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1. Der bloße Umstand, dass die Anzeige einer Arbeitsunfähigkeit in irgendeinem zeitlichen Zusammenhang mit einer sich möglicherweise abzeichnenden potentiellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (hier: arbeitgeberseitige Kündigung) steht, reicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände zur Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit nicht aus.
2. Zwischen einer arbeitnehmerseitigen Eigenkündigung und einer arbeitgeberseitigen Kündigung besteht insofern ein wesentlicher Unterschied, da bei einer erklärten Eigenkündigung aus Sicht des Arbeitnehmers die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist feststeht, was bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses erhebt, im Gegenteil gerade nicht der Fall ist.
1. Es wird festgestellt, dass die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom30. Januar 2023 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die weitere Kündigung der Beklagten datierend vom 28.06.2023 sein Ende gefunden hat oder finden wird.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Tatbestände beendet ist, sondern derzeit zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu unveränderten Bedingungen gemäß Arbeitsvertrag vom 30. April 2021 und Nachtrag vom 25. November 2022 als Dipl. Ing. weiter zu beschäftigen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Restgehalt für den Monat November 2022 in Höhe von 270,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2022 zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger das Gehalt für den Monat Februar 2023 in Höhe von 2.470,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2023 zu zahlen.
7. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
8. Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, der Beklagten Auskunft zu erteilen, welche konkreten Bewerbungsbemühungen er seit dem 01.03.2023 unternommen hat.
9. Im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
10. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 24 Prozent und die Beklagte zu 76 Prozent.
11. Der Streitwert wird festgesetzt auf 33.613,10 Euro.
12. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit zweier betriebsbedingten Kündigungen ihres Arbeitsverhältnisses sowie Vergütungsansprüche und mit der Widerklage über Auskunftsansprüche.
3Die Beklagte betreibt ein Architekturbüro mit Sitz in K mit ca. 28 Arbeitnehmern.
4Die Beklagte ist nach eigenen Angaben spezialisiert auf die gesamtheitliche Generalplanung von öffentlichen Gebäuden, Bauvorhaben in modularer und serieller Bauweise, hochwertigen Wohngebäuden sowie von Gewerbe-, Büro- und Industriegebäuden. Die Tätigkeiten der Beklagten umfassten in den vergangenen Jahren alle Leistungsphasen der Objekt- und Generalplanung, insbesondere auch die Projektentwicklung als Vorstufe der klassischen Leistungsphasen der Architekten und Ingenieure. Außerdem erbrachte die Beklagte Konzept- und Vorentwurfsplanungen in unterschiedlichen Bereichen.
5Der am …………….in ……………. geborene Kläger erwarb nach Studium an der Technischen Universität G dort den Abschluss des „Bachelor of Science / Ingenieur“ sowie darüber hinausgehend den weiteren akademischen Abschluss des „Master of Science / Diplom-Ingenieur“. Er wurde im Anschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ……………………. am Lehrstuhl für ……………………. tätig.
6Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 30.04.2021 (Bl. 8 – 11. d.A.) wurde der Kläger mit Wirkung zum 01.05.2021 bei der Beklagten als Dipl.-Ing. eingestellt.
7Insofern regelt § 1 des Arbeitsvertrages:
8„§ 1 Beginn des Arbeitsverhältnisses / Tätigkeit / Ort / Vorbehalte
91.1 Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 01.05.2021 als Dipl Ing. bei ……………………… in K eingestellt.“
10Es wurde zunächst eine Teilzeittätigkeit von 24 Stunden pro Woche, verteilt auf drei Arbeitstage á jeweils acht Stunden, vereinbart, die später auf 21 Stunden pro Woche reduziert wurde. Im übrigen ist der Kläger weiterhin als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität beschäftigt.
11Der Kläger erhält von der Beklagten eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.553,30 Euro, die sich zusammensetzt aus einer Grundvergütung von 2.470.- Euro brutto pro Monat sowie einem Jobticket im Wert von 83,30 Euro.
12Der Arbeitsvertrag verweist auf die gesetzlichen Kündigungsfristen.
13Der Kläger wurde von der Beklagten mit verschiedenen Aufgaben betraut, überwiegend im Bereich der Konzept- und Vorentwurfsplanung. Darüber hinaus wurde der Kläger jedenfalls auch in zwei Projekten (…………………………. sowie ………………………..) mit Aufgaben der Leistungsphase 4 „Genehmigungsplanung“ betraut. Hierbei hat der Kläger die Pläne sowie die Vorlagen und Nachweise für erforderliche öffentlich-rechtliche Genehmigungen erarbeitet und zusammengestellt.
14Die Beklagte zahlte an einen Teil der Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie, unter anderem an den Kläger jedoch nicht.
15Mit Kündigungsschreiben vom 30.01.2023, dem Kläger zunächst per E-Mail als PDF-Datei am 31.01.2023 zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 28. Februar 2023.
16Ein weiteres auf den 30.01.2023 datiertes Kündigungsschreiben zum 28.02.2023 wurde von der Beklagten per Post am 07.02.2023 an den Kläger versendet und ist dem Kläger auf dem Postweg am 08.02.2023 zugegangen.
17Der Kläger hat am 20.02.2023 die vorliegende Klage erhoben.
18Der Kläger hat seit dem 02.02.2023 keine Arbeitsleistung mehr für die Beklagte erbracht und hat eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datierend vom 02.02.2023 für den Zeitraum bis einschließlich 17.02.2023 vorgelegt sowie später eine Folgebescheinigung bis zum 28.02.2023.
19Mit weiterem Kündigungsschreiben vom 28.06.2023, dem Kläger zugegangen nicht vor dem 30.06.2023, 15.30 Uhr, hat die Beklagte während des laufenden Rechtsstreits, gestützt auf identische Kündigungsgründe, erneut die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31.07.23 erklärt. Der Kläger hat seine Klage auch gegen diese Kündigung erweitert.
20Der Kläger hält sämtliche ausgesprochenen Kündigungen für rechtsunwirksam.
21Er ist der Ansicht, nicht nur die Kündigung vom 30.01.2023 per E-Mail, sondern auch die weitere am 08.02.2023 per Briefpost erhaltenen Kündigung datierend vom30. Januar 2023 sei formnichtig. Es handle sich bei der Unterschrift um eine eingescannte Unterschrift des Geschäftsführers der Beklagten und nicht um eine Original-Unterschrift.
22Darüber hinaus ist er der Ansicht, die Kündigungen seien nicht sozial gerechtfertigt. Es fehle an einem dringenden betrieblichen Erfordernis zur Kündigung. Der Kläger behauptet, er sei in sämtlichen Leistungsphasen 1 bis 8 tätig gewesen bzw. könne jedenfalls in sämtlichen Leistungsphasen tätig werden. Er könnte mit allen anfallenden Aufgaben eines Diplom-Ingenieurs betraut werden. Jedenfalls sei auch die Sozialauswahl fehlerhaft.
23Mit den Zahlungsanträgen macht der Kläger rückständige Vergütungszahlungen für November 2022 und Februar 2023 sowie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie geltend. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihn durch die Nichtzahlung der Inflationsausgleichsprämie ohne Sachgrund gegenüber den anderen Beschäftigten ungleichbehandelt. Weiter rügt der Kläger die Kündigungsfrist im Hinblick auf den Zugang der Kündigung erst am 08.02.2023.
24Der Kläger beantragt,
251. festzustellen, dass die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom30. Januar 2023 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
26nicht aufgelöst hat,
272. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht
28durch die weitere Kündigung der Beklagten datiert, vom 28.06.2023
29sein Ende gefunden hat oder finden wird,
303. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch
31nicht durch andere Tatbestände beendet ist, sondern über den in der
32Kündigung genannten Beendigungstermin (28. Februar 2023) hinaus
33zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,
344. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen,
35die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung zu unveränderten Bedingungen gemäß Arbeitsvertrag vom 30. April
362021 und Nachtrag vom 25. November 2022 als Dipl. Ing. weiter zu beschäftigen,
375. hilfsweise wird für den Fall, dass der Feststellungsantrag zu Ziffer 1)
38abgewiesen wird,
39a) die Beklagte zu verurteilen, folgende Unterlagen an den Kläger
40herauszugeben:
411. Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III auf dem Vordruck
42der Bundesagentur für Arbeit,
432. Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für das
44Jahr 2023,
453. die Mitteilung in Textform über den Inhalt der Meldungen zur
46Sozialversicherung,
476. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Restgehalt für den Monat
48November 2022 in Höhe von 270,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe
49von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2022
50zu zahlen,
517. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger das Gehalt für den Monat
52Februar 2023 in Höhe von 2470 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von
53fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2023 zu
54zahlen,
558. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft über sämtliche Berechnungsgrundlagen sowie die Kriterien für die Auswahl der Arbeitnehmer und die Höhe der individuellen Inflationsausgleichs-Prämie an die Arbeitnehmer gemäß der Zusage aus Dezember 2022 zu erteilen,
569. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen nach Erledigung der
57vorhergehenden Stufen zu beziffernde Inflationsausgleichsprämie zu
58zahlen.
59Die Beklagte beantragt,
60die Klage abzuweisen.
61Des Weiteren beantragt die Beklagte im Wege der Widerklage,
621. die klagende Partei zu verurteilen, an die Beklagte Auskunft zu erteilen,
63welche konkreten Bewerbungsbemühungen er seit dem 01.03.2023 unternommen hat,
642. die klagende Partei ferner zu verurteilen, konkret vorzutragen, wann sie sich
65wie mit welchem Ergebnis auf die durch die Beklagte mitgeteilten offenen
66Stellen beworben hat.
67Der Kläger beantragt,
68die Widerklage abzuweisen.
69Die Beklagte behauptet, sie habe durch ihren Geschäftsführer das ausgedruckte Kündigungsschreiben vom 30.01.2023 erneut handschriftlich unterschrieben und dieses Schriftstück mit der Originalunterschrift an den Kläger versandt.
70Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigungen seien auch sozial gerechtfertigt. Sie behauptet, sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Bereich „Vorplanung“, in dem der Kläger beschäftigt gewesen sei, mangels hinreichender Auftragslage zu schließen. In anderen Bereichen könne der Kläger nicht eingesetzt werden, da er fachlich hierzu nicht in der Lage sei. Er habe die ihm übertragenen Aufgaben im Bereich der Genehmigungsplanung nicht zur Zufriedenheit der Beklagten erfüllt. Insbesondere fehlten ihm Kenntnisse im öffentlichen Baurecht.
71Die Beklagte ist ferner der Ansicht, eine Sozialauswahl sei entbehrlich. Der Kläger sei in dem Leistungsbereich Konzept- und Vorentwurfsplanung als einziger Mitarbeiter tätig gewesen und sei der einzige Mitarbeiter der Beklagten, welcher ausschließlich in diesem Bereich eingesetzt werden könne.
72Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund des Kündigungszugangs erst am 08.02.2023 nicht bereits zum 28.02.2023 sein Ende finden konnte.
73Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Monat Februar 2023 zu. Sie gehe davon aus, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs mit der ausgesprochenen Kündigung erschüttert sei.
74Sie ist ferner der Ansicht, dem Kläger stehe keine Inflationsausgleichsprämie zu, denn es bestehe kein kollektives System, nach dem den Beschäftigten diese gewährt worden sei. Vielmehr habe es sich um Einzelfallentscheidungen der Vorgesetzten gehandelt.
75Gegen den weiter geltend gemachten Anspruch auf Differenzzahlung für November 2022 erhebt die Beklagte keine Einwendungen, sondern stellt diesen unstreitig.
76Mit der Widerklage macht sie gestützt auf die neuere Rechtsprechung des BAG einen Auskunftsanspruch wegen möglicherweise böswillig unterlassenem Zwischenverdienst geltend.
77Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und
78insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen sowie
79die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
80E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
81Klage und Widerklage hatten teilweise Erfolg.
82A.
83Die zulässige Klage hatte teilweise Erfolg.
84I.
85Die zulässige Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.
86Für sämtliche drei streitgegenständlichen Kündigungserklärungen fehlt es jedenfalls am gemäß § 1 KSchG erforderlichen Kündigungsgrund.
871.)
88Die erste streitgegenständliche Kündigung vom 30.01.2023, zugegangen per E-Mail am 31.01.2023, konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien schon aufgrund Formunwirksamkeit offensichtlich nicht rechtswirksam beenden. Die Kündigung per E-Mail hielt das gesetzliche Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht ein. Die Kündigung ist daher unwirksam.
89Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Die elektronische Form ist ausgeschlossen. Ist durch Gesetz die schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde gemäß § 126 Abs. 1 BGB von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden. Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nach § 125 BGB nichtig. Ebenso wie eine Übermittlung eines Kündigungsschreibens per Telefax unzureichend ist, da die dem Empfänger zugehende Erklärung lediglich eine Kopie des beim Absender verbleibenden Originals ist (BGH, Urteil vom 28.01.1993 – IX ZR 259/91), wahrt auch ein eingescanntes Kündigungsschreiben, welches per E-Mail an den Erklärungsempfänger (hier: den Arbeitnehmer) übermittelt wird, das gesetzliche Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht (so u. a. BAG, Urteil vom 01.12.2020, 9 AZR 102/20, juris, Rn 56, NZA 2021, S. 552 ff).
902.)
91Hinsichtlich der weiteren streitgegenständlichen Kündigung vom 30.01.2023, zugegangen per Post am 08.02.2023, kann die zwischen Parteien streitige Frage der Formwirksamkeit nach § 623 BGB letztlich als entscheidungsunerheblich dahinstehen.
92Denn dieser Kündigung fehlt es – ebenso wie der weiteren, nach Angaben der Beklagten aus denselben Gründen ausgesprochenen weiteren Kündigung vom 28.06.2023 – jedenfalls am gemäß § 1 KSchG erforderlichen Kündigungsgrund.
93Die streitgegenständliche Kündigungen vom 30.01.2023 - zugegangen am 08.02.2023 – und vom 28.06.2023 - zugegangen am 30.06.2023 - konnten das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht rechtswirksam beenden, da sie sozial ungerechtfertigt nach § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sind.
94Das Kündigungsschutzgesetz findet vorliegend nach Beschäftigtenzahl der Beklagten (§ 23 KSchG) und der Beschäftigungsdauer des Klägers (§ 1 Abs. 1 KSchG) unzweifelhaft Anwendung. Mithin bedurfte die streitgegenständliche Kündigung für die
95Rechtswirksamkeit einer sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG in Form eines Kündigungsgrundes.
96An einem solchen Kündigungsgrund fehlt es jedoch.
97Die streitgegenständlichen Kündigungen sind nicht als betriebsbedingte Kündigung– nur hierauf beruft sich vorliegend die Beklagte, andere Kündigungsgründe kommen ersichtlich auch nicht in Betracht – sozial gerechtfertigt.
98Grundsätzlich ist eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung nach § 1 Abs. 2
99Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist und für den Arbeitnehmer keine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Insoweit muss der kündigende Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen, aufgrund außer- oder innerbetrieblicher Umstände eine unternehmerische Entscheidung getroffen zu haben, infolge derer ein Überhang an Arbeitskräften im Betrieb entsteht und die den Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen lässt (Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, Kündigungsschutzrecht,6. Auflage 2021, § 1 KSchG Rn. 588 ff.). Diese betrieblichen Erfordernisse müssen zudem „dringend" i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sein. Dies bedeutet, dass der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht anderweitig abgefangen werden kann, etwa durch betriebsorganisatorische Maßnahmen oder eine sonstige Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers (Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, Kündigungsschutzrecht, 6. Auflage 2021, § 1 KSchG Rn. 528 ff.). Schließlich ist gemäß § 1 Abs. 3 KSchG auch eine durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten oder die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
100Ausgehend von diesen Grundsätzen erwiesen sich die streitgegenständlichen Kündigungen vom 30.01.2023 und 28.06.2023 als unwirksam.
101Es fehlt bereits an einem dringenden betrieblichen Erfordernis.
102Eine organisatorisch eigenständige Abteilung „Vorplanung“, in der ausschließlich der Kläger beschäftigt worden sein sollte und die aufgrund unternehmerischer Entscheidung geschlossen würde, war nicht erkennbar.
103Vielmehr wurde der Kläger wurde bei der Beklagten ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrags als „Dipl.-Ing.“ eingestellt. Da sich das arbeitgeberseitige Direktionsrechts regelmäßig nach der Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag richtet, war in keiner Weise erkennbar, weshalb der Kläger aufgrund des Direktionsrechts der Beklagten von dieser lediglich im Bereich Vorentwurfsplanung eingesetzt werden könnte. Vielmehr handelt es sich bei der Bezeichnung „Dipl-Ing“ im Gegenteil um eine äußerst weit gefasste Tätigkeitsbezeichnung, die der Beklagten ein sehr weiträumiges Direktionsrecht einräumt und sie grundsätzlich berechtigt, den Kläger mit sämtlichen üblichen Aufgaben eines Diplom-Ingenieurs, jedenfalls mit solchen, die üblicherweise in einem Architekturbüro anfallen, zu betrauen. Hierzu zählen sämtliche Leistungsphasen der ........, eine Beschränkung des Direktionsrechts dahingehend, dass die Beklagte dem Kläger nur einzelne Leistungsphasen der ........ übertragen dürfte, lässt sich dem Arbeitsvertrag nicht ansatzweise entnehmen.
104Auch hat die Beklagte unstreitig ihr Direktionsrecht in der Vergangenheit auch bereits dahingehend ausgeübt, dass sie dem Kläger verschiedene Leistungsphasen der ........ übertragen hat und er beispielsweise jedenfalls beim Projekt „Kaserne“ in B auch außerhalb der „Vorentwurfsplanung“ bzw. der „Leistungsphasen 2 und 3“ auch in der Leistungsphase 4 / Genehmigungsplanung von der Beklagten eingesetzt wurde.
105Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch nicht erkennbar, dass es dem Kläger an der Qualifikation fehlen würde, in anderen Leistungsphasen als der Konzept- und Vorentwurfsplanung eingesetzt zu werden. Der Kläger verfügt über einen Hochschulabschluss (Master) einer technischen Universität. Dies befähigt ihn grundsätzlich zum Einsatz in sämtlichen Leistungsphasen der ........, was sich auch mit den vorgelegten Zeugnissen über die bereits erworbene Berufserfahrung des Klägers deckt.
106Der Kläger verfügt mit seinem Hochschulabschluss einer technischen Universität sogar über eine formell höhere Qualifikation als die meisten anderen Mitarbeiter der Beklagten. Aus der zur Gerichtsakte gereichten Mitarbeiterliste (Anlage K17, Blatt 151 d.A.) ergibt sich, dass andere Mitarbeiter der Beklagten schlechter qualifiziert sind als der Kläger und teilweise nur über einen Bachelor- bzw. einen FH-Abschluss verfügen.
107Sofern die Beklagte der Auffassung ist, der Kläger habe die ihm übertragenen Aufgaben, etwa im Bereich des öffentlichen Baurechts beim Projekt „Kaserne“ in B , schlecht erfüllt, hätte sie insofern grds. die Möglichkeit gehabt, bei insofern vom Kläger zu vertretender Schlechtleistung eine Abmahnung auszusprechen, um insofern bei weiterer Schlechtleistung ggf. eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen zu können oder dem Kläger ggf. weitere Schulungsmöglichkeiten zu eröffnen und bei weiterhin fehlendem Erfolg ggf. die Möglichkeit einer personenbedingten Kündigung zu prüfen. Eine betriebsbedingte Kündigung kann dies jedoch keinesfalls rechtfertigen.
108Eine sozial gerechtfertigte verhaltensbedingte Kündigung schied vorliegend jedenfalls mangels vorheriger einschlägiger Abmahnung aus, eine sozial gerechtfertigte personenbedingte Kündigung scheitert jedenfalls daran, dass die Beklagte nicht zuvor dem Kläger die Möglichkeit einer Schulung / Fortbildung eröffnet hat, was ggf. hinsichtlich einzelner komplexer Rechtsfragen etwa des lokalen B öffentlich-rechtlichen Baurechts nahegelegen hätte.
109Dass der Kläger – als einziger Mitarbeiter der Beklagten (!) – in einem abgegrenzten Bereich „Vorentwurfsplanung“ tätig gewesen wäre, dieser aufgrund unternehmerischer Entscheidung – zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt – „geschlossen“ würde und der Kläger trotz arbeitsvertraglich extrem weit gefassten Direktionsrechts in keinem anderen Bereich weiterbeschäftigt werden könnte, war nicht ansatzweise ersichtlich.
110Zu Recht weist auch die Klägerseite darauf hin, dass aus dem Vortrag der Beklagten gar nicht exakt erkennbar wird, welche konkreten Leistungsphasen der ........ die Beklagte meint, wenn sie vorträgt, der Kläger sei nur „in einzelnen Leistungsphasen einsetzbar“. Der Kläger ist – unstreitig – in verschiedenen Leistungsphasen der ........ tätig geworden, streitig ist lediglich, ob er auch in allen Leistungsphasen in der Vergangenheit für die Beklagte tätig geworden ist, was jedoch vorliegend als letztlich entscheidungsunerheblich dahinstehen kann.
111Die ausgesprochenen Kündigungen waren daher mangels Kündigungsgrund evident rechtsunwirksam.
112II.
113Auch der allgemeine Feststellungsantrag war zulässig und begründet.
114Neben dem punktuellen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG kann der klagende Arbeitnehmer auch einen allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO stellen, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass die Beklagte sich im weiteren Verlauf des Rechtsstreits noch auf andere Beendigungstatbestände stützen könnte. Vorliegend hat die Beklagte bereits mehrere Kündigungen erklärt und auch keine Erklärung dahingehend abgegeben, dass sie sich nicht auch auf andere Beendigungstatbestände stützen wird. Insofern war das gemäß § 256 ZPO für den Feststellungsantrag erforderliche besondere Feststellungsinteresse vorliegend gegeben.
115Der allgemeine Feststellungsantrag war auch begründet, da das Arbeitsverhältnis fortbesteht, da andere Tatbestände für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ersichtlich sind und auch von der Beklagten nicht vorgetragen werden.
116III.
117Auch der Weiterbeschäftigungsantrag war zulässig und begründet.
118Nach der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts (GS 1/84,
119Beschluss vom 27.02.1985) kann ein Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Obsiegens im Kündigungsschutzprozess als Ausfluss des grundrechtlichen geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch tatsächliche Weiterbeschäftigung vom Arbeitgeber verlangen, sofern nicht ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles das Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt.
120Derartige besondere Umstände des Einzelfalls sind vorliegend nicht ersichtlich und
121werden von der Beklagten nicht vorgetragen.
122Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ist die Titulierung der Weiterbeschäftigung als „Dipl-Ing“ auch hinreichend bestimmt. Die Angabe der arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbezeichnung ist für einen hinreichend bestimmten Weiterbeschäftigungsantrag nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderlich, aber auch ausreichend; Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder der sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Titel gerade nicht enthalten, es genügt, wenn er das Berufsbild bezeichnet, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll (so ausdrücklich BAG, Beschluss vom 05.02.2020, 10 AZB 31/19). Die vorliegend von den Parteien arbeitsvertraglich gewählte Tätigkeitsbezeichung lautet „Dipl-Ing.“, diese Tätigkeitsbezeichnung in den Antrag auf Weiterbeschäftigung aufzunehmen ist erforderlich, aber auch ausreichend. Weiterer konkretisierender Angaben bedarf es nicht, zumal das Direktionsrecht der Beklagten – wie dargelegt – insofern gerade nicht eingeschränkt ist.
123IV.
124Zulässig und begründet war ebenfalls der Zahlungsantrag auf Differenzlohnzahlung für November 2022.
125Der Kläger hat Anspruch auf die restliche Arbeitsvergütung für November 2022 im titulierten Umfang noch nicht erfüllter 270,00 Euro brutto aus § 611a BGB.
126Dem Kläger stehen unstreitig noch nicht erfüllte weitere 270,00 Euro brutto für seine Arbeitsleistungen im Monat November 2022 zu.
127Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288, 291 BGB. Der Vergütungsanspruch des
128Klägers war aufgrund kalendermäßiger Bestimmtheit unstreitig zum 30.11.2022 fällig,
129so dass die Beklagte aufgrund der Nichtzahlung ab dem Folgetag Verzugszinsen in
130Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu zahlen hat, jedenfalls ab dem hier beantragten darauffolgenden Tag. Das Gericht war nicht befugt, dem Kläger mehr zuzusprechen als beantragt, dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Zinsforderung (§ 308 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG).
131V.
132Ferner ist auch der Zahlungsantrag für Februar 2023 zulässig und begründet.
1331.)
134Der Kläger hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, in Höhe von
1352.470,00 Euro brutto für Februar 2023 gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG.
136a)
137Die Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 EFZG sind dem
138Grunde nach gegeben.
139aa)
140Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18).
141Im Regelfall wird der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs.1 Satz 1 EFZG geführt, wobei seit dem 01.01.2023 die Vorlagepflicht hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer grundsätzlich entfallen ist und durch die Verpflichtung ersetzt wurde, eine Arbeitsunfähigkeit lediglich noch ärztlich feststellen zu lassen und der Arbeitgeber die Möglichkeit des Abrufs einer Bescheinigung im elektronischen Verfahren über die Krankenkasse hat (§ 5 Abs. 1a EFZG n.F.). Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG genügt die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung wirkt sich auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu (u.a. BAG, Urteil vom 08.09.2021, 5 AZR 149/21).
142Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann jedoch ausnahmsweise aufgrund Indizien, die gegen die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit sprechen, erschüttert sein. Neben u. a. den sozialrechtlichen Anknüpfungspunkten für eine Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 275 Abs. 1a SGB V kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts u. a. auch „passgenaue“ Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt für den Zeitraum einer Kündigungsfrist bei Ausspruch einer Eigenkündigung ein Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung darstellen (BAG, Urteil vom 08.09.2021, 5 AZR 149/21).
143Insofern führt der 5. Senat des BAG in seiner Entscheidung vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) in den Leitsätzen aus:
144„Aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann diesen daher nicht durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen erschüttern, sondern nur indem er Umstände vorträgt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können sich daraus ergeben, dass eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte AU-Bescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt.“
145bb)
146Hiervon ausgehend ist vorliegend entgegen der Rechtsansicht der Beklagten der Beweiswert der klägerseitig vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für Februar 2023 nicht erschüttert.
147Der Kläger hat – insofern sogar über die seit dem 01.01.2023 geltende Rechtslage nach § 5 Abs. 1a EFZG hinausgehend – der Beklagten ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen übermittelt, welche dem Kläger Arbeitsunfähigkeit für den gesamten Zeitraum im Februar 2023 bescheinigen.
148Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Klägers ergeben würden. Die Beklagte stützt sich allein auf einen vermeintlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen ihrer Kündigungserklärung und der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger. Dies allein reicht vorliegend jedoch zur Erschütterung des Beweiswerts der vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht aus.
149Zunächst wurde vorliegend keine klägerseitige Eigenkündigung, sondern eine arbeitgeberseitige Kündigung seitens der Beklagten erklärt. Insofern liegt ein wesentlicher Unterschied vor, da bei einer erklärten Eigenkündigung aus Sicht des Arbeitnehmers die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist feststeht, was bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer wie vorliegend Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses erhebt, im Gegenteil gerade nicht der Fall ist.
150Darüber hinaus deckte die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegend auch nicht „passgenau“ den Zeitraum der Kündigungsfrist ab. Die arbeitgeberseitige Kündigung ist dem Kläger unstreitig am 08.02.2023 zugegangen und konnte das Arbeitsverhältnis ebenso unstreitig nicht vor dem 15.03.2023 beenden. Die klägerseitig vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datierte demgegenüber bereits vom 02.02.2023 und umfasste zunächst lediglich den Zeitraum bis 17.02.2023, eine Folgebescheinigung wurde alsdann für den Zeitraum bis 28.02.2023 ausgestellt. Für den Folgezeitraum der Kündigungsfrist im März 2023 wurde demgegenüber keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vorgelegt.
151Der bloße Umstand, dass die Anzeige einer Arbeitsunfähigkeit und die ärztliche Feststellung derselben in irgendeinen zeitlichen Zusammenhang mit der sich möglicherweise abzeichnenden potentiellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht, reicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände zur Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit nicht aus. Würde man sich dieser Rechtsauffassung der Beklagten anschließen, würde dies faktisch bedeuten, dass einer ärztlichen Arbeitsunfähigikeitsbescheinigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer ausgesprochenen Kündigung keinerlei Beweiswert mehr zukommen würde. Dies entspricht nicht der geltenden Rechtslage und kann insbesondere auch nicht der Begründung der Entscheidung des 5. Senats des BAG vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) entnommen werden. Bei nicht passgenauem exaktem Gleichlauf zur Kündigungsfrist ist vielmehr für die Annahme der Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Zurückhaltung geboten und regelmäßig hierfür das Hinzutreten weiterer Umstände bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung erforderlich (so auch LAG Köln, Urteil vom 05.05.2022, 6 Sa 774/21, juris, Rn 41 f.).
152b)
153Der Höhe nach beträgt der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers nach § 3 EFZG für Februar 2023 unzweifelhaft die volle eingeklagte Bruttomonatsvergütung von 2.470.- Euro. Es handelt sich insofern um die arbeitsvertraglich vereinbarte verstetigte Bruttomonatsvergütung, die nach dem Lohnausfallprinzip im Entgeltfortzahlungsrecht auch für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen weiter zu zahlen ist.
154c)
155Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288, 291 BGB. Der Vergütungsanspruch des
156Klägers war aufgrund kalendermäßiger Bestimmtheit unstreitig zum 28.02.2023 fällig,
157so dass der Beklagte aufgrund der Nichtzahlung ab dem Folgetag Verzugszinsen in
158Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu zahlen hat, jedenfalls ab dem hier eingeklagten darauffolgenden Tag. Das Gericht war nicht befugt, dem Kläger mehr zuzusprechen als beantragt, dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Zinsforderung (§ 308 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG).
159VI.
160Die zulässige Stufenklage hinsichtlich der Inflationsausgleichsprämie war insgesamt abzuweisen.
1611.)
162Die Stufenklage ist zulässig.
163Die Zulässigkeit der Stufenklage folgt aus § 254 ZPO als besonderer Fall der objektiven Klagehäufung. Diese setzt voraus, dass aufgrund von Unkenntnis der Anspruchshöhe gerade die bestimmte Leistung nicht gefordert werden kann und die Auskunftsklage diese Ermittlung zumindest teilweise fördern könnte (Musielak/Voit/Foerste,18. Aufl. 2021, ZPO § 254 Rn.3). Die Zulassung eines unbestimmten Leistungsantrages ist entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dann gerechtfertigt, wenn das Unvermögen des Klägers zur bestimmten Angabe der von ihm auf der letzten Stufe seiner Klage beanspruchten Leistung auf den Umständen beruht, über welche er auf der ersten Stufe Auskunft begehrt. Über den Wortlaut des § 254 ZPO hinaus werden auch Informationsansprüche erfasst, sofern sie dazu dienen, den Leistungsantrag gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beziffern zu können, und deshalb in einem prozessual gebotenen Zusammenhang mit der Bestimmbarkeit des Zahlungsanspruchs stehen (vgl. BAG, Urteil vom 04.11.2015 – 7 AZR 972/13). Das Auskunftsbegehren muss somit ein notwendiges Hilfsmittel sein, um die fehlende Bestimmtheit des verfolgten Leistungsanspruchs vorzubereiten und herbeiführen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 29.03.2011 – VI ZR 117/10).
164Vorliegend dient der Auskunftsanspruch der Bezifferung und der Bestimmbarkeit des Leistungsanspruchs. Dabei begehrt der Kläger insbesondere die Auskunft über sämtliche Berechnungsgrundlagen sowie die Kriterien für die Auswahl der Arbeitnehmer und die Höhe der individuellen Inflationsausgleichprämie an die Arbeitnehmer, mithin stets Informationen zur Bestimmbarkeit des noch unbestimmten Leistungsanspruchs.
165Eine selbständige Berechnung der Höhe des Zahlungsanspruchs ist auf Klägerseite
166nicht möglich.
1672.)
168Die Stufenklage war jedoch insgesamt als unbegründet abzuweisen.
169Abweichend vom Grundsatz, dass bei einer Stufenklage nach § 254 ZPO über die verschiedenen Stufen getrennt und nacheinander zu verhandeln und zu entscheiden ist, kann eine einheitliche Entscheidung über die in einer Stufenklage verbundenen Anträge dann ergehen und die Stufenklage insgesamt abgewiesen werden, wenn sich bereits bei der Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BAG, Urteil vom 28.06.2011 – 3 AZR 385/09).
170Dies ist vorliegend der Fall. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie zu, so dass die Stufenklage insgesamt, sowohl hinsichtlich des Auskunftsanspruchs als auch hinsichtlich eines Leistungsanspruchs, abzuweisen war.
171Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie.
172a)
173Ein gesetzlicher Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie besteht nicht. Der Gesetzgeber hat zwar steuerliche Erleichterungen begründet, wenn ein Arbeitgeber eine derartige Prämie seinen Arbeitnehmern gewährt, jedoch keine gesetzliche Anspruchsgrundlage für eine derartige Zahlung geschaffen.
174b)
175Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen finden nach Parteivortrag auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung, so dass sich auch hieraus keine Anspruchsgrundlage für eine Inflationsausgleichsprämie vorliegend ergeben konnte.
176c)
177Arbeitsvertraglich wurde ein Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie zwischen den hiesigen Parteien ebenfalls nicht vereinbart.
178d)
179Es besteht auch kein Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
180aa)
181Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte, jedoch im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelte privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Hiernach wird ein Anspruch auf eine Leistung unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich geschützten Gleichbehandlung begründet, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem klar erkennbaren und generalisierenden kollektiven Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt, hierbei jedoch einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, ohne Sachgrund ungleich behandelt oder ausschließt. Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern untersagt auch eine sachfremde Gruppenbildung. Stellt der Arbeitgeber hingegen nur einzelne Arbeitnehmer, unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser oder ist die Anzahl der begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Arbeitnehmer sehr gering, kann ein nicht begünstigter Arbeitnehmer aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch herleiten (BAG, Urteil vom 03.06.2020 – 3 AZR 730/19).
182bb)
183Hiervon ausgehend besteht vorliegend kein Anspruch des Klägers aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
184Der insofern grundsätzlich darlegungsbelastete Kläger hat schon die erste Anspruchsvoraussetzung nicht darlegen können, nämlich dass eine Leistung unter kollektiven Gesichtspunkten gewährt wird.
185Die Beklagte hat ausgeführt, die Inflationsausgleichsprämie unter individuellen, aber gerade nicht unter kollektiven Gesichtspunkten lediglich einzelnen Arbeitnehmern gewährt zu haben. Dem ist der Kläger nicht mehr substantiiert entgegen getreten.
186Der Kläger hat einen kollektiven Tatbestand nicht ansatzweise dargelegt.
187Der Kläger hat schon keine Gruppenbildung bzw. einen kollektiven Bezug konkret
188dargelegt und trägt somit zu unsubstantiiert vor. Selbst wenn ein Teil der Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie von der Beklagten erhalten hat, genügt dies nicht für den Nachweis einer Gruppenbildung. Es bleibt insoweit unklar, wie groß der Kreis der begünstigten und derjenige der nicht begünstigten Arbeitnehmer gewesen sein soll und ob ggf. die Teilzeitbeschäftigung des Klägers oder die ausgesprochene Kündigung der Beklagten die bestimmenden Kriterien für eine etwaige Gruppenbildung gewesen sein sollten.
189VII.
190Der nur hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung gestellte Antrag zu 5) bezüglich der Arbeitspapiere fiel aufgrund des Obsiegens des Klägers mit den Kündigungsschutzanträgen nicht zur Entscheidung an.
191B.
192Die zulässige Widerklage war teilweise begründet und hatte daher teilweise Erfolg.
193I.
194Der Widerklageantrag zu 1.) hatte Erfolg.
195Die beklagte Arbeitgeberin hat einen Anspruch auf Auskunft zu den erfolgten Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers. Dies folgt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitnehmers.
196Nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG hat der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB. Der Arbeitgeber hat insofern ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn, bis die Auskunftsverpflichtung erfüllt ist, kann jedoch den Auskunftsanspruch grds. auch im Wege einer Widerklage geltend machen (BAG, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19).
197Der 5. Senat hat hierzu ausgeführt (BAG, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19, juris, Rn 32):
198„Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner (Staudinger/Looschelders/Olzen BGB [2019] § 242 Rn. 605). Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BGH 17. April 2018 - XI ZR 446/16 - Rn. 24). Der so verstandene Auskunftsanspruch dürfte inzwischen als Gewohnheitsrecht anerkannt sein (so etwa BGH 6. Mai 2004 - III ZR 248/03 - zu II 5 der Gründe; Staudinger/Bittner/Kolbe BGB [2019] § 260 Rn. 19; MüKoBGB/Krüger 8. Aufl. § 260 Rn. 12).“
199Hiervon ausgehend sind vorliegend die Voraussetzungen des mit der Widerklage geltend gemachten Auskunftsanspruchs erfüllt.
200Nicht erforderlich ist ausdrücklich nach der zitierten Rechtsprechung des 5. Senats, dass der Arbeitnehmer bereits einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn geltend gemacht haben müsste. Ausreichend für das Entstehen des Auskunftsanspruchs ist vielmehr, dass die Existenz eines Anspruchs zumindest wahrscheinlich ist. Hiervon kann nach Obsiegen des Arbeitnehmers in einem Kündigungsschutzprozess hinsichtlich eines Anspruchs auf Annahmeverzug und daraus spiegelbildlich resultierend auch eines Auskunftsanspruchs hinsichtlich des Zwischenverdienstes regelmäßig ausgegangen werden.
201Es ist auch nicht erkennbar, dass dem Kläger und Widerbeklagten vorliegend die Auskunftserteilung aufgrund besonderer Umstände nicht zumutbar sein sollte.
202Der Auskunftsanspruch ist auch durch die bisherigen Erklärungen des Klägers im Rechtsstreit noch nicht erfüllt, so dass der Widerklageantrag zu 1) antragsgemäß zu titulieren war.
203II.
204Demgegenüber konnte der Widerklageantrag zu 2.) keinen Erfolg haben.
205Es besteht keine Anspruchsgrundlage dafür, dass der widerbeklagte Arbeitnehmer zusätzlich nochmals konkret zu den arbeitgeberseitig vorgelegten Annoncen seine Bewerbungsbemühungen darlegen müsste. Die Titulierung des Widerklageantrags zu 1.) umfasst bereits sämtliche Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers. Hiervon umfasst sind auch etwaige Bewerbungsbemühungen auf die arbeitgeberseitig vorgelegten Stellenannoncen. Einer gesonderten, nochmaligen Titulierung bedarf es insofern nicht, die Beklagte hat hierauf auch keinen Anspruch.
206C.
207Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach
208hatte zwischen den Parteien eine Aufteilung der Kosten des Rechtsstreits nach dem
209Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen anhand der nachfolgenden Streitwertfestsetzung zu erfolgen.
210Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde auf insgesamt sechs Bruttomonatsgehälter für die Kündigungsschutzanträge festgesetzt, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Hinzu kam ein weiteres Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag. Der allgemeine Feststellungsantrag blieb ohne eigenen Streitwert. Ebenfalls kam der bezifferte Wert der Zahlungsanträge hinzu. Der unbezifferte Auskunfts- und Leistungsantrag der Inflationsprämie, wurde mit dem klägerseitig in Begründung angegebenen Wert von 3.000,00 Euro insgesamt angesetzt. Die Anträge aus der Widerklage wurden mit jeweils dem Auffangstreitwert von 5.000,00 Euro beziffert.
211Gründe, die Berufung gemäß § 64 Abs. 3, Abs. 3a ArbGG gesondert zulassen, waren nicht gegeben.