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Vereinbart ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer die Zahlung einer variablen Vergütung, deren Höhe sich nach Parametern richten soll, die schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr zwingend festgestellt werden müssen, so kann sich der Arbeitgeber mit Blick auf diese aktuelle Gesetzeslage nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Er macht sich vielmehr schadensersatzpflichtig, wenn er die notwendigen Parameter nicht nach alter Rechtslage feststellt und/oder wenn er nicht mit dem Mitarbeiter eine aktualisierende Änderung der vertraglichen Grundlage anstrebt.
I. Auf die Berufung und die im Rahmen der Berufung durch die Hilfsanträge erfolgte Klageerweiterung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.10.2020 - 14 Ca 333/20 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Jahr 2018 einen Schadensersatz in Höhe von 8.000,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 01.04.2019.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Jahr 2019 einen Schadensersatz in Höhe von 8.000,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 01.04.2020.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt dem arbeitsgerichtlichen Schlussurteil – auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens – vorbehalten [berichtigt mit Beschluss vom 05.11.2021].
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über variable Vergütung für die Jahre 2018 und 2019. Das Kernproblem ist dabei die Tatsache, dass die Parteien in ihrer Vereinbarung über die Bemessung der variablen Vergütung zwei Bezugsgrößen bestimmt haben, die nach der Neufassung des § 275 HGB schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr auszuweisen waren und von der Beklagten auch nicht mehr ausgewiesen wurden, nämlich das durch die Gesellschafterversammlung im Wirtschaftsplan prognostizierte „Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ einerseits und das in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesene tatsächlich erwirtschaftete „Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ andererseits.
3Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft des U K und bietet ambulante medizinische Patientenversorgung an. Die Klägerin ist 64 Jahre alt und seit dem 01.03.2007 zunächst als Arzthelferin und zuletzt als sogenannte Geschäftsbereichsleiterin beschäftigt. Zwischen den Parteien ist zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 6.050,00 EUR zzgl. Tantieme vereinbart gewesen.
4In der Vertragsurkunde heißt es in § 11 zum Verfall von Ansprüchen wörtlich:
5„Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.“
6Am 08.09.2016 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 01.09.2016 eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag (Bl. 27 d.A.). Dort heißt es auszugsweise wörtlich:
7„Mit Wirkung zum 01.09.2016 vereinbaren die Parteien, was folgt:
8I. § 2 Abs. 1
9[…]
10Zusätzlich zu ihrem Bruttomonatsgehalt erhält die Arbeitnehmerin, erstmals ab 01.01.2018, eine gewinnabhängige variable Vergütung i.H.v. 8000 € brutto p.a. Der Anspruch entsteht nur dann in voller Höhe, wenn das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (vor Steuern) eines Geschäftsjahres den Wert, welcher von der Gesellschafterversammlung als Planergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Wirtschaftsplan für das jeweilige Geschäftsjahr festgelegt wird, überschreitet. Liegt das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Bereich zwischen 60 % bis 100 % des Betrages, welche für das Geschäftsjahr festgelegt wurde, wird die Höhe der Tantieme prozentual dem erreichten Ergebnis angepasst. Der Anspruch entsteht nur über die entsprechende prozentuale Teilzahlung. Liegt das Ergebnis unter dem Betrag von 60 % für das gesamte Geschäftsjahr, so entsteht kein Anspruch. Feststellung und monetäre Bewertung der variablen Vergütungsbestandteile sowie deren Auszahlung erfolgt im ersten Quartal des Folgejahres. Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld werden nicht gezahlt.
11II. Alle übrigen arbeitsvertraglichen Regelungen gelten unverändert fort.
12[…]“
13Zur Bestimmung des Anspruchs auf variable Vergütung für ein konkretes Jahr bedarf es also nach dieser Vertragsbestimmung im Vorjahr der (prognostischen) Festlegung eines Planergebnisses für das besagte konkrete Jahr durch die Gesellschafterversammlung im Wirtschaftsplan. Diese Prognose ist dann mit dem im laufenden Jahr tatsächlich erwirtschafteten Ergebnis ins Verhältnis zu setzen. Bei dem „Ergebnis“ geht es nach dem Wortlaut der Vertragsklausel um das „Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (vor Steuern)“. Mit der Ausweisung des „Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ in der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 275 Abs. 2 Ziff. 14 bzw. Abs. 3 Ziff. 13 HGB a.F. sollte in der Zeit vor dem 23.07.2015 dem Bilanzleser und Bilanzanalysten eine Unterscheidung zwischen operativem Geschäft und außerordentlichen Ergebnissen ermöglicht werden. Als „gewöhnliches Geschäft“ galten die ständig vorkommenden, unternehmenstypischen Geschäfte im Rahmen des Kerngeschäfts. Bei der Zusammensetzung der Gewinn- und Verlustrechnung kam es auf das Kriterium der Regelmäßigkeit an (vgl. Hutzschenreuter, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 2009, S. 326). Im Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nicht enthalten waren mithin das außerordentliche Ergebnis und die Ertragsteuern. Der Gesetzgeber hat im Juli 2015 mit dem Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz diese Unterscheidungen gestrichen, so dass das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ab dem Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2016 nicht mehr als Zwischensumme auszuweisen war. Gleiches gilt für den Wirtschaftsplan im Vorjahr.
14Die Parteien haben hier also im September 2016 als Bezugsgröße zur Bemessung der variablen Vergütung der Klägerin für den Zeitraum ab dem 01.01.2018 zwei Zahlen vereinbart, die bereits im Wirtschaftsplan 2015 für das Jahr 2016 und im Jahresabschluss für das Jahr 2016 nicht mehr auszuweisen waren und nicht mehr ausgewiesen wurden.
15In rechtlicher Hinsicht ist nun zwischen den Parteien streitig, welche Auswirkung die Tatsache hat, dass die den Anspruch bestimmenden Bezugsgrößen im Wirtschaftsplan und in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht (mehr) ausgewiesen werden.
16Nach der Staffel des § 275 Abs. 2 HGB a.F. errechnete sich das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit wie folgt:
17Umsatzerlöse
18+/- Bestandsveränderungen
19+ andere aktivierte Eigenleistungen
20+ sonstige betriebliche Erträge
21- Materialaufwand
22- Personalaufwand
23- Abschreibungen
24- sonstige betriebliche Aufwendungen
25+/- Beteiligungsergebnis
26+/- Zinsergebnis
27- Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens
28= Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
29Mit Email vom 30.08.2019 (Bl. 31 d.A.) hat die Beklagte nach Aufforderung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine „Überleitungsrechnung vorgelegt mit den folgenden Rechnungspositionen:
302018 WP
31Jahresüberschuss 246.610,00 249.437
32+ Sonstige Steuern 88 152
33+ Steuern vom Einkommen und Ertrag 49.689 75.923
34+ Außerordentliche Aufwendungen -
35- Außerordentliche Erträge 162.126 2.513
36Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit 134.261 322.999
37Mit Übersendung dieser „Überleitungsrechnung“ vertrat die Beklagte die Auffassung, dass das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Geschäftsjahr 2018 unter 60 % des Planergebnisses gelegen habe. Für das Geschäftsjahr 2019 hat die Beklagte nicht einmal eine entsprechende „Überleitungsrechnung“ vorgelegt. Seit dem 14.11.2019 hat die Klägerin nur noch vereinzelte Tage Arbeitsleistung erbracht. Seit dem 16.05.2020 ist sie durchgehend arbeitsunfähig.
38Mit der seit dem 16.01.2020 anhängigen und am 03.06.2020 (Bl. 83 d.A.) erweiterten Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, nicht verpflichtet zu sein, an der Zeiterfassung teilzunehmen. Dieser Antrag ist nach Klageabweisung durch das Arbeitsgericht mangels Berufung der Klägerin nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Außerdem hat sie im Wege der Stufenklage Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Auszahlung der variablen Vergütung für die Jahre 2018 und 2019 begehrt.
39Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, die „Überleitungsrechnung zum Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ für das Jahr 2018 sei nach ihrer Auffassung intransparent, nicht nachvollziehbar und nicht geeignet, ihren Auskunftsanspruch zu erfüllen. Bei Abschluss des Vertrages sei die Gesetzeslage bekannt gewesen. Diese ändere an dem Anspruch nichts. Die Beklagte habe sich mit dem Vertrag verpflichtet, die Bezugsgrößen zu ermitteln. Die zugrunde liegenden Zahlen seien der Beklagten bekannt.
40Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages vorgetragen, sie weise der Gesetzeslage entsprechend das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nicht mehr ausdrücklich aus. Der Jahresabschluss für das Jahr 2018 sei der Klägerin bekannt und ihr sei dieser auch erläutert worden. Der Anspruch für das Jahr 2018 sei außerdem nach der vertraglichen Verfallklausel verfallen.
41Mit dem am 15.10.2020 verkündeten Teil-Urteil hat das Arbeitsgericht Köln die Feststellungsklage bezüglich der Zeiterfassung abgewiesen. Gleichfalls abgewiesen hat das Arbeitsgericht die erste Stufe der Stufenklage zur Auskunft über die rechnerischen Grundlagen der variablen Vergütung für die Jahre 2018 und 2019. Da seit dem Inkrafttreten des Bilanzrichtlinienumsetzungsgesetzes vom 01.01.2016 das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nicht mehr ausdrücklich ausgewiesen werde, sei mit Blick auf die Vereinbarung einer variablen Vergütung eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten. Nach § 313 BGB sei es nun der Beklagten nicht zumutbar, Werte zu ermitteln, die nach aktueller Gesetzeslage nicht erhoben werden. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Vereinbarung über die variable Vergütung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Gesetzesänderung bereits absehbar gewesen sei.
42Gegen dieses ihr am 05.11.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.12.2020 Berufung eingelegt und sie hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 05.02.2021 begründet.
43Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin vor, sie beschränke die Berufung auf die Abweisung der Auskunftsklage zum Tantieme-Anspruch. Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Auskunftsantrages begehre sie Schadensersatz in Höhe des jeweiligen Maximalbetrages. Nach wie vor liege für das Jahr 2019 nicht einmal eine „Überleitungsrechnung“ vor.
44Die Klägerin beantragt,
451. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.10.2020 – 14 Ca 333/20 – abzuändern und nach dem Klageantrag zu 2 zu erkennen, nämlich:
46die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Vorlage der entsprechenden Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Beklagten Auskunft zu erteilen über die von der Gesellschafterversammlung der Beklagten festgelegten Plan-Ergebnisse der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Wirtschaftsplan der Beklagten für die Geschäftsjahre 2018 und 2019 und über die erreichten Ergebnisse der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (vor Steuern) der Beklagten für die Geschäftsjahre 2018 und 2019
47hilfsweise
482. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Jahr 2018 einen Schadensersatz in Höhe von 8.000,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 01.04.2019.
493. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Jahr 2019 einen Schadensersatz in Höhe von 8.000,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 01.04.2020.
50Der Beklagte beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Die Beklagte trägt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrages vor, das arbeitsgerichtliche Urteil sei nach ihrer Auffassung richtig. Die begehrte Auskunft sei ihr nicht nur unzumutbar sondern unmöglich. Die Hilfsanträge mache die Klägerin außerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend. Aus den Darlegungen der Klägerin ergebe sich auch nicht die tatsächliche oder vermeintliche Schadenshöhe.
53Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
54E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
55I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
56II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, aber nur, soweit die Klägerin mit ihrer Berufung klageerweiternd Schadensersatz gefordert hat.
571. Die Berufung war unbegründet, soweit sich die Klägerin mit ihrer Berufung gegen die Klageabweisung des Auskunftsantrages wendet. Zurecht hat das Arbeitsgericht die Klage insoweit abgewiesen. Der erste Teil des Auskunftsanspruchs, nämlich die begehrte Auskunft „über die von der Gesellschafterversammlung der Beklagten festgelegten Plan-Ergebnisse der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Wirtschaftsplan der Beklagten für die Geschäftsjahre 2018 und 2019“ ist gemäß § 362 BGB erfüllt mit der Antwort: „Solche Planergebnisse wurden nicht festgelegt“. Die Festlegung von Prognosen wird mit Ablauf der Prognoseperiode gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich. Sie kann nicht nachgeholt werden – auch nicht durch eine nicht weiter erläuterte „Überleitungsrechnung“. Damit kann rechnerisch auch kein Verhältnis zwischen dem Planergebnis, also der Prognose, einerseits und dem tatsächlich erzielten Ergebnis andererseits ermittelt werden und damit kann es für die Jahre 2018 und 2019 auch keine Ansprüche direkt aus der Tantieme-Vereinbarung geben. Dabei geht es weniger um einen Fall der Störung der Geschäftsgrundlage als vielmehr um einen Fall der Unmöglichkeit.
582. Die Berufung war aber begründet, soweit die Klägerin im Wege der Klageerweiterung von der Beklagten Schadensersatz fordert. Der Schadensersatzanspruch folgt aus §§ 283, 280 BGB iVm dem Arbeitsvertrag und entspricht der Höhe nach 100 % der jeweils entgangenen variablen Vergütung.
59Dem Grunde nach folgte der unmöglich gewordene Anspruch auf variable Vergütung aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 a Abs. 2 BGB. Die Berechnung der vertraglich geschuldeten variablen Vergütung ist wie gezeigt unmöglich, weil die Beklagte es unterlassen hat, der Klägerin rechtzeitig unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 275 Abs. 2 HGB alter (!) Fassung eine Prognose in Gestalt eines Wirtschaftsplans vorzulegen. Nur weil die aktuelle Rechtslage einen Wirtschaftsplan in der notwendigen Gestalt nicht mehr vorsah, war die Beklagte nicht gehindert, einen solchen nach altem Recht zu erstellen oder erstellen zu lassen. Ein solches Vorgehen wäre ggfls. teuer und aufwendig gewesen, aber nicht unmöglich. Die Rechtslage hatte sich ja auch nicht etwa im Laufe des Dauerschuldverhältnisses geändert, sondern die Beklagte hatte sich zur Erstellung und Mitteilung des Wirtschaftsplans nach altem Recht zu einem Zeitpunkt verpflichtet, als das Recht längst geändert war. Im Rahmen einer Vertragsänderung oder einer Änderungskündigung wäre es möglich gewesen, den irrtümlich der alten Rechtslage geschuldeten Vertragstext anzupassen. Diese Möglichkeiten hat die Beklagte aber nicht ergriffen. So blieb es bei der Verpflichtung der Erstellung eines Wirtschaftsplans nach altem Recht. Pflichtwidrig und schuldhaft hat sie die Vertragspflicht unerfüllt gelassen. Dadurch hat sie sich gemäß § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig gemacht.
60Für beide Jahre, 2018 und 2019, ergibt die gemäß § 287 ZPO anzustellende Schätzung, dass ein Schaden nicht nur eingetreten ist, sondern auch dass dieser Schaden der Höhe nach jeweils 100 % der vertraglich versprochenen variablen Vergütung entspricht. Die Beklagte ist nämlich ihrer sekundären Darlegungslast aus § 138 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen. Wie beim Fehlen einer Zielvereinbarung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 280 Abs. 1 und Abs. 3 BGB i. V. m. § 283 Satz 1 BGB statt der unmöglich gewordenen Festlegung von Prognosen (hier also den Zielen im Wirtschaftsplan) Schadensersatz verlangen (vgl. für Zielvereinbarungen BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 -; LAG Rheinland-Pfalz Urt. v. 15.12.2015 - 8 Sa 201/15). Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB. Gemäß § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Diese Bestimmung enthält für die Geschädigte - hier also für die Klägerin - eine Beweiserleichterung, die den Rechtsgedanken aus § 287 ZPO ergänzt. Die Geschädigte hat nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung der §§ 252 BGB, 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt, dürfen an den Vortrag der Indiztatsachen keine zu strengen Anforderungen gestellt werden (BGH 18.02.2002 - II ZR 355/00 -). Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen dabei sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe (vgl. BGH 28.04.1982 - IVa ZR 8/81 -). Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO aus (BGH 17.04. 1997 - X ZR 2/96 -). Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt (BAG 20.09.2006 - 10 AZR 439/05 - ). Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen.
61Nach dem Vorgesagten fehlt es an Darlegungen der Beklagten, um einen geringeren entgangenen Gewinn annehmen zu können, als die jeweils 100 % der ursprünglich vertraglich versprochenen variablen Vergütung. Für das Jahr 2019 hat die Beklagte nämlich zu den Berechnungsfaktoren „Prognose“ und „tatsächlich eingetretenem Ergebnis“ gar nichts vorgetragen. Auch ihr Vortrag zum Jahr 2018 ist nicht ausreichend. Die zumindest nach § 138 Abs. 2 ZPO einlassungspflichtige Beklagte hat außer der nicht weiter erläuterten „Überleitungsrechnung“ für das Jahr 2018 keine Daten vorgelegt. Nichts spricht daher dagegen, von einer 100 %igen Zielerreichung auszugehen.
62Der somit dem Grunde und der Höhe nach antragsgemäß entstandene Schadensersatzanspruch ist auch nicht aufgrund der vertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Die Ausschlussfrist in der Vertragsurkunde ist nämlich mangels Transparenz unwirksam. Es fehlt an Transparenz, weil die Klausel Mindestlohnansprüche nicht ausdrücklich ausnimmt. Das gilt auch für den „Altvertrag“ aus dem Jahr 2007, weil die Parteien mit der Formulierung „Alle übrigen arbeitsvertraglichen Regelungen gelten unverändert fort“ in der Vereinbarung vom 08.09.2016 mit Blick auf das am 01.01.2015 in Kraft getretene Mindestlohngesetz aus dem „Altvertrag“ einen „Neuvertrag“ geschaffen haben (BAG v. 18.09.2018 – 9 AZR 162/18 -; BAG v. 27.03.2018 – 4 AZR 151/15).
63Die geltend gemachten Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288 BGB.
64III. Nach alledem und vor allem nach der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz war die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln teilweise abzuändern und dem zwischenzeitlich anhängigen Schadensersatzantrag in voller Höhe stattzugeben. Die Kostenentscheidung musste dem arbeitsgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten bleiben, da das Arbeitsgericht durch Teilurteil entschieden hatte. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.