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Die Haftungsbescheide vom 28.06.2004 und 18.04.2005 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 26.06.2006 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Streitig ist die steuerrechtliche Haftung eines Insolvenzverwalters wegen Verhinderung eines Lastschrifteinzugs.
2Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH (im Folgenden: GmbH). Am 09.12.2002 wurde für die GmbH beim Beklagten die Lohnsteueranmeldung für November 2002 mit einem Betrag an Lohn- und Lohnfolgesteuern in Höhe von 287.562,58 EUR eingereicht. Zur Begleichung der Beträge war mit der Beklagten ein Lastschrifteinzugsverfahren vereinbart. Am 09.12.2002 erfolgte außerdem eine Lohnauszahlung für bisher nicht geleistete Novemberlöhne. Nach dem 09.12.2002 erfolgten keine weiteren Lohnzahlungen mehr.
3Am 13.12.2002 stellten die Geschäftsführer wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 Insolvenzordnung – InsO –) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 13.12.2002 des Amtsgerichts C wurde zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhaltes der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. In dem Beschluss heißt es u. a.:
4". . . Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens sind nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative Insolvenzordnung).
5Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten.
6. . .
7Der vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen, sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen.
8. . . "
9Mit Schreiben vom 16.12.2002 teilte der Kläger der Bank A als Hausbank der GmbH mit, dass er zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt sei und Verfügungen nur noch mit seiner Unterschrift zulässig seien. Außerdem erklärte er die Sperrung der Konten der GmbH für sämtliche Lastschriften im Hause der Bank A. Auf Grund dieser Weisung wurde die vom Beklagten eingereichte Lastschrift vom 18.12.2002 über 292.062,32 EUR unbezahlt am 19.12.2002 von der Bank A an die erste Inkassostelle.
10Durch Beschluss vom 06.01.2003 des Amtsgerichts N wurde der GmbH ein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 1. Alternative InsO auferlegt. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der GmbH einschließlich des Rechts zum Einzug von Bankguthaben und anderen Forderungen gingen auf den Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter über.
11Am 09.01.2003 wurde die Lohnsteueranmeldung für Dezember 2002 bei der Beklagten eingereicht. Hierin waren ausschließlich die Lohn- und Lohnfolgesteuern für die letztmalige Lohnzahlung für November 2002 am 09.12.2002 im Gesamtbetrag von 128.758,57 EUR enthalten.
12Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH wurde am 28.02.2003 eröffnet. Der Beklagte meldete die streitigen Lohn- und Folgesteuern zur Tabelle an; der Kläger erkannte sie an.
13Mit Haftungsbescheid vom 28.06.2004 nahm die Beklagte den Kläger gemäß §§ 34, 69 Abgabenordnung (AO) für die Lohn- und Lohnfolgesteuer sowie Säumniszuschlägen der GmbH für November 2002 in Höhe von 313.744,58 EUR in Haftung. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei als vorläufiger Insolvenzverwalter mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet gewesen und daher als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO anzusehen mit der Folge, dass er alle steuerlichen Pflichten gemäß § 34 Abs. 1 AO zu erfüllen gehabt habe. Zu den gesetzlichen Pflichten habe es auch gehört, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den vom Kläger verwalteten Mitteln zu entrichten seien. Dieser Pflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. Vielmehr habe er durch die am 16.12.2002 ausgesprochene Kontosperrung pauschal alle Lastschriften unterbunden, ohne eine Einzelprüfung der anstehenden Lastschriften vorzunehmen. Das Konto der GmbH habe in der Zeit vom 10.12.2002 bis 18.12.2002 ständig ein Guthabensaldo von mehr als 1 Mio. EUR ausgewiesen.
14Mit Haftungsbescheid vom 18.04.2005 nahm der Beklagte den Kläger für die durch die GmbH geschuldeten Lohn- und Folgesteuern Dezember 2002 sowie Säumniszuschläge in Höhe von 144.089,07 EUR gemäß §§ 69, 34, 35 AO in Haftung. Zur Begründung berief sich der Beklagte darauf, der Kläger sei als sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO und daher zur Abführung der Lohnsteuer einschließlich Nebensteuern für den Monat Dezember 2002 verpflichtet gewesen. Dieser Pflicht sei er nicht nachgekommen, obwohl sich auf dem Bankkonto der GmbH ein Guthabensaldo von mehr als 1 Mio. EUR befunden habe.
15Gegen diese Haftungsbescheide legte der Kläger Einsprüche ein, die mit Einspruchsentscheidungen vom 26.06.2006 jeweils als unbegründet zurückgewiesen wurden. Hinsichtlich des Lohnsteuerhaftungsbescheides für den Zeitraum November 2002 vertrat der Beklagte die Auffassung, der Kläger habe als schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter nicht die Befugnis zur Kontensperrung gehabt. Er habe sich gegenüber der Bank A als faktischer Geschäftsführer der GmbH geriert, als er die pauschale Kontensperrung veranlasst habe. Hierin liege eine schuldhafte Pflichtverletzung, die ursächlich für die Nichtbegleichung der Lohnsteuer November 2002 gewesen sei. Hinsichtlich des Haftungszeitraums Dezember 2002 habe der Kläger als starker vorläufiger Insolvenzverwalter die am 09.01.2003 abgegebene Lohnsteueranmeldung nicht unterzeichnet und die angemeldete Lohnsteuer nicht beglichen, obwohl das Bankguthaben der GmbH dies zugelassen hätte. Er habe damit seine Pflichten als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO verletzt. Da die Lohnsteuer vom Arbeitgeber treuhänderisch einzubehalten sei, sei der Kläger verpflichtet gewesen, die fälligen Beträge zu entrichten. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter zivilrechtlich verpflichtet sei, den status quo des Schuldnervermögens zu erhalten und die zukünftige Masse zu sichern. Die grob fahrlässige Pflichtverletzung sei ursächlich für die Nichtbegleichung der Lohnsteuer für Dezember 2002 gewesen.
16In der Einspruchsentscheidung den Haftungszeitraum November 2002 – Haftungsbescheid vom 28.06.2004 betreffend – weist die Beklagte darauf hin, dass sich zwischenzeitlich der streitige Haftungsbetrag durch Zubuchung vom 27.12.2004 in Höhe von 85.410,03 EUR gemindert habe.
17Mit seiner Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen seine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 69 AO. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass eine Inanspruchnahme als Privatperson nicht in Frage komme. Allenfalls könne eine Inanspruchnahme als Amtsperson in seiner Eigenschaft als vorläufig eingesetzter Insolvenzverwalter in Betracht kommen. Eine solche Haftung sei in § 60 i. V. m. § 21 InsO normiert und auf dem Zivilrechtsweg einzuklagen. Die Inanspruchnahme wegen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters gemäß § 55 InsO richte sich zunächst gegen die Insolvenzmasse. Es handele sich dabei um einen Masseanspruch gemäß § 55 InsO i. V. m. § 60 InsO. Erst wenn dieser Anspruch gegen die Masse nicht realisiert werden könne, komme möglicherweise eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters in Betracht. Eine Haftung nach § 69 AO komme nicht in Betracht, da der Kläger keine steuerrechtliche Pflichtverletzung begangen habe. Er habe keine Löhne oder Gehälter zur Auszahlung gebracht, sondern lediglich verhindert, dass eine spätere Insolvenzforderung noch vollständig befriedigt werde. Er, der Kläger, habe durch die pauschale Kontensperrung die ihm als Insolvenzverwalter obliegende Pflicht zur Massesicherung erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 4. November 2004 IX ZR 22/03, NJW 2005, 675) sei ein vorläufiger Insolvenzverwalter berechtigt, die Genehmigung des Lastschrifteinzuges zu verweigern. Eine vollständige Befriedigung einer späteren Insolvenzforderung, und um eine solche handele es sich bei den Lohnsteuerforderungen, stelle eine strafbare Gläubigerbegünstigung dar.
18Der Kläger beantragt,
19den Haftungsbescheid vom 28.06.2004 und den Haftungsbescheid vom 18.04.2005 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 26.06.2006 aufzuheben.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen. Vertiefend führt er aus, der Kläger habe insbesondere durch die pauschal veranlasste Kontensperrung und die so verursachte Rücklastschrift seine steuerspezifischen Pflichten schuldhaft verletzt. Die globale Kontensperrung und die dadurch bedingt ungeprüfte pauschale Verhinderung des Lastschrifteinzuges durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Bewahrung des status quo sei unzulässig. Der Schuldner dürfe im Verhältnis zum Gläubiger bei berechtigten Lastschriften keinen Gebrauch seiner Widerspruchsmöglichkeit machen. Entsprechendes gelte für den Insolvenzverwalter. Ein Widerspruch gegen den Lastschrifteinzug des Insolvenzverwalters mit dem Zweck der Vergrößerung der Masse ohne entsprechende Prüfung des Einzelfalles sei rechtsmissbräuchlich. Die vom Kläger zitierte BGH-Rechtsprechung sei für die steuerrechtliche Beurteilung nicht maßgeblich.
23Der Senat hat am 01.07.2010 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Die Klage ist zulässig und begründet.
26Die angefochtenen Haftungsbescheide und Einspruchsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
271. Haftungsbescheid vom 28.06.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.06.2006
28Es fehlt bereits an einer Rechtsgrundlage für die Haftungsinanspruchnahme des Klägers für die Lohn- und Lohnfolgesteuern sowie Säumniszuschläge November 2002.
29Gemäß § 69 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
30Der Kläger kann nicht einwenden, er hafte schon aus Rechtsgründen nicht persönlich nach § 69 AO, allenfalls gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 60 InsO. Zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen besteht einfache Gesetzeskonkurrenz (Jatzke, ZIP 2007, 77, 78; Loose in Tipke/Kruse, AO, FGO, Vor § 69 AO Rn. 60; Lüke in Kübler/Prüting/Bork (Hrsg.), InsO, § 60 Rn. 51). Im Übrigen ist hier die Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten streitig, nicht die nach der InsO. § 60 InsO kann daher hier § 69 AO nicht verdrängen. Auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 61 InsO hat sich der Beklagte nicht gestützt, so dass dessen Voraussetzungen hier nicht zu erörtern sind.
31Der Kläger haftet jedoch für diesen Streitzeitraum nicht, weil er die Voraussetzungen der §§ 34, 35 AO nicht erfüllt.
32a) Gemäß § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter diese Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht (§ 34 Abs. 3 AO).
33An den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 AO fehlt es bereits deshalb, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Lastschrifteinzugs durch den Beklagten und seiner Stornierung durch die Bank am 18./19.12.2002 kein gesetzlicher Vertreter der GmbH geworden ist. Er ist mit Beschluss des Amtsgerichts C vom 13.12.2002 nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative InsO zum sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestimmt worden. Dies genügt den Anforderungen des § 34 Abs. 1 AO nicht. Er ist damit auch kein Vermögensverwalter i.S. des § 34 Abs. 3 AO. Denn in diesem Fall bleibt es trotz des Zustimmungsvorbehalts bei der Verfügungsbefugnis des Schuldners (BFH, Beschlüsse vom 27.05.2009 VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591; vom 30.12.2004 VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 34 AO Rn. 79).
34b) Die Voraussetzungen des § 35 AO liegen ebenfalls nicht vor.
35Danach hat, wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nach § 34 Abs. 1 AO, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
36Verfügungsberechtigter ist jede Person, die rechtlich und wirtschaftlich nach ihrer tatsächlichen Stellung über fremde Wirtschaftsgüter verfügen kann und als solcher nach außen auftritt. Ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter kann nicht als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 AO angesehen werden. Denn er ist nicht in der Lage, ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts seine Verwaltungsbefugnisse beliebig auszudehnen und sich eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zu verschaffen, die ihm vom Insolvenzgericht bewusst nicht übertragen worden ist (BFH in BFH/NV 2009, 1591).
37Verfügungsberechtigter kann auch ein sog. faktischer Geschäftsführer einer GmbH sein, wenn er mit den Anschein einer Berechtigung nach außen auftritt, obwohl er formell nicht zum Geschäftsführer bestellt ist (vgl. nur BFH, Beschluss vom 13.08.2007 VII B 20/07, BFH/NV 2008, 10; BGH, Urteil vom 27.06.2005 II ZR 113/03, BB 2005, 1867). Der Kläger ist allerdings gegenüber der Hausbank der GmbH – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht als deren faktischer Geschäftsführer aufgetreten. Aus seinem Schreiben an die Hausbank vom 16.12.2002 ergibt sich, dass er seine Stellung als vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH offengelegt hat.
38c) Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es weder auf die mit der Lastschrift und deren fehlende Einlösung zusammenhängenden Rechtsfragen und divergierenden Ansichten des IX. und des XI. Zivilsenats des BGH (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.11.2004 IX ZR 22/03, BGHZ 161, 49, der dem Urteil des LG Erfurt vom 20.08.2002 10 O 1105/02, NJW-RR 2003, 49, widerspricht, auf das sich der Beklagte berufen hatte) noch auf das Kontoguthaben der X GmbH ab Dezember 2002 an.
392. Haftungsbescheid vom 28.04.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.06.2006
40Die Voraussetzungen des § 69 AO liegen nicht vor.
41a) Der Kläger ist auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts N vom 06.01.2003 ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter. Er ist damit ein Vermögensverwalter i. S. des § 34 Abs. 3 AO, da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der GmbH einschließlich des Rechts zum Einzug von Bankguthaben und anderen Forderungen auf ihn übergegangen sind.
42b) Der Kläger hat aber ihm obliegende steuerliche Pflichten nicht verletzt.
43Dass der Kläger die Lohnsteuer-Anmeldung vom 09.01.2003 nicht selbst unterzeichnet hat, begründet keine Haftungsinanspruchnahme. Die Lohnsteueranmeldung ist termingerecht und pünktlich abgeben worden. Sie ist unterzeichnet, wenn auch nicht von ihm. Der Senat vermag hierin keinerlei schadensbegründende Auswirkungen zu erkennen, Die inhaltliche Richtigkeit ist nicht streitig.
44Eine Pflichtverletzung durch die Auszahlung ungekürzter Löhne hat der Kläger nicht begangen. Die Löhne wurden – letztmalig – am 09.12.2002 und damit vor seiner Bestellung als vorläufiger Insolvenzverwalter ausgezahlt. Als schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter hatte er keine Pflicht zur Begleichung dieser Steuerschuld. Nach Übertragung der Stellung als starker vorläufiger Insolvenzverwalter steht ihm zwar eine Kompetenz zur Steuerentrichtung aus den von ihm verwalteten Mitteln zu, soweit er selbst die Steuerpflicht begründet hat. Hieran fehlt es hier jedoch, wie ausgeführt. Darüber hinaus stellen die vor Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO dar. Diese sind ohnehin nicht vom vorläufigen Insolvenzverwalter zu begleichen, sondern vom endgültigen im Rahmen der Insolvenzquote. Hierzu gehören auch die Lohn- und Lohnfolgesteuern unabhängig vom sonstigen Anspruch des Fiskus auf vorrangige Befriedigung.
45Hier liegt auch kein Fall künftiger Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 2 InsO vor, da er keinerlei Handlungen zur Begründung solcher Steuerschulden vorgenommen hat. Ein eventueller Haftungsanspruch des Beklagten gegen die GmbH gem. § 42d EStG wegen ungekürzter Auszahlung der Löhne am 09.12.2002 stellt allenfalls eine Insolvenzforderung dar, die der Kläger ebenfalls nicht erfüllen musste (vgl. nur Boeker, a. a. O., § 34 AO Rn. 77b ff.).
46Grundsätzlich weist der Senat darauf hin, dass es gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO wesentliche Aufgabe eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist, die Vermögenslage des Schuldners zugunsten aller Gläubiger vor nachteiligen Veränderung zu schützen und keine einzelnen Gläubiger vorab zu befriedigen (BGH in BGHZ 161, 49 zu II. 3. b) bb) (1) der Gründe, juris Rn. 19; Vallender in Uhlenbrock, Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 22 Rn. 18). Dieser Aufgabe dienten auch die Handlungen des Klägers im Streitfall. Er hat sich insolvenzrechtlich pflichtgemäß verhalten. Daraus kann ihm mangels eigenen steuerbegründenden Handelns kein Vorwurf i.S. des § 69 AO gemacht werden (vgl. auch BFH, Urteil vom 05.06.2007 VII R 19/06, BFH/NV 2007, 2225).
473. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 155 FGO und §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
48Die Revision ist nicht zuzulassen. Für den Streitzeitraum November 2002 fehlt ein Klärungsbedürfnis i.S. des § 115 Abs. 2 FGO (s. BFH, Beschluss in BFH/NV 2009, 1591). Die vom Beklagten aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der Lastschriftretoure sind auch nach dem Rechtsstandpunkt des Senats nicht klärungsfähig. Soweit es um den Streitzeitraum Dezember 2002 geht, hat der Senat gefestigte Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall angewendet. Ein Revisionsgrund ergibt sich daraus nicht. Divergenz zu anderen Gerichtsentscheidungen liegt ebenfalls nicht vor.