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Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland (Spruchkörper Köln) vom 11. Mai 2016 (VK VOL 28/2015) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 37.000,00 €.
Gründe
2I.
3Die Antragsgegnerin stellt im gesamten Gebiet des Rhein-Sieg-Kreises im Rahmen der kommunalen Abfallsammlung die erforderlichen Abfallbehälter zur Verfügung und führt die Behälterbestandspflege durch.
4Die Antragstellerin ist die deutsche Vertriebsgesellschaft eines spanischen Herstellers von Abfall- und Wertstoffbehältern, der spanischen D..
5Das Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (RAL) hat in einem Anerkennungsverfahren unter Mitwirkung des Bundesministeriums für Wirtschaft und den betroffenen Fach- und Verkehrskreisen sowie den zuständigen Behörden ein Gütezeichen für Abfall- uns Wertstoffbehälter entwickelt. Dieses Gütezeichen setzt voraus, das die Güte- und Prüfbestimmungen des RAL erfüllt sind. Die Gütegemeinschaft Abfall- und Wertstoffbehälter e.V. (GGAWB) hat das Recht, das RAL Gütezeichen gemäß den gültigen Güte- und Prüfbestimmungen hersteller- und produktbezogen zu verleihen und hierüber eine Verleihungsurkunde auszustellen.
6Mit EU-Bekanntmachung vom 19.08.2015 (2015/S 159-292121) schrieb die Antragsgegnerin den Abschluss eines Liefervertrages über die Beschaffung von Abfallsammelbehältern unterschiedlicher Größe aus. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt. Die Vertragslaufzeit sollte am 01.12.2015 beginnen und mit Ablauf des 31.12.2018 enden. Der Preis war als einziges Zuschlagskriterium vorgesehen. In der Auftragsbekanntmachung heißt es unter III. 2. 3) Technische Leistungsfähigkeit auszugsweise wie folgt:
7„Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen:
8Los 1 und 2:
9- Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität
10Los 1:
11Referenz/-en (als Eigenerklärung) über die Lieferung von zwei-rädrigen Müllgroßbehältern (MGB) aus Kunststoff
12Los 2:
13- Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität
14Möglicherweise geforderte Mindeststandards:
15Los 1 und 2:
16- Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität durch die Vorlage der Verleihungsurkunde nach GGAWB oder Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, jeweils für das zur Fertigung vorgesehene Werkzeug (Kopien sind ausreichend).
17Die Anforderungen an die Gleichwertigkeit bzgl. der Verleihungsurkunde nach GGAWB sind den Ausschreibungsunterlagen beigefügt.
18Hinweis:
19In Los 1 ist die Verleihungsurkunde nach GGAWB bzw. sind die Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, jeweils gesondert für die Behältergröße 80 l, 120 l und 240 l vorzulegen.
20In Los 2 ist die Verleihungsurkunde nach GGAWB bzw. sind die Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, jeweils gesondert für die Behältergröße 660 l, 770 l und 1100 l vorzulegen.
21.....“
22Den Vergabeunterlagen ist eine Liste der vom Bieter vorzulegenden Unterlagen zur Erreichung der Gleichwertigkeit mit der Verleihungsurkunde nach GGAWB als Anlage B beigefügt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anlage B Bezug genommen.
23In der Leistungsbeschreibung (dort Seite 20) heißt es unter der Überschrift Weitere Behälterqualität:
24Alle vom Auftragnehmer zu liefernden Müllgroßbehälter aus Kunststoff in der jeweiligen Größe (60 l, 120 l, 240 l) sind mit dem jeweiligen in Angebotssteil III zu benennenden Werkzeug („Werkzeugnummer“) zu produzieren.
25Die vorgenannten vom Auftragnehmer zu liefernden MGB haben insbesondere die Anforderungen der EN 840-1 „Fahrbare Abfallsammelbehälter – Teil 1: Behälter mit zwei Rädern und einem Nennvolumen bis 400 l für Kammschüttungen“ zu erfüllen. Zudem sind die Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 951/1 für Müllgroßbehälter aus Kunststoff einzuhalten.
26Es werden auch gleichwertige Gütesicherungen anerkannt.
27Die Einhaltung der technischen Anforderungen und der neutralen Produktionsüberwachung an die jeweilige Behältergröße muss jeweils durch die entsprechende Verleihungsurkunde der GGAWB oder durch Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, nachgewiesen werden (vgl. Punkt 2.1.10 – Nachweis zur Leistungsfähigkeit in fachlicher und technischer Hinsicht).“
28Vor Angebotsabgabe richtete die Antragstellerin zwei Bieterfragen an die Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 04.09.2015 bat sie die Antragsgegnerin um Mitteilung, ob sie die Vorlage eines durch die TÜV SÜD Produkt Service GmbH zertifizierten Gütezeichens als Gleichwertigkeitsnachweis zum geforderten RAL Gütezeichen als ausreichend ansieht. Dies verneinte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10.09.2015 und wies darauf hin, dass die in der Gleichwertigkeitsliste gemäß Anlage B der Vergabeunterlagen aufgeführten Unterlagen vollständig vorzulegen seien. Die zweite Bieterfrage datiert vom 11.09.2015 und betrifft die in der Anlage B aufgelisteten Unterlagen und die dort unter Ziff. 7 geforderte Vorlage eines Überwachungsvertrags mit einem akkreditierten Prüfinstitut zur Einhaltung der Prüfvorgaben nach RAL-GZ 951/1. Die Antragstellerin bittet insoweit um Prüfung, ob anstelle des Vertrages auch eine schriftliche Bestätigung des akkreditierten Prüfungsinstituts über das Bestehen eines Vertragsverhältnisses ausreichend sei, da es sich bei dem Vertrag um ein schützenswertes Betriebsgeheimnis handele. Die Antragsgegnerin hielt an der geforderten Vorlage des in Rede stehenden Überwachungsvertrags fest und teilte dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 16.09.2015 mit. Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.09.2015 rügte die Antragstellerin die Nichtanerkennung der Gleichwertigkeit des vorgelegten TÜV-Gütezeichnens sowie die Forderung der Gleichwertigkeitsnachweise gemäß Anlage B der Vergabeunterlagen als unverhältnismäßig. Nach Zurückweisung der Rüge durch die Antragsgegnerin gab die Antragstellerin zu Los 1 und zu Los 2 jeweils ein Angebot ab. Für Los 1 fehlten die Verleihungsurkunden nach GGAWB vollständig und für Los 2 für die Behältergröße mit 1.100 l Volumen. Unterlagen zur Erreichung der Gleichwertigkeit mit der jeweiligen Verleihungsurkunde nach GGAWB gemäß der Liste Anlage B der Vergabeunterlagen waren nicht beigefügt mit Ausnahme des „Zertifikats und Prüfzeugnisses zum Nachweis der bestandenen Prüfungen nach DIN EN 840“. Eine Nachforderung der Unterlagen durch die Antragsgegnerin blieb erfolglos.
29In der Preisübersicht zu beiden Losen lag die Antragstellerin jeweils auf Rang drei.
30Nach Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens hat die Antragstellerin beantragt,
311. das Vergabeverfahren in den Stand einer erneuten Angebotsaufforderung unter Versendung berichtigter Vergabeunterlagen zurückzuversetzen.
2. hilfsweise, das Angebot der Antragsgegnerin nicht mit der Begründung auszuschließen, dass der Nachweis zur Einhaltung der Mindestbedingungen bezüglich der Qualität durch Vorlage der Verleihungsurkunde nach GGAWB oder durch Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, nicht geführt wurde.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
36den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
37Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 hat die Vergabekammer Rheinland der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen zu erteilen und ihr aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zu versetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen. Der zulässige Nachprüfungsantrag sei begründet, weil die Antragsgegnerin weder gemäß § 7 Abs. 5 VOL/A-EG noch nach § 8 VOL/A-EG berechtigt gewesen sei, die Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB bzw. alternativ die in der Anlage B der Vergabeunterlagen genannten Nachweise zu verlangen. Soweit es sich um einen geforderten Eignungsnachweis handelt, genüge bereits die Bekanntmachung nicht den Anforderungen des § 7 Abs. 5 Satz 1 VOL/A-EG. Auch als technische Anforderung in der Leistungsbeschreibung gemäß § 8 VOL/A-EG habe die Antragsgegnerin die Nachweise nicht fordern dürfen.
38Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet und vertieft hierzu ihr bisheriges Vorbringen.
39Sie beantragt,
40den Beschluss der Vergabekammer Rheinland (Spruchkörper Köln) vom 11.05.2016 (VK VOL 28/2015) aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,
41hilfsweise,
42das Vergabeverfahren nur bis zum Stand einer wiederholten Angebotswertung zurückzuversetzen.
43Die Antragsgegnerin beantragt,
44die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
45Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
46II.
47Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat weder mit dem Haupt- noch mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag Erfolg. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
481.
49Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
50a.
51Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt.
52aa.
53Die Antragstellerin hat ein Interesse an dem Auftrag. Dies bedarf keiner weiteren Darlegung, weil die Antragstellerin Bieterin in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren ist und bereits der Umstand der Angebotsabgabe regelmäßig das erforderliche Interesse belegt (BVerfG NZBau 2004, 564; BGHZ 169, 131, 135; BGHZ 183, 95). Dass vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen worden.
54bb.
55Auch die weitere Voraussetzung des § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB, die erfordert, dass der Antragsteller geltend macht, durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in seinen Rechten verletzt worden zu sein, ist erfüllt.
56Ausreichend hierfür ist, dass nach der Darstellung des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Unternehmens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der im Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 GWB durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ermöglicht werden soll, kann die Antragsbefugnis nämlich nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (BVerfG NZBau 2004, 566; BGHZ 169, 136, 135; BGHZ 183, 95). Wünscht ein Bieter die Nachprüfung eines eingeleiteten Vergabeverfahrens, ist deshalb die Voraussetzung des § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB regelmäßig gegeben, wenn er sich auf die Verletzung von subjektiven Rechten mit der Behauptung beruft, dass der öffentliche Auftraggeber Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht eingehalten hat oder einhält.
57Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin hat unter anderem vorgebracht, die Antragsgegnerin habe gegen das Vergaberecht verstoßen, weil sie eine Gleichwertigkeit der vorgelegten TÜV-Zertifikate mit der geforderten Verleihungsurkunde des GGAWB abgelehnt habe. Hiermit verstoße sie gegen den vergaberechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung. Zudem macht sie im Hinblick auf die Gleichwertigkeitsnachweise gemäß Anlage B der Vergabeunterlagen einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend, da insbesondere die Vorlage des Überwachungsvertrags mit einem akkreditierten Prüfinstitut zur Einhaltung der Prüfvorgaben nach RAL-GZ 951/1 wegen der darin enthaltenen Geschäftsgeheimnisse einen unverhältnismäßigen Eingriff darstelle.
58cc.
59Durch die behauptete Nichtbeachtung von Vergabevorschriften droht der Antragstellerin der Eintritt eines Schadens (§ 107 Abs. 2 Satz 2 GWB).
60Nach § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Der Schaden besteht darin, dass durch den einzelnen beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des Antragstellers auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können. An die Darlegung des entstandenen oder drohenden Schadens sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es ist vielmehr ausreichend, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (BVerfG NZBau 2004, 564). Die Antragsbefugnis erfüllt die Funktion eines groben Filters, dem lediglich die Aufgabe zukommt, von vornherein eindeutige Fälle, in denen eine Auftragserteilung an den Antragsteller aussichtslos ist, auszusondern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.10.2012, VII-Verg 34/12).
61Ausgehend hiervon hat die Antragstellerin dargelegt, dass sich ihre Aussichten auf eine Erteilung des Zuschlags jedenfalls durch einen der behaupteten Vergaberechtsfehler verschlechtert haben könnten. Was die Nichtanerkennung der Gleichwertigkeit des TÜV-Zertifikats mit der Verleihungsurkunde nach GGAWB anbelangt, ist dem Vorbringen der Antragstellerin jedoch nicht zu entnehmen, dass sie im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte. Das Vergabeverfahren wäre in den Stand vor der Angebotswertung zurückzuversetzen. Allerdings hätte die Antragstellerin selbst dann, wenn die Antragsgegnerin die Gleichwertigkeit annehmen und das Angebot der Antragstellerin in die Wertung nehmen würde, keine Chancen auf den Zuschlag. Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis. Danach liegt die Antragstellerin mit beiden Angeboten aussichtslos auf Rang drei.
62Anders verhält es sich indes in Bezug auf die als vergaberechtswidrig beanstandeten Anforderungen an die Gleichwertigkeitsnachweise gemäß Anlage B der Vergabeunterlagen. Sollte insoweit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegen, darf ein Zuschlag nicht erteilt werden, ohne dass die Auftraggeberin den behaupteten Rechtsverstoß zuvor beseitigt hat. Zur Beseitigung, deren Art und Weise der Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers unterliegt, kommen eine Neuausschreibung oder eine teilweise Rückversetzung (und Wiederholung) des Vergabeverfahrens bis zu dem Stand in Betracht, in dem der geltend gemachte Rechtsverstoß behoben werden kann. Die Antragstellerin und die übrigen Bieter können sich dann mit einem neuen Angebot beteiligen. Dass die Antragstellerin dann, ebenso wie im jetzigen Verfahren, mit ihrem (neuen) Angebot bei beiden Losen abgeschlagen auf dem dritten Rang liegt, kann nicht festgestellt werden.
63b.
64Der Nachprüfungsantrag ist nicht wegen Missachtung der Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB) unzulässig.
65Der am 12. Oktober 2015 bei der Vergabekammer gestellte Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unzulässig. Die mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21. September 2015 gegenüber der Antragsgegnerin beanstandeten Verstöße gegen das Vergaberecht sind rechtzeitig gerügt worden.
66§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB lässt das Nachprüfungsrecht entfallen, wenn der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Voraussetzung hierfür ist die positive Kenntnis des Antragstellers von allen tatsächlichen Umständen, aus denen die Beanstandung im Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, und die zumindest laienhaft vernünftige rechtliche Wertung, dass sich aus ihnen eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergibt. Lediglich für möglich gehaltene oder vermutete Rechtsverstöße lösen keine Rügeobliegenheit aus. Ausreichend ist, wenn sich die Vorstellung von einem Vergaberechtsverstoß beim Antragsteller dergestalt zu hinreichender Gewissheit verdichtet hat, dass ein vernünftiger Bieter an seiner Stelle eine Rüge als nicht aussichtslos, nicht notwendig als überwiegende aussichtsreicht anbrächte. Um die Notwendigkeit einer Rüge und derer Rechtzeitigkeit beurteilen zu können, bedarf es daher regelmäßig der Feststellung, dass und ab wann der Antragsteller alle Umstände gekannt hat, die er zur Rechtfertigung seiner mit dem Nachprüfungsbegehren erhobenen Beanstandungen vorbringt (BGH VergabeR 2007, 59, juris Rn. 35).
67Es kann nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin bereits vor der Beantwortung der zweiten Bieterfragen durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. September 2015 und Beratung durch ihren Verfahrensbevollmächtigten hinreichende Gewissheit von dem Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes hatte. Wie sich aus der Bieterfrage vom 11. September 2015 ergibt, hatte die Antragstellerin Bedenken, ob die geforderte Vorlage eines Überwachungsvertrags mit einem akkreditierten Prüfinstitut dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen zuwiderläuft und angefragt, ob nicht eine schriftliche Bestätigung des akkreditierten Prüfinstituts über das Bestehen eines solchen Vertrags ausreichend ist. Dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits in der Anforderung des Vertrags einen Vergaberechtsfehler sah, ergibt sich aus dem Schreiben nicht. Kann aber nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin vor der Beratung durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, die im Anschluss an die Beantwortung der Bieterfrage mit Schreiben vom 16. September 2015 erfolgt ist, das Bewusstsein von einem Vergaberechtsverstoß hatte, ist die unter dem 21. September 2015 erfolgte Rüge in jedem Fall unverzüglich und damit rechtzeitig erfolgt.
682.
69Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
70Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Los 1 und 2 zu Unrecht gemäß § 19 Abs. 3 a) VOL/A-EG mit der Begründung ausgeschlossen, dass es nicht die geforderten Nachweise enthält. Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, die in der Anlage B der Vergabeunterlagen aufgelisteten Unterlagen als Gleichwertigkeitsnachweis für die geforderte Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB zu verlangen. Schon die Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB durfte die Antragsgegnerin von den Bietern nicht verlangen.
71a.
72Die Antragsgegnerin war nicht gemäß § 7 Abs. 3 VOL/A-EG befugt, von den Bietern als Nachweise für ihre berufliche oder technische Leistungsfähigkeit die Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB oder alternativ die in der Anlage B der Vergabeunterlagen aufgelisteten Unterlagen zu verlangen.
73aa.
74Die in Rede stehenden Eignungsnachweise sind – anders als die Vergabekammer meint - wirksam gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 VOL/A-EG in der Vergabebekanntmachung angegeben worden.
75Der Auftraggeber ist gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 VOL/A-EG verpflichtet, bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben, welche Eignungsnachweise vorzulegen sind. Nicht ausreichend ist daher, die Nachweise erst in den Vergabeunterlagen zu benennen. In den Vergabeunterlagen dürfen die Eignungsanforderungen lediglich konkretisiert werden (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 06.02.2013, VII-Verg 32/12, juris Rn. 23-15; Beschluss v. 28.11.2012, VII-Verg 8/12, juris Rn. 44; Beschluss v. 12.03.2008, VII-Verg 56/07, juris Rn. 39).
76Die in der Vergabebekanntmachung unter III. 2. 3) „Technische Leistungsfähigkeit“ enthaltene Aufforderung der Antragsgegnerin zum Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität eine Verleihungsurkunde nach GGAWB oder Unterlagen vorzulegen, die die Gleichwertigkeit belegen, genügt diesen Anforderungen. Der potentielle Bieter konnte hier erkennen, welche konkreten Eignungsanforderungen zu erfüllen und nachzuweisen waren.
77Aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen unter III. 2. 3) der Bekanntmachung ergab sich, dass Mindestbedingungen bezüglich der Qualität der ausgeschriebenen Abfallbehälter gefordert und nachzuweisen waren. Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers konnte zunächst kein Zweifel bestehen, dass Mindestanforderungen gestellt waren. Zwar ist dort von „möglicherweise geforderte Mindeststandards“ die Rede. Indes heißt es direkt zu Beginn unter der Rubrik Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: „Los 1 und 2: - Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität“. Zudem lassen die Formulierungen unter der Überschrift „Möglicherweise geforderte Mindeststandards“ keinen Zweifel daran zu, dass tatsächlich Mindeststandards gefordert werden und nachzuweisen sind. So heißt es dort:
78„Los 1 und 2:
79- Nachweis der Einhaltung der an die angebotenen Abfallbehälter gestellten Mindestbedingungen bezüglich der Qualität durch die Vorlage der Verleihungsurkunde nach GGAWB oder Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen jeweils für das zur Fertigung vorgesehene Werkzeug (Kopien sind ausreichend).
80Die Anforderungen an die Gleichwertigkeit bzgl. der Verleihungsurkunde nach GGAWB sind den Ausschreibungsunterlagen beigefügt.
81Hinweis:
82In Los 1 ist die Verleihungsurkunde nach GGAWB bzw. sind die Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen jeweils gesondert für die Behältergröße 80 l, 120 l und 240 l vorzulegen.
83In Los 2 ist die Verleihungsurkunde nach GGAWB bzw. sind die Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, jeweils gesondert für die Behältergröße 660 l, 770 l und 1100 l vorzulegen.“
84Für den potentiellen Bieter war zu erkennen, dass er seine technische Leistungsfähigkeit durch die Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB nachzuweisen hat. Alternativ konnte der Nachweis durch Unterlagen erfolgen, die die Gleichwertigkeit belegen. Diese Unterlagen waren in der Vergabebekanntmachung zwar nicht konkret benannt. Dies ist aber unschädlich, weil die Bekanntmachung insoweit einen Verweis auf die Ausschreibungsunterlagen enthält. Dieser Verweis ist zulässig, weil die bekannt gegebenen Eignungsanforderungen insoweit nur konkretisiert werden.
85bb.
86Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, zum Nachweis für die fachliche und technische Leistungsfähigkeit der Bieter mit der Angebotsabgabe die Vorlage einer Verleihungsurkunde nach GGAWB oder, alternativ dazu, die in der Anlage B der Vergabeunterlagen aufgelisteten Unterlagen zu verlangen.
87Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VOL/A-EG dürfen von den Unternehmen zum Nachweis ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit Unterlagen und Angaben gefordert werden, die durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sind. Welche Einzelnachweise in fachlicher und technischer Hinsicht gefordert werden dürfen, ist abschließend in § 7 Abs. 3 VOL/A-EG aufgelistet (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.05.2014, VII-Verg 46/13, juris Rn. 7; Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., VOL/A-EG, § 7 Rn. 7). Hier allein in Betracht kommen könnte die Regelung in § 7 Abs. 3 e) VOL/A-EG. Danach kann der Nachweis bei Lieferaufträgen durch Bescheinigungen der zuständigen amtlichen Qualitätskontrollinstitute oder-dienststellen erbracht werden, mit denen bestätigt wird, dass die durch entsprechende Bezugnahmen genau gekennzeichneten Leistungen bestimmten Spezifikationen oder Normen entsprechen.
88Die Verleihungsurkunde der Gütegemeinschaft Abfall- und Wertstoffbehälter e.V. (GGAWB) ist keine Bescheinigung eines amtlichen Qualitätskontrollinstituts oder -dienststelle. Die Gütegemeinschaft Abfall- und Wertstoffbehälter e.V. (GGAWB) ist keine Behörde und wird auch nicht für eine Behörde tätig. Es handelt sich um einen eingetragenen privatrechtlichen Verein. Seine Mitglieder sind ausschließlich Hersteller von Abfall- und Wertstoffbehältern.
89Anders als die Antragsgegnerin meint, ist § 7 Abs. 3 e) VOL/A-EG nicht richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass als Nachweis auch die Bescheinigung von einem als zuständig anerkannten Institut verlangt werden kann.
90Zwar ist in der Richtlinie 2004/18/EG (dort Art. 48 Abs. 1 1) ii)) und in der Richtlinie 2014/24/EU (dort Art. 60 Abs. 1 Anhang XII Teil 2 k) ii)) vorgesehen, dass der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit durch Bescheinigungen erbracht werden kann, die (entweder) von als zuständig anerkannten Instituten oder amtlichen Stellen für Qualitätskontrolle ausgestellt wurden. Auch hat ein mitgliedstaatliches Gericht gemäß Art. 249 EG das nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, wobei die Auslegung unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen ist. Allerdings ist Voraussetzung für eine richtlinienkonforme Auslegung, dass der Wortlaut der Norm auslegungsfähig ist, denn eine richtlinienkonforme Auslegung darf nicht gegen den Wortlaut der nationalen Vorschrift verstoßen (EuGH, Urteil v. 04.07.2005, C – 212/04; EuGH NJW 2006, 2465, Rn. 110 ff.). Hat die Norm einen eindeutigen Inhalt, ist sie der Auslegung nicht zugänglich.
91So verhält es sich hier. Die Formulierung, wonach der Nachweis durch Bescheinigungen der „zuständigen amtlichen Qualitätskontrollinstitute oder -dienst- stellen“ erbracht werden kann, ist eindeutig und damit nicht auslegungsfähig. Das Adjektiv „amtlich“ bezieht sich sowohl auf das Bezugssubjekt Qualitätskontrollinstitut als auch auf die Qualitätskontrolldienststelle, zumal der Begriff der Dienststelle nach allgemeinem Sprachgebrauch synonym für den Begriff Amt oder Amtsstelle verwendet wird. In jedem Fall handelt es sich bei einem amtlichen Institut oder einer amtlichen Dienststelle um eine Verwaltungseinheit einer öffentlich-rechtlichen Institution. Es würde gegen den Wortlaut der Vorschrift verstoßen, wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift auch auf Bescheinigungen anderer nicht amtlicher Institute ausgedehnt würde (ebenso Hänsel in Ziekow/Völlink, aaO. VOL/A EG, § 7 Rn. 12; a.A. Müller-Wrede, VOL/A, 4. Aufl., § 7 EG Rn. 72 ohne weitere Begründung).
92b.
93Die Antragsgegnerin ist es ferner nicht gemäß § 8 VOL/A-EG berechtigt, die in Rede stehenden Unterlagen als Nachweis dafür zu verlangen, dass der Bieter beim Herstellungsprozess der nachgefragten Abfallbehälter bestimmte technische Anforderungen einhält und eine neutrale Produktüberwachung stattfindet. Die Antragsgegnerin durfte in Ausübung ihres Leistungsbestimmungsrechts die Einhaltung von Güte- und Prüfrichtlinien entsprechend der RAL-GZ 951/1 nicht verlangen und demzufolge auch nicht die entsprechenden Nachweise fordern.
94aa.
95Die Antragsgegnerin hat unabhängig von den Anforderungen an die technische (oder berufliche) Leistungsfähigkeit der Bieter in derselben Ausschreibung im Rahmen der Leistungsbeschreibung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOL/A-EG Anforderungen an die Qualität der zu liefernden Abfallbehälter formuliert. Es heißt dort unter 3.1.1. Weitere Behälterqualität (Leistungsbeschreibung Seite 20 u.):
96„Alle vom Auftragnehmer zu liefernden Müllgroßbehälter aus Kunststoff in der jeweiligen Größe (60 l, 120 l, 240 l) sind mit dem jeweiligen in Angebotssteil III zu benennenden Werkzeug („Werkzeugnummer“) zu produzieren.
97Die vorgenannten vom Auftragnehmer zu liefernden MGB haben insbesondere die Anforderungen der EN 840-1 „Fahrbare Abfallsammelbehälter – Teil 1: Behälter mit zwei Rädern und einem Nennvolumen bis 400 l für Kammschüttungen“ zu erfüllen. Zudem sind die Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 951/1 für Müllgroßbehälter aus Kunststoff einzuhalten.
98Es werden auch gleichwertige Gütesicherungen anerkannt.
99Die Einhaltung der technischen Anforderungen und der neutralen Produktionsüberwachung an die jeweilige Behältergröße muss jeweils durch die entsprechende Verleihungsurkunde der GGAWB oder durch Unterlagen, die die Gleichwertigkeit belegen, nachgewiesen werden (vgl. Punkt 2.1.10 – Nachweis zur Leistungsfähigkeit in fachlicher und technischer Hinsicht).“
100(1)
101Schon im Hinblick auf die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 a) – e) VOL/A-EG vorgesehene Rangfolge ist fraglich, ob die Antragsgegnerin zusätzlich zur der geforderten Einhaltung der DIN EN 840-1 verlangen kann, dass die Prüf- und Gütebestimmungen der RAL-GZ 951/1 eingehalten werden. In § 8 Abs. 2 Nr. 1 a) – e) VOL/A-EG kommt eine Rangfolge zum Ausdruck, die einen Vorrang der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen vorsieht. Hiernach ist ein Rückgriff auf nationale Regelwerke erst dann gestattet, wenn die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 a) – d) VOL/A-EG genannten Normen fehlen.
102Bei der geforderten Einhaltung der DIN EN 840-1 sowie der Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 951/1 handelt es sich um technische Anforderungen im Sinne technischer Spezifikationen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOL/A-EG. Gemäß der Definition im Anhang TS der VOL/A-EG, sowie Art. 23 Abs. 1, Anhang VI Nr. 1 b) Richtlinie 2004/18/EG, Art. 41 Abs. 1, Anhang VII Nr. 1 b) Richtlinie 2014/24/EU ist bei öffentlichen Dienstleistungs- oder Lieferaufträgen eine Spezifikation dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem Schriftstück enthalten ist und das Merkmale für ein Produkt oder eine Dienstleistung vorschreibt, wie u.a. Vorgaben für die Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessung des Produkts einschließlich Prüfungen und Prüfverfahren sowie Produktionsprozesse und –methoden in jeder Phase des Lebenszyklus der Lieferung. Bei der DIN EN 840-1 und den Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 951/1 handelt es sich um solche technische Spezifikationen. Die DIN EN 840-1 ist eine nationale Norm, mit der europäische Normen umgesetzt worden sind (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 a) VOL/A EG). DIN-Normen sind das Ergebnis nationaler, europäischer oder internationaler Normungsakte. Europäische Normen, die durch das Europäische Komitee für Normung (CEN) erarbeitet worden sind, müssen zu ihrer Wirksamkeit in nationale Normen umgesetzt werden. In Deutschland obliegt diese Aufgabe dem DIN Deutsches Institut für Normung, das die CEN- CENELEC- und ITSI-Normen als DIN-EN oder DIN-ETS umsetzt. Die Güte- und Prüfbestimmungen der RAL-GZ 951/1 sind hingegen nationale Normen bzw. technische Zulassungen und Spezifikationen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 e) VOL/A-EG. Das Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (RAL) hat in einem Anerkennungsverfahren unter Mitwirkung des Bundesministeriums für Wirtschaft und der betroffenen Fach- und Verkehrskreise sowie der zuständigen Behörden das RAL-Gütezeichen auf nationaler Ebene entwickelt. Wie sich aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten „Vergleich der Prüfungsinhalte EN-840 - RAL GZ 951/1“ ergibt, stellt die RAL-GZ im Vergleich zur DIN EN-840 teils erhöhte und teils zusätzliche Anforderungen an die Behälterqualität und Prüfungsinhalte. Insofern könnte ein Rückgriff auf die RAL GZ 951/1 bereits wegen des Anwendungsvorrangs der DIN EN-840 ausscheiden, da die RAL-GZ nicht nur von der DIN EN-840 nicht erfasste Teilaspekte regelt (siehe hierzu OLG Koblenz NZBau 2010, 717, juris Rn. 35; Bernhardt in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., VOB/A § 7 Rn. 35), sondern die Anforderungen der DIN zumindest teilweise erhöht. Dies kann letztlich aber dahin stehen, denn die von der Antragsgegnerin geforderte Einhaltung der RAL-GZ 951/1 ist – wie nachfolgend ausgeführt wird - aus einem anderen Grund vergaberechtswidrig.
103bb.
104Die von der Antragsgegnerin geforderte Einhaltung der Bestimmungen der RAL-GZ 951/1 sowie die Vorlage einer Verleihungsurkunde der GGAWB oder gleichwertiger Unterlagen verstößt gegen den in Art. 34 AEUV aufgestellten Grundsatz des freien Warenverkehrs.
105Nach Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.
106(1)
107Die verfahrensgegenständliche Beschaffung von Abfallsammelbehältern, die nach den Vergabeunterlagen die Anforderungen der nationalen Bestimmungen der RAL-GZ 951/1 erfüllen müssen, stellt eine von Art. 34 AEUV erfasste staatliche Maßnahme dar. Neben Gesetzen, Verordnungen und Satzungen sind als Maßnahme im Sinne von Art. 34 AEUV auch Ausschreibungen anzusehen, die auf nationale Industrienormen oder eine bestimmte Marke Bezug nehmen (EuGH Slg. 1988, 4929 KOM/Irland; EuGH Slg. 2001, I-9507, Vestergaard).
108(2)
109Die in Rede stehende Maßnahme hat die gleiche Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung.
110Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen (EuGH Urteil vom 1. März 2012, C-484/10, Rn. 52 m.w.Nachw.). Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung spiegelt Art. 34 AEUV die Verpflichtung wider, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten, als auch Erzeugnissen aus der Union freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten (EuGH Urteil vom 1. März 2012, C-484/10, Rn. 53 m.w.Nachw.). Eine danach verbotene Maßnahme ist deshalb die Verpflichtung zur Einhaltung einer nationalen Norm oder einer nationalen Zertifizierung, obwohl die Waren in dem Mitgliedstaat, aus dem sie verbracht werden, zugelassen sind (EuGH, C 254/05, Slg. 2007, I-4269 KOM/Belgien; EuGH C-297/05 Slg. 2007, I-7467 KOM/Niederlande; EuGH Urteil vom 1. März 2012, C-484/10).
111Vorliegend wird der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten dadurch behindert, dass die Antragsgegnerin von den Bietern verlangt, dass die zu liefernden Abfallsammelbehälter nicht nur den Mindestanforderungen der (europäischen) DIN EN 840-1 genügen, sondern darüber hinaus auch den Anforderungen der deutschen Güte- und Prüfbestimmungen der RAL-GZ 951/1. Zudem sind die Bieter gehalten, zum Nachweis der nationalen technischen Spezifikationen eine Verleihungsurkunde der in Deutschland ansässigen GGAWB oder andere Unterlagen vorzulegen, die die Gleichwertigkeit belegen. Bieter aus anderen Mitgliedstaaten müssen daher entweder versuchen, eine Verleihungsurkunde der GGAWB zu erhalten, oder sie haben die Möglichkeit, gleichwertige Unterlagen aus anderen Mitgliedstaaten als Deutschland vorzulegen. Hierbei tragen sie allerdings das Risiko, dass die Unterlagen als gleichwertig anerkannt werden. Bei dieser Sachlage können Bieter aus anderen Mitgliedstaaten abgeschreckt werden, Abfallsammelbehälter aus anderen Mitgliedstaaten – so wie hier die Antragstellerin aus Spanien – nach Deutschland einzuführen.
112(3)
113Die Beschränkung des freien Warenverkehrs ist nicht gerechtfertigt.
114(a)
115Die Voraussetzungen des Art. 36 AEUV liegen nicht vor. Art. 36 AEUV enthält eine abschließende Aufzählung der geschützten Rechtsgüter; andere Schutzobjekte wie zum Beispiel Verbraucher – oder Umweltschutz könne im Rahmen dieser Vorschrift nicht berücksichtigt werden. In Frage kommen daher nur die öffentliche Sicherheit, Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, Patente, Warenzeichen und Urheberrechte sowie nationales Kulturgut und wesentliche Sicherheitsinteressen. Keines der vorgenannten Schutzgüter kommt hier in Betracht.
116(b)
117Die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit ist nicht durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt.
118Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist hierfür erforderlich, dass die unterschiedslos für einheimische und aus anderen Mitgliedstaaten verbrachte Waren geltende Beschränkung notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen, insbesondere des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterbarkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes gerecht zu werden. Dabei muss die Regelung in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen (EuGH, Urteil v. 10 November 2005, C 432/03, Kommission/Portugal, Rn. 42 m.w.Nachw.). Rein wirtschaftliche Motive können keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses darstellen (EuGH, C- 254/98, Slg. 2000, I-151, Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb/TK-Heimdienst Sass).
119Zwingende Gründe des Allgemeininteresses liegen hier nicht vor. Sie sind nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nicht geltend gemacht worden. Sie führt lediglich – nicht berücksichtigungsfähige - wirtschaftliche Motive für die von ihr verlangten technischen Spezifikationen entsprechend der RAL-GZ 951/1 an. Ausweisliche des Vergabevermerks vom 12. August 2015 ging es der Antragsgegnerin um eine möglichst wirtschaftliche und sparsame Beschaffung. Sie wollte ein möglichst langlebiges Produkt erhalten. Da die Abfallsammelbehälter vielfachen, ungewöhnlich hohen Belastungen ausgesetzt sind (Einwirken starker Kräfte und Witterungseinflüsse), wollte sie durch die Bezugnahme auf die Güte und Prüfbestimmungen der RAL-GZ 951/1 hohe Anforderungen an die Qualität und den Herstellungsprozess stellen.
120cc.
121War die Antragsgegnerin somit nicht berechtigt, gemäß § 8 VOL/A-EG die Einhaltung der Bestimmungen der RAL-GZ 951/1 zu verlangen, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, ob § 8 VOL/A-EG über seinen Wortlaut hinaus eine Ermächtigung für den öffentlichen Auftraggeber enthält, zum Nachweis für die Einhaltung der technischen Spezifikation bereits bei Abgabe des Angebots die Vorlage einer Verleihungsurkunde der GGAWB oder gleichwertiger Unterlagen zu verlangen.
122c.
123Nichts anderes ergibt sich aus der Richtlinie 2014/24/EU, denn eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 43 Abs. 1 oder Art. 44 der Richtlinie 2014/24/EU kommt nicht in Betracht.
124Gemäß Art. 43 kann der öffentliche Auftraggeber, wenn er den Kauf von Lieferungen mit spezifischen umweltbezogenen, sozialen oder sonstigen Merkmalen beabsichtigt, bei Erfüllung von fünf im einzelnen unter Abs. 1 a) – e) aufgeführten Bedingungen in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien oder den Ausführungsbedingungen ein bestimmtes Gütezeichen als Nachweis dafür verlangen, dass die Lieferungen den geforderten Merkmalen entsprechen. In Art. 44 ist geregelt, dass die öffentlichen Auftraggeber Testberichte, Zertifizierungen oder sonstige Nachweise für die Konformität mit den Anforderungen oder Kriterien gemäß den technischen Spezifikationen verlangen können. Allerdings haben diese Regelungen keine Vorwirkungen.
125Eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie 2014/24/EU ist nach ihrem Inkrafttreten aber vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 18.04.2016 nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen als sog. Vorwirkung in Betracht kommen. Ausgangspunkt ist der Grundsatz der Vertragstreue der Mitgliedstaaten, wie er in Art. 10 Abs. 1 und Art. 249 EG enthalten ist. Danach sind die Mitgliedstaaten nicht nur gehalten, die Richtlinien rechtzeitig, ihrem Geiste nach und in wirksamer Weise umzusetzen, sondern auch verpflichtet, keine Maßnahmen zu ergreifen, die dem Ziel des – primären oder sekundären – Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen. Es sind daher – auch durch die nationale Gesetzgebung – alle Maßnahmen zu unterlassen, die geeignet sind, die Ziele der europäischen Rechtssetzung zu gefährden oder gar zu verhindern. In diesem Sinne können auch Richtlinien, deren Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, eine Vorwirkung entfalten. Der nationale Gesetzgeber darf keine Rechtsnormen erlassen, die geeignet sind, der späteren Umsetzung der Richtlinie faktisch entgegenstehen (EuGH, Urteil v. 18.12.1997, NVwZ 1998, 385 – Inter-Environnement Wallonie). Ebenso dürfen mitgliedstaatliche Gerichte das nationale Recht nicht in einer Weise anwenden, dass gleichsam vollendete Tatsachen geschaffen werden, die später die Erfüllung der aus der Beachtung der Richtlinie erwachsenen Vertragspflichten unmöglich machen (BVerwG, Urteil v. 19.05.1998, NVwZ 1998, 544). In diesem Sinne besteht vor Ablauf der Umsetzungsfrist bereits ein Gebot zur Berücksichtigung der Richtlinie mit dem Ziel der künftigen Wahrung der Widerspruchsfreiheit der gemeinsamen Rechtsordnung; die nationalen Stellen – Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung – haben sich im Hinblick auf die noch umzusetzenden Rechtsakte des sekundären Gemeinschaftsrechts um diese Zielkonformität zu bemühen.
126Nach diesen Maßstäben entfaltet die Richtlinie 2014/24/EU keine Vorwirkung. Die Versagung der Möglichkeit, bei einem Beschaffungsvorhaben, das vor Ablauf der Umsetzungsfrist eingeleitet worden ist, vom Bieter zum Nachweis bestimmter Merkmale einer Lieferung die Vorlage eines Gütezeichens gemäß Art. 43 der Richtlinie 2014/243/EU zu verlangen, bereitet einer späteren richtlinienkonformen Rechtssetzung keine Hindernisse. Bei zukünftigen Beschaffungsvorhaben kann der öffentliche Auftraggeber ohne weiteres entsprechende Nachweise verlangen, wenn die Richtlinie umgesetzt und eine Art. 43 und 44 entsprechende gesetzliche Regelung getroffen wird. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es sich bei den genannten Regelungen um derart bestimmte und unbedingte (vorbehaltslose) Regelungen handelt, dass ein den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie üblicherweise zustehende Spielraum nicht besteht (BGH NJW 1998, 2208, 2211; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19. November 2014, VII-Verg 30/14, juris Rn. 17). Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.
127III.
128Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78, 120 Abs. 2 GWB a.F..
129Dicks, Dr. Maimann, Richterin am OLG Barbian ist ortsabwesend und an der Unterzeichnung verhindert. Dicks