpfuß nach Diagnoseziffer 037 ausgegangen, habe dies aber im Jahr 1978 korrigiert und habe notiert „ohne Tibiahypoplasie“ sowie 5 von 20 Punkten (= 1 von 4 Punkten) aberkannt. In der Schadensliste für den Bewilligungsausschuss habe er 1978 nur den linken Klumpfuß, aber keinen Tibiaschaden erwähnt. Seinerzeit sei für die Position 1,2. f) „Klumpfuß ohne Fehlbildung der Tibia“ bereits ein Punktwert von 3 Punkten (= 15 alte Punkte) vorgesehen gewesen.
61Schließlich habe auch Dr. . H. in keinem seiner Gutachten einen Tibiaschaden feststellen können. Insbesondere habe er mit Schreiben vom 13.02.2017 erklärt, dass kein Tibiaschaden, sondern lediglich ein muskulärer Defekt des linken Unterschenkels vorliege. Er habe zwar irrigerweise die Diagnoseziffer 037 angenommen. Für Dr. . H. sei aber allein maßgeblich gewesen, dass die Zuerkennung von 3 Punkten zutreffend sei.
62Soweit nunmehr Dr. . C. und Dr. . O2. im Gutachten vom 12.12.2017 eine conterganbedingte Verkürzung der linken Tibia um 1 cm feststellten, folge die Beklagte dieser Einschätzung nicht. Dr. . H. habe in einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Medizinischen Kommission bestätigt, dass eine conterganbedingte Verkürzung der Tibia nicht vorliege. Eine Differenz von 1 cm liege innerhalb der Grenzen einer möglichen Fehlbeurteilung.
63Hinzukomme, dass Beinlängendifferenzen häufig seien. Etwa 2/3 aller Menschen weltweit wiesen eine Beinlängendifferenz von 1 cm oder mehr auf. Klinisch relevant sei eine solche Längendifferenz ab einem Unterschied von ca. 1,5 cm. Daher könne nicht festgestellt werden, dass eine unterstellte Verkürzung der Tibia beim Kläger conterganbedingt wäre.
64Jedenfalls erfülle eine Verkürzung der Tibia um 1 oder 1,3 cm nicht den Tatbestand der Ziff. 1. B. 1.2 b) der medizinischen Punktetabelle „weniger als ¼, aber deutlich erkennbar, annähernd normale Länge mit Klumpfuß“. Die geringfügige Verkürzung der Tibia beim Kläger sei nicht „deutlich erkennbar“. Dabei könne es sich nur um Verkürzungen handeln, die ohne Zuhilfenahme von Hilfsmitteln sofort auffielen, wie dies bei einer Verkürzung von fast ¼ der Tibia der Fall sei. Eine Verkürzung von 1,3 cm sei bei einer 40 cm langen Tibia aber gerade nicht deutlich erkennbar.
65Die Verkürzung sei auch Prof. N4. (1978) und Dr. . H. trotz ihrer langjährigen Erfahrung mit Contergangeschädigten nicht aufgefallen. Auch der Kläger habe eine Verkürzung des linken Schienbeins erstmalig am 16.01.2016 nach Einsichtnahme in seine Akte geltend gemacht. Daher sei ihm der Schaden offenbar selbst vorher nicht aufgefallen. Er trage selbst vor, sein linkes Schienbein sei annähernd gleich lang.
66Es sei nicht zutreffend, dass die Schadensposition unter Ziff. B 1.2 b) zwei verschiedene Varianten enthalte. Es sei vielmehr nur ein Schadensbild geregelt. Das Komma in der Aufzählung habe hier die Bedeutung eines „und“. Die Voraussetzungen seien kumulativ zu erfüllen. Der Fall einer geringen Tibiaverkürzung ohne Klumpfuß sei bereits in Ziff. B 1.2 a) geregelt und werde mit 2 Punkten bewertet. Diese Position wäre überflüssig, wenn auch Ziff. B 1.2 b) den Fall einer geringen Tibiaverkürzung ohne Klumpfuß (weniger als ¼, aber deutlich erkennbar) erfassen würde und mit 4 Punkten bewerten würde. Der Fall des annähernd normal langen Schienbeins mit Klumpfuß werde dagegen in Ziff. B 1.2 f) geregelt und mit 3 Punkten bewertet. Auch hier sei nicht erkennbar, warum es für den praktisch gleichen Fall in B 1.2 b) eine höhere Punktzahl geben solle.
67Außerdem könnten nach Sinn und Zweck der Punktetabelle nur solche Verkürzungen erfasst werden, die klinisch relevant seien. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
68Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) und alle sonstigen, von den Beteiligten eingereichten Unterlagen und elektronischen Aufzeichnungen Bezug genommen.
69E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
70Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz auf der Grundlage eines weiteren Punktes für eine Verkürzung des linken Schienbeins.
71Anspruchsgrundlage für die begehrte Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger höhere Leistungen nach dem ContStifG zu gewähren, ist § 12 Abs. 1 ContStifG i.V.m. § 13 Abs. 2 ContStifG i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I 1537), zuletzt geändert durch das Vierte Gesetz zur Änderung des ContStifG vom 21.02.2017 (BGBl. I 263). Nach diesen Vorschriften setzt die Gewährung von Leistungen nach § 12 ContStifG voraus, dass der Antragsteller Fehlbildungen aufweist, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH durch die Mutter in der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können.
72Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist mit dieser Formulierung bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen,
73vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 – 16 E 723/11 – , vom 25.03.2013 – 16 E 1139/12 – und vom 14.01.2015 – 16 E 435/13 – .
74Mit dieser Beweiserleichterung wird darauf Rücksicht genommen, dass nach mehr als 50 Jahren sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme als solcher, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt möglicher Ursachen für angeborene Körperschäden der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalidomidembryopathie vom Erscheinungsbild ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Gerade die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Fehlbildungen gebracht werden kann, muss hinreichend wahrscheinlich sein.
75Auch Körperschäden, die von einem anerkannten Contergangeschädigten mit einem Revisionsantrag als thalidomidbedingt nachträglich geltend gemacht werden, müssen mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf der Einnahme von Thalidomid durch die Mutter in der Schwangerschaft beruhen,
76vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19.01.2016 – 16 A 817/15 – .
77Dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall. Der Kläger ist ein anerkannter Leistungsberechtigter nach dem Conterganstiftungsgesetz. Auch die von ihm geltend gemachte Fehlbildung des linken Schienbeins (Tibia) lässt sich mit der Einnahme von Thalidomid durch die Mutter in der Schwangerschaft in Verbindung bringen.
78Der Kläger leidet neben einem bereits anerkannten linken Klumpfuß an einer Verkürzung des linken Schienbeins um 1,3 cm. Ferner gibt es Hinweise darauf, dass die linke Tibia auch eine Verschmächtigung (Verschmälerung) gegenüber der rechten Seite aufweist (hierzu 1.). Diese Fehlbildungen lassen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Einnahme von Thalidomid zurückführen (hierzu 2.). Sie fallen unter die Schadensposition B. 1.2 b) der Medizinischen Punktetabelle und sind daher mit 4 Punkten zu bewerten. Da der Kläger für den Schaden des linken Unterschenkels bereits 3 Punkte erhalten hat, steht ihm ein weiterer Punkt zu, der bei der Berechnung der Gesamtpunktzahl zu berücksichtigen ist (hierzu 3.).
791. Der Kläger ist mit einem angeborenen linken Klumpfuß auf die Welt gekommen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den ärztlichen Attesten des Facharztes für Orthopädie Dr. . med. I. O. vom 19.06.1970 und vom 20.06.1972 sowie aus der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. . I2. N2. vom 23.06.1970. Auf dieser Grundlage haben seinerzeit Dr. . M. und Prof. N. sowohl im Jahr 1972 als auch im Jahr 1978 festgestellt, dass bei dem Kläger eine thalidomidbedingte Fehlbildung in Form eines Klumpfußes links vorliegt. Die gegenteilige Einschätzung des orthopädischen Sachverständigen der Medizinischen Kommission der Beklagten, Privatdozent Dr. . E. . H. , vom 11.03.2016 ist allein darauf zurückzuführen, dass wegen der frühen Behandlung der Fehlstellung im Kindesalter ein Klumpfuß auf den Röntgenbildern nicht mehr feststellbar war und Dr. . H. offenbar die Befunde aus der frühen Kindheit des Klägers nicht präsent waren. Nach Aussage von Dr. . H. in der mündlichen Verhandlung hat er allein festgestellt, dass ein Klumpfuß nicht mehr erkennbar war. Letztlich wurde bestätigt, dass auch heute noch mit einem Klumpfuß assoziierte Schäden in Form einer verschmächtigten linken Wade und in Form von Bewegungseinschränkungen des linken Fußgelenkes vorliegen. Die Beklagte hat das Vorliegen eines linken Klumpfußes auch zuletzt nicht mehr bestritten.
80Zusätzlich liegt beim Kläger auch eine weitere Fehlbildung im Bereich des linken Unterschenkels in Form einer Verkürzung der Tibia um 1,3 cm vor, die bereits in seiner Kindheit vorhanden war. Dies steht aufgrund des vorliegenden ärztlichen Attestes von Dr. . O. vom 19.06.1970, der Feststellungen von Prof. N. im Jahr 1972, der Messungen von Dr. . C. laut Attest vom 09.03.2017, des Gutachtens von Dr. . O2. vom 12.12.2017 sowie der aktuellen Röntgenaufnahmen mit hinterlegtem Rasterlineal vom 30.04.2018 und dem radiologischen Bericht vom gleichen Datum fest.
81Bereits der Facharzt Dr. . O. berichtete mit Attest vom 19.06.1970, dass das linke Bein des damals 9 Jahre alten Klägers um 1 cm kürzer sei als das rechte und muskelschwächer. Prof. N. diagnostizierte 1972 einen „mittelschweren Schienbein- mit Fußschaden“ gemäß der Diagnoseziffer 037 und bewertete diesen gemäß Ziff. III und IV, 1,2 b) als Tibiatyp mit der Ausprägung „weniger als ¼, aber deutlich erkennbar, annähernd normale Länge mit Klumpfuß“ mit 20 Punkten (entspricht heute 4 Punkten).
82Es lässt sich nicht mehr feststellen, warum Prof. N. im Jahr 1978 bei einer erneuten Begutachtung des Klägers die Tibiahypoplasie verneinte und daher 5 Punkte (entspricht heute 1 Punkt) in Abzug brachte. Eine Begründung hierfür ist in der Akte nicht enthalten und konnte auf Befragung auch durch den langjährig für die Medizinische Kommission tätigen orthopädischen Sachverständigen Dr. . H. nicht angegeben werden. Eine Verwechslung des linken mit dem rechten Bein, wie der Kläger vermutet, ist ausgeschlossen, da Prof. N. sowohl im Jahr 1972 also auch bei der Revision 1978 den Klumpfuߠ zutreffend und eindeutig auf der linken Körperseite markiert und angegeben hat (Bl. 015 und 021 der Beiakte 2). Möglicherweise konnte Prof. N. die relativ geringfügige Verkürzung des Schienbeins nicht mehr mit der Definition des „mittelschweren Schienbeinschadens“ nach der Diagnoseziffer. 037 in Einklang bringen.
83Jedenfalls stehen die nicht nachvollziehbaren Bewertungen von Prof. N. aus dem Jahr 1978 der Anerkennung eines Tibiaschadens in der Form einer Verkürzung um 1,3 cm gegenüber der rechten Seite nicht entgegen. Denn diese Verkürzung steht aufgrund der Messungen des Facharztes für Orthopädie Dr. . C. laut Attest vom 09.03.2017 sowie auf der Grundlage der aktuellen Röntgenaufnahmen vom 30.04.2018 fest. Diese Verkürzung wird durch das Gutachten des Mitglieds der Medizinischen Kommission der Beklagten, des Facharztes für Orthopädie Dr. . O2. vom 12.12.2017 bestätigt. Dr. . O2. weist ergänzend darauf hin, dass ein Beckenschiefstand als Folge eines verkürzten linken Beins bereits auf einem Ganzkörperfoto des Klägers aus seiner Kindheit zu sehen ist, das aus der Zeit der ersten Begutachtung in den Jahren 1971, 1972 stammt (Bl. 042 und 037 der Beiakte 2).
84Soweit der Prozessbevollmächtigte der Beklagten als auch das Mitglied der Medizinischen Kommission der Beklagten, Dr. . H. , das Vorliegen eines Schienbeinschadens nach wie vor bestreiten, kann die Kammer dem nicht folgen. Dass es sich um einen Beurteilungsfehler handelt, ist nach der erneuten Messung anhand eines Röntgenbildes mit hinterlegtem Raster vom 30.04.2018 ausgeschlossen. Substantiierte Einwände gegen diese Bilder (Anlage 6, Beiakte 12) und den radiologischen Befund des Zentrums für Radiologie und Nuklearmedizin vom 30.04.2018 (Anlage 7, Beiakte 12) wurden nicht erhoben. Die Messungen von Dr. . H. , die lediglich eine Differenz von 0,5 cm ergaben, entsprechen nicht der Realität. Sie sind anhand der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bilder im DIN-A-4-Format angefertigt worden, die die Schienbeine nicht in der realen Länge, sondern in einer formatbedingten verkürzten Länge zeigen. Die ebenfalls vorgelegte CD konnte von Dr. . H. nach seiner Aussage nicht geöffnet werden.
85Soweit Dr. . H. in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, die auf der Fotographie des Klägers (Bl. 042 Beiakte 2) erkennbare Verkürzung des linken Beins, die sich in einem tieferstehenden Knie zeigt, könne auch auf dem Hüftschaden beruhen, lässt sich diese Erklärung mit dem Ergebnis der erfolgten Messungen nicht in Einklang bringen. Hierbei wurde auch außer Acht gelassen, dass die Hüftluxation des Klägers bereits in seiner frühen Kindheit und damit vor der Aufnahme des Fotos operativ behandelt wurde (vgl. Attest von Dr. . O. vom 19.06.1970, Bl. 032 der Beiakte 2). Auch der Umstand, dass Dr. . H. in der mündlichen Verhandlung anhand der Begutachtung des Rückens des Klägers nur einen Beckenschiefstand von ca. 0,5 cm festgestellt hat, ist nicht geeignet, die durchgeführten Messungen der Tibia zu entkräften, zumal sich eine Beinverkürzung nicht in voller Länge in einem asymmetrischen Rückenbild niederschlagen muss.
86Es ist schließlich nicht zutreffend, dass dem Kläger die Verkürzung seines linken Beins erst nach Einsichtnahme in die medizinische Akte aufgefallen und erstmals mit Schriftsatz vom 16.01.2016 geltend gemacht worden sei. Die Beinverkürzung ergibt sich schon aus dem Attest des Dr. . O. vom 19.06.1970. Sie wird außerdem in einem Bericht der Klinik für Rheumatologie der Universität H1. vom 11.11.1991 (Bl. 094 Beiakte 2) erwähnt. In der Anamnese hat der Kläger seinerzeit von einer Verkürzung des linken Beins um 1,5 cm berichtet, die durch eine Schuherhöhung ausgeglichen werde. Ausweislich der glaubhaften Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung trägt der Kläger seit seiner Kindheit bis heute Einlagen im linken Schuh, die zusammen mit einer Absatzerhöhung eine Differenz von 1,5 cm ausgleichen. Ohne diesen Ausgleich könne er nicht schmerzfrei gehen. Diese Angaben decken sich mit den objektiven Befunden aus der Kindheit und der Gegenwart und mit den Aussagen der medizinischen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung, wonach das Beschwerdebild bei einer Beinverkürzung im vorliegenden Ausmaß individuell unterschiedlich sein und nicht immer vom Körper ausgeglichen werden kann.
87Ferner bestehen Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger zusätzlich eine Verschmächtigung der Tibia vorliegt, wie Dr. . O2. in seinem Gutachten vom 16.04.2018 anhand der seinerzeit vorliegenden Röntgenbilder bestätigt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass auch die erheblich verschmächtigte linke Wade nicht nur mit dem angeborenen Klumpfuß assoziiert ist, sondern möglicherweise auch auf eine verschmächtigte Tibia hinweist. Dieser Schaden kann aber nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, weil eine Verringerung des Umfangs nach der Aussage von Dr. . O2. nur durch eine dreidimensionale CT-Aufnahme zuverlässig festgestellt werden kann, die bisher nicht vorliegt.
882. Es kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die Verkürzung des linken Beins mit einer Einnahme von Thalidomid durch die Mutter des Klägers in der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden kann.
89Hierfür spricht zum einen, dass der Kläger bereits andere conterganbedingte Schäden aufweist und die Verkürzung der Tibia in Verbindung mit einem Klumpfuß ebenfalls zum typischen Schädigungsbild eines betroffenen Kindes gehört. Dies zeigt sich bereits daran, dass dieses Schadensbild sowohl in der Diagnosetabelle als auch in der Medizinischen Punktetabelle erwähnt ist. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass ein contergangeschädigter Mensch zwar eine Schädigung der oberen Extremitäten, der Wirbelsäule und der Hüftgelenke sowie des linken Fußes aufweist, das in unmittelbarer Nachbarschaft des linken Fußes gelegene verkürzte Schienbein aber nicht conterganbedingt sein soll. Der orthopädische Sachverständige der Medizinischen Kommission der Beklagten, Dr. . O2. , hält daher in seinem Gutachten vom 12.12.2017 einen thalidomidbedingten Schienbeinschaden für möglich und empfiehlt die Zuerkennung eines weiteren Punktes.
90Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Hingegen hält die Kammer den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und von Dr. . H. nicht für überzeugend, die weiterhin von einer geringfügigen Längenabweichung ausgehen, die in der Normalbevölkerung verbreitet vorkommt und auf andere Ursachen zurückzuführen ist.
91Die Behauptung, dass etwa 2/3 aller Menschen eine Beinlängendifferenz von 1 cm oder mehr aufweisen, ist nicht zutreffend. Richtig ist, dass sehr viele Menschen an einem Beckenschiefstand leiden. Dieser beruht aber in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht auf einer echten Beinlängendifferenz, sondern auf einer Fehlstellung der Beine, die durch muskuläre Verspannungen oder Kontrakturen oder Fehlstellungen der großen Beingelenke bedingt ist (sog. „funktionelle oder scheinbare Beinlängendifferenz“),
92vgl. apotheken-umschau.de zum Stichwort „Beckenschiefstand“, Abruf vom 24.07.2018; www.E. -gumpert.de zum Stichwort „Beinlängendifferenz“, Abruf vom 24.07.2018.
93Soweit die Beinknochen tatsächlich einseitig verkürzt sind (sog. „anatomische Beinlängendifferenz“), entstehen diese Verkürzungen in zahlreichen Fällen durch nachgeburtliche Einflüsse, nämlich Operationen, Unfälle, Tumoren, Entzündungen, neuroorthopädische Erkrankungen, etc. Echte Beinlängendifferenzen, die ab Geburt vorliegen, sind dagegen eher selten. Hierbei handelt es sich überwiegend um genetisch bedingte Wachstumsstörungen,
94vgl. Internetartikel a.a.O. sowie symptomat.de zum Stichwort „Beinlängendifferenz“, Abruf vom 24.07.2018; www.yamedo.de zum Stichwort „Die scheinbare Beinlängendifferenz, Abruf vom 09.05.2018, Anlage 5 in Beiakte 12; gebiomized.de/2015/08/31 zum Stichwort „Diagnose Beckenschiefstand“, Abruf vom 09.05.2018, Anlage 9 in Beiakte 12; gelenk-klinik.de zum Stichwort „Beckenschiefstand durch Beinlängendifferenz, Abruf vom 09.05.2018, Anlage 10 in Beiakte 12.
95Der Umstand, dass der contergangeschädigte Kläger an einer nachweisbaren Verkürzung des linken Unterschenkels leidet, die schon in der Kindheit vorlag, und andere genetische Fehlbildungssyndrome bisher nicht festgestellt wurden, begründet eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass auch die eher geringfügige Verkürzung der Tibia in Verbindung mit dem Klumpfuß auf den Einfluss auf Thalidomid zurückzuführen ist.
96Die vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragte weitere Beweiserhebung zu der Behauptung, dass eine Tibiaverkürzung im Umfang von 1,3 cm auch bei der Normalbevölkerung auftreten kann (Hilfsbeweisantrag zu 2.), ist nach Auffassung der Kammer nicht erforderlich. Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass eine derartige Verkürzung auch in der Normalbevölkerung häufig vorkommt und auf anderen Ursachen beruhen kann. Jedoch sprechen die oben genannten besonderen Umstände dafür, dass im Fall des Klägers die Ursache mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit in einer thalidomidbedingten Fehlbildung zu suchen ist. Ein jeden Zweifel ausschließender Nachweis ist jedoch, wie ausgeführt, nicht erforderlich.
973. Die beim Kläger feststellbare Verkürzung der linken Tibia um 1,3 cm ist ein Körperschaden, der mit einem zusätzlichen Punkt zu bewerten ist und sich damit auf die Leistungshöhe auswirkt.
98Maßgeblich für die Höhe der Leistungen ist nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG die Schwere der Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen. Nach § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 der Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen Conterganschäden, die vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassen werden und das Gesetz insoweit konkretisieren, § 13 Abs. 6 ContStifG, ist maßgeblich der Schweregrad der Behinderung, wie er bei der Geburt vorlag oder angelegt war, unter Berücksichtigung der zu erwartenden körperlichen Behinderung.
99Der Schweregrad der Behinderung wird weiter durch die Medizinische Punktetabelle konkretisiert, die Bestandteil der Richtlinien gemäß § 13 Abs. 6 ContStifG ist. Diese Tabelle zählt einzelne Schadensbilder auf, ordnet sie nach Organgruppen und dem Schweregrad der Fehlbildung und versieht sie mit einem Punktwert, der nach einem vorgegebenen System zur Berechnung einer Gesamtpunktzahl führt. Zwar ist das Gericht an diese normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nicht gebunden. Sie können aber – in der Art eines vorweggenommenen medizinischen Sachverständigengutachtens – einer Beurteilung des Schweregrads der Behinderung zugrunde gelegt werden, solange sie die gesetzlichen Vorgaben in § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG berücksichtigen, insbesondere eine medizinisch nachvollziehbare und konsistente Abstufung des Schweregrades enthalten.
100Dies zugrundegelegt, kann sich der KIäger darauf berufen, dass sein Schienbeinschaden unter die Position B.1.2. b) der Medizinischen Punktetabelle fällt und daher mit einem zusätzlichen Punkt zu bewerten ist. Diese Position ist zwar widersprüchlich formuliert, da sie einerseits eine Aufzählung von Organdefekten enthält, diese Defekte jedoch praktisch nicht gleichzeitig (kumulativ) vorliegen können. Ein Schienbein, das um weniger als ¼, aber deutlich erkennbar verkürzt ist, kann nicht gleichzeitig eine annähernd normale Länge haben. Damit scheidet eine Auslegung dieser Position im Sinne einer kumulativen Aufzählung bzw. eines einheitlichen Schadensbildes, wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sie vorschlägt, aus. Die Vernehmung der orthopädischen Sachverständigen der Medizinischen Kommission der Beklagten erbrachte zur Auslegung dieser Position oder zur Beurteilungspraxis der Beklagten keine Erkenntnisse. Dies beruhte unter anderem darauf, dass laut einer von Prof. N. angelegten Tabelle, die in der mündlichen Verhandlung überreicht wurde, nur sehr wenige Fälle einer gleichartigen Schädigung bei der Medizinischen Kommission vorgestellt worden sind.
101Die Position unter Ziff. b) kann aber im Zusammenhang mit den übrigen Schadenspositionen einer Tibiahypoplasie unter der Ziff. B 1.2 im Sinne einer Zusammenfassung mehrerer Schadensbilder unter einer einheitlichen Bewertung bzw. Punktzahl verstanden werden. Die weiteren Fehlbildungstypen des Unterschenkels werden wie folgt beschrieben:
1021.2 Tibiatyp einseitig
103a) geringe Hypoplasie der Tibia ohne Klumpfuß (...) 2 Punkte
104b) weniger als ¼ aber deutlich erkennbar,
105annähernd normale Länge mit Klumpfuߠ 4 Punkte
106c) partielle Tibiaaplasie etwa ¼ verkürzt 5 Punkte
107d) partielle Tibiaaplasie Verkürzung um etwa die Hälfte 6 Punkte
108e) Tibiaaplasie 6 Punkte
109f) Klumpfuß ohne Fehlbildung der Tibia 3 Punkte
110g) Pes adductus u. supinatus ohne Fersenhochstand,
111jedoch
112mit geringer Tibiahypoplasie 3 Punkte
113ohne Tibiahypoplasie 2 Punkte.
114Aus dieser Abstufung der Organschäden im Bereich des Unterschenkels ergibt sich, dass das Schadensbild unter Ziff. b) den Fall einer geringen Tibiahypoplasie, kombiniert mit einem Klumpfuß erfasst. Hierbei ist der Fall einer geringen Tibiahypoplasie gekennzeichnet durch eine Bandbreite von Schädigungen der Tibia, die von einer annähernd normalen Länge bis zu einer fast um ein Viertel verkürzten Tibia reicht. Legt man hierbei eine normale Länge einer Tibia von ca. 40 cm zugrunde, so sind damit in etwa Verkürzungen von 1 cm bis 9 cm erfasst.
115Hierbei werden dem Klumpfuß 3 Punkte und der Tibiaverkürzung 1 Punkt zugeordnet. Mit dieser Bewertung fügt sich die Schadensposition b) nahtlos in die Bewertung der übrigen Schadensbilder ein. Aus Ziff. f) der Tabelle ergibt sich, dass der Klumpfuß ohne Tibiaschaden mit 3 Punkten bewertet wird. Tritt ein Tibiaschaden hinzu, erhöht sich die Punktzahl in Abhängigkeit vom Grad der Verkürzung. Bei einer geringen Tibiaverkürzung wird 1 Punkt addiert (Ziff. b). Dies zeigt insbesondere die Ziff. g), wonach andere Fußdeformitäten (Pes adductus und supinatus) mit 3 Punkten bewertet werden, wenn eine geringe Tibiahypoplasie vorliegt, aber nur 2 Punkte erhalten, wenn keine Tibiahypoplasie gegeben ist. Die geringe Tibiaverkürzung erhält also einen Punkt.
116Bei einer stärkeren Verkürzung werden 2 Punkte (Ziff. c) oder 3 Punkte (Ziff. d und e) addiert. Es ist anzunehmen, dass die Verfasser der Punktetabelle bei den Formen der stärkeren Tibiaverkürzung (Ziff. c, d und e: 1/4 bis völliges Fehlen der Tibia) stets vom Vorhandensein eines Klumpfußes ausgingen und diesen daher in diesen Positionen mit einem Punktwert von 3 Punkten berücksichtigten, ohne ihn ausdrücklich in der Beschreibung des Schadensbildes zu erwähnen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Diagnosetabelle der Stiftung, in der die mittelschweren und schweren Schienbeinschäden sowie das Fehlen des Schienbeines immer mit einem Fußschaden kombiniert sind (vgl. Ziff. 037 bis 042). Dagegen wird ein Schienbeinschaden ohne Fußschaden nur im Fall eines leichten Schienbeinschadens erwähnt (Ziff. 035, 036). Liegt somit eine stärkere Verkürzung der Tibia vor, ist damit regelhaft ein Klumpfuß assoziiert,
117vgl. R W Smithells, C G H Newman, „Recognition of thalidomide defects“, in: J Med Genet 1992, 716, 720; vgl. auch die Abbildungen bei H.-G. Willert, Das Fehlbildungsmuster der Thalidomid-bedingten Dysmelie, S. 78, Abb. 6.
118Bei dieser Auslegung fällt die Tibiaverkürzung des Klägers mit 1,3 cm unter die Schadensposition B.1.2 b), weil sie den Befund mit dem geringsten Schweregrad, nämlich „annähernd normale Länge mit Klumpfuß“ erfüllt. Auf die Frage, ob die Tibia des Klägers „weniger als ¼ aber deutlich erkennbar verkürzt“ ist, kommt es somit nicht an. Die Kammer musste daher dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag zu 1. des Prozessbevollmächtigten der Beklagten schon aus diesem Grund nicht nachgehen.
119Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dass das Schadensbild „annähernd normale Länge mit Klumpfuß“ bereits mit der Ziff. B 1.2. f) erfasst sei. Die Ziff. f) beschreibt einen Klumpfuß ohne Fehlbildung der Tibia. Ein Klumpfuß mit einer annähernd normal langen, also geringfügig verkürzten Tibia, fällt hingegen nach dem Wortlaut und der Systematik der Tabelle unter die Ziff. B.1.2. b). Andernfalls wäre die, wenn auch geringe, Verkürzung des Schienbeins durch die Punktetabelle gar nicht erfasst und somit nicht berücksichtigt.
120Die Anwendung der Position B.1.2.b) kann auch nicht mit dem Argument ausgeschlossen werden, die Verkürzung sei beim Kläger nicht „deutlich erkennbar“ und falle daher nicht unter den Wortlaut der Schadensposition. Nach der Formulierung der Position „weniger als ¼ aber deutlich erkennbar, annähernd normale Länge mit Klumpfuß“ scheint sich die Einschränkung „aber deutlich erkennbar“ eher auf das Schadensbild der Verkürzung um weniger als ¼ zu beziehen. Möglicherweise sollte hierdurch eine Abgrenzung zum Schadensbild c) „partielle Tibiaaplasie etwa ¼ verkürzt“ erfolgen. Denn eine annähernd normale Länge dürfte nur selten deutlich erkennbar sein.
121Aber selbst wenn man auch für die „annähernd normale Länge“ eine deutliche Erkennbarkeit der Verkürzung fordert, ist diese im Fall des Klägers zu bejahen. Die deutliche Erkennbarkeit der Tibiaverkürzung zeigt sich bereits auf dem Foto aus der Kinderzeit des Klägers (Bl. 042 Beiakte 2), mit dem erkennbar tieferstehenden linken Knie, wie Dr. . O2. im Gutachten vom 12.12.2017 ausführt. Die Beinverkürzung des Klägers war bereits in der Kindheit von Dr. . O. diagnostiziert worden und ist Grund für die Behandlung und Ausgleichung des Beckenschiefstandes mit Einlagen und einer Absatzerhöhung des linken Schuhs gewesen, wie sich aus dem erwähnten Bericht der Rheumaklinik der Universität H1. vom 11.11.1991 ergibt. Sie ist auch heute noch in der Folgeerscheinung eines Beckenschiefstandes zu erkennen und wird auch aktuell durch eine Erhöhung des linken Beins ausgeglichen.
122Schließlich ist auch dem Einwand des Prozessbevollmächtigten der Beklagen, eine Beinverkürzung um 1,3 cm sei klinisch nicht relevant und daher nicht in der Punktetabelle berücksichtigt bzw. mit der Anerkennung eines Klumpfußes bereits erfasst, nicht zu folgen.
123Zutreffend ist, dass in der im Schriftsatz vom 16.04.2018 zitierten Quelle (www. uniklinikum-saarland.de/fileadmin/UKS/...UKS.../Beinlängendifferenz.pdf) angegeben ist, geringe Beinlängendifferenzen bis zu 1,5 cm benötigten keine spezifische orthopädische Therapie. Diese Behauptung wird jedoch durch weitere Aussagen im gleichen Beitrag wieder relativiert. Am Ende der Ausführungen heißt es, geringe Beinlängenunterschiede unter 1 cm blieben von den Patienten oft unbemerkt und bedürften keiner Behandlung. Größere Unterschiede ab 1,5 cm könnten jedoch zu dauerhaft schmerzhaften Veränderungen der Wirbelsäule führen. Damit bleibt offen, was bei einer Beinlängendifferenz zwischen 1 cm und 1,5 cm, wie im vorliegenden Fall, gelten soll. Gleichzeitig wird die fehlende Behandlungsbedürftigkeit auf Differenzen bis 1 cm reduziert.
124Die Annahme, dass Beinverkürzungen bis zu 1,5 cm keiner Behandlung bedürfen, steht aber insbesondere im Widerspruch zu allen anderen im Internet verfügbaren medizinischen Artikeln zum Thema „Beinlängendifferenz“ und im Widerspruch zu den insoweit übereinstimmenden Aussagen der sachverständigen Orthopäden der Medizinischen Kommission der Beklagten in der mündlichen Verhandlung. Teilweise wird bereits ab einer Differenz von 6 – 7 mm oder von 6 – 9 mm eine Therapie erwogen (Wikipedia zum Stichwort: „Beinlängendifferenz“, Abruf vom 24.07.2018; flexikon.doccheck.com zum Stichwort: „Beinlängendifferenz“, Abruf vom 24.07.2018; apotheken-umschau.de zum Stichwort „Beckenschiefstand“, Abruf vom 24.07.2018). Teilweise wird eine klinische Relevanz ab 1 cm oder ab 1– 2 cm bejaht (E. -gumpert.de zum Stichwort „Beinlängendifferenz“, Abruf vom 24.07.2018; symptomat.de zum Stichwort „Beinlängendifferenz, Abruf vom 24.07.2018).
125Beide Fachärzte für Orthopädie haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die Behandlungsbedürftigkeit nicht von einem starren Messergebnis abhängig ist, sondern von den Befindlichkeiten oder Beschwerden des Betroffenen bzw. von einem bereits eingetretenen Schiefstand der Wirbelsäule. Da der linke Fuß des Klägers seit seiner Kindheit mit Einlagen und einer Absatzerhöhung behandelt wird, bestätigt dies bereits eine Notwendigkeit der Behandlung und damit die klinische Relevanz.
126Letztlich setzt aber die Anerkennung der Schadensposition B 1.2.b) nicht voraus, dass im Einzelfall bei der betroffenen Person eine klinisch relevante, also Beschwerden verursachende Beinlängenverkürzung vorliegt und festgestellt wird. Vielmehr ist nach § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 der Richtlinien für die Gewährung von Leistungen nach Conter-
127ganschadensfällen maßgeblich der Schweregrad der Fehlbildung wie er bei Geburt vorlag unter Berücksichtigung der zu erwartenden körperlichen Behinderung. Mit der Aufnahme einer Tibia mit „annähernd normaler Länge mit Klumpfuß“ in die Medizinische Punktetabelle wird sachverständig festgestellt, dass auch eine sehr geringe conterganbedingte Schienbeinverkürzung, kombiniert mit einem Klumpfuß, klinisch relevant ist und zu einer körperlichen Behinderung oder Funktionsbeeinträchtigung führen kann, also zu erwarten ist. Ob sie tatsächlich dazu führt, hängt nach der Aussage der orthopädischen Sachverständigen von weiteren individuellen Gegebenheiten ab, ist aber für die Zuerkennung eines Conterganschadens unerheblich.
128Die Kammer hatte daher keine Veranlassung, den vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten hilfsweise beantragten Beweis durch Sachverständigengutachten zu der Behauptung zu erheben, dass eine Verkürzung von 1,3 cm nicht klinisch relevant ist (Beweisantrag zu 2.). Denn das Gegenteil ist in Form eines vorweggenommenen Sachverständigengutachtens in der Gestalt der Medizinischen Punktetabelle sowie der Aussagen der beiden Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bereits festgestellt. Auch Dr. . H. hat nicht bestritten, dass bei einer Tibiaverkürzung von 1,3 cm der Fall einer „annähernd normal langen Tibia“ im Sinne der Ziff. B.1.2.b) vorliegt. Er gelangt nur auf der Grundlage seiner eigenen, auf falscher Grundlage beruhenden Messungen zu einer deutlich geringeren Verkürzung. Auch hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Aussagen der beiden Fachärzte, dass die Behandlungsbedürftigkeit einer geringen Tibiaverkürzung von den individuellen Gegebenheiten und Beschwerden abhängt, nicht substantiiert in Frage gestellt. Seine mehrfach gestellte Frage, welche klinische Relevanz eine Tibiaverkürzung von 1,3 cm generell und ungeachtet der individuellen Beschwerden habe, wurde von Dr. . O2. dezidiert mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es eine objektive Grenze für die Behandlungsbedürftigkeit nicht gebe. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass bei Beauftragung eines weiteren Sachverständigen noch andere sachdienliche Erkenntnisse gewonnen werden könnten,
129vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 86 Rn. 6 a.
130Die Kammer weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass der Beweisantrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch unzulässig sein dürfte. Die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts wird durch die Pflicht der Beteiligten zur Mitwirkung an dieser Aufklärung begrenzt, § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Beklagte unterliegt bei der Bewilligung der Leistungen und der Feststellung der conterganbedingten Schäden gemäß § 22 ContStifG dem Verwaltungsverfahrensgesetz, sodass für sie der Untersuchungsgrundsatz nach § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Anwendung findet. Die Beklagte ist also selbst verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Zu diesem Zweck ist bei der beklagten Stiftung eine medizinische Sachverständigenkommission eingerichtet, die darüber entscheidet, ob ein Schadensfall vorliegt und wie dieser zu bewerten ist, § 16 Abs. 2 und Abs. 3 ContStifG. Die Beklagte wäre also berechtigt und verpflichtet gewesen, bei ungenügenden oder widersprüchlichen Sachverständigengutachten ihrer eigenen Kommission selbst ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen statt auf telefonische Stellungnahmen von Dr. . H. und eine vereinzelte Aussage im Internet zu verweisen. In dieser Situation besteht keine Verpflichtung des Gerichts zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten.
131Liegen die Voraussetzungen der Ziff. B 1.2.b) der Medizinischen Punktetabelle somit im Fall des Klägers vor, sind ihm höhere Leistungen (Kapitalentschädigung, Rente, jährliche Sonderzahlung) auf der Grundlage der Gewährung eines weiteren Schadenspunktes für orthopädische Körperschäden zu bewilligen. Hierbei ist auch bei der künftigen Gewährung der pauschalen Leistungen für die spezifischen Bedarfe von einer entsprechend höheren Gesamtpunktzahl auszugehen.
132Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
133Rechtsmittelbelehrung
134Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1351. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
142Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
143Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
144Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
145Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.