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Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 21/16

Datum:
21.11.2017
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
VERFASSUNGSGERICHTSHOF FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 21/16
ECLI:
ECLI:DE:VFGHNRW:2017:1121.VERFGH21.16.00
 
Schlagworte:
2,5 %-Sperrklausel Kommunalwahl Gemeinderats- und Kreistagswahl
Normen:
§ 33 Abs. 1 und 2 KWahlG; Art. 1 Abs. 1 LV; Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG
Sachgebiet:
Staats- und Verfassungsrecht
Leitsätze:

1. Einen durch Einführung einer verfassungsunmittelbaren Sperrklausel für Kommunalwahlen bewirkten Verfassungsverstoß kann der Verfassungsgerichtshof nur feststellen, wenn diese Regelung höherrangiges Landesverfassungsrecht verletzt.

2. Höherrangiges Landesverfassungsrecht, an dem eine nachträglich in die Landesverfassung eingefügte kommunalwahlrechtliche Sperrklausel zu messen ist, sind die in Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV normierten materiellen Grenzen der Verfassungsänderung.

3. Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV inkorporiert die grundgesetzlichen Homogenitätsvorgaben gemäß Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG in das Landesverfassungsrecht.

4. Ein gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG änderungsfester Bestandteil des Demokratieprinzips ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl der Volksvertretungen in den Gemeinden und Kreisen, nach dem differenzierende Regelungen stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes bedürfen. Ein spezifischer Spielraum des landesverfassungsändernden Gesetzgebers für Differenzierungen innerhalb der Wahlgleichheit besteht insoweit nicht.

5. Dass die 2,5 %-Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage erforderlich ist, ist weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Rahmen des Organstreitverfahrens in der gebotenen Weise deutlich gemacht worden. Die gesetzgeberische Prognose drohender Funktionsstörungen aufgrund einer parteipolitischen Zersplitterung entbehrt einer tragfähigen, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständigen Grundlage. Auch ist die gegebene Begründung nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar.

6. Die 2,5 %-Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV lässt sich hinsichtlich der Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage auch weder mit der Erwägung rechtfertigen, sie diene der Integration des Wahlvolkes, indem sie verhindere, dass Vertreter kleiner Parteien und Wählervereinigungen oder Einzelbewerber einen gemessen am Wahlerfolg weit überproportionalen Einfluss auf Entscheidungen erlangen, noch damit, sie entfalte kommunenübergreifend eine Gleichstellungswirkung, indem sie Unterschiede in den faktischen Sperrklauseln einebne.

7. Aus den gleichen Gründen, aus denen die verfassungsunmittelbare 2,5 %-Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV mit Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar ist, soweit sie für die Gemeinderats- und Kreistagswahlen gilt, verletzen auch die ihrem Vollzug dienenden einfachgesetzlichen Bestimmungen in § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG den Grundsatz der Gleichheit der Wahl.

8. Die Wahlrechtsgrundsätze gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gelten nicht für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr. Insoweit beschränk sich das durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV inkorporierte grundgesetzliche Homogenitätsgebot auf die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG und damit auf den auch auf Bundes-ebene gemäß Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Kern des Demokratieprinzips.

9. Eine für Wahlen jenseits des Anwendungsbereichs des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG geltende, der Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung dienende, maßvolle Sperrklausel entspricht demokratischen Grundsätzen im Sinne von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch dann, wenn damit unabhängig von konkret absehbaren Funktionsstörungen Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit getroffen werden soll. Die 2,5 %-Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV ist deshalb verfassungsgemäß, soweit sie für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr gilt.

Rechtskraft:
rechtskräftig
 
Tenor:

Der Antragsgegner hat das Recht der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl aus Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt, dass er durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 442) in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV und § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG eine 2,5 %-Sperrklausel eingeführt hat, soweit diese für die Wahlen der Räte der Gemeinden und der Kreistage gilt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die notwendigen Auslagen der Antragstellerin sind vom Land Nordrhein-Westfalen zur Hälfte zu erstatten.

 

VERFASSUNGSGERICHTSHOF

FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

IM  NAMEN  DES VOLKES

URTEIL

Verkündet am: 21. November 2017

Schmid

Verwaltungsgerichtsbeschäftigte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

VerfGH 21/16

In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren

der   Partei Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler,

Antragstellerin,

Prozessbevollmächtigter:

gegen

den               Landtag Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Präsidenten,Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf,

Antragsgegner,

Prozessbevollmächtigter:

wegen Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit als politische Partei und auf Gleichheit der Wahl durch Einführung einer 2,5 % -Sperrklausel für die Wahlen der Räte in den Gemeinden, der Bezirksvertretungen, der Kreistage und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr

hat der

VERFASSUNGSGERICHTSHOF FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

auf die mündliche Verhandlung

vom 24. Oktober 2017

durch die Verfassungsrichter

Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs   Dr. Brandts,

Präsidentin des Oberlandesgerichts   Paulsen,

Präsidentin des Oberlandesgerichts   Gräfin von Schwerin,

Professorin  Dr. Dauner-Lieb,

Präsident des Verwaltungsgerichts Dr. Heusch,

Richter am Bundesgerichtshof  Dr. Nedden-Boeger  und

Professor  Dr. Wieland

für Recht erkannt:

Der Antragsgegner hat das Recht der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl aus Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt, dass er durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 442) in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV und § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG eine 2,5 %-Sperrklausel eingeführt hat, soweit diese für die Wahlen der Räte der Gemeinden und der Kreistage gilt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die notwendigen Auslagen der Antragstellerin sind vom Land Nordrhein-Westfalen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

A.

1 Der Organstreit betrifft die Frage, ob der Antragsgegner Rechte der Antragstellerin dadurch verletzt hat, dass er durch Änderung der Landesverfassung und des Kommunalwahlgesetzes eine 2,5 %-Sperrklausel für Kommunalwahlen eingeführt hat.

I.

2 1. Dem Kommunalwahlrecht in Nordrhein-Westfalen liegt ein Mischsystem aus vorgeschalteter Mehrheitswahl und ausgleichender Verhältniswahl nach Reservelisten im ganzen Wahlgebiet zugrunde.

3 Mit Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 – (OVGE 47, 304) entschied der Verfassungsgerichtshof, dass die Beibehaltung der 5 %-Sperrklausel in § 33 Abs. 1 KWahlG (a. F.) mit dem Recht auf Chancengleichheit als politische Partei aus Art. 21 GG, Art. 1 Abs. 1 LV und dem Recht auf Gleichheit der Wahl aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 LV nicht vereinbar ist. Der Verfassungsgerichtshof stellte maßgeblich darauf ab, der nordrhein-westfälische Gesetzgeber habe seine Entscheidung, die 5 %-Sperrklausel nicht aufzuheben oder abzumildern, vor dem Hintergrund der substantiellen Neuordnung der Kommunalverfassung (Verlagerung der Wahl des kommunalen Hauptverwaltungsbeamten auf die Bürger) nicht hinreichend begründet. Auf Grund des Urteils wurde die Sperrklausel durch das Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 14. Juli 1999 (GV. NRW. S. 412) ersatzlos gestrichen.

4 2. Im September 2015 brachten die Fraktionen von SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) in den Landtag ein (LT-Drs. 16/9795). U. a. sollte in Art. 78 Abs. 1 LV für die Wahlen der Räte der Gemeinden, der Bezirksvertretungen, der Kreistage und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr eine 2,5 %-Sperrklausel festgeschrieben und § 33 KWahlG entsprechend geändert werden.

5 In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird u. a. ausgeführt:

6 Der Wegfall der früheren 5 %-Sperrklausel habe zu einer sich fortwährend verstärkenden Zersplitterung der Kommunalvertretungen geführt. Diese Entwicklung werde voraussichtlich weiter anhalten. Die Handlungsfähigkeit der Räte und Kreistage sei hierdurch beeinträchtigt oder zumindest in hohem Maße gefährdet. Infolge der stark gestiegenen Zahl von Einzelmandatsträgern und nicht fraktionsfähigen Gruppen könnten sich Tagesordnungen und Sitzungen in einem unvertretbaren Maß in die Länge ziehen. In bestimmten Fällen drohe sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der Kommunalvertretung. Angesichts der Allzuständigkeit der Räte (§ 41 Abs. 1 Satz 1 GO NRW) und vergleichbar weitreichender Entscheidungsbefugnisse der Kreistage (§ 26 Abs. 1 Satz 1 KrO NRW) auch für zunehmend komplexe Sachverhalte und Fragestellungen sei es unabdingbar, dass die Sitzungen der Kommunalvertretungen stringent und ergebnisorientiert durchgeführt würden. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund des ehrenamtlichen Charakters der Tätigkeit kommunaler Mandatsträger, die ihre Aufgaben in der Freizeit und neben ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen wahrnähmen. Marathonsitzungen über viele Stunden hinweg seien von ihnen kaum zu leisten. Die zunehmende Zersplitterung gefährde eine am Gemeinwohl orientierte Politik der Kommunalvertretungen. Dafür sei eine konsistente Haushalts-, Sach- und Personalpolitik unabdingbar, für die es stabiler Mehrheiten bedürfe. Wegen der als Folge der Zersplitterung absehbaren Schwierigkeiten bei der Mehrheitsbeschaffung drohe dauerhaft ein faktischer Zwang zur Bildung Großer Koalitionen. Dies könne nicht im Interesse einer demokratisch legitimierten kommunalen Selbstverwaltung liegen. Zudem sei es problematisch, wenn Kleinst- und Splitterparteien als „Zünglein an der Waage“ eine im Verhältnis zur ihrer Stimmenzahl weit überproportionale Machtposition erlangen bzw. in  die Rolle als Mehrheitsbeschaffer oder -verhinderer gelangen könnten.

7 Zu berücksichtigen seien auch Besonderheiten der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen. Die Kommunen des Landes seien infolge ihrer im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlichen Größe und der weiterhin starken Stellung der Kommunalvertretungen gegenüber der direkt gewählten Verwaltungsspitze überwiegend konkurrenzdemokratisch strukturiert. Darin liege ein Unterschied zu konkordanzdemokratischen, durch eine dominierende Stellung des Bürgermeisters und geringere Parteipolitisierung gekennzeichneten Entscheidungsprozessen, wie sie etwa in Baden-Württemberg anzutreffen und in den bisherigen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen unterstellt worden seien. Nordrhein-Westfalen verfüge zudem über eine deutlich höhere Anzahl an Großstädten als andere Bundesländer, die überdies im Schnitt größer seien als die in anderen Flächenländern. Auch seien die Kommunalvertretungen bei gleicher Einwohnerzahl größer, namentlich im Vergleich zu den Kommunen in Baden-Württemberg und Bayern.

8 Um den sich aus der fortschreitenden Zersplitterung ergebenden abstrakten und konkreten Gefährdungen der Funktionsfähigkeit der Räte und Kreistage Einhalt zu gebieten und um einen überproportionalen Einfluss kleiner und kleinster Gruppierungen zu verhindern, bedürfe es der Einführung einer 2,5 %-Sperrklausel. Diese solle unmittelbar in der Landesverfassung festgeschrieben werden, um etwaige Unklarheiten zu vermeiden und die Entscheidung angesichts ihrer Bedeutung auch nicht dem einfachen Gesetzgeber und etwaigen einfachen Mehrheiten im Landtag zu überlassen. Ihre Höhe erscheine unter Berücksichtigung der Interessen kleiner Parteien und Wählergemeinschaften sowie ihrer Wähler einerseits und der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen sowie der Integrationsfunktion von Wahlen andererseits angemessen und sachgerecht. Eine gewisse Absenkung gegenüber den für Bundes- und Landtagswahlen geltenden 5 %-Sperrklauseln trage zum einen den Besonderheiten der Kommunalvertretungen Rechnung, bei denen ein höheres Maß an Funktionsbeeinträchtigungen oder -gefährdungen und mithin an Zersplitterung hinnehmbar sei als bei Parlamenten. Zum anderen sorge eine landesweit einheitliche Sperrklausel in Höhe von 2,5 % für eine Einebnung interkommunaler Unterschiede in den faktischen Sperrklauseln, die je nach Größe der Kommunalvertretungen zwischen 0,6 % und 2,8 % schwankten. Dies führe zu einer höheren Chancengleichheit der Wähler und habe somit eine verfassungsorientierte Gleichstellungswirkung.

9 Der Hauptausschuss des Landtags führte am 21. Januar 2016 gemeinsam mit dem Ausschuss für Kommunalpolitik eine öffentliche Anhörung durch. Neben Rechts- und Politikwissenschaftlern äußerten sich insbesondere die kommunalen Spitzenverbände des Landes sowie Vertreter aus der Kommunalpolitik (Ausschussprotokoll 16/1139).

10 Die juristischen Sachverständigen beurteilten die Zulässigkeit der geplanten Sperrklausel kontrovers, insbesondere im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Die angehörten Kommunalpolitiker sprachen sich überwiegend für die Einführung der 2,5 %-Hürde aus. Sie verwiesen insbesondere darauf, der stete Zuwachs der Anzahl fraktionsunfähiger Einzelmandatsträger und Gruppen habe in einer mit der Ehrenamtlichkeit der kommunalpolitischen Tätigkeit kaum noch vereinbaren Weise zu längeren Sitzungszeiten und einer Zunahme des zur Mehrheitsbildung notwendigen Koordinierungsaufwands geführt. Vielfach seien stabile Mehrheiten allenfalls noch in Großen Koalitionen möglich. Der durch den Verzicht auf eine Sperrklausel bewirkte Zugewinn an Chancengleichheit und demokratischer Mitbestimmung bleibe auf die Wahl beschränkt. Danach hätten Einzelmandatsträger praktisch keine effektiven Mitwirkungsmöglichkeiten, insbesondere weil sie in den Ausschüssen, in denen die meisten Entscheidungen getroffen oder inhaltlich vorbereitet würden, nicht oder nur ohne Stimmrecht vertreten seien.

11 Auch ein in der Anhörung als Stellungnahme 16/3348 vorgelegtes politikwissenschaftliches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion plädiert für die Einführung einer Sperrklausel für Rats- und Kreistagswahlen in – im Vorfeld des Gesetzentwurfs diskutierter – Höhe von 3 % (Bogumil/Gehne/Garske/Seuberlich/Hafner, Auswirkungen der Aufhebung der kommunalen Sperrklausel auf das kommunalpolitische Entscheidungssystem in Nordrhein-Westfalen, Mai 2015).

12 Am Ende der Beratungen nahm der Hauptausschuss den Gesetzesentwurf im Wesentlichen unverändert an (LT-Drs. 16/12134).

13 Am 10. Juni 2016 verabschiedete der Landtag in dritter Lesung das Kommunalvertretungsstärkungsgesetz mit 180 Ja- gegen 15 Nein-Stimmen bei 16 Enthaltungen (Plenarprotokoll 16/116). Das Gesetz wurde am 30. Juni 2016 verkündet (GV. NRW. S. 442) und trat am 1. Juli 2016 in Kraft.

14 Die einschlägigen Bestimmungen der Landesverfassung, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2016 (GV. NRW. S. 860), und des Kommunalwahlgesetzes, zuletzt geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 6. Dezember 2016 (GV. NRW. S. 1052), lauten:

Art. 78 LV

(1) Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Gebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung durch ihre gewählten Organe. Die Räte in den Gemeinden, die Bezirksvertretungen, die Kreistage und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer, geheimer und freier Wahl gewählt. Wahlvorschläge, nach deren Ergebnis sich die Sitzanteile in den Räten der Gemeinden, den Bezirksvertretungen, den Kreistagen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr bestimmen, werden nur berücksichtigt, wenn sie mindestens 2,5 vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Das Gesetz bestimmt das Nähere.

§ 33 KWahlG

(1) Der Wahlausschuss zählt zunächst die für alle Bewerber abgegebenen gültigen Stimmen, nach Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerbern getrennt, zusammen (Gesamtstimmenzahl). Er stellt dann fest, welche Parteien und Wählergruppen weniger als 2,5 vom Hundert der Gesamtstimmenzahl erhalten haben. Diese Parteien und Wählergruppen bleiben bei der Sitzverteilung unberücksichtigt. Durch Abzug der Stimmen dieser Parteien und Wählergruppen sowie der Stimmen der Parteien und Wählergruppen, für die keine Reserveliste zugelassen ist, und der Stimmen der Einzelbewerber von der Gesamtstimmenzahl, wird die bereinigte Gesamtstimmenzahl gebildet.

(2) Von der gemäß § 3 in jedem Wahlgebiet zu wählenden Gesamtzahl von Vertretern wird die Zahl der erfolgreichen Wahlbezirksbewerber abgezogen, die als Einzelbewerber aufgetreten oder von einer nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht zu berücksichtigenden Partei oder Wählergruppe vorgeschlagen sind. Von der so gebildeten Ausgangszahl werden den am Verhältnisausgleich teilnehmenden Parteien und Wählergruppen nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung so viele Sitze zugeteilt, wie ihnen im Verhältnis der auf ihre Reserveliste entfallenen Stimmenzahlen zur Gesamtstimmenzahl nach Absatz 1 zustehen (erste Zuteilungszahl). (…)

15 3. Die Antragstellerin, eine politische Partei, hat in Nordrhein-Westfalen mehrfach an Landtagswahlen teilgenommen. Ihre Satzung enthält auch eine Regelung zur Einreichung von Wahlvorschlägen auf Kommunalebene.

II.

16 1. Die Antragstellerin hat am 30. Dezember 2016 ein Organstreitverfahren eingeleitet.

17 Sie beantragt,

festzustellen, dass der Antragsgegner das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit als politische Partei aus Art. 21 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 LV und auf Gleichheit der Wahl aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 LV dadurch verletzt hat, dass er durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 442) in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV und § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG eine 2,5 %-Sperrklausel eingeführt hat.

18 Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor:

19 a) Bei dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit und auf Gleichheit der Wahl handle es sich um Landesverfassungsrecht, das durch höherrangiges Bundesverfassungsrecht geprägt und an dem die streitige verfassungsunmittelbare Sperrklausel deshalb zu messen sei. Der Verfassungsgerichtshof gehe davon aus, dass ein Landesgesetz, das der im Grundgesetz normierten Kompetenzordnung widerspreche, zugleich gegen eine der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen als einem Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland immanente Beschränkung der Gesetzgebungszuständigkeit des Landes verstoße. Danach bestehe das Verfassungsrecht der Gliedstaaten eines Bundesstaates nicht nur aus der geschriebenen Landesverfassung. Vielmehr wirkten auch Bestimmungen der Bundesverfassung in das Landesverfassungsrecht hinein, so dass erst beide Elemente zusammen die Verfassung des Gliedstaates ausmachten. Neben der grundgesetzlichen Kompetenzordnung habe der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich für Art. 21 GG angenommen, dass diese Regelung Teil der Landesverfassung sei.

20 b) Differenzierungen im Bereich der Wahl- und Chancengleichheit, wie sie mit wahlrechtlichen Sperrklauseln einhergingen, bedürften stets eines zwingenden Grundes. Als solcher sei die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung anerkannt. Die Zulässigkeit einer Sperrklausel lasse sich nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilen. Der Gesetzgeber habe die jeweiligen Verhältnisse zu berücksichtigen und ihre Entwicklung im Auge zu behalten. Bei der Annahme einer drohenden Funktionsunfähigkeit handle es sich um eine Prognose, für die der Gesetzgeber alle zur Einschätzung der Erforderlichkeit einer Sperrklausel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erheblichen Gesichts-punkte heranziehen und abwägen müsse. Dabei dürfe er sich nicht mit einer abstrakten Beurteilung begnügen. Die Prognose müsse nachvollziehbar begründet und auf tatsächliche Entwicklungen gerichtet sein, deren Eintritt der Gesetzgeber konkret erwarte. Bloße Schwerfälligkeiten bei der Meinungsbildung dürfe er nicht mit einer Funktionsbeeinträchtigung gleichsetzen.

21 c) Gemessen daran seien die angegriffenen Vorschriften verfassungswidrig. Sie beruhten nicht auf einer nachvollziehbaren, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Prognose konkret zu erwartender tatsächlicher Entwicklungen. Der Gesetzgeber habe sich mit der abstrakten, theoretischen Möglichkeit von Funktionsbeeinträchtigungen begnügt. Seine Prognose entbehre einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage.

22 Aus anderen Bundesländern ohne kommunalwahlrechtliche Sperrklauseln seien Störungen der Funktionsfähigkeit von Kommunalvertretungen nicht bekannt. Der Gesetzgeber habe nicht aufgezeigt, dass diese Erfahrungen aufgrund wesentlicher Unterschiede in der Kommunalverfassung und der Aufgabenstellung der Kommunalvertretungen auf Nordrhein-Westfalen nicht übertragbar seien. Auch die im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlichen Gemeindegrößen begründeten keinen erheblichen Unterschied, gebe es doch auch in anderen Bundesländern zahlreiche Großstädte mit entsprechend großen Räten.

23 2. Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

24 Er macht geltend, der Antrag sei unbegründet.

25 a) Das Grundgesetz verhalte sich nicht explizit zur Zulässigkeit von Sperrklauseln. Dieses „Schweigen des Grundgesetzes“ belasse nach dem Willen des Parlamentarischen Rates Spielräume für den landesverfassungsändernden Gesetzgeber.

26 b) Die Gestaltungsfreiheit des verfassungsändernden Gesetzgebers sei nach heutigem deutschem Verfassungsrecht nur durch entsprechende explizite Regelungen beschränkt. Diese hätten abschließenden Charakter, seien restriktiv auszulegen und dürften nicht durch naturrechtliche oder richterrechtliche Maßstäbe erweitert werden. So binde die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG den verfassungsändernden Gesetzgeber auf Bundesebene. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG enthalte eine hierzu parallele Beschränkung der Verfassungsautonomie der Länder. Die danach verbürgten „Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes“ seien auch durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV in wörtlicher Übernahme als Grenzen einer Änderung der Landesverfassung formuliert. Der Gewährleistungsgehalt decke sich mit den in Art. 20 GG „niedergelegten Grundsätzen“ im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG. Eine Interpretation von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, die den Ländern wesentlich engere Schranken ihrer Verfassungsautonomie auferlegte als jene des Art. 79 Abs. 3 GG, verbiete sich, weil sie an die – ihrerseits in Art. 79 Abs. 3 GG bekräftigte – Idee des Bundesstaates rühre. Danach sei jeweils nur der Kerngehalt des Demokratieprinzips einer Verfassungsänderung entzogen. Dieser Kerngehalt werde von einer Sperrklausel nicht berührt.

27 c) Jenseits der änderungsfesten Kernelemente des demokratischen Verfassungsstaates hindere die Interpretation auslegungsfähiger und -bedürftiger allgemeiner Verfassungsgrundsätze durch die Verfassungsgerichte den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht, diese Verfassungsgrundsätze selbst, d. h. verfassungstextlich und abweichend von der Rechtsprechung auszugestalten. Mit den in Auslegung des Grundsatzes der Wahlgleichheit entwickelten richterrechtlichen Maßstäben für die Zulässigkeit von Sperrklauseln habe die Verfassungsrechtsprechung in der Vergangenheit eine Lücke geschlossen, die sich aus dem Schweigen des Grundgesetzes zu dieser Frage ergeben habe. Nur weil und soweit Grundgesetz und Landesverfassung die Konkretisierung des Grundsatzes der Wahlgleichheit den Verfassungsgerichten überließen, könne und wolle diese Rechtsprechung die Spielräume des einfachen Gesetzgebers beschränken. Der Grundsatz der Gewaltenteilung verbiete es, verfassungsgerichtlich entwickelte Maßstäbe gegen einen geänderten Verfassungstext in Stellung zu bringen.

28 d) Es sei systemgerecht, eine Sperrklausel unmittelbar in der Landesverfassung zu regeln und dadurch den allgemeinen Grundsatz der Gleichheit der Wahl auszugestalten. Zu den Grundideen des demokratischen Verfassungsstaates gehöre es, die Spielregeln des politischen Systems, das seinerseits auf einen inhaltlichen Wechsel angelegt sei, mit Vorrang und Beständigkeit auf Verfassungsebene zu regeln. Das Wahlrecht sei zentraler Gegenstand dieses Staatsorganisationsrechts. Dementsprechend fänden sich in zahlreichen Landesverfassungen Regelungen zum Wahlsystem und zu Sperrklauseln bei Landtagswahlen. In Berlin und Hamburg bestünden zudem verfassungsunmittelbare Sperrklauseln betreffend die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung (Art. 70 Abs. 2 Satz 2 Verf BE) bzw. zu den Bezirksversammlungen (Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Verf HH). Vor diesem Hintergrund erweise sich die nunmehr in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV getroffene Regelung als weiterer Baustein einer kontinuierlichen Entwicklung.

29 e) Die von der Verfassungsrechtsprechung für die Beurteilung einfachrechtlicher Sperrklauseln entwickelten Maßstäbe dürften nicht an eine Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers angelegt werden. Die Sperrklauselrechtsprechung beruhe auf der Prämisse einer vom einfachen Gesetzgeber – nicht vom Verfassunggeber – getroffenen Grundentscheidung zugunsten des Verhältniswahlrechts, die sodann folgerichtig umzusetzen sei. Nach der Rechtsprechung seien die durch Sperrklauseln bewirkten Einschränkungen der Erfolgsgleichheit der Stimmen im System der Verhältniswahl inkonsequent, also nicht folgerichtig und mithin rechtfertigungsbedürftig. Mit einer Verfassungsänderung, wie sie hier in Rede stehe, werde diesem Ansatz die Grundlage entzogen. Nunmehr treffe die Verfassung selbst eine Systementscheidung, und zwar zugunsten eines Verhältniswahlsystems mit Sperrklausel, d. h. eines Mischmodells des Ausgleichs zwischen Proportionalität und Funktionalität. Im Übrigen könnten die von der Rechtsprechung in Bezug auf Sperrklauseln postulierten gesetzgeberischen Begründungs-, Beobachtungs- und gegebenenfalls Änderungspflichten auch wesensmäßig nur den einfachen, nicht aber den verfassungsändernden Gesetzgeber treffen. Die nur unter qualifizierten Voraussetzungen abänderbare Verfassung sei auf Beständigkeit und Vorrang angelegt. Deshalb sei es systemwidrig, die Betätigung des verfassungsändernden Gesetzgebers Rechtfertigungsanforderungen zu unterwerfen, die die Auswertung konkreter Erscheinungen und die Berücksichtigung aktueller Tatsachenentwicklungen notwendig machten. Der verfassungsändernde Gesetzgeber werde dem Wesen der ihm zugewiesenen verfassungsändernden Gewalt vielmehr dadurch gerecht, dass er von aktuellen Umständen abstrahiere und sich auf modellhafte Überlegungen mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Dauerhaftigkeit stütze. Demgemäß sei er unabhängig vom Nachweis konkreter Funktionsstörungen gewählter Vertretungskörperschaften befugt, mit einer Sperrklausel auch schon einer nur abstrakten Gefahr von Funktionsbeeinträchtigungen entgegenzuwirken.

30 f) Demgemäß sei auch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt. Die Vorschrift konkretisiere einzelne Elemente des den Ländern in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG vorgegebenen Demokratieprinzips. Sie sei Teil des bundesstaatlichen Homogenitätsprinzips, das die Verfassungsautonomie der Länder voraussetze und begrenze. Es gehöre zum Wesen des Bundesstaates, dass die Länder über eigene Verfassungen verfügten. Die Interpretation von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG müsse deshalb sensibel sein gegenüber den spezifisch verfassungsgesetzlichen Ausgestaltungsspielräumen der Länder. Dies sei zu bedenken, wenn Aspekte des Wahlrechts – wie das Wahlsystem oder Sperrklauseln – von den Ländern teils auf einfachgesetzlicher und teils auf Verfassungsebene geregelt würden. Der landesverfassungsändernde Gesetzgeber unterliege insoweit weniger weitreichenden Bindungen als der einfache Landesgesetzgeber. Unzulässig seien landesverfassungsrechtliche Regelungen, die einen der in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Wahlgrundsätze als solchen in Frage stellten, etwa die Wahlgleichheit durch eine Differenzierung beim Zählwert der Stimmen. Im Übrigen müssten die Länder Wahlen so ausgestalten, dass dem Grundsatz der Wahlgleichheit in plausibler Weise Rechnung getragen werde. Dies sei mit der Neufassung von Art. 78 Abs. 1 LV geschehen.

31 g) Die Allzuständigkeit des Rates nach § 41 Abs. 1 GO NRW verleihe dem mit der Sperrklausel verfolgten Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Räte besonderes Gewicht. Die Allzuständigkeit sei eine Besonderheit des nordrhein-westfälischen Kommunalrechts, das damit einen Mittelweg zwischen den Modellen der norddeutschen Ratsverfassung und der süddeutschen Bürgermeisterverfassung gehe. In Nordrhein-Westfalen werde zwar – ähnlich dem süddeutschen Modell – der Bürgermeister direkt gewählt. Jedoch habe der Rat – ähnlich dem norddeutschen Modell – die Allzuständigkeit. Komme es im Rat zu Schwierigkeiten bei der Mehrheitsbildung, existiere zwar gegebenenfalls ein Bürgermeister. Dessen Kompetenzen seien aber auf die Geschäfte der laufenden Verwaltung beschränkt, wobei § 41 Abs. 3 GO NRW selbst insoweit einen Vorbehalt des Rates regele. Danach hänge von der Mehrheitsfähigkeit des Rates die Erfüllbarkeit sämtlicher über die laufenden Geschäfte hinausgehender Selbstverwaltungsaufgaben ab. Der Bürgermeister (bzw. der Landrat) könne – anders als im süddeutschen Modell – nicht „durchregieren“. In Anbetracht dessen sei es plausibel, gegen das abstrakte Risiko von Funktionsstörungen bei der Erfüllung der gewichtigen Aufgabe der Räte Vorsorge zu treffen. Das Grundgesetz stehe dem nicht entgegen. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG stritten vielmehr – im Gegenteil – für eine starke und funktionsfähige kommunale Selbstverwaltung. Den Ländern solle gerade in diesem Bereich ein organisationsrechtlicher Ausgestaltungsspielraum verbleiben. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG dürfe nicht so interpretiert werden, dass es neben dem norddeutschen und dem süddeutschen kein weiteres Modell geben dürfe, ohne dass die Länder Einbußen der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen riskieren müssten. Sie könnten von Verfassungs wegen nicht auf die Alternative einer Beschränkung der Zuständigkeiten der Räte verwiesen werden. Andernfalls würde die Erfolgsgleichheit der Stimmen zum Selbstzweck degradiert statt demokratische Legitimation von Herrschaft optimiert. Mit einem Machtzuwachs der direkt gewählten Bürgermeister (bzw. Landräte) würde das Organ gestärkt, bei dessen Wahl die denkbar meisten Stimmen „unter den Tisch fielen“. Im nordrhein-westfälischen Modell kämen verhältnismäßig mehr Wählerstimmen bei der effektiven Herrschaftsausübung zum Tragen als im süddeutschen Modell. Dies sei auch unter dem Gesichtspunkt der Erfolgsgleichheit der Stimmen eine plausible Ausgestaltung des Kommunalrechts. Hierdurch gewinne das Argument der Funktionsfähigkeit der Räte zusätzliches Gewicht.

32 h) Für die hier streitige Sperrklausel komme eine Verletzung der Wahlgleichheit schon deshalb nicht in Betracht, weil sie auch positive gleichheitsrechtliche Effekte habe. Sie relativiere Unterschiede des Erfolgswertes der Wählerstimmen, die sich im Vergleich zwischen kleineren und größeren Gemeinden bzw. Kreisen daraus ergäben, dass – wie die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014 belegten – in kleineren Gemeinden schon die faktische Sperrklausel im Bereich von über 2 % liege, während in großen Gemeinden bzw. Kreisen bereits ein Stimmenanteil von teils deutlich unter 1 % zur Erlangung eines Sitzes ausreichend sei. Es sei legitim, wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber die Gleichheit des Stimmrechts nicht nur innerhalb der einzelnen Kommunen, sondern landesweit in den Blick nehme und durch eine rechtliche Sperrklausel zu optimieren suche, deren Prozentsatz sich im Bereich der faktischen Sperrklausel in kleineren Kommunen bewege.

33 3. Der Landesregierung ist von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis gegeben worden.

B.

34 Der Antrag ist gemäß Art. 75 Nr. 2 LV, § 12 Nr. 5, §§ 43 ff. VerfGHG zulässig.

I.

35 Die Antragstellerin kann als politische Partei Beteiligte eines Organstreitverfahrens sein (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 41, und vom 26. Mai 2009 – VerfGH 3/09 –, OVGE 52, 297 = juris, Rn. 30, jeweils m. w. N.).

II.

36 Die Antragstellerin ist gemäß § 44 Abs. 1 VerfGHG antragsbefugt. Sie kann geltend machen, durch ein Verhalten des Antragsgegners in ihr durch die Landesverfassung gewährten Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein.

37 1. Zum verfassungsrechtlichen Status der politischen Parteien gehört zum einen ihr Recht auf Chancengleichheit bei Wahlen. Der Grundsatz der Chancengleichheit für Wahlbewerber findet für politische Parteien seine Grundlage in Art. 21 Abs. 1 GG, dessen Grundsätze als Landesverfassungsrecht unmittelbar auch in den Ländern gelten (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 103; VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 81, jeweils m. w. N.). Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit ergibt sich aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie zukommt, und aus dem vom Grundgesetz gewollten freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 102; VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 43, jeweils m. w. N.). Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt, dass jeder Partei, jeder Wählergruppe und ihren Wahlbewerbern grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden (BVerfG, a. a. O., Rn. 103; VerfGH NRW, a. a. O.).

38 Zum verfassungsrechtlichen Status der politischen Parteien gehört zum anderen ihr Recht auf Wahlgleichheit. Für Kommunalwahlen wird der Grundsatz der Gleichheit der Wahl nunmehr ausdrücklich in Art. 78 Abs. 1 Satz 2 LV gewährleistet. Die Vorschrift ist durch das Kommunalvertretungsstärkungsgesetz gemeinsam mit der zwischen den Beteiligten streitigen Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV in die Landesverfassung eingefügt worden. Bereits zuvor wurden die Wahlgleichheit ebenso wie die anderen in Art. 78 Abs. 1 Satz 2 LV genannten Wahlrechtsgrundsätze im Bereich auch der Kreise und Gemeinden durch das objektiv-rechtliche Verfassungsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet, dessen Geltung als Landesverfassungsrecht Art. 1 Abs. 1 LV vermittelte (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 403 = juris, Rn. 54, und vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 55).

39 Der Grundsatz der Wahlgleichheit ist zudem Ausprägung des Demokratieprinzips, das auf der Ebene des Landesverfassungsrechts durch Art. 2 LV garantiert ist (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 403 = juris, Rn. 54, vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 44, und vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 79). Der Grundsatz der gleichen Wahl sichert – gemeinsam mit dem Grundsatz der allgemeinen Wahl – die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger. Er gebietet, dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können. Daraus folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss (vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 96 f., und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 46; Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 59; VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 44).

40 2. Nach dem Antragsvorbringen besteht die Möglichkeit, dass der Antragsgegner mit der Normierung der 2,5 %-Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV, § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG die Rechte der Antragstellerin auf Wahlgleichheit und Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt hat.

41 Die Antragstellerin hat hinreichend dargelegt, dass die mit diesen Regelungen errichtete Hürde für eine Teilnahme an der Sitzverteilung ihre Wahlchancen beeinträchtigen kann und zu einer Ungleichbehandlung der Wähler und Wahlbewerber führt, je nachdem, ob die jeweiligen Parteien oder Wählervereinigungen mindestens 2,5 % der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigen können oder nicht. Nach dem Antragsvorbringen erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Normierung einer verfassungsunmittelbaren Sperrklausel die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und damit die Rechte der Antragstellerin in unzulässiger Weise beschränkt hat.

III.

42 Die Antragsfrist des § 44 Abs. 3 VerfGHG ist eingehalten. Die Sechsmonatsfrist begann mit der Verkündung des Kommunalvertretungsstärkungsgesetzes am 30. Juni 2016. Damit galten die angegriffenen Rechtsnormen als allgemein bekannt geworden (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 46; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 2 BvE 4/12 –, BVerfGE 140, 1 = juris, Rn. 59 m. w. N., zu der gleichlautenden Fristenregelung für den bundesrechtlichen Organstreit in § 64 Abs. 3 BVerfGG). Der am 30. Dezember 2016 eingegangene Antrag ist somit rechtzeitig gestellt.

C.

43 Der Antrag ist begründet, soweit die streitige Sperrklausel für die Wahlen der Räte der Gemeinden und der Kreistage gilt (dazu I.). Der Antrag ist unbegründet, soweit die streitige Sperrklausel für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr gilt (dazu II.).

I.

44 Der Antragsgegner hat das Recht der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl dadurch verletzt, dass er durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 (GV. NRW. S. 442) in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV und § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG eine 2,5 %-Sperrklausel eingeführt hat, soweit diese für die Wahlen der Räte der Gemeinden und der Kreistage gilt.

45 Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV, der durch das von dem Antragsgegner beschlossene verfassungsändernde Gesetz in die Landesverfassung eingefügt wurde, ist vom Verfassungsgerichtshof am Maßstab des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen (dazu 1.). Die danach geltenden materiellen Grenzen der Zulässigkeit einer Änderung der Landesverfassung, zu denen auch der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gehört (dazu 2.), sind überschritten (dazu 3.). In der Folge erweist sich auch § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG als verfassungswidrig (dazu 4.).

46 1.Der von dem Antragsgegner erlassene Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV ist vom Verfassungsgerichtshof am Maßstab des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

47 a) Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV normiert eine verfassungsunmittelbare Sperrklausel. Damit werden Wahlgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien bereits auf Verfassungsebene entsprechend eingeschränkt bzw. ausgestaltet. Einen hierdurch bewirkten Verfassungsverstoß und eine damit einhergehende Rechtsverletzung der Antragstellerin kann der Verfassungsgerichtshof nur feststellen, wenn diese Regelung gegen höherrangiges Verfassungsrecht verstößt. Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofs als Landesverfassungsgericht ist, wie auch in den Vorschriften der Art. 75 Nr. 2 LV, §§ 12 Nr. 5, 44 Abs. 1 und 2 VerfGHG über den Organstreit zum Ausdruck kommt, das Landesverfassungsrecht. Vorschriften des Grundgesetzes können nur dann geprüft werden, wenn sie ausnahmsweise als ungeschriebene Bestandteile in die Landesverfassung hineinwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 – 2 BvK 1/00 –, BVerfGE 103, 332 = juris, Rn. 63, 67, 70 ff., und Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 94, jeweils als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein; VerfGH NRW, Urteil vom 19. Mai 1992 – VerfGH 5/91 –, OVGE 43, 205 = juris, Rn. 65 f.).

48 b) Höherrangiges Landesverfassungsrecht, an dem die verfassungsunmittelbare Sperrklausel des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV zu messen ist, sind die in Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV normierten materiellen Grenzen der Verfassungsänderung.

49 aa) Gemäß Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV sind Änderungen der Verfassung, die den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland widersprechen, unzulässig. Nach dem Vorbild der sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG normiert Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV inhaltliche Schranken der Verfassungsänderung und beansprucht damit einen gegenüber sonstigem Landesverfassungsrecht höheren Rang (vgl. zu Art. 79 Abs. 3 GG: Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 79 III Rn. 14; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Auflage 2016, Art. 79 Rn. 8).

50 bb) Durchgreifende Zweifel an der Höherrangigkeit von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV gegenüber sonstigem Landesverfassungsrecht und mithin daran, dass verfassungsändernde Gesetze an dieser Bestimmung zu messen sind, bestehen nicht. Sie ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass die Vorschrift erst durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. März 2002 (GV. NRW. S. 108), also nachträglich in die Verfassung aufgenommen wurde.

51 (1) Allerdings findet in einer derartigen Unabänderlichkeitsbestimmung die verfassungstheoretische Unterscheidung von Verfassunggebung und Verfassungsänderung, von verfassunggebender Gewalt (pouvoir constituant) und verfassungsändernder Gewalt als Teil der verfassten Staatsgewalten (pouvoirs constitués) einen positiven verfassungsrechtlichen Niederschlag (vgl. zu Art. 79 Abs. 3 GG: Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2012, Art. 79 Rn. 3; Murswiek, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: September 2005, Präambel Rn. 134; vgl. in diesem Sinne auch BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u. a. –, BVerfGE 123, 267 = juris, Rn. 179 [zu Art. 146 GG], 216 ff. [zu Art. 79 Abs. 3 GG]). Während der Verfassunggeber grundsätzlich frei und allenfalls an grundlegende Gerechtigkeitspostulate gebunden ist (vgl. BVerfGE, Urteil vom 18. Dezember 1953 – 1 BvL 106/53 –, BVerfGE 3, 225 = juris, Rn. 19 ff., 30), kann die verfasste Gewalt nur innerhalb des von der Verfassung gesteckten Rahmens agieren.

52 Auf Basis dieser grundlegenden Unterscheidung sind Bestimmungen, die für Verfassungsänderungen materielle Schranken normieren, Ausdruck einer nur dem Verfassunggeber zustehenden Entscheidung. Für Art. 79 Abs. 3 GG wird daher überwiegend angenommen, die Vorschrift selbst sei einem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen (vgl. Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 79 III Rn. 58; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Auflage 2016, Art. 79 Rn. 13, jeweils m. w. N.), und zwar sowohl einer vollständigen oder teilweisen Aufhebung (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 – 1 BvR 1170/90 u. a. –, BVerfGE 84, 90 = juris, Rn. 124) als auch einer Erweiterung des Katalogs änderungsfester Institutionen und Grundsätze (vgl. explizit Badura, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 1992, § 160 Rn. 28; Evers, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: Oktober 1982, Art. 79 Abs. 3 Rn. 146; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 79 Abs. 3 Rn. 38; Murswiek, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: September 2005, Präambel Rn. 135, jeweils m. w. N.).

53 Dementsprechend sind anlässlich der Aufnahme von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 in die Landesverfassung bereits im Gesetzgebungsverfahren Bedenken geäußert worden, der verfassungsändernde Gesetzgeber überschreite damit die Grenzen seiner Gestaltungsmacht. Die Normierung einer Unabänderlichkeitsbestimmung sei eine dem Verfassunggeber vorbehaltene Angelegenheit (vgl. Siekmann, Ausschussprotokoll 13/231, S. 8, 36; siehe auch Sachs, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 225 [242]: „prinzipiell berechtigte Bedenken“).

54 (2) Diese Bedenken greifen indes nicht durch.

55 Sie würden zwar nicht schon dadurch entkräftet, dass – was offen bleiben kann – die Unterscheidung von verfassunggebender und verfasster Gewalt in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen – anders als im Grundgesetz – ursprünglich, d. h. vor Einfügung von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV, gegebenenfalls nicht angelegt war (vgl. aber Fleck, in: Geller-Kleinrahm, Verfassung NRW, 3. Auflage, 2. Ergänzungslieferung 1994, Art. 2 Anm. 2.d; Tettinger, in: Löwer/Tettinger [Hrsg.], Verfassung NRW, 2002, Art. 2 Rn. 10, 14). Denn auch dann könnte sich der verfassungsändernde Gesetzgeber schon aus normlogischen Gründen nicht dauerhaft selbst binden: Eine im Wege der Verfassungsänderung eingefügte Unabänderlichkeitsbestimmung stünde notwendig unter dem Vorbehalt einer späteren inhaltlich abweichenden Verfassungsänderung, die ihr nach dem Lex-posterior-Grundsatz vorginge.

56 Jedoch werden durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV nur ohnehin schon bestehende bundesverfassungsrechtliche Grenzen wiederholt und in das Landesverfassungsrecht inkorporiert, die sich aus Art. 28 Abs. 1 GG gleichermaßen für den Landesverfassunggeber wie für den landesverfassungsändernden Gesetzgeber ergeben (vgl. auch Sachs, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 225 [242]; näher zum Normgehalt von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV sogleich unter 2.). Die verfassunggebende Gewalt auf Landesebene ist im föderalen System des Grundgesetzes durch die Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG von vornherein beschränkt (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1951 – 2 BvG 1/51 –,BVerfGE 1, 14 = juris, Rn. 154). In der nachträglichen Aufnahme einer diese Beschränkungen nachzeichnenden Unabänderlichkeitsbestimmung in die Landesverfassung liegt daher kein Übergriff des verfassungsändernden Gesetzgebers in einen dem Landesverfassunggeber vorbehaltenen Bereich: Von der Einhaltung der Schranken, die das Grundgesetz den Ländern bei der Ausgestaltung ihrer Verfassungsordnung zieht, konnte der Landesverfassunggeber weder sich selbst noch den landesverfassungsändernden Gesetzgeber freizeichnen. Ob Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV im Wege der Verfassungsänderung auch wieder beseitigt werden könnte (vgl. bejahend Günther, in: Heusch/Schönenbroicher [Hrsg.], Verfassung NRW, 2010, Art. 69 Rn. 11; Mann, in: Löwer/Tettinger [Hrsg.], Verfassung NRW, 2002, Art. 69 Rn. 18), kann dahinstehen. Jedenfalls für die Dauer seines Bestands entfaltet Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV die ihm zugedachte Sperrwirkung gegenüber den darin genannten Verfassungsänderungen und akzeptiert der verfassungsändernde Gesetzgeber diese landesverfassungsrechtliche Beschränkung seiner Revisionsgewalt sowie die darauf bezogene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof (vgl. zu dieser verfassungsprozessualen Konsequenz des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV auch Löwer, Ausschussprotokoll 13/231, S. 37; Sachs, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 225 [242]).

57 c) Dahinstehen kann, ob auch die Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG, deren Grundsätze als Landesverfassungsrecht unmittelbar in den Ländern gelten und als solches, d. h. als Landesverfassungsrecht Prüfungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 103, als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein; VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 81; VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11 –, DVBl. 2013, 848 = juris, Rn. 27 f.; Hmbg. VerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – HVerfG 4/15 –, DVBl. 2016, 248 = juris, Rn. 58, 62), Vorrang vor sonstigem Landesverfassungsrecht hat (für die jeweilige Landesverfassung einen Vorrang ablehnend VerfGH Berlin und Hmbg. VerfG, jeweils a. a. O.). Denn hieraus ergäben sich gegenüber Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV keine weiterreichenden Bindungen des landesverfassungsändernden Gesetzgebers. Zu den danach änderungsfesten Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes gehört der Grundsatz der Gleichheit der Wahl (vgl. sogleich unter 2.). Zwischen Wahlgleichheit und Chancengleichheit der Parteien besteht ein enger Zusammenhang. Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit hat seinen Grund im demokratischen Recht der Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung und leitet sich daraus her (vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage 2004, § 24 Rn. 44). Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Einschränkungen folgt den gleichen Maßstäben (vgl. BVerfG, Urteile vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 86, und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 52). Deshalb bedurfte es auch über die Feststellung einer Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Gleichheit der Wahl hinaus nicht zusätzlich noch der beantragten gesonderten Feststellung einer Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit.

58 2. Danach bestehen, soweit hier von Belang, für die Zulässigkeit einer Änderung der Landesverfassung folgende materielle Grenzen:

59 a) Nach Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV sind Änderungen der Verfassung, die den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes widersprechen, unzulässig. Die Vorschrift greift gezielt (vgl. Entwurfsbegründung, LT-Drs. 13/462, S. 9: „Dem Artikel 28 Abs. 1 GG entsprechend…“) die Formulierung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auf, wonach die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss. Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV inkorporiert damit die grundgesetzlichen Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG in das Landesverfassungsrecht (vgl. Grawert, Verfassung NRW, 3. Auflage 2012, Art. 69 Anm. 2 [S. 142]; Günther, in: Heusch/Schönenbroicher [Hrsg.], Verfassung NRW, 2010, Art. 69 Rn. 9; dahin tendierend auch Sachs, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 225 [242]).

60 b) Durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV wird darüber hinaus auch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG in das Landesverfassungsrecht einbezogen. Dessen spezielle Homogenitätsvorgaben für Existenz und Wahl von Volksvertretungen in den Ländern, Kreisen und Gemeinden konkretisieren das demokratische Prinzip nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG und zählen damit zu den demokratischen Grundsätzen im Sinne des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV. Insoweit deckt sich die landesverfassungsrechtliche Bindung an die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes, die Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV dem verfassungsändernden Gesetzgeber auferlegt, mit seinen bundesverfassungsrechtlichen Bindungen aus Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG (vgl. im Ergebnis ebenso Dietlein, Kommunale Sperrklauseln durch Verfassungsänderung? Das Grundgesetz sitzt immer am längeren Hebel, Legal Tribune Online, 28. August 2014, http://www.lto.de/persistent/a_id/13022/ [abgerufen am 8. Mai 2017]).

61 Bereits der Wortlaut von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV spricht für dieses Normverständnis. Die Bestimmung greift zwar die Formulierung des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auf, enthält aber gerade keinen – möglicherweise exklusiv zu verstehenden – Verweis nur auf einen bestimmten Satz des Art. 28 Abs. 1 GG. Sie nimmt vielmehr in allgemeiner Form Bezug auf die „Grundsätze des … demokratischen … Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes“. Zu diesen Grundsätzen gehören auch die besonderen Homogenitätsvorgaben des Satzes 2 von Art. 28 Abs. 1 GG. Dies folgt aus einer systematischen Zusammenschau des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV mit den grundgesetzlichen Homogenitätsvorgaben [dazu aa)] und entspricht dem Sinn und Zweck, den der landesverfassungsändernde Gesetzgeber der Vorschrift beigemessen hat [dazu bb)].

62 aa) Der systematische Zusammenhang, der zwischen der landesverfassungsrechtlichen Unabänderlichkeitsbestimmung des Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV und dem bundesverfassungsrechtlichen Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG innerhalb der bundesstaatlichen Verfassungsordnung besteht, spricht für eine die Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG einbeziehende Auslegung von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV. Sie sichert einen Gleichlauf der landesverfassungsrechtlichen mit den durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen der Ausgestaltung der Landesverfassung und wird damit auch dem übergeordneten Grundsatz der Bundestreue am besten gerecht, was zur Auslegung der Regelung mit herangezogen werden kann (vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Stand der Kommentierung: März 2006, Art. 20 IV Rn. 123).

63 Das in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte demokratische Prinzip erfährt durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, seine Ausgestaltung (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37 = juris, Rn. 65). Danach haben die Grundentscheidungen des Grundgesetzes für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie sowie für ein demokratisches Wahlverfahren auch auf Länderebene sowie in den Untergliederungen der Länder, den Gemeinden und Gemeindeverbänden zu gelten. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet für alle Gebietskörperschaften auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland die Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 60). Bezüglich der Wahlen zu den Volksvertretungen eröffnet Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG dem Landesgesetzgeber einen Spielraum nur in den Grenzen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Der erste Satz des Art. 28 Abs. 1 GG wird durch den zweiten ergänzt; dieser bestimmt für seinen Regelungsgegenstand das zu wahrende Minimum an Homogenität (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 73; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1998 – 2 BvR 1953/95 –, BVerfGE 99, 1 = juris, Rn. 45 f.; Dittmann, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 3. Auflage 2008, § 127 Rn. 15, 20; Mann, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: April 2016, Art. 28 Rn. 66; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Stand der Kommentierung: Dezember 2014, Art. 28 Abs. 1 Rn. 83 f.; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn. 70). Mit anderen Worten: Das nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Legitimationsniveau muss den Volksvertretungen in den Ländern, Kreisen und Gemeinden wegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG im Wege der Volkswahl vermittelt werden und wird nur dann erreicht, wenn das Wahlverfahren denselben demokratischen Grundsätzen genügt, wie sie für die Wahlen zum Bundestag gelten, was insbesondere die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze erfordert (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 18. Februar 2009 – VerfGH 24/08 –, OVGE 51, 310 = juris, Rn. 47).

64 bb) Eine Lesart von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV, die einen Gleichlauf der landesverfassungsrechtlichen mit den durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen der Ausgestaltung der Landesverfassung gewährleistet, entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV sollten ausweislich seiner Entstehungsgeschichte die Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG in die Landesverfassung übernommen werden. Die Vorschrift wurde im Zuge einer u. a. verfassungsändernde Volksentscheide betreffenden Novellierung der Volksgesetzgebung eingefügt und sollte die (auch) insoweit bestehenden Grenzen der Zulässigkeit von Verfassungsänderungen aufzeigen (vgl. LT-Drs. 13/462, S. 7, 9). Solche Grenzen ergeben sich, wie soeben ausgeführt, nicht nur aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern auch aus den für das Land nicht minder verbindlichen speziellen Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. In diesem Sinne heißt es dann auch in der Entwurfsbegründung zu Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV, mit der Vorschrift solle „dem Artikel 28 Abs. 1 GG entsprechend“ in der Landesverfassung nunmehr ausdrücklich festgehalten werden, dass Verfassungsänderungen unzulässig seien, wenn sie bestimmten verfassungsrechtlichen Grundsätzen widersprächen (vgl. LT-Drs. 13/462, S. 9).

65 c) Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV erweist sich danach als eine „relative“, nämlich auf verbindliche grundgesetzliche Vorgaben für die Verfassungsordnungen der Länder bezogene Unabänderlichkeitsbestimmung. Durch sie werden aus der Bundesverfassung sich ergebende Beschränkungen der Freiheit der Länder, die Grundlagen ihres staatlichen Lebens selbst zu bestimmen, auf Ebene der Landesverfassung nachgezeichnet. Diese Relativität des von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV bewirkten „Ewigkeitsschutzes“ besteht sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht. Soweit und solange das Grundgesetz die prinzipielle Verfassungsautonomie der Länder durch Art. 28 Abs. 1 GG beschränkt, greift auch die landesverfassungsrechtliche Unabänderlichkeitsbestimmung ein. Eröffnet sich den Ländern auf Ebene des Grundgesetzes ein größerer Gestaltungsspielraum, weil die Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG im Wege einer – die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG wahrenden – Verfassungsänderung gelockert werden, vergrößert sich im selben Umfang automatisch auch der landesverfassungsrechtlich von Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV umrissene Bereich zulässiger Verfassungsrevision.

66 d) Ein nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG für die Länder verbindlicher und als solcher durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV inkorporierter Bestandteil des Demokratieprinzips auf Länderebene ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Dessen Anforderungen an die Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts, wie sie in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Bezug auf die Wahlgleichheit im Allgemeinen und einfachgesetzliche Sperrklauseln im Besonderen entwickelt worden sind [dazu aa)], gelten auch für Landesverfassunggeber bzw. landesverfassungsändernde Gesetzgeber und mithin für verfassungsunmittelbare Sperrklauseln auf Länderebene [dazu bb)].

67 aa) (1) Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG enthält eine für die Länder verbindliche Wiederholung der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Wahlrechtsgrundsätze auf Bundes- und auf Landesebene sind inhaltlich identisch (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 95). Der Grundsatz der gleichen Wahl ist wegen des Zusammenhangs mit dem egalitären demokratischen Prinzip im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 96, m. w. N.; VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 48). Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 97).

68 Die Wahlgleichheit wirkt sich im Mehrheitswahlsystem und im Verhältniswahlsystem jeweils unterschiedlich aus. Während sie bei der Mehrheitswahl über den gleichen Zählwert aller Stimmen hinaus nur fordert, dass bei der Wahl alle Wähler auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise und von daher mit annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können, bedeutet Wahlgleichheit bei der Verhältniswahl, dass jeder Wähler mit seiner Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Vertretung haben muss. Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, dass alle Parteien und Wählervereinigungen in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind. Zur Zählwertgleichheit tritt im Verhältniswahlrecht die Erfolgswertgleichheit hinzu (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 98 f., m. w. N.; VerfGH NRW, a. a. O., Rn. 48).

69 Das Grundgesetz schreibt den Ländern kein bestimmtes Wahlsystem vor. Der Landesgesetzgeber ist bei der Wahl zwischen der Mehrheits- und der Verhältniswahl grundsätzlich frei. Es steht ihm auch zu, beide Wahlsysteme miteinander zu verbinden. Der weite Entscheidungsspielraum, den das Grundgesetz dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Wahlrechts einräumt, ist aber nicht unbeschränkt. Der Gesetzgeber ist vielmehr verpflichtet, das ausgewählte Wahlsystem ungeachtet verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten in seinen Grundelementen folgerichtig zu gestalten, und er darf keine strukturwidrigen Elemente einführen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 100, m. w. N.; vgl. zum Grundsatz der Folgerichtigkeit auch VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 77).

70 Das Wahlrecht muss den Wahlrechtsgrundsätzen entsprechen. Der Gesetzgeber ist bei der Gestaltung des Wahlrechts gehalten, die Gleichheit der Wahl innerhalb des jeweiligen Wahlsystems zu wahren. Er muss, wenn er sich für ein Wahlsystem entschieden hat, die im Rahmen des jeweiligen Systems geltenden Maßstäbe der Wahlgleichheit beachten (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 101, m. w. N.).

71 (2) Der Grundsatz der Wahlgleichheit unterliegt keinem absoluten Differenzierungsverbot. Allerdings folgt aus seinem formalen Charakter, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen verbleibt. Bei der Prüfung, ob eine Differenzierung innerhalb der Wahlrechtsgleichheit gerechtfertigt ist, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Differenzierungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Das bedeutet nicht, dass sich die Differenzierung als von Verfassungs wegen notwendig darstellen muss. Differenzierungen im Wahlrecht können vielmehr auch durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann. Hierzu zählen insbesondere die mit der Wahl verfolgten Ziele. Dazu gehört die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und, damit zusammenhängend, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 108 f., vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 87 f., und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 53 f.; Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 61 f.; VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 48 f.).

72 Differenzierende Regelungen müssen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein. Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich daher auch danach, mit welcher Intensität in das – gleiche – Wahlrecht eingegriffen wird (vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 110, vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 89, und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 55; Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 64; VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 48 f.). Die Frage, was der Sicherung der Funktionsfähigkeit dient und dafür erforderlich ist, kann nicht für alle zu wählenden Volksvertretungen einheitlich beantwortet werden, sondern bemisst sich nach den konkreten Funktionen des zu wählenden Organs. Zudem kommt es auf die konkreten Bedingungen an, unter denen die jeweilige Volksvertretung arbeitet und von denen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Funktionsstörungen abhängt (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 54, und Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 62).

73 (3) Kommunalwahlrechtliche Sperrklauseln hat das Bundesverfassungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen im Grundsatz für zulässig gehalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1957 – 2 BvF 3/56 –, BVerfGE 6, 104 = juris, Rn. 35 ff., zur seinerzeitigen 5 %-Sperrklausel in Nordrhein-Westfalen; Beschlüsse vom 12. Juli 1960 – 2 BvR 373, 442/60 –, BVerfGE 11, 266 = juris, Rn. 36, vom 6. Dezember 1961 – 2 BvR 399/61 –, BVerfGE 13, 243 = juris, Rn. 8, und vom 15. Februar 1978 – 2 BvR 134, 268/76 –, BVerfGE 47, 253 = juris, Rn. 52). Zur Rechtfertigung hat es insoweit der Sache nach bereits die nicht auszuschließende Möglichkeit einer durch parteipolitische Zersplitterung bewirkten Funktionsstörung der zu wählenden kommunalen Vertretungskörperschaft genügen lassen (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1957 – 2 BvF 3/56 –, BVerfGE 6, 104 = juris, Rn. 37, 42 f.).

74 In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an Sperrklauseln und deren verfassungsgerichtliche Kontrolle zunächst für die kommunale Ebene – insoweit als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein – und sodann auch für die Wahlen zum Europaparlament verschärft (vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 124 ff., vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 91 ff., und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –,BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 59 ff.; einen im Vergleich zu den früheren Entscheidungen restriktiveren Charakter attestieren der neueren Sperrklausel-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa auch Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 28 Rn. 66; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn. 101; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Stand der Kommentierung: Dezember 2014, Art. 28 Abs. 1 Rn. 105; offen gelassen von BVerfG, Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 75).

75 Danach sei es zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Verwirklichung der mit der Wahl verfolgten Ziele mit dem Gebot der Wahlgleichheit zum Ausgleich zu bringen. Die Verfassungsgerichte hätten diesen Spielraum zu achten. Sie könnten insbesondere nicht die Aufgabe des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren übernehmen und alle zur Überprüfung der in Rede stehenden Wahlrechtsbestimmung relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte selbst ermitteln und gegeneinander abwägen.

76 Der Einsatz einer Sperrklausel beruhe aber auf der Einschätzung des Gesetzgebers von der Wahrscheinlichkeit des Einzugs von Splitterparteien, dadurch zu erwartender Funktionsstörungen und deren Gewichts für die Aufgabenerfüllung der Volksvertretung. Bei dieser Prognoseentscheidung dürfe der Gesetzgeber zur Rechtfertigung des Eingriffs nicht allein auf die Feststellung der rein theoretischen Möglichkeit von Funktionsbeeinträchtigungen abstellen. Nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Vertretungsorgane aufgrund bestehender oder gegenwärtig verlässlich zu prognostizierender künftiger Umstände könnten eine Sperrklausel rechtfertigen. Bloße Erschwerungen in der Meinungsbildung aufgrund einer großen Zahl von Vertretern kleiner Parteien und Wählergruppen in einer Volksvertretung seien als notwendige Folge demokratischer Debatte und Kompromisssuche hinzunehmen.

77 In seiner Entscheidung zur 3 %-Sperrklausel bei der Europawahl hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass jedenfalls in Bezug auf Volksvertretungen, bei denen der Wahlrechtsgesetzgeber auf etwaige durch interne Zersplitterung bedingte Funktionsstörungen reagieren könne, der durch eine Sperrklausel bewirkte schwerwiegende Eingriff in die Wahlgleichheit nicht schon unter Aspekten der Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit gerechtfertigt sei, sondern nur bei konkret absehbaren Funktionsstörungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 63).

78 (4) Unabhängig von dieser veränderten materiellen Sichtweise, die teilweise auf Kritik gestoßen ist (vgl. die Sondervoten zu BVerfG, Urteile vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 147 ff., und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Sondervotum Rn. 5 ff.; Grzeszick, NVwZ 2014, 537 [538 ff.]; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Stand der Kommentierung: Dezember 2014, Art. 28 Abs. 1 Rn. 106), hatte der Verfassungsgerichtshof zuvor bereits prozedurale Voraussetzungen für die Einführung und fortlaufende Überprüfung von Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht in Bezug auf die frühere 5 %-Sperrklausel im Kommunalwahlgesetz konkretisiert (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 29. September 1994 – VerfGH 7/94 –, OVGE 44, 301 [312 ff.], und vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 64 ff.; ebenso für sonstige Zugangshürden VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 56 ff.).

79 Danach muss der Gesetzgeber für den Fall, dass er sich zur Rechtfertigung der Sperrklausel auf eine anderenfalls drohende Funktionsunfähigkeit der Kommunalvertretung beruft, für die dann zu erstellende Prognose alle in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht für die Einschätzung der Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanten Gesichtspunkte heranziehen und abwägen. Er darf sich nicht mit einer abstrakten, schematischen Beurteilung begnügen. Die Prognose muss vielmehr nachvollziehbar begründet und auf tatsächliche Entwicklungen gerichtet sein, deren Eintritt der Gesetzgeber ohne die in Rede stehende Wahlrechtsbestimmung konkret erwartet. Erst diese konkret zu erwartenden tatsächlichen Entwicklungen liefern die Grundlage für eine sich anschließende Bewertung als Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 65 ff., und vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 57).

80 Der Gesetzgeber darf nicht bei der Feststellung stehen bleiben, ohne Sperrklausel begünstige das Verhältniswahlrecht das Aufkommen kleinerer Parteien und Wählergruppen. Nicht ausreichend ist die daran anknüpfende und durchaus plausible Erwägung, dass es in aller Regel zu einer schwerfälligeren Meinungsbildung führt, wenn in einer Kommunalvertretung ein erweiterter Kreis von Fraktionen, Gruppen und Einzelmandatsträgern mitwirkt. Diese Schwerfälligkeit in der Meinungsbildung darf der Gesetzgeber nicht mit einer Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit gleichsetzen. Vielmehr sind weitergehende Feststellungen zu treffen, bevor die Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungskörperschaften als gefährdet angesehen werden kann. Denn Demokratie setzt das Aufeinandertreffen verschiedener Positionen und das Finden von Kompromissen voraus. Nicht jeder Konflikt und nicht jede politische Auseinandersetzung in den Kommunalvertretungen kann als Störung der Funktionsfähigkeit angesehen werden (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 71, und vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 58).

81 bb) Die in Bezug auf einfachgesetzliche Sperrklauseln entwickelten Maßstäbe sind auch an eine unmittelbar in der Landesverfassung geregelte Sperrklausel anzulegen (vgl. in diesem Sinne auch VerfGH Berlin, Beschluss vom 17. März 1997 – 82/95 –, LKV 1998, 147 = juris, Rn. 10, zur verfassungsunmittelbaren 5 %-Sperrklausel für Abgeordnetenhauswahlen; NdsStGH, Beschluss vom 15. April 2010 – StGH 2/09 –, NdsVBl. 2011, 77 = juris, Rn. 25 f., zur verfassungsunmittelbaren 5 %-Sperrklausel für Landtagswahlen; Barczak, NWVBl. 2017, 133 [136 ff.]; Dietlein, Kommunale Sperrklauseln durch Verfassungsänderung? Das Grundgesetz sitzt immer am längeren Hebel, Legal Tribune Online, 28. August 2014, http://www.lto.de/persistent/a_id/13022/ [abgerufen am 8. Mai 2017]; vgl. im Rahmen der Landtagsanhörung zum Kommunalvertretungsstärkungsgesetz auch Oebbecke, Stellungnahme 16/3334, S. 4 f.; Wißmann, Stellungnahme 16/3313, S. 4; a. A. Gärditz, Stellungnahme 16/3340, S. 3 f.; Gusy, Stellungnahme 16/3302, S. 19; vgl. hingegen auch noch BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1972 – 2 BvR 912/71 –, BVerfGE 34, 81 = juris, Rn. 52: Begründung der Zulässigkeit der im rheinland-pfälzischen Landeswahlgesetz normierten Sperrklausel nicht mit der entsprechenden Ermächtigung in der Landesverfassung [Art. 80 Abs. 4 LV Rhl.-Pflz.], sondern unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Sperrklauseln aus zwingenden Gründen).

82 Die Länder haben dem Verfassungsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bei der Regelung des Wahlrechts zu genügen. Dabei sind sie an die fünf Wahlrechtsgrundsätze gebunden (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Juli 1998 – 2 BvR 1953/95 –, BVerfGE 99, 1 = juris, Rn. 30, 45 f.). Auf welcher Ebene der landesrechtlichen Normenhierarchie sie das Wahlrecht regeln, ist für Geltung und Direktionskraft der Wahlrechtsgrundsätze ohne Belang. Verpflichtungsadressaten der Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG sind die Länder. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG muss ihre „verfassungsmäßige Ordnung“ und damit insbesondere die jeweilige Landesverfassung den dort genannten Grundsätzen entsprechen (vgl. zum Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ etwa Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 28 Rn. 51; Mann, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: April 2016, Art. 28 Rn. 23, 28, jeweils m. w. N.). Das demokratische Prinzip konkretisierend verlangt Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gemäß den fünf Wahlrechtsgrundsätzen gewählte Volksvertretungen, also ein bestimmtes Ergebnis. Aus Sicht des Grundgesetzes ist dieses Ergebnis, nämlich eine für alle Gebietskörperschaften auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland einheitliche demokratische Legitimationsgrundlage (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990 – 2 BvF 2, 6/89 –, BVerfGE 83, 37 = juris, Rn. 60), entscheidend. Dafür kommt es nicht auf den formellen Rang des jeweiligen Wahlrechts als einfaches Landesgesetz oder Landesverfassungsrecht, sondern auf seinen Inhalt an. Unterlägen die Länder unterschiedlich weitreichenden Bindungen in Abhängigkeit davon, ob sie ihr Wahlrecht durch einfaches Gesetz oder unmittelbar in ihrer Verfassung regeln, wäre die von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bezweckte Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage nicht gewährleistet.

83 Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner darauf, spezifisch verfassungsgesetzliche Ausgestaltungsspielräume der Länder, denen gegenüber auch die Auslegung von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG „sensibel“ zu sein habe, ergäben sich daraus, dass die durch Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG errichteten Schranken der Verfassungsautonomie der Länder, solle nicht an der Idee des Bundesstaates gerührt werden, nicht wesentlich enger gezogen sein könnten als jene, die Art. 79 Abs. 3 GG für Änderungen des Grundgesetzes vorsehe (vgl. in diesem Sinne auch die Entwurfsbegründung, LT-Drs. 16/9795, S. 21 f.; Roth, Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer 3 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen durch Verfassungsänderung, insbesondere für das Land Nordrhein-Westfalen, 2015, S. 106 ff.). Zwar hat auch der Verfassungsgerichtshof befunden, der Bund könne und müsse seinen Gliedern nur vorschreiben, was – wie insbesondere die nach Art. 79 Abs. 3 GG änderungsfesten Grundsätze der Art. 1 und 20 GG – für ihn selbst unabdingbare Grundlage der Art und Form seiner politischen Existenz sei (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 18. Februar 2009 – VerfGH 24/08 –, OVGE 51, 310 = juris, Rn. 45). Diese Aussage war jedoch auf Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG bezogen (vgl. dazu auch noch unter II.2.). Die speziellen Homogenitätsvorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, durch die das Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes eine konkrete inhaltliche Ausformung erfährt, können nicht durch allgemeine Erwägungen zum Verhältnis von Zentralstaat und Gliedstaaten in einem Bundesstaat überspielt werden. Hinsichtlich des demokratischen Prinzips belässt es die durch das Grundgesetz errichtete föderale Ordnung gerade nicht bei einer Bindung der Länder an bloße „Grundsätze“ der Verfassung des Bundes. Konkret verlangt sind vielmehr Volksvertretungen in den Ländern, Kreisen und Gemeinden, die aus Wahlen hervorgegangen sein müssen, die denselben Wahlrechtsgrundsätzen zu genügen haben, wie sie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für die Wahlen zum Deutschen Bundestag vorschreibt.

84 Für einen im Vergleich zum einfachen Gesetzgeber größeren Gestaltungsspielraum des verfassungsändernden Gesetzgebers bzw. eine ihm gegenüber verminderte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte lässt sich auch nicht mit Erfolg anführen, das für Verfassungsänderungen geltende Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit (Art. 69 Abs. 2 LV) bewirke eine gesteigerte demokratische Legitimation und gewährleiste zugleich einen hohen verfassungsrechtlichen Schutz gegen missbräuchliches Agieren der Parlamentsmehrheit bei der Ausgestaltung des Wahlrechts (so aber Roth, Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer 3 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen durch Verfassungsänderung, insbesondere für das Land Nordrhein-Westfalen, 2015, S. 107 f.; Berufung auf eine besondere demokratische Legitimation des verfassungsändernden Gesetzgebers auch in der Entwurfsbegründung, LT-Drs. 16/9795, S. 21 f.). Denn auch bei qualifiziertem Mehrheitserfordernis besteht die Gefahr, dass die jeweilige (qualifizierte) Parlamentsmehrheit sich bei der Wahlgesetzgebung statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt. Eine kommunalwahlrechtliche Sperrklausel könnten die im Landesparlament vertretenen Parteien einführen, um die Konkurrenz durch kleinere Parteien und kommunale Wählergemeinschaften möglichst klein zu halten. Diese Gefahr ist der Grund für die strikte verfassungsgerichtliche Kontrolle der Ausgestaltung des Wahlrechts (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 125). Sie besteht – allenfalls graduell gemindert – auch bei einer mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossenen Sperrklausel.

85 Anders als der Antragsgegner unter Verweis auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates meint und in Parallelverfahren näher ausgeführt hat, ist das „Schweigen des Grundgesetzes“ zu wahlrechtlichen Sperrklauseln (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 – 2 BvE 1/52 –, BVerfGE 1, 208 = juris, Rn. 136) kein beredtes Schweigen dahingehend, die Länder könnten die Frage der Zulässigkeit von Sperrklauseln durch eine entsprechende Regelung in der jeweiligen Landesverfassung positiv klären, ohne dabei an in der Rechtsprechung zum Grundsatz der Gleichheit der Wahl entwickelte Maßstäbe gebunden zu sein. Für eine derartige implizite Ausnahme von den Anforderungen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gibt es keine Anhaltspunkte. Die Auffassung des Antragsgegners, die im Parlamentarischen Rat geführte Debatte enthalte „positive Aussagen zugunsten der Möglichkeit, jederzeit Sperrklauseln auf der Ebene des Grundgesetzes, aber auch der Länderverfassungen regeln zu können“, findet, jedenfalls was die Länderverfassungen angeht, in seinen weiteren Ausführungen keine Stütze. Die von ihm zitierten Äußerungen der Abgeordneten Seebohm, Katz und Renner in der 48. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 9. Februar 1949 (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 14, Teilband II, 2009, S. 1527 f.) bezogen sich auf die Möglichkeit, durch Verfassungsänderung auf Bundesebene Sperrklauseln verfassungsrechtlich abzusichern. Der Antragsgegner stellt selbst ausdrücklich fest, dass sich der Parlamentarische Rat über eine verfassungsunmittelbare Sperrklausel „nur für den Kompetenzbereich des Bundes Gedanken gemacht“ habe – ein insoweit diskutierter Vorschlag einer Sperrklausel-Ermächtigung zugunsten des Bundeswahlgesetzgebers wurde letztlich abgelehnt (vgl. JöR n. F., Bd. 1 [1951], S. 349 ff.) –, dass hingegen „in den Diskussionen des Parlamentarischen Rates um die Wahlgrundsätze im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG … die Option einer Sperrklausel-Ermächtigung nicht“ aufgetaucht sei, man sich insbesondere „zu Sperrklauseln im Kommunalwahlrecht … keine Gedanken gemacht“ habe.

86 Nicht tragfähig ist der Hinweis des Antragsgegners auf eine Äußerung des Abgeordneten Walter in der 2. Sitzung des Hauptausschusses am 11. November 1948 (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 14, Teilband I, 2009, S. 23 f.). Dieser hatte im Zuge der Diskussion um die Aufnahme einer Sperrklausel-Ermächtigung zugunsten des Bundeswahlgesetzgebers zur Rechtsentwicklung in der Weimarer Zeit ausgeführt, dass, nachdem der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich eine Sperrklausel des Württembergischen Wahlgesetzes verworfen habe (vgl. StGH, Entscheidung vom 22. März 1929– StGH 7/28 –, RGZ 124, 1* ff.), eine solche später unmittelbar in die Landesverfassung Württembergs aufgenommen worden sei. Diese einzelne und lediglich berichtende – und überdies, was eine spätere verfassungsunmittelbaren Regelung in Württemberg anbelangt, wohl sachlich unzutreffende (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Bd. 14, Teilband I, 2009, S. 24 in Fn. 62) – Äußerung trägt nicht den daraus vom Antragsgegner gezogenen Schluss, der Parlamentarische Rat sei „also davon … [ausgegangen], dass eine gegebenenfalls strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Sperrklauseln gegenstandslos würde durch hierauf reagierende landesverfassungsgesetzliche Regelungen“.

87 Ebenso wenig verfängt das Argument des Antragsgegners, der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich habe in besagter Entscheidung die von ihm zur Wahlrechtsgleichheit der Reichsverfassung (Art. 17 Abs. 1 WRV) entwickelten Grundsätze unter den Vorbehalt abweichenden Landesverfassungsrechts gestellt. Selbst wenn dies zuträfe und sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates dessen bewusst gewesen sein sollten, ergäbe sich daraus noch keine positive Entscheidung zugunsten eines entsprechenden Spielraums der Länder unter dem Grundgesetz. Nach dem eigenen Vorbringen des Antragsgegners wurde die Frage im Parlamentarischen Rat gerade nicht erörtert.

88 3. Nach diesen Maßstäben ist die 2,5 %-Sperrklausel des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV mit Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar, soweit sie für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage gilt (im Ergebnis ebenso Barczak, NWVBl. 2017, 133 [134 ff.]; ohne Beschränkung auf Gemeinderats- und Kreistagswahlen auch Kramer/Bahr/Hinrichsen/Voß, DÖV 2017, 353 [360 f.]).

89 a) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner darauf, in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV liege eine losgelöst von den für einfachgesetzliche Sperrklauseln geltenden Maßstäben zulässige Ausgestaltung der Wahlgleichheit in Form einer verfassungsrechtlichen Systementscheidung zugunsten eines Verhältniswahlsystems mit Sperrklausel, d. h. eines Mischmodells des Ausgleichs zwischen Proportionalität und Funktionalität.

90 Diese Sichtweise ist mit den sich aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden, durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV in das Landesverfassungsrecht vermittelten Bindungen des verfassungsändernden Gesetzgebers nicht vereinbar. Zwar lässt das Grundgesetz, wie dargelegt, dem Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Entscheidungsspielraum bei der Ausgestaltung des Wahlrechts. Es überlässt ihm insbesondere die Wahl zwischen der Mehrheits- und der Verhältniswahl oder einer Verbindung beider Wahlsysteme. Es verlangt aber Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit. Der Gesetzgeber muss, wenn er sich für ein Wahlsystem entschieden hat, die im Rahmen des jeweiligen Systems geltenden Maßstäbe der Wahlgleichheit beachten. Eine Sperrklausel ist eine spezifisch auf das Verhältniswahlsystem bezogene Regelung (vgl. Krüper, ZRP 2014, 130 [132]). Ob deshalb in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV zugleich eine implizite verfassungsrechtliche Festlegung auf das Verhältniswahlsystem gesehen werden muss, kann dahinstehen. Die Regelung setzt zumindest eine einfachgesetzlich getroffene Entscheidung für ein nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gestaltetes Wahlsystem, in dem sie wirksam werden kann, voraus. Damit muss sie sich aber an den im Rahmen des Verhältniswahlsystems geltenden Maßstäben der Wahlgleichheit messen lassen. Die von ihr bewirkte Beeinträchtigung der im Verhältniswahlrecht grundsätzlich gebotenen Erfolgswertgleichheit aller Stimmen bedarf somit der Rechtfertigung durch einen „zwingenden“ Grund.

91 b) Zum Vorliegen dieser Voraussetzung hat der landesverfassungsändernde Gesetzgeber keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

92 Ausweislich der Entwurfsbegründung liegt der Regelung die gesetzgeberische Erwartung einer durch den Einzug zahlreicher kleinerer Parteien und Wählervereinigungen bedingten Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen zugrunde [vgl. LT-Drs. 16/9795, S. 1 f., 16 ff.; dazu aa)]. Daneben solle die Sperrklausel zur Sicherung der Integrationsfunktion der Wahlen verhindern, dass kleine und kleinste Gruppierungen die Rolle von Mehrheitsbeschaffern oder-verhinderern einnähmen, die ihnen, gleichsam als „Zünglein an der Waage“, einen gemessen am Wahlerfolg weit überproportionalen Einfluss verschaffe [vgl. a. a. O., S. 2, 19; dazu bb)]. Darüber hinaus sorge eine landesweit einheitliche Sperrklausel in Höhe von 2,5 % für eine Einebnung interkommunaler Unterschiede in den faktischen Sperrklauseln und somit für eine höhere Chancengleichheit der Wähler insgesamt [vgl. a. a. O., S. 3, 23; dazu cc)].

93 Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV ist, soweit er für Gemeinderats- und Kreistagswahlen gilt, unter keinem dieser Gesichtspunkte gerechtfertigt.

94 aa) Dass die Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage erforderlich ist, hat der Antragsgegner weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Rahmen des Organstreitverfahrens in der gebotenen Weise deutlich gemacht.

95 (1) Nach übereinstimmender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs ist es Sache des Gesetzgebers – nicht des Gerichts –, alle zur Einschätzung der Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanten Gesichtspunkte heranzuziehen und abzuwägen und seine Prognose künftiger Funktionsstörungen nachvollziehbar zu begründen (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 124, vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 91, und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 59; VerfGH NRW, Urteile vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 65, 86, und vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 55).

96 (2) Die vorliegend angestellte gesetzgeberische Prognose wird dem nicht gerecht. Sie entbehrt einer tragfähigen, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständigen Grundlage. Auch ist ihre Begründung nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar.

97 In der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs ist von „abstrakten und konkreten Gefährdungen der Funktionsfähigkeit der Räte und Kreistage“ (vgl. LT-Drs. 16/9795, S. 2) sowie davon die Rede, eine fortschreitende parteipolitische Zersplitterung der Kommunalvertretungen führe zu „konkreten Funktionsbeeinträchtigungen und zumindest abstrakten Gefahren für ihre Funktionsfähigkeit“ bzw. zu „konkreten Erschwerungen ihrer Arbeit und … zumindest abstrakten Gefährdungen ihrer Funktionsfähigkeit“ (vgl. a. a. O., S. 19). In bestimmten Einzelfällen drohe „sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der kommunalen Vertretung“ (a. a. O., S. 1). Auch in der öffentlichen Anhörung im Gesetzgebungsverfahren ist der Aspekt der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen behandelt worden.

98 Die insoweit jeweils getroffenen Feststellungen und angestellten Erwägungen genügen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit der gesetzgeberischen Prognose relevanter Funktionsstörungen.

99 (a) Zu den für diese Prognose bedeutsamen und deshalb vom Gesetzgeber heranzuziehenden und abzuwägenden Gesichtspunkten zählt unter den gegebenen Umständen insbesondere die Entwicklung der Verhältnisse in den kommunalen Vertretungsorganen des Landes nach dem Wegfall der früheren 5 %-Sperrklausel. Seit deren Streichung im Jahr 1999 haben bis heute vier Kommunalwahlen stattgefunden. Damit liegen konkrete und grundsätzlich aussagekräftige Erfahrungen vor, wie sich das Fehlen einer Sperrklausel unter den rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen, wie sie in Nordrhein-Westfalen herrschen, auswirkt. Diese Erfahrungen sind bei der prognostischen Abschätzung der künftigen Entwicklung maßgeblich zu berücksichtigen.

100 Die Relevanz auch der Erfahrungen in anderen Bundesländern, deren Kommunalwahlrecht keine Sperrklausel kennt (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 66 f.; ebenso BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 144), entfällt damit nicht. Das gilt zumindest insoweit, als bestimmte Entwicklungen für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen zwar befürchtet werden, nach dem Wegfall der 5 %-Sperrklausel aber (noch) nicht eingetreten sind. Die einschlägigen Erfahrungen in anderen Ländern mit ähnlicher Kommunalverfassung aber – teils seit Jahrzehnten – ohne kommunalwahlrechtliche Sperrklausel sind vom Gesetzgeber zu erheben und auszuwerten.

101 (b) Die Gesetzesbegründung erschöpft sich im Wesentlichen in abstrakten, schematischen Erwägungen zu möglichen negativen Folgen einer Zersplitterung der Kommunalvertretungen. Dass es nach dem Wegfall der 5 %-Sperrklausel durch eine gestiegene Zahl von Kleingruppen und Einzelmandatsträgern zu Funktionsstörungen kommunaler Volksvertretungen oder zumindest zu Entwicklungen gekommen wäre, die Funktionsstörungen möglicherweise zur Folge haben könnten, wird zwar behauptet, nicht aber in nachvollziehbarer Weise anhand konkreter empirischer Befunde belegt.

102 (aa) Mitgeteilt werden Daten zur Entwicklung der Zahl der Zweier-Gruppierungen und Einzelmandatsträger in den Räten der kreisfreien Städte und größeren Kreistage, die wegen der insoweit geltenden Fraktionsmindeststärke von drei Mitgliedern (§ 56 Abs. 1 Satz 2 GO NRW, § 40 Abs. 1 Satz 2 KrO NRW) sowie niedrigen faktischen Sperrklauseln in diesen Kommunen aussagekräftig sei (vgl. LT-Drs. 16/9795, S. 12 f.). Die Zahl habe sich nach dem Wegfall der 5 %-Sperrklausel mit jeder Kommunalwahl erhöht. Nach der Wahl 2014 seien in nahezu allen Volksvertretungen der kreisfreien Städte und Kreise fraktionsunfähigeZweier-Gruppierungen und/oder Einzelmandatsträger vertreten, in den meisten dieser Kommunalvertretungen sogar mehrere davon (vgl. a. a. O., S. 13).

103 Konkrete Beispiele für hierdurch in der kommunalen Praxis bewirkte Funktionsstörungen oder -gefährdungen werden nicht benannt. Das gilt insbesondere auch für die eingangs der Gesetzesbegründung angesprochenen „bestimmten Einzelfälle“, in denen „sogar die faktische Handlungs- und Funktionsunfähigkeit der kommunalen Vertretung“ drohe (vgl. a. a. O., S. 1).

104 (bb) Lediglich allgemein wird darauf verwiesen, die Bildung stabiler Mehrheiten, derer es für eine gemeinwohlorientierte, konsistente Haushalts-, Sach- und Personalpolitik bedürfe, werde erschwert (vgl. a. a. O., S. 17 f.). Auf welche empirischen Daten sich diese Einschätzung stützt, wird nicht mitgeteilt. Es lässt sich nicht nachvollziehen, ob und gegebenenfalls in wie vielen Kommunen das befürchtete Problem tatsächlich besteht und ob es gerade auch durch das vermehrte Aufkommen von Kleingruppen und Einzelmandatsträgern verursacht wird.

105 Ob einem in der Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang angeführten faktischen Zwang zur Bildung Großer Koalitionen (vgl. a. a. O., S. 2, 18) überhaupt in verfassungsrechtlich legitimer Weise entgegengewirkt werden und in der Folge diese – offenbar weithin nach wie vor bestehende – Möglichkeit der Bildung stabiler Mehrheiten bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Sperrklausel außer Betracht bleiben dürfte, erscheint zweifelhaft. Dem muss indes nicht nachgegangen werden. Denn auch insoweit ist die gesetzgeberische Einschätzung nicht durch empirische Daten unterfüttert. Daher ist insbesondere auch nicht erkennbar, ob ein etwaiger faktischer Zwang zur Koalitionsbildung zwischen zwei oder mehreren größeren Fraktionen mit der Einführung einer 2,5 %-Sperrklausel voraussichtlich entfiele oder jedenfalls in nennenswertem Umfang gemindert würde, diese insoweit also überhaupt geeignet wäre. Das ist jedenfalls nicht offenkundig.

106 Im Übrigen kann die mit dem Einzug einer größeren Zahl von Fraktionen, Gruppen oder Einzelmandatsträgern regelmäßig verbundene Erschwerung der Meinungsbildung, auch was etwaige auf die jeweilige Wahlperiode oder sonst längerfristig angelegte Koalitionsbildungen angeht, nicht mit einer Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit gleichgesetzt werden. Für über bloße Erschwerungen hinausgehende Beeinträchtigungen der Entscheidungsfähigkeit der Kommunalvertretungen ist der Gesetzesbegründung nichts Konkretes zu entnehmen.

107 (cc) Das gilt auch, soweit darauf abgestellt wird, die stark gestiegene Zahl von Einzelmandatsträgern und nicht fraktionsfähigen Gruppen behindere und erschwere die Arbeit der Gemeinderäte und Kreistage teils erheblich, etwa wegen der Schwierigkeit der Auslagerung eines Teils der Arbeit in Ausschüsse sowie wegen des Rede- und Antragsrechts im Plenum mit der Folge einer zeitlichen Überbeanspruchung der ehrenamtlich tätigen Rats- und Kreistagsmitglieder (vgl. a. a. O., S. 17).

108 Auch insoweit fehlt es bereits an nachvollziehbaren empirischen Daten. Insbesondere ist nicht erkennbar, in welchem Umfang etwaige Erschwerungen der Arbeitsabläufe oder überlange Sitzungszeiten gerade durch das Agieren nicht fraktionsfähiger Kleingruppen oder Einzelmandatsträger verursacht werden und ob dem gegebenenfalls nicht auch schon mit anderen Instrumenten begegnet werden könnte, etwa im Rahmen der Entscheidung über die Zusammensetzung der Ausschüsse (§ 58 Abs. 1 GO NRW; § 41 Abs. 3 KrO NRW), die Ausgestaltung der Geschäftsordnung oder (des Umfangs) der Tagesordnungen (§ 48 Abs. 1 GO NRW; § 41 Abs. 1 KrO NRW).

109 (dd) Die in der Gesetzesbegründung angestellten Erwägungen zu Besonderheiten der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Bundesländern (vgl. LT-Drs. 16/9795, S. 14 ff.) bilden ebenfalls keine tragfähige Grundlage für eine nachvollziehbare, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Prognose konkret zu erwartender tatsächlicher Entwicklungen.

110 Dies gilt zunächst für die anhand politikwissenschaftlicher Begriffskategorien erfolgende Charakterisierung der kommunalen Entscheidungsstrukturen als „Konkurrenzdemokratie“. Danach seien die Kommunen des Landes insbesondere infolge ihrer im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlichen Größen und der weiterhin starken Stellung der Kommunalvertretungen gegenüber der direkt gewählten Verwaltungsspitze überwiegend konkurrenzdemokratisch strukturiert. Darin liege ein Unterschied zu konkordanzdemokratischen, durch eine dominierende Stellung des Bürgermeisters und geringere Parteipolitisierung gekennzeichneten Entscheidungsprozessen, wie sie etwa in Baden-Württemberg anzutreffen seien.

111 Diese abstrakten Erwägungen lassen schon nicht erkennen, welche tatsächlichen Entwicklungen der Gesetzgeber deshalb ohne Sperrklausel konkret erwartet. Die Gesetzesbegründung beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die Schlussfolgerung, dass die überwiegend konkurrenzdemokratische Strukturierung der nordrhein-westfälischen Kommunen „erhebliche Probleme für die Funktionsfähigkeit der kommunalen Organe bei einer zunehmenden Fragmentierung der Räte erwarten“ lasse (vgl. a. a. O., S. 15). Gegenstand der gesetzgeberischen Prognose ist aber nicht die Funktionsunfähigkeit als solche, sondern sind konkret zu erwartende tatsächliche Entwicklungen als Grundlage für eine sich anschließende Bewertung als Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 68).

112 Darüber hinaus fehlt es (auch) insoweit an einer hinreichenden Auswertung der tatsächlichen Entwicklung nach Wegfall der früheren 5 %-Sperrklausel im Jahr 1999. Mittlerweile liegen über einen namhaften Zeitraum hinweg gewonnene Erfahrungswerte dazu vor, wie sich das Fehlen einer Sperrklausel unter den kommunalpolitischen Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen konkret auswirkt. Diese Erfahrungswerte sind in die Prognose einzustellen. Das ist im Rahmen der Gesetzesbegründung nur unzureichend geschehen, indem – wie bereits ausgeführt – lediglich ein Anstieg der Zahl der Zweier-Gruppierungen und Einzelmandatsträger in den Räten der kreisfreien Städte und größeren Kreistage aufgezeigt wird, nicht aber konkrete Auswirkungen, die sich daraus in der praktischen Arbeit der Kommunalvertretungen ergeben haben und gegebenenfalls den Schluss auf bereits eingetretene oder künftig zu erwartende Funktionsstörungen tragen würden.

113 Im Übrigen sind die behaupteten Besonderheiten auch nicht in jeder Hinsicht plausibel herausgearbeitet. So wird dafür, dass konkordanzdemokratische Muster eher in baden-württembergischen Kommunen dominierend seien, während die Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen konkurrenzdemokratisch geprägt sei, auf eine Zusammenschau aller seit 1945 vorgelegten empirischen Untersuchungen zur repräsentativen Demokratie auf kommunaler Ebene verwiesen (vgl. LT-Drs. 16/9795, S. 15). Insoweit bleibt die sich aufdrängende Frage unbeantwortet, ob nicht mit der zwischenzeitlichen Annäherung der nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung an jene der süddeutschen Länder, insbesondere mit der 1994 eingeführten Direktwahl der Bürgermeister und Landräte, eine wesentliche Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen eingetreten ist. Im Hinblick auf Wahl und kontinuierliche Unterstützung der Verwaltungsspitze ist ein – konkurrenzdemokratisches – Agieren in festen parteipolitischen Blöcken jedenfalls nicht mehr zwingend erforderlich. Deshalb ist es ohne nähere Begründung hierzu nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass ein auch auf ältere empirische Untersuchungen gestützter Befund noch den aktuellen Verhältnissen entspricht.

114 Wenn in diesem Zusammenhang auf eine „weiterhin … relativ starke formale Stellung des Kommunalparlaments gegenüber der direkt gewählten Bürgermeisterin bzw. dem direkt gewählten Bürgermeister“ verwiesen wird (vgl. a. a. O.), ist auch damit ein für die hier in Rede stehende Frage wesentlicher Unterschied zu der Kommunalverfassung der – seit Jahrzehnten ohne Sperrklausel auskommenden – süddeutschen Länder nicht plausibel herausgearbeitet. Im Grundsatz der Allzuständigkeit des Rates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 GO NRW), der damit angesprochen sein dürfte, unterscheidet sich die nordrhein-westfälische Gemeindeverfassung zwar im Ansatz von der dualistisch strukturierten süddeutschen Kommunalverfassung (vgl. dazu bereits VerfGH NRW, Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 79). In dieser sind dem Bürgermeister die Geschäfte der laufenden Verwaltung als eigene Angelegenheiten zugewiesen (vgl. §§ 24 Abs. 1, 44 Abs. 2 Satz 1 GemO BW, Art. 29 Abs. 1, 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO). In Nordrhein-Westfalen ist der Bürgermeister zwar auch für die Geschäfte der laufenden Verwaltung zuständig. Sie gelten aber nur im Namen des Rates als auf ihn übertragen; der Rat hat ein Rückholrecht (§ 41 Abs. 3 GO NRW). Hierzu hat der Verfassungsgerichtshof indes bereits in Bezug auf die frühere 5 %-Sperrklausel festgestellt, dass sich der Gesetzgeber darüber zu vergewissern hat, welche Bedeutung dieses Rückholrecht in der Praxis, also der für das Wahlrecht maßgeblichen „Verfassungswirklichkeit“ hat, ob und inwieweit mithin die Arbeit der Kommunalvertretungen von („zurückgeholten“) Geschäften der laufenden Verwaltung geprägt wird und, darüber hinaus, warum gerade hierin ein im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanter Unterschied zu den süddeutschen Ländern liegen soll (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 79). Dies ist hier nicht geschehen.

115 (c) Auch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens sind die behaupteten Funktionsstörungen der Kommunalvertretungen nicht in der gebotenen Weise verdeutlicht worden.

116 (aa) Das gilt insbesondere für das als Stellungnahme 16/3348 vorgelegte, im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion erstellte politikwissenschaftliche Gutachten von Bogumil u. a. Das Gutachten stellt anhand umfangreichen Zahlenmaterials ausführlich dar, dass seit 1999 in den Kommunen des Landes, insbesondere in den Groß- und Mittelstädten sowie den Kreisen, sowohl die absolute Zahl der in den Räten und Kreistagen vertretenen Parteien, Wählervereinigungen und Einzelbewerber als auch die Fragmentierung der Kommunalvertretungen deutlich zugenommen habe (vgl. a. a. O., S. 18 ff.). Auf der Grundlage einer Auswertung der in den Ratsinformationssystemen dokumentierten Sitzungszeiten sowie einer Befragung der Bürgermeister von Städten und Gemeinden mit mehr als 25.000 Einwohnern sowie sämtlicher Landräte des Landes stellen die Gutachter u. a. fest, dass schon bei durchschnittlicher Fragmentierung stetig wechselnde Mehrheiten und mündliche Absprachen stark an Bedeutung gewönnen. Zugleich gebe es aber auch häufiger eine dauerhafte Zusammenarbeit einzelner Fraktionen auf der Grundlage schriftlicher Vereinbarungen (vgl. a. a. O., S. 41). Eine überdurchschnittliche Fragmentierung der Volksvertretung erschwere die Mehrheitsfindung (vgl. a. a. O., S. 44 f.). Mit zunehmender Fragmentierung steige zudem der Zeit- und Arbeitsaufwand der Volksvertreter, da sich Sitzungszeiten verlängerten und sich die Anzahl der Tagesordnungsanträge und Anfragen vermehre (vgl. a. a. O., S. 46 ff.). Nach mehrheitlicher Einschätzung der befragten Bürgermeister seien Kleinstfraktionen, fraktionsunfähige Gruppen und fraktionslose Ratsmitglieder in alle Regel weniger informiert und kaum koalitionsfähig (vgl. a. a. O., S. 54 ff.). Knapp die Hälfte der Bürgermeister von Kommunen mit überdurchschnittlich hoher Fragmentierung des Rates stimmten der Aussage zu, die Vertreter von Kleinstfraktionen und Gruppen sowie Fraktionslose reizten die Festsetzungen der Geschäftsordnung (Redezeit/Wortmeldungen) unnötig aus (vgl. a. a. O., S. 57). In den Kreisen seien diese Befunde weniger stark ausgeprägt, doch zeigten sich auch hier entsprechende Tendenzen (vgl. a. a. O., S. 62 ff.).

117 Der daraus von den Gutachtern gezogene Schluss, in vielen Kommunen des Landes, insbesondere in den Großstädten, z. T. aber auch in den Mittelstädten, sei die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen mittlerweile erheblich beeinträchtigt bzw. gestört (vgl. a. a. O., S. 76), mag auf der Grundlage eines bestimmten politikwissenschaftlichen Verständnisses funktionsgerechter Beratungs- und Entscheidungsabläufe innerhalb der Kommunalvertretungen selbst sowie in ihrem Zusammenwirken mit den kommunalen Hauptverwaltungsbeamten gerechtfertigt sein. Eine verfassungsrechtlich erhebliche Funktionsstörung zeigt das Gutachten hingegen nicht auf. Ungeachtet dessen, dass die Befunde im Wesentlichen auf einer Befragung von Bürgermeistern und Landräten und mithin auf deren subjektiven Einschätzungen und Bewertungen beruhen, belegt das Gutachten allenfalls – wenig überraschend – eine mit zunehmender Heterogenität der Zusammensetzung der Kommunalvertretungen einhergehende Erschwerung der Meinungsbildung. Darüber hinausgehende Störungen der Beratungs- und Entscheidungsabläufe, Entscheidungsausfälle oder mit den Mitteln der Geschäftsordnung nicht mehr beherrschbare übermäßige Verzögerungen der Entscheidungsfindung werden hingegen nicht aufgezeigt.

118 (bb) Entsprechendes gilt für die Stellungnahmen von Kommunalpolitikern im Rahmen der öffentlichen Anhörung, in denen insbesondere eine übermäßige Verlängerung der Dauer von Sitzungen beklagt wurde. Insoweit ist nicht nachvollziehbar dargetan, ob es sich um ein über einzelne Ratssitzungen, insbesondere solche mit besonders komplexen Beratungsgegenständen wie etwa dem Haushalt, hinausgehendes generelles Problem in den betreffenden Kommunen handelt. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit dieses Problem gegebenenfalls gerade durch Einzelmandatsträger und Kleingruppenvertreter verursacht ist und ob alternative Instrumente zur zeitlichen Straffung der Arbeitsabläufe erfolglos geblieben sind. Darüber hinaus hätte der Gesetzgeber der Frage nachgehen müssen, ob sich auch in anderen Kommunen vergleichbare Probleme stellen. Drohen Funktionsstörungen nur in einzelnen Kommunalvertretungen, muss die Sperrklausel gegen die Bedeutung der Wahl- und Chancengleichheit für alle Kommunalvertretungen abgewogen werden (VerfGH NRW, Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14, 15/98 –, OVGE 47, 304 = juris, Rn. 72).

119 Kein tragfähiger Beleg für verfassungsrechtlich relevante Störungen der Funktionsfähigkeit auch nur einzelner Kommunalvertretungen ist die von dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung zitierte Äußerung eines Vertreters des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen in der öffentlichen Anhörung. Dieser hatte erklärt (vgl. APr 16/1139, S. 93), es werde „in Einzelfällen … an die Geschäftsstelle herangetragen, dass Mehrheiten wiederholt nicht zustande kommen, also über Monate immer wieder Sitzungen anberaumt werden und sich über Monate keine Mehrheiten finden, um den Haushalt zu verabschieden.“ Es habe „in Einzelfällen … durchaus, wenn auch nicht die Auflösung des Rates, aber immerhin den Beauftragten gegeben, der von der Kommunalaufsicht eingesetzt worden ist, weil vor Ort offensichtlich die notwendigen politischen Beschlüsse nicht gefasst worden sind.“ Um welche konkreten „Einzelfälle“ es sich dabei handeln soll, bleibt unklar. Dem nachzugehen, wäre Sache des Gesetzgebers gewesen. Dies ist unterblieben. Deshalb ist auch nicht nachvollziehbar, inwieweit die geschilderten Probleme gegebenenfalls auf einer parteipolitischen Zersplitterung der jeweiligen Kommunalvertretungen beruhen, zumal der Vertreter des Städte- und Gemeindebundes in der zitierten Äußerung zugleich eingeräumt hatte, es möge „da … auch noch andere politische Hintergründe geben“, das habe „auch mit dem Stärkungspakt zu tun“.

120 bb) Die Sperrklausel in Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV lässt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, sie diene der Integration des Wahlvolkes, indem sie verhindere, dass Vertreter kleiner Parteien und Wählervereinigungen oder Einzelbewerber einen gemessen am Wahlerfolg weit überproportionalen Einfluss auf Entscheidungen erlangen.

121 (1) Dem steht schon im Ansatz entgegen, dass auch dem Integrationsaspekt eine legitimierende Wirkung nicht zukommen kann, wenn – wie hier – das Funktionsargument als Rechtfertigungsgrund nicht eingreift (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 76). Der Integrationsgedanke rechtfertigt es nicht, kleineren Parteien und Wählervereinigungen mithilfe einer Sperrklausel den Einzug in die Volksvertretung zu verwehren. Es ist nicht Aufgabe der Wahlgesetzgebung, die Bandbreite des politischen Meinungsspektrums zu reduzieren. Vielmehr ist die Offenheit des politischen Prozesses zu wahren. Dazu gehört, dass kleinen Parteien und Wählervereinigungen die Chance eingeräumt wird, politische Erfolge zu erzielen. Neue politische Vorstellungen werden zum Teil erst über sogenannte Ein-Themen-Parteien ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Es ist gerade Sinn und Zweck der Debatte in einem Parlament oder einer kommunalen Volksvertretung, entsprechende Anregungen politisch zu verarbeiten und diesen Vorgang sichtbar zu machen (vgl. BVerfG, Urteile vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 u. a. –, BVerfGE 129, 300 = juris, Rn. 126, und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 76; ablehnend Roth, Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer 3 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen durch Verfassungsänderung, insbesondere für das Land Nordrhein-Westfalen, 2015, S. 46 ff.).

122 (2) Aber auch unabhängig davon vermag das Ziel, einen gemessen am Wahlerfolg überproportionalen Einfluss der Vertreter kleiner Parteien und Wählervereinigungen sowie von Einzelbewerbern als „Zünglein an der Waage“ bei der Mehrheitsbildung zu verhindern, eine Beschränkung der Wahl- und Chancengleichheit nicht zu rechtfertigen (a. A. Roth, a. a. O., S. 57 ff.).

123 Für die Sperrklausel des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV gilt dies schon deshalb, weil der Gesetzgeber keine empirischen Daten dazu erhoben hat, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang kleinen Parteien und Wählervereinigungen sowie Einzelbewerbern eine solche Rolle als notwendiger Mehrheitsbeschaffer in der kommunalen Praxis tatsächlich zuwächst oder jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit zuwachsen könnte. Die vom Verfassungsgerichtshof für die Prognose einer drohenden Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit entwickelten Anforderungen an die Ermittlung aller in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erheblichen Gesichtspunkte müssten insoweit entsprechend gelten. Denn allenfalls dann, wenn ein – unterstellt: illegitimer – übermäßiger Einfluss kleiner Gruppierungen auf die Willensbildung der Kommunalvertretungen zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten stünde, wäre der Ausschluss der betreffenden Gruppierungen durch eine Sperrklausel auch erforderlich.

124 Im Übrigen bestehen aber auch schon grundsätzliche Einwände: Es ist ein allgemeines Phänomen jeder parlamentarischen Koalitionsbildung, sei es aus Anlass einer einzelnen Abstimmung oder zur längerfristigen Zusammenarbeit, dass ein kleinerer Koalitionspartner bei der notwendigen Kompromissfindung unter Umständen einen relativ größeren Einfluss auf Personal- und Sachentscheidungen erlangt, als es seinem Anteil an der jeweiligen Gestaltungsmehrheit der Koalitionspartner entspricht. Dies ist innerhalb eines jeden Wahlsystems, das der stärksten politischen Kraft nicht automatisch die absolute Mehrheit der Sitze garantiert, letztlich unausweichlich. Ein tragfähiger Grund dafür, (besonders) kleine Parteien und Wählervereinigungen – und nur diese – wegen dieses möglichen Effekts des Mehrheitsprinzips aus der Volksvertretung auszuschließen, ist nicht erkennbar. Legitimität und hinreichendes Gewicht der von solchen Gruppierungen vertretenen Interessen folgen bereits daraus, dass sie einen oder mehrere Sitze erlangen konnten. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Mehrheitsbildung gerade auf die Stimmen einer bestimmten Partei oder Wählervereinigung ankommt, umso geringer, je weniger Mandate die betreffende Gruppierung innehat.

125 cc) Die 2,5 %-Sperrklausel lässt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, sie entfalte kommunenübergreifend eine Gleichstellungswirkung, indem sie Unterschiede in den faktischen Sperrklauseln einebne.

126 Im interkommunalen Vergleich verschiedene faktische Sperrklauseln, d. h. unterschiedliche bereits rechnerisch zur Erlangung eines Mandats mindestens erforderliche Stimmenanteile, sind durch – je nach Bevölkerungszahl (vgl. § 3 Abs. 2 KWahlG) – unterschiedliche Größen der Kommunalvertretungen bedingt. Sie sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1961 – 2 BvR 399/61 –, BVerfGE 13, 243 = juris, Rn. 6 ff.).

127 Das Ziel einer rechnerischen Vereinheitlichung der faktischen Zugangshürden im interkommunalen Vergleich rechtfertigt nicht eine Abweichung von dem Grundsatz der gleichen Wahl. Der Grundsatz verlangt, dass in jedem Wahlgebiet allen Wahlberechtigten das gleiche Stimmrecht eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Mai 1961 – 2 BvR 366/60 –, BVerfGE 13, 1 = juris, Rn. 72, und vom 6. Dezember 1961 – 2 BvR 399/61 –, BVerfGE 13, 243 = juris, Rn. 9). Der Zweck einer wahlgebietsübergreifenden Vereinheitlichung des zur Erlangung eines Mandats erforderlichen Mindeststimmenanteils ist nicht von solchem Gewicht, dass er der strengen und formalen Wahlgleichheit die Waage halten und damit als „zwingender“ Grund die durch eine Sperrklausel innerhalb des jeweiligen Wahlgebiets bewirkten Differenzierungen beim Erfolgswert der Stimmen rechtfertigen könnte (vgl. ebenso Dietlein/Riedel, Zugangshürden im Kommunalwahlrecht, 2012, S. 75). Überdies bliebe eine vereinheitlichende Wirkung auf den zur Erlangung des ersten Sitzes notwendigen Mindeststimmenanteil beschränkt, während der für jeden weiteren Sitz notwendige Anteil der Stimmen umso geringer ausfällt, je größer die Anzahl der Sitze ist (vgl. Dietlein/Riedel, a. a. O.).

128 4. Aus den gleichen Gründen, aus denen die 2,5 %-Sperrklausel des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV mit Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar ist, soweit sie für die Gemeinderats- und Kreistagswahlen gilt, verletzen auch die ihrem Vollzug dienenden einfachgesetzlichen Bestimmungen in § 33 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 KWahlG das Recht der Antragstellerin auf Wahlgleichheit.

II.

129 Der Antrag ist unbegründet, soweit die 2,5 %-Sperrklausel des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr gilt. Insoweit hat der Antragsgegner mit dem Erlass des Kommunalvertretungsstärkungsgesetzes die durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV gezogenen materiellen Grenzen der Zulässigkeit einer Änderung der Landesverfassung nicht überschritten (die Sperrklausel insoweit für verfassungsgemäß haltend auch Barczak, NWVBl. 2017, 133 [134 mit Fn. 18]; ohne Differenzierung nach der Art der Wahlen für eine Verfassungswidrigkeit des Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV insgesamt hingegen Kramer/Bahr/Hinrichsen/Voß, DÖV 2017, 353 [360 f.]).

130 Von den durch Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV in das Landesverfassungsrecht inkorporierten grundgesetzlichen Homogenitätsvorgaben finden die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Konkretisierungen des demokratischen Prinzips auf die Bezirksvertretungen und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr keine Anwendung (dazu 1.). Hinsichtlich der Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr steht die streitige Sperrklausel mit Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG in Einklang (dazu 2.).

131 1. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG findet auf die Bezirksvertretungen und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr keine Anwendung, da es sich dabei nicht um Volksvertretungen im Sinne dieser Bestimmung handelt.

132 Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gilt für Volksvertretungen in den „Ländern, Kreisen und Gemeinden“. Dazu gehören weder die auf der Grundlage von § 35 GO NRW geschaffenen Stadtbezirke in den kreisfreien Städten, die lediglich Untergliederungen von Gemeinden ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 – 2 BvR 134/76 u. a. –, BVerfGE 47, 253 = juris, Rn. 42, zu den Stadtbezirken in Nordrhein-Westfalen, sowie Urteil vom 31. Oktober 1990 – 2 BvF 3/89 – BVerfGE 83, 60 = juris, Rn. 46, und Beschluss vom 14. Januar 2008 – 2 BvR 1975/07 –, DVBl. 2008, 236 = juris, Rn. 23, jeweils zu den Bezirken in Hamburg), noch der – durch das Gesetz über den Regionalverband Ruhr (RVRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2004 (GV. NRW. S. 96), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. November 2016 (GV. NRW. S. 966), errichtete – Regionalverband Ruhr als ein von den in § 1 RVRG genannten kreisfreien Städten und Kreisen gebildeter höherstufiger Gemeindeverband (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Auflage 2016, Art. 28 Rn. 10; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn. 97, jeweils allgemein zu höherstufigen Gemeindeverbänden).

133 Auch eine entsprechende Anwendung von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG kommt nicht in Betracht. Die dafür notwendige Vergleichbarkeit mit den Kommunen würde jedenfalls Rechtsfähigkeit und Allzuständigkeit der jeweiligen Einheit voraussetzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990 und Beschluss vom 14. Januar 2008, jeweils a. a. O.). Den Stadtbezirken fehlt es schon an der Rechtsfähigkeit, dem Regionalverband Ruhr, der auf den in § 4 RVRG im Einzelnen festgelegten Aufgabenbestand beschränkt ist, an der Allzuständigkeit, die die gemeindliche Selbstverwaltung prägt.

134 2. Jenseits des Anwendungsbereichs des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG entfalten die darin genannten Wahlrechtsgrundsätze keine Wirkung. Insoweit beschränkt sich das grundgesetzliche Homogenitätsgebot, soweit hier von Interesse, auf die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Für deren inhaltliche Bestimmung sind die grundsätzliche Verfassungsautonomie der Länder sowie der in Art. 79 Abs. 3 GG bestimmte änderungsfeste Kern des Grundgesetzes wesentliche Orientierungspunkte [dazu a)]. Ausgehend davon entspricht die streitige Sperrklausel demokratischen Grundsätzen [dazu b)].

135 a) Das Grundgesetz geht von der grundsätzlichen Verfassungsautonomie der Länder aus. Es fordert nur ein Mindestmaß an Homogenität, das inhaltlich in Art. 28 Abs. 1 GG bestimmt ist. Diese Bestimmung will dasjenige Maß an struktureller Homogenität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten gewährleisten, das für das Funktionieren eines Bundesstaates unerlässlich ist. Sie will aber nicht – über die in Satz 2 geregelten Vorgaben hinaus – für Uniformität sorgen. Dieser Zurückhaltung gegenüber den Landesverfassungen entspricht eine enge Interpretation von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Homogenitätserfordernis ist auf die dort genannten Staatsstruktur- und Staatszielbestimmungen und innerhalb dieser wiederum auf deren Grundsätze beschränkt. Die konkreten Ausgestaltungen, die diese Grundsätze im Grundgesetz gefunden haben, sind für die Landesverfassungen nicht verbindlich (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 1994 – 1 BvL 30/88 –, BVerfGE 90, 60 = juris, Rn. 133, m. w. N.).

136 Das Homogenitätsgebot steht in grammatikalischem und sachlichem Zusammenhang mit der sog. Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG. Das Grundgesetz ist die Verfassung eines Bundesstaates. Es normiert in Art. 79 Abs. 3 materielle Grenzen der Verfassungsänderung auf Bundesebene und beschränkt in Art. 28 Abs. 1 die Verfassungsautonomie der Gliedstaaten durch materielle Mindestvorgaben für die Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnungen. Durch Änderungen der Bundesverfassung dürfen u. a. die in Art. 20 GG niedergelegten „Grundsätze“, zu denen insbesondere jene des in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerten Demokratieprinzips gehören (vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 u. a. –, NJW 2016, 2473 = juris, Rn. 121), nicht berührt werden. In sprachlicher und sachlicher Parallele hierzu bestimmt Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den „Grundsätzen“ u. a. des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muss.

137 Angesichts dieses Zusammenhangs und vorbehaltlich der in Art. 28 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 GG vorgesehenen Konkretisierungen der auf das Demokratieprinzip bezogenen Homogenitätsanforderungen erscheint das für das Funktionieren eines Bundesstaates unerlässliche Minimum an struktureller Homogenität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten, das Art. 28 Abs. 1 GG gewährleisten will, grundsätzlich gesichert, wenn sich die Ausgestaltung der Landesverfassungen innerhalb der Grenzen bewegt, die Art. 79 Abs. 3 GG für Verfassungsänderungen auf Bundesebene zieht. Nur was für den Bund unabdingbare Grundlage der Art und Form seiner politischen Existenz ist, kann und muss er auch seinen Gliedern vorschreiben (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 18. Februar 2009 – VerfGH 24/08 –, OVGE 51, 310 = juris, Rn. 45, im Anschluss an Hofmann, Bundesstaatliche Spaltung des Demokratiebegriffs?, in: FS Neumayer, 1985, S. 281, 294). Was der Bund durch Verfassungsänderung einführen könnte, ist auch den Ländern nicht verboten (vgl. für inhaltliche Übereinstimmung der „Grundsätze“ im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG mit den durch Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten etwa Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 28 Rn. 53; Evers, in: Bonner Kommentar zum GG, Stand der Kommentierung: Oktober 1982, Art. 79 Abs. 3 Rn. 37; Huber, AöR 126 [2001], 165 [173]; Mehde, in: Maunz/Dürig, GG, Stand der Kommentierung: Dezember 2014, Art. 28 Abs. 1 Rn. 48; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 28 Abs. 1 Rn. 37; vgl. der Sache nach auch VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11 –, DVBl. 2013, 848 = juris, Rn. 34; Hmbg. VerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – HVerfG 4/15 –, DVBl. 2016, 248 = juris, Rn. 71 f., 104).

138 b) Ausgehend hiervon entspricht eine für Wahlen außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG geltende, der Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung dienende, maßvolle Sperrklausel, wie sie Art. 78 Abs. 1 Satz 3 LV für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr normiert, demokratischen Grundsätzen im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch dann, wenn damit unabhängig von konkret absehbaren Funktionsstörungen Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit getroffen werden soll (vgl. in diesem Sinne im Ergebnis auch VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11 –, DVBl. 2013, 848 = juris, Rn. 20 ff., insbesondere Rn. 29 und 34, zur landesverfassungsunmittelbaren 3 %-Sperrklausel für Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen, sowie Hmbg. VerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – HVerfG 4/15 –, DVBl. 2016, 248 = juris, Rn. 70 ff., insbesondere Rn. 76 ff., 90 f., 104, zur landesverfassungsunmittelbaren 3 %-Sperrklausel für Wahlen zu den Bezirksversammlungen). Die mit einer solchen Ausgestaltung des Wahlrechts verbundene Differenzierung der Erfolgswertgleichheit der Stimmen und damit einhergehend der Chancengleichheit der Wahlbewerber berührt nicht den von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern des Demokratieprinzips.

139 aa) Der Grundsatz der Wahlgleichheit ist Ausprägung des demokratischen Prinzips. Er sichert – gemeinsam mit dem Grundsatz der allgemeinen Wahl – die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger. Die Gleichbehandlung aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung (vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 96, und vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 46, jeweils m. w. N.). Das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, ist elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips (vgl. BVerfG, Urteile vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u. a. –, BVerfGE 123, 267 = juris, Rn. 211, und vom 25. Juli 2012 – 2 BvE 9/11 u. a. –, BVerfGE 131, 316 = juris, Rn. 52). Die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürger am Prozess der politischen Willensbildung ist für ein demokratisches System unverzichtbar (BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, NVwZ 2017, Beilage 2, 46 = juris, Rn. 543). Dementsprechend zählt die Gleichheit der Wahl zu den nach Art. 79 Abs. 3 GG änderungsfesten Grundsätzen des Demokratieprinzips (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u. a. –, BVerfGE 123, 267 = juris, Rn. 211; Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG, Bd. II, 3. Auflage 2015, Art. 79 III Rn. 38; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Auflage 2010, Art. 79 Abs. 3 Rn. 82).

140 bb) Dies bedeutet indes nicht, dass Differenzierungen innerhalb der Wahlgleichheit mit demokratischen Grundsätzen im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG schlechthin unvereinbar wären.

141 Dies zeigt sich bereits darin, dass auch schon im Anwendungsbereich der speziellen Verbürgungen der Wahlgleichheit in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG den Ländern bzw. dem einfachen Bundesgesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts ein – wenngleich eng bemessener – Spielraum für Differenzierungen aus „zwingenden“ Gründen im oben dargelegten Sinne verbleibt.

142 Im Vergleich dazu eröffnet sich dem verfassungsändernden Gesetzgeber nach Art. 79 Abs. 3 GG und – damit korrespondierend – den Ländern nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG ein größerer Spielraum für differenzierende Regelungen (zweifelnd Wernsmann, JZ 2014, 23 [28]).

143 Darauf deutet bereits der Umstand hin, dass die die Wahlrechtsgrundsätze verbürgenden Art. 28 Abs. 1 Satz 2 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in Art. 79 Abs. 3 GG nicht aufgeführt sind. Das Demokratieprinzip ist durch Art. 79 Abs. 3 GG lediglich in seiner prinzipiellen Qualität jeder Änderung entzogen (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u. a. –, BVerfGE 123, 267 = juris, Rn. 217). Es ist in seinen Grundsätzen änderungsfest (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 u. a. –, NJW 2016, 2473 = juris, Rn. 121). Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist nicht gehindert, die positivrechtlichen Ausprägungen der in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 – 1 BvR 1170/90 u. a. –, BVerfGE 84, 90 = juris, Rn. 125). Zu dem nach Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG unantastbaren Identitätskern der Verfassung (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. September 2011 – 2 BvR 987/10 u. a. –, BVerfGE 129, 124 = juris, Rn. 127) gehört der Grundsatz der Wahlgleichheit daher nicht in allen seinen Ausprägungen, die er nach der geltenden Verfassungsrechtslage und der darauf bezogenen Verfassungsrechtsprechung hat. Dies gilt jedenfalls insoweit, als danach über die Zählwertgleichheit hinaus bei der Verhältniswahl auch die Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimmen garantiert ist, diesbezügliche Differenzierungen nur aus „zwingenden“ Gründen zulässig sind und das Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung nach der jüngeren Sperrklausel-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen tragfähigen Differenzierungsgrund nur bei mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Funktionsstörungen aufgrund bestehender oder gegenwärtig verlässlich zu prognostizierender künftiger Umstände darzustellen vermag, während der durch eine Sperrklausel bewirkte Eingriff in die Wahlgleichheit nicht schon unter Aspekten der Vorsorge gegen Gefahren für die Funktionsfähigkeit gerechtfertigt ist.

144 Für einen spezifischen Spielraum des grundgesetzändernden Gesetzgebers– und parallel dazu einen solchen der Länder nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG – zu sachgerechten Differenzierungen beim Erfolgswert der Stimmen spricht, dass mit der Entscheidung des Verfassunggebers auf Bundesebene für Demokratie und Wahlgleichheit keine Festlegung auf ein bestimmtes Wahlsystem verbunden ist, mithin auch ein Mehrheitswahlrecht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes in Einklang steht (vgl. in diesem Sinne auch VerfGH Berlin, Urteil vom 13. Mai 2013 – 155/11 –, DVBl. 2013, 848 = juris, Rn. 22; zur Offenheit des Grundgesetzes hinsichtlich des Wahlsystems vgl. etwa BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 = juris, Rn. 53, und vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 100). Bei der Mehrheitswahl haben nur die Stimmen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung, die für den Bewerber abgegeben wurden, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Die übrigen Stimmen bleiben ohne Erfolgswert, was einen ganz erheblichen Teil der insgesamt abgegebenen Stimmen betreffen kann, zumal auch keine verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber einem Wahlsystem bestehen, in dem Wahlkreisbewerber unter Anwendung der relativen Mehrheitsregel gewählt werden (vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2009 – VerfGH 2/09 –, OVGE 52, 280 = juris, Rn. 71, m. w. N.).

145 Das Gebot der Erfolgswertgleichheit ist die verfassungsrechtliche Konsequenz einer gesetzgeberischen Systementscheidung zugunsten der Verhältniswahl (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 = juris, Rn. 66 ff., und vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 98 ff.). Der Wahlgesetzgeber hat das von ihm ausgewählte Wahlsystem ungeachtet verschiedener Ausgestaltungsmöglichkeiten in seinen Grundelementen folgerichtig und ohne Einführung strukturwidriger Elemente auszugestalten. Er muss, wenn er sich für ein Wahlsystem entschieden hat, die im Rahmen des jeweiligen Systems geltenden Maßstäbe der Wahlgleichheit beachten (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 = juris, Rn. 69, und vom 13. Februar 2008 – 2 BvK 1/07 –, BVerfGE 120, 82 = juris, Rn. 100 f.), im Verhältniswahlsystem mithin das Gebot der Erfolgswertgleichheit der Stimmen.

146 Der grundgesetzändernde Gesetzgeber – und parallel dazu der landesverfassungsändernde Gesetzgeber jenseits des Anwendungsbereichs von Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG – ist bei einer verfassungsunmittelbaren Ausgestaltung des Wahlsystems nicht in gleicher Weise zu Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit verpflichtet. Er ist berechtigt, die positivrechtlichen Ausprägungen der in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren. Ihm sind Differenzierungen beim Erfolgswert der Stimmen, wie sie mit einer zur Sicherung der Funktionsfähigkeit einer Volksvertretung dienenden, maßvollen Sperrklausel verbunden sind, deshalb auch unabhängig von konkret zu erwartenden Funktionsstörungen und den prozeduralen Anforderungen an eine darauf bezogene Prognose, wie sie der einfache Gesetzgeber anzustellen hat, gestattet.

147 Die Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretungen ist notwendige Voraussetzung demokratischer Repräsentation und als solche ihrerseits Ausdruck des Demokratieprinzips (vgl. BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 BvE 9/11 u. a. –, BVerfGE 131, 316 = juris, Rn. 55 m. w. N.). Wenn der verfassungsändernde Gesetzgeber im Rahmen eines Verhältniswahlsystems eine Balance zwischen möglichst hoher Repräsentativität der zu wählenden Volksvertretung einerseits und Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit andererseits dadurch herzustellen sucht, dass er zur Vorsorge gegen mögliche Funktionsstörungen infolge parteipolitischer Zersplitterung der Volksvertretung eine Sperrklausel normiert, stellt dies grundsätzlich eine sachgerechte Modifikation der Wahlgleichheit dar.

148 Er unterliegt dabei nicht den weitergehenden Anforderungen, wie sie an die Rechtfertigung einfachgesetzlicher Sperrklauseln zu stellen sind (vgl. auch Hmbg. VerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – HVerfG 4/15 –, DVBl. 2016, 248 = juris, Rn. 82 ff.). Dass diese zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein müssen und dass, soweit sich der Gesetzgeber auf eine anderenfalls drohende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung beruft, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur konkret zu erwartende Funktionsstörungen die Differenzierung beim Erfolgswert der Stimmen rechtfertigen können, ist Konsequenz der Verfassungsbindung des einfachen Gesetzgebers und seiner daraus sich ergebenden Pflicht, die mit der Wahl verfolgten Ziele mit den Geboten der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien jeweils schonend zum Ausgleich zu bringen. Im Gegensatz dazu liegt der Sinn und Zweck der dem verfassungsändernden Gesetzgeber eingeräumten Revisionsgewalt gerade darin, auf den gegenwärtigen Verfassungsbestand einzuwirken. Innerhalb der in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen äußersten Grenzen kann er Verfassungsgüter neu kreieren oder abschaffen sowie Gegenstand, Reichweite und relatives Gewicht verfassungsrechtlicher Positionen verändern. Insoweit kann er grundsätzlich auch um der Funktionsfähigkeit der Volksvertretungen willen mittels einer Sperrklausel die Wahlgleichheit beschränken.

149 Entsprechendes gilt für die Länder bei der Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung nach Maßgabe des Homogenitätsgebotes des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG.

150 cc) Allerdings stoßen die Gestaltungsfreiheit des grundgesetzändernden Gesetzgebers sowie die Verfassungsautonomie der Länder auch insoweit an Grenzen, namentlich was die Höhe einer Sperrklausel anbetrifft. Demokratische Grundsätze im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG wären berührt, wenn gewichtige Anliegen im Volk von der Volksvertretung ausgeschlossen blieben und somit die Funktion der Wahl als Vorgang der Integration politischer Kräfte nicht mehr gewährleistet wäre (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 71; Hmbg. VerfG, Urteil vom 20. Oktober 2015 – HVerfG 4/15 –, DVBl. 2016, 248 = juris, Rn. 79 f.; zur Integrationsfunktion von Wahlen vgl. BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 BvE 9/11u. a. –, BVerfGE 131, 316 = juris, Rn. 55 m. w. N.).

151 dd) Bei welchem Quorum diese Grenze unter Berücksichtigung auch der jeweils herrschenden politischen Verhältnisse (zur Situationsgebundenheit der Beurteilung wahlrechtlicher Differenzierungen vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u. a. –, BVerfGE 135, 259 = juris, Rn. 56, und Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 65, jeweils m. w. N.) zu ziehen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Klärung. Die streitgegenständliche Sperrklausel erweist sich insoweit als unproblematisch. Ihr Quorum beträgt nur 2,5 % und mithin lediglich die Hälfte des bei Parlamentswahlen in Bund und Ländern seit Jahrzehnten gebräuchlichen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvC 3/96 –, BVerfGE 95, 408 = juris, Rn. 46, und Beschluss vom 19. September 2017 – 2 BvC 46/14 –, juris, Rn. 79) Wertes von 5 %. Sie liegt im Übrigen, was die Wahlen der Bezirksvertretungen anbelangt, deutlich unterhalb der faktischen Sperrklausel, die sich aus der derzeit geltenden Beschränkung der Mitgliederzahl auf höchstens 19 gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 GO NRW ergibt.

D.

152 Gemäß § 54 Abs. 4 VerfGHG ist die Anordnung gerechtfertigt, dass der Antragstellerin die notwendigen Auslagen im Umfang ihres Obsiegens, d. h. zur Hälfte, zu erstatten sind. Sie hat durch ihren Antrag zur Klärung einer wesentlichen verfassungsrechtlichen Frage beigetragen. Sie kann nicht wie der Antragsgegner, und wie es in der Regel bei Organstreitverfahren der Fall ist, die für die Führung des Rechtsstreits erforderlichen Aufwendungen aus Mitteln öffentlicher Haushalte bestreiten (vgl. VerfGH NRW, Urteile vom 21. November 1995 – VerfGH 21/94 –, NWVBl. 1996, 58 = juris, Rn. 51, und vom 16. Dezember 2008 – VerfGH 12/08 –, OVGE 51, 289 = juris, Rn. 41).

Dr. Brandts

Paulsen

Gräfin von Schwerin

Prof. Dr. Dauner-Lieb      Dr. Heusch      Dr. Nedden-Boeger       Prof. Dr. Wieland

 

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