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Der Duldungsbescheid vom 29. Juni 2012 i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2013 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Duldungsbescheides.
3Der Vater des Klägers schuldet dem Beklagten fällige Einkommen- und Umsatzsteuern einschließlich Nebenleistungen von insgesamt mehr als 30.000 Euro. Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Steuerschuldner blieben erfolglos. Im Rahmen einer Liquiditätsprüfung zur Ermittlung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Steuerschuldners stellte der Beklagte mit Prüfungsbericht vom 5. August 2011 fest, dass der Vater des Klägers kein eigenes Girokonto unterhielt und auf dem Girokonto des Klägers Nr. 1 bei der A-Bank im Prüfungsjahr 6.743,63 Euro als Entgelt für vom Vater als Subunternehmer im Auftrag eines Dritten ausgeführte Kurierfahrten gutgeschrieben worden waren. Dem Vater des Klägers waren Kontoverfügungen mittels überlassener EC-Karte und Bekanntgabe des PIN-Codes möglich. Der Kläger selbst hat über den Überweisungsbetrag wie auch über das Girokonto nicht verfügt. Er ist Inhaber eines weiteren Girokontos mit der Nr. 2 bei der A-Bank, das er für sich nutzt.
4Der Beklagte erließ am 29. Juni 2012 einen Duldungsbescheid, mit dem die Kontoüberlassung, die zu Gutschriften über 6.743,63 Euro geführt hatte, gemäß § 4 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) angefochten, der Kläger zum Wertersatz verpflichtet und zur Zahlung aufgefordert wurde. Der Einspruch des Klägers vom 4. Juli 2012 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29. August 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
5Mit der Klage trägt der Kläger vor:
6Er habe von den Bewegungen auf dem Girokonto Nr. 1 keine Kenntnis gehabt. Er habe mit seinem Vater keine Vereinbarungen zu Lasten des Beklagten oder sonstiger Dritter getroffen und zu keinem Zeitpunkt über irgendeine Zahlung auf dem Konto eine Verfügung getroffen. Er habe das Konto eröffnet, um seinem Vater die Möglichkeit der bargeldlosen Zahlung des Vereinsbeitrags zu ermöglichen. Er sei von seinem Vater über auf dem Konto eingehende Zahlungen nicht informiert worden.
7Der Kläger beantragt,
8den Duldungsbescheid vom 29. Juni 2012 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 29. August 2013 aufzuheben.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er trägt vor:
12Er sei der Meinung, dass eine unentgeltliche Leistung des Steuerschuldners im Sinne des § 4 AnfG vorliege. Es werde verneint, dass dem Geldeingang beim Kläger ein Herausgabeanspruch des Vaters gegenüberstehe. Ein Auftragsverhältnis, Verwahrvertrag, Treuhandverhältnis, Inkassoverhältnis o. ä. als vertraglicher Herausgabeanspruch sei nicht gegeben. Ein Herausgabeanspruch aus Bereicherungsrecht zu Gunsten des Vaters des Klägers bestünde nicht; allenfalls wäre der Kläger nach § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dem zahlenden Kurierdienst zur Herausgabe verpflichtet. Sonstige Vereinbarungen zwischen Vater und Kläger über die Bezahlung des Vereinsbeitrags hinaus hätten nicht bestanden. Mit Überlassung von EC-Karte und Offenbarung der Geheimzahl (PIN) hätte der Vater des Klägers eine fiktive Kontovollmacht und jederzeit Zugriff auf das Konto gehabt. Der Vater habe bewusst veranlasst, dass Zahlungen vom Kurierdienst in das Eigentum des Klägers gelangt seien. Es liege also eine gerechtfertigte Bereicherung des Klägers vor, bei dem der Vater gerade keinen rechtlichen Herausgabeanspruch habe. Die Anfechtung, die hier auf § 4 AnfG gestützt werde, setze keine Gläubigerbenachteiligung voraus. Sollten Vereinbarungen zwischen Kläger und seinem Vater zur Nutzung des Fremdkontos bestehen, wären diese im Rahmen des Klageverfahrens aufzuklären, da ein neuer Sachverhalt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gemäß § 3 AnfG führen könne.
13Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist begründet.
16Der angefochtene Duldungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 4 AnfG liegen nicht vor.
17Nach § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dazu zählen auch die Fälle, in denen einem Gläubiger zur Befriedigung seiner Forderung das zur Verfügung gestellt werden muss, was durch anfechtbare Rechtshandlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist. Gleiches gilt, wenn der Anfechtungsgegner den in anfechtbarer Weise aus dem Schuldnervermögen ausgeschiedenen Gegenstand nicht in Natur zurückgewähren kann und wenn er deshalb verpflichtet ist, Wertersatz zu leisten (§ 11 Abs. 1 AnfG).
18Die Entscheidung über die Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 AO ist zweigliedrig (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. Juni 1997 VII R 96/96, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1998, 4). Zunächst ist in einer vom Gericht in vollem Umfang überprüfbaren Rechtsentscheidung zu prüfen, ob beim Kläger, den das Finanzamt durch Duldungsbescheid in Anspruch nehmen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung gegeben sind. Ist dies zu bejahen, ist die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts, ob und wen es als Duldungsverpflichteten in Anspruch nehmen will, gerichtlich im Rahmen des § 102 FGO beschränkt auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar.
19Der Beklagte ist anfechtungsberechtigter Gläubiger im Sinne des § 2 AnfG. Die gegenüber dem Vater des Klägers festgesetzten Steuerschulden sind fällig und vollstreckbar. Die Vollstreckung in das Vermögen des Vaters ist erfolglos geblieben.
20Das AnfG gilt gemäß § 1 AnfG für alle Rechthandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger benachteiligen. Rechtshandlung im Sinne des AnfG ist jedes – rechtliche oder tatsächliche – Handeln oder Unterlassen des Schuldners, das rechtliche Folgen hat. Dabei kommt es auf die Wirksamkeit der Rechtshandlung nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob der Schuldner durch sein Handeln jedenfalls dazu beigetragen hat, dass ein Vermögensgegenstand einem Dritten zugewandt worden ist (Urteil des Finanzgerichts – FG – Münster vom 15. Dezember 2011 11 K 344/08 AO, juris). Die Nutzung von Fremdkonten benachteiligt grundsätzlich die Gläubiger (hier das Finanzamt) des Anfechtungsschuldners (hier der Vater des Klägers). Denn die jeweiligen Kontoguthaben gehören zum Vermögen des Kontoinhabers (Kläger) und auf das Vermögen Dritter können die Gläubiger des Vollstreckungsschuldners mit ihren gegen diesen gerichteten Vollstreckungstiteln nicht zugreifen.
21Neben den allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 1, 2 AnfG müssen auch die besonderen Anfechtungsvoraussetzungen des § 4 AnfG vorliegen. § 4 AnfG verlangt eine unentgeltliche Leistung des Schuldners (Vater). Eine unentgeltliche Leistung setzt voraus, dass es auf Seiten des Schuldners zu einer Vermögensminderung und auf Seiten des Anfechtungsgegners (Kläger) zu einer entsprechenden Vermögensmehrung gekommen ist. Sowohl die Vermögensminderung als auch die Vermögensmehrung sind jedoch zu verneinen, wenn zeitgleich zum Geldeingang auf dem Konto des Anfechtungsgegners ein Herausgabeanspruch des Schuldners entsteht. Ob dieser Herausgabeanspruch aus einem Auftragsverhältnis, Verwahrvertrag oder Treuhandverhältnis oder einem Vertrag sui generis resultiert – so bei einvernehmlicher Nutzung des Kontos – oder aus einer Leistung ohne Rechtsgrund – so bei Überweisung des Geldes auf das Konto ohne Wissen und Willen des Kontoinhabers – spielt hierbei letztlich keine Rolle.
22Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Rechtshandlungen des Anfechtungsschuldners vorliegen, trägt der Anfechtende. Auf etwaige Beweiserleichterungen kann sich der Beklagte dabei nicht berufen. Insbesondere führt der Umstand, dass die zur Erfüllung der Darlegungslast benötigten Kenntnisse und Unterlagen letztlich in der Sphäre des Anfechtungsgegners liegen, nicht zu einer Beweislastumkehr. Dem Anfechtungsgegner obliegt es im Rahmen seiner sekundären Beweislast lediglich, substantiierte Einwendungen zu erheben. Werden solche Einwendungen erhoben, muss der Anfechtende darlegen und notfalls beweisen, dass es sich tatsächlich um anfechtbare Rechtshandlungen des Anfechtungsschuldners handelt (vgl. Urteil des FG Münster vom 15. Dezember 2011 11 K 634/07 AO, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 900).
23Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, dass der Vater des Klägers zu den Zeitpunkten, als er Einzahlungen auf das Konto des Sohnes veranlasste, den Willen hatte, dem Kläger hierdurch Vermögenswerte dauerhaft zuzuwenden. Vielmehr ist es nach dem Vortrag des Beklagten so, dass der Vater das ihm zur Verfügung gestellte Konto wie ein eigenes genutzt hat (Überlassung von EC-Karte und PIN). Damit hatte der Vater – jedenfalls im Innenverhältnis – die alleinige Verfügungsgewalt über die für ihn eingezahlten Gelder. Nach der übereinstimmenden Vorstellung von Vater und Kläger war es so, dass der Vater das ihm zur Verfügung gestellte Konto wie ein eigens Konto sollte nutzen können. Folglich war der Kläger zur Herausgabe der eingegangenen Gelder an seinen Vater verpflichtet. Laut den vorliegenden Kontoauszügen ist es zu den Verfügungen gekommen. Der Kläger hat nach seinem Vortrag aus dem Konto nichts erlangt. Letzteres wird auch vom Beklagten nicht behauptet.
24Ebenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die besonderen Anfechtungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 AnfG vorliegen. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob ein Auswechseln des Anfechtungstatbestandes im Rechtsbehelfverfahren überhaupt zulässig ist (vgl. hierzu Urteil des FG Münster vom 22. Januar 2010 6 K 4276/06 AO, Betriebsberater – BB – 2010, 730). Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz vornimmt, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG wird diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für das Vorliegen der Gläubigerbenachteiligungsabsicht und der Kenntnis obliegt auch hier dem anfechtenden Gläubiger, das heißt hier dem Beklagten.
25§ 3 Abs. 1 AnfG verlangt positive Kenntnis. Bloße Vermutungen („wird wohl gewusst haben“) oder eine grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus. Auch kann der Nachweis der Kenntnis grundsätzlich nicht im Wege des Anscheinsbeweises geführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 1987 VII R 10/84, BFH/NV 1987, 728). Der Gläubiger kann sich über die Vermutungswirkung des § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG hinaus auch auf keine Beweiserleichterung berufen. Die Tatsachen, aus denen sich eine Kenntnis des Anfechtungsgegners ergibt, mögen zwar in dessen Sphäre liegen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in den Fällen, in denen der Anfechtungsgegner seine Kenntnis bestreitet, es allein und ausschließlich dem Anfechtenden obliegt, die Kenntnis nachzuweisen.
26Der Beklagte hat keine objektiven Tatsachen dargelegt und nachgewiesen, die eine positive Kenntnis des Klägers von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht oder den Hilfstatsachen des § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG nachweisen. Auch lässt nicht schon allein der Umstand, dass der Vater überhaupt das Konto des Klägers nutzen wollte, den Rückschluss zu, dass der Vater mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht handelte oder ihm die Zahlungsunfähigkeit drohte und der Kläger hiervon Kenntnis hatte. Denn es sind auch andere Motivlagen bzw. Ausgangssituationen denkbar, in denen es insbesondere unter Angehörigen zu einer Kontoüberlassung kommen kann. Zudem kommt es ohnehin nicht darauf an, ob dem Kläger die Bitte, seinem Vater sein Konto zu überlassen, merkwürdig hätte vorkommen müssen, sondern maßgeblich ist allein, ob er tatsächlich erkannt hat, dass mit der Kontonutzung eine Benachteiligung von Gläubigern seines Vaters einherging und sein Vater mit Benachteiligungsvorsatz handelte oder seinem Vater die Zahlungsunfähigkeit drohte. Der Kläger bestreitet diese Kenntnis.
27Zu beachten ist weiterhin, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG nicht die Kenntnis von irgendwelchen finanziellen Schwierigkeiten des Anfechtungsschuldners als ausreichend ansieht, sondern das Gesetz Kenntnis von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit verlangt. Es reicht daher grundsätzlich nicht aus, dem Anfechtungsgegner bloß eine Kenntnis von Schulden des Anfechtungsschuldners oder von irgendwelchen Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner nachzuweisen, denn nicht jedem, der Schulden hat oder gegen den vollstreckt wird, droht gleichzeitig auch die Zahlungsunfähigkeit. Vielmehr müsste dem Kläger nachgewiesen werden, dass er entweder nähere Informationen über die finanzielle Situation seines Vaters hatte – wie z. B. eine zumindest ungefähre Kenntnis von der Höhe der Schulden und dem verfügbaren Einkommen/Vermögen des Vaters, um hieraus auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit schließen zu können – oder dass ihm sonstige Umstände bekannt waren, die unmittelbar auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hinwiesen.
28Letztlich fehlt es auch am anfechtungsrechtlichen Wertersatzanspruch. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG muss dem Gläubiger dasjenige zur Verfügung gestellt werden, was aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, soweit es zu dessen Befriedigung erforderlich ist. Ist der anfechtbar weggegebene Gegenstand beim Anfechtungsgegner nicht mehr vorhanden, muss Wertersatz geleistet werden (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1996 VII R 35/96, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1997, 17). Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt (Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 9. Dezember 1993 IX ZR 100/93, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1994, 726, zu Treuhandkonten), die grundsätzlich auch auf Fälle der Anfechtung zu übertragen ist, ist der Wertersatzanspruch in Fällen der Nutzung von Fremdgeldkonten auf die Beträge zu begrenzen, die sich noch auf dem Konto befinden bzw. die dem Kontoinhaber zu Gute gekommen sind. An solchen zu ersetzenden Vermögenswerten fehlt es beim Kläger.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.