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1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin ist die nichteheliche Tochter des am 13.09.2006 verstorbenen Erblassers Herrn L. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat und in B lebte, während die Klägerin bei ihrer Mutter im Nachbarort C aufwuchs.
3Der Verstorbene hatte mit der Beklagten am 10.09.1991 einen notariellen Erbvertrag geschlossen (Bl. 5 d.A.), in welchem sie sich gegenseitig zum Alleinerben und den gemeinsamen Sohn zum Erben des Längstlebenden einsetzten. Diesen Vertrag ergänzten sie mit notarieller Erklärung vom 10.01.2002 (Bl. 11 d.A.). Darin entzog der Erblasser der Klägerin nach § 2333 BGB ihren Pflichtteil mit der Begründung, sie führe einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel. Sie habe die Familienehre durch ihre Rauschgiftdelikte und Delikte im KFZ-Bereich, maßgeblich aber durch die "Ermordung" ihres Lebensgefährten, dessen Tod sie schuldhaft herbeigeführt habe, verletzt. Von ihrer Verhaftung habe er durch Medienberichte erfahren.
4Tatsächlich ist die Klägerin seit dem Jahre 1982 strafrechtlich mehrfach in Erscheinung getreten; zudem konsumierte und veräußerte sie Drogen. Verurteilt wurde sie u.a. wegen Handelns mit Betäubungsmitteln, mehrfachen Betrugs, Verkehrsunfallflucht und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Im Jahre 1993 erschoss sie in T ihren damaligen Lebensgefährten, ließ dessen Leiche gegen Entgelt in einem See beseitigen und floh nach der Tat ins Ausland. Im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens kam es auch zu mehreren polizeilichen Durchsuchungen in dem Hause des Erblassers. Die Tat wurde in der lokalen Presse umfassend thematisiert und war Gegenstand öffentlicher Diskussionen innerhalb der dörflichen Struktur des Wohnorts des Erblassers und der umliegenden Region. In zahlreichen bekannten Fernsehsendungen wurden Fotos der Klägerin unter Angabe deren Namens veröffentlicht, wobei sie als langjährig bekannte Drogendealerin und gesuchte Mörderin bezeichnet wurde. Die Fernsehberichterstattung wurde dabei maßgeblich von dem Vater des Opfers beeinflusst. Der Erblasser selbst wurde in den Medienberichten nicht erwähnt. Es gab aber zumindest einige Personen, die von seiner Vaterschaft hinsichtlich der öffentlich wegen Mordverdachts gesuchten Klägerin wussten; nämlich die Ehefrau und der Sohn des Erblassers, der als Zeuge benannte F.-J. M sowie die Ermittlungsbeamten von Polizei und Staatsanwaltschaft.
5Im Jahre 2001 wurde die Klägerin - mittlerweile Mutter eines zweijährigen Sohnes - in D verhaftet. Das Landgericht F verurteilte sie am 05.02.2002 (unter dem Aktenzeichen ###/##) wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten (vgl. Urteilsabschrift im Anlageheft). Der Einlassung, sie habe aus Notwehr gehandelt, war das Gericht nicht gefolgt. Mit Beschluss des Landgerichts E vom 29.07.2003 wurde sie aus dem Strafvollzug auf Bewährung entlassen und die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt (Beschlussabschrift im Anlageheft). Danach ist die Klägerin strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.
6Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zunächst Auskunft über die Nachlasshöhe und sodann die Zahlung eines Pflichtteils. Zudem begehrt sie einen Ausgleich für etwaige Schenkungen des Erblassers. Die Beklagte übersandte mit Schriftsatz vom 25.04.2007 eine Auflistung über den Nachlass nebst Anlagen (Bl. 18 ff.). Es folgte weitere Korrespondenz über einzelne Fragen zum Nachlass. Dabei verneinte die Beklagte den Erhalt von Zuwendungen und gab an, der Betrieb des Erblassers sei veräußert und geschlossen worden
7Die Klägerin ist der Ansicht, ihr Verhalten, welches sie als einmalige Verfehlung bezeichnet, habe keine Auswirkungen auf den Interessenkreis des Erblassers entfalten können. Zwischen ihnen habe kaum Kontakt bestanden. Wegen der verschiedenen Nachnamen könne die Öffentlichkeit auch keine Verbindung zwischen beiden herstellen. Sie ist daher der Ansicht, dass die Pflichtteilsentziehung unwirksam sei, auch weil sie nun seit längerem ein untadeliges Leben führe. Die erteilten Auskünfte seien unvollständig und falsch, insbesondere weil tatsächlich Zuwendungen erfolgt seien. Der Sohn des Erblassers G L habe im Jahre 2003 sowohl die Firma als auch ein Grundstück des Erblassers erhalten.
8Die Klägerin beantragt,
9die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen,
101. in der ersten Stufe
11a. Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 13.09.2006 verstorbenen Erblassers H L zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Bestandsverzeichnisses, welches insbesondere folgende Punkte umfasst:
12b. den Wert der im Nachlass befindlichen nachbenannten Grundstücke durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln:
142. in der zweiten Stufe
16für den Fall, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wird, zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass die Beklagte den Bestand des Nachlasses und die darin enthaltenen Auskünfte über lebzeitige Schenkungen und Vorempfänge nach bestem Wissen sowie vollständig abgegeben hat, wie sie dazu in der Lage war,
173. in der dritten Stufe
18a. an die Klägerin eine Summe in Höhe von 1/8 des sich aus der Auskunft ergebenden Nachlasswertes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21.02.2007 zu zahlen,
19hilfsweise
20b. wegen einer Forderung in Höhe von 1/8 des sich aus der Auskunft/Wertermittlung ergebenden Betrages nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2007 die Zwangsvollstreckung in das Hausgrundstück P 74 in ####1 B oder in andere zur Zeit noch nicht bekannte Sachen oder Sachgesamtheiten zu dulden, die der Erblasser, die der Erblasser in einem Zeitraum von bis zu 10 Jahren vor seinem Ableben der Klägerin geschenkt hat oder die gem. § 2329 BGB ergänzungspflichtig sind.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Die Beklagte ist der Ansicht, die begehrte Auskunft bereits hinreichend erteilt zu haben. Ansprüche bestünden nicht, da der Nachlass nicht werthaltig sei. Im übrigen sei der Pflichtteil wirksam entzogen worden. Sie behauptet, zwischen der Klägerin und dem Erblasser hätten Kontakte bestanden, auch als die Klägerin sich der Drogenszene zuwandte. Das ganze Dorf des Erblassers habe auch gewusst, dass dieser der Vater der in den Medien wegen Mordverdachts gesuchten Klägerin sei.
24Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme des Inhaltes der DVD-Dokumentation über die vielfältigen Fernsehberichte (Bl. 149 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den Inhalt der DVD Bezug genommen.
25Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
27Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Auskunft nebst Wertermittlung verlangen, weil ihr hierfür das berechtigte Interesse fehlt. Es ist ausgeschlossen, dass die Klägerin aufgrund etwaiger Auskünfte Ansprüche hinsichtlich des Nachlasses geltend machen kann, da sie von der Erbfolge ausgeschlossen und ihr nach § 2333 Nr. 5 BGB wirksam das Pflichtteilsrecht entzogen wurde.
28Die Klägerin hat einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers geführt. Sie hat ausweislich des Strafurteils vom 05.02.2002, welches Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, über Jahre hinweg regelmäßig Straftaten begangen und letztlich sich sogar eines vorsätzlichen Tötungsdelikts schuldig gemacht. Im Hinblick auf die Vielzahl der Verfehlungen und das Nachtatverhalten der Klägerin kann hier auch nicht von einer bloßen einmaligen Verfehlung ausgegangen werden. Dieses Verhalten wurde von dem Erblasser weder unterstützt noch gebilligt und erfolgte damit wider seinen Willen.
29Entgegen einer früheren, möglicherweise missverständlich formulierten Entscheidung des BGH (Urteil vom 23.01.1980 - IV ZR 152/78) geht die Kammer hier nicht davon aus, dass ein Pflichtteilsentzug nach § 2333 Nr.5 BGB nur dann möglich ist, wenn der Abkömmling unmittelbar in den Interessenkreis des Betroffenen eingreift, was zwingend eine bestehende Beziehung zwischen beiden erfordert. Dabei hegt die Kammer schon Zweifel daran, ob der BGH heute überhaupt noch dieselbe Entscheidung treffen würde, da dieser ein mittlerweile überholtes Verständnis hinsichtlich unehelicher Kinder zugrunde liegt. Die nichtehelichen Kinder sind nämlich den ehelichen im Verhältnis zu ihrem Vater inzwischen weitgehend gleichgestellt worden. Jedenfalls muss diese Entscheidung relativiert betrachtet werden. Sicherlich sind Fälle denkbar, in denen das Verhalten eines Kindes den Vater überhaupt nicht berührt, weil er hiervon keine Kenntnis erlangt und ihn das Verhalten auch sonst nicht beeinträchtigt. Die generelle Verneinung eines Pflichtteilsentziehungsrechts wegen mangelnder Kontakte und Beziehungen hält die Kammer jedoch für verfehlt. Dies würde zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch führen. Denn dann wäre im Falle schwerster Verfehlungen, welche einen weiteren Kontakt unzumutbar erscheinen lassen, das Pflichtteilsrecht schwerer zu entziehen als bei weniger gravierendem Fehlverhalten des Abkömmlings. Der Erblasser, der sich berechtigt von seinem Abkömmling abwendet, würde sein Pflichtteilsentziehungsrecht verlieren, wenn er nicht frühzeitig und schnell genug handelt und eine entsprechende Verfügung trifft. Im übrigen ist das Pflichtteilsrecht nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Ausdruck einer unauflöslichen Familiensolidarität, die zwischen Eltern und ihren Kindern besteht (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2005 - 1 BvR 1644/00, 1 BvR 188/03). Daher hält es die Kammer für unangemessen, das Pflichtteilsentziehungsrecht von äußeren Beziehungen der Beteiligten untereinander abhängig zu machen. Auch ohne bestehende Kontakte kann die von der Norm geschützte Familienehre des Erblassers empfindlich beeinträchtigt werden. Letztlich muss derjenige, der die Familie rechtlich in Anspruch nehmen will, sich auch tatsächlich, unabhängig von konkreten Einwirkungsmöglichkeiten, familiengerecht verhalten. Aus diesem Grunde folgt die Kammer der vielfach geäußerten Kritik an der Rechtsprechung des BGH und wendet diese hier nicht wortwörtlich an (vgl. schon OLG Köln, Beschluss vom 25.02.2008 - 2 W 80/07; Lange in MüKo, 4. Aufl., § 2333 Rn 14; Mayer in BeckOK, Stand 01.11.2008, § 2333 Rn. 13; Olshausen in Staudinger, 2. Aufl. 2006, Rn. 20 m.w.N.).
30Die Klägerin hat im übrigen durch ihr Verhalten eine massive Beeinträchtigung der Familienehre des Erblassers und dessen Interessenkreises hervorgerufen. Sie hat schuldhaft und in vorwerfbarer Weise diverse Straftaten begangen, über welche medienwirksam berichtet wurde. Dies alleine traf den Erblasser schon empfindlich in seiner inneren Ehre. Es ist nachvollziehbar, dass das Verhalten der Klägerin seinem Anstandsgefühl widersprach und dazu führte, sich von ihr und ihren Taten so weit wie möglich distanzieren zu wollen. Auch wenn es auf äußere Beeinträchtigungen des Erblassers aus den oben genannten Gründen rechtlich gar nicht ankommen dürfte, sind solche hier sogar eingetreten. Unbestritten ist der Erblasser im Nachgang der Tat mehrfach von der Polizei aufgesucht worden, welche die flüchtige Klägerin in dessen Haus zu finden hoffte und dieses durchsuchte. Insofern wurde nicht nur seine innere Ehre, sondern auch sein sozialer Achtungsanspruch durch die öffentlichen Ermittlungsmaßnahmen stark beeinträchtigt. Ob es sich nur um einige wenige Personen aus dem nahen Umfeld oder ein ganzes Dorf handelte, welche die Medienberichte verfolgten und diese mit der Person des Erblassers verknüpften und ihn damit konfrontierten, kann letztlich dahingestellt bleiben. Deshalb hat die Kammer von der angebotenen Vernehmung diverser Zeugen hierzu keinen Gebrauch gemacht.
31Die Pflichtteilsentziehung ist auch nicht nach § 2336 Abs. 4 BGB unwirksam geworden. Weder zum Zeitpunkt der Entziehung noch zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers hatte sich die Klägerin von ihrem Lebenswandel dauerhaft abgewendet. Zwar mag zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass sie seit ihrer Entlassung aus der Haft ein nunmehr untadeliges Leben mit ihrem kleinen Sohn führt. Der Tod des Erblassers trat jedoch wenige Tage nach Ablauf der Bewährungszeit ein. Zu diesem Zeitpunkt konnte im Hinblick darauf, dass auch frühere Verurteilungen und Bewährungszeiten die Klägerin nicht lange von der Begehung weiterer Straftaten abhielten, noch keine Prognose für einen auf Dauer angelegten Lebenswandel abgegeben werden.
32Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
33Streitwert: 10.000,00 Euro.