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Der Antragsgegnerin zu 1., der Firma X H gGmbH, wird untersagt, Einblick in von der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgelegten erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse zu nehmen, ohne dass der Antragsteller dem zuvor zugestimmt hätte oder der Spruch der Einigungsstelle die Zustimmung ersetzt hat.
Im Übrigen werden die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren um die Frage, ob den beiden Antragsgegnerinnen zu untersagen ist, von den Arbeitnehmern die Vorlage erweiterter polizeilicher Führungszeugnisse zu verlangen bzw. Einblick in die sodann vorgelegten Unterlagen zu nehmen.
4Die Antragsgegnerin zu 1) und die Antragsgegnerin zu 2) führen einen gemeinsamen Betrieb, in dem mehrere 100 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der Antragsteller ist der in dem gemeinsamen Betrieb gewählte Betriebsrat.
5Die Antragsgegnerin zu 1) ist ein soziales Dienstleistungsunternehmen, das Menschen mit Behinderung u.a. in Richtung erster Arbeitsmarkt qualifiziert.
6Darüber hinaus bietet die Antragsgegnerin zu 1) Arbeitsplätze für Menschen mit
7Behinderung in Werkstätten an, unterhält vielfältige Wohnangebote, moderne
8Kindertageseinrichtungen sowie ein Altenzentrum.
9Die Antragsgegnerin zu 2) ist eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der Antragsgegnerin zu 1) und bietet Menschen mit Behinderung, gemeinsam mit der Antragsgegnerin zu 1), sinnvolle und ausfüllende Tätigkeiten im Bereich der Landwirtschaft an.
10Die Personalreferentin der Antragsgegnerin zu 1) teilte dem Antragsteller mit einer
11E-Mail vom 24.03.2017 mit, dass beabsichtigt sei, Arbeitnehmern gem.
12§ 75 Abs. 2 SGB XII, die bei der Antragsgegnerin zu 1) eingesetzt werden, aufzufordern, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis nach der gesetzlichen Neuregelung des § 75 Abs. 2 SGB XII vorzulegen. Dazu wurde dem Antragsteller der Entwurf einer Betriebsvereinbarung zugeleitet. Bezüglich des Inhalts dieses Entwurfs wird auf die von dem Antragsteller zu den Akten gereichten Kopien (Bl. 13 – 15 d. A) verwiesen.
13Der Antragsteller lies sodann einen Gegenentwurf am 12.05.2017 anfertigen.
14Bezüglich des Inhalts des Gegenentwurfs wird auf die von dem Antragsteller zu den Akten gereichten Kopien (Bl. 17 – 19 d. A.) verwiesen. Beide Betriebsvereinbarungen wurden übrigens von der Gegenseite nicht unterzeichnet.
15Die Antragsgegnerin zu 1) leitete dem Antragsteller sodann noch einen erweiterten Entwurf einer Betriebsvereinbarung vor, die ebenfalls vom Antragsteller nicht unterzeichnet wurde.
16Trotz einer entsprechenden Aufforderung des Antragstellers, die Versendung der Schreiben an die Arbeitnehmer zu unterlassen, wurden entsprechende Aufforderungsschreiben an die Arbeitnehmer der Antragsgegnerin zu 1) übersandt.
17Ob solche Schreiben auch an die Arbeitnehmer der Antragsgegnerin zu 2) versandt wurden, ist zwischen den Beteiligten streitig.
18Der Antragsteller behauptet, dass alle Mitarbeiter im gemeinsamen Betrieb von der Aufforderung betroffen seien. Die Antragsgegnerinnen hätten die Schreiben an alle Mitarbeiter geschickt. Damit würden Mitbestimmungsrechte des Antragstellers gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verletzt. Ihm stehe deshalb ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu.
19Der Antragsteller beantragte,
20Den Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Verfügung, zu untersagen,
von ihnen beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses zu verlangen, ohne dass der Antragsteller dem zuvor zugestimmten hätte oder der Spruch der Einigungsstelle die Zustimmung ersetzt hat und
Einblick in von den bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorlegten erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses zu nehmen, ohne dass der Antragsteller dem zuvor zugestimmt hätte oder der Spruch der Einigungsstelle die Zustimmung ersetzt hat und
Den Antragsgegnerinnen für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Antragsgegnerinnen beantragten,
28den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
29Die Antragsgegnerinnen behaupten, dass die Schreiben nur an die Arbeitnehmer der Antragsgegnerin zu 1) versandt worden seien. Im Übrigen habe man in der Vergangenheit jedenfalls bestimmten Mitarbeitern Aufforderungsschreiben geschickt, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen, wogegen der Antragsteller nie moniert habe. Es gebe danach eine dahingehende stillschweigende Regelungsabrede, dass der Antragsteller mit dieser Vorgehensweise einverstanden gewesen sei.
30Schließlich bestehe aus dem Grunde kein Bestimmungsrecht des Antragstellers, da es eine gesetzliche Verpflichtung für die Antragsgegnerin zu 1) gebe, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis anzufordern. Zwar handele es sich bei der Vorschrift in § 75 Abs. 2 SGB XII um eine sogenannte Sollvorschrift.
31Diese müsse aber als Mussvorschrift ausgelegt werden.
32Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Protokollniederschrift der Sitzung vom 01.08.2017 verwiesen.
33II.
34Die Anträge des Antragstellers sind zulässig.
35Zunächst ist festzustellen, dass der Antragsteller seine Anträge im richtigen Verfahren gestellt hat. Das einstweilige Beschlussverfahren ist die richtige Verfahrensart, weil es sich bei dem von dem Antragsteller geltend gemachten Recht um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetzt handelt.
36Die Beteiligten streiten letztendlich um die Einhaltung von Mitbestimmungsrechten gem. § 87 Abs. 1 BetrVG. Die Beteiligtenbefugnis des Antragstellers und der Antragsgegnerinnen ergibt sich aus ihrer jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Betroffenheit.
37Schließlich ist gem. § 85 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zulässig.
38Die Anträge des Antragstellers sind zum Teil begründet und zum Teil unbegründet.
39Auf Antrag des Antragstellers war der Antragsgegnerin zu 1) zu untersagen, in die von den Arbeitnehmern vorgelegten erweiterten polizeilichen Führungszeugnis Einblick zu nehmen, ohne dass der Antragsteller dem zuvor zugestimmt hatte bzw. der Spruch der Einigungsstelle die Zustimmung ersetzt hätte.
40Für den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist der Verfügungsanspruch gegeben.
41Die von der Antragsgegnerin zu 1) beabsichtigte Einsichtnahme in die Führungszeugnisses der Arbeitnehmer verletzt Mitbestimmungsrechte des Antragstellers gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
42Nach dieser Vorschrift hat der jeweilige Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.
43Gem. § 75 Abs. 2 SGB XII darf ein Arbeitgeber wie die Antragsgegnerin zu 1) als Träger von Einrichtungen, in dem behinderte Personen tätig sind, nur solche Personen beschäftigen, die in Wahrnehmung ihrer Aufgaben Kontakt mit den Leistungsberechtigten haben bzw. sie mit Aufgaben betrauen, die nicht rechtskräftig wegen einer bestimmten Straftat verurteilt worden sind. Nach dieser Vorschrift sollen die jeweiligen Träger von Einrichtungen von Fach- und anderem Betreuungspersonal, die in Wahrnehmung ihrer Aufgaben Kontakt mit Leistungsberechtigten haben, vor deren Einstellung oder Aufnahme einer dauerhaften ehrenamtlichen Tätigkeit und der Art der Beschäftigungsdauer in regelmäßigen Abständen ein Führungszeugnis nach § 30 a Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen.
44Nimmt sodann der Träger der Einrichtung Einsicht in ein Führungszeugnis, so hat er nur bestimmte Umstände zu speichern. Damit sind Mitbestimmungsrechte des jeweiligen Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betroffen.
45Nach der Rechtsprechung des BAG (BAG im Beschluss vom 11.06.2002, Aktenzeichen 1 ABR 46/01) ist Gegenstand des Mitbestimmungstatbestandes das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Zur Gestaltung der Ordnung des Betriebs zählen auch verbindliche Verhaltensregeln als auch Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die vorgegebene Ordnung des Betriebs zu gewährleisten und aufrechtzuerhalten. Das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten der
46Arbeitnehmer betrifft alle Regeln und Weisungen, die bei der Erbringung der Arbeitsleistung selbst zu beachten sind. Lediglich mitbestimmungsfrei sind danach solche Anordnungen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und damit abgefordert wird.
47Damit ist im vorliegenden Verfahren die Ordnung des Betriebes betroffen.
48Denn die Antragsgegnerin zu 1) hat zu allen ihren Arbeitnehmern unabhängig von ihrer jeweiligen konkreten Tätigkeit die Vorlage von Führungszeugnissen verlangt. Damit wird auch in erheblichem Umfang in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer eingegriffen. Denn die Arbeitnehmer werden aufgefordert, ihr gesamtes strafrechtliches Verhalten aus der Vergangenheit ihr gegenüber offen zu legen (vgl. dazu Beschluss des LAG Hessen vom 02.11.2006, Aktenzeichen 5 TaBVGa 196/06).
49Dem Mitbestimmungsrecht des Antragstellers steht auch nicht der Umstand entgegen, dass gem. § 87 Abs. 1 BetrVG bereits eine gesetzliche Regelung besteht, die die Angelegenheit regelt. Die Vorschrift des § 75 Abs. 2 SGB XII zur Frage ob ein Führungszeugnis vorzulegen ist, ist eine sogenannte Sollvorschrift.
50Denn dort heißt es, dass die Träger von Einrichtungen von ihren Arbeitnehmern solche Führungszeugnisse vorlegen lassen sollen, um zu prüfen, ob sie rechtskräftig wegen einer bestimmten Straftat verurteilt worden sind. Damit obliegt es nach dem Wortlaut des Gesetzes dem jeweiligen Arbeitgeber, ob er von seinen Arbeitnehmern bestimmte Führungszeugnisse vorlegen lässt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es demgemäß dem Arbeitgeber auch unbenommen, auf andere Weise aufzuklären, ob seine Arbeitnehmer rechtskräftig wegen einer Straftat verurteilt worden sind.
51Nach dem Wortlaut kann die sogenannte Sollvorschrift nicht in eine Mussvorschrift umgedeutet werden. Im Übrigen heißt es in der Vorschrift weiter, dass der, falls der Träger Einsicht nimmt, bestimmte Umstände nur zu speichern sind.
52Dass bedeutet im Übrigen auch, dass der jeweilige Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, Einsicht in bestimmte Zeugnisse zu nehmen.
53Im vorliegenden Verfahren hat die Antragsgegnerin zu 1) unter Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Antragstellers, nämlich ohne dass mit ihm ein bestimmte Vereinbarung getroffen worden ist, die Arbeitnehmer aufgefordert, die erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse vorzulegen. Um das Mitbestimmungsrecht des
54Antragstellers zu wahren war es demgemäß erforderlich, der Antragsgegnerin zu 1) zu untersagen, Einsicht zu nehmen in die aufgrund ihrer Aufforderung vorgelegten Führungszeugnisse der Arbeitnehmer.
55Die Kammer kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen auch nicht davon ausgehen, dass es eine stillschweigende Regelungsabrede gibt, wonach das Verhalten der Antragsgegnerin zu 1) als gerechtfertigt anzusehen war.
56Die Antragsgegnerin zu 1) hat bereits durch den Umstand, dass sie selbst dem Antragsteller bestimmte Entwürfe von Betriebsvereinbarungen vorgelegt hat, zu erkennen gegeben, dass eine solche stillschweigende Regelungsabrede nicht besteht. Im Übrigen gilt, selbst wenn ein Betriebsrat ein mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers über einen längeren Zeitraum hin geduldet hat, er sein Recht auf
57Mitbestimmung und damit sein Recht, den Arbeitgeber zur Unterlassung von bestimmten Handlungen zu veranlassen nicht verwirkt hat (LAG Schleswig Holstein im Beschluss vom 04.03.2008 in NZA – rr2008, 414).
58Für den Antrag, der Antragsgegnerin zu 1) zu untersagen, Einblick zu nehmen in die Führungszeugnisse, ist auch der notwendige Verfügungsgrund gegeben.
59Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, dass die Antragsgegnerin zu 1) Einblick nimmt in die unter Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte erhaltenen Führungszeugnisse. Denn damit würden endgültige Fakten gesetzt. Der Antragsteller hätte keinerlei Möglichkeiten mehr, im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte auf das Verhalten der Antragsgegnerin zu 1) Einfluss zu nehmen.
60Soweit der Antragsteller beantragt hat, der Antragsgegnerin zu 1) auch zu untersagen, die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Vorlage der Führungszeugnisse aufzufordern, war der Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Denn nach dem Vorbringen der Beteiligten geht die Kammer davon aus, dass bereits die Arbeitnehmer der Antragsgegnerin zu 1) aufgefordert worden sind, solche Führungszeugnisse vorzulegen. Da die Aufforderungsschreiben bereits verschickt worden sind, bestand keine Möglichkeit, der Antragsgegnerin zu 1) zu untersagen, solche Aufforderungsschreiben ihren Arbeitnehmern zuzuleiten.
61Soweit der Antragsteller seinen Antrag auch gegen die Antragsgegnerin zu 2)
62gerichtet hat, waren diese Anträge als unbegründet zurückzuweisen.
63Wie die Vertreter der Antragsgegnerin im Kammertermin vom 01.08.2017 bekundet hat, habe die Antragsgegnerin zu 2) nicht beabsichtigt und auch nicht umgesetzt, Aufforderungsschreiben an ihre Arbeitnehmer zur Vorlage eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses abzusenden. Der Antragsteller hat dazu nicht im Einzelnen substantiiert und unter Beweisantritt Umstände vorgetragen, die einen anderen Rückschluss zulassen. So bestand demgemäß keinerlei Veranlassung, der Antragsgegnerin zu 2) ebenfalls zu untersagen, Aufforderungsschreiben abzuschicken bzw. Einsicht in die Unterlagen zu nehmen.
64Schließlich war der Antrag zu Ziffer 2) des Antragstellers zurückzuweisen.
65Die Kammer hat den Antrag zu Ziffer 2) als Antrag gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG
66angesehen, der Antragsgegnerin zu 1) ein Ordnungsgeld in einer bestimmten Höhe anzudrohen und nicht als Antrag gemäß § 890 ZPO, wegen der Formulierung des Antrages. Voraussetzung für eine Androhung gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG wäre doch, dass die Antragsgegnerin zu 1) einen groben Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Antragstellers beabsichtigte oder auch vorgenommen hat.
67Davon konnte die Kammer im vorliegenden Verfahren jedoch nicht ausgehen.
68Nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin zu 1) geht das Gericht davon aus, dass sie glaubte, ohne eine Zustimmung des Antragstellers die Maßnahmen durchführen zu können, da sie meinte, dass die entsprechende Sollvorschrift im Gesetz als Mussvorschrift auszulegen war, so dass sie nicht verpflichtet war, die Zustimmung des Antragstellers dazu einzuholen.