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Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 7.9.2009 und die Einspruchsentscheidung vom 4.10.2010 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Eheleute B und C. Über das Vermögen der Eheleute (im Folgenden: Steuerpflichtige) wurde mit Beschlüssen des Amtsgerichts Z-Stadt am 16.3.2006 in den Verfahren 38 IN 38/05 (Klägerin) und 38 IN 82/05 (Kläger) das Insolvenzverfahren eröffnet.
3Der Steuerpflichtige betrieb bis 2005 einen Gartenbaubetrieb, zu dessen Betriebsvermögen u.a. ein in seinem Eigentum stehendes Grundstück in Y-Stadt, gehörte, das zugunsten von Banken belastet war. Während der Steuerpflichtige in seinem Betrieb Zierpflanzen züchtete, widmete sich die Steuerpflichtige in ihrem Unternehmen dem Handel mit diesen Pflanzen. Ausweislich der Gutachten des Klägers vom 10.3.2006 waren die Steuerpflichtigen zahlungsunfähig. Der Kläger veräußerte das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 8.9.2006 (UR 1683/2006) zu einem Preis von 155.000 EUR. Der Insolvenzmasse flossen aus diesem Verkauf am 15.1.2007 5.394 EUR zu. Nach den Feststellungen des Finanzamtes wurde das Grundstück mit einem Buchwert von 77 EUR in der Bilanz des Betriebes geführt. Wegen Nichtabgabe der Steuererklärung für 2006 durch den Kläger schätzte der Beklagte einen Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Grundstücks unter Berücksichtigung eines Gewinns aus der Veräußerung von beweglichen Wirtschaftsgütern in Höhe von 10.000 EUR mit insgesamt 164.923 EUR. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen (Bl. 29 GA). Mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 7.9.2009 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger unter Berücksichtigung des geschätzten Veräußerungsgewinnes Einkommensteuer in Höhe von 19.020 EUR für 2006 fest. Der Kläger erhob am 22.9.2009 Einspruch. Er trug im Wesentlichen vor, die Schätzungen seien ermessensfehlerhaft. Bereits zum früheren Konkursrecht habe der Bundesfinanzhof in einem Urteil vom 29.3.1984 entschieden, dass die Einkommensteuer, die auf den Veräußerungsgewinn entfalle, der aus einer Veräußerung von Vermögensgegenständen nach Konkurseröffnung durch den Konkursverwalter resultiere, nur insoweit zu den Massekosten gehöre, als der Veräußerungserlös zur Masse gelange. Diese Entscheidung sei auf die Insolvenzordnung übertragbar. Aus der Veräußerung des Grundstückes sei daher für 2006 kein Gewinn anzusetzen und für 2007 lediglich der zur Masse gelangte Betrag in Höhe von 5.394 EUR.
4Mit Einspruchsentscheidung vom 4.10.2010 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Er führte aus, zu den Masseverbindlichkeiten gehörten nach § 55 Abs. 1 InsO unter anderem auch solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Diese Voraussetzungen lägen vor, weil die Einkommensteuerschuld 2006 durch die Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstückes begründet wurde. Die durch den Veräußerungsgewinn entstandene Einkommensteuer sei daher in vollem Umfange eine Masseforderung. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29.3.1984 sei zur früheren Konkursordnung ergangen und nicht auf die Insolvenzordnung übertragbar. Dies ergäbe sich daraus, dass die maßgebliche Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr.1 InsO anders als die frühere Vorschrift des § 58 Nr.2 KO, nämlich weitreichender formuliert sei. Nach § 58 Nr.2 KO seien Massekosten die Ausgaben für die Verwaltung, Verteilung und Verwertung der Masse. Diese Vorschrift verlange daher einen direkten Zusammenhang der Kosten mit der Verwaltung, Verteilung und Verwertung. Demgegenüber reiche auf Grund der Formulierung in § 55 Abs. 1 Nr.1 InsO ein wie auch immer gearteter Zusammenhang aus, weil hiernach Masseverbindlichkeiten solche Verbindlichkeiten seien, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung begründet würden. Den §§ 35, 55 InsO könne nicht entnommen werden, dass die Zuordnung einer Steuerschuld zu den Masseverbindlichkeiten von der Höhe der tatsächlich zugeflossenen Mittel abhängig sei. Dies entspräche auch der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Dieser habe in einem Urteil vom 18.5.2010 entschieden, dass Einkommensteuerschulden, die auf einem mitunternehmerischen Gewinnanteil beruhen, auch dann zu den Masseverbindlichkeiten gehören, wenn der Insolvenzmasse durch den Gewinnanteil kein Wert zugeflossen sei.
5Hiergegen richtet sich die am 8.11.2010 erhobene Klage, mit der der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend trägt er vor, zum einen seien die Vorschriften zur Bestimmung der Massekosten nach der früheren Konkursordnung durchaus mit der Definition der Masseverbindlichkeiten nach der Insolvenzordnung vergleichbar. Zum anderen sei der Sachverhalt, welcher dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.5.2010 zugrunde lag, mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Außerdem habe der Kläger auf Grund der Regelungen des Insolvenzrechts einer Zwangsversteigerung des Grundstücks nicht entgegentreten können. Bei einer mitunternehmerischen Beteiligung könne ein Insolvenzverwalter dagegen auf die Aktivitäten des Unternehmens bzw. auf den Bestand der Beteiligung Einfluss nehmen. Zudem betreffe die Entscheidung des Bundesfinanzhofs einen Fall, in dem die Insolvenzmasse durch die Verminderung von Verpflichtungen bereichert wurde. Die Auffassung des Beklagten würde auch zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. Da die Insolvenzmasse nicht über entsprechende Gelder verfüge, würde das Finanzamt keine Zahlung auf die Steuerschulden erhalten.
6Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
7den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 7.9.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.10.2010 aufzuheben,
8hilfsweise,
9die Revision zuzulassen
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12hilfsweise,
13die Revision zuzulassen.
14Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung und wiederholt seine Ansicht, wonach das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.5.2010 auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei. Auch im vorliegenden Fall sei eine Bereicherung der Kläger eingetreten, da die von ihnen zu tragenden Verpflichtungen durch den Verkauf des Grundstücks vermindert wurden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalte der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Die Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte durfte die Einkommensteuerschuld nicht durch Einkommensteuerbescheid als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Steuerpflichtigen geltend machen.
18Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, von der abzuweichen keine Veranlassung besteht, sind Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid geltend zu machen. (Urteil vom 18.5.2010 X R 60/08, BFHE 229, 62 m.w.N.). Zu diesen Masseverbindlichkeiten gehören, neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO), gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 58 Nr.2 KO, wonach Massekosten die Ausgaben für die Verwertung, Verwaltung und Verteilung der Masse waren, führte die aus der Veräußerung eines zur Konkursmasse gehörenden Grundstücks resultierende Einkommensteuer nur insoweit zu Massekosten, als der Veräußerungserlös zur Masse gelangte (vgl. Urteile vom 29.3.1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602, vom 9.9.1994 I R 5/94, BFHE 176, 248 und vom 5.3.2008 X R 60/04, BFHE 220, 299, BStBl II 2008, 787; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 28.10.2008 13 K 457/07 – Vorentscheidung zu BFH Urteil vom 18.5.2010 X R 60/08 – m.w.N.). An dieser Betrachtungsweise hat sich durch die Neuregelung der Insolvenz mit der Insolvenzordnung nichts geändert.
19Die Auffassung des Beklagten, bereits aus der unterschiedlichen Formulierung des § 58 Nr.2 KO und des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, ergäbe sich eine andere rechtliche Folge bei der Beurteilung solcher Handlungen des Insolvenzverwalters, trifft nicht zu. Die Verwendung der unterschiedlichen Präpositionen "durch" in § 55 Abs. 1 Nr.1 InsO an Stelle von "für" in § 58 Nr.2 KO führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Die Gründe, die zu der vom Bundesfinanzhof vertretenen Auslegung des § 58 Nr.2 KO geführt haben, gelten fort. Maßgeblich für die einschränkende Auslegung des § 58 Nr.2 KO waren im Wesentlichen die Erfordernisse des früheren Konkursverfahrens. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs wurde der Konkursverwalter bei der Veräußerung von Grundstücken, die mit Grundpfandrechten belastet waren, im Interesse der Grundpfandgläubiger tätig. Diese Gläubiger hatten ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus den zur Konkursmasse gehörenden, zu ihren Gunsten belasteten Grundstücken. Sie hätten Befriedigung durch Verwertung der Grundstücke außerhalb des Konkursverfahrens suchen können (§§ 4 Abs.2, 47 KO). Sie konnten die Verwertung aber auch dem Konkursverwalter überlassen mit der Folge, dass sich ihr Absonderungsrecht am Veräußerungserlös fortsetzte. Hätte die den Veräußerungsgewinn betreffende Einkommensteuer ungeachtet der Verwendung des Erlöses zugunsten absonderungsberechtigter Gläubiger als vorrangiger Masseanspruch befriedigt werden müssen, so hätte sich ergeben können, dass die Vorwegbelastung der Masse größer war als der Zuwachs aus dem Veräußerungsgeschäft. Dies zeigte sich gerade dann, wenn einem Vermögenszufluss eine deutlich höhere Masseforderung des Finanzamtes gegenübergestanden hat. Obwohl eine sachgerechte Verwertung der belasteten Vermögensgegenstände sowohl im Interesse der Absonderungsberechtigten als auch der Konkursgläubiger liegt, hätte hierauf vielfach wegen der drohenden Steuerbelastung verzichtet werden müssen. Denn bei einer Verwertung durch die Absonderungsberechtigten hätte die entstehende Einkommensteuerschuld des Gemeinschuldners nicht zu den Massekosten gehört (vgl. BFH Urteil vom 29.3.1984 IV R 271, 83 a.a.O.). Diese Gründe gelten grundsätzlich auch noch unter der Geltung der Insolvenzordnung. An der Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger hat sich nichts geändert. Nach wie vor können sie außerhalb des Insolvenzverfahrens aus der Verwertung der zu ihren Gunsten belasteten Grundstück Befriedigung ihrer Forderungen finden. Auch an der möglichen Konsequenz, dass die Vorwegbelastung der Masse mit Steuerforderungen aus den Handlungen des Insolvenzverwalters den Vermögenszuwachs übersteigt, hat sich nichts geändert. Im vorliegenden Fall wurde die Masse durch die Veräußerung des Grundstückes im Streitjahr 2006 nicht vermehrt. Demgegenüber wäre sie, sollte die Auffassung des Beklagten zutreffen, mit den Steuerforderungen in Höhe von 19.020 EUR belastet.
20Es kann dahinstehen, ob die an dieser Auffassung des Bundesfinanzhofs in der Literatur geäußerte Kritik zutreffend ist (vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7.Aufl. S. 146ff; Waza, Uhländer, Schmittmann, Insolvenzen und Steuer, 8. Aufl., S.361). Denn auch nach dieser Auffassung wäre der gegenüber dem Kläger erlassene Bescheid rechtswidrig. Nach dieser Ansicht handelt es sich bei der Einkommensteuer auf Grund der Aufdeckung von stillen Reserven durch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nicht um Masseverbindlichkeiten i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sondern um eine zur Tabelle anzumeldende Insolvenzforderung, soweit die stillen Reserven – wie hier - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. (Frotscher, a.a.O.; wohl auch Waza, Uhländer, Schmittmann, a.a.O.)
21Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.5.2010 (Az.: X R 60/08 BFHE 229, 62) führt zu keiner anderen Beurteilung. Diese Entscheidung betrifft einen gänzlich anderen Sachverhalt. In dem dort entschiedenen Fall waren die insolvenzrechtlichen Folgerungen zu beurteilen, die sich daraus ergeben, dass dem Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Gewinn aus einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung zugerechnet wurde, der aus der erfolgswirksamen Auflösung von Rückstellungen in der Gesellschaft resultierte. Hier wurde auf einen werthaltigen Zufluss in die Konkursmasse verzichtet, weil die Masse bereits durch die Verminderung der sie treffenden Verpflichtungen bereichert sei (BFH Urteil vom18.5.2010 X R 60/08, a.a.O.). Eine vergleichbare Lage besteht hier nicht.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.
23Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.