Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten in verfahrensrechtlicher Hinsicht über die Zulässigkeit eines Einspruchs gegen die Einkommensteuerfestsetzung und die Festsetzung eines Verspätungszuschlags für 2019.
3Der Kläger ist Rentner. Er erzielte im Streitjahr Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte aus einer Rente. Da er trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 2019 sowie einen Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2019 mit Bescheid vom 1.10.2021 fest. Der Bescheid stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und war an die „A Partnerschaftsgesellschaft…“ (steuerliche Beraterin des Klägers, im Folgenden: A) als Empfangsbevollmächtigte adressiert. Für nähere Einzelheiten wird auf den Steuerbescheid Bezug genommen.
4Der Bescheid ging der A am 4.10.2021 zu und wurde bestandskräftig.
5Mit einem beim Beklagten am 3.12.2021 eingegangenen Schreiben vom 1.12.2021 erhob die A Einspruch gegen die Festsetzung der Einkommensteuer und des Verspätungszuschlags für 2019 und beantragte hinsichtlich der versäumten Einspruchsfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO. Zur Begründung führte sie aus, dass kein Mangel in ihrer Büroorganisation vorliege und die Fristversäumnis daher unverschuldet sei. Sie – die A – verfüge über einen separaten Postausgangskorb für das Finanzamt, in dem die jeweiligen Schriftstücke vor ihrer Versendung abgelegt würden. Zudem werde mittels Datev ein elektronisches Postausgangsbuch geführt. Der Postausgang werde dort unveränderlich festgeschrieben, sobald die Post versandt worden sei. Zudem verfüge sie über „nachvollziehbare und dokumentierte Geschäftsprozesse“, die für sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festlegten, wie Eingangspost zu bearbeiten sei. Der verantwortliche Berufsträger (Partner) der A schule als Rechtsanwalt und Steuerberater regelmäßig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin, dass Fristen erst dann als erledigt gekennzeichnet werden dürften, wenn sie durch Absendung der entsprechenden Schriftstücke auch tatsächlich erledigt seien. Im Rahmen des Organisationsablaufs würden alle eingehenden Schriftstücke gescannt, sortiert und – soweit erforderlich – der elektronischen Fristenüberwachung zugeführt. Alle Mitarbeiter seien in diese Prozesse eingewiesen und arbeiteten hiernach grundsätzlich zuverlässig. So werde die Eingangspost zunächst mit einem Posteingangsstempel und – soweit es sich um einen Bescheid handele – einem Bescheidstempel versehen. Die Post werde sodann zur Durchsicht einem Berufsträger vorgelegt. Die Post werde dann gesichtet und den einzelnen Sachbearbeitern mit dem jeweiligen Kürzel zugeteilt. Nach der Zuteilung werde die Post gescannt und in Datev mithilfe des Dokumentenkorbs abgelegt. Zeitgleich werde ein Posteingang angelegt. Mit Anlegen des Posteingangs würden automatisch die entsprechenden Fristen im Fristenkontrollbuch hinterlegt. Sodann werde das Dokument im Dokumentenmanagementsystem abgelegt. Danach seien sowohl das Dokument in der eigenen Filterabfrage „meine offenen Dokumente“ als auch die Frist im Fristenkontrollbuch als „offen“ gekennzeichnet. Nach Kontrolle der erfassten Posteingänge würden diese festgeschrieben und könnten im Nachhinein nicht mehr geändert werden. Nachdem Bescheide geprüft und als nicht zu beanstanden qualifiziert worden seien, würden sie im Fristenkontrollbuch geprüft und auf „erledigt“ gesetzt. Danach seien sie in den offenen Fristen nicht mehr einsehbar. Der Steuerbescheid des Klägers sei am 5.10.2021 von Frau Steuerberaterin P bearbeitet worden. Frau P sei eine sehr fähige, zuverlässige und gewissenhafte Mitarbeiterin und habe bislang ausnahmslos sehr gute Arbeit geleistet. Trotzdem sei Frau P bei der Bearbeitung des Bescheids ein heute nicht mehr nachvollziehbarer Fehler unterlaufen. Der Bescheid sei von ihr als „nicht in Ordnung“ gekennzeichnet worden. Vor diesem Hintergrund habe Einspruch eingelegt werden sollen. Dies sei offensichtlich jedoch nicht geschehen. Stattdessen seien unter dem 6.10.2021 beim Kläger die erforderlichen Unterlagen angefordert worden. Dies sei im Fristenkontrollbuch und im Dokumentenmanagementsystem fälschlicherweise als Erledigung des Einspruchs erfasst worden. Damit habe Frau P eindeutig gegen die Handlungsdirektiven der A verstoßen. Erst am 24.11.2021 sei durch den verantwortlichen Berufsträger der A bei der Bearbeitung der Aufforderung zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung des Klägers für 2019 aufgefallen, dass bislang weder die Einkommensteuererklärung 2019 des Klägers eingereicht noch Einspruch gegen den Bescheid vom 1.10.2021 eingelegt worden sei. Eine Wiedereinsetzung sei daher zulässig und begründet. Die Einspruchsfrist sei daher unverschuldet versäumt worden. Insbesondere seien auch die Gründe für die Wiedereinsetzung umfassend dargelegt worden, zumal regelmäßig Schulungen sämtlicher Mitarbeiter durchgeführt würden. Für nähere Einzelheiten wird auf die Schreiben vom 1.10.2021 und vom 29.12.2021, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.
6Am 14.1.2022 ging die Steuererklärung des Klägers für das Streitjahr beim Beklagten ein.
7Der Beklagte verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 1.2.2022 als unzulässig. Zur Begründung wies er auf die Verfristung des Einspruchs hin und führte aus, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen. Ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden der A könne nicht ausgeschlossen werden. Den vorgelegten Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Bescheid am 4.10.2021 bei der A eingegangen, dort am 5.10.2021 von Frau P eingescannt und der Status von Frau P auf „erledigt“ gesetzt worden sei. Am 6.10.2021 habe eine weitere Mitarbeiterin der A – Frau U – an dem Fall gearbeitet, mit einer „Frau R“ telefoniert und sie auf die fehlenden Unterlagen hingewiesen. Weiterhin habe am 6.10.2021 bzw. am 10.11.2021 eine dritte Mitarbeiterin der A – Frau I – am Fall gearbeitet und die fehlenden Unterlagen per Brief angefordert. Im Programm „Steuerunterlagen 2019“ und in der Spalte „Ablagedatum“ mit dem Datum 6.10.2021 sei eine Änderung vom 10.11.2021 gespeichert. Der Status sei dort als „offen“ ausgewiesen. Diese Eingaben befänden sich direkt über dem Eingang des als „erledigt“ erfassten Bescheides betreffend die Einkommensteuer 2019 und den Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 2019. Mithin hätten mehrere Personen an dem Fall gearbeitet. Der Fall sei daher auch nach dem fehlerhaften Status „erledigt“ nochmals aufgegriffen worden. Es sei zudem nicht ersichtlich, wer wann den Vermerk „geprüft n.i.O.“ auf den Bescheid gestempelt habe. Aus der vorgelegten Gesamtübersicht sei zu entnehmen, dass der Friststatus als „erledigt“ erfasst, der Bearbeitungsstand zu diesem Zeitpunkt hingegen als „Bescheid-geschätzt“ und nicht – wie in den anderen Fällen auf der Übersicht – als „geprüft-erledigt“ bezeichnet worden sei. Hieraus folge nicht, dass Frau P den Bescheid bereits für nicht in Ordnung befunden habe. Vielmehr sprächen das Änderungsdatum „6.10.2021“ und die Anforderung der Unterlagen zur Einkommensteuer 2019 im Telefonat vom 6.10.2021 oder in einem nachfolgenden Brief dafür, dass erst zu diesem Zeitpunkt der Stempel „geprüft n.i.O.“ auf dem Bescheid gesetzt worden sei. Auch sei zu vermuten, dass Frau U am 6.10.2021 den Bescheid mit diesem Vermerk eingescannt habe. Damit könne dahinstehen, ob durch Frau P ein Büroversehen vorliege, da andere Mitarbeiter jederzeit noch Einspruch hätten einlegen können. Im Übrigen sei nicht vorgetragen oder nachgewiesen, dass der Vermerk „geprüft n.i.O.“ die Erhebung eines Einspruchs bedeuten soll. Umgangssprachlich bedeute dieser Vermerk nur, dass ein Handlungsbedarf bestehe, was sich auch aus der Anforderung der fehlenden Unterlagen für die Einkommensteuer ergebe. Demnach stehe fest, dass auf den Eingang der Unterlagen gewartet werden sollte. Zudem werde die Behauptung, Frau P habe sich bereits bei Aufgriff des Falls zur Einlegung eines Einspruchs entschlossen, als Schutzbehauptung gewertet. Im Übrigen sei mit Blick auf die Entscheidung des Bundesfinanzhof vom 18.3.2014 (VIII R 33/12, BFHE 246, 1) ein lückenloser schlüssiger Vortrag innerhalb der Antragsfrist erforderlich. Für nähere Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
8Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Zur Begründung verweist er zunächst auf seinen Schriftsatz vom 1.12.2021. Ergänzend trägt er vor, dass Frau P seinerzeit tatsächlich Einspruch habe einlegen wollen. Es handele sich hierbei – entgegen den Vermutungen des Beklagten in seiner Einspruchsentscheidung – nicht um eine bloße „Schutzbehauptung“. Es sei offensichtlich und nachvollziehbar, dass gegen einen von der zuständigen Bearbeiterin als fehlerhaft erkannten und ausdrücklich als „nicht in Ordnung“ gekennzeichneten Steuerbescheid ein Rechtsmittel erhoben werden solle. Dies könne die Bearbeiterin Frau P bezeugen. Die revisionssichere Festschreibung der Daten in den von der A genutzten Systemen erfolge durch Frau U. Die Einspruchsfrist sei vorliegend nur deshalb nicht gewahrt worden, weil die Frist irrtümlich auf „erledigt“ gesetzt worden sei. Aus diesem Grund mache die vom Beklagten geforderte „Wiedervorlage“ keinen Sinn. Denn erledigte Fristen könnten naturgemäß nicht mehr in einer Wiedervorlage erscheinen. Aus Gründen der „Waffengleichheit“ seien die Ausführungen des BFH in seiner Entscheidung vom 22.2.2006 (I R 125/04) betreffend die versehentlich unterbliebene Beifügung des Vorbehalts der Nachprüfung, wenn dieser vom Bearbeiter des Finanzamts bei Erlass des Steuerbescheids erkennbar gesetzt werden sollte und die daraus resultierende Korrekturmöglichkeit nach §§ 129, 164 AO auf die vorliegende Konstellation des § 110 AO und den erkennbaren Willen der Bearbeiterin der A, Einspruch einlegen zu wollen, zu übertragen. Frau P sei zudem keine Unterbevollmächtigte der A, sondern lediglich als freie Mitarbeiterin angestellt. Der Fall sei ihr nicht zur eigenverantwortlichen Bearbeitung überlassen worden. Mithin sei das Verschulden von Frau P nicht zurechenbar im Sinne des § 110 AO.
9Der Kläger beantragt,
10die Einspruchsentscheidung vom 1.2.2022 aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, dass – selbst wenn ein Einspruch hätte eingelegt werden sollen – ein schuldhaftes Verhalten jedenfalls darin zu sehen sei, dass der Einspruch tatsächlich nicht fristgerecht eingelegt und insgesamt auch keine Wiedervorlage vermerkt und überwacht worden sei.
14Entscheidungsgründe:
15I.
16Der Senat legt das Begehren des Klägers entsprechend seinem Klageziel als Antrag auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung aus.
17Der Kläger ist dadurch beschwert, dass der Beklagte den Einspruch bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen verworfen und die nachgereichte Steuererklärung nicht geprüft hat. Diese Beschwer kann durch Aufhebung der Einspruchsentscheidung beseitigt werden, ohne dass es einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids bedarf, da der Beklagte die Steuererklärung nach einer isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung im Rahmen des Einspruchsverfahrens prüfen kann.
18II.
19Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
201.
21Die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung ist zulässig. Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist nach § 44 Abs. 2 FGO zwar grundsätzlich der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung erhalten hat. Der Steuerpflichtige kann jedoch ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse daran haben, dass durch die isolierte gerichtliche Aufhebung einer Einspruchsentscheidung wieder die Möglichkeit einer sachlichen Prüfung durch das Finanzamt geschaffen wird. Andernfalls würde der Steuerpflichtige infolge eines Verfahrensfehlers des Finanzamtes eine Tatsacheninstanz verlieren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20.11.2008 – III R 66/07, BStBl II 2009 und vom 7.7.1976 – I R 66/75, BStBl II 1976, 680). Dies ist vorliegend der Fall, zumal das Veranlagungsverfahren zur Berücksichtigung der nach der Schätzung eingereichten Steuererklärung bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insgesamt neu durchgeführt werden muss.
222.
23Die Klage ist unbegründet.
24Die Einspruchsentscheidung vom 1.2.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Der Einspruch war verfristet, eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kommt nicht in Betracht.
25a)
26Der Einspruch war verfristet.
27Gemäß § 355 Abs. 1 AO ist ein Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Ein mit einfachem Brief bekanntgegebener Verwaltungsakt gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben.
28Demnach galt der Einkommensteuerbescheid vom 1.10.2021 als am 4.10.2021 bekanntgegeben. Der Einspruch des Klägers ging erst am 3.12.2021 – und damit nach Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist – beim Beklagten ein.
29b)
30Der Beklagte hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 S. 1 AO zu Recht abgelehnt.
31aa)
32Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war, vgl. § 110 Abs. 1 S. 1 AO. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. BFH-Beschluss vom 24.1.2005 – III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, wobei sich der Vertretene ein Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen muss, vgl. § 110 Abs. 1 S. 2 AO. Für eine Wiedereinsetzung reicht es nicht aus, innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 AO lediglich die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Vielmehr müssen innerhalb dieser Frist auch die für eine Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen schlüssig vorgetragen werden (vgl. nur BFH-Beschluss vom 17.6.2010 – IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655 m.w.N.). Lediglich die Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe kann auch noch „im Verfahren über den Antrag“ erfolgen. Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 AO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben ergänzt oder vervollständigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 17.6.2010 – IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655).
33bb)
34Im vorliegenden Fall hat die steuerliche Beraterin des Klägers – die A – innerhalb der Frist des § 110 Abs. 2 AO die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Tatsachen bereits nicht vollständig, substantiiert und genau angegeben. Zudem liegt ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden der A vor.
35aaa)
36Zur Organisationspflicht eines Angehörigen der steuer- und rechtsberatenden Berufe gehört unter anderem die Einrichtung einer effektiven Ausgangskontrolle zur Gewährleistung der fristgerechten Fertigung und tatsächlichen Versendung fristwahrender Schreiben. Hierzu bedarf es z.B. eines Postausgangsbuches, aus dem entnommen werden kann, für wen, wann und welcher Vorgang das Büro verlassen hat. Alternativ kann eine Poststelle eingerichtet werden, sofern aufgrund allgemeiner organisatorischer Anweisungen gewährleistet ist, dass dort lagernde Briefe ohne Zwischenschritte noch am selben Tag frankiert und zur Post gegeben werden. Bei fristgebundenen Schriftsätzen muss diese so organisiert sein, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28.7.2015 – II B 150/14, BFH/NV 2015, 1434; BGH-Beschlüsse vom 9.1.2020 – I ZB 41/19, JurBüro 2020, 334 und vom 4.11.2014 – VIII ZB 38/14, MDR 2015, 49). Dies setzt auch voraus, dass die Bürokräfte angewiesen werden, Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 28.7.2015 – II B 150/14, BFH/NV 2015, 1434; BGH-Beschluss vom 9.1.2020 – I ZB 41/19, JurBüro 2020, 334). Die ordnungsgemäße, zur Vermeidung von Fristversäumnissen geeignete Büroorganisation erfordert unter anderem, dass der Ausgang eines fristwahrenden Schriftstücks nicht dokumentiert wird, solange die zur Absendung erforderlichen Arbeitsschritte nicht vollständig erledigt sind und eine Frist daher nicht vorher gelöscht wird (vgl. nur BFH-Beschluss vom 28.7.2015 – II B 150/14, BFH/NV 2015, 1434 m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist ferner Vorsorge dafür zu treffen, dass versehentlich gelöschte Fristen erkannt werden. Hierfür bedarf es der Anordnung des verantwortlichen Berufsträgers, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Deshalb ist z. B. eine Bürokraft anzuweisen, gegebenenfalls anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28.7.2015 – II B 150/14, BFH/NV 2015, 1434 m.w.N. und vom 21.5.2019 – IX R 43/17, NJW 2019, 2648). Diese „allabendliche Ausgangskontrolle“ dient dabei ausdrücklich nicht nur dem Zweck, noch im Fristenbuch unerledigt gebliebene Fristsachen aufzufinden, sondern auch der Prüfung, ob bei bereits als erledigt vermerkten Fristsachen die fristwahrende Handlung noch aussteht. Eine derartige Prüfung ist deswegen erforderlich, weil es selbst bei ordnungsgemäßen Organisationsabläufen zu individuellen Fehlern kommen kann, die es nach Möglichkeit zu entdecken und beheben gilt (vgl. dazu insgesamt z.B. BFH-Beschlüsse vom 21.5.2019 – IX R 43/17, NJW 2019, 2648 und vom 13.9.2012 – XI R 48/10, BFH/NV 2013, 212; BGH-Beschlüsse vom 26.5.2021 – VIII ZB 55/19, BRAK-Mitt 2021, 298; vom 9.1.2020 – I ZB 41/19, JurBüro 2020, 334; vom 24.1.2019 – I ZB 47/18, JurBüro 2019, 502 und vom 4.11.2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253). Dies setzt auch voraus, dass eine als erledigt gekennzeichnete Frist am Tag des Fristablaufs im Fristenkalender noch ersichtlich ist (vgl. z.B. BGH-Beschlüsse vom 9.1.2020 – I ZB 41/19, JurBüro 2020, 334; vom 4.11.2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 und vom 2.3.2000 – V ZB 1/00, NJW 2000, 162).
37bbb)
38Diesen Anforderungen genügt die Organisation des Geschäftsbereichs der A nicht. Nach dem Vorbringen der A ist nicht auszuschließen, dass ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden der A mitursächlich für die Fristversäumung war.
39Die A hat zwar vorgetragen, dass bei ihr ein elektronisches Fristenbuch und ein Postausgangsbuch existieren und zudem ein separater Postausgangskorb für das Finanzamt bestehe, in dem die jeweiligen Schriftstücke vor der Versendung abgelegt würden. Die Mitarbeiter der A seien in die verbindlichen Geschäftsprozesse eingewiesen, wie mit Eingangspost umzugehen sei. Insbesondere seien sie geschult, dass Fristen erst dann als erledigt gekennzeichnet werden dürften, wenn sie durch Absendung des Schriftstücks tatsächlich erledigt seien. Als erledigt gekennzeichnete Fristen könnten zudem nicht mehr in den „offenen Fristen“ eingesehen werden.
40Es fehlt jedoch ein substantiierter und in sich schlüssig dargelegter Vortrag unter anderem dazu, ob und gegebenenfalls wie eine Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei zur Gewährleistung eines erforderlichen gestuften Schutzes gegen Fristversäumnisse organisiert war. Denn es fehlt jedenfalls ein Vortrag über die Art und den Umfang einer „allabendlichen Endkontrolle“. Die A hat nichts zu einer etwaigen Anordnung vorgetragen, wonach eine Frist erst gelöscht werden darf, wenn die zur Absendung des Schriftstücks erforderlichen Arbeitsschritte vollständig ausgeführt sind. Insbesondere fehlt ein Vortrag dazu, ob die für die Fristenkontrolle zuständige Bürokraft angewiesen war, Fristen im Kalender erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist, und dass hinsichtlich fristgebundener Sachen eine „allabendliche Kontrolle“ mit einer nochmaligen, selbständigen Prüfung angeordnet war. Eines solchen Tatsachenvortrages hätte es jedoch bedurft. Denn die Darstellung einer wirksamen End- und Ausgangskontrolle gehört zur Schilderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, der für die Beurteilung eines möglichen Organisationsverschuldens des Bevollmächtigten unverzichtbar ist. Bei einer effektiven Endkontrolle hätte die vorliegend fälschlicherweise als erledigt markierte Frist und die damit fehlende fristwahrende Handlung nicht unentdeckt bleiben und die Fertigung und Absendung des Einspruchs noch fristwahrend erfolgen können. Bei dieser Sachlage ist der Vortrag der A, eine sonst zuverlässige, fähige und gewissenhafte Mitarbeiterin habe die Frist entgegen der Anweisung versehentlich als erledigt markiert, obwohl das zu fertigende Schriftstück noch nicht erstellt war und versandfertig vorlag, nicht ausreichend, um ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden der A auszuschließen. Im Übrigen hat A auch nicht hinreichend substantiiert behauptet, dass sie ihre Bearbeiterin Frau P hinreichend oft wenigstens stichprobenweise überprüft hat. Allein der Vortrag, Frau P sei eine sehr fähige, zuverlässige und auch gewissenhafte Mitarbeiterin, die bislang ausnahmslos gute Arbeit geleistet habe, reicht hierfür nicht aus. Ebenso wenig genügt im vorstehenden Zusammenhang der generelle Hinweis, dass „regelmäßig Schulungen sämtlicher Mitarbeiter“ vorgenommen würden. Der Senat kann daraus unter anderem nicht erkennen, in welchen zeitlichen Abständen, in wie vielen Fällen, in welcher Art und Weise und zu welchen Themen im Einzelnen sowie für welchen Mitarbeiter solche Schulungen stattgefunden haben. Aufgrund der vorgetragenen Büroorganisation der A konnten individuelle Bearbeitungsfehler, die naturgemäß selbst bei sachgerecht durchgeführten Büroabläufen möglich sind, allenfalls zufällig – z. B. wie vorliegend bei der späteren Bearbeitung einer anderen Steuererklärung des Klägers – entdeckt werden. Vor diesem Hintergrund kommt es schließlich nicht darauf an, ob die Mitarbeiterin Frau P nur die fehlenden Unterlagen anfordern oder tatsächlich Einspruch einlegen wollte, so dass eine Vernehmung der Frau P als Zeugin zu dieser Thematik entbehrlich war.
41III.
42Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.