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Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 19. März 2021 – 5 Ca 1216/20 – abgeändert.
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 826,28 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2020 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Auszahlung eines Arbeitszeitguthabens nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
3Zwischen den Parteien bestand vom 3. Oktober 1977 bis zum 31. März 2020 ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war in der Finanzverwaltung beschäftigt, zuletzt im Finanzamt A. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme der TV-L Anwendung. Im Finanzamt A gilt eine „Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit ab dem 06.01.2014“ vom 12. Dezember 2013. Diese lautet auszugsweise wie folgt:
4„1. Gegenstand der Dienstvereinbarung
5Im Finanzamt A wird die flexible Arbeitszeit ohne Kernzeiten mit einer gleichmäßigen Verteilung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf 5 Tage eingeführt. Sie räumt grundsätzlich allen Beschäftigten die Möglichkeit ein, im Rahmen der gesetzlichen bzw. tariflichen Arbeitszeit Arbeitsbeginn und Arbeitsende an jedem Arbeitstag innerhalb einer bestimmten Zeitspanne selbst zu wählen. Die den Beschäftigten eingeräumte Freizügigkeit in der Wahl der Dienststunden setzt ein besonderes Maß an Verantwortung voraus und darf nicht zu einer Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebes führen.
62. Geltungsbereich
7Die Dienstvereinbarung gilt – mit Ausnahme der Beschäftigten der Telefonvermittlung – grundsätzlich für alle Beschäftigten, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist.
8[…]
94. Flexible Arbeitszeit
10Der Arbeitszeitrahmen umfasst für alle Beschäftigten die Zeit von 6:30 Uhr bis 19:00 Uhr. Innerhalb dieser Zeiten können die Beschäftigen über Lage und Dauer der individuellen täglichen Arbeitszeit unter Berücksichtigung etwaiger besonderer Servicezeiten selbst entscheiden.
11Änderung ab 01.07.2014
12Ab 01.07.2014 kann der Dienst bereits ab 06:00 Uhr begonnen werden. In ihren jeweiligen Arbeitsgebieten haben die Beschäftigten darauf zu achten, dass auch bei Inanspruchnahme des früheren Dienstbeginns die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs im Rahmen der Regelarbeitszeit gewährleistet ist.
13Der Arbeitszeitrahmen umfasst für alle Beschäftigten die Zeit von 6:00 Uhr bis 19:00 Uhr.
14[…]
158. Abwesenheit
161. Ganztägige Abwesenheit wegen Urlaub, Krankheit, Kur, höherer Gewalt oder Dienstbefreiung gilt als Anwesenheit der Stunden, die an diesem Tag zu leisten gewesen wären. Die zuständige Sachgebietsleitung ist rechtzeitig zu informieren.
172. Freie Tage im Rahmen der flexiblen Arbeitszeit sind im Arbeitsbereich und mit der zuständigen Sachgebietsleitung abzusprechen. Eine entsprechende Vertretung ist sicherzustellen. Die Geschäftsstelle braucht – auch bei teilzeitbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen – nicht informiert werden.
18[…]
1911. Zeitausgleich
201. Unterschreitung der wöchentlichen Regelarbeitszeit (Minderzeiten) sind maximal bis 10 Stunden zum Monatsende zulässig. Überschreitungen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (Zeitguthaben) dürfen jeweils zum Monatsende nicht mehr als 100 Stunden betragen. Ausnahmen sind nur aus ausschließlich dienstlichen Gründen möglich. Für Teilzeitbeschäftigte gilt dies entsprechend ihrem Beschäftigungsanteil.
2. Freizeitausgleich (siehe 8.2) ist möglich, sofern dienstliche Gründe nicht entgegenstehen und die Vertretung gewährleistet ist. Der Zeitausgleich dient als Instrument, durch Besonderheiten im Arbeitsanfall entstandene Überstunden zugunsten der Freizeit abbauen zu können und wieder zu einem regelmäßigen Rhythmus der Arbeitszeit zurückzukehren. Es ist auch möglich, dauerhaft abweichende individuelle Arbeitszeiten zu schaffen, sofern die Erfüllung der operativen Aufgaben, insbesondere Steuerfestsetzung und -erhebung und eine bürgerfreundliche Ausrichtung, sowie ein kollegiales Miteinander aller Beschäftigen untereinander nicht beeinträchtigt werden.“
Wie mit Zeitguthaben zu verfahren ist, das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Dienstverhältnisses noch besteht, ist in der Dienstvereinbarung zumindest nicht ausdrücklich geregelt.
25Bis Mai 2017 sammelte die Klägerin ein positives Zeitguthaben von 41 Stunden und 38 Minuten an. Seit dem 8. Mai 2017 war die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt.
26Mit Schreiben vom 27.04.2020 verlangte die Klägerin durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vom beklagten Land unter anderem die Auszahlung des Zeitguthabens von 41 Stunden und 38 Minuten.
27Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie einen Anspruch auf Auszahlung ihres Zeitguthabens habe. Dieses berechnet sie – insoweit unbestritten – mit 41 Stunden multipliziert mit 20,15 € je Stunde. Da die Gewährung von Arbeitsbefreiung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtlich und faktisch unmöglich geworden sei, habe das beklagte Land Wertersatz zu leisten. Es sei an keiner Stelle im TVöD geregelt, dass Stunden aus einem Arbeitszeitkonto nicht bezahlt würden; es gelte daher der allgemeine Grundsatz, dass geleistete Arbeit auch bezahlt werden müsse, Anspruchsgrundlage sei § 611 BGB. Die Klägerin macht den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend. Eine Ausnahmeregelung, dass keine Vergütung erfolge, läge nicht vor.
28Die Klägerin hat beantragt,
29das beklagte Land zu verurteilen, an sie 826,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
30Das beklagte Land hat beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Es hat die Ansicht vertreten, dass kein Anspruch auf Auszahlung des Zeitguthabens bestünde. Die Klägerin habe keinen Anspruch aus § 10 TV-L. Nach Ziffer 11 der Dienstvereinbarung sei ein Zeitguthaben ausschließlich in Freizeit auszugleichen. Es handele sich auch nicht um Überstunden. Hierzu hat das beklagte Land vorgetragen, dass Überstunden weder angeordnet noch stillschweigend geduldet worden seien. Alle Beschäftigten des Finanzamts A hätten grundsätzlich die Möglichkeit, im Rahmen der gesetzlichen bzw. tariflichen Arbeitszeit Arbeitsbeginn und Arbeitsende eines jeden Arbeitstages innerhalb einer bestimmten Zeitspanne selbst zu wählen. Dieses setze ein besonderes Maß an Verantwortung voraus.
33Die Klage wurde dem beklagten Land am 17.07.2020 zugestellt.
34Mit Urteil vom 19. März 2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Der Anspruch folge nicht aus § 611 BGB in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 TV-L, da keine Überstunden im Sinne des § 7 Abs. 7 TV-L vorlägen. Überstunden im Sinne des § 7 Abs. 7 TV-L seien auf Anordnung des Arbeitsgebers geleistete Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten für die Woche dienstplanmäßig bzw. betrieblichen Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende des folgenden Kalendermonats ausgeglichen werden.
35Der Anspruch folge auch nicht aus § 611 BGB. Der Abbau eines Guthabens eines Arbeitszeitkontos richte sich nach der der Führung des Arbeitszeitkontos zugrunde liegenden Vereinbarung. Grundlage des Arbeitszeitkontos der Klägerin sei § 10 TV-L. Nach § 10 Abs. 5 TV-L seien unter anderem Fristen für das Abbuchen von Zeitguthaben oder für den Abbau von Zeitschulden durch den Beschäftigten in einer Dienstvereinbarung zu regeln. Ziffer 11.2 der Dienstvereinbarung sehe für den Abbau von Zeitguthaben einen Freizeitausgleich vor. Weder die Dienstvereinbarung noch § 10 TV-L enthielten Regelungen dazu, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Zeitguthaben durch Entgeltleistung auszugleichen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien mit Einführung des Arbeitszeitkontos konkludent eine individuelle Abrede dahingehend getroffen hätten, dass ein etwa noch bestehendes Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell ausgeglichen werden soll. Ohne besondere Anhaltspunkte sei regelmäßig davon auszugehen, dass sich der öffentliche Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten nur insoweit verpflichten will, wie es sich aus den kollektivrechtlichen Vorschriften ergebe. Es läge auch keine Regelungslücke vor, die im Wege der ergänzenden Tarifvertragsauslegung geschlossen werden könnte. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien oder die Parteien der Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit den nicht untypischen Fall eines nicht ausgeglichenen Arbeitszeitguthabens auf einem Arbeitszeitkonto bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gesehen hätten.
36Ein Zahlungsanspruch folge auch nicht aus §§ 280, 283, 275 Abs. 1 BGB, da das beklagte Land kein Verschulden an dem Untergang des Anspruchs auf Freizeitausgleich treffe.
37Ein Zahlungsanspruch aus § 2 Abs. 2 MiLoG bedürfe keiner Entscheidung, da er von der Klägerin nicht geltend gemacht worden sei und einen anderen Streitgegenstand beträfe.
38Gegen das der Klägerin am 13. April 2021 zugestellte Urteil richtet sich deren am 16. April 2021 eingegangene Berufung und Berufungsbegründung. Diese begründet sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt:
39Sie ist der Ansicht, Anspruchsgrundlage für ihren Zahlungsanspruch sei § 611 Abs. 1 BGB. Es bedürfe keiner weitergehenden Regelungen. Weder die tarifvertraglichen Regelungen noch die Dienstvereinbarung sähen ausdrücklich vor, dass ein finanzieller Ausgleich des Arbeitszeitkontos nicht möglich sei, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist.
40Die Klägerin beantragt,
41das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 19. März 2021 – 5 Ca 1216/20 – abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an sie 826,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2020 zu zahlen.
42Das beklagte Land beantragt,
43die Berufung zurückzuweisen.
44Es verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft seine erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus, dass sich ein Abgeltungsanspruch der Klägerin nicht aus § 611 Abs. 1 BGB ergäbe, da sowohl der TV-L als auch die Dienstvereinbarung für den Abbau von Zeitguthaben ausschließlich einen Freizeitausgleich vorsähen. Das Urteil des BAG vom 23. September 2015 (5 AZR 767/13) führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Demnach läge eine konkludente Abrede über den Ausgleich des Arbeitszeitkontos spätestens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann vor, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart sei. Hier läge jedoch unzweifelhaft eine abweichende Vereinbarung vor. Des Weiteren weist das beklagte Land darauf hin, dass ihm der Freizeitausgleich aufgrund der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmöglich gewesen sei. Eine Nichtauszahlung des Zeitguthabens sei auch nicht unbillig, da sie Folge der Flexibilisierung der Arbeitstätigkeit zugunsten der Arbeitnehmer sei und diese daher auch grundsätzlich das Risiko tragen könnten, dass ein etwaiger Freizeitausgleichsanspruch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt werden kann.
45Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.
46Entscheidungsgründe
47I.
48Die Berufung ist zulässig. Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist gegen das am 13. April 2021 zugestellte Urteil am 16. April 2021 eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und innerhalb der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und auch ordnungsgemäß nach § 529 Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG am 16. April 2021 begründet worden.
49II.
50Die Berufung ist begründet. Das arbeitsgerichtliche Urteil war abzuändern. Die zulässige Klage ist begründet.
511.
52Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 826,28 € brutto gegen das beklagte Land aus § 611a Abs. 2 BGB.
53Ein Arbeitszeitkonto hält im Allgemeinen fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Arbeit und gezahlte Vergütung erbringen muss (BAG 20. November 2019 – 5 AZR 578/18, NZA 2020, 386; BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 617/19, juris). Dieses gilt im Anwendungsbereich des TV-L nicht nur für ein Arbeitszeitkonto im Sinn des § 10 TV-L, sondern auch für ein Gleitzeitkonto und andere Formen der Erfassung von Zeitguthaben (zur Abgrenzung Breier pp. § 10 TV-L Rn. 6 und 6.1).
54Abhängig von der zugrunde liegenden Abrede der Vertragsparteien kann ein Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch verbindlich bestimmen oder für die Höhe eines Anspruchs auf Freizeitausgleich oder die Höhe eines Vorschusses maßgebend sein. Begehrt der Arbeitnehmer die Abgeltung eines Guthabens auf seinem Arbeitszeitkonto, macht er folglich nur den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend. Auf die Anspruchsvoraussetzungen „echter“ Überstundenvergütung – entsprechende ausdrückliche arbeitsvertragliche Vereinbarung der Vergütung von Überstunden oder die Fiktion einer stillschweigenden Vereinbarung nach § 612 Abs. 1 BGB – kommt es deshalb nicht an. Der Arbeitgeber stellt mit der vorbehaltlosen Ausweisung in einem für den Arbeitnehmer geführten Arbeitszeitkonto dessen Saldo streitlos und bringt damit regelmäßig um Ausdruck, dass bestimmte Arbeitsstunden tatsächlich und mit seiner Billigung geleistet wurden (BAG 20. November 2019 a.a.O. m.w.N.).
55Der Abbau eines Zeitguthabens, der nicht spiegelbildlich zu seinem Aufbau erfolgen muss (BAG 17. März 2010 – 5 AZR 296/09, juris), richtet sich nach der der Führung des Arbeitszeitkontos zugrunde liegenden Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Betriebs- oder Dienstvereinbarung, Tarifvertrag; BAG 20. November 2019 a.a.O.). Dieses gilt für den Bereich des TV-L nicht nur für ein Arbeitszeitkonto gemäß § 10 TV-L, sondern auch für andere Formen der Erfassung von Zeitguthaben. Auch bei diesen ist durch Auslegung der zugrunde liegenden Vereinbarungen zu bestimmen, wie das Zeitguthaben abgebaut wird. In der Dienstvereinbarung der flexiblen Arbeitszeit ab dem 06.01.2014 vom 12. Dezember 2013 ist in Ziffer 8.2 und 11.2 geregelt, dass der Ausgleich in Freizeit erfolgt. An einer ausdrücklichen Regelung für den Umgang mit Positiv- oder Negativsalden bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehlt es. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht die Schließung der Erfassung des Zeitguthabens einher, ein Freizeitausgleich ist nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich (BAG 26. Juni 2013 – 5 AZR 428/12, juris). Nach dem Urteil des BAG vom 20. November 2019 (a.a.O.) enthält, wenn nicht ausdrücklich anderes vereinbart ist, die einvernehmliche Errichtung eines Arbeitszeitkontos die konkludente Abrede, dass das Konto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen ist (ebenso für den Fall eines negativen Guthabens BAG 13. Dezember 2000 – 5 AZR 334/99, NZA 2002, 390, soweit der Arbeitnehmer darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht). Dies gilt auch für den Öffentlichen Dienst im Anwendungsbereich des TV-L (Breier pp., § 10 TV-L Rn. 7.3). Denn regelmäßig will weder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vorgeleistete Arbeit „schenken“ noch der mit der Zahlung einer verstetigten Vergütung vorleistende Arbeitgeber auf eine finanzielle Erstattung seiner Vorschussleistung verzichten. Gelingt es vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht, ein positives Guthaben des Arbeitnehmers durch entsprechende Freizeit abzubauen, hat der Arbeitgeber den Positivsaldo finanziell auszugleichen (BAG 20. November 2019 a.a.O.), jedenfalls wenn keine ausdrückliche andere Vereinbarung vorliegt.
56Zwar ist das Urteil des BAG vom 20. November 2019 (a.a.O.) zum Fall eines arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeitkontos ergangen. Auch weist das Arbeitsgericht zutreffend darauf hin, dass ohne besondere Anhaltspunkte regelmäßig davon auszugehen ist, dass sich der öffentliche Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten nur insoweit verpflichten will, wie es sich aus den kollektivrechtlichen Vorschriften ergibt. Zutreffend ist auch die Annahme des Arbeitsgerichts, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Parteien dieses Arbeitsverhältnisses konkludent eine individuelle Abrede dahingehend getroffen haben, dass ein etwa noch bestehendes Arbeitszeitguthaben spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell ausgeglichen werden soll.
57Allerdings gelten die Erwägungen des BAG in seiner Entscheidung vom 20. November 2019 auch bei der Auslegung von kollektivrechtlichen Regelungen für ein Zeitguthaben. Das BAG führt in seinen Entscheidungsgründen keine typischerweise nur das Individualarbeitsrecht betreffenden Regelungen an, die im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts keine Anwendung finden, insbesondere ist das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) nicht entscheidungsrelevant. Auch bei einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer Dienstvereinbarung werden die vertragsschließenden Parteien bedacht haben, dass regelmäßig weder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vorgeleistete Arbeit „schenken“ noch der mit der Zahlung einer verstetigten Vergütung vorleistende Arbeitgeber auf eine finanzielle Erstattung seiner Vorschussleistung verzichten will.
58Dem steht nicht entgegen, dass bei der Anwendung der Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit ab dem 06.01.2014 die Arbeitnehmer es weitgehend in der Hand haben, ob ein (positives oder negatives) Arbeitszeitguthaben entsteht oder nicht. Sie tragen dabei als Kehrseite der für die Arbeitnehmer vorteilhaften Flexibilisierung der Arbeitszeit, die auch ebenso im Interesse des öffentlichen Arbeitgebers liegen kann, ein besonderes Maß an Verantwortung (Ziffer 1 der Dienstvereinbarung). Vor diesem Hintergrund mag eine andersartige Regelung des Umgangs mit Zeitguthaben zulässig sein; die Annahme des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 20. November 2019 (a.a.O.) wird hiervon jedoch nicht berührt, dass regelmäßig weder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vorgeleistete Arbeit „schenken“ noch der mit der Zahlung einer verstetigten Vergütung vorleistende Arbeitgeber auf eine finanzielle Erstattung seiner Vorschussleistung verzichten will.
59Weder die Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit ab dem 06.01.2014 noch der TV-L enthalten eine Regelung, dass Zeitguthaben bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgleichen ist, insbesondere keine ausdrückliche Regelung.
60Die Dienstvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit ab dem 06.10.2014 regelt den Fall nicht, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder Dienstverhältnisses) Guthaben vorhanden ist und wie damit verfahren werden soll. Zwar lässt sich den Ziffern 8.2 und 11.2 entnehmen, dass der Ausgleich in Freizeit zumindest der Regelfall sein soll. Dieser ist jedoch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich. Eine Regelung, wie in diesem Fall zu verfahren ist, enthält die Dienstvereinbarung nicht.
61Auch § 10 TV-L, der das Arbeitszeitkonto betrifft, enthält dafür keine Regelung.
62Eine Regelung enthält auch nicht § 8 Abs. 2 TV-L, wonach für Arbeitsstunden, die keine Überstunden sind und die aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht innerhalb des nach § 6 Abs. 2 Satz 1 oder 2 festgelegten Zeitraums mit Freizeit ausgeglichen werden, der Beschäftigte je Stunde 100 v.H. des auf eine Stunde ermittelten Anteils des Tabellenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe erhält. Nach der dazugehörenden Protokollerklärung sind nämlich mit dem Begriff „Arbeitsstunden“ nicht die Stunden gemeint, die im Rahmen von Gleitzeitregelungen im Sinn der Protokollerklärung zu Abschnitt II anfallen, es sei denn sie sind angeordnet worden. Durch § 8 Abs. 2 TV-L und die dazugehörige Protokollerklärung wird eine Ausgleichsverpflichtung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder begründet noch ausgeschlossen, der vorhandene Regelungsspielraum wird nicht berührt (In diesem Sinn sind Breier pp., § 8 TV-L Rn. 42 und Sponer/Steinherr, § 8 TV-L Rn. 102 und 103 zu verstehen.).
63Da somit eine anderweitige Vereinbarung nicht vorhanden ist, ist das Zeitguthaben der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen.
64Ausgehend von 41 Stunden und 38 Minuten Zeitguthaben und ebenfalls unstreitigen 20,15 € je Stunde steht der Zahlungsanspruch der Klägerin auch der Höhe nach zu.
652.
66Die Klägerin, deren Arbeitsvertrag am 31. März 2020 endete, hat durch ihr Geltendmachungsschreiben vom 27. April 2020 die tarifvertragliche Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-L gewahrt.
673.
68Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 293, § 288 Abs. 1 BGB. Der Anspruch ist mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit zu verzinsen (BGH 10. Oktober 2017 – XI ZR 555/16, NJW 2018, 225; BAG 19. März 2008 – 5 AZR 429/07, ZA 2008, 757; Palandt/Grüneberg, § 291 Rn. 6).
69III.
70Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
71Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe für ihre Zulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG lagen nicht vor. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hatte grundsätzliche Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG). Auch weicht das Urteil von keiner Entscheidung eines der in § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG genannten Gerichte ab.
72RECHTSMITTELBELEHRUNG
73Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
74Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.