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1. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Beiladung der von der Antragsgegnerin benannten Personen wird abgelehnt.
2. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerinnen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2I.
3Die Antragstellerin zu 1. ist eine im Deutschen Bundestag, in allen 16 deutschen Landesparlamenten und im Europäischen Parlament vertretene politische Partei. Die Antragstellerin zu 2. ist die offizielle satzungsgemäße Jugendorganisation der Antragstellerin zu 1.
4Im Rahmen einer Pressekonferenz am 15. Januar 2019 gab das Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) bekannt, dass eine vorangegangene Vorprüfphase ergeben habe, dass bei den Antragstellerinnen hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlägen. Die Antragstellerinnen seien deswegen vom Bundesamt als Verdachtsfälle im Phänomenbereich des Rechtsextremismus eingestuft worden.
5Hiergegen sowie gegen die öffentliche Bekanntmachung der Einstufungen der Antragstellerinnen erhoben diese Klage vor dem beschließenden Gericht. Die Klagen wurden mit Urteilen vom 8. März 2022 (13 K 208/20; 13 K 326/21) abgewiesen. Die von den Antragstellerinnen hiergegen jeweils angestrengten Berufungsverfahren sind derzeit noch vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig (Az. 5 A 1217/22 - JA; 5 A 1218/22 - AfD). Die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht ist derzeit zunächst für den 12. und 13. März 2024 angesetzt.
6Am 15./16. Oktober 2022 beschloss die Antragstellerin zu 2. durch ihren XI. Bundeskongress das Papier „Programm und Leitlinien – Jugend, die vorangeht“ (im Folgenden: Leitlinien). Die Leitlinien ersetzen das vorherige schriftliche Programm der Antragstellerin zu 2., den sog. „Deutschlandplan“.
7Am 28. März 2023 legte das Bundesamt ein internes „Folgegutachten zu Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in der Junge Alternative für Deutschland“ (im Folgenden: Gutachten IV) vor. Dieses befasste sich auf Grundlage eines aktualisierten Erkenntnisstandes zur Antragstellerin zu 2. nach deren Einstufung als Verdachtsfall mit der Frage, ob die Beobachtungsvoraussetzungen für die Antragstellerin zu 2. entfallen und die entsprechende Einstufung zurückzunehmen sei, ob die weitere Bearbeitung im Status des Verdachtsfalls geboten sei oder ob eine Hochstufung zur gesichert extremistischen Bestrebung zu erfolgen habe. Als Ergebnis hielt das Bundesamt fest, dass es zahlreiche Belege gebe, die in einer Gesamtschau zu einer Verdichtung der Verdachtslage zur Gewissheit führten. Die Vertreter der Antragstellerin zu 2. hätten in Kenntnis der Einstufung als Verdachtsfall an den beanstandeten Äußerungen festgehalten, diese regelmäßig wiederholt und verteidigt. Zudem hätten sie verfassungsschutzrechtlich relevante Positionen teils verschärft. Dementsprechend sei die Antragstellerin zu 2. zur gesichert extremistischen Bestrebung im Phänomenbereich Rechtsextremismus hoch zu stufen.
8Mit einer am 26. April 2023 veröffentlichten Pressemeldung teilte das Bundesamt mit, dass die Verdachtsfallbeobachtung hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. ergeben habe, dass sich die Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zur Gewissheit verdichtet hätten. Die Antragstellerin zu 2. sowie das „Institut für Staatspolitik“ (im Folgenden: IfS) und der „Ein Prozent e.V.“ würden vom Bundesamt nunmehr als gesichert (rechts)extremistische Bestrebung eingestuft und weiterbearbeitet. Der Präsident des Bundesamtes erkläre hierzu, dass die Positionen der Antragstellerin zu 2. mit dem Grundgesetz nicht vereinbar seien. Es bestünden keine Zweifel mehr, dass die Antragstellerin zu 2. sowie die weiteren o.g. Personenzusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten. Das Bundesamt richte sein Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten, sondern habe auch diejenigen Personenzusammenschlüsse im Blick, die menschenwürdewidrige und demokratiefeindliche Ideologien und Konzepte permanent verbreiteten. Das IfS, der „Ein Prozent e.V.“ und die Antragstellerin zu 2. zielten auf die Ausgrenzung vermeintlich „Fremder“ und versuchten, diese Positionen gesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Das gezielte Propagieren von Feindbildern und Schüren von Ressentiments in der Bevölkerung seien zudem generell geeignet, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten. Es sei die Aufgabe und Pflicht des Bundesamtes, zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung die Öffentlichkeit über solche Bestrebungen aufzuklären. Konkret bezogen auf die Antragstellerin zu 2. heißt es in der Pressemitteilung weiter:
9„Auch in Bezug auf die JA haben sich die Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zur Gewissheit verdichtet. Die Verdichtung ergibt sich aus einer inhaltlichen Verfestigung und teils auch Verschärfung der extremistischen Positionen. Das in den Äußerungen und Verlautbarungen deutlich zutage tretende Volksverständnis der JA widerspricht dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Volksverständnis und ist geeignet, Angehörige vermeintlich anderer Ethnien auszugrenzen und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten. Die JA propagiert ein völkisches Gesellschaftskonzept, das auf biologistischen Grundannahmen beruht, ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk postuliert, Migranten außereuropäischer Herkunft als grundsätzlich nicht integrierbar ausgrenzt und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der „organisch gewachsenen europäischen Völker“ sieht. Weiterhin stellt die Agitation gegen Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten ein zentrales und beständiges Thema der Verlautbarungen der JA und ihrer Mitglieder dar. Dabei verbinden sich fremdenfeindliche Argumentationsmuster mit islamfeindlichen Ressentiments. Insbesondere Zuwanderern mit (vermeintlich) muslimischem Hintergrund werden in pauschaler Weise Negativeigenschaften zugesprochen, wie kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt, allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion. Zudem sind Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip festzustellen. Eine Vielzahl von Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner, aber auch des Staates und seiner Repräsentanten an sich, ist Ausdruck davon, dass es der JA nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern um eine generelle Herabwürdigung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.“
10Im Rahmen des 19. Symposiums des Bundesamtes am 22. Mai 2023 zum Thema „Wertvoll und wehrhaft – Die Demokratie im Wettstreit mit dem Autoritarismus“ hielt der Präsident des Bundesamtes eine Rede, die im Nachgang auch auf der Homepage des Bundesamtes veröffentlicht wurde. In der Rede befasste er sich auch mit der Antragstellerin zu 2. und führte aus, dass u.a. diese nach mehrjähriger, gewissenhafter Verdachtsfall-Bearbeitung jüngst als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft worden sei. Die Positionen der Antragstellerin zu 2. seien nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und es bestünden keine Zweifel mehr, dass die Antragstellerin zu 2. verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Sie werde daher vom Bundesamt entsprechend eingeordnet und aktiv bearbeitet. Weiter führte er aus:
11„[…] Umso schärfer müssen wir jeden Verdacht prüfen, dass auch in Parlamenten und damit im Blutkreislauf der Demokratie extremistische Bestrebungen Platz nehmen könnten.“
12Mit Schreiben vom 26. Mai 2023 forderten die Antragstellerinnen das Bundesamt zur Abgabe verschiedener Unterlassungs- und öffentlicher Richtigstellungserklärungen mit Blick auf die erfolgte Einstufung der Antragstellerin zu 2. auf.
13Hierauf teilte das Bundesamt den Antragstellerinnen mit Schreiben vom 5. Juni 2023 mit, dass es keinen Anlass zur Abgabe der geforderten Erklärungen sehe.
14Am 12. Juni 2023 haben die Antragstellerinnen Klage (13 K 3219/23) erhoben und gleichzeitig den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.
15Zur Begründung tragen sie vor, dem Eilantrag sei bereits deswegen stattzugeben, weil das beschließende Gericht kein Verfahren nach § 99 VwGO durchgeführt habe und das Bundesamt bislang nicht offengelegt habe, welche der in den Verwaltungsvorgängen angeführten Äußerungen von V-Leuten, Vertrauenspersonen o.Ä. des Bundesamtes und/oder von mit dem Bundesamt bzw. den entsprechenden Landesämtern verbundenen Accounts stamme. Dass das Bundesamt sowie die Landesämter eine Vielzahl von „rechtsextremen Fake-Accounts“ betrieben, sei durch die Medien bekannt. Zudem habe das Bundesamt selber öffentlich von „virtuellen Agenten“ auf verschiedenen Plattformen gesprochen.
16Die erfolgte „Hochstufung“ der Antragstellerin 2. zu einer „gesichert extremistischen Bewegung“ sowie die öffentliche Bekanntgabe derselben sei außerdem rechtswidrig und greife in die Rechte der Antragstellerinnen aus Art. 2, 3, 5, 8, 14, Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 GG sowie Art. 6, 11, 14 EMRK ein. Dies gelte nicht nur für die unmittelbar betroffene Antragstellerin zu 2., sondern auch für die Antragstellerin zu 1. als „Mutterpartei“.
17Es fehle bereits an der gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchtstaben a) und c) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) erforderlichen vorherigen Anhörung sowie einer hinreichenden Begründung.
18Das Bundesamt habe die Beobachtung der Antragstellerin zu 2. außerdem bereits im Jahr 2019 begonnen und den Prüfungszeitraum damit extensiv überdehnt. Es handele sich um eine unverhältnismäßige und daher unzulässige Dauerbeobachtung durch das Bundesamt. Die Verfassungsschutzgesetze der Länder sähen dementsprechende zeitliche Begrenzungen der Prüfzeiträume vor.
19Darüber hinaus fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage für die Handlungen des Bundesamtes. Die allgemeinen Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) zur Einstufung, Behandlung und Bekanntgabe seien aufgrund des Vorrangs von Art. 21 GG auf politische Parteien nicht anwendbar. Die Regelung in Art. 21 Abs. 2 GG zum Parteienverbot entfalte eine Sperrwirkung. Die Norm stelle eine uneingeschränkte Bestandsgarantie dar und gewährleiste das Recht einer Partei zur freien Betätigung, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sei. Durch die öffentlich bekannte Einstufung würden die Antragstellerinnen indes unter Verstoß gegen diese Garantie in ihrer politischen Tätigkeit behindert. Dabei sei vom Bundesamt zur Umgehung von Art. 21 Abs. 2 GG der Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ entwickelt worden. Die „verfassungsfeindliche“ Partei erscheine als selbstständige rechtliche Kategorie neben der „verfassungswidrigen“ Partei i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG. Bei der Einstufung durch das Bundesamt handele es sich auch nicht um eine erlaubte Form der politischen Auseinandersetzung der nach Art. 21 GG i.V.m. § 43 BVerfSchG für ein Parteiverbotsverfahren befugten Antragsberechtigten. Diese könne nur von Partei zu Partei geführt werden. Die Inanspruchnahme hoheitlicher Mittel wie der Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht stelle einen Eingriff in die Chancengleichheit des politischen Wettbewerbs dar. Selbst bei einer unterstellt bestehenden Anwendbarkeit der Vorschriften des BVerfSchG verlange eine verfassungskonforme Auslegung, dass ein Vorgehen nach dem BVerfSchG nur erlaubt sei, wenn die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2, Abs. 3 vorliegen und das Verfahren durch die in § 43 BVerfSchG genannten Verfassungsorgane betrieben werde. Das Bundesamt missachte zudem die Anforderungen der EMRK und der Venedig-Kommission. Überdies liege ein Verstoß gegen die Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRCh), insbesondere das Recht auf Anhörung und zureichende Begründung aus Art. 41 GRCh vor.
20Darüber hinaus sei eine „Hochstufung“ im BVerfSchG nicht normiert und demnach auch eine entsprechende Bekanntgabe nach § 16 BVerfSchG nicht zulässig. Auch das beschließende Gericht habe in seinem Urteil vom 8. März 2022 (13 K 207/20) festgestellt, dass das BVerfSchG nur den Verdachtsfall regele. Damit habe das Gericht für den Fall der „Hochstufung“ zugleich einen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes, die Wesentlichkeitstheorie und den Bestimmtheitsgrundsatz eingeräumt. Unter Beachtung der Wortlautgrenze des § 16 Abs. 2 BVerfSchG sei daher jede „Hochstufung“ und insbesondere jede Äußerung zu einer etwaigen „Hoch- bzw. Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung“ rechtswidrig.
21Die Voraussetzungen für die Einstufung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistische Bestrebung lägen aber ohnehin nicht vor. So würden weder verfassungsfeindliche Äußerungen und Verhaltensweisen den Charakter der Antragstellerin zu 2. prägen noch würde diese von einer die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnenden Grundtendenz beherrscht.
22Dabei sei zunächst zu beachten, dass das Bundesamt die Antragstellerin zu 2. ausweislich der Bekanntmachungen vom 26. April 2023 und 22. Mai 2023 mit dem IfS und dem „Ein Prozent e.V.“ identisch behandele. Dies zeige, dass das Bundesamt die besondere Bedeutung des Art. 21 GG für die Antragstellerin zu 2. nicht berücksichtigt habe. Der Prüfzeitraum sei überdies auf den Zeitraum vom 9. März 2022 – den Tag nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im Verfahren zur Einstufung als Verdachtsfall – bis zum 26. April 2023 begrenzt. Das Gutachten IV enthalte aber kaum Anhaltspunkte aus diesem Zeitraum.
23Überdies würde im Gutachten IV die Verdichtung zur Gewissheit nur behauptet, nicht aber belegt. Das Bundesamt habe bereits nicht dargelegt, dass und warum die im Gutachten IV aufgeführten Einzeläußerungen von Mitgliedern der Antragstellerin zu 2. insgesamt zuzurechnen seien.
24Das Bundesamt lege die in Rede stehenden Äußerungen zudem falsch aus. Bei mehrdeutigen Äußerungen habe die für den Betroffenen günstigste Auslegung zu erfolgen. Außerdem dürfe eine Auslegung nicht allein auf den Wortlaut beschränkt werden. Mit Blick auf die grundrechtlich verbürgte Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die wechselseitige Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf sei bei der Auslegung der Kontext der Äußerung sowie die Person des Äußernden und das Medium, in dem die Äußerung erfolgt sei, in den Blick zu nehmen. Überdies könnten Äußerungen, die sich als zulässige Meinungsäußerungen darstellten, nicht als Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung herangezogen werden.
25Das Bundesamt lege den Begriff der Menschenwürde zudem extensiv aus und verweise pauschal auf einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Dabei verkenne es den Vorrang der spezielleren Grundrechte. Auch schließe das Bundesamt zu Unrecht von einem – unterstellt bestehenden Verfassungsverstoß – auf einen verfassungsschutzrechtlich relevanten Verstoß. Es könne aber nicht aus jeder (vermeintlich) rechtswidrigen Handlung der Schluss gezogen werden, dass der Handelnde die Norm, gegen die er verstößt, auch abschaffen wolle.
26Bei der Bewertung der Äußerungen seien außerdem die in der „Republikaner-Rechtsprechung“ entwickelten Maßstäbe zu beachten. Das Bundesamt habe diese nicht berücksichtigt und lediglich auf vereinzelte Äußerungen von Mitgliedern der Antragstellerin zu 2. abgezielt. So habe es außer Acht gelassen, dass sich im Grundsatzprogramm der Antragstellerin zu 2. keine verfassungsfeindlichen Forderungen fänden.
27Bei den im Gutachten IV konkret aufgeführten Einzeläußerungen handele es sich im Ergebnis um zulässige Meinungsäußerungen. Diese seien zum Teil überspitzt und polemisch, jedoch zulässig. Zahlreiche der angeführten Äußerungen lägen zudem Jahre zurück und seien völlig veraltet.
28Entgegen der Annahme des Bundesamtes propagierten die Antragstellerin zu 2. bzw. ihre Mitglieder keinen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Ein solcher lasse sich insbesondere nicht aus der geäußerten Kritik an der Asylpolitik der Bundesregierung oder der Verwendung von Begriffen wie „Remigration“, „Bevölkerungsaustausch“, „Umvolkung“ oder „Abschaffung der Nation“ ableiten. Das Bundesamt habe nicht dargelegt, dass die Antragstellerin zu 2. Ausländern oder Migranten konkret die Menschenwürde abspreche oder ihnen bestimmte Rechte aberkennen wolle. Eine Differenzierung zwischen Staatsangehörigkeit und Volk lasse sich verschiedenen Gesetzen (etwa Art. 29 Abs. 1 GG, § 6 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz – BVFG –, § 8 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG –) unmittelbar oder mittelbar entnehmen und sei bis in die 1990er Jahre rechtswissenschaftlicher Konsens gewesen. Die Antragstellerin zu 2. erkenne indes die abschließende Definition des Art. 116 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG an. Der Einsatz der Antragstellerin zu 2. für die Bewahrung des status quo lasse nicht auf ein ethnisches Volksverständnis schließen. Ein solches lasse sich auch nicht dem „Deutschlandplan“ und erst Recht nicht den neuen Leitlinien entnehmen. Auch die Theorie des „Solidarischen Patriotismus“ bzw. die Empfehlung des gleichnamigen Buches von Benedikt Kaiser durch Mitglieder der Antragstellerin zu 2. lasse nicht auf ein ethnisches Volksverständnis schließen. Die Werbung für das Buch führe bereits nicht zur umfassenden Übernahme des gesamten Inhaltes durch die Mitglieder der Antragstellerin zu 2. Soweit die Antragstellerin zu 2. Begriffe wie „solidarisch“, „patriotisch“ oder „solidarisch-patriotisch“ verwende, handele es sich um allgemeine Begriffe, ohne dass hiermit zwingend eine Bezugnahme auf die Ausführungen Kaisers verbunden sei.
29Auch könne der Antragstellerin zu 2. keine ausländerfeindliche Agitation vorgeworfen werden. Das Bundesamt setze berechtigte Kritik an illegaler Zuwanderung und kriminellen oder gewaltbereiten Ausländern mit der pauschalen Abwertung aller Migranten gleich. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2021 sowie das Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Kriminalität im Kontext mit Zuwanderung 2022 belegten überdies die überproportionale Begehung von Straftaten durch Ausländer. Bei dem Motto „Abschieben schafft Wohnraum“ handele es sich um eine plakative Forderung, aus der jedoch nicht geschlossen werden könne, dass die Antragstellerin zu 2. rechtswidrige Entscheidungen und die Abschiebung aller sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländer fordere. Von der Antragstellerin zu 2. werde lediglich eine strengere Einwanderungspolitik sowie die Durchsetzung der Ausreisepflicht von ausreisepflichtigen Ausländern gefordert. Bei vereinzelt überschießenden Aussagen von Mitgliedern handele es sich um Entgleisungen, die eine Einstufung der Antragstellerin zu 2., erst Recht eine als „gesichert extremistisch“, nicht rechtfertigten.
30Ebenso wenig lägen islam- und muslimfeindliche Äußerungen der Antragstellerin zu 2. vor. Auch in diesem Zusammenhang beziehe das Bundesamt kritische Bemerkungen zu Einzelfällen zu Unrecht auf alle Muslime bzw. den Islam und verkenne die in den Aussagen vorgenommenen Differenzierungen.
31Das Bundesamt gehe auch zu Unrecht von Verstößen der Antragstellerin zu 2. gegen das Demokratieprinzip aus. Die vom Bundesamt herangezogene Kategorie der „Delegitimierung des Staates“ sei kein verfassungsschutzrechtlich relevantes Schutzgut. Die in Rede stehenden Äußerungen stellten sich zudem als erlaubte Kritik an der konkreten Politik der Regierung dar. Die Antragstellerin zu 2. bekenne sich zu den verfassungsmäßigen Grundsätzen und stelle die parlamentarische Demokratie nicht in Frage. Das Bundesamt verwechsele den Schutz der Regierung mit dem Schutz der Verfassung.
32Soweit das Bundesamt tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Antragstellerin zu 2. aus Verbindungen von Mitgliedern zu Gruppierungen aus dem rechtsextremen Spektrum ableite, gehe dies fehl. Die vom Bundesamt auf diese Weise konstruierte „Kontaktschuld“ stelle keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dar. Insbesondere stelle das Bundesamt nur auf die äußeren Umstände, nicht aber auf den jeweiligen konkreten Inhalt ab. Allein die Verwendung gleicher Formulierungen oder die Teilnahme an Veranstaltungen sei noch kein hinreichender Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Antragstellerin zu 2. Dies gelte auch für vereinzelte private Kontakte, die Mitglieder der Antragstellerin zu 2. zu verschiedenen der genannten Gruppierungen pflegten. Von der Identitären Bewegung Deutschland habe die Antragstellerin zu 2. sich überdies durch die Unvereinbarkeitserklärung hinreichend politisch distanziert. Auch seien entlastende Aspekte und Äußerungen vom Bundesamt ignoriert worden.
33Für öffentliche Äußerungen des Staates bzw. seiner Repräsentanten würden die Grundsätze der äußerungsrechtlichen Verdachtsberichterstattung gelten. Dies bedeute, dass im Rahmen einer Meldung auch alle bekannten entlastenden Umstände mitgeteilt werden müssten. Es sei nicht ersichtlich, dass diese Vorgaben für das Bundesamt nicht gelten würden. Vorliegend habe das Bundesamt alle entlastenden tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren sowie aus der Berufungsbegründung unterschlagen, sodass es sich um eine bewusst unvollständige Mitteilung handele, die wie eine unwahre Behauptung zu werten und daher rechtswidrig sei. Zugleich stelle dies wie auch das gesamte Verhalten des Bundesamtes einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot dar. Dies gelte insbesondere für die öffentlichen Bekanntmachungen vom 26. April 2023 und 22. Mai 2023. Der konkrete Wortlaut gehe ersichtlich über das für die Mitteilung über die „Hochstufung“ Erforderliche hinaus und sei daher unsachlich.
34Ebenso liege durch die Einordnung und öffentliche Bekanntmachung derselben ein Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot vor. Die Antragstellerinnen würden hierdurch öffentlich diskreditiert und unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ausspioniert. Dabei sei der Beginn der Vorwahlzeit für die Wahlen zum Europäischen Parlament zu berücksichtigen. Diese habe mit dem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22. Mai 2023, dass die Europawahl im Zeitraum vom 6. bis 9. Juni 2024 stattfinden soll, begonnen. Die Bundesregierung habe in der Kabinettssitzung am 26. Juni 2023 den Wahltermin konkret auf den 9. Juni 2024 festgelegt. Der Verfassungsschutzbericht 2022 sei am 20. Juni 2023 und damit im Vorwahlzeitraum veröffentlicht worden. Weiter sei zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl der politischen Forderungen der Antragstellerinnen auch von anderen politischen Akteuren vertreten würden, die jedoch nicht im Visier des Bundesamtes stünden.
35Die Entscheidung sei auch ermessensfehlerhaft, da die „Hochstufung“ allein aus politischen oder medialen Gründen erfolgt sei.
36Die Antragstellerinnen beantragen sinngemäß,
371. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, es zu unterlassen, die Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
382. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, es zu unterlassen, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich bekanntzugeben, dass die Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird,
393. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffer 1 und/oder Ziffer 2 ein Ordnungsgeld bis zu EUR 10.000,00 anzudrohen
404. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, die am 26.04.2023 unter der URL https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/pressemitteilung-2023-2-ifs-ein-prozent-ja.html auf der Website des Bundesamtes für Verfassungsschutzes getätigten Aussagen in Bezug auf die Antragstellerin zu 2. zu löschen (soweit unterstrichen):
41„Bundesamt für Verfassungsschutz stuft „Institut für Staatspolitik“, „Ein Prozent e.V.“ und „Junge Alternative“ als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen ein.
42Im Januar 2019 hatte das BfV die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD), die „Junge Alternative“ (JA), als Verdachtsfall und damit als Beobachtungsobjekt eingestuft. Im April respektive im Juni 2020 waren zudem das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) und der Verein „Ein Prozent e.V.“ als Verdachtsfälle des BfV eingestuft worden.
43Die Verdachtsfallbearbeitung hat ergeben, dass sich die Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung inzwischen zur Gewissheit verdichtet haben.
44Das IfS, „Ein Prozent e.V.“ und die JA werden vom BfV daher nunmehr jeweils als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft und weiterbearbeitet.
45Der Präsident des BfV Thomas Haldenwang erklärt hierzu:
46„Die Positionen des ‚Institut für Staatspolitik‘, ‚Ein Prozent e.V.‘ und der Jugendorganisation der AfD ‚Junge Alternative‘ sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es bestehen keine Zweifel mehr, dass diese drei Personenzusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. Sie werden deshalb vom BfV als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen eingeordnet und bearbeitet.“
47„Das BfV richtet sein Augenmerk nicht nur auf gewaltorientierte Extremisten, sondern hat auch diejenigen Personenzusammenschlüsse im Blick, die menschenwürdewidrige und demokratiefeindliche Ideologien und Konzepte permanent verbreiten. Das IfS, ‚Ein Prozent e.V.‘ und die JA zielen auf die Ausgrenzung vermeintlich ‚Fremder‘ und versuchen, diese Positionen gesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Das gezielte Propagieren von Feindbildern und das Schüren von Ressentiments in der Bevölkerung sind zudem generell geeignet, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten.“
48„Es ist Aufgabe und Pflicht des BfV, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Öffentlichkeit über solche Bestrebungen aufzuklären.“
49(…)
50„Junge Alternative“ (JA)
51Auch in Bezug auf die JA haben sich die Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zur Gewissheit verdichtet. Die Verdichtung ergibt sich aus einer inhaltlichen Verfestigung und teils auch Verschärfung der extremistischen Positionen.
52Das in den Äußerungen und Verlautbarungen deutlich zutage tretende Volksverständnis der JA widerspricht dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Volksverständnis und ist geeignet, Angehörige vermeintlich anderer Ethnien auszugrenzen und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten.
53Die JA propagiert ein völkisches Gesellschaftskonzept, das auf biologistischen Grundannahmen beruht, ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk postuliert, Migranten außereuropäischer Herkunft als grundsätzlich nicht integrierbar ausgrenzt und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der „organisch gewachsenen europäischen Völker“ sieht.
54Weiterhin stellt die Agitation gegen Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten ein zentrales und beständiges Thema der Verlautbarungen der JA und ihrer Mitglieder dar. Dabei verbinden sich fremdenfeindliche Argumentationsmuster mit islamfeindlichen Ressentiments. Insbesondere Zuwanderern mit (vermeintlich) muslimischem Hintergrund werden in pauschaler Weise Negativeigenschaften zugesprochen, wie kulturelle Rückständigkeit und ein überproportional stark ausgeprägter Hang zu Kriminalität und Gewalt, allein aufgrund ihrer Herkunft und Religion.
55Zudem sind Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip festzustellen. Eine Vielzahl von Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner, aber auch des Staates und seiner Repräsentanten an sich, ist Ausdruck davon, dass es der JA nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern um eine generelle Herabwürdigung des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.“
565. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, die am 22.05.2023 unter der URL https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/reden/DE/2023/2023-05-22-haldenwang-symposium.html auf der Website des Bundesamtes für Verfassungsschutzes getätigten Aussagen in Bezug auf die Antragstellerin zu 2. zu löschen (soweit unterstrichen):
57„(…) Und sie demaskiert einmal mehr die Manager der Empörung – wie etwa diejenigen der Neuen Rechten – die Verunsicherung zur Angst – und die Angst zur Wut steigern wollen.
58Trotz ihres vordergründigen Patriotismus wollen sie gesellschaftliche Bruchlinien nicht heilen, sondern vertiefen.
59Wir werden nicht müde zu betonen, dass die Brandstifter und Stichwortgeber von Hass, Hetze und Extremismus von uns nach genauer Prüfung auch so benannt werden.
60Und so haben wir nach mehrjähriger, gewissenhafter Verdachtsfall-Bearbeitung jüngst die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD) – die „Junge Alternative“ (JA), das „Institut für Staatspolitik“ und den Verein „Ein Prozent e.V.“ als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
61Ihre Positionen sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und es bestehen keine Zweifel mehr, dass diese drei Zusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen. Sie werden deshalb von uns entsprechend eingeordnet und aktiv bearbeitet.
62Umso schärfer müssen wir jeden Verdacht prüfen, dass auch in Parlamenten und damit im Blutkreislauf der Demokratie extremistische Bestrebungen Platz nehmen könnten. (…)“
63Die Antragstellerinnen beantragen zudem, die Beiladung aller von der Antragsgegnerin benannten natürlichen Personen, die in Bezug auf die Antragstellerinnen nicht vertretungsbefugt sind. Die staatliche Datenverarbeitung oder gar Bewertung von Einzelaussagen beeinträchtige deren rechtliche Interessen – v.a., weil eine negative staatliche Bewertung von Einzelaussagen zu Parteiordnungsmaßnahmen wegen parteischädigenden Verhaltens führen könne.
64Die Antragsgegnerin beantragt,
65die Anträge abzulehnen.
66Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Die Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ sei rechtmäßig, ebenso die diesbezügliche Information der Öffentlichkeit.
67Eine zeitliche Obergrenze für die Prüffall- oder Verdachtsfall-Bearbeitung durch das Bundesamt gebe es entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen nicht. Sie lasse sich weder dem BVerfSchG entnehmen noch aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ableiten. Eine solche zeitliche Obergrenze würde auch dem Schutzzweck des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG widersprechen. Hiernach sei es Aufgabe des Verfassungsschutzes verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, solange hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ebenso wenig gebe es eine Entscheidungsfrist innerhalb der die Hochstufung vom Verdachtsfall zu einer erwiesen extremistischen Bestrebung erfolgen müsse, da aufgrund der Dynamik eines Personenzusammenschlusses in personeller und sachlicher Hinsicht nicht absehbar sei, wann eine ausreichende Tatsachengrundlage vorliege. Zudem eröffne eine zeitliche Regelung Umgehungsmöglichkeiten für das jeweilige Beobachtungsobjekt. Dass in landesrechtlichen Vorschriften zum Teil Fristen für eine Verdachts- und Prüffall-Bearbeitung normiert seien, sei unerheblich. Der Bundesgesetzgeber habe eine solche Regelung aus guten Gründen nicht in das BVerfSchG aufgenommen. Es liege auch keine unzulässige Dauerbeobachtung der Antragstellerin zu 2. durch das Bundesamt vor. Stattdessen hätten sich mit Blick auf die Antragstellerin zu 2. die tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen seit der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als Verdachtsfall über eine Bestätigung hinaus zur Gewissheit verdichtet.
68Der Einstufung der Antragstellerin zu 2. stehe auch nicht die abschließende Wirkung des Art. 21 Abs. 2 GG entgegen. Die Antragstellerinnen wiederholten ihre vielfach widerlegten Thesen, ohne sich mit der entgegenstehenden Rechtsprechung auseinanderzusetzen.
69Für die Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ bestehe zudem eine Rechtsgrundlage im BVerfSchG. Die Vorschriften des BVerfSchG zur Einstufung als Verdachtsfall (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG) seien dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck nach auch auf gesichert extremistische Bestrebungen anwendbar. Dies habe nicht nur das beschließende Gericht in seinem Urteil vom 8. März 2022 (13 K 207/20) ausgeführt, sondern lasse sich auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen entnehmen. Entsprechend schließe § 16 Abs. 1 und 2 Satz 1 BVerfSchG die Information der Öffentlichkeit über die Fälle gesichert extremistischer Bestrebungen ein. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folge die sich in der Praxis der Verfassungsschutzbehörden etablierte Stufenfolge des Verfahrens vom Prüf- über den Verdachtsfall zu den erwiesenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen mit einer entsprechenden Steigerung der jeweils erlaubten Beobachtungsmittel sowie Anforderungen für die Einstufung. Die Abstufung bei der Beobachtung spiegele sich auch auf der Ebene der öffentlichen Bekanntmachung wider: Während über einen Prüffall grundsätzlich nicht öffentlich berichtet werden dürfe, könne – wenn dies das einschlägige Verfassungsschutzgesetz vorsehe – über einen Verdachtsfall berichtet werden, wobei deutlich werden müsse, dass es sich nur um einen Verdachtsfall handele. Im Fall einer extremistischen Bestrebung unterliege die öffentliche Information keinerlei Einschränkungen. Die Frage, ob tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme eines Verdachtsfalls bestünden sowie ob sich diese zur Gewissheit verdichtet und damit die Einstufung als gesichert extremistisch gerechtfertigt ist, sei gerichtlich voll überprüfbar und liege damit nicht allein in den Händen des Bundesamtes.
70Das Vorgehen des Bundesamtes verstoße auch nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot. Das Neutralitätsgebot hindere die Regierung nicht daran, für die Grundsätze und Wertung der Verfassung einzutreten und sich im Rahmen ihrer Pflicht zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung auch mit verfassungsfeindlichen Parteien zu beschäftigen. Dabei müsse zwischen den Maßstäben, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, und solchen, die für die Aufgabe des Schutzes der Verfassung gelten würden, differenziert werden. Das Neutralitätsgebot als Schranke der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung unterliege seinerseits der Schranke des Schutzes der Verfassung. Ohnehin finde das Neutralitätsgebot im vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung. Die besonderen Neutralitätsanforderungen für den politischen Meinungskampf und den Wettbewerb der Parteien untereinander seien auf die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit von Behörden nicht übertragbar. Verfassungsschutzrechtliche Bewertungen dienten dem Interesse der Öffentlichkeit und beträfen die verfassungsrechtliche Pflicht zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Aus diesem Grund könnten Verfassungsorgane und Behörden gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht „neutral“ sein. Die verfassungsschutzrechtliche Bewertung und Bekanntmachung sei daher grundsätzlich zulässig. Die Grenze sei erst überschritten, wenn die Werturteile auf sachfremden Erwägungen beruhten und damit den Anspruch der Parteien auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigten. Dass die Aufgabenerfüllung des Bundesamtes auch politische Auswirkungen habe, sei Wesensgehalt des Verfassungsschutzes als Instrument der wehrhaften Demokratie. Dabei müsse die Beobachtung und Berichterstattung zwar letztendlich auf Aktivitäten gerichtet sein, die auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung abzielten. Doch dürfe der Verfassungsschutz aus Meinungsäußerungen und weiteren Aktivitäten Schlüsse ziehen, wenn sich darin gerade die Bestrebungen manifestierten, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen. Eine politische Partei habe keinen aus Art. 21 Abs. 2 GG abgeleiteten Anspruch darauf, dass die Öffentlichkeit nicht über die dem Verfassungsschutz vorliegenden Erkenntnisse informiert werde.
71Die Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ durch das Bundesamt sei zu Recht erfolgt, da die tatsächlichen Anhaltspunkte sich dergestalt verdichtet hätten, dass die Überzeugung bestehe, dass es sich tatsächlich um eine extremistische Bestrebung handele. Die Antragstellerin zu 2. werde von einer die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnenden Grundtendenz beherrscht und von gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Äußerungen und Handlungen geprägt.
72So vertrete die Antragstellerin zu 2. weiterhin ein völkisch-abstammungsmäßiges Konzept der „Erhaltung der ethnisch-kulturellen Identität“ mit dem Ziel des Erhalts des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand und - nach Möglichkeit - dem Ausschluss ethnisch „Fremder“. Dieses gegen die Menschenwürde verstoßende Verständnis komme in zahlreichen Äußerungen der Antragstellerin zu 2., mehrerer ihrer Landesverbände und hochrangiger Vertreter der Antragstellerin zu 2. zum Ausdruck. Die auch nach der Einstufung als Verdachtsfall verwendeten Begriffe wie „Bevölkerungsaustausch“, „Großer Austausch“, „Austausch des Heimatvolkes“, „Umvolkung“, „Ersetzung der autochthonen Deutschen durch Ausländer“, „Passdeutsche“, „Ersetzung“, „Austausch“, „Abschaffung unserer Nation“ und „Umvolkung/betreutes Aussterben“ seien Ausdruck der ethnisch-abstammungsmäßigen Vorstellungen der Antragstellerin zu 2. Die Weiterverwendung der genannten Begriffe und Verfechtung von gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Positionen in Kenntnis der Beanstandung stellten ein Anzeichen für das Verdichten der Verdachtsmomente dar. Die beharrliche weitere Verbreitung und Rechtfertigung von bereits beanstandeten Äußerungen ohne Anhaltspunkte für ein Abrücken oder Überdenken zeige, dass die Verwendung nicht auf einem Miss- oder Fehlverständnis beruhe, sondern dezidiert und bewusst erfolge. In der Fortsetzung der verfassungsfeindlichen Bestrebung liege daher eine zahlenmäßige wie inhaltliche Verdichtung der Anhaltspunkte.
73Die von den Antragstellerinnen im Rahmen der Berufungsbegründung erhobenen Einwände gegen einige Punkte der Beweiswürdigung im Urteil des beschließenden Gerichts vom 8. März 2022 (13 K 208/20) seien unberechtigt und zeigten, dass die Antragstellerin zu 2. sich von den dargelegten Vorstellungen nicht abgewandt habe. Auch mit dem Ersatz des „Deutschlandplans“ durch die Leitlinien sei keine Abkehr von den Vorstellungen vom Erhalt der ethnisch-kulturellen Identität verbunden. Anders als der „Deutschlandplan“ enthielten die Leitlinien zwar kein ausdrückliches Bekenntnis zum „ethnischen Erhalt des deutschen Volkes“, jedoch enthielten sie auch keine Distanzierung von den Vorstellungen sowie keine Ausführungen, die mit dem Postulat unvereinbar wären. Auf dem Bundeskongress der Antragstellerin zu 2. seien zudem mehrere Personen in den Bundesvorstand gewählt worden, die sich zuvor eindeutig völkisch positioniert hätten. Darüber hinaus enthielten auch die Leitlinien eine Reihe von Äußerungen, die an einschlägige Passagen aus dem „Deutschlandplan“ angelehnt seien und daher auch ohne explizites Bekenntnis ein ethnisches Volksverständnis der Antragstellerin zu 2. erkennen ließen. So sei die Rede davon, dass Deutschland nicht „zum bloßen Siedlungsgebiet und Experimentierfeld unkontrollierter Masseneinwanderung“ gemacht werden dürfe, was an die Theorie des „Großen Austausches“ erinnere. Die in den Leitlinien getroffene Aussage „Wohin sich unsere Städte entwickeln, lässt sich jeden Tag in der Fußgängerzone beobachten“, greife zudem das gängige Argumentationsmuster der Antragstellerin zu 2. von der Überfremdung auf. Die Antragstellerin zu 2. stelle damit unverändert auf das äußere Erscheinungsbild von Personen, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder die Integration in die Gesellschaft ab. Auch werde von der Antragstellerin zu 2. weiterhin eine Assimilation von Migranten gefordert. Dies zeige sich in Formulierungen wie, dass das deutsche Volk „sein Erbe an die nächste Generation weitergeben möchte“ oder der Bezeichnung des deutschen Nationalstaates als „die beste Möglichkeit, unsere Art zu leben zu verteidigen“ sowie der „deutschen Innerlichkeit und Seelentiefe“ bei der Beschreibung der Heimat. Ferner würden die soziale und nationale Frage in den Leitlinien miteinander verknüpft und konkret gefordert, dass bestimmte Sozialleistungen wie das wiedereinzuführende Betreuungsgeld „auf Staatsbürger beschränkt“ oder nur „deutschen Familienvätern“ gewährt werden solle und Solidarität nur „deutschen Arbeitnehmern und Arbeitgebern“ zukommen solle. Die damit verbundene Forderung, Sozialleistungen auf „deutsche Staatsbürger zu beschränken“, und die Formulierung der „deutschen Familienväter, die jahrzehntelang Sozialbeiträge gezahlt haben“, und denen gegenüber es ungerecht sei, wenn „Menschen, die gerade erst unser Land betreten haben“, ebensolche Leistungen erhielten, zeige, dass beitragszahlende Migranten außen vorgelassen werden sollten, und lege nahe, dass es der Antragstellerin zu 2. nicht um eine Unterscheidung zwischen Beitragszahlenden gegenüber Nicht-Beitragszahlenden, sondern um eine Schlechterstellung von Migranten gehe.
74Des Weiteren sei die maßgeblich von Benedikt Kaiser konzipierte und im gleichnamigen Buch vertiefte Theorie des „Solidarischen Patriotismus“ für die Antragstellerin zu 2. leitend und prägend. Danach sei für eine Bereitschaft zum solidarischen Handeln eine „relative ethnische Homogenität“ notwendig. Die Leitlinien enthielten ein explizites Bekenntnis zum Solidarischen Patriotismus und das Buch von Benedikt Kaiser werde von der Antragstellerin zu 2. vielfach beworben. Schließlich lasse sich einer Reihe von Aussagen nach der Einstufung der Antragstellerin zu 2. zum Verdachtsfall ein völkisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis entnehmen.
75Des Weiteren sei bei der Antragstellerin zu 2. auch weiterhin eine ausländerfeindliche Agitation festzustellen. Die Antragstellerin zu 2. sehe Ausländer als existenzielle Bedrohung des deutschen Volkes an und erhebe daher Forderungen, die auf die Zuweisung einer möglichst ungünstigen Rechtsstellung an Ausländer und insbesondere eine weitgehende Rechtlosstellung von Flüchtlingen abzielten. Flüchtlinge und Migranten würden von der Antragstellerin zu 2. in zahlreichen Äußerungen pauschal verunglimpft, verächtlich gemacht und als minderwertig und kriminell herabgewürdigt. In der massiven ausländerfeindlichen Agitation der Antragstellerin zu 2. komme eine Missachtung von Art. 1 Abs. und Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck. Dabei könnten entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen auch mehrdeutige Äußerungen, die sich sowohl verfassungsschutzrechtlich relevant als auch irrelevant deuten ließen, als Anhaltspunkte herangezogen werden. Die zivil- und strafrechtlichen Grundsätze zur Auslegung solcher Äußerungen ließen sich auf den gefahrenpräventiven Bereich des Verfassungsschutzes nicht übertragen, da hier keine belastenden Auswirkungen auf die Kommunikationsfreiheit oder Einschüchterungseffekte zu besorgen seien. Hierfür spreche auch, dass die Antragstellerin zu 2. mehrdeutige Aussagen ohne großen Aufwand durch glaubwürdige Erklärungen und Klarstellungen als Anhaltspunkte ausschließen könne. Unterbleibe dies, könnten die Aussagen als Anhaltspunkte in die Betrachtung eingestellt werden. Eine solche Klarstellung sei mit Blick auf die gerichtlich bereits beanstandete Forderung nach einer „Massenabschiebung“ sowie der Ergreifung „aller Mittel zur Remigration“ unterblieben. Hinzu komme die weitere Forderung der Antragstellerin zu 2. nach einer „Minuseinwanderung von mindestens 200.000 Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit pro Jahr“. Letztere werde in den Leitlinien zwar nicht mehr ausdrücklich erwähnt, indes sei auch keine Absage daran erkennbar. Ebenso verhalte es sich mit der im „Deutschlandplan“ geforderten Umwandlung des Asylrechts in ein gerichtlich nicht überprüfbares Gnadenrecht sowie den Forderungen, Flüchtlingen allein „Nahrung, Sicherheit und Obdach“ zu gewähren, und Ausgangssperren zu verhängen. Eine Abkehr hiervon sei in den Leitlinien nicht erfolgt. Vielmehr verteidige die Antragstellerin zu 2. diese Forderung – und dies nicht etwa hilfsweise – im Rahmen der Berufungsbegründung weiterhin als verfassungsgemäß. Zudem lasse sich den Leitlinien im Zusammenhang mit den o.g. Aussagen zur Zahlung von Sozialleistungen entnehmen, dass die Antragstellerin zu 2. Migranten nicht in das deutsche Sozialsystem integrieren wolle. Schließlich habe die Antragstellerin zu 2. ihre ausländerfeindlichen Agitationen in zahlreichen Äußerungen auch nach der Einstufung als Verdachtsfall fortgesetzt. Darin würden Zugewanderte als „kulturfremde Sozialschmarotzer“ abgewertet und als Parasiten verunglimpft, die sich zu Lasten „halb verhungernder deutscher Rentner“ ernährten. Die „grenzenlose Einwanderung“ werde als „unverantwortliches Gesellschaftsexperiment“ mit zahlreichen Opfern bezeichnet und es sei die Rede von „Messermännern“ und „Messermigration“. Hiermit verbunden sei die Forderung einer Remigration. Auf Bildern und Collagen würden Einwanderer als gewalttätige Sexualstraftäter verunglimpft. Die Parole „Abschieben schafft Wohnraum“ lege nahe, dass Abschiebungen nicht als Konsequenz rechtsstaatlicher Einzelfallentscheidungen durchzuführen seien, sondern der Gewinnung von Wohnraum für die autochthone Bevölkerung dienen sollten. Zudem werde „Abschieben“ als „Lösung“ für Sicherheit, Tierschutz, Lebensrettung und Schutz von Frauen dargestellt. Hinzu kämen speziell islam- und muslimfeindliche Positionen der Antragstellerin zu 2., die auch nach der Einstufung als Verdachtsfall von dieser verbreitet würden. Dabei gehe es nicht um eine erlaubte Islamkritik bzw. Ablehnung von gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßenden islamistischen Vorstellungen, sondern um die grundsätzliche Ablehnung der Präsenz und Glaubensbetätigungen von Muslimen in Europa. Die Antragstellerin zu 2. unterstelle Muslimen zudem pauschal eine Neigung zur Begehung von Straftaten, insbesondere Sexualstraftaten. Dies zeige, dass die Religionsfreiheit für Muslime nach den Vorstellungen der Antragstellerin zu 2. gar nicht oder nur eingeschränkt gelten und Muslimen als Bevölkerungsgruppe ein nur minderwertiger oder untergeordneter Status zukommen solle.
76Zudem lägen auf Seiten der Antragstellerin zu 2. verdichtete Anhaltspunkte für gegen das Demokratieprinzip gerichtete Bestrebungen vor. Die pauschal gegen Migranten und Muslime gerichtete Agitation gefährde die demokratische Gleichheit von Deutschen mit Migrationshintergrund oder islamischer Religionszugehörigkeit. Darüber hinaus diffamiere die Antragstellerin zu 2. die demokratische Nachkriegsentwicklung durch Forderungen nach einer „erinnerungspolitischen Wende“ und propagiere revisionistische Vorstellungen. Dies habe die Antragstellerin zu 2. auch nach der Einstufung als Verdachtsfall fortgesetzt und im Zuge der Kritik an den Corona-Maßnahmen qualitativ gesteigert. Seitens der Antragstellerin zu 2. sei sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Kreisebene gegen die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland agitiert worden. Politische Gegner sowie der Staat und seine Repräsentanten seien über eine im politischen Diskurs erlaubte harte und ggf. polemische Kritik hinausgehend diffamiert und verunglimpft worden mit dem Ziel, eine generelle Ablehnung gegenüber der Bundesregierung und allen anderen Parteien und damit gegenüber der parlamentarischen Demokratie zu wecken. Die wiederholte haltlose Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland mit dem NS-Regime, der DDR oder anderen ausländischen Diktaturen verharmlose die betreffenden Diktaturen und verhöhne deren Opfer in nahezu menschenverachtender Weise. Zugleich werde hierdurch der Versuch unternommen, die Bundesrepublik und die Regierung und Parlamente des Bundes und der Länder zu delegitimieren und das Vertrauen der Bevölkerung in das aktuelle politische System zu erschüttern. Bei den betreffenden Äußerungen handele es sich nicht um vereinzelte Entgleisungen, sondern zahlreiche Bekundungen von inhaltlicher Massivität auf allen Ebenen der Antragstellerin zu 2. Entlastende Äußerungen der Antragstellerin zu 2. seien demgegenüber nicht festzustellen.
77Schließlich bestünden auch weiterhin enge persönliche und inhaltliche Verbindungen der Antragstellerin zu 2. zu Organisationen und Gruppierungen aus dem rechtsextremen Spektrum, insbesondere zur Identitären Bewegung Deutschland einschließlich des Hausprojektes „Castell Aurora“ und dem identitären Label „Phalanx Europa“. Daneben bestünden Verbindungen zu Akteuren des neurechten Spektrums wie dem IfS, dem Verein „Ein Prozent“ und dem Magazin „COMPACT“. In diesen Verbindungen komme die Strategie der Antragstellerin zu 2. als Teil der „Mosaik-Rechten“ zum Ausdruck. Nach dieser für die politische Rechte von Benedikt Kaiser adaptieren Theorie sei Ziel die professionelle Vernetzung von außerparlamentarischen Vorfeldstrukturen und parlamentarischen Akteuren. Auf ihrem Bundeskongress 2022 habe die Antragstellerin zu 2. sich als „Parteijugend des patriotischen Widerstandes“ und als „Teil eines größeren Mosaiks“ bezeichnet und die Anwesenheit verschiedener außerparlamentarischer Akteure als Aussteller auf dem Bundeskongress hervorgehoben.
78Das Bundesamt habe überdies gemäß § 16 Abs. 1 BVerfSchG auch die Öffentlichkeit über die erfolgte Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung informieren dürfen. Die hierfür erforderlichen hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte i.S.d. § 16 Abs. 1 BVerfSchG lägen erst Recht bei einer erwiesen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung vor. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit sei auch verhältnismäßig. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege im vorliegenden Fall einer gesichert extremistischen Bestrebung den damit verbundenen Eingriff in die Rechte der Antragstellerinnen.
79Schließlich seien auch die Pressemitteilung vom 26. April 2023 und die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes am 22. Mai 2023 rechtmäßig. Der konkrete Text der Pressemitteilung sei zutreffend und sachlich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen lasse sich der Formulierung, dass „Positionen“ der Antragstellerin zu 2. nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien, nicht entnehmen, dass alle Äußerungen und sämtliche Positionen der Antragstellerin zu 2. nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Vielmehr würden im weiteren Verlauf der Pressemitteilung die Positionen, die zu einer Einstufung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistische Bestrebung geführt hätten, benannt und herausgestellt.
80Auch die Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes am 22. Mai 2023 seien nicht zu beanstanden. Die Information der Öffentlichkeit über die Einstufung der Antragstellerin zu 2. sei zulässig und habe dementsprechend vom Präsidenten des Bundesamtes auch in seiner Rede bei dem Symposium des Bundesamtes erwähnt werden dürfen. Der konkrete Inhalt der Ausführungen sei zutreffend und sachlich gehalten gewesen. Wie dargelegt seien die Positionen der Antragstellerin zu 2. zum Volksbegriff, ihre ausländer- und islam-/muslimfeindlichen Agitationen und ihre Verunglimpfung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die vom Präsidenten verwendete Formulierung, das Bundesamt müsse jeden Verdacht prüfen, „dass auch in Parlamenten und im Blutkreislauf der Demokratie extremistische Bestrebungen Platz nehmen könnten“, sei eine bildliche, aber zutreffende Beschreibung der Aufgabe des Bundesamtes. Auch die Einordnung der Antragstellerin zu 2. zu den „Managern der Empörung“, die Verunsicherung zu Angst und diese dann zu Wut steigern wollten und gesellschaftliche Brüche vertiefen wollten, sei sachlich gerechtfertigt. Die auch von der Antragstellerin zu 2. gebrauchten Argumentationsmuster ließen vielfach jedes Maß vermissen und seien in ihrem Unmaß dazu bestimmt, die in der Bevölkerung aufgrund der Vielzahl von Krisen vorhandene Verunsicherung zur Angst und dann zur Wut zu steigern und zwar sowohl gegen die Regierungen und die Parlamente im Bund und den Ländern und andere Parteien als auch gegen Migranten, Ausländer, „Fremde“ und Muslime.
81Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem sowie im Verfahren der Hauptsache 13 K 3219/23 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
82II.
831.
84Der Antrag auf Beiladung aller von der Antragsgegnerin benannten natürlichen Personen, über welchen zusammen mit bzw. in der Sachentscheidung - und durch die Kammer - entschieden werden darf,
85vgl. Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Beschluss vom 1. Februar 2019 - 27 L 370/18 - juris Rn. 159 m.w.N.,
86war abzulehnen. Es liegen weder die Voraussetzungen für eine notwendige noch eine einfache Beiladung dieser Personen vor.
87Eine notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO scheidet aus. Notwendig beizuladen sind Dritte dann, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die noch zu erlassende Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt voraus, dass die begehrte Sachentscheidung nicht wirksam getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig und unmittelbar in Rechte des Dritten eingegriffen wird, das heißt seine Rechte gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden, wenn also die Entscheidung unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestalten soll, sie aber ohne deren Beteiligung am Verfahren nicht wirksam gestalten kann,
88vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Beschluss vom 18. Juni 2013 - 6 C 21.12 -, juris Rn. 5 m.w.N.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 1. Dezember 2017 - 13 E 479/17 -, juris Rn. 2.
89Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Die von der Antragsgegnerin benannten Personen sind von den von den Antragstellerinnen begehrten Unterlassungen bzw. Leistungen nicht materiell betroffen. Eine Entscheidung über die von den Antragstellerinnen geltend gemachten verfassungsschutzrechtlichen Ansprüche kann auch ohne Beteiligung der Personen ergehen.
90Eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht,
91Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 44. EL März 2023, § 65 Rn. 31 m.w.N.,
92können die Antragstellerinnen ebenfalls nicht mit Erfolg beanspruchen. Zweck der einfachen Beiladung ist es, Dritte, die nicht zum Kreis der Hauptbeteiligten gehören, deren rechtliche Interessen aber durch die Entscheidung des Gerichts im anhängigen Klage- bzw. Eilverfahren unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie ihrem Rechtsstandpunkt Gehör verschaffen können. Ferner soll dadurch, dass die Rechtskraftwirkungen der Entscheidung auch ihnen gegenüber eintreten, aus Gründen der Prozessökonomie etwaigen weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden. Ein rechtliches Interesse, das eine Beiladung rechtfertigen kann, ist gegeben, wenn der Beizuladende zu wenigstens einem der Beteiligten oder zum Streitgegenstand derart in Beziehung steht, dass sich je nach dem Ausgang des Rechtsstreits seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern kann,
93BVerwG, Beschluss vom 9. März 2005 - 4 VR 1001.04 u.a. -, juris Rn. 2 m.w.N.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 12. September 2019 - 4 E 635/19 -, juris Rn. 5 f. m.w.N.
94Auch hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Die Rechte der von der Antragsgegnerin benannten Personen werden durch die Entscheidung des beschließenden Gerichts nicht unmittelbar gestaltet oder bestätigt. Denn diese hat insbesondere keinen Einfluss auf die Datenverarbeitung der einzelnen Personen durch staatliche Stellen, auf die die Antragstellerinnen verweisen. Die betroffenen Personen sind insoweit auf die Geltendmachung eigener datenschutzrechtlicher Ansprüche zu verweisen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Möglichkeit von gegen diese Personen gegebenenfalls eingeleiteten Parteiordnungsmaßnahmen. Hierbei handelt es sich um interne Verfahren der Antragstellerinnen, aus denen kein rechtliches Interesse der betroffenen Personen abgeleitet werden kann.
95Darüber hinaus war die Beiladung vor dem Hintergrund einer im Verfahren angezeigten zeitnahen Entscheidung in der Sache im Wege der Ausübung des Ermessens abzulehnen.
962.
97Die Anträge der Antragstellerinnen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO sind im Ergebnis zulässig.
98Die gegenüber § 80 Abs. 5 VwGO subsidiären Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO) sind statthaft, da weder die Einstufung noch die Bekanntgabe der Einstufung und die öffentlichen Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes hierzu Verwaltungsakte darstellen und die Antragstellerinnen damit in der Hauptsache ein Leistungsbegehren verfolgen,
99Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht - VwGO, Werkstand: 44. EL März 2023, § 123 Rn. 26.
100Die Antragstellerinnen sind auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Für die Antragstellerin zu 2. folgt dies aus dem Umstand, dass sie von der Einstufung des Bundesamtes unmittelbar betroffen ist und ihr gegen die Antragsgegnerin deshalb ein Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Einstufung und deren Bekanntgabe sowie hinsichtlich der öffentlichen Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes ein Anspruch auf Löschung aus Art. 21 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG zustehen könnte. Dies gilt zudem gleichermaßen für die Antragstellerin zu 1., da die Einstufung und Bekanntgabe der Einstufung der Antragstellerin zu 2. in der Öffentlichkeit eine Ausstrahlwirkung auf die Antragstellerin zu 1. als „Mutterpartei“ hat. Zudem werden aus der Beobachtung gewonnene Erkenntnisse über die Antragstellerin zu 2. auch bei der verfassungsschutzrechtlichen Bewertung der Antragstellerin zu 1. herangezogen,
101vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 81 f.
102Auch ein an § 42 Abs. 2 VwGO zu messender möglicher Anordnungsgrund besteht angesichts der Weite der Möglichkeitstheorie, obwohl insoweit – wie noch darzulegen sein wird – durchaus Zweifel bestehen.
1033.
104Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind jedoch unbegründet.
105Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung <ZPO>).
106Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang dasjenige gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt allerdings im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG dann nicht, wenn die gerichtliche Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, weil der Antragsteller sonst Nachteile zu erwarten hätte, die für ihn unzumutbar wären, und das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg haben muss,
107vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 79, 69; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -, juris Leitsatz 1.
108Es kann dahinstehen, ob wegen der jedenfalls zeitlichen Vorwegnahme der Hauptsache die erforderlichen qualifizierten Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs vorliegend erfüllt sind. Ebenso kann dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund in Form einer Eilbedürftigkeit besteht. Dagegen spricht insbesondere, dass die Bekanntgabe der „Hochstufung“ der Antragstellerin zu 2. am 26. April 2023 erfolgte, der vorliegende Antrag auf einstweilige Anordnung indes erst am 12. Juni 2023 gestellt wurde und bis zum Entscheidungszeitpunkt seitens der Antragstellerinnen mehrfach Anträge auf – im Hinblick auf den Charakter dieses Eilverfahrens – erhebliche Fristverlängerungen gestellt worden sind. Denn die Antragstellerinnen haben hinsichtlich sämtlich geltend gemachter Ansprüche die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht.
109a)
110Das gilt zunächst hinsichtlich der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“. Die Antragstellerinnen haben die Voraussetzungen nach § 123 Abs. 1 VwGO insoweit nicht glaubhaft gemacht.
111Die Antragstellerinnen haben keinen Anspruch auf Unterlassung der Einordnung, Beobachtung, Behandlung und Prüfung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ durch das Bundesamt.
112Ein solcher ergibt sich nicht aus dem in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Regelung vorliegend allein in Betracht kommenden öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch,
113vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 2012 - 6 C 9.11 -, juris Rn. 22 und vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 -, juris Rn. 13,
114da sich die Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung der Antragstellerin zu 2. durch das Bundesamt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt.
115Dabei legt das Gericht zunächst die Ausführungen und Bewertungen in den die Antragstellerinnen betreffenden Urteilen vom 8. März 2022 (13 K 207/20, 13 K 208/20, 13 K 326/21) sowie Beschlüssen vom 10. März 2022 (13 L 104/21 und 13 L 105/21) zugrunde. Das Gericht sieht keinen Anlass, von den darin getroffenen Feststellungen abzuweichen. Diese legten schon im damaligen Zeitpunkt der damaligen Entscheidungen die Qualifizierung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistische Bestrebung nahe.
116aa)
117Rechtsgrundlage für die Einordnung, Prüfung und Beobachtung der Antragstellerin durch das Bundesamt ist § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG).
118Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG darf das Bundesamt die die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten.
119Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG ist Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes u.a. die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in diesem Sinne zählen gemäß Absatz 2 das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (b), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (d), die Unabhängigkeit der Gerichte (e), der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (f) und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (g). Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, § 4 Abs. 5 BVerfSchG.
120Bei den Antragstellerinnen handelt es sich jeweils um einen Personenzusammenschluss im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG,
121vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 207/20, juris Rn. 170., juris Rn. 113 ff. m.w.N.
122Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen bestehen auch unter Berücksichtigung der aus Art. 21 Abs. 1 GG erwachsenden Betätigungsfreiheit politischer Parteien und des in Art. 21 Abs. 4 GG normierten Parteienprivilegs keine ernstlichen Zweifel an der Anwendbarkeit der Vorschriften des BVerfSchG auf politische Parteien.
123Aus Art. 21 Abs. 2 und Abs. 4 GG folgt, dass die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten und ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei daher ausgeschlossen ist,
124stRspr seit BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rn. 215; siehe etwa auch BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1975 - 2 BvE 1/75 -, juris Rn. 16 und BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09, juris Rn. 21.
125Dies schließt jedoch die Beobachtung einer politischen Partei durch die Verfassungsschutzbehörden nicht aus,
126vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 2003 - 2 BvB 1/01 u.a. -, juris Rn. 77 f und Urteil vom 7. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 418.
127Denn die Beobachtung durch das Bundesamt stellt keine administrative Maßnahme dar, die gegen den Bestand der Antragstellerin zu 1. gerichtet ist, sondern dient der Aufklärung, ob eine Partei – bzw. im vorliegenden Fall deren Jugendorganisation – verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung wird von der Verfassung vorausgesetzt. Auch ohne die Feststellung der Verfassungswidrigkeit darf die Überzeugung gewonnen oder vertreten werden, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele,
128vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rn. 130 f. und vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, juris Rn. 21.
129Die Vorschriften des § 8 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG stehen auch mit der Betätigungsfreiheit politischer Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG in Einklang. Denn das Selbstbestimmungsrecht der Parteien findet seine Schranke in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“, die u.a. in Art. 21 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommt. Danach ist es die verfassungsrechtliche Pflicht der Regierung, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen. Im Rahmen der Wahrnehmung dieser Schutzpflicht dürfen staatliche Stellen somit auch die Überzeugung gewinnen und vertreten, eine Partei verfolge verfassungsfeindliche, d.h. gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßende Ziele. Werden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz eingehalten und wird dabei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, greift diese Beobachtung nicht stärker in den offenen Wettbewerb der Parteien um die Möglichkeit politischer Gestaltung ein, als dies mit Rücksicht auf die Verteidigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Demokratie erforderlich ist,
130vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, juris Rn. 22 f., 26 m.w.N.
131Etwas anderes folgt auch nicht unter der Berücksichtigung der Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie Art. 12 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRCh), auf die die Antragstellerinnen verweisen. Die Antragstellerinnen verkennen insoweit bereits, dass die Grundrechtecharta auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung findet. Vielmehr ist der Anwendungsbereich nach Art. 51 Abs. 5 Satz 1 GRCh für Mitgliedsstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union eröffnet. Handeln die Mitgliedsstaaten demgegenüber – wie hier der Fall – im rein nationalen Bereich und im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeiten, findet die GRCh keine Anwendung,
132vgl. Europäischer Gerichtshof (EUGH), Urteil vom 6. Februar 2013 - C-617/10 -, juris.
133Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Antragstellerin zu 1. bei den Europawahlen antritt und sich die Einstufung der Antragstellerin zu 2. mittelbar negativ auf die Wahlchancen der Kandidatinnen und Kandidaten der Antragstellerin zu 1. auswirken könnte. Denn allein mittelbare negative Auswirkungen einer rein nationalen Maßnahme führen nicht dazu, dass diese Maßnahme in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt,
134VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023, - 1 K 167/23 -, Rn. 65 m.w.N., juris.
135Ebenso wenig ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention strengere Anforderungen für die Maßnahmen des Bundesamtes. Denn hierdurch liegt bereits kein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit der Antragstellerinnen aus Art. 11 Abs. 2 EMRK vor. Aus der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ folgen für sich genommen keine Nachteile. Dem steht auch der Verweis der Antragstellerinnen, Folge der Beobachtung durch das Bundesamt seien für die Mitglieder der Antragstellerinnen, insbesondere Polizisten und Soldaten, Beeinträchtigungen im beruflichen Fortkommen sowie der massenhafte Entzug von Waffen- und Jagdscheinen, nicht entgegen. Denn – ungeachtet der Frage, ob die Darstellung der Antragstellerinnen zutreffend ist – handelt es sich hierbei nicht um Maßnahmen, welche die Mitglieder der Antragstellerinnen unmittelbar und allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei den Antragstellerinnen treffen und die an die Einstufung des Bundesamtes geknüpft sind. Die von den Antragstellerinnen zitierten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffen zudem Parteiverbote, die Ablehnung einer politischen Partei zur Registrierung oder negative Folgen, die Einzelpersonen (allein) aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei einer Partei getroffen haben. Die darin entwickelten Maßstäbe lassen sich auf den vorliegenden Fall einer Vorfeldmaßnahme nicht übertragen. Dies gilt auch für die von den Antragstellerinnen zitierten Leitlinien der Venedig-Kommission, die den Fall eines Parteiverbotes zum Gegenstand haben,
136vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 -, juris Rn. 66; siehe auch bereits VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 128.
137Die Vorschriften des § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchtstabe c BVerfSchG sind auch auf die Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung anwendbar, auch wenn diese dort ausdrücklich nicht geregelt ist. Allerdings ergibt sich dies aus der dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspringenden Erfordernis der Abstufung der Beobachtungsintensität,
138VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 207/20 -, Rn. 544 f. m.w.N., juris.
139Dem Vortrag der Antragstellerinnen, es liege ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vor, da die vorstehende Auffassung die Vorschriften unter Verstoß gegen die Wortlautgrenze auslege und es daher an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage fehle, ist nicht zu folgen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen i.S.d. § 3 Abs. 1 BVerfSchG ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen indes nicht nur vor, sondern haben sich darüber hinaus zur Gewissheit verdichtet, so kann dies weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift nach zu einer Einstellung der Beobachtung des betroffenen Personenzusammenschlusses durch das Bundesamt führen. Denn im Fall der Verdichtung der tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit werden die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 5 BVerfSchG gewissermaßen „übererfüllt“. Daraus folgt jedoch, dass die Vorschrift neben den Verdachtsfällen auch und erst Recht die Fälle der gesichert ex-tremistischen Bestrebungen miteinschließt. Diese Auffassung wird, worauf die Antragsgegnerin zu Recht verweist, auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Parallelvorschrift aus § 15 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 1 Verfassungsschutzgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen gestützt. In dieser führt das Gericht aus, dass im Rahmen der Berichterstattung deutlich zwischen den Fällen von Gruppierungen, bei denen ein Verdacht von verfassungsfeindlichen Bestrebungen besteht, und solchen, bei denen die Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung feststeht, zu differenzieren ist,
140BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rn. 77 f.
141Eine solche Differenzierung hätte es nicht indes bedurft, wenn – wie die Antragstellerinnen vortragen – eine Beobachtung im Fall der gesichert extremistischen Bestrebung gar nicht erst erlaubt wäre.
142Dies gilt auch für die an die „Höherstufung“ geknüpften Folgen einer Beobachtung der Antragstellerin zu 2. durch das Bundesamt. Die dies regelnden besonderen Eingriffsnormen des BVerfSchG (§ 8, § 9 ff. BVerfSchG) genügen bei der im Eilverfahren möglichen Prüfung auch den strengeren Anforderungen des Verfassungsrechts,
143vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 ‑ 1 BvR 1619/17 ‑, juris, insbesondere Rn. 182 ff.
144Einer Anhörung der Antragstellerinnen vor Einstufung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistischer Bestrebung bedurfte es nicht. Weder ist eine Anhörung im BVerfSchG vorgesehen, noch ist sie verfassungsrechtlich geboten oder ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG); unabhängig davon wäre ein diesbezüglicher formeller Mangel zwischenzeitlich geheilt,
145vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 111; siehe auch VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 222 m.w.N.; VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 -, juris Rn. 230 m.w.N.
146Eine Anhörungspflicht ergibt sich zudem auch nicht aus Art. 41 Abs. 2 Buchstaben a GRCh. Dies gilt gleichermaßen für den von den Antragstellerinnen ebenfalls gerügten Verstoß gegen die Pflicht zur hinreichenden Begründung aus Art. 41 Abs. 2 Buch
147gesichert extremis stabe c GRCh. Denn die Vorschriften der GRCh finden – wie dargelegt – auf den vorliegenden Fall keine Anwendung,
148Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen sind auch die Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren im Rahmen der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als tische Bestrebung gewahrt worden.
149Die Antragstellerinnen tragen hierzu vor, die Antragsgegnerin sei verpflichtet offenzulegen, welche der in den Verwaltungsvorgängen angeführten Äußerungen von sog. V‑Leuten, Vertrauenspersonen o.Ä. des Bundesamtes und/oder von mit dem Bundesamt bzw. den entsprechenden Landesämtern verbundenen Accounts stammten. Dass das Bundesamt „rechtsextreme Fake-Accounts“ betreibe, sei aufgrund zahlreicher Medienberichte bekannt, zudem habe das Bundesamt dies selbst eingeräumt.
150Dem ist nicht zu folgen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor und es ist nicht ersichtlich, dass das Bundesamt auch im vorliegenden Verfahren auf die genannten Methoden zurückgegriffen hat und die als Beleg vorgelegten Äußerungen der Antragstellerin zu 2. in erheblichem Maße durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen wurden.
151Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 BVerfSchG darf das Bundesamt nachrichtendienstliche Mittel, zu denen der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten zählt, u.a. dann einsetzen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über extremistische Bestrebungen gewonnen werden können,
152siehe auch Warg, Recht der Nachrichtendienste, 2023, Rn. 258.
153Bei verdeckten Mitarbeitern handelt es sich nach der Legaldefinition in § 9a Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG um eigene Mitarbeiter des Bundesamtes, die unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende zur Aufklärung von Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen gemäß § 9a Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG weder zur Gründung von Bestrebungen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Für den Einsatz von Vertrauensleuten, also Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Bundesamt Dritten nicht bekannt ist, sind nach § 9b Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG die Regelungen des § 9a BVerfSchG entsprechend anzuwenden. Aus dem Verbot der steuernden Einflussnahme folgt, dass sicherzustellen ist, dass die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit von V-Leuten und verdeckten Mitarbeitern begrenzt bleibt. Die Zusammenarbeit mit „Chef-Ideologen“ und öffentlich präsenten „Galionsfiguren“ kommt daher nicht in Betracht,
154vgl. Dietrich, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, 2017, Sechster Teil, § 2 Rn. 152.
155Im vorliegenden Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen für den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und V-Leuten bei der Antragstellerin zu 2. erst seit deren Einstufung als Verdachtsfall im Jahr 2019 vorlagen. Das Bundesamt durfte daher frühestens ab diesem Zeitpunkt verdeckte Mitarbeiter einsetzen oder V‑Leute für die Informationsbeschaffung gewinnen. Bei den von dem Bundesamt in den Verwaltungsvorgängen aufgeführten Äußerungen handelt es sich jedoch überwiegend um Zitate, Äußerungen und Aktivitäten von langjährigen, bereits vor 2019 aktiven Mitgliedern der Antragstellerinnen. Das gilt insbesondere für die in den Verwaltungsvorgängen namentlichen zitierten Funktionäre der Antragstellerin zu 2., wie die nachstehenden Ausführungen exemplarisch zeigen.
156So ist etwa der derzeitige Bundesvorsitzende der Antragstellerin zu 2., Hannes Gnauck, nach eigenen Angaben seit 2018 Mitglied der Antragstellerin zu 1. Dies geht aus einem Artikel von Gnauck hervor, der am 5. April 2020 auf der Onlineseite des Magazins COMPACT veröffentlicht wurde (Verwaltungsvorgang <VV> Bl. 3981, 3982). Auch bei den stellvertretenden Bundessprechern der Antragstellerin zu 2., K. P. und Q. S., handelt es sich um seit vielen Jahren aktive Mitglieder. So trat K. P. bereits 2013 der Antragstellerin zu 1. bei, wie er 2019 gegenüber der Zeitung Neue Zürcher Zeitung mitteilte,
157„Internetadresse wurde entfernt“ [abgerufen am 2. Februar 2024].
158Vor seiner Wahl zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden bekleidete er zudem das Amt des Schriftführers im Bundesvorstand der Antragstellerin zu 2. Zudem war er Landesvorsitzender der Antragstellerin zu 2. in A. sowie Leiter der „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ der Antragstellerin zu 2. In dieser Funktion war er auch Teilnehmer einer von der Antragstellerin zu 2. veranstalteten Pressekonferenz am 25. Juni 2019 zur erfolgten Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall im Jahr 2019 (VV Bl. 2962 ff.).
159Dass Q. S. seit vielen Jahren für die Antragstellerinnen aktiv ist, ergibt sich u.a. aus dem Umstand, dass er seit März 2017 Referent und Büroleiter des damaligen Bundessprechers der Antragstellerin zu 1., Herrn Prof. Dr. Jörg Meuthen, war (vgl. VV Bl. 3541). Zudem ist S. bereits seit 2019 stellvertretender Bundessprecher der Antragstellerin zu 2. (VV Bl. 3838).
160H. I., Beisitzer im Bundesvorstand und stellvertretender Landesvorsitzender der Antragstellerin zu 2. in E., ist laut Angaben auf der Homepage des Landesverbandes seit 2016 Mitglied der Antragstellerinnen,
161vgl. „Internetquelle wurde entfernt“[abgerufen am 2. Februar 2024].
162Wie sich einer auf Facebook veröffentlichen Pressemeldung des Landesverbandes U. der Antragstellerin zu 2. entnehmen lässt, wurde V. C. bereits 2019 zum stellvertretenden Sprecher des Landesverbandes gewählt,
163„Internetquelle wurde entfernt“[abgerufen 2. Februar 2024].
164Der Pressemitteilung des Kreisverbandes J. der Antragstellerin zu 1. zufolge wurde X. B. am 24. November 2017 zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden gewählt,
165„Internetquelle wurde entfernt“ [abgerufen 2. Februar 2024].
166Dies belegt, dass B. ebenfalls bereits seit vielen Jahren für die Antragstellerinnen aktiv ist.
167Damit erscheint es bereits fernliegend, dass es sich bei den o. g. Personen um verdeckte Mitarbeiter des Bundesamtes handelt. Gegen die Befürchtung der Antragstellerinnen, bei den als Belegen vorgelegten Äußerungen handele es sich um Äußerungen von V-Leuten, spricht, dass der Einsatz von V-Leuten gerade nicht zur steuernden Einflussnahme erfolgen darf. Ein solcher läge jedoch vor, wenn die überwiegende Anzahl der Belege, auf die das Bundesamt seine Einschätzung stützt, von V‑Leuten stammt. Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt sich vorliegend nicht gesetzeskonform verhalten hat, sieht das beschließende Gericht nicht. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der im Eilverfahren allein vorzunehmenden summarischen Prüfung bedurfte es auch nicht der Vorlage entsprechender Testate durch das Bundesamt oder anderer Stellen,
168vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 ‑ 2 BvB 1/19 ‑, juris Rn. 31 ff.,
169über die Staatsfreiheit der Antragstellerin zu 2. und der Quellenfreiheit des Materials.
170bb)
171Es handelt sich bei der Antragstellerin zu 2. bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung um eine gesichert extremistische Bestrebung.
172Das beschließende Gericht hat
173im Urteil vom 8. März 2022 ‑ 13 K 207/20 ‑, juris, Rn. 555 ff.
174hinsichtlich der Voraussetzungen für die Einstufung eines Personenzusammenschlusses als erwiesen extremistische Bestrebung ausgeführt:
175„Das Bundesverfassungsschutzgesetz selbst gibt keine Voraussetzungen vor, unter denen ein Personenzusammenschluss als erwiesen extremistische Bestrebung eingeordnet werden darf, denn es regelt explizit nur den Verdachtsfall. Hinsichtlich des Verdachtsgrades ist – auch vor dem Hintergrund des Wortlauts der Einstufung durch das Bundesamt selbst – eine Verdichtung von Verdachtsmomenten zur Gewissheit erforderlich,
176VG Ansbach, Urteil vom 25. April 2019 - AN 16 K 17.01038 -, Rn. 38, juris; in diese Richtung auch bereits BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rn. 78, 89.
177Weiterhin ist zu beachten, dass sich der Verdachtsfall und eine erwiesen extremistische Bestrebung vor allem in dem Verdichtungsgrad der vorliegenden tatsächlichen Verdachtsumstände unterscheiden und nicht vordergründig im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung, ob die mutmaßliche Bestrebung extremistisch ist oder nicht,
178Warg, in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Nachrichtendienstes, 2017, S. 532 f.
179Tatsächliche Anhaltspunkte, die einen Verdachtsfall auslösen, reichen also nicht mehr aus. Die Verdachtsphase muss überschritten werden. Aus der Beobachtung […] während der Verdachtsphase muss hervorgehen, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte dergestalt verdichtet haben, dass die Überzeugung besteht, dass es sich tatsächlich um extremistische Bestrebungen handelt.
180Im Rahmen der Beurteilung einer politischen Partei als erwiesen verfassungsfeindlich kommt es überdies auf inhaltlicher Ebene auf das Gesamtbild an, wobei die verfassungsfeindlichen Äußerungen und Verhaltensweisen den Charakter einer Partei prägen müssen. Das ist dann der Fall, wenn sie von einer die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnenden Grundtendenz beherrscht wird,
181BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00, 2 WD 43.00 -, BVerwGE 114, 258 = juris Rn. 14, 32; BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, BVerfGE 5, 85 = juris Rn. 226.“
182Ausgehend von diesen Maßstäben, an denen das beschließende Gericht weiterhin festhält, haben sich hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. nach der im Eilverfahren allein gebotenen und auch hinreichenden summarischen Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet, dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt.
183Zunächst geht das beschließende Gericht auch weiterhin davon aus, dass hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. vor der nunmehr erfolgten Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlagen und ihre Einstufung als Verdachtsfall durch das Bundesamt daher gerechtfertigt war. Diese ergaben sich sowohl aus dem politischen Programm als auch den Äußerungen der Antragstellerin zu 2. Insoweit wird auf die Ausführungen des beschließenden Gerichts in den Urteilen vom 8. März 2022,
184VG Köln, Urteile vom 8. März 2022 ‑ 13 K 208/20, juris Rn. 113 ff. und 13 K 326/21, juris Rn. 216 ff.,
185Bezug genommen.
186Die tatsächlichen Anhaltspunkte haben sich nunmehr bei wertender Gesamtbetrachtung zur Gewissheit für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verdichtet.
187Dabei bestehen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung und entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen weiterhin keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Feststellung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen auch auf für sich genommen zulässige und vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Meinungsäußerungen gestützt werden kann. Denn mit der Feststellung, dass die einzelnen Äußerungen unter den Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen, ist nicht zugleich gesagt, dass deswegen die Berücksichtigung im Rahmen der verfassungsschutzbehördlichen Beurteilung unzulässig wäre. Es ist dem Staat nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, also weder verboten sind noch bestraft werden können, Schlüsse zu ziehen und Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Das Gesetz definiert den Begriff der Bestrebung nicht anhand der Merkmale legal/illegal. Deshalb können die Verfassungsschutzbehörden an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpfen, soweit diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die verfassungsfeindliche Zielrichtung kann sich auch aus einer Zusammenschau erlaubter Äußerungen ergeben,
188vgl. OVG Berlin-Brandenburg., Beschluss vom 19. Juni 2020 ‑ OVG 1 S 55.20 -, juris Rn 55, und Urteil vom 6. April 2006 ‑ OVG 3 B 2 99 -, juris Rn. 47; VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 57
189Soweit die Antragstellerinnen vortragen, das Bundesamt habe nicht substantiiert dargelegt, dass die Antragstellerin zu 2. die Beseitigung der Verfassungsgrundsätze konkret plane bzw. diesbezügliche Aktivitäten angekündigt habe, ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein planvolles Vorgehen, das kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechenden politischen Konzepts hinarbeitet, Voraussetzung für ein Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG,
190vgl. BVerfG Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 575 f.,
191nicht hingegen für eine Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ ist. Der Begriff der „Bestrebung“ fordert stattdessen nur ein aktives, aber nicht notwendigerweise kämpferisch aggressives Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Es bedarf Aktivitäten, die über eine bloße Missbilligung oder Kritik an einem Verfassungsgrundsatz hinausgehen,
192vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rn. 81 f.; BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2009 - 21. Juli 2010 -, juris Rn. 42; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, juris Rn. 42; VG WD., Urteil vom 28 Mai 2013 - 22 K 2532/11 -, juris Rn. 74 ff.
193Es ist anzunehmen, dass politische Parteien auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtete Organisationen sind. Bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden,
194BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, juris Rn. 61.
195Dies gilt gleichermaßen für die Antragstellerin zu 2. als Jugendorganisation der Antragstellerin zu 1.,
196vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 310 ff. m.w.N.
197Der überdies erhobene Einwand der Antragstellerinnen, bei einer Vielzahl der vom Bundesamt als Beleg für eine gesichert verfassungsfeindliche Bestrebung vorgelegten Äußerungen der Antragstellerin zu 2. handele es sich um mehrdeutige Äußerungen, die das Bundesamt zu Unrecht einseitig als verfassungsschutzrechtlich relevant interpretiert und zu Lasten der Antragstellerin zu 2. ausgelegt habe, verfängt nicht. Die Antragstellerinnen ziehen hierfür die für straf- und zivilrechtliche Sanktionen geltenden Grundsätze des Äußerungsrechts heran. Dies überzeugt bereits deshalb nicht, da es im vorliegenden Fall nicht um die Strafbarkeit, ein strafrechtliches Vorgehen oder das Verbot der betreffenden Äußerungen, sondern um nachrichtendienstliche Gefahrerforschung geht. Verfassungsschutzbehörden – so auch das Bundesamt – haben die Aufgabe, Aufklärung im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben; sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und sie gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen,
198vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. September 2023 - 10 CE 23.796 -, juris Rn. 98 mit Verweis auf BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 - 1 BvR 1619/17 -, juris Rn. 154.
199aaa)
200Die Gewissheit, dass die Antragstellerin zu 2. verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, folgt zunächst aus dem Umstand, dass die Antragstellerin zu 2. auch weiterhin einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff vertritt. So ist der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand und nach Möglichkeit der Ausschluss „ethnisch Fremder“ auch weiterhin eine zentrale politische Vorstellung der Antragstellerin zu 2. Dies stellt einen Verstoß gegen die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG dar. Denn die Menschenwürde umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen die, ungeachtet aller tatsächlichen bestehenden Unterschiede, bei rassisch motivierter Diskriminierung sowie der Behandlung von Personen oder Personengruppen als Menschen zweiter Klasse, beeinträchtigt wird,
201vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 2024 - 1 BvB 1/19 -, juris Rn. 326 ff., und vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 635, 690 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juni 2020 - OVG 1 S 55.20 -, juris Rn. 31 ff.; siehe zum „ethnokulturellen“ Volksbegriff auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2021 - OVG N 96.20 -, juris Rn. 9 ff.
202Das Grundgesetz kennt überdies einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen“ gebildet wird,
203BVerfG, Urteile vom 31. Oktober 1990 - 2 BvF 2, 6/98 -, juris Rn. 54 ff. und vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 690 f.
204Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 116 Abs. 1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Er kann insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Der Gesetzgeber ist bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts insbesondere nicht an den Abstammungsgrundsatz gebunden. Demgemäß kommt bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes,
205vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 2 BvF 2, 6/98 -, juris Rn. 56 und vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 690 f.
206Das Eintreten für eine restriktive Einwanderungspolitik ist für sich genommen verfassungsschutzrechtlich unbeachtlich, auch wenn damit die nationale kulturelle Identität Sprache und Brauchtum geschützt werden sollen. Wenn in diesem Zusammenhang allerdings das erklärte politische Ziel propagiert wird, das deutsche Volk in seinem ethnisch-kulturellen Bestand zu erhalten, kann dies einen Anhaltspunkt für ein ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis begründen,
207vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2021 ‑ OVG 1 N 96.20 -, juris Rn. 9 ff. BayVGH, Beschluss vom 17. September 2023 - 10 CE 23.796-, juris Rn. 105.
208Dass die Antragstellerin zu 2. auch nach der Einstufung als Verdachtsfall weiterhin ein ethnisches Volksverständnis vertritt ergibt sich zunächst aus dem schriftlichen Programm der Antragstellerin zu 2. So enthielt bereits der sog. „Deutschlandplan“ aus Februar 2019 gewichtige Anhaltspunkte für ein ethnisches Volksverständnis der Antragstellerin zu 2.,
209siehe hierzu ausführlich VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 ‑ 13 K 2018/20 -, juris Rn. 172 ff.; darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
210Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus dem nach der Einstufung als Verdachtsfall von der Antragstellerin zu 2. verabschiedeten Papier „Programm und Leitlinien“. So findet sich in den Leitlinien zwar – anders als im „Deutschlandplan“ – die ausdrückliche Forderung nach einer Assimilation von Einwanderern am Maßstab des autochthonen Deutschen nicht mehr, doch lässt sich ihnen auch nach wie vor keine klare Distanzierung von den im „Deutschlandplan“ aufgestellten Forderungen und Formulierungen oder eine deutliche inhaltliche Abkehr entnehmen. Aus diesem Grund ist es nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt die Leitlinien als auf dem „Deutschlandplan“ basierende Programmatik verstanden und dementsprechend die im „Deutschlandplan“ vertretenen Positionen dem Verständnis der Leitlinien zugrunde gelegt hat,
211so auch BayVGH, Beschluss vom 14. September 2023 - 10 CE 23.796 -, juris Rn. 112.
212So ist in den Leitlinien unter der Überschrift „Wir stehen zum deutschen Vaterland“ weiterhin von der Verteidigung des Nationalstaates als
213„die beste Möglichkeit, unsere Art zu leben“ (Jugend, die vorangeht“ Programm und Leitlinien, S. 4, https://netzseite.jungealternative.online/start/programm/ [abgerufen am 2. Februar 2024].)
214die Rede. Weiter heißt es
215„Dazu gehört sich gegen alle Experimente zu stemmen, Deutschland zum bloßen Siedlungsgebiet und Experimentierfeld einer unkontrollierten Masseneinwanderung zu machen. Zuwanderung hat sich nach den Interessen des Landes zu richten. Nachdem jahrzehntelange Integrationsbemühungen gescheitert sind, sollten wir an Migranten die Erwartungshaltung einer Assimilation richten. Illegale und ausreisepflichtige Einwanderer sind konsequent zurückzuführen.“ (Leitlinien, a.a.O., S. 4).
216Die Passage ist durch Formulierungen wie „bloßes Siedlungsgebiet“, „Experimentierfeld“ und „unkontrollierte Masseneinwanderung“ erkennbar an die Theorie des „Großen Austausches“ angelehnt, wonach das ethnisch homogene deutsche Volk durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen drohe und in seiner Existenz gefährdet sei und die Ausdruck eines ethno-kulturellen Volksbegriffs ist,
217vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 673 ff., 690 ff; OVG Berlin-Brandenburg., Beschluss vom 23. Juni 2021 - OVG 1 N 96.20 -, juris Rn. 9 ff. BayVGH, Beschluss vom 17. September 2023 - 10 CE 23.796 -, juris Rn. 105.
218Auch die Forderung nach einer Assimilation von Einwanderern wird in den Leitlinien aufrecht erhalten. Durch die Bezugnahme auf das deutsche Volk,
219„das sein Erbe an die nächste Generation weitergibt“, den „deutschen Nationalstaat“ als die „beste Möglichkeit, unsere Art zu leben zu verteidigen“ und die „deutsche Innerlichkeit und Seelentiefe“ (Leitlinien, a.a.O., S. 9, 10),
220wird deutlich, dass Maßstab für diese Assimilation auch weiterhin der autochthone Deutsche sein soll. Eine solche Forderung verstößt gegen die Menschenwürde, da Migrantinnen und Migranten die freie Entfaltung ihrer Person abgesprochen wird.
221In den Leitlinien wird überdies auf die „solidarisch-patriotische“ Idee verwiesen und klargestellt, dass die „soziale Frage unserer Zeit untrennbar mit der nationalen Frage verbunden ist. Dieses maßgeblich durch Benedikt Kaiser in seinem Buch „Solidarischer Patriotismus“ geprägte Konzept, das auch von Björn Höcke propagiert wird, sieht als Voraussetzung für die Bereitschaft zum solidarischen Handeln innerhalb einer Gesellschaft u.a. eine
222„relative ethnische Homogenität“ (Gutachten IV, S. 38)
223an
224Das Buch wurde auch von mehreren Vertretern der Antragstellerin zu 2. beworben (VV Bl. 3925, 3942 ff.). Das aktuelle Buch von Kaiser („Die Konvergenz der Krisen“) ist zudem über den „Patrialaden“, den offiziellen Materialversand der Antragstellerin zu 2. bestellbar,
225https://patrialaden.de/produkt/benedikt-kaiser-die-konvergenz-der-krisen/ [abgerufen 2. Februar 2024].
226Die Webseite des Patrialadens ist über eine Verlinkung auch über die offizielle Homepage der Antragstellerin zu 2. zu erreichen.
227Kaiser selber war zudem u.a. Gast der „E.-Akademie“ des Landesverbandes E. der Antragstellerin zu 2. (VV Bl. 3930) sowie Teilnehmer einer von dem Landesverband L. der Antragstellerin zu 2. veranstalteten Podiumsdiskussion im November 2020 (VV Bl. 3942). Benedikt Kaiser ist nach der Aussage des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragstellerin zu 2., Z. T., im Jahr 2021
228„mittlerweile sicherlich prägend“ (Gutachten IV, S. 60 f.; VV Bl. 3355 ff.)
229für die Antragstellerin zu 2.
230Für eine programmatische Kontinuität der Antragstellerin zu 2. sprechen auch die personellen Entscheidungen im Bundesvorstand. So wurde der seit 2021 vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD) als Rechtsextremist eingestufte Hannes Gnauck im Oktober 2022 zum Bundesvorsitzenden gewählt, der seinerseits das Narrativ vom Bevölkerungsaustausch vertritt,
231vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. September 2023 - 10 CE 23.796 -, juris Rn. 105.
232Gnauck erklärte etwa im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung am 17. April 2023, die
233„Altparteienregierungen, ob Bund, Land, betreiben einen Bevölkerungsaustausch und sie werden nicht ruhen, bis jeder Winkel unseres Landes und jedes friedliche Dorf mit illegalen Migranten vollgestopft ist.“ (Rede von Hannes Gnauck vom 17. April 2023, https://twitter.com/JFDA_eV/status/1648035534743171073 [abgerufen am 2. Februar 2024])
234Auch die weiteren Vertreter des Bundesvorstandes entstammen überwiegend dem sog. solidarisch-patriotischen Lager, das der ehemaligen Sammlungsbewegung innerhalb der Antragstellerin zu 1., dem sog. „Flügel“ nahesteht (Gutachten IV S. 68 ff.)
235Hinsichtlich des „Flügel“ hat das beschließenden Gericht entschieden, dass dieser bis zur seiner Auflösung vom Bundesamt als gesichert extremistische Bestrebung habe beobachtet werden dürfen,
236siehe hierzu VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 207/20 -, juris Rn. 539 ff.
237Überdies lassen sich Äußerungen weiterer Personen aus dem Bundes- sowie diverser Landesvorstände der Antragstellerin zu 2. direkte oder indirekte Bezugnahmen auf die Theorie des „Großen Austausches“ und das damit verbundene ethnische Volksverständnis entnehmen.
238So schrieb der damalige stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes U. der Antragstellerin zu 2., V. C., in einem Internetbeitrag vom 27. März 2020, der „Flügel“ habe den
239„für immer mehr Bürger deutlich sicht- und fühlbaren Bevölkerungsaustausch“ (Gutachten IV S. 81 f., VV Bl. 3605 f.)
240kommuniziert.
241Zuvor hatte C. bereits am 31. August 2019 in einem Tweet mit der Überschrift „Revoltiert“ die Ablichtung einer Seite des Kapitels „Revoltiert!“ aus dem Buch „Revolte gegen den Großen Austausch“ von Renaud Camus verbreitet (Gutachten IV S. 82, VV Bl. 3607).
242Der heutige stellvertretende Bundesvorsitzende der Antragstellerin zu 2., Q. S., twitterte am 25. Dezember 2021,
243„Statistiken zur Demographie machen deutlich: Ein Bevölkerungsaustausch findet statt. Das ist Fakt.“ (VV Bl. 3543).
244M. R., Beisitzer im Bundesvorstand der Antragstellerin zu 2. und Beisitzer im Landesvorstand E.-W. der Antragstellerin zu 2., äußerte sich in einem Tweet vom 25. November 2022 ganz ähnlich:
245„Der Bevölkerungsaustausch ist keine rechtsextreme Verschwörungstheorie, er ist längst eine systematisch von den Altparteien, den MSM und staatsnahen NGOs vorangetriebene Realität. Die autochthonen Deutschen sollen zur Minderheit im eigenen Land gemacht werden.“ (VV Bl. 3634).
246In einem Tweet vom 29. September 2020 des damaligen Landesvorsitzenden G. der Antragstellerin zu 2., X. B., nahm dieser Bezug auf das kommunale Bündnis „Sichere Häfen“ und schrieb dazu,
247„Städte erklären sich zu sicheren Häfen. Städte in denen hunderte Wohnungssuchende auf eine Wohnung kommen. Letzten Endes landen sie daher im ländlichen Raum, der wohl noch ‚zu deutsch‘ ist. Auf diese Art von ‚antidemografischen Wandel‘ können wir Landeier gern verzichten. (Gutachten IV S. 81, VV Bl. 3603).
248O. F., früherer Bundesvorsitzender der Antragstellerin zu 2. und jetziger Mitarbeiter von Hannes Gnauck, twitterte am 18. Juli 2022,
249„Tja, Volksverrat in Form der Zerstörung der Versorgungs- und Wohlstandslage, ethnischen Austauschs, antiweißen Geschichtsrevisionismus […] (Gutachten IV S. 108 f., VV Bl. 3727).
250Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes E. der Antragstellerin zu 2., H. I., schrieb wiederum am 20. Juni 2022 auf Facebook
251„Die Ampel will Deutschland mit einer weiteren Masseneinwanderung fluten. Um dieses Ziel zu erreichen propagiert die neue afrikanisch-bundesrepublikanische Staatsministerin der Grünen in Schleswig-Holstein Toure offen die Umvolkung (zu englisch: Resettlement). Zugleich soll alles und jeder nach kürzester Zeit bedingungslos eingebürgert werden. Die Antideutschen hören nicht auf, bevor Deutschland vollkommen entdeutscht ist. Das ehemals als Deutschland bekannte kulturelle Herz Europas soll als Migrantistan zum offenen Siedlungsgebiet für alle Welt umgewandelt werden.“ (VV Bl. 3640).
252Y. N. äußerte zu seiner Zeit als Beisitzer im Bundesvorstand der Antragstellerin zu 2. wiederholt auf Facebook die Auffassung es finde ein
253„großer Austausch“
254statt und leitete daraus die Forderung
255„Remigration jetzt“ (Gutachten IV S. 84 f, VV Bl. 3609 f.)
256ab.
257Der Landesverband E. der Antragstellerin zu 2. informierte am 10. Juli 2023 über Facebook, dass die neuesten Sticker eingetroffen seien. Diese tragen die Aufschrift „Remigration ist unsere Mission.“
258https://www.facebook.com/photo/?fbid=588156966837699&set=a.574629298190466&locale=de_DE [abgerufen 2. Februar 2024].
259Am 8. Juni 2023 teilte der gleiche Landesverband auf seiner Facebook-Seite eine Abbildung der Antragstellerin zu 1. Darauf zu sehen, ist eine Deutschlandkarte mit der Beschriftung „Karte des Schreckens zeigt die Überfremdung Deutschlands.“ Im Begleittext heißt es dazu:
260„Bald sind wir fremd im eigenen Land. Die interaktive Karte zeigt erschreckende Zahlen auf. Deutschland löst sich jeden Tag weiter auf. Wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, sind wird bald eine Minderheit im eigenen Land. Dann ist Deutschland tot. Die wichtigste Mission die ein deutscher Patriot haben kann, ist daher die #Ersetzungsmigration zu stoppen. [...] Wir wollen das Deutschland Deutschland bleibt und nicht ein multikulturelles Siedlungsgebiet für Migranten aus aller Welt […]“
261Die in diesen sowie den nachstehenden Äußerungen zutage tretende Differenzierung zwischen (autochthonen) Deutschen und deutschen Staatsangehörigen offenbart ebenfalls ein ethnisches Volksverständnis.
262So schreibt der o.g. I. in einem Facebook-Eintrag am 12. April 2022 zu einer Angabe des Statistischen Bundesamtes, nach der im Jahr 2021 27,2 % der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund hatten:
263„Der große Austausch schreitet voran. Bereits über 27 % Nichtdeutsche. Nie zuvor gab es mehr Ausländer und prozentual weniger Deutsche in Deutschland. […] Defakto ist dies eine entdeutschung Deutschlands.“ (Gutachten IV S. 87, VV Bl. 3618)
264Er fordert die Einleitung einer grundlegenden patriotischen Wende durch die Antragstellerin zu 1., da es
265„ansonsten bald nichts mehr zu retten [gebe]. Die Substanz erodiert jeden Tag mehr.“ (Gutachten IV S. 87, VV Bl. 3618)
266Die Äußerung macht deutlich, dass I. Personen mit Migrationshintergrund unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit nicht als Deutsche ansieht. Eine solche Differenzierung lässt sich auch der Äußerung I. zur Fußballnationalmannschaft der Herren unter Bezugnahme auf ein Foto mit schwarzen Spielern und der Aussage, man müsse die Frauenmannschaft loben,
267„[…] dass sie im Gegensatz zur durchmultikulturalisierten männlichen Söldnertruppe noch eine echte deutsche (!) Nationalmannschaft (!) ist. Von demher repräsentieren uns die Mädels mehr als es ‚die Mannschaft‘ tut“ (Gutachten IV S. 79, VV Bl. 3790),
268entnehmen.
269Der o.g. O. F. reagierte am 12. April 2022 auf eine Meldung des Statistischen Bundesamtes, nach der jeder vierte Deutsche „ausländische Wurzeln“ habe, mit dem Tweet:
270„[…] Das befördert die Balkanisierung und Zerstörung der historisch gewachsenen einheimischen Mehrheitsgesellschaft auch noch“ (Gutachten IV S. 87, VV Bl. 3619).
271Z. T., damaliger Bundesschriftführer und jetziger 3. Stellvertretender Vorsitzender der Antragstellerin zu 2., sprach in einem Tweet vom 25. Juni 2022 davon, dass
272„auch in Westdeutschen, eher provinziellen Kleinstädten […] eine immer offenere und aggressivere Landnahme durch afrikanische Zuwanderer [beginnt]. Afrikaner prägen längst das Stadtbild. Unser Volk kann nur mit einer Politik der Null-Zuwanderung überleben.“ (Gutachten IV S. 111 f., VV Bl. 3746 f.).
273Bei den vorstehenden sowie den weiteren in den Verwaltungsvorgängen aufgeführten Äußerungen handelt es sich, anders als die Antragstellerinnen vortragen, auch nicht um Aussagen von Einzelpersonen, die keine Auswirkung auf die Gesamtorganisation haben. Vielmehr stammen sie von Personen in zentraler Position der Antragstellerin zu 2., ziehen sich durch verschiedene organisatorische Untergliederungen und sind daher weit gestreut. Gerade aus Äußerungen von Funktionsträgern kann auf deren Grundeinstellung und von dieser auf die verfassungsfeindliche Ausrichtung einer Vereinigung geschlossen werden,
274vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 ‑, juris Rn. 200 m.w.N.; siehe auch BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 -, juris Rn. 265.
275Der Aussagekraft der vom Bundesamt vorgelegten Äußerungen steht, anders als die Antragstellerinnen meinen, auch nicht der Umstand entgegen, dass daneben eine Vielzahl von verfassungsschutzrechtlich irrelevanten oder wertneutralen Äußerungen existieren, denen sich keine Anhaltspunkte für eine gesichert verfassungsfeindliche Bestrebung entnehmen lassen. Ausreichend ist, dass sich die Gewissheit aus der Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte ergibt, mögen diese für sich genommen auch nicht ausreichend sein,
276vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 -, juris Rn. 200 m.w.N.
277Auch der Einwand der Antragstellerinnen, das Bundesamt schließe allein aus der Verwendung bestimmter Begriffe auf ein abstammungsmäßiges Volksverständnis, verfängt nicht. Denn die Vertreter der Antragstellerin zu 2. verwenden und wiederholen die Begriffe in Kenntnis des damit verbundenen Verständnisses sowie Kontextes und zielen bewusst auf das damit verbundene ethnische Volksverständnis ab, das gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt. Dem liegt überdies auch kein extensives Verständnis des Menschenwürdebegriffs zugrunde. Die Antragstellerinnen tragen vor, die Menschenwürde sei erst dann verletzt, wenn die Behandlung eines Menschen durch die öffentliche Gewalt die Achtung des Wertes vermissen lasse, die einem jeden Menschen um seiner selbst willen zukommt. Dies bedeute, dass nicht jede Verletzung des Wert- und Achtungsanspruches eines Menschen zugleich eine Verletzung der Menschenwürde darstelle. Die Bezeichnung von Geflüchteten als „Invasoren“ oder „Eindringlinge“ sowie die Forderung nach der „Remigration“ stellten daher keinen Eingriff in die Menschenwürde dar. Die angesprochenen Menschen blieben stets als selbstverantwortliche Personen anerkannt. Dies verkennt, dass das Bundesamt den Verstoß gegen die Menschenwürde nicht (allein) auf die Verwendung der Begrifflichkeiten stützt, sondern auf den u.a. darin zum Ausdruck kommenden völkisch-abstammungsmäßige Volksbegriff abzielt. Die von der Antragstellerin zu 2. vertretenen Differenzierung zwischen deutschen Staatsangehörigen und dem „Deutschen Volk“ und die damit einhergehende Negierung der elementaren Rechtsgleichheit und demokratischen Egalität aller Bürgerinnen und Bürger erkennt die betroffenen Personen nicht als gleich an und spricht ihnen damit die Menschenwürde ab.
278bbb)
279Bei summarischer Prüfung folgt eine Verdichtung der tatsächlichen Verdachtsmomente hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. überdies aus der fortgeführten massiven ausländer- und insbesondere islam- und muslimfeindlichen Agitation der Antragstellerin zu 2. Die Antragstellerin zu 2. setzt die Verhaltensweisen fort, die Ausdruck einer Missachtung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darstellen,
280siehe hierzu bereits VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn 333 ff., 409 ff.
281So werden Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Migrantinnen und Migranten von der Antragstellerin zu 2. weiterhin pauschal verdächtigt und herabgewürdigt. Einwanderer werden allgemein als Schmarotzer und kriminell bezeichnet oder in anderer Weise verächtlich gemacht und dadurch in ihrer Menschenwürde missachtet,
282vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 707 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Mai 2019 - OVG 3 S 33.19 -, juris Rn. 19 f.; OVG G., Beschluss vom 26. April 2019 - 2 B 10639/19 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2019 - 5 B 543/19 -, juris Rn. 28.
283Dies zeigen die vom Bundesamt vorgelegten Äußerungen von Vertretern der Antragstellerin zu 2., in denen die Rede davon ist, dass
284„sich ein Großteil [der] angeblichen Fachkräfte lediglich in unser Sozialsystem einnistet“ (Gutachten IV S. 113 f, VV Bl. 3755)
285und die Bundesregierung
286„kulturfremde Sozialschmarotzer [durchfüttere], welche absolut nichts eingezahlt oder für unser Deutschland getan haben“ (Gutachten IV S. 113 f, VV Bl. 3755).
287Der Landesverband A. der Antragstellerin zu 2. äußert sich wie folgt:
288„Als 2015 über eine Million kulturfremden Migranten unsere nationale Grenze übertraten, da fragte keine Bundesregierung das deutsche Volk, ob es den Wunsch verspüre illegale Einwanderer über Jahre und Jahrzehnte zu beherbergen und auf eigne Kosten zu versorgen“ (Gutachten IV S. 111, VV Bl. 3737).
289Dadurch werden alle Migrantinnen und Migranten des Jahres 2015 als illegale Einwanderer diffamiert, eine hohe (Kosten-) Belastung für die einheimische Bevölkerung behauptet und der Eindruck erweckt, als würden Migrantinnen und Migranten (dauerhaft) nicht für die Sicherung ihres Lebensunterhaltes aufkommen.
290In weiteren Äußerungen ist von einer
291„schwarzafrikanischen Invasion Europas“ (Gutachten IV S. 112, VV Bl. 3750)
292die Rede.
293Der o.g. Z. T. sagt, es sei
294„Wahnsinn, wie unser Europa von Invasoren überrannt wird. Sie [D. TU.] freut das natürlich. Die normale Bevölkerung zum Glück mittlerweile eher weniger“ (Gutachten IV S. 113, VV Bl. 3752).
295An anderer Stelle heißt es
296„Massenmigration aus inkompatiblen, kulturfremden Ländern“ sei „statistisch gefährlich“ und könne „tödlich enden“ (Gutachten IV S. 118, VV Bl. 3765).
297Verbunden wird dies in einem Facebook-Beitrag vom 18. September 2021 mit der Forderung
298„Abschieben, statt Aufnehmen weiterer Migranten. Für uns gilt auch weiterhin eine Asylobergrenze von MINUS 200.000“ (Gutachten IV S. 118, VV Bl. 3765).
299Letzteres spielt auf die auch im „Deutschlandplan“ erhobene Forderung nach einer Minuszuwanderung von mindestens 200.000 Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit pro Jahr an. Insoweit bleibt weiter unklar, wie die Umsetzung in Einklang mit dem Grundgesetz erfolgen soll,
300siehe dazu VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 351 f.
301Einwanderer und (männliche) Geflüchtete werden von der Antragstellerin zu 2. zudem weiterhin pauschal als Kriminelle und (Sexual-) Straftäter herabgewürdigt. Dies zeigt sich in Bildern und Fotomontagen, auf denen schwarze Personen bzw. People of Color als Vergewaltiger („Rapefugees“) und Gewalttäter dargestellt werden (Gutachten IV S. 101 f., VV Bl. 3700, 3703).
302An anderer Stelle bezeichnet der Landesverband E. der Antragstellerin zu 2. eingewanderte Fachkräfte als
303„Ficki Ficki Fachkräfte“ (Gutachten IV S. 130, VV Bl. 3792)
304und fragt in diesem Zusammenhang
305„Wer schützt unsere Mädchen, wer schützt die Bevölkerung?“ (Gutachten IV S. 130, VV Bl. 3792)
306Dadurch wird nahegelegt, dass männliche Ausländer aus sexuellen Gründen oder zur Begehung von Sexualstraftaten nach Deutschland kämen.
307Zudem ist im Zusammenhang mit Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten wiederholt die Rede von
308„tagtäglichen Messerstechereien“ (Gutachten IV S. 104, VV Bl. 3705), „Messermigration“ (Gutachten IV S. 104, VV Bl. 3706) „Messerterror“ (Gutachten IV S. 104, VV Bl. 3706), „Messer-Epidemie“ (Gutachten IV S. 102, 104, VV Bl. 3701, 3706), „importierte Messerkriminalität“ (VV Bl. 3710).
309Der Landesverband OE. der Antragstellerin zu 2. fragte am 29. November 2022 auf Twitter,
310„Keine Lust auf Messer-Alis? Wir auch nicht. Jetzt Mitglied der Jungen Alternative werden – Wir machen noch Politik für Deutsche“ (VV Bl. 3766).
311Auch der Facebook-Eintrag des Landesverbandes E. der Antragstellerin zu 2. vom 16. August 2022 stellt eine Verbindung zu den anderen Parteien her:
312„Hinter jedem Messermann steht ein Politiker, der ihn eingeladen hat. Die Bunten messern stets mit. In jedem normalen Rechtsstaat würde es Unterstützung und Dankbarkeit für den Polizisten geben, der den Messer-Senegalesen gestoppt und damit Dortmund geschützt hat. In der heutigen Bundesrepublik läuft das natürlich anders. […]“ (VV Bl. 3708).
313Hierdurch wird von der Antragstellerin zu 2. eine von Migrantinnen und Migranten und Geflüchteten ausgehende Drohkulisse gezeichnet, häufig verbunden mit dem Vorwurf, die Verantwortung für die (vermeintlichen) Straftaten lägen auch bei den anderen Parteien bzw. der Regierung.
314Von der Antragstellerin zu 2. wird zudem weiterhin der Sticker mit der Aufschrift „BLACK KNIVES MATTER“ (Gutachten IV S. 104 f., VV Bl. 3709 f.) vertrieben. Dass damit der Ansatz der in den Vereinigten Staaten entstandenen Bewegung „Black Lives matter“, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. People of Color einsetzt, verhöhnt wird und diese Personen in rassistischer Weise als Messerstecher diffamiert werden, hat das beschließende Gericht bereits dargelegt,
315siehe VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 403 f.
316Auf die Ausführungen wird verwiesen.
317Die ausländerfeindliche Gesinnung der Antragstellerin kommt auch in den seit 2023 vom Landesverband OE. der Antragstellerin zu 2. vertriebenen Stickern zum Ausdruck. Diese enthalten die Aufschriften
318„Abschieben schafft Wohnraum“, „Abschieben schafft Sicherheit“, „Abschieben schafft Tierschutz“, „Abschieben rettet Leben“ und „Abschieben schützt Frauen“ (VV Bl. 3778 f.).
319Der Slogan „Abschiebung schafft Wohnraum“ wurde im August 2022 auch schon vom Landesverband E. der Antragstellerin zu 2. verbreitet (VV Bl. 3729). Die Äußerungen suggerieren allesamt, dass die Lösung für diverse Probleme und Gefahren in Abschiebungen liegt, und machen damit zugleich pauschal Ausländer für diese Probleme und Gefahren verantwortlich.
320Die Antragstellerin zu 2. setzt überdies auch nach ihrer Einstufung als Verdachtsfall Verhaltensweisen fort, die darauf gerichtet sind, die Würde von Menschen mit islamischer Glaubensrichtung außer Geltung zu setzen. So lässt sich der Formulierung des damaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes VD. der Antragstellerin zu 2., EV. HW., der
321„moderne Antisemitismus in Form des Islam“ (Gutachten IV S. 117, VV Bl. 3759),
322und der Ansicht,
323„Der Islam hat nichts mit Frieden zu tun und der Islam gehört nicht zu Deutschland und auch nicht zu Europa“ (Gutachten IV S. 117, VV Bl. 3759),
324die pauschale Unterstellung, der Islam sei antisemitisch und unfriedlich, entnehmen.
325Der Landesverband L. der Antragstellerin zu 2. vertritt die Ansicht, dass es
326„kein Normalzustand werden [dürfe], dass sich der Islam Stück für Stück in unsere Gesellschaft hineindrängt […]. Denn der Islam ist und bleibt eine gefährliche Ideologie, die keinen Platz hat in diesem freiheitlich demokratischen Staat. Diese Religion ist antisemitisch, antidemokratisch und frauenfeindlich.“ (Gutachten IV S. 122, VV Bl. 3774).
327Darin zeigt sich ebenfalls die pauschale Verunglimpfung des Islams als gefährlich.
328Am 21. Oktober 2020 wurde über der Bundesautobahn in KP. ein Banner angebracht mit einer Mohammed-Karikatur mit einem blutigem Messer und der Aufschrift
329„Abschiebeinitiative 2021 Junge Alternative Arnsberg“. (Gutachten IV S. 117, VV Bl. 3761).
330Den islamistischen Terroranschlag in Wien im November 2020 kommentierte EP. HD., damaliger stellvertretender Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz der Antragstellerin zu 2., auf Facebook u.a. mit der Aufforderung:
331„Hört endlich auf mit der Verharmlosung des Islam: Doch, der Hass IST im Islam begründet“.
332Zudem spricht er in demselben Eintrag von
333einer „blutigen und sich quer durch Europa ziehenden Spur des Islam“ (Gutachten IV S. 120, VV Bl. 3768 f.
334Auch wenn der Eintrag zunächst – worauf auch die Antragsgegnerin verweist – zwischen dem Islam und Islamismus differenziert, wird deutlich, dass HD. im Ergebnis den Islam für den Ursprung von Hass und Terror ansieht.
335Die Angst vor dem Islam und Muslimen wird auch durch den vom Ortverband WD. der Antragstellerin seit 2023 u.a. auf Instagram beworbenen Sticker befeuert (VV Bl. 3778 f.). Darauf ist ein Waschbär mit einer islamistischen Kopfbedeckung, einem langen Bart und einem geschulterten Gewehr sowie die Aufschrift „Invasive Arten abschieben“ zu sehen. Die Darstellung mit Gewehr und die Bezugnahme auf den Begriff der invasiven Arten suggeriert, dass Muslime die einheimische Bevölkerung aggressiv und ggf. gewaltsam verdrängen und knüpft an die von der Antragstellerin zu 2. vielfach verwendeten, menschenwürdeverachtenden Tiermetaphern im Zusammenhang mit Migrantinnen und Migranten an,
336siehe dazu VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 235 ff.
337Hinzu kommt, dass eine ernsthafte Abkehr von den Forderungen im „Deutschlandplan“ wie der Umwandlung des Asylrechts in ein gerichtlich nicht überprüfbares „Gnadenrecht“ und der Beschränkung der Versorgung von Geflüchteten auf das physische Existenzminimum in den Leitlinien nicht erkennbar sind,
338siehe hierzu VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 449 ff., 354 ff.
339Ein zeitweiliges oder situationsbedingtes Unterlassen einschlägiger Betätigungen reicht für eine ernsthafte und glaubwürdige Abwendung von früheren verfassungsfeindlichen Bestrebungen aber gerade nicht aus. Es bedarf vielmehr grundsätzlich eines von innerer Akzeptanz mitgetragenen kollektiven oder individuellen Lernprozesses, der sich auf die inneren Gründe für die Handlung bezieht und aufgrund dessen angenommen werden kann, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung solcher Bestrebungen auszuschließen ist,
340VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2002 ‑ 13 S 1111/01 -, juris Rn. 55; OVG Hamburg, Beschluss vom 7. April 2006 - 3 Bf 442/03 -, juris Rn. 16; VG Gießen, Urteil vom 3. Mai 2004 - 10 E 2961/03 -, juris Rn. 38.
341Das ist hier nicht erkennbar. Vielmehr erhebt die Antragstellerin zu 2. in den Leitlinien den Vorwurf, der Sozialstaat sei
342„vor allem für Millionen von Migranten zur sozialen Hängematte geworden, die direkt in die sozialen Netze einwandern, ohne je in die zugrundeliegenden Sozialsysteme eingezahlt zu haben“ (Leitlinien, a.a.O. S. 10).
343Weiter führt die Antragstellerin zu 2. aus, es sei ein ungerechter Zustand,
344„dass deutsche Familienväter, die jahrzehntelang Sozialbeiträge bezahlt haben, nach einjähriger Arbeitslosigkeit auf den gleichen Stand fallen, wie Menschen, die gerade erst das Land betreten haben (Leitlinien, a.a.O., S. 10).
345Daraus schlussfolgert die Antragstellerin zu 2., der Sozialstaat könne nur funktionieren,
346„wenn ihm eine Exklusivität innewohnt, die sich mit Ausnahme besonders hilfsbedürftiger Bürger auf die beschränkt, die auch Sozialbeiträge einzahlen“ (Leitlinien, a.a.O. S. 10).
347Im Zusammenschau mit den Forderungen im Deutschlandplan sowie den vorstehenden Äußerungen lässt sich diesen Ausführungen entnehmen, dass die Antragstellerin zu 2. für Geflüchtete weiterhin eine Integration in das deutsche Sozialsystem ablehnt.
348Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen gehen die vorstehenden Äußerungen auch ersichtlich über eine überspitzte Kritik an der Einwanderungspolitik der Regierung hinaus. Sie zielen stattdessen darauf ab, den Eindruck zu erwecken als würden durch Einwanderung und Migration der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Sozialsysteme zu Lasten eines bisherigen stabilen und solidarischen Gemeinwesens ruiniert.
349ccc)
350Weitere Anhaltspunkte, die eine Verdichtung der Verdachtsmomente für verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der Antragstellerin zu 2. begründen, sind die gegen das Demokratieprinzip gerichteten Bestrebungen der Antragstellerin zu 2.
351Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung,
352zuletzt BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 -, juris Rn. 211 m.w.N.
353Damit ist es zugleich vom Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c BVerfSchG umfasst, ungeachtet des Umstandes, dass in Art. 4 Abs. 2 Buchstaben a, c, d und f BVerfSchG nur einzelne Ausprägungen des Demokratieprinzips benannt werden,
354vgl. VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 104.
355Demokratie ist die Herrschaftsform der Freien und Gleichen. Sie beruht auf der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürgerinnen und Bürger,
356vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 -, juris Rn. 211 m.w.N.
357Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk,
358vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 1980 - 2 C 27.78 -, juris Rn. 543.
359Nur im Falle gleichberechtigter Mitwirkungsmöglichkeiten aller Bürgerinnen und Bürger wird dem Erfordernis der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung genüge getan. Ein Instrument zur Sicherung der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung ist neben der Chancengleichheit der Parteien und der Ausübung einer Opposition das Mehrparteiensystem,
360vgl. BVerfG, Urteile vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 544 und vom 31. Oktober 1990 - 2 BvF 3/89 -, juris Rn. 37.
361Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann,
362BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 546.
363Dabei reicht vor dem Hintergrund der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) die bloße Kritik an etwaigen bestehenden Missständen des parlamentarischen Systems für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht aus, gerade auch weil das Recht auf Ausübung einer parlamentarischen Opposition selbst zu den zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu zählenden Verfassungsgrundsätzen zählt,
364vgl. VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 108 m.w.N.
365Von einer bloßen Kritik kann allerdings bei gehäuften Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen nicht mehr ausgegangen werden,
366vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 -, juris Rn. 227, und BVerwG, Urteil vom 12. März 1986 - 1 D 103/84 -, juris Rn. 77.
367Diese offenbaren vielmehr die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine,
368vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 -, juris Rn. 227; BVerwG, Urteil vom 12. März 1986 - 1 D 103/84 -, juris Rn. 77; VG Magdeburg, Beschluss vom 7. März 2022 - 9 B 273/21 MD -, juris Rn. 58.
369Das ist insbesondere der Fall, wenn bei der Beschreibung der Verfassungswirklichkeit sowie der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unter Außerachtlassung jeder Bemühung um Augenmaß an die Stelle des kritischen Urteils eine Darstellung tritt, die im einzelnen kritikwürdige Zustände bewusst entstellt und überspitzt verallgemeinert, begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und den sie tragenden Parteien, sodass der Eindruck entstehen muss, diese allenthalben bestehenden Missstände hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst, am Maßstab praktischer Bewährung gemessen sei sie also untauglich. Dadurch wird ein Klima geschaffen, in dem − letztlich womöglich sogar auf Gewaltanwendung zielende − Neigungen gedeihen, diese Grundordnung als in ihren Auswirkungen „unerträglich“ zu beseitigen,
370BVerwG, Urteile vom 12. März 1986 - 1 D 103.84 -, juris Rn. 77, und vom 27. November 1980 - 2 C 38.79 -, juris Rn. 27.
371Auch wenn es einer politischen Partei nicht darauf ankommt, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen und durch ein anderes (z.B. diktatorisches System) zu ersetzen, kann daher angenommen werden, dass eine auf das Außer-Geltung-Setzen der Demokratie gerichtete Verhaltensweise vorliegt, wenn es einer Partei darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie zu erschüttern, um sich die Gunst der Wählerinnen und Wähler zu sichern,
372VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 ‑, juris Rn. 110.
373Vor diesem Hintergrund kann bei Äußerungen, die darauf abzielen, das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Staatsverfassung als Ganzes in Frage zu stellen, durchaus angenommen werden, dass diese über eine zulässige Machtkritik hinausgehen und auf ein Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips gerichtet sind,
374VG Magdeburg, Beschluss vom 7. März 2022 - 9 B 273/21 MD ‑, juris Rn. 58.
375Das vom Demokratieprinzip miterfasste Mehrparteiensystem verbietet es einer Partei zudem, nach der Alleinherrschaft zu streben oder anderen Parteien die Daseinsberechtigung abzusprechen, und verpflichtet sie, wenigstens die Möglichkeit anzuerkennen, dass auch Ziele und Verhalten anderer Parteien gleichwertig und richtig sein können,
376vgl. schon BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rn. 585.
377Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in Form des Mehrparteiensystems liegen daher vor bei Angriffen auf die Existenzberechtigung der übrigen Parteien, wenn diese in ihrer Gesamtheit als politische Dilettanten und Verräter beschimpft und verächtlich gemacht werden, und sind daher nicht erst dann anzunehmen, wenn das Parlament mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren, verächtlich gemacht wird,
378OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. September 1999 - 2 A 11774/98 -, juris Rn. 44; VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 110.
379Gemessen an diesen Maßstäben liegen tatsächliche Anhaltspunkte für Verhaltensweisen vor, die auf das Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips gerichtet sind und die zur Verdichtung der Verdachtsmomente für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Antragstellerin zu 2. beitragen.
380Die vom Bundesamt vorgelegten Äußerungen belegen, dass die Antragstellerin zu 2. sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Kreisebene gegen die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland agitieren.
381Dies kommt vornehmlich in der vielfachen Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland mit diktatorischen Regimen, insbesondere dem NS-Regime und der DDR zum Ausdruck. So kommentiert der stellvertretende Bundesvorsitzende der Antragstellerin zu 2., Q. S., die Vorgänge rund um die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen im Februar 2020 mit den Worten,
382„Kanzlerindiktatur, DDR 2.0, Täuschungspresse, Parteienkartell – jeder Begriff hat seine Berechtigung“ (Gutachten IV S. 130, VV Bl. 3801).
383Der Bezirksverband OT. der Antragstellerin zu 2. spricht in einem Tweet vom 21. Februar 2020 von der Bundesregierung als
384„Zentralkomitee der kommunistischen Einheitspartei“ (Gutachten IV S. 132, VV Bl. 3801).
385und davon, dass
386„Die Meinungsfreiheit immer mehr außer Kraft gesetzt wird in dieser # BRDDR“ (Gutachten IV S. 132, VV Bl. 3801).
387In weiteren Äußerungen heißt es mit Blick auf die in E.-W. beschlossene Parlamentsreform,
388„Die DDR ist zurück“ (Gutachten IV S. 132, VV Bl. 3799)
389bzw. hinsichtlich des Klimawandels:
390„[…] Nachdem die Altparteien bereits die Grundrechte abgeschafft und das Volk der permanenten Willkür der Regierenden ausgeliefert haben, brauchen sie nur noch immer neue Scheinbegründungen um das Volk zu unterdrücken. […] Dies wird zu einem ganz neuen Grad der Gängelung und Unfreiheit führen, wie wir sie uns heute noch gar nicht vorstellen können.“ (Gutachten IV S. 131, VV Bl. 3795).
391Dem Beitrag sind die Hashtags „Widerstand“, „freiheitverteidigen“, „HerrschaftdesUnrechts“ und „Altparteiendiktatur“ beigefügt.
392Im Juli 2022 bezeichnete H. I., Beisitzer im Bundesvorstand der Antragstellerin zu 2., Deutschland als
393„deformierte Demokratie“ (Gutachten IV, S. 130).
394Zudem kommentierte der Landesverband E. der Antragstellerin zu 2. am 11. Oktober 2022 auf Facebook, es sei
395„Zeit das die AfD in die Regierung kommt, den Rechtsstaat wiederherstellt und für Ordnung sorgt. Das Volk hat etwas besseres Verdient als die linke Willkür und Rechtlosigkeit“ (Gutachten IV S. 130, VV Bl. 3792).
396Der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes A. der Antragstellerin zu 2. schrieb im September 2020 auf Twitter,
397„[…] Die Polizei ist nicht unser Freund, sondern der bewaffnete Arm des Merkelregimes.“ (Gutachten IV S. 130 f, VV Bl. 3794).
398Bei den vorstehenden Äußerungen handelt es sich nicht mehr um sachliche Kritik bzw. Kritik an konkreter Regierungsarbeit, sondern um die Unterstellung, die Regierung habe die Grundrechte abgeschafft, handele unrechtmäßig („permanente Willkür“, „Herrschaft des Unrechts“) und bediene sich staatlicher Einrichtungen zur Unterdrückung der Bevölkerung („bewaffneter Arm des Merkelregimes“). Durch den Verweis auf die DDR wird die Regierung als Diktatur diffamiert. Ein solche pauschale und undifferenzierte Kritik ist darauf ausgerichtet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Legitimität des Regierungshandeln zu erschüttern.
399Über eine zulässige Kritik gehen insbesondere auch die Äußerungen der Antragstellerin zu 2. zu den Corona-Maßnahmen hinaus.
400In einem Redebeitrag zieht der damalige Landesvorsitzende der Antragstellerin zu 2. in VD. am 16. Mai 2020 einen Vergleich zwischen der NS-Propaganda der 1930er Jahre und den
401„Schauergeschichten über Corona“ (Gutachten IV S. 141 f., VV Bl. 3826).
402Deutschland sei
403„auf einem Weg in eine zweite DDR“ (Gutachten IV S. 141 f., VV Bl. 3826).
404Darüber hinaus findet sich in zahlreichen Äußerungen von Funktionären der Antragstellerin zu 2. sowie von Landes- und Kreisverbänden der Antragstellerin zu 2. der Terminus
405„Corona-Diktatur“ (Gutachten IV S. 131, 133 f., 135; VV Bl. 3796, 3804, 3809 f.)
406und die Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes mit dem sog. Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten von 1933 (Gutachten IV S. 133 f., 135; VV Bl. 3802, 3806, 3809 f, 3812).
407Dies geht mit dem Vorwurf der Abschaffung der Grundrechte und der demokratischen und parlamentarischen Kontrolle der Regierung (Gutachten IV S. 133 ff.; VV Bl. 3804, 3809 f.) und damit dem Ende der Rechtsstaatlichkeit zugunsten einer Willkürherrschaft und eines totalitären Staates einher (Gutachten IV S. 133 ff. 135 ff.; VV Bl. 3803 f., 3809 f., 3815).
408Der Landesverband E. und der Kreisverband HG. der Antragstellerin zu 2. deuten den Tag des Erlasses des Infektionsschutzgesetzes als Todestag des Grundgesetzes (Gutachten IV S. 134; VV Bl. 3806, 3808).
409Den Äußerungen ist vielfach die Aufforderung zum
410„Widerstand“ (Gutachten IV S. 133 f., VV Bl. 3804)
411beigefügt. Zugleich zeige sich, dass
412„letzter Kämpfer für #Freiheit, #Recht und #Demokratie in unseren Parlamenten […] unsere AfD [ist]“ (Gutachten IV S. 134, VV Bl. 3806).
413Die vorstehenden Äußerungen der Antragstellerin zu 2. stellen auch vor dem Hintergrund der Bedeutung von Widerspruch und Kritik für die politische Diskussion und politische Willensbildung keine kritische Auseinandersetzung mit dem Regierungshandeln zur Zeiten der Corona-Pandemie dar. Die Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz stellt sich angesichts der Bedeutung dieses Gesetzes für den damaligen Rechts- und Verfassungsstaat als geschichtsvergessen und unhaltbar dar. Eine inhaltliche Diskussion über die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes findet nicht statt. Ziel dieser Äußerungen ist es vielmehr insbesondere durch die wiederkehrenden Vergleiche mit dem NS-Regime und der ehemaligen DDR sowie der Darstellung der anderen Partien als unfähig und insbesondere unwillig zur demokratischen Gestaltung das Vertrauen der Bevölkerung in die derzeitige parlamentarische Demokratie zu schwächen und die Antragstellerin zu 1. als einzige Retterin einer wahrhaftigen Demokratie und alleinige Verfechterin der Interessen der Bürgerinnen und Bürger darzustellen.
414ddd)
415Schließlich sprechen bei einer summarischen Prüfung auch die weiterhin fortbestehenden Verbindungen der Antragstellerin zu 2. zu als verfassungsfeindlich eingestuften Verbindungen für die Verdichtung der Verdachtsmomente für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen.
416Dies gilt insbesondere für die Verbindungen zur Identitären Bewegung, ungeachtet der insofern bestehenden Unvereinbarkeitserklärung in der Bundessatzung der Antragstellerin zu 2.
417Das beschließende Gericht hat die Beobachtung der Identitären Bewegung Deutschland e.V. (im Folgenden: IBD) durch das Bundesamt mit rechtskräftigem Urteil vom 13. Oktober 2022 für rechtmäßig erklärt, da es hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des IBD als gegeben ansah. Ausschlaggebend hierfür war der in der Sache vom IBD verfolgte völkisch-abstammungsmäßige Volksbegriff und die massive ausländerfeindliche Agitation, in denen jeweils im Ergebnis ein Verstoß gegen die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG zum Ausdruck kam,
418siehe VG Köln, Urteil vom 13. Oktober 2022 - 13 K 4222/18 -, juris Rn. 75 ff., 163 ff.
419Dies verdeutlicht die weiterhin bestehenden inhaltlichen Parallelen der Antragstellerin zu 2. zur Identitären Bewegung. Diese wird auch an anderer Stelle deutlich, etwa durch die Übernahme des Slogans der Identitären Bewegung „Heimat, Freiheit, Tradition – Multikulti Endstation“ durch die Antragstellerin zu 2. auf einer Demonstration des Bundesverbandes der Antragstellerin zu 1. am 8. Oktober 2022,
420https://twitter.com/JFDA_eV/status/1578764255704145920?lang=de [abgerufen am 2. Februar 2024].
421Dass die Antragstellerin zu 2. sich der Identitären Bewegung auch weiterhin eng verbunden sieht, zeigt sich an dem Umstand, dass es auf dem Oktoberfest des Landesverbandes OE. der Antragstellerin zu 2. am 22. Oktober 2022 Lebkuchenherzen mit der Aufschrift,
422„mehr IB wagen“ (VV Bl. 3895),
423gab. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Antragstellerin zu 2., Z. T., trat auf dem Fest mit einem solchen umgehängten Herz auf (Gutachten IV S. 160 f., VV Bl. 3895). Der Slogan greift eine Formulierung Björn Höckes auf, nach der die Antragstellerin zu 2. „mehr IB wagen und niemals JU werden“ soll,
424https://twitter.com/JA_Deutschland/status/1581231437977907202/photo/1 [abgerufen 2. Februar 2024].
425Die Beisitzerin im Bundesvorstand der Antragstellerin zu 2., XQ. WR., äußerte sich in einem Interview am 29. Juni 2022 am Rande des Bundesparteitages der Antragstellerin zu 1. auf die Frage, worin die Unterschiede der Antragstellerin zu 2. zu anderen rechten oder patriotischen Jugendorganisationen wie der Identitären Bewegung liege, wie folgt:
426„Ja, also, wir sind die offizielle Jugendorganisation der AfD. Wir decken also den ganzen Bereich der Parteipolitik ab. […] und das Vorfeld wird eben von anderen jungen Menschen abgedeckt. Zum Beispiel, du hast es angesprochen, die Identitäre Bewegung. Ich persönlich hab überhaupt gar kein Problem mit diesen Vorfeldorganisationen. Ich unterstütze sie, wo ich nur kann. Wir arbeiten Hand in Hand zusammen […] ich arbeite seit Jahren hart daran, dass wir eben auch die Vorfeldorganisationen aktiv in die Arbeit einbinden und umgekehrt. […] (VV Bl. 3592, 3594).
427Dies zeigt deutlich, dass eine inhaltliche Zusammenarbeit vorhanden und darüber hinaus ausdrücklich erwünscht ist. Dies verdeutlicht auch der Umstand, dass Äußerungen und Aktionen der Identitären Bewegung durch Vertreter der Antragstellerin zu 2. immer wieder positiv bewertet und inhaltlich unterstützt werden (Gutachten IV S. 155 ff., VV Bl. 3853 ff., 3873, 3877, 3886, 3888, 3890).
428Dies zeigen auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten Anlagen AG 6 bis 7, aus denen sich ergibt, dass TC. YD. ZO., ehemaliger Landesvorsitzender der Antragstellerin zu 2. in E.-W., das Hausprojekt „Castell Aurora“ der Identitären Bewegung wiederholt besuchte und finanziell unterstützte. ZO. trat auch mit dem Leiter der Ortsgruppe HG. der Identitären Bewegung in einem YouTube-Format des Landesverbandes E.-W. der Antragstellerin zu 2. gemeinsam auf (Gutachten IV S. 156, VV Bl. 3859).
429Hinzu kommen sowohl personelle als auch inhaltliche Verbindungen zum „Institut für Staatspolitik“ (IfS), dem Verein „Ein Prozent“ und dem COMPACT Magazin (Gutachten IV S. 165 ff., 169 ff., 173 ff.; VV Bl. 3915 ff., 3961 ff., 3981 ff.). Alle diese Organisationen sind vom Bundesamt als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen eingestuft worden. Dabei reicht der Kontakt zu den genannten Organisationen allein nicht aus, um die erfolgte Einstufung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistische Bestrebung zu rechtfertigen, doch führt die Quantität und Qualität der Verbindungen bei einer Gesamtschau zur Verdichtung der tatsächlichen Anhaltspunkte,
430vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 -, juris Rn. 260.
431eee)
432Zusammenfassend lässt sich bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung im Wege der Gesamtschau feststellen, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte dergestalt verdichtet haben, dass zur Überzeugung des beschließenden Gerichts feststeht, dass es sich bei der Antragstellerin zu 2. um eine extremistische Bestrebung handelt.
433Die vorstehenden Aussagen reichen in ihrer quantitativen Dichte und inhaltlichen Bedeutsamkeit aus, weil die Äußerungen von verschiedenen Personen, insbesondere auch führenden Repräsentanten und Untergliederungen der Antragstellerin zu 2. stammen.
434Hinreichende Indizien im Sinne von „entlastenden Gesichtspunkten“, die die dargestellten Äußerungen entkräften könnten, liegen nicht vor. Insbesondere vermögen die von den Antragstellerinnen aufgeführten vereinzelten Äußerungen der Antragstellerin zu 2., zum Beispiel zur Verantwortung Russlands für den Ukraine-Krieg und die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter, die rechtliche Gesamtbewertung im Ergebnis nicht zu ändern.
435cc)
436Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Antragstellerinnen wiederholt gerügtem Umstand, dass das Bundesamt die Verwaltungsvorgänge nicht vollständig und in Teilen geschwärzt vorgelegt hat. Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass auch die vom Bundesamt vorgelegten, zum Teil geschwärzten Akten für das Eilverfahren einen hinreichenden Gesamtüberblick verschaffen und eine Gesamtbewertung ermöglichen. Es handelt sich hierbei um eine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als gesichert extremistische Bestrebung, zumal es den Antragstellerinnen unbenommen geblieben ist, entlastende Tatsachen einzuführen oder entlastende Umstände vorzuführen,
437vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 7. März 2022 - 9 B 273/21 ‑, juris Rn. 80; VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 -1 K 167/23 -, juris Rn. 203; VG München, Beschluss vom 17. April 2023 – M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 172.
438Entgegen der Darstellung der Antragstellerinnen ist das beschließende Gericht dabei auch nicht rechtsirrig davon ausgegangen, dass eine Anforderung der ungeschwärzten Akten des Bundesamtes und die In-Gang-Setzung eines In-camera-Verfahrens im Eilverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht möglich ist,
439siehe dazu BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 2005 - 6 B 59.04 ‑, juris Rn. 6.
440Die Entscheidung, ob und inwieweit Urkunden oder Akten der Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörden nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterfallen, obliegt indes allein dem Gericht der Hauptsache. Dieses bestimmt grundsätzlich auch, welche Beweismittel zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geeignet und erheblich sind,
441vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2006 - 20 F 12.04 -, juris Rn. 8; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Februar 2021 - 14 S 4119/20 -, juris Rn. 30.
442Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass die Vorlage der ungeschwärzten Akten - im summarischen Eilverfahren ohnehin - nach den vorstehenden Ausführungen nicht erforderlich ist, um eine tragfähige Grundlage für die Beurteilung des Vorliegens einer gesichert extremistischen Bestrebung zu erhalten. Diese tragfähige Grundlage ergibt sich – wie ausgeführt – aus den vorgelegten ungeschwärzten Aktenbestandteilen des Bundesamtes und dem übrigen Vortrag der Antragsgegnerin.
443dd)
444Die Maßnahmen des Bundesamtes lassen bei summarischer Prüfung auch keine Ermessensfehler erkennen, § 114 Satz 1 VwGO. Sie sind insbesondere verhältnismäßig.
445Die Beobachtung der Antragstellerin zu 2. dient der Gewinnung weiterer Erkenntnisse über die Antragstellerin zu 2. und damit dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie ist zur Erreichung dieses Zieles geeignet, erforderlich und angesichts des Bedrohungspotentials der Antragstellerin zu 2. auch verhältnismäßig im engeren Sinn.
446Die mit der Beobachtung verbundenen Eingriffe in die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Antragstellerinnen, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie die mittelbare Beeinträchtigung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und des Rechts auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) sind zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerechtfertigt.
447Das Grundgesetz hat sich für eine streitbare Demokratie entschieden. Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder gar zerstören dürfen (vgl. Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 GG),
448vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvR 2436/10 -, juris Rn. 112 und Urteile vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, juris Rn. 496, und vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 -, juris Rn. 220; OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2021 ‑ 5 B 163/21 -, juris Rn. 22.
449Der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung wiegt dabei schwerer als der Eingriff in die Rechte der Antragstellerinnen.
450Eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung der Antragstellerin zu 2. ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des zeitlichen Umfangs.
451Eine zeitliche Begrenzung der Beobachtung als Verdachtsfall oder eine Vorgabe, innerhalb dessen die „Hochstufung“ vom Verdachtsfall zur gesichert extremistischen Bestrebung erfolgt sein muss, kennt das BVerfSchG nicht. Sie folgt, anders als die Antragstellerinnen meinen, auch nicht aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn eine zeitliche Obergrenze widerspräche dem Schutzzweck der verfassungsschutzbehördlichen Beobachtung. Vielmehr ist es nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG Aufgabe des Verfassungsschutzes, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, solange es für diese tatsächliche Anhaltspunkte gibt; eine zeitliche Einschränkung wird nicht gemacht. Insbesondere wäre es mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG nicht zu vereinbaren, wenn eine Beobachtung eingestellt werden müsste, obwohl das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt worden ist und diese Anhaltspunkte weiter bestehen. Dies gilt erst Recht, wenn sich – wie hier der Fall – die tatsächlichen Anhaltspunkte zu einer Gewissheit verdichtet haben. Denn gerade in diesem Fall bedarf die weitere Entwicklung der Bestrebungen der Beobachtung. Die Antragsgegnerin steht nicht vor der Alternative, den verfassungsfeindlichen Personenzusammenschluss zu verbieten oder die Beobachtung einzustellen,
452vgl. VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 208/20 - juris Rn. 488 m.w.N.
453Es liegt auch kein Fall der unzulässigen Dauerbeobachtung vor. Eine solche liegt vor, wenn sich auch nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte nicht bestätigt hat und die für eine Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind oder sich herausstellen würde, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit einer Bestrebung durch zwischenzeitliche Entwicklungen in dem Personenzusammenschluss überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet geworden sind,
454vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2020 - 6 C 11.18 -, juris Rn. 66, und vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, juris Rn. 34.
455Dies ist hier gerade nicht der Fall. Vielmehr haben sich die tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nach der Einstufung der Antragstellerin zu 2. als Verdachtsfall zur Gewissheit verdichtet.
456Eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung der Antragstellerin zu 2. folgt auch nicht aus dem Umstand, dass nach der Auffassung der Antragstellerinnen Politikerinnen und Politiker anderer Parteien dieselben Positionen wie die Antragstellerin zu 2. vertreten, ohne dass diese bzw. die Parteien vom Bundesamt beobachtet werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt insoweit nicht vor. Bei den von den Antragstellerinnen aufgelisteten Beispielen handelt es sich überwiegend um vereinzelte Äußerungen von Politikerinnen und Politiker anderer Parteien, aus denen – ungeachtet der Frage ihrer verfassungsschutzrechtlichen Relevanz – nicht auf das Wesen der jeweiligen Partei geschlossen werden kann. Hierfür sind stattdessen Anhaltspunkte in quantitativ und qualitativ hinreichender Anzahl – wie dies bei der Antragstellerin zu 2. der Fall ist – erforderlich,
457vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 -, juris Rn. 53; OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - 5 A 2256/94 -, juris Rn. 45.
458Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte geht das beschließende Gericht auch davon aus, dass das Bundesamt die besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Beobachtung von Abgeordneten und Mandatsträgern wahrt.
459b)
460Den Antragstellerinnen steht auch der unter Ziffer 2. geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe, dass die Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird, nicht zu, und folglich auch kein Anspruch auf Androhung von Ordnungsgeld (Ziffer 3. der Anträge).
461Rechtsgrundlage für die öffentliche Bekanntgabe ist § 16 Abs. 1 BVerfSchG. Danach informiert das Bundesamt über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen.
462Die Vorschrift findet, anders als die Antragstellerinnen meinen, erst recht auch auf den vorliegenden Fall der Bekanntgabe einer „Hochstufung“ zu einer gesichert extremistischen Bestrebung Anwendung, denn sie regelt nur die Mindestvoraussetzungen einer Bekanntgabe. Insbesondere ist die Anwendung der Vorschrift – wie bereits dargelegt – nicht durch Art. 21 Abs. 4 GG gesperrt, da es sich vorliegend nicht um ein Parteiverbotsverfahren handelt. Auch gilt, dass hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. § 16 Abs. 1 BVerfSchG erst Recht vorliegen, wenn die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen erwiesen sind,
463so bereits VG Köln, Urteil vom 8. März 2022 - 13 K 207/20 -, juris Rn. 613.
464Dies ist hier – wie dargelegt – für die Antragstellerin zu 2. der Fall.
465Eine Anhörung der Antragstellerinnen vor der öffentlichen Bekanntgabe war nicht erforderlich. Es fehlt auch hierfür an einer entsprechenden Vorschrift im BVerfSchG. Auch verfassungsrechtlich ist eine Anhörung nicht zwingend geboten,
466vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 -, juris Rn. 230 m.w.N.
467Jedenfalls führt eine unterbliebene Anhörung nicht zu einem Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe im Wege der einstweiligen Anordnung,
468vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. Februar 2003 - 5 CE 02.3212 -, juris Rn. 34; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juni 2020 - OVG 1 S 55/20 -, juris Rn. 12.
469Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist auch verhältnismäßig. Der hiermit verbundene Eingriff in die Rechte der Antragstellerinnen ist gerechtfertigt. Es liegt ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit vor, wenn sich die Anhaltspunkte – wie hier der Fall – dergestalt verdichtet haben, dass von einer beherrschenden Grundtendenz beim Beobachtungsobjekt ausgegangen werden kann.
470c)
471Schließlich stehen den Antragstellerinnen auch die geltend gemachten Löschungsansprüche hinsichtlich der Pressemitteilung vom 26. April 2023 (Antrag zu Ziffer 4.) und der Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes am 22. Mai 2023 (Antrag zu 5.) – soweit die Anträge zulässig sind – nicht zu. Unzulässig sind die Anträge, soweit die Antragstellerinnen Löschung hinsichtlich der das IfS und den „Ein Prozent e.V.“ betreffenden Äußerungen begehren. Insoweit fehlt ihnen die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO; sie können keine fremden Rechte geltend machen.
472Rechtsgrundlage für die begehrten Löschungen ist wiederum der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch,
473vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2010 - 7 B 54.10 -, juris Rn. 14; VG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2014 - 1 L 17.14 -, juris Rn. 32.
474Er setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. Geschützt sind rechtswidrige Beeinträchtigungen jeder Art, auch solche durch schlichtes Verwaltungshandeln. Die Beeinträchtigung muss dem Hoheitsträger jedoch zurechenbar sein,
475vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. November 2010 - 7 B 54/10 ‑, juris Rn. 14 und vom 10. Januar 2022 - 7 B 13.21 -, juris Rn. 4; Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 2. Juli 2019 - VI ZR 494/17 ‑, juris Rn. 21.
476Diese Voraussetzungen sind nach der gebotenen summarischen Prüfung nicht erfüllt. Weder die Pressemitteilung noch die Äußerungen des Präsidenten des Bundesamtes vom 22. Mai 2023 stellen einen ungerechtfertigten Eingriff in die Rechte der Antragstellerinnen dar, deren Wiederholung konkret droht.
477aa)
478Die Pressemitteilung vom 26. April 2023 ist nach den unter b) stehenden Ausführungen grundsätzlich zulässig und begegnet darüber hinaus in der Sache keinen durchgreifenden Bedenken.
479Es handelt sich hierbei zunächst nicht um eine unvollständige und daher unrichtige Mitteilung. Die Antragstellerinnen vertreten die Auffassung, das Bundesamt sei aufgrund der entsprechend anzuwendenden zivilrechtlichen Grundsätze über die Verdachtsberichterstattung verpflichtet gewesen, auch bekannte entlastende Umstände zugunsten der Antragstellerinnen in die Pressemitteilung mit aufzunehmen.
480Dies überzeugt nicht. Denn § 16 Abs. 1 BVerfSchG sieht eine Information der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen vor, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte vorliegen. Genau diese Voraussetzungen bildet die angegriffene Pressemitteilung ab. Das Bundesamt hat die Öffentlichkeit gerade nicht über den Verdacht informiert, dass es sich bei der Antragstellerin zu 2. um eine verfassungsfeindliche Bestrebung handeln könnte, sondern über die hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte aus denen sich nach der – wie dargelegt zutreffenden – Auffassung des Bundesamtes ergibt, dass es sich bei der Antragstellerin zu 2. um eine verfassungsfeindliche Bestrebung handelt. Es handelt sich mithin um eine Information über ein abgeschlossenes Verfahren.
481siehe zur sog. Verdachtsberichterstattung Brandt, in: Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, Achter Abschnitt, § 2 Rn. 35.
482Hierin liegt auch der Unterschied zu der von den Antragstellerinnen zitierten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalens (4 B 786/17), in der es um eine amtliche Pressemitteilung während eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ging, mithin also gerade um die Information über einen Verdacht.
483Die Pressemitteilung ist dementsprechend auch nicht unvollständig. Der Sachverhalt wird vorliegend weder verfälscht noch verzerrt wiedergegeben. Denn das Bundesamt hat über den Sachverhalt informiert, dass es die Antragstellerin zu 2. als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft hat und worin die diese Einstufung tragenden Gründe bestanden. Eine Verpflichtung, etwaig entlastende Umstände mitzuteilen, bestand nicht.
484Die Pressemitteilung verstößt auch im Einzelnen nicht gegen die Gebote der Sachlichkeit und Neutralität.
485Das Gebot der Sachlichkeit verlangt eine zurückhaltend-neutrale, auf diffamierende oder verfälschte Darstellung verzichtende Bewertung und stellt im Zusammenwirken mit dem Neutralitätsgebot gegenüber politischen Parteien Anforderungen an die Art und Weise der – bei Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässigen − Information der Öffentlichkeit,
486VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 226 m.w.N.; siehe auch allgemein zum Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot bei amtlichen Äußerungen BVerfG, Beschluss vom 15. August 1989 - 1 BvR 881/89 -, juris Rn. 7, 15; BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1989 -7 C 2.87 -, juris Rn. 58.
487Staatsorgane und ihre Repräsentanten im politischen Wettbewerb der Parteien haben grundsätzlich Neutralität zu wahren, um eine chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes zu gewährleisten,
488vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris Rn. 25 f.
489Das Gebot der staatlichen Neutralität ist nicht auf die Wahlkampfzeit beschränkt. Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität,
490vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2020 - 2 BvE 1/19 -, juris Rn. 48 m.w.N.
491Dabei hat das Bundesverfassungsgericht es zuletzt ausdrücklich offengelassen, ob in Zeiten des Wahlkampfs das Neutralitätsgebot zu verschärften Anforderungen an das Verhalten staatlicher Organe führt,
492BVerfG, Urteil vom 15. Juni 2022 - 2 BvE 4/20 u.a -, juris Rn. 74.
493Das Gebot der Neutralität gilt indes nicht schrankenlos. Auch insofern folgt aus der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“, dass der Staat nicht gehindert ist, das tatsächliche Verhalten von Gruppen oder deren Mitgliedern wertend zu beurteilen. Dabei können die Grundsätze und Wertvorstellungen des Grundgesetzes durch Organe und Funktionsträgern des Staates auch mithilfe von Informationen an die Öffentlichkeit und der Teilhabe an öffentlichen Auseinandersetzungen verteidigt werden,
494vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, juris Rn 24 f. und vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 -, juris Rn. 21; BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - juris Rn. 58; BayVGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 10 B 15.1609 -, juris Rn 22.
495Diesen Anforderungen wird die Pressemitteilung auch gerecht. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Antragstellerinnen sich nur gegen solche Passagen der Pressemitteilung wenden können, in denen es um die Antragstellerin zu 2. geht. Damit scheidet – wie dargelegt – ein Löschungsanspruch hinsichtlich des dritten Absatzes der Pressemitteilung bereits aus, soweit dieser sich auf das IfS und den „Ein Prozent e.V.“ bezieht.
496Soweit das Bundesamt in der Pressemitteilung über die erfolgte Einstufung der Antragstellerin zu 2. als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ (Überschrift, Absatz 3, Absatz 4 Satz 3) sowie die im Januar 2019 erfolgte Einstufung als Verdachtsfall (Absatz 1 Satz 1) berichtet, handelt es sich um zutreffende Tatsachenbehauptungen, zu deren öffentlicher Bekanntgabe das Bundesamt – wie dargelegt – nach § 16 Abs. 1 BVerfSchG berechtigt ist. Ein Löschungsanspruch scheidet diesbezüglich aus.
497Bei den übrigen angegriffenen Passagen der Pressemitteilung handelt es sich um Meinungsäußerungen bzw. Meinungsäußerungen mit Tatsachenkern. Meinungsäußerungen bzw. Werturteile sind in ihrem wesentlichen Inhalt durch Elemente des Meinens und Dafürhaltens gekennzeichnet und einem objektiven Richtigkeitsbeweis nicht zugänglich. Sind Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptung miteinander verbunden und macht dies gemeinsam den Sinn der Äußerung aus, so liegt insgesamt eine Meinungsäußerung vor, wenn das Gesamtergebnis durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird, insbesondere wenn durch eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte der Sinn der Äußerung aufgehoben oder verfälscht würde,
498vgl. BayVGH, Beschluss vom 28. März 1994 - 7 CE 93.2403 ‑, juris Rn. 44; VG Köln, Urteil vom 22. Dezember 2022 - 13 K 2736/19 -, juris Rn. 99 jeweils m.w.N.
499Die in der Pressemitteilung vorhandenen Bewertungen des Bundesamtes begegnen keinen Bedenken. Dies gilt auch mit Blick auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung fünf Monate vor den Landtagswahlen in A. und U. sowie unter Berücksichtigung der anstehenden Europawahl im Juni 2024.
500Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot ergibt sich zunächst nicht daraus, dass es in der Pressemitteilung heißt, dass die Positionen der Antragstellerin zu 2. nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Denn im Weiteren werden die Positionen aufgeführt, die nach der – wie dargelegt – zutreffenden Auffassung des Bundesamtes verfassungsfeindlich sind und aufgrund derer die Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung erfolgt ist. Hierdurch ist für die durchschnittlich verständige Leserschaft zu erkennen, dass nicht grundsätzlich alle Positionen der Antragstellerin zu 2. gegen das Grundgesetz verstoßen. Für den verständigen Leser und die verständige Leserin kommt eindeutig zum Ausdruck, dass die Positionen dargestellt werden, die zur Einstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ geführt haben. Auch darüber hinaus bewegen sich die Äußerungen im Bereich des Sachlichen. Es handelt sich um durchgehend zurückhaltende und maßvolle Formulierungen.
501Die Pressemitteilung ist auch im Übrigen verhältnismäßig. Sie enthält die Information, dass die Antragstellerin zu 2. nach vorheriger Einstufung als Verdachtsfall nunmehr als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft wird, sowie die hierfür tragenden Gründe. Sie ist damit zur Aufklärung und Warnung der Öffentlichkeit geeignet und genügt den Anforderungen der Erforderlichkeit. Soweit die Antragstellerinnen die Auffassung vertreten, die Pressemitteilung gehe ersichtlich über das für eine Mitteilung einer „Hochstufung“ Erforderliche hinaus, überzeugt dies nicht. Für diese pauschale Behauptung der Antragstellerinnen ist nichts ersichtlich. Vielmehr erläutert und begründet das Bundesamt die erfolgte Einstufung und macht hierdurch seine Entscheidung für die Öffentlichkeit hinreichend nachvollziehbar. Die Pressemitteilung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Das Informations- und Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit sowie die damit verbundene Warn- und Abwehrfunktion zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung überwiegen das Recht der Antragstellerinnen an der gleichberechtigten Teilhabe am Meinungs- und Willensbildungsprozess. Die damit verbundenen Nachteile, gegebenenfalls auch eine gewisse „Prangerwirkung“, sind von den Antragstellerinnen als zumutbar hinzunehmen,
502so auch VG München, Beschluss vom 17. April 2023 - M 30 E 22.4913 -, juris Rn. 230; VG Stuttgart, Beschluss vom 6. November 2023 - 1 K 167/23 -, juris Rn. 252 ff.
503bb)
504Auch die angegriffenen Äußerungen in der Rede des Präsidenten des Bundesamtes am 22. Mai 2023 sind nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
505Rechtsgrundlage für die Äußerungen ist wiederum § 16 Abs. 1 BVerfSchG,
506Brandt, a.a.O., § 2 Rn. 60,
507dessen Voraussetzungen – wie dargelegt – vorliegen.
508Bei der angegriffenen Äußerung „Und so haben wir nach mehrjähriger gewissenhafter Verdachtsfall-Bearbeitung jüngst die Jungendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD) – die Junge Alternative (JA) […] als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft“ handelt es sich um eine zutreffende Tatsachenbehauptung. Diese ist inhaltlich richtig, sodass ein Unterlassungs- bzw. Löschungsanspruch insofern bereits ausscheidet.
509Bei den weiteren von den Antragstellerinnen angegriffenen Äußerungen handelt es sich demgegenüber um Werturteile. Ein Verstoß gegen das insofern geltende Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot liegt zur Überzeugung des beschließenden Gerichts ebenfalls nicht vor.
510Die Aussagen „Manager der Empörung […], die Verunsicherung zur Angst – und Angst zu Wut steigern wollen“ sowie „[…] Sie [wollen] gesellschaftliche Bruchlinien nicht heilen, sondern vertiefen“ und „Wir werden nicht müde zu betonen, dass Brandstifter und Stichwortgeber von Hass, Hetze und Extremismus von uns nach genauer Prüfung auch so benannt werden“ bewegen sich noch im Bereich des Sachlichen. Sie beruhen insbesondere, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter 2. a) ergibt, auf einem sachgerecht und vertretbar gewürdigtem Tatsachenkern. Dies gilt auch für den Satz „Ihre Positionen sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und es bestehen keine Zweifel mehr, dass diese drei Zusammenschlüsse verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen.“ Hierdurch werden die Gründe für die zuvor mitgeteilte Einstufung knapp dargelegt und die Entscheidung des Bundesamtes in sachlicher Form erläutert. Darüber hinaus ist auch der Kontext zu berücksichtigen. Die angegriffenen Äußerungen wurden im Rahmen einer Rede verlautbart. Dabei ist der Gebrauch einer bildlichen Sprache – wie sie auch hier gewählt wurde – durchaus üblich. Die Verwendung von Metaphern dient dem Zweck der Verständlichkeit. Die Zuhörerschaft kann den Ausführungen des Präsidenten des Bundesamtes hierdurch leichter folgen. Dies gilt insbesondere auch für die weitere angegriffene Passage „Umso schärfer müssen wir jeden Verdacht prüfen, dass auch im Parlament und damit im Blutkreislauf der Demokratie extremistische Bestrebungen Platz nehmen könnten“. Es handelt sich hierbei um eine bildliche, aber zutreffende Umschreibung der Aufgabe des Bundesamtes, das – wie dargelegt – gerade auch Parteien in sein Blickfeld nehmen darf. Durch die Verwendung des Konjunktivs wird überdies zusätzlich deutlich, dass an dieser Stelle eine mögliche, aber noch nicht feststehende Gefahr beschrieben wird.
511Die Äußerungen sind auch verhältnismäßig. Die Ausführungen zur Pressemitteilung gelten insofern entsprechend.
512Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
513Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Das beschließende Gericht schließt sich den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 27. September 2023 im Verfahren 5 B 757/23 an,
514vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2023 - 5 B 757/23 -, juris Rn. 64,
515und bemisst die sich aus den Anträgen für die Antragstellerin ergebende Bedeutung der Sache in Orientierung für die Anträge zu 1. und 2. jeweils mit dem im Antrag zu 3. begehrten Ordnungsgeld mit 10.000 Euro, mithin mit insgesamt 20.000 Euro. Die mit dem Antrag zu 3. begehrte Ordnungsgeldandrohung selbst ist wertmäßig nicht in Ansatz zu bringen. Für die mit den Anträgen zu 4. und 5. begehrten Löschungsansprüche gilt jeweils der Auffangstreitwert von 5.000 Euro. Diesen Streitwert hat das Gericht im Hinblick auf die nur vorübergehende Regelung im vorläufigen Rechtsschutz halbiert.
516Rechtsmittelbelehrung
517Gegen Ziffer 1 und 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
518Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
519Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
520Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
521Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
522Gegen Ziffer 3 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
523Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
524Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
525Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.