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I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Ist Art. 28 EG (jetzt Art. 34 AEUV), gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 86 Abs. 2 EG (= Art. 106 Abs. 2 AEUV), so auszulegen, dass privatrechtliche Ein-richtungen, die zum Zwecke der Erstellung technischer Normen auf einem bestimmten Gebiet sowie zur Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen gegründet worden sind, bei der Erstellung technischer Normen sowie bei dem Zertifizierungsprozess an die genannten Vorschriften dann gebunden sind, wenn der nationale Gesetzgeber die Erzeugnisse, die mit Zertifikaten versehen sind, ausdrücklich als gesetzeskonform ansieht und in der Praxis daher ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht mit diesem Zertifikat versehen sind, zumindest erheblich erschwert ist?
2.
Sollte die erste Frage zu verneinen sein:
Ist Art. 81 EG (= Art. 101 AEUV) so auszulegen, dass die Tätigkeit einer unter 1. näher beschriebenen privatrechtlichen Einrichtung auf dem Gebiet der Er-stellung technischer Normen und der Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen als „wirtschaftlich“ anzusehen ist, wenn die Einrichtung durch Unternehmen beherrscht wird?
Sollte die vorige Teilfrage bejaht werden:
Ist Art. 81 EG so auszulegen, dass die Erstellung technischer Normen und die Zertifizierung anhand dieser Normen durch eine Unternehmensvereinigung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten geeignet ist, wenn ein in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestelltes und vertriebenes Erzeugnis deswegen im Einfuhrmitgliedsstaat nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten vertrieben werden kann, weil es die Anforderungen der technischen Norm nicht erfüllt und ein Vertrieb ohne ein derartiges Zertifikat im Hinblick auf die überragende Marktdurchsetzung der technischen Norm und eine Rechtsvorschrift des nationalen Gesetzgebers, derzufolge ein Zertifikat der Unternehmensvereinigung die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen bekundet, kaum möglich ist, und wenn die technische Norm, wäre sie unmittelbar von dem nationalen Gesetzgeber erlassen worden, wegen Verstoßes gegen die Grundsätze über die Warenverkehrsfreiheit nicht anzuwenden wäre?
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
2I.
3Die Klägerin ist ein Italien ansässiges Unternehmen, das dort u.a. Kupferfittings herstellt und vertreibt. Bei Kupferfittings handelt es sich um Verbindungsstücke zwischen zwei Rohrleitungsstücken, wobei die Fittings zur Sicherstellung der Dichtigkeit an ihren Enden mit Dichtungsringen aus flexiblem Material versehen sind. Für das streitgegenständliche Fitting benutzt die Klägerin für die Dichtung Elastomer, das sie von der Fa. L... (ebenfalls in Italien ansässig) bezieht.
4Bei dem Beklagten handelt es sich um einen 1859 gegründeten Verein, dessen Ziel der Satzung zufolge die Förderung des Gas- und Wasserfachs sind. Er verfolgt danach keine wirtschaftlichen oder politischen Ziele. Mitglieder des Beklagten sind zu 73 % Einzelpersonen mit einem Interesse am Gas- und Wasserfach, des Weiteren zu 14 % Wasser- und Gasversorgungsunternehmen, schließlich auch – vermittelt durch einen Verband – Hersteller in diesem Bereich. Infolge der Mehrfachstimmrechte der Versorgungsunternehmen sind jedoch 22 von 40 Vorstandsmitgliedern den Versorgungsunternehmen zuzurechnen. Der Vorstand ernennt die Lenkungskomitees und erlässt die Geschäftsordnung.
5Der Beklagte erstellt auf dem Gebiet des Gas- und Wasserfachs in einem formalisierten Verfahren technische Normen für Erzeugnisse (einschließlich des bei einer Zertifizierung einzuhaltenden Prüfungsverfahrens). Die Absicht, derartige technische Normen zu erstellen, wird öffentlich bekannt gemacht, an der Diskussion können sich sämtliche interessierten Unternehmen beteiligen. Für die fraglichen Fittings gilt das Arbeitsblatt W534.
6Des Weiteren zertifiziert der Beklagte Erzeugnisse anhand der von ihm erstellten technischen Normen, wobei er diese Zertifizierung bis Mitte 2007 selbst, seitdem durch eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, seine Streithelferin, durchführt. Die Zertifizierung ist nicht auf Mitgliedsunternehmen beschränkt. Der Beklagte ist durch den Deutschen Akkreditierungsrat als Akkreditierungsstelle nach dem Gesetz über die Akkreditierungsstellen vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2625) und der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Anforderungen an Akkreditierung und Marktüberwachung bei der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) 339/93 akkreditiert.
7Diese Zertifikate sind auf mehrere Jahre befristet. Ein Zertifikat kann vor Ablauf entzogen werden, wenn der zu erfüllende Standard nicht mehr eingehalten wird. Während dieses Zeitraums kann auch ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, das mit dem Entzug des Zertifikats enden kann. Nach den Regeln des Beklagten können notwendige Untersuchungen nur in von ihm zugelassenen Prüflaboren durchgeführt werden.
8Die Klägerin stellte Ende 1999 bei dem Beklagten einen Antrag auf Zertifizierung des fraglichen Kupferfittings u.a. für das Wasserfach (der daneben gestellte Antrag auf Zertifizierung für das Gasfach bzw. für eine kombinierte Verwendung - insoweit streiten die Parteien über die Auslegung des Antrages - steht bisher nicht im Mittelpunkt des Verfahrens). Der Beklagte beauftragte das von ihm zugelassene MPA Darmstadt mit der Durchführung der entsprechenden Prüfungen, welches wiederum einen Unterauftrag an die Firma C... (C…) in Italien vergab, die nicht von dem Beklagten, jedoch von den entsprechenden italienischen Stellen zugelassen ist. Daraufhin erteilte der Beklagte der Klägerin im November 2000 ein auf fünf Jahre befristetes Zertifikat für das Wasserfach.
9Nach Einwänden Dritter leitete der Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein, wobei wiederum das MPA Darmstadt mit der Durchführung der Prüfungen beauftragt wurde. Den sogenannten Ozontest nahm es anhand einer von dem italienischen Herstellerunternehmen übersandten Materialplatte vor. Im Juni 2005 teilte der Beklagte der Klägerin mit, ihr Fitting habe den Ozontest nicht bestanden, sie könne jedoch – wie nach den Regeln des Beklagten vorgesehen – binnen 3 Monaten einen positiven Prüfbericht vorlegen. Einen daraufhin von der Klägerin vorgelegten Prüfbericht der C... erkannte der Beklagte nicht an, weil C... von ihm nicht als Prüflabor zugelassen sei. Im Rechtsstreit greift der Beklagte diesen Prüfbericht auch deshalb an, weil er inhaltlich unzureichend sei.
10Zwischenzeitlich war in einem formalisierten Verfahren, an dem sich die Klägerin nicht beteiligt hatte, das Arbeitsblatt W534 von dem Beklagten geändert worden. Um eine längere Lebensdauer der zu zertifizierenden Erzeugnisse zu gewährleisten, führte er den sogenannten 3000-Stundentest ein, wonach das Material für die Dauer von 3000 Stunden einer Temperatur von 110 Grad Celsius in kochendem Wasser ausgesetzt wird. Nach den Regeln des Beklagten sind die Inhaber von Zertifikaten verpflichtet, innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten der Änderung des Arbeitsblattes eine Zusatzzertifizierung zwecks Nachweises der Einhaltung der geänderten Anforderungen zu stellen. Einen derartigen Antrag stellte die Klägerin nicht; unstreitig erfüllt ihr Fitting nicht die Anforderungen des 3000-Stundentests.
11Im Juni 2005 entzog der Beklagte der Klägerin das Zertifikat mit der Begründung, ihm sei kein positiver Prüfbericht zum 3000 Stundentest vorgelegt worden. Einen Antrag auf Verlängerung des Zertifikats lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, ein zu verlängerndes Zertifikat gebe es nicht mehr.
12Die Klägerin macht geltend, die Entziehung und die Verweigerung einer Verlängerung des Zertifikats seien rechtswidrig. Ihr werde dadurch der Marktzutritt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich erschwert. Ohne ein Zertifikat des Beklagten sei ein Vertrieb in Deutschland kaum möglich, zumal der nationale Gesetzgeber in § 12 Abs. 4 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) auf die Zertifizierung durch den Beklagten verweise. Der Beklagte sei nicht berechtigt, über die in der europäischen technischen Norm hEN 681-1: 1996 niedergelegten Anforderungen hinauszugehen; diese technische Norm sei harmonisiert im Sinne der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte. Der 3000 Stundentest sei auch sachlich nicht gerechtfertigt. Des Weiteren sei der Beklagte nicht berechtigt, Prüfberichte von Prüflabors, welche zwar von den entsprechenden Stellen anderer Mitgliedsstaaten, nicht aber von ihm selbst zugelassen seien, von vornherein unberücksichtigt zu lassen. Der Beklagte sei an die Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. EG) gebunden und zudem als Unternehmensvereinigung anzusehen, die mit den angegriffenen technischen Normen auch gegen Art. 81 EG verstoße. Sie könne aus diesem Grunde von dem Beklagten Schadensersatz, Feststellung der Unwirksamkeit des Entzugs des Zertifikats, die Verlängerung des Zertifikats (sowie die Erteilung eines Mischzertifikats für das Gas- und Wasserfach) verlangen.
13Der Beklagte ist dem entgegen getreten. Er hat geltend gemacht, er sei als privatrechtlich organisierte Vereinigung nicht an die Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit gebunden. Er sei damit nicht gehindert, technische Normen zu erstellen und bei den Zertifizierungen anzuwenden, die über die anderer Mitgliedsstaaten hinausgingen. Auch die Norm hEN 681-1: 1996 stehe dem bereits deswegen nicht entgegen, weil sie für den Trinkwasserbereich nicht harmonisiert sei. Er habe auch die Freiheit, aus Qualitätsgründen nur die von ihm selbst zugelassenen Prüflabors bei Prüfberichten zu berücksichtigen. Sollten die von ihm gestellten Anforderungen inhaltlich mit der Warenverkehrsfreiheit nicht zu vereinbaren sein, sei allenfalls § 12 Abs. 4 AVBWasserV insoweit nicht anzuwenden. Dies begrenze seine Freiheit zur selbständigen technischen Normierung jedoch nicht, für einen etwaigen Verstoß gegen Art. 28 EG sei mithin lediglich die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber er haftbar zu machen. Als Normungsstelle übe er auch keine wirtschaftliche Tätigkeit im kartellrechtlichen Sinne aus, so dass eine Anwendung des Art. 81 EG ausscheide.
14Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Beklagte die Anforderungen, die er an eine Zertifizierung durch ihn stelle, eigenständig regeln könne. Daran ändere § 12 Abs. 4 AVBWasserV nichts.
15Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihre Rechtsauffassung weiterverfolgt. Sie beantragt,
16unter Abänderung des angefochtenen Urteils
171. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin das am 07. November 000 erteilte akkreditierte Zertifikat über ein DBGW-Prüfzeichen hinsichtlich eines Produktes der Wasserversorgung, nämlich eines Pressfittings aus Rotguss bzw. Kupfer – Registernummer DV8511BL0457 – zu verlängern,
182. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 1.000.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. Oktober 2007 zu zahlen,
193. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ein akkreditiertes Mischzertifikat (DVGW-Prüfzeichen) im Sinne der Regelung 12.-G 12.6 des Leitfadens DAR-6-EM-01 zur Anwendung der EN 45011 hinsichtlich eines Produktes der Wasser- und Gasversorgung, nämlich eines Pressfittings aus Rotguss bzw. Kupfer, auszustellen.
20Der Beklagte und ihr Streithelfer beantragen,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Auch sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen.
23II.
24Der Erfolg der Klage hängt – zumindest hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs – von der Beantwortung der im Tenor genannten Fragen ab. Die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlaubt noch keine hinreichend sichere Beurteilung, ob der Beklagte bei der Entziehung des Zertifikats und Verweigerung einer (Neu-)Zertifizierung, gestützt auf von ihm entwickelte technische Normen, bestimmte europarechtliche Anforderungen einhalten musste oder – wie das Landgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Beklagten gemeint hat – insoweit nahezu frei war. Der Senat hält es daher für angebracht, dem Europäischen Gerichtshof bestimmte Fragen gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.
25Ob anschließend noch tatsächliche Fragen zu klären sind (z.B. dazu, ob das Erzeugnis tatsächlich die Anforderungen des sogenannten Ozontests erfüllt), hängt von der Beantwortung der Fragen durch den Europäischen Gerichtshof ab.
261.
27Zum einen stellen sich Fragen zur Auslegung des Art. 28 EGt.
28a) Das Produkt der Klägerin ist und war zum fraglichen Zeitpunkt unstreitig an ihrem Herstellungsort in Italien verkehrsfähig und entspricht den dort geltenden Anforderungen. Dies führt dazu, dass das Produkt grundsätzlich im gesamten Gebiet der Union verkehrsfähig ist, Art. 23 Abs. 2 EG.
29b) Ein Vertrieb des Produktes wurde in dem fraglichen Zeitraum durch die Entziehung des Prüfzeichens und die Verweigerung einer Verlängerung des Prüfzeichens im Jahre 2005 durch den Beklagten stark behindert und ist damit geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. EuGH, Urteil vom 09.12.2010 – C-421/90, Rdnr. 26).
30Im fraglichen Zeitraum lautete § 12 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV), der die Kundenanlage betrifft, in Abs. 4 wie folgt:
31Es dürfen nur Materialien und Geräte verwendet werden, die entsprechend den anerkannten Regeln der Technik beschaffen sind. Das Zeichen einer anerkannten Prüfstelle (zum Beispiel DIN-DVGW, DVGW- oder GS-Zeichen) bekundet, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
32Durch Verordnung vom 13. Januar 2010 (BGBl. I S. 10) hat § 12 Abs. 4 AVBWasserV folgenden Wortlaut erhalten:
33Es dürfen nur Materialien und Geräte verwendet werden, die entsprechend den anerkannten Regeln der Technik beschaffen sind. Die Einhaltung der Voraussetzungen des Satzes 1 wird vermutet, wenn eine CE-Kennzeichnung für den ausdrücklichen Einsatz im Trinkwasserbereich vorhanden ist. Sofern diese CE-Kennzeichnung nicht vorgeschrieben ist, wird dies auch vermutet, wenn das Produkt oder Gerät ein Zeichen eines akkreditierten Branchenzertifizierers trägt, insbesondere das DIN-DVGW-Zeichen oder DVGW-Zeichen. Produkte und Geräte, die 1. in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig hergestellt worden sind oder 2. in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in der Türkei rechtmäßig herge- stellt oder in den Verkehr gebracht worden sind und die nicht den technischen Spezifikationen der Zeichen nach Satz 3 entsprechen, werden einschließlich der in den vorgenannten Staaten durchgeführten Prüfungen und Überwachungen als gleichwertig behandelt, wenn mit ihnen das in Deutschland geforderte Schutzniveau gleichermaßen dauerhaft erreicht wird.
34§ 12 Abs. 4 AVBWasserV enthielt und enthält damit eine – gesetzlich angeordnete – Vermutung dafür, dass die von dem Beklagten zertifizierten Produkte dem Stand der Technik entsprechen. Gleichzeitig verwies und verweist § 12 Abs. 4 AVBWasserV auf die von dem Beklagten entwickelten Anforderungen an die Bauprodukte und Prüfregeln, ohne deren Einhaltung eine Zertifizierung durch ihn nicht möglich ist. Auf Grund des Vorbringens der Parteien muss der Senat des Weiteren davon ausgehen, dass ein Vertrieb von Rohren und Zubehör für die Trinkwasserversorgung in Deutschland ohne eine Zertifizierung des Beklagten kaum möglich ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 13.03.2008 – C-227/06). Der Beklagte ist der einzige Zertifizierer, auf den der Gesetzgeber in diesem Bereich verwiesen hat (das GS-Zeichen ist für Bauprodukte der vorliegenden Art nicht von Belang). Er (bzw. nunmehr eine hundertprozentige Tochtergesellschaft) ist zudem der einzige Zertifizierer, der in Deutschland existierte und existiert. Wegen der mit dem Einbau nicht von dem Beklagten zertifizierter Rohre (nebst Zubehör) verbundenen erheblichen Schwierigkeiten, die praktisch zu einer Einzelprüfung zwingen, ist ein Vertrieb derartiger Rohre (nebst Zubehör) erheblich erschwert. Auch der Beklagte hat keinen substantiierten Vortrag dazu gehalten, dass ohne sein Zertifikat Rohre (nebst Zubehör) in erheblichem Umfange vertrieben werden. Der Senat geht auf Grund des Vorbringens der Parteien davon aus, dass der Umsatz der Klägerin in Deutschland nach Entzug der Zertifizierung erheblich zurückgegangen ist und ein Vertrieb im Anschluss daran im Wesentlichen nur im Hinblick auf früher geschlossene Verträge möglich war.
35Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine – an sich unterschiedslos geltende - Maßnahme an der Warenverkehrsfreiheit jedenfalls dann zu prüfen, wenn sie zu einer erheblichen Erschwernis eines in einem anderen Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestellten und vertriebenen Produkts im Einfuhrmitgliedsstaat führt und die Erschwernisse auf technische Anforderungen an das Produkt selbst zurückzuführen sind. Das ist hier der Fall.
36c) Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist das Primärrecht der Union unmittelbar maßgeblich, demgegenüber nicht das Sekundärrecht. Der Vertrieb von Rohren (nebst Zubehör), soweit sie mit Trinkwasser in Berührung kommen, ist nämlich nicht harmonisiert.
37Dabei hat der Senat entgegen der Auffassung der Klägerin davon auszugehen, dass das fragliche Fitting nicht unter eine harmonisierte Norm im Sinne der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte ("Bauproduktenrichtlinie") fällt. Der Beklagte macht mit Schriftsatz vom 23. Februar 2011 (Bl. 1002 ff. Gerichtsakte) zu Recht geltend, dass die als einzige gegenwärtig in Frage kommende Norm hEN 681-1:1996 für Rohre, Behälter und Zubehörteile, die mit Trinkwasser in Berührung kommen, für das fragliche Fitting nicht als harmonisierte Norm gilt.
38Das Mandat M-131 der Europäischen Kommission vom 26. Februar 1999 (Anlage BB 11) bezog sich auf Rohre, Behälter und Zubehörteile, die nicht mit Trinkwasser in Berührung kommen. Dementsprechend heißt es (Anlage BB 10) im Anhang ZA "Anwendungsbereich und Abschnitte in dieser Europäischen Norm, die grundlegende Anforderungen der EU-Bauprodukten Richtlinie betreffen" unter ZA1. (Unterstreichungen des Senats):
39Bezogen auf Abschnitt 1 hat dieser Anhang ZA den gleichen Anwendungsbereich wie Abschnitt 1 außer der Verwendung in Kontakt mit Wasser, das für den menschlichen Verzehr vorgesehen ist.
40Diese Europäische Norm wurde gemäß dem von der Europäischen Kommission und der Europäischen Freihandelszone an CEN erteilten Mandat erarbeitet.
41Die in Tabelle ZA.1 aufgeführten Abschnitte dieser Europäischen Norm erfüllen die Anforderungen des Mandats, das auf der Grundlage der EG-Bauproduktenrichtlinie (89/106/EWG) erteilt wurde.
42In der Tabelle ZA.1 heißt es weiter:
43Verwendungszweck: Rohrverbindungen in der Wasser- und Entwässerungsanwendung, außer im Trinkwasserbereich
44Diese Einschränkung des Verwendungszwecks der Bauprodukte wird in ZA.2 nochmals aufgegriffen. Dort heißt es:
45Das System der Konformitätsbescheinigungen für Dichtungen aus vulkanisiertem Gummi gemäß Tabelle ZA.1 ist für den dort vorgesehenen Verwendungszweck … angegeben. Dies entspricht der Kommissionsentscheidung 1999/472/EG vom 01. Juli 1999 wie abgedruckt im Anhang III des Mandats für M 131 "Rohrleitungen, Behälter und Zubehörteile, die nicht mit Trinkwasser in Berührung kommen."
46Als Verwendungszweck der Dichtungen wird in Tabelle ZA.2 angegeben:
47Bei Installationen für den Transport, die Verteilung und die Lagerung, die nicht in Kontakt mit Trinkwasser kommen
48Aufgrund des Vortrages der ausdrücklich zu diesem Punkt befragten Parteien muss der Senat davon ausgehen, dass die Dichtungen – entgegen der von der Europäischen Kommission im Schreiben vom 25.07.2008 (Anlage CC 81) geäußerten Annahme – mit Trinkwasser in Berührung kommen.
49d) Der Senat geht auf Grund des Parteivorbringens bei vorläufiger Betrachtung davon aus, dass die hier streitigen Anforderungen nicht durch Art. 30 EG gerechtfertigt sind.
50Der Beklagte beruft sich zur Rechtfertigung der Entziehung und der Verweigerung einer Verlängerung des Prüfzeichens im Jahre 2005 auf die von ihm im Arbeitsblatt W 534 niedergelegten Anforderungen. Zum einen macht er geltend, das Produkt der Klägerin halte dem – bereits in der bei der Erstzertifizierung geltenden Fassung des Arbeitsblatts W 534 enthaltenen – sogenannten Ozontest stand, die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung des italienischen Prüflabors C... brauche er nicht anzuerkennen, weil dieses Labor von ihm nicht zertifiziert sei. Zum anderen beruft sich der Beklagte darauf, das Produkt der Klägerin erfülle unstreitig nicht den durch die Änderung des Arbeitsblatts W 534 eingeführten sogenannten 3000-Stunden-Test.
51Einen Grund im Sinne des Art. 30 EG für die Weigerung des Beklagten, eine Bescheinigung eines ausländischen – nach den dort geltenden Vorschriften zertifizierten – Prüflabors anzuerkennen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Das gilt umso mehr, als der Beklagte bei der ursprünglichen Zertifizierung eine Bescheinigung desselben Labors hat ausreichen lassen, wobei die Tatsache, dass diese Untersuchung im Auftrage eines dritten – von dem Beklagten zertifizierten - Instituts erfolgte, insoweit unerheblich ist, weil dies nichts an den Anforderungen an der Zuverlässigkeit des die Untersuchung durchführenden Labors änderte. Hinzu kommt, dass der auf Grund des Gesetzes über die Akkreditierungsstelle (BGBl. 2009 I S. 2625) beliehene Deutsche Akkreditierungsrat, der über die DATech Deutsche Akkreditierungsstelle Technik GmbH den Beklagten akkreditiert hat, Abkommen u.a. zur gegenseitigen Anerkennung von Prüflaboratorien geschlossen hat und das betreffende italienische Labor von diesen Abkommen umfasst ist (vgl. auch Erwägungsgrund 23 zur VO (EG) 765/2008 des Europäische Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Anforderungen an Akkreditierung und Marktüberwachung bei der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/83 – ABl. L 281 S. 30, zukünftig AkkreditierungsVO).
52Des Weiteren vermag der Senat einen Grund für den sogenannten 3.000-Stunden-Test, der den Anforderungen des Art. 30 EG in der Auslegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof Stand halten könnte, bei vorläufiger Würdigung nicht zu erkennen. Der 3000-Stunden-Test dient nicht dem Schutz der Gesundheit des Trinkwasserverbrauchers, sondern "nur" der Verlängerung der Lebensdauer eines Rohres. Dies ist sicherlich wünschenswert. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insbesondere zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist jedoch nicht ersichtlich, wieso derartige – über die an Rohre allgemein zu stellende (vgl. die hEN 681-1:1996) – Anforderungen bei Trinkwasserrohren notwendig sind.
53e) Ungeklärt ist, zu welchen Rechtsfolgen dies führt.
54Der Beklagte meint, als private Vereinigung sei er bei der Aufstellung von Normen nicht an die Warenverkehrsfreiheit gebunden. Verweise der Gesetzgeber auf seine – aus eigener Initiative aufgestellten – technischen Normen und seien diese technischen Normen mit der Warenverkehrsfreiheit nicht zu vereinbaren, so führe dies allein dazu, dass die betreffende Rechtsvorschrift insoweit nicht anzuwenden sei. Bereits aus diesem Grunde sei die von der Europäischen Kommission in ihrem Schreiben vom 25. Juli 2008 (Anlage CC 81) herangezogene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. März 2008, C-227/06), die lediglich einen Vertragsverstoß des betreffenden Mitgliedsstaates als solchen festgestellt habe, nicht einschlägig. Die betreffenden technischen Normen als solche "gälten" jedoch, wenn auch nicht als Teil einer Rechtsvorschrift, weiter und könnten von dem privaten Zertifizierungsinstitut auch in einem derartigen Falle zur Grundlage seiner Zertifizierungstätigkeit gemacht werden.
55Die Klägerin meint demgegenüber, die Aufstellung technischer Normen durch den Beklagten und ihre Anwendung im Rahmen seiner Zertifizierung sei dem Staat mit der Folge zuzurechnen, dass der Beklagte selbst an die Warenverkehrsfreiheit gebunden sei. Bei einem Verstoß bestimmter technischer Normen gegen die Warenverkehrsfreiheit dürften diese technischen Normen von dem Beklagten nicht angewandt werden.
56Die Beantwortung dieser für den Rechtsstreit zentralen Frage erscheint dem Senat nicht eindeutig.
57Allerdings geht der Europäische Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass nur der Mitgliedsstaat als solcher und die ihm zuzurechnenden Untergliederungen und Stellen an die Warenverkehrsfreiheit gebunden sind. Die Entscheidung vom 22.01.1981 (Rs. 58/80 – Dansk Supermarked), die von anderen Grundsätzen auszugehen scheint, wird weitgehend als Einzelfall bzw. als wieder aufgegebene Rechtsprechungslinie angesehen.
58Dennoch ist eine Bindung Privater an die Warenverkehrsfreiheit dem EG-Recht nicht vollkommen fremd. Art 86 Abs. 2 EG spricht dies für bestimmte Unternehmen ausdrücklich aus (s. dazu näher sogleich).
59Der Senat hält es für denkbar, dass der Beklagte – und zwar sowohl als Ersteller technischer Normen als auch in seiner Stellung als akkreditierte Konformitätsbewertungsstelle im Sinne von Art. 5 AkkreditierungsVO – auch und gerade dort, wo er in dem Bereich nichtharmonisierter technischer Normen tätig wird, an die Warenverkehrsfreiheit gebunden ist.
60Hintergrund dafür ist zum einen die Überlegung, dass er sowohl bei der Erstellung technischer Normen als auch bei der Zertifizierung anstelle des Staates mit dem Anspruch auf möglichst umfassende "Geltung" dieser technischen Normen und der Zertifizierung auftritt. Sowohl die AkkreditierungsVO als auch die Bauprodukten-Richtlinie erkennen die Bedeutung technischer Normen, die durch eigens dafür gegründete Einrichtungen erstellt werden, sowie der Zertifizierung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes an (vgl. auch Art. 6 Abs. 1 Bauprodukten-Richtlinie). Dieser kollektive marktregelnde Bezug hebt den Beklagten von "normalen" Privaten ab.
61Eine derartige Überlegung liegt zum anderen vor allem dann nahe, wenn der Mitgliedsstaat diesen technischen Normen und einer Zertifizierung durch diese Einrichtung mittels Rechtsvorschriften bestimmte Wirkungen zuspricht. Wie bereits unter b) ausgeführt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die vom Beklagten zertifizierten Erzeugnisse auf dem Gebiet der Hausanschlüsse für die Trinkwasserversorgung (und damit mittelbar auch seine technischen Regeln) den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Dabei handelt es sich zwar "lediglich" um eine Vermutungsregel, die nicht ausschließt, dass auch nicht von dem Beklagten zertifizierte Erzeugnisse und Erzeugnisse, welche nicht den vom Beklagten aufgestellten technischen Normen entsprechen, eingesetzt werden können. Die Rechtsvorschrift hat jedoch zur Folge, dass ein Vertrieb nicht von dem Beklagten zertifizierter Erzeugnisse zumindest erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich wird. Eine ähnliche Regelungstechnik verfolgt der nationale Gesetzgeber in § 13 Abs. 2 Niederdruckanschlussverordnung, § 49 Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetz und einer Vielzahl anderer Vorschriften. Der nationale Gesetzgeber hat wegen der sich daraus ergebenden Marktwirkungen und des Bedürfnisses an einer allgemeinen Zugänglichkeit zu diesen technischen Normen in § 5 Abs. 3 des Urheberrechtsgesetzes eine Sonderregelung für notwendig erachtet (s. dazu 2.a)).
62Der Senat hält es für denkbar, dass zumindest in einem derartigen Fall der Beklagte trotz seiner privatrechtlichen Organisation dem Mitgliedsstaat zuzurechnen ist mit der Folge, dass auch der Beklagte selbst bei der Aufstellung technischer Normen und bei seiner Zertifizierungstätigkeit an die Warenverkehrsfreiheit gebunden ist. Dafür sieht der Senat einen Anhaltspunkt in Art. 86 Abs. 2 EG. Sollte der Beklagte als Unternehmen einzuordnen sein (vgl. auch 2.), könnte sogar erwogen werden, ob die Bundesrepublik Deutschland ihn nicht mit "besonderen Rechten" im Sinne dieser Vorschrift ausgestattet hat. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 25.10.2001, Slg. 2001 I, 8089, 8146 ff.) gilt diese Vorschrift, wenn "einer begrenzten Zahl von Unternehmen durch Rechtsvorschrift ein Schutz verliehen wird, der die Fähigkeit anderer Unternehmen, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich beeinträchtigen kann". Durch § 12 Abs. 4 AVBWasserV wird die Möglichkeit Dritter, in der Bundesrepublik Deutschland bei Erzeugnissen für Kundenanlagen der Trinkwasserversorgung abweichende technische Normen zu erstellen und/oder im Wettbewerb zu dem Beklagten Zertifizierungsleistungen zu erbringen, praktisch ausgeschlossen. Dies zeigt sich bereits daran, dass es derartige Einrichtungen nicht gibt. § 12 Abs. 4 AVBWasserV führt dazu, dass Hersteller von Erzeugnissen auf diesem Gebiet für eine Zertifizierung auf den Beklagten angewiesen sind. Der Auffassung des Beklagten, er erfahre dadurch keine Unterstützung durch den Gesetzgeber, trifft nicht zu, da zum einen durch die genannte Rechtsvorschrift seine alleinige Stellung in dem Bereich der Erstellung technischer Normen und zum anderen seine Position bei der Erteilung – entgeltpflichtiger – Zertifizierungen rechtlich abgesichert wird.
632.
64Sollte der Beklagte nicht unmittelbar an die Vorschriften des EG-Vertrages über die Warenverkehrsfreiheit gebunden sein, stellen sich kartellrechtliche Fragen.
65a) Ungeklärt ist, ob Einrichtungen, die technische Normen erstellen und anhand dieser technischen Normen – entgeltpflichtig – Zertifizierungen erteilen, als Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 81 EG anzusehen sind.
66Traditionellerweise (OLG Frankfurt GRUR 1986, 184) wird die Tätigkeit von Gütezeichengemeinschaften auf dem Gebiet der Erstellung von Normen und der Zertifizierung auf nationalstaatlicher Ebene nicht als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen. Dies wird damit begründet, dass ihrer Leistung kein gewerblicher Charakter zukomme, weil sie eine neutrale Stellung bewahre und damit außerhalb des eigentlichen Marktgeschehens bleibe. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung dazu fehlt, so dass ungeklärt ist, ob diese Grundsätze noch angewendet werden können.
67Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den – im Hinblick auf die italienische Herkunft der Waren vorrangig zu prüfenden – Vorschriften der Art. 81, 82 EG besteht eine wirtschaftliche Tätigkeit darin, Güter oder Dienstleistungen – unmittelbar oder mittelbar über Tochtergesellschaften – auf einem bestimmten Markt anzubieten.
68Der Beklagte stellt vor allem in Frage, dass es einen Markt für die Erstellung und Festlegung technischer Normen auf dem Gebiet der Wasserversorgung gebe.
69Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage, ob die genannte Tätigkeit den genannten Vorschriften der Art. 81, 82 EG unterfällt, liegt bisher nicht vor, so dass eine Klärung durch eine Vorlage nach Art. 267 AEUV angezeigt erscheint. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. März 2009 (C-113/07 P) befasst sich mit der Normungstätigkeit von Eurocontrol und ordnet sie aufgrund des Gründungsübereinkommens der hoheitlichen Tätigkeit zu (Tz. 86 ff.); das Urteil schließt damit in anderen Fallgestaltungen die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht von vornherein aus. Das Gericht erörtert im Urteil vom 12. Mai 2010 (T-432/05) die Frage, ob Art. 81 EG auf die Erstellung technischer Normen überhaupt anwendbar ist, nicht, sondern prüft lediglich das Vorliegen von Rechtsfertigungsgründen.
70Die Europäische Kommission geht in ihren "Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 des Vertrages für die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit" (ABl. 2011 C 11 S. 1) unter Rdnr. 258 ohne Weiteres davon aus, dass auch die Erstellung technischer Normen als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist.
71Nach vorläufiger Ansicht des Senats lässt sich die Einordnung der Normungstätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit nicht von vornherein ausschließen. Es ist durchaus denkbar, miteinander konkurrierende Systeme technischer Normen (allerdings mit der Gefahr, dass die unter Zugrundelegung dieser Normen erzeugten Produkte nicht oder nur schwer miteinander oder mit Zubehörteilen kompatibel sind) zu schaffen, wie dies in der Praxis bei neuen technischen Geräten vorkommt. Diese Normen können dadurch vermarktet werden, dass die betreffende Einrichtung zusammen mit der Normerstellung gleichzeitig anhand der Normen eine Zertifizierung von Erzeugnissen vornimmt (wie der Beklagte unmittelbar bis 2007 oder mittelbar über eine Tochtergesellschaft, ihre Streithelferin, seit 2007) oder dass sie technische Normen nur gegen Entgelt Interessierten zugänglich macht. Letztgenannte Möglichkeit sieht § 5 Abs. 3 des Urheberrechtsgesetzes ausdrücklich vor, wonach die Vorschriften über die Gemeinfreiheit amtlicher Verlautbarungen für private Normwerke nicht gilt. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
72Das Urheberrecht an privaten Normwerken wird durch die Absätze 1 und 2 nicht berührt, wenn Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder amtliche Bekanntmachungen auf sie verweisen, ohne ihren Wortlaut wiederzugeben. In diesem Fall ist der Urheber verpflichtet, jedem Verleger zu angemessenen Bedingungen ein Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung einzuräumen. Ist ein Dritter Inhaber eines ausschließlichen Rechts zur Vervielfältigung und Verbreitung, so ist dieser zur Einräumung des Nutzungsrechts nach Satz 2 verpflichtet.
73Diese im Jahre 2003 in das Gesetz eingeführte Vorschrift sollte es u.a. den Erstellern "privater Normwerke" ermöglichen, die zum Teil erheblichen Kosten bei der Erstellung der technischen Normen durch eine "Vermarktung" dieser Normen refinanzieren zu können.
74Die Zertifizierung von Erzeugnissen selbst erfolgt entgeltlich.
75Dass sich ein Markt nicht entwickelt hat, weil die Beteiligten unterschiedliche Normwerke als unpraktikabel empfunden haben und der Gesetzgeber nur auf ein bestimmtes Normwerk Bezug nimmt, steht dem nach Ansicht des Senats nicht entgegen, wie auch Art. 86 Abs. 2 EG zeigt, der die mit ausschließlichen oder besonderen Rechten ausgestattete Stelle dennoch als Unternehmen bezeichnet.
76Für eine Qualifizierung als Unternehmensvereinigung spricht, dass der Beklagte mehrheitlich durch Unternehmen, nämlich Versorgungsunternehmen, beherrscht wird. Dabei spielt die Frage, ob diese Versorgungsunternehmen allein in öffentlicher Trägerschaft sind oder sich unter diesen auch private Unternehmen befinden, keine Rolle.
77b) Sieht man den Beklagten als Unternehmensvereinigung an, wird erheblich, ob die betreffenden technischen Normen den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind oder eine Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.
78Der Beklagte meint, dies sei nicht der Fall, weil die Anforderungen erfüllt seien, die die Europäische Kommission an die zulässige Erstellung technischer Normen durch Vereinbarung gestellt habe. Insbesondere habe jedem interessierten Unternehmen die Möglichkeit offen gestanden, an dem Normungsprozess mitzuwirken (vgl. Rdnr. 295), auch sei der 3000-Stunden-Test nicht mit Diskriminierungsabsicht eingeführt worden. Die Klägerin greift dies zwar an, der Senat ist jedoch bei vorläufiger Würdigung der Auffassung, dass insoweit kein Grund zur Beanstandung besteht.
79Problematisch und daher klärungsbedürftig ist jedoch die weitere Voraussetzung, dass den Produzenten die Freiheit zugestanden werden muss, andere Normen oder Produkte zu entwickeln (Rdnr. 293; EuG, Urteil vom 12.05.2010 – T-432/05 Rdnrn. 105 ff.). Auch wenn die Einhaltung der technischen Norm des Beklagten rechtlich nicht zwingend ist, so ist ein Vertrieb anderer Erzeugnisse aufgrund der durch eine überragende Marktstellung des Beklagten auf dem Gebiet der Normerstellung und der Zertifizierung gekennzeichneten Marktgegebenheiten und der gesetzlichen Vorschriften kaum möglich. Das ist nach Ansicht des Senats zumindest dann problematisch, wenn sie inhaltlich mit den Grundsätzen über die Warenverkehrsfreiheit nicht zu vereinbaren sind (vgl. oben unter 1.b).