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Wettbewerbsverstoß wegen Verletzung der Pflicht zur Angabe eines Grundpreises: Angebot einer Ware nach Gewicht - Aminosäurekapseln
Die Pflicht zur Angabe eines Grundpreises nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV knüpft an die Verpflichtung zur Angabe von Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche der in einer Verkaufseinheit angebotenen Ware an. Aminosäureprodukte sind Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des § 1 NemV und dürfen aufgrund einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht nur unter Angabe der Füllmenge nach Gewicht angeboten und beworben werden.
2.
Nach Art. 23 Abs. 3 LMIV i.V.m. Anhang IX Nr. 1c ist die Angabe der Nettofüllmenge nicht verpflichtend bei Lebensmitteln, die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden, sofern die Stückzahl von außen leicht zu sehen und einfach zu zählen ist oder andernfalls in der Kennzeichnung angegeben ist. Die Frage, ob ein Lebensmittel im Sinne dieses Ausnahmetatbestandes „normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht“ wird, beurteilt sich nach der Verkehrsauffassung aus Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers.
3.
Maßgeblich ist insofern nicht, ob das konkrete streitgegenständliche Produkt in einer bestimmten Darreichungsform – z.B. in Kapselform – angeboten wird, sondern zu betrachten ist das Lebensmittel als solches. Wird dieses in unterschiedlichen Darreichungsformen, also beispielsweise im Fall von Nahrungsergänzungsmitteln in Pulverform, Tablettenform oder auch in Kapselform, angeboten, so ist kein Raum für die Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 23 Abs. 3 LMIV i.V.m. Anhang IX Nr. 1c.
I.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Februar 2020, 34 O 65/10, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I. des Urteils wie folgt ergänzt wird:
„… ohne in unmittelbarer Nähe zum Gesamtpreis auch den Grundpreis – bezogen auf das Gewicht – anzugeben …“
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Das vorliegende Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers hinsichtlich des Unterlassungstenors zu Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von EUR 10.000,- und hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
2A.
3Beide Parteien vertreiben über ihre Online-Shops im Internet Nahrungsergänzungsmittel.
4Der Kläger ist Inhaber exklusiver Vertriebsrechte für drei namhafte Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln für Spitzen-, Breiten- und Alltagssportler, in einem Fall exklusiv für Deutschland, in einem Fall für Nordrhein-Westfalen-Süd und in einem Fall für ein enger begrenztes Gebiet. Diese Produkte gibt er als Großhändler an gewerbliche Weiterverkäufer, insbesondere Fitnessstudios ab. Außerdem betreibt er seit mehreren Jahren in Stadt 1 ein Ladengeschäft mit großen Verkaufsflächen, auf denen Nahrungsergänzungsmittel und (wenige) Kleidungsstücke zum Verkauf vorgehalten werden. Ein ähnliches Ladengeschäft hat er bis zum Jahr 2019 auch in Stadt 2 betrieben.
5Der Kläger spricht mit seinem Produktangebot vordringlich Sportler, insbesondere Bodybuilder, an. Unter anderem vertreibt er das Produkt A. (vgl. Anlage BK 3), das zu 78,3 % aus Aminosäuren besteht. Die Packung enthält 300 Tabs und kostet 29,95 Euro. Der Kilogrammpreis wird mit 41,60 Euro angegeben.
6Die Beklagte betreibt eine Apotheke in Stadt 3 und vertreibt ihre Produkte daneben online unter der Domäne www......b..de. Über ihre Versandapotheke bot sie im Februar 2019 das Nahrungsergänzungsmittel „C. Vital Kapseln 30 St Kapseln“ an (vgl. Anlage K1, Bl. 72 GA). Die Produktbeschreibung weist die enthaltenen Aminosäuren im Einzelnen nach deren prozentualem Anteil an der Gesamtmenge aus. Hiernach enthalten die Kapseln zu 65,3 % Aminosäuren, bei den restlichen 34,7 % handelt es sich um Füllstoffe, Trennmittel und Farbstoffe. Jede Packung enthält 30 Stück Kapseln und wird zum Preis von 4,36 Euro angeboten. Auf der äußeren Verpackung befindet sich außerdem die Angabe, dass das Gewicht der 30 Kapseln insgesamt 27,9 Gramm beträgt.
7Der Kläger sprach im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 39 Abmahnungen in drei Komplexen aus. Der 1. Komplex betraf reine Fitnessernährungsanbieter auf D.. Der 2. Komplex bestand aus 25 Abmahnungen wegen Verstoßes gegen § 2 PAngV, die unter dem 05.02.2019 wortgleich versandt worden sind. Der 3. Komplex setzte sich aus einer Handvoll von Gegenabmahnungen zusammen, die der Kläger gegenüber ihn Abmahnenden wegen des ihm zuvor von diesen vorgeworfenen Verhaltens ausgesprochen hat.
8Der Beklagten ist – nachdem der entsprechende Antrag erstinstanzlich zunächst zurückgewiesen worden war – durch einstweilige Verfügung des Senats vom 15.08.2019 (Az.: I-15 U 55/19) untersagt worden, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in der an den Letztverbraucher gerichteten Werbung im Internet für den Absatz von Fertigpackungen mit Nahrungsergänzungsmitteln unter Angabe von Preisen zu werben, ohne in unmittelbarer Nähe zum Gesamtpreis auch den Grundpreis anzugeben. Nachdem die Beklagte keine Abschlusserklärung abgegeben hat, hat der Kläger die vorliegende Hauptsacheklage erhoben. Die Verfahrensakten des einstweiligen Verfügungsverfahrens waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 26.11.2020.
9Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte verstoße mit dem Angebot der „C. Vital Kapseln“ gegen die Preisangabenverordnung, weil neben dem Preis von 4,36 Euro für die Packung nicht der Grundpreis nach Gewicht angegeben werde.
10Sein Verhalten sei – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht als rechtsmissbräuchlich einzuordnen. Zu keinem Zeitpunkt habe das mit seiner Abmahntätigkeit verbundene Prozesskostenrisiko seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überstiegen. Allein im Jahr 2019 habe er über die Online-Plattform „D.“ Umsätze in Höhe von 480.000 Euro mit Nahrungsergänzungsmitteln getätigt. Der hieraus ersichtliche Umfang seiner geschäftlichen Aktivitäten mit Nahrungsergänzungsmitteln im Online-Handel belege sein wirtschaftliches Interesse an den erfolgten Abmahnungen. Überhöhte Gebühren seien hierbei nicht gefordert worden.
11Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
12der Beklagten unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu verbieten,
13im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in der an den Letztverbraucher gerichteten Werbung im Internet für den Absatz von Fertigpackungen mit Nahrungsergänzungsmitteln unter Angabe von Preisen zu werben, ohne in unmittelbarer Nähe zum Gesamtpreis auch den Grundpreis anzugeben, wenn dies geschieht wie aus Anlage K1 ersichtlich.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie ist der Auffassung, der Kläger habe rechtsmissbräuchlich nur aus Gebührenerzielungserwägungen geklagt. Dies ergebe sich schon daraus, dass er an nur einem Tag 25 parallel gelagerte Abmahnungen ausgesprochen habe. Das damit verbundene Prozesskostenrisiko übersteige die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers; ihm sei es nicht um die Förderung seiner eigenen geschäftlichen Tätigkeit, sondern ausschließlich um die Generierung von Gebühren gegangen.
17Im Übrigen sei die Grundpreisangabe nach Gewicht bei Aminosäureprodukten in Kapselform nicht erforderlich. Diese ermögliche dem Verbraucher keinen sinnvollen Preisvergleich, weil das angegriffene Produkt aus mehreren unterschiedlichen Aminosäuren, Füllstoffen und weiteren Zusatzstoffen bestehe. Ein sinnvoller Vergleich werde erst durch die Angabe einer empfohlenen Tagesdosis ermöglicht, die auf ihrer, der Beklagten, Internetseite – insoweit unstreitig – mit 2 Kapseln pro Tag angegeben werde. Rechtlich seien die Darreichungsformen „Kapseln/Tabletten“ einerseits und „Pulver“ andererseits voneinander zu unterscheiden. Bei ersterer werde dem Verbraucher die Dosierung durch den Hersteller abgenommen, nur bei letzterer werde der Verbraucher ggf. durch die Grundpreisangabe in der Dosierung unterstützt. Die Gewichtsangabe mit 27,9 g sei insofern neben dem Hinweis auf den Packungsinhalt von 30 Kapseln unbeachtlich.
18Das Landgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers sei nicht festzustellen, da dieser ein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Rechtsverfolgung habe. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass das klägerische Produkt „A.“ bezogen auf das Gewicht preisgünstiger sei als das streitgegenständliche Produkt der Beklagten.
19Die Angabe des Grundpreises sei nicht nach Art. 23 LMIV entbehrlich. Aminosäuren würden grundsätzlich nach Gewicht angeboten. Die Verpackung in Kapseln sei nur eine mögliche Darreichungsform von Aminosäuren. Diese würden ebenso in Tabletten oder als Pulver angeboten. Ein Preisvergleich werde zwar dadurch erschwert, dass die Kapseln verschiedene Aminosäuren und Zusatzstoffe enthalten, dies entbinde den Verkäufer aber nicht von der Verpflichtung zur Grundpreisangabe. Denn erst durch die Angabe des Grundpreises pro Gramm und des in den Kapseln enthaltenen prozentualen Anteils an Aminosäuren werde der Verbraucher überhaupt in die Lage versetzt, einen sinnvollen Preisvergleich vorzunehmen.
20Gegen dieses Urteil richtet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.
21Sie stellt noch einmal klar, dass das Verhalten des Klägers ihrer Auffassung nach aufgrund des tatsächlich nicht gegebenen Wettbewerbsverhältnisses sowie der geringen geschäftlichen Aktivitäten des Klägers rechtsmissbräuchlich sei. Es sei allenfalls eine geringe Austauschbarkeit der vom Kläger vertriebenen Produkte und der angegriffenen Aminosäure-Kapseln gegeben, so dass der Kläger nur ein geringes sachliches Interesse an der begehrten Unterlassung habe. Die Ausführungen des Klägers zu seinen Umsätzen im Online-Handel führten nicht weiter, da der tatsächliche Ertrag nicht angegeben werde. Aufgrund der „bekannt geringen Margen im Onlinehandel“ sei aber eindeutig, dass das Prozesskostenrisiko den wirtschaftlichen Ertrag aus dem Online-Handel des Klägers um ein Vielfaches übersteige. Das im September 2020 beschlossene Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs stelle „aufgrund der mit dem Gesetzgebungsverfahren verbundenen Ausstrahlwirkung“ noch einmal mehr die Aktivlegitimation des Klägers in Frage. Im Übrigen habe der Kläger auch deshalb rechtsmissbräuchlich gehandelt, weil er die 25 Abmahnungen, die er wegen Verstoßes gegen die PAngV ausgesprochen habe, gebührenrechtlich nicht als eine Angelegenheit behandelt habe, obgleich diese sämtlich von dem Ziel getrieben gewesen seien, die Angabe des Grundpreises bei Preissuchmaschinen zu erreichen. Insofern habe der Kläger übersetzte Gebührenrechnungen gestellt.
22Weiter ist die Beklagte der Auffassung, die Beklagte sei nach Art. 23 Abs. 3 LMV i.V.m. Nr. 1 c) des Anhangs IX der LMIV von der Pflicht zur Angabe der Nettofüllmenge befreit. Denn bei den angegriffenen Aminosäure-Kapseln handele es sich um Lebensmittel, die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden. Maßgeblich sei insofern nur das konkrete Produkt in seiner individuellen Zusammensetzung. Ob daneben Aminosäureprodukte auch in flüssiger oder Pulverform angeboten würden, sei ohne Belang.
23Unterschiedliche Aminosäuremischungen seien untereinander nicht vergleichbar, denn verschiedene Aminosäurekomplexe würden auf unterschiedliche Wirkungen abstellen. So sei in jedem Fall zwischen einem breiten Einsatz zur Nahrungsergänzung und dem speziellen Einsatz im Sportbereich zu unterscheiden. Ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Präparaten würde allenfalls durch die Angabe der Wirkstoffmenge ermöglicht. Die Angabe einer Füll- oder Gesamtmenge lasse hierauf aufgrund der üblicherweise zugesetzten Füll- und Trennmittel keinen Rückschluss zu.
24Die Angabe des Grundpreises nach Gewicht würde den Verbraucher tatsächlich nicht informieren, sondern ihn vielmehr in die Irre führen. Dies zeige sich an einem konkreten Vergleich der von den Parteien angebotenen Produkte. Der Kläger habe diesen Vergleich anhand des Kilopreises vorgenommen. Hiernach koste das angegriffene Produkt der Marke „C.“ pro Kilogramm 142,00 Euro, das vermeintlich ähnliche Produkt des Klägers aber nur 41,60 Euro pro Kilogramm. Berücksichtige man demgegenüber den Einsatzzweck der beiden Produkte und die hierauf abgestimmte Verzehrempfehlung, so ergebe sich ein gänzlich anderes Bild. Da nämlich die tägliche empfohlene Verzehrmenge bei dem Produkt des Klägers bei 18 Tabletten liege und 300 Tabletten 29,95 Euro kosten, werde der Verbraucher mit täglichen Kosten von 1,80 Euro belastet. Von dem Produkt der Beklagten seien hingegen nur 2 Kapseln am Tag einzunehmen. Bei einem Preis von 4,29 Euro für 30 Kapseln errechne sich ein Preis für die tägliche Dosis von 0,28 Euro. Schon dieser Preisvergleich zeige, wie irreführend die Angabe von Preisen nach Gewicht sei. Kein Verbraucher würde tatsächlich vor dem Kauf anhand des Gewichts und der angegebenen prozentualen Anteile von Aminosäuren den Preis für gleiche Wirkstoffmengen errechnen.
25Die Beklagte beantragt,
26das Urteil des Landgerichts Düsseldorf, verkündet am 5. Februar 2020, 34 O 65/10, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
27Der Kläger beantragt,
28die Berufung zurückzuweisen.
29Er verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
30Zur Frage des Rechtsmissbrauchs trägt er ergänzend vor, er habe über die Onlineplattform D. sowie den Onlineshop www......e..de im Jahr 2019 einen Umsatz von brutto 700.000 Euro getätigt. Das Prozessrisiko der von ihm ausgesprochenen Abmahnungen habe zu keinem Zeitpunkt seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überschritten. Überhöhte Gebührenforderungen seien ihm nicht bekannt.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
32B.
33Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
34I.
35Der Klageantrag des Klägers steht in Einklang mit dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar wird im Klageantrag nicht ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Angabe des Grundpreises im Hinblick auf das Gewicht geltend gemacht wird, dies ergibt sich aber unzweifelhaft aus der Klagebegründung. Lediglich zur Klarstellung – und damit kostenneutral – hat der Senat diesen Aspekt ausdrücklich in den Unterlassungstenor aufgenommen.
36II.
37Der Kläger ist prozessführungsbefugt; insbesondere steht der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs § 8 Abs. 4 UWG nicht entgegen. Der Senat kann nicht feststellen, dass das beherrschende Motiv des Klägers bei der Geltendmachung der Ansprüche sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind.
381.
39Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wegen einer wettbewerbswidrigen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände als missbräuchlich anzusehen ist. Davon ist auszugehen, wenn das beherrschende – nicht notwendigerweise alleinige – Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung der Ansprüche sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind (BGH, GRUR 2019, 199 – Abmahnaktion II; BGH, GRUR 2015, 694 – Bezugsquellen für Bachblüten, jeweils m. w. Nachw.).
40Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine eingehende Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Hierzu zählen die Art und Schwere des Wettbewerbsverstoßes, das Verhalten des Schuldners nach dem Verstoß und vor allem das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses und anderer Verstöße (BGH, GRUR 2015, 694 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH, WRP 2012, 930 – Bauheizgerät; BGH, GRUR 2006, 243 – MEGA SALE).
41Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich beispielsweise aus der vorgerichtlichen Abmahntätigkeit des Anspruchstellers ergeben. Erweist sich diese als rechtsmissbräuchlich, so sind nachfolgende gerichtliche Anträge auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig (BGH, GRUR 2019, 199 – Abmahnaktion II; BGH, GRUR 2016, 961 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).
42Steht die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Anspruchsstellers oder bezweckt er die Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten oder verlangt er systematisch überhöhte Abmahngebühren, sind dies Indizien, die für überwiegend sachfremde Ziele sprechen. Gleiches gilt, wenn der Abmahnende aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbebetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (BGH, GRUR 2019, 199 – Abmahnaktion II; BGH, GRUR 2016, 961 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH, WRP 2012, 464 – Falsche Suchrubrik; BGH, GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner, jeweils m. w. Nachw.).
43Für sich genommen nicht ausreichend ist allerdings eine umfangreiche Abmahntätigkeit bzw. die Vielzahl von Abmahnungen gegen Wettbewerber wegen gleichartiger Verhaltensweisen. Hier müssen weitere Umstände hinzutreten, die den Schluss zulassen, es gehe dem Abmahnenden vorwiegend um ein unredliches Gebührenerzielungsinteresse (OLG Köln, GRUR-RR 2016, 284 – Datensammelnder Steuerberater; OLG Hamburg, BeckRS 2016, 113191; OLG Hamm, GRUR-RR 2011, 473 – Erkauftes Lob; OLG München, GRUR-RR 2007, 55 – Media-Markt).
44Als Indiz für einen Rechtsmissbrauch kann je nach Umständen des Einzelfalls auch ein vorheriges massiv rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers bei der Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen gewertet werden, wenn die äußeren Umstände mit der jetzigen Rechtsverfolgung im Wesentlichen übereinstimmen (OLG Hamburg, BeckRS 2016, 113191).
45Die Frage des Rechtsmissbrauchs ist im Wege des Freibeweises jederzeit von Amts wegen zu prüfen (BGH, GRUR 2002, 715 – Scanner-Werbung; OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 119537; OLG Hamburg, BeckRS 2016, 113191; OLG Köln, GRUR-RR 2016, 284 – Datensammelnder Steuerberater; OLG Jena, GRUR-RR 2011, 327 – Umfang des Geschäftsbetriebs).
46Darlegungs- und beweisbelastet für eine missbräuchliche Geltendmachung ist der Beklagte, da grundsätzlich von der Zulässigkeit der Geltendmachung der Ansprüche auszugehen ist. Es obliegt mithin ihm, Tatsachen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen und dafür Beweis zu erbringen. Ein non-liquet geht zu seinen Lasten (OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 119537; OLG Köln, GRUR-RR 2016, 284 – Datensammelnder Steuerberater; OLG Jena, GRUR-RR 2011, 327 – Umfang des Geschäftsbetriebs; KG, GRUR-RR 2010, 22). Ist durch entsprechenden Tatsachenvortrag die für die Prozessführungsbefugnis sprechende Vermutung erschüttert, so muss der Kläger die Gründe darlegen, die gegen einen Missbrauch sprechen (BGH, GRUR 2006, 243 – MEGA SALE; BGH, GRUR 2001, 178 – Impfstoffversand an Ärzte; OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 119537; OLG Köln, GRUR-RR 2016, 284 – Datensammelnder Steuerberater; OLG Hamburg, BeckRS 2016, 113191; KG, GRUR-RR 2004, 335).
472.
48Im Streitfall sind keine ausreichenden Indizien vorhanden, die den Schluss des Rechtsmissbrauchs tragen, weder für sich genommen noch in der Gesamtschau.
49a)
50Im vorliegenden Hauptsacheverfahren stellt die Beklagte zur Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit – zu Recht – nicht mehr auf die im Verfügungsverfahren zitierte Entscheidung des OLG Hamburg vom 11.8.2016 (3 U 56/15) ab. Ausführungen hierzu erübrigen sich daher.
51b)
52Aus der Anzahl der Abmahnungen folgt für sich genommen kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers.
53Der Kläger sprach unstreitig im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 39 Abmahnungen in drei Komplexen aus. Der 1. Komplex betraf reine Fitnessernährungsanbieter auf D.. Der 2. Komplex bestand aus 25 Abmahnungen wegen Verstoßes gegen § 2 PAngV, die unter dem 05.02.2019 wortgleich versandt worden sind. Der 3. Komplex setzte sich aus einer Handvoll von Gegenabmahnungen zusammen, die der Kläger gegenüber ihn Abmahnenden wegen des ihm zuvor von diesen vorgeworfenen Verhaltens ausgesprochen hat.
54Selbst wenn sämtliche dieser Abmahnungen zugrunde gelegt werden – und keine Differenzierung nach dem Gegenstand der Abmahnungen vorgenommen wird – ist (nur) die Zahl der Abmahnungen kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Auch wenn 39 Abmahnungen in sechs Monaten keine geringe Anzahl sind, so kann dem Kläger nicht per se versagt werden, etwaige unlauter handelnde Mitbewerber abzumahnen. Vielmehr kann eine größere Anzahl von (vermeintlichen) Verstößen gegen das UWG eine größere Anzahl von Abmahnungen nach sich ziehen (OLG Düsseldorf, BeckRS 2019, 25783; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 - ). Mit Blick auf den 2. Komplex, zu dem auch die Abmahnung der Beklagten gehörte, hat der Kläger überdies im einstweiligen Verfügungsverfahren unwidersprochen vorgetragen, es seien schon bei erster Sicht auf verschiedenen Preisvergleichsportalen und Preissuchmaschinen mehr als 200 wettbewerbswidrige Angebote von Apotheken, Drogerien, Lebensmittelhändlern und Reformhäusern zu finden gewesen. Gleichwohl sei beschlossen worden, die Zahl der Abmahnungen auf 25 zu begrenzen.
55Soweit die Beklagte von einer tatsächlich größeren Anzahl von Abmahnungen ausgeht, hat sie keine hinreichend konkreten Tatsachen oder Anhaltspunkte dargetan, aus denen sich ergeben könnte, dass die Anzahl der Abmahnungen tatsächlich höher als vom Kläger angegeben gewesen sein könnte.
56c)
57Dass die Abmahnungen in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Klägers stehen, lässt sich gleichfalls nicht feststellen.
58Den 25 Abmahnungen des hier in Rede stehenden 2. Komplexes, der sich auf Verstöße gegen die PAngV bezog, ist in der Regel ein Gegenstandswert von 10.000 Euro zugrunde gelegt worden. Für jede Abmahnung ist folglich eine 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300, 1008 VV RVG) in Höhe von 725,40 Euro, eine Telekommunikationspauschale (Nr. 7001 VV RVG) von jeweils 20,00 Euro und die 19%ige Mehrwertsteuer von jeweils 141,63 Euro anzusetzen, so dass Anwaltskosten in Höhe von 887,03 Euro je Abmahnung im Raum stehen. Für die 25 Abmahnungen ergeben sich damit Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 22.175 Euro (=25 x 887,03 Euro). Die Prozesskosten belaufen sich bei anwaltlicher Vertretung beider Parteien pro (möglichem) Verfahren in I. Instanz auf 4.090,70 Euro. Für 25 Abmahnungen bestand mithin bezogen auf die I. Instanz ein Prozesskostenrisiko in Höhe von insgesamt 102.267,50 Euro (25 x 4.090,70 Euro). Dabei handelt es sich um Maximalbeträge, da nicht notwendigerweise davon auszugehen ist, dass jede Abmahnung zu einem gerichtlichen Verfahren führt.
59Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass diese Kosten etwaiger Prozesse zu einer Existenzbedrohung des Klägers führen, sind vorliegend weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der Kläger betreibt unstreitig seit mehreren Jahren in Stadt 1 und bis 2019 auch in Stadt 2 ein Ladengeschäft mit großen Verkaufsflächen, auf denen Nahrungsergänzungsmittel und (wenige) Kleidungsstücke zum Verkauf vorgehalten werden. Die Nahrungsergänzungsmittel vertreibt er zudem unstreitig über die Onlineplattform D. sowie den Onlineshop „www......e..de“. Der Kläger ist weiterhin unstreitig Inhaber exklusiver Vertriebsrechte für drei namhafte Hersteller von Nahrungsergänzungsmittel für Spitzen-, Breiten- und Alltagssportler, in einem Fall exklusiv für Deutschland, in einem Fall für Nordrhein-Westfalen-Süd und in einem Fall für ein enger begrenztes Gebiet. Diese Produkte gibt der Kläger als Großhändler an gewerbliche Weiterverkäufer, insbesondere Fitnessstudios ab.
60Im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren (I-15 U 55/19), das beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 26.11.2020 war, hat der Kläger vorgetragen, allein mit den auf der Plattform D. vertriebenen Nahrungsergänzungsmitteln einen monatlichen Umsatz von über 40.000,00 Euro erzielt zu haben, so dass sich hochgerechnet ein Jahresumsatz von ca. 480.000,00 Euro ergibt. Diese Zahlen werden durch die im einstweiligen Verfügungsverfahren in der Anlage AST 25 aufgeführten 200 bewerteten Verkäufe auf D. sowie die Provisionsabrechnung von D. gemäß Anlage AST 26 belegt.
61Angesichts des Umstandes, dass der Kläger nicht nur auf D. tätig ist, sondern unstreitig auch die weiteren genannten gewerblichen Tätigkeiten ausübt, ist insgesamt von einem weitaus höheren Jahresumsatz als den anhand der D.-Verkäufe erzielten 480.000 Euro auszugehen. So hat der Kläger unter Bezugnahme auf seine im Verfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (3 W 65/19) abgegebene Versicherung an Eides statt (Anlage K4) vorgetragen, dass er über die D.-Verkäufe hinaus mit seinem gesamten Online-Handel im Jahr 2019 Umsätze von über 700.000 Euro getätigt habe.
62Mit dem vorstehend wiedergegebenen Sachvortrag zu dem Umfang seiner Geschäftstätigkeit hat der Kläger substantiiert Gründe dargetan, die gegen einen Missbrauch sprechen, und hat damit seiner sekundären Darlegungslast Genüge getan. Der Beklagten hätte es deshalb oblegen, (weitere) Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, aus denen sich ein Rechtsmissbrauch ergibt. Dies ist indes nicht geschehen.
63Soweit die Beklagte die vom Kläger vorgetragene Gewinnmarge von üblicherweise 30 % im Internet-Onlinehandel mit Nahrungsergänzungsmitteln bestreitet und demgegenüber eine Gewinnmarge von 10 % behauptet, hat sie für diese Behauptung keinen Beweis angeboten. Hierzu wäre sie aber ohne weiteres in der Lage, nachdem sie selbst online mit Nahrungsergänzungsmitteln, insbesondere Aminosäureprodukten, handelt. Der Verweis auf die „bekannt geringen Margen im Online-Handel“ genügt insofern nicht.
64Eine Existenzbedrohung durch die Kosten der ausgesprochenen Abmahnungen sowie durch etwaige gerichtliche Verfahren kann auf dieser Grundlage nicht festgestellt werden. Ebenso wenig ergibt sich daraus ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen den Kosten der Rechtsverfolgung und der gewerblichen Tätigkeit des Klägers.
65Ein wirtschaftliches Missverhältnis würde sich im Übrigen auch dann nicht feststellen lassen, wenn man statt der 25 Abmahnungen, die die PAngV betrafen, sämtliche 39 Abmahnungen berücksichtigen würde. Zwar führt die erhöhte Anzahl zu einer Erhöhung der Gebühren (34.594,17 Euro) bzw. des Prozesskostenrisikos (159.537,30 Euro). In Anbetracht der oben angeführten Umstände der gewerblichen Tätigkeit des Klägers vermag der Senat gleichwohl auch dann nicht von einer Existenzbedrohung oder einem Außerverhältnisstehen im rechtsmissbräuchlichen Sinne auszugehen.
66Dies gilt im Übrigen erst recht, wenn man – der Argumentation der Beklagten folgend – annehmen wollte, dass es sich bei sämtlichen bzw. zumindest den 25 auf die PAngV bezogenen Abmahnungen gebührenrechtlich um eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG handelte.
67d)
68Des Weiteren ist nicht erkennbar, dass der Kläger kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse an der Unterbindung der beanstandeten Verstöße gegen die Grundpreispflicht hatte. Zwar mögen die angesprochenen Kundenkreise des Klägers und der Beklagten nicht vollständig übereinstimmen, die angebotenen Präparate werden aber zumindest von Teilen der angesprochenen Verkehrskreise durchaus als substituierbar wahrgenommen. Auch wenn es Endverbraucher, wie z. B. Leistungs- und/oder Kraftsportler im Training gibt, die auf Aminosäureprodukte zurückgreifen, deren Zusammensetzung speziell auf ihre Bedürfnisse und insbesondere den Muskelaufbau ausgerichtet ist, so verbleibt ein erheblicher Teil an Endverbrauchern, die Aminosäureprodukte als Nahrungsergänzung zwecks Steigerung des allgemeinen Leistungs- und Wohlbefindens und/oder zur Unterstützung beim Sport zu sich nehmen. Dieser Teil wird sowohl die vom Kläger angebotenen und vertriebenen Aminosäureprodukte als auch das von der Beklagten angebotene Produkt gemäß Anlage K1 in Betracht ziehen. Dies gilt gerade auch für (Breiten-) Sportler, an die sich das gemäß Anlage K1 beworbene Produkt ausweislich der Gebrauchsanleitung, die Personen beim Cross-Fit-Training zeigt, insbesondere richtet. Dass dieser Teil der Verbraucher die vom Kläger angebotenen Produkte von vornherein nicht in ihre Kauferwägungen einbeziehen würde, vermag der Senat nicht festzustellen.
69Dies gilt insbesondere auch in Ansehung der Artikel „Aminosäurekomplex Test 2019; Die besten Aminosäurekomplexe im Vergleich“, der im einstweiligen Verfügungsverfahren als Anlage AST 23 vorgelegt wurde, sowie „Aminosäurenkomplex: Test & Empfehlungen (05/20)“, den die Beklagte als Anlage BK1 zur Akte gereicht hat. Beide Artikel zeigen zwar auf, dass unterschiedliche Aminosäurekomplexe für verschiedene Zwecke am Markt zur Verfügung stehen, zugleich ist den Artikeln aber auch zu entnehmen, dass der sich für Aminosäureprodukte interessierende Endverbraucher bei seiner Auswahl Aminosäureprodukte verschiedener Zusammensetzungen und unterschiedlicher Darreichungsformen betrachtet und nicht von vornherein wegen der individuellen Aminosäureprofile von jeglichem Vergleich absieht. Dies gilt umso mehr, als es ausweislich der Testberichte Aminosäurekomplexe mit einem breiten Anwendungsspektrum gibt, die sowohl im Bereich Sport als auch zur allgemeinen Leistungssteigerung eingesetzt werden können.
70e)
71Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, die (vermeintliche) Rechtsmissbräuchlichkeit lasse sich aus erhöhten Gebührenforderungen des Klägers herleiten. Insofern handele es sich bei den 25 Abmahnungen aufgrund der PAngV gebührenrechtlich um eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG. Demgegenüber habe der Kläger jede Abmahnung einzeln abgerechnet und so weit überhöhte Gebühren geltend gemacht.
72Diese Argumentation verfängt nicht. Zum einen hat der BGH selbst in der von der Beklagten angeführten Entscheidung „Der Novembermann“ klargestellt, dass selbst dann, wenn der Kläger in einer der Abmahnungen einen überhöhten Gegenstandswert angesetzt haben sollte, dies für sich genommen jedenfalls nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen könnte (BGH, GRUR 2019, 1044 ff. Rn 18; genauso: BGH, GRUR 2013, 176 Rn 25 - Ferienluxuswohnung). Zum anderen sind die Voraussetzungen dafür, dass die 25 wegen Verstoßes gegen die PAngV ausgesprochenen Abmahnungen nur eine Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG darstellen, von der Beklagten auch nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. So weist bereits ein Vergleich mit dem vor dem OLG Hamburg verhandelten Fall (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/18 -) darauf hin, dass die Abmahnungen des Klägers unterschiedliche Aminosäure(kapsel)produkte betrafen. Wenn sich aber Stückzahlen, Füllmengen, Verzehrempfehlungen und Wirkstoffzusammensetzungen der abgemahnten Produkte ggf. voneinander unterschieden, begründet dies erhebliche Zweifel an dem erforderlichen inneren Zusammenhang und dem inhaltlich einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit (im Ergebnis ablehnend in einem Parallelfall auch: OLG Hamburg, Beschluss vom 06.10.2020, - 3 U 78/20 -). Demgegenüber betraf die Entscheidung „Der Novembermann“ eine Vielzahl von Abmahnungen gegenüber unterschiedlichen Adressaten wegen der Verbreitung derselben Werke.
73f)
74Der von der Beklagten angesprochene „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“, BT-Drucksache 19/12084, vom 19. Juli 2019 ist noch nicht in Kraft getreten und kann schon aus diesem Grunde in diesem Rechtsstreit keine Wirkung entfalten.
753)
76Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG i. V .m. §§ 3, 3a UWG und § 2 Abs. 1 PAngV zu.
77a)
78Der Kläger ist als Mitbewerber im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktiv legitimiert.
79aa)
80Ein Wettbewerbsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG liegt vor, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d. h. im Absatz behindern oder stören kann (BGH, GRUR 2017, 918 – Wettbewerbsbezug; BGH, WRP 2012, 201 – Sportwetten im Internet II). Dies setzt voraus, dass sich die beteiligten Unternehmen auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen, ohne dass sich der Kundenkreis und das Angebot der Waren oder Dienstleistungen vollständig decken müssen. Ob die Parteien derselben Branche angehören, ist nicht von Relevanz (BGH, GRUR 2014, 573 – Werbung für Fremdprodukte; BGH, GRUR 2014, 1114 – nickelfrei; BGH, WRP 2007, 1346 – Bundesdruckerei; BGH, GRUR 2001, 78 – Falsche Herstellerpreisempfehlung).
81Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, muss eine Wechselwirkung in dem Sinne bestehen, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 2017, 918 – Wettbewerbsbezug; BGH WRP 2015, 1326 – Hotelbewertungsportal; BGH GRUR 2014, 1114 – nickelfrei). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die Maßnahme den anderen nur irgendwie in seinem Marktstreben betrifft. Eine bloße Beeinträchtigung reicht zur Begründung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht aus, wenn es an jeglichem Konkurrenzmoment im Angebots- oder Nachfragewettbewerb fehlt (BGH GRUR 2017, 918 – Wettbewerbsbezug; BGH GRUR 2014, 573 – Werbung für Fremdprodukte; BGH GRUR 2014, 1114 – nickelfrei).
82bb)
83Ausgehend hiervon besteht zwischen dem Kläger und der Beklagten ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.
84Der Kläger betreibt – wie bereits ausgeführt – in Stadt 1 und Stadt 2 zwei Ladengeschäfte, in denen er u.a. Nahrungsergänzungsmittel, darunter Aminosäureprodukte verkauft. Diese vertreibt er zudem über die Onlineplattform D. sowie den Onlineshop „www......e..de“. Die Beklagte betreibt eine Apotheke, in der sie das gemäß Anlage K1 beworbene Nahrungsergänzungsmittel „C. Vital Kapseln“ verkauft. Dieses bietet sie zudem online über ihre Internetpräsenz www......b..de zum Kauf an.
85Bei den von den Parteien angebotenen Produkten handelt es sich um gleichartige Waren. Dass die beworbenen und angebotenen Nahrungsergänzungsmittel jeweils über eigenständige Kompositionen der Aminosäuren verfügen und damit unterschiedliche Aminosäureprofile aufweisen, steht dieser Annahme nicht entgegen. Eine absolute Deckungsgleichheit der angebotenen Produkte und/oder ihre exakt übereinstimmende inhaltliche Zusammensetzung sind nicht erforderlich. Entscheidend ist (nur), ob sie nach der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers substituierbar sind. Davon ist auszugehen, da sie für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Endabnehmer in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht austauschbar sind (s.o.).
86Ohne Bedeutung ist, wie ausgeführt, dass die Parteien nicht derselben Branche angehören, der Kläger insbesondere keine Apotheke betreibt. Die Parteien richten sich mit ihrer Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln mit Aminosäuren jedenfalls infolge ihres jeweiligen Onlinehandels in erheblichem Umfang an dieselben Endverbraucher. Sie sind demnach auch auf demselben räumlichen und zeitlichen Markt tätig (genauso: OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -; zweifelnd aber: OLG Celle, Urteil vom 09.07.2019, - 13 U 31/19 -).
87b)
88Mit der angegriffenen Werbung und dem Angebot gemäß Anlage K1 verstößt die Beklagte gegen § 2 Abs. 1 PAngV, der eine Marktverhaltensregelung im Interesse der Verbraucher im Sinne des § 3a UWG darstellt (BGH, GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln m. w. Nachw.). In der streitgegenständlichen Werbung fehlt für das angebotene Aminosäureprodukt die Angabe des Grundpreises nach Gewicht, zu dessen Angabe die Beklagte indes gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. e), 23 Abs. 1 lit. b) LMIV bzw. § 7 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. FertigPackV verpflichtet ist.
89aa)
90§ 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV bestimmt, dass derjenige, der Verbrauchern gewerbs- oder geschäftsmäßig oder regelmäßig in sonstiger Weise Waren in Fertigpackungen, offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche anbietet, neben dem Gesamtpreis (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV) auch den Preis je Mengeneinheit einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile (Grundpreis) in unmittelbarer Nähe des Gesamtpreises angeben muss.
91Dies gilt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 PAngV auch für denjenigen, der als Anbieter dieser Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt. Diese Verpflichtung hängt nicht davon ab, dass in der Werbung zusätzlich zur Preisangabe auch eine Gewichtsangabe gemacht wird. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 PAngV ist lediglich Voraussetzung, dass die Werbung – wie vorliegend – unter Angabe von Preisen erfolgt (BGH, Urt. v. 28.3.2019, I ZR 44/18, BeckRS 2019, 5642).
92(1)
93Bei dem beworbenen und angebotenen Aminosäureprodukt handelt es sich um eine Ware in einer Fertigpackung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV.
94Nach der Legaldefinition des § 42 Abs. 1 MessEG, die auch für § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV maßgeblich ist, sind Fertigpackungen Verpackungen beliebiger Art, in die in Abwesenheit des Käufers Erzeugnisse abgepackt und die in Abwesenheit des Käufers verschlossen werden, wobei die Menge des darin enthaltenen Erzeugnisses ohne Öffnen oder merkliche Änderung der Verpackung nicht verändert werden kann.
95Eine solche Verpackung liegt hier vor. Das Aminosäureprodukt gemäß Anlage K1 ist ein Nahrungsergänzungsmittel. In Übereinstimmung mit § 2 NemV, wonach ein Nahrungsergänzungsmittel, das zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt ist, gewerbsmäßig nur als vorverpacktes Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden darf, ist das mit der streitgegenständlichen Werbung angebotene Aminosäureprodukt in der vorgenannten Art und Weise fertig verpackt.
96(2)
97Es wird darüber hinaus auch nach Gewicht angeboten.
98Für diese Annahme mag es zwar nicht genügen, dass sich auf der Produktverpackung (nicht aber in der Werbung) die Angabe „30 Kapseln = 27,9 g“ (Anlage K1) findet. Das „Angebot nach Gewicht“ folgt jedoch aus der spezialgesetzlichen Pflicht zur Angabe der Füllmenge des Nahrungsergänzungsmittels.
99Die Pflicht zur Angabe eines Grundpreises nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV knüpft an die Verpflichtung zur Angabe von Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche der in einer Verkaufseinheit angebotenen Ware an (BGH, GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln; BGH, Urt. v. 28.3.2019, I ZR 44/18, BeckRS 2019, 5642). Die Angabe des Grundpreises, also eines auf eine leicht vergleichbare Größe der Verkaufseinheit umgerechneten Preises, soll den Verbraucher im Interesse der Preisklarheit in die Lage versetzen, einen Preisvergleich ohne Schwierigkeiten anzustellen, indem er das in der Grundpreisangabe verpackungsneutral ausgedrückte Preis-Mengen-Verhältnis einfach erfassen kann (BGH, GRUR 2014, 576 – 2 Flaschen GRATIS).
100Dementsprechend ist der Grundpreis immer dann anzugeben, wenn eine Angabe zur Füllmenge der in einer Verkaufseinheit angebotenen Ware gemacht werden muss. Besteht eine dahingehende spezialgesetzliche Pflicht, wird die Ware folglich im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 PAngV nach Gewicht angeboten. Eine etwaige Umgehung einer bestehenden Kennzeichnungspflicht lässt die Verpflichtung zur Angabe eines Grundpreises nicht entfallen (BGH, GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln; BGH, Urt. v. 28.3.2019, I ZR 44/18, BeckRS 2019, 5642; LG München II, Urteil vom 03.07.2014, - 4 HK O 5536/13; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 2 PAngV Rn. 2). Wird die Ware beispielsweise nach Stückzahl (der Verpackungen) angeboten, obwohl nach spezialgesetzlichen Vorschriften die Füllmenge der Verpackungen angegeben werden muss, kann dadurch nicht die Grundpreisangabe vermieden werden.
101Das mit der angegriffenen Werbung gemäß Anlage K1 beworbene sowie angebotene Aminosäureprodukt ist ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des § 1 NemV und damit unstreitig ein Lebensmittel. Als Lebensmittel darf es aufgrund einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht nur unter Angabe der Füllmenge nach Gewicht angeboten und beworben werden.
102Ob diese Pflicht aus §§ 6, 7 FertigPackV erwächst oder ob diese Kennzeichnungsvorschriften durch die LMIV verdrängt worden sind (so der BGH in den beiden Urteilen zu Kaffeekapseln in GRUR 2019, 641, Rn 21 sowie BeckRS 2019, 5642, Rn 19), kann dahinstehen. Denn sowohl nach § 7 Abs. 2 FertigPackV als auch nach Art. 9 Abs. 1 e), 23 Abs. 1 LMIV sind andere als flüssige Lebensmittel nach Gewicht zu kennzeichnen bzw. mit Nettofüllmenge nach Gewicht anzugeben (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -).
103(3)
104Soweit die Beklagte der Ansicht ist, dass Produkte, bei denen das Gewicht keinen Einfluss auf die Preisangabe hat, von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 PAngV fallen, wobei diese Einschränkung auf die Gesetzesbegründung (BR-Drs. 180/00) vom 27.3.2000 zurückgehe, verfängt dies nicht. Ein Tatbestandsmerkmal „Einfluss auf die Preisangabe“ enthält § 2 Abs. 1 PAngV nicht. Darüber hinaus ist der Gesetzesbegründung nur insoweit eine Einschränkung zu entnehmen, als dass „Gebrauchsgüter, die Angaben über Gewicht (…) ausschließlich zur Erläuterung des Produkts bzw. Information der Verbraucher enthalten (…) und nicht nach diesen Mengen angeboten werden“ nicht unter die Pflicht zur Grundpreisangabe fallen sollen. Beispielhaft aufgeführt sind: „Angabe von Länge und Breite bei Handtüchern und Bettwäsche, Angabe der Länge bei Reißverschlüssen und Gürteln, Angabe des Volumens bei Töpfen“. Um ein derartiges Gebrauchsgut handelt es sich bei dem gemäß Anlage K1 angebotenen und beworbenen Nahrungsergänzungsmittel nicht.
105bb)
106Ein Ausnahmetatbestand, der zu einer Befreiung von der Angabe nach Gewicht bzw. der Nettofüllmenge führen würde, kann nicht festgestellt werden.
107(1)
108Es lässt sich insbesondere nicht feststellen, dass Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX eingreift, nach dessen Nr. 1c die Angabe der Nettofüllmenge nicht verpflichtend bei Lebensmitteln ist, die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden, sofern die Stückzahl von außen leicht zu sehen und einfach zu zählen ist oder anderenfalls in der Kennzeichnung angegeben ist.
109Die Frage, ob ein Lebensmittel im Sinne dieses Ausnahmetatbestandes „normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr“ gebracht wird, beurteilt sich nach der Verkehrsauffassung aus Sicht eines verständigen Durchschnittverbrauchers (BGH, GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln; BGH, Urt. v. 28.3.2019, I ZR 44/18, BeckRS 2019, 5642; Grube in Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 23 Rn. 56). Erfasst sind „stückige“ Produkte wie Obst und Gemüse, Eier, aber auch Backwaren, mithin Produkte, bei denen aus Sicht der Verbraucher das Stück die „natürliche“ Mengeneinheit bildet (Grube in Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 23 Rn. 56). Unstreitig werden Aminosäureprodukte dem Endverbraucher in verschiedenen Formen (z. B. als Pulver, Liquid, Tablette oder Kapsel) angeboten. Eine „natürliche“ Mengeneinheit eines Aminosäureproduktes gibt es nicht.
110Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang allerdings die Ansicht vertreten, Lebensmittel im Sinne von Nr. 1c Anhang IX seien die angebotenen und beworbenen Aminosäurekapseln, weil diese – insoweit unstreitig – vom Verbraucher unzerkaut geschluckt werden und der Verbraucher den Inhalt nie zu Gesicht bekommt. Der Inhalt der Kapsel sei für den angesprochenen Verkehr ohne Belang, denn der Hersteller der Kapseln gebe dem Verbraucher bereits die empfohlene Menge des im Nahrungsergänzungsmittel enthaltenen Wirkstoffs pro Einheit vor. Für den Verbraucher sei deshalb allein die Verzehrempfehlung gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 NemV von Bedeutung, nicht hingegen das (Gesamt-) Gewicht aller Kapseln.
111Die Verkehrsauffassung gehe dahin, Aminosäurekapseln als nach Stückzahl in den Verkehr gebrachte Produkte zu begreifen. Dieses Verständnis von der maßgeblichen Verkehrsauffassung vertreten auch die Oberlandesgerichte Celle und Köln (OLG Celle, Urteil vom 09.07.2019, - 13 U( 31/19, vorgelegt als Anlage B2; OLG Köln, Beschluss vom 05.11.2019, - 6 U 224/19 -, vorgelegt als Anlage B3; OLG Köln, Beschluss vom 19.12.2019, - 6 U 224/19 -, vorgelegt als Anlage B6; ebenso: Brommer, GRUR-Prax 2018, 276 ff.; Bruggmann, LMuR 2019, 141 ff.). Der Senat vermag sich diesem Ansatz aber – auch nach nochmaliger eingehender Prüfung – nicht anzuschließen. Mit dem Oberlandesgericht Hamburg (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -) geht der Senat vielmehr (weiterhin) davon aus, dass nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung nicht allein auf Aminosäurekapselprodukte, sondern allgemein auf Aminosäureprodukte abzustellen ist und diese nicht als normalerweise nach Stückzahl in den Verkehr gebrachte Produkte einzuordnen sind.
112Die entgegenstehende Sichtweise verengt den Begriff des Lebensmittels – dem die hier streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel zuzuordnen sind – von vornherein auf eine bestimmte Darreichungsform des Lebensmittels. Dafür bietet Nr. 1c des Anhangs IX jedoch weder einen Anhaltspunkt noch einen Anlass. In der Norm heißt es: „Die Angabe der Nettofüllmenge ist nicht verpflichtend bei Lebensmitteln, …“. Klarer Anknüpfungspunkt für die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht ist demnach „das“ Lebensmittel, nicht hingegen seine (vom Hersteller frei wählbare) Darreichungsform. Diese wird nicht als Kriterium erwähnt und es ist auch nicht ersichtlich, weshalb darauf abgestellt werden sollte (genauso: LG München, Urteil vom 03.07.2014, - 4 HK O 5536/13 -; LG Potsdam, Beschluss vom 17.01.2005, - 51 O 176/04 -). Wenn die Form (des Lebensmittels) für die Bestimmung, ob etwas bzw. was überhaupt als Lebensmittel im Sinne der Nr. 1c des Anhangs IX zu qualifizieren ist, heranzuziehen wäre, würde dies Zweifel am Sinngehalt des Satzteils – „die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden“ – aufkommen lassen. Die Antwort auf die Frage, was als Lebensmittel anzusehen ist, wäre zugleich die Antwort auf die Frage, ob die genannte Ausnahme vorliegt. Eine „stückige“ Form (wie z. B. Tablette oder Kapsel) wird selbstredend in zählbaren Stücken in Verkehr gebracht, während dies bei einer flüssigen Darreichungsform oder bei einem Pulver nicht der Fall ist. Das Prüfungskriterium „die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden“ würde danach weitestgehend leer laufen. Ferner würde die genannte Sichtweise letztlich dazu führen, dass bei Lebensmitteln, die in verschiedenen Darreichungsformen angeboten und vertrieben werden, von unterschiedlichen Lebensmitteln im Sinne der Nr. 1c des Anhangs IX auszugehen wäre, obwohl das Lebensmittel als solches bzw. inhaltlich identisch ist. Für die eine Form (bezogen auf ein Nahrungsergänzungsmittel z. B. Pulver, Liquid) wäre die Nettofüllmenge anzugeben, während dies für die andere Form (bezogen auf ein Nahrungsergänzungsmittel z. B. Kapsel, Tablette) nicht notwendig wäre. Dies kann im Ergebnis nicht überzeugen.
113Auch der (noch weitergehenden) einschränkenden Auslegung des Oberlandesgerichts Celle (OLG Celle, WRP 2019, 1211), wonach „das“ Lebensmittel bei Nahrungsergänzungsmitteln stets nur das konkrete Produkt in seiner individuellen Zusammensetzung sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Richtig ist zwar, dass Aminosäureprodukte in vielen verschiedenen, individuellen Wirkstoffzusammensetzungen angeboten werden, die ggf. auch für unterschiedliche Verwendungszwecke geeignet sind, jede nur leicht verändere Wirkstoffzusammensetzung dabei aber als ein gesondertes „Lebensmittel“ im Sinne von Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX zu begreifen, würde jeden Preisvergleich auch zwischen voneinander nur leicht abweichenden Aminosäureprodukten verhindern. Dies würde im Übrigen in gleicher Weise für Aminosäureprodukte in Kapselform wie in Pulverform gelten. Eine so weitgehende Anwendung einer Ausnahmeregelung erscheint dem Senat nicht angezeigt. Auch vor dem Hintergrund individueller Aminosäureprofile einzelner Aminosäureprodukte muss ein Preisvergleich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV im Grundsatz ermöglicht werden.
114(2)
115Sofern Grundlage der Kennzeichnungspflicht § 7 Abs. 2 FertigPackV wäre, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Die Ausnahmeregelung des § 8 FertigPackV ist zwar notifiziert worden, ihre tatbestandlichen Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Ebenso verhält es sich mit der Regelung von § 10 Abs. 1 FertigPackV, welche eine Ausnahme vom Erfordernis einer Füllmengeninformation vorsieht, wenn ein Erzeugnis „handelsüblich nur als einzelnes Stück oder Paar in den Verkehr gebracht wird“. Dies beurteilt sich nach denselben Regeln wie unter Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX (genauso: OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -).
116cc)
117Soweit die Beklagte eine Pflicht zur Grundpreisangabe verneint, weil das Gewicht des Nahrungsergänzungsmittels nicht mit dem enthaltenen Wirkstoff korreliert, weshalb aus einem Vergleich von Grundpreisen keine Vergleichbarkeit der Wirkstoffe erreicht wird, so dass sich der Verbraucher nicht für das Gewicht, sondern vielmehr nur für die täglich empfohlene Verzehrempfehlung interessiere, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen (so aber wohl: OLG Köln, Beschluss vom 05.11.2019, - 6 U 224/19 -).
118Zum einen trifft dieses Argument auch auf verschiedene Aminosäureprodukte mit unterschiedlichem Aminosäureprofil in Pulverform zu. Gleichwohl besteht die Pflicht, den Grundpreis dieser Produkte nach Gewicht anzugeben. Die Vergleichbarkeit der Wirkstoffe (bzw. Nährstoffe) verschiedener Nahrungsergänzungsmittel ist nicht Gegenstand von § 2 Abs. 1 S. 1 PAngV (genauso: OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -; anders aber: OLG Celle, WRP 2019, 1211, das auf den vermeintlich fehlenden Vorteil der Grundpreisangabe für den Verbraucher abstellt.).
119Zum anderen statuiert § 4 Abs. 2 Nr. 2 NemV zwar die Pflicht, auf der Verpackung eines Nahrungsergänzungsmittels die empfohlene tägliche Verzehrmenge in Portionen des Erzeugnisses anzugeben. Die Angabe der Verzehrmenge darf sich hiernach also nicht auf das Gewicht oder das Volumen des Gesamterzeugnisses beziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit die Pflicht zur Grundpreisangabe obsolet bzw. aufgehoben würde. Die Pflicht gem. § 2 Abs. 1 PAngV steht vielmehr unabhängig neben der Kennzeichnungspflicht nach der NemV, die im Übrigen für alle Darreichungsformen gilt mit der Folge, dass das von der Beklagten behauptete vermeintliche Interesse des Verbrauchers an sich für sämtliche Produktformen bestehen müsste. Die beiden Pflichten dienen unterschiedlichen (Verbraucherschutz-) Zwecken: Während die Pflicht zur Angabe des Grundpreises der Preisklarheit dient, sollen mit Hilfe der Verzehrmengenangabe Mindest- und Höchstmengen für einen bestimmten Zeitraum fixiert werden. Folglich ersetzt die eine Vorschrift nicht die andere und die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bleibt von der Pflicht zur Angabe der Verzehrmenge unberührt und umgekehrt (genauso: OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -).
120Für diese Sichtweise sprechen auch die in der PAngV normierten Ausnahmen. So sieht § 9 PAngV bspw. in den Absätzen 5 und 6 Ausnahmetatbestände für Waren bestimmter Art vor, bei denen die Angabe einer Mengeneinheit keine relevante Information darstellt, sondern der Verbraucher seine Kaufentscheidung üblicherweise nach anderen Kriterien trifft. In § 9 Abs. 4 Nr. 2 PAngV ist eine Ausnahme für Waren vorgesehen, die verschiedenartige Erzeugnisse enthalten, die nicht miteinander vermischt oder vermengt sind. § 2 Abs. 4 PAngV eröffnet zudem die Möglichkeit einer weiteren Mengenangabe für Haushaltswaschmittel sowie Wasch- und Reinigungsmittel, deren „Ergiebigkeit“ variieren kann.
121Obgleich der Gesetzgeber demnach erkannt hat, dass es Waren gibt, bei denen für den Verbraucher „die Wirksamkeit“ eine Rolle spielt oder die Menge nicht von Relevanz ist, hat ihn dies nicht bewogen, Nahrungsergänzungsmittel, bei denen der Wirkstoff und dessen Wirksamkeit für den Verbraucher von Interesse sind, von den Pflichten der PAngV auszunehmen. Ein (genereller) Ausnahmetatbestand für Nahrungsergänzungsmittel ist nicht geschaffen worden.
122dd)
123Die Beklagte ist von der Pflicht zur Angabe des Grundpreises nicht aufgrund von § 9 Abs. 4 Nr. 3 PAngV entbunden. Die Beklagte betreibt eine Apotheke in Stadt 3 sowie einen Onlinehandel unter „www......b..de“. Jedenfalls aufgrund letzterem handelt es sich nicht um ein „kleines Einzelhandelsgeschäft“ im Sinne der genannten Ausnahmevorschrift. Dem dahingehenden Vorbringen des Klägers im Verfügungsverfahren ist die Beklagte im Hauptsacheverfahren zu Recht nicht mehr entgegen getreten.
124ee)
125Die Verpflichtung gem. § 2 Abs. 1 PAngV ist ebenso wenig aufgrund des § 20 ApBetrO obsolet. § 20 ApBetrO ist nicht als Ausnahmevorschrift zur PAngV normiert. Er betrifft darüber hinaus die Informations- und Beratungspflicht des Apothekers über Arzneimittel (§ 2 AMG) und apothekenpflichtige Medikamente, nicht hingegen Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des § 1 NemV. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, inwieweit durch die Angabe des Grundpreises das „latente Risiko“ einer falschen Dosierung und insbesondere einer Überdosierung verschärft oder realisiert würde. An der Verzehrempfehlung und täglichen Dosis ändert sich durch diese Angabe nichts. Die Kennzeichnungspflicht gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 NemV bleibt von der Pflicht zur Angabe des Grundpreises unberührt.
126c)
127Der von der Beklagten begangene Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1, 2 PAngV ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern gemäß § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen.
128aa)
129Spürbar im Sinne von § 3a UWG ist ein Verstoß, wenn der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (BGH WRP 2019, 68 – Jogginghosen). Das gilt insbesondere dann, wenn dem Verbraucher eine Information vorenthalten wird, die das Unionsrecht als wesentlich einstuft. Liegt eine solche vor, trifft denjenigen, der sich auf eine Abweichung von diesem Regelfall beruft, eine sekundäre Darlegungslast (BGH, GRUR 2019, 641 – Kaffeekapseln; BGH, Urt. v. 28.3.2019, I ZR 44/18, BeckRS 2019, 5642; BGH, WRP 2019, 68 – Jogginghosen).
130bb)
131Nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG (UGP-Richtlinie) gelten die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, als wesentlich (§ 5a Abs. 4 UWG). In der Liste des Anhangs II wird zwar lediglich die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen (Art. 3 Abs. 4 der RL 98/6/EG (Preisangaben-Richtlinie), § 2 Abs. 1 S. 2 PAngV), nicht aber die – hier in Rede stehende – Pflicht zur Angabe des Grundpreises beim Angebot von Waren (Art. 3 Abs. 1 der RL 98/6/EG, § 2 Abs. 1 S. 1 PAngV) genannt. Dennoch gilt nach Art. 7 Abs. 5 der RL 2005/29/EG nicht nur die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen, sondern auch die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei dem Angebot von Waren als wesentlich. Auch bei dieser Pflicht handelt es sich um eine im Unionsrecht festgelegte Informationsanforderung in Bezug auf kommerzielle Kommunikation. Da die Liste des Anhangs II nicht erschöpfend ist, steht einer Einstufung dieser Plicht als wesentlich nicht entgegen, dass sie in dieser Liste nicht ausdrücklich genannt ist (BGH, GRUR 2019, 641, Rn 32 – Kaffeekapseln; OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -)
132cc)
133Danach trifft die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verbraucher die ihm bei dem beanstandeten Angebot der Aminosäurekapseln vorenthaltene Information über den Grundpreis für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und dass ihn das Vorenthalten dieser Information nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen könnte. Dies ist ihr nicht gelungen.
134(1)
135Soweit die Beklagte behauptet, der Grundpreis sei für die Verbraucher „vollkommen irrelevant“, gar irreführend, vermag der Senat eine derartige Feststellung nicht zu treffen. Mittels des Grundpreises pro Gewichtseinheit kann der Verbraucher das Preis-Mengen-Verhältnis erkennen und ohne Schwierigkeiten einen Preisvergleich vornehmen. Der Preis eines Produktes ist ein wesentliches Kriterium, das die Kaufentscheidung beeinflussen und den Verbraucher zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann.
136Ein einfacher Preisvergleich anhand des Grundpreises könnte zunächst im Hinblick auf die gemäß der Anlage K1 beworbenen und angebotenen Aminosäurekapseln selbst erfolgen, soweit diese von verschiedenen Anbietern in unterschiedlichen Packungsgrößen zu unterschiedlichen Gesamtpreisen angeboten werden. Ein im Interesse der Preisklarheit leichter Preisvergleich kann des Weiteren bezüglich anderer Aminosäurekapseln anderer Anbieter vorgenommen werden. Dass solche Kapselprodukte auch in anderen Packungsgrößen und mit anderen Kapselfüllmengen angeboten werden, ergibt sich bereits aus der einschlägigen Rechtsprechung zu Aminosäurekapselprodukten (beispielsweise OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -: 200 Kapseln mit einer Gesamtfüllmenge von 104 g). Die Angabe des Grundpreises nach Gewicht ist folglich ein sinnvolles Kriterium für den Verbraucher, um nachvollziehen zu können, ob ein Aminosäureprodukt, das in Kapselform abgegeben wird, preisgünstig oder teuer ist.
137Gleiches gilt bezüglich der Aminosäureprodukte, die in einer anderen Darreichungs- oder Verpackungsform angeboten werden. Anhand eines Grundpreises bezogen auf das Gewicht ist insbesondere ein Vergleich des angebotenen und beworbenen Kapselproduktes mit Produkten möglich, die als Pulver – unter Nennung des Gewichts und somit auch unter Nennung des Grundpreises – in den Verkehr gebracht werden.
138Irrelevant ist dabei die Frage, ob der Verbraucher das in den Kapseln enthaltene Pulver ggf. in Pulverform zu sich nehmen würde, indem er die Kapsel zuvor öffnet (hierauf abstellend: OLG Celle, Urteil vom 19.07.2019, - 13 U 31/19 -). Entscheidend ist vielmehr, dass er ggf. beide Darreichungsformen – Kapsel oder Pulver – in Erwägung zieht und aus diesem Grund ein Interesse an einem Preisvergleich zwischen diesen beiden Darreichungsformen hat.
139(2)
140Soweit die Beklagte auch in diesem Rahmen darauf hinweist, dass Aminosäureprodukte unterschiedliche Aminosäureprofile aufweisen und zu unterschiedlichen Zwecken eingenommen werden, trägt dies nicht den Schluss, dass sie überhaupt nicht miteinander vergleichbar seien, so dass der Verbraucher auch keinerlei Preisvergleich anstellen werde. Das Angebot der vorliegend streitgegenständlichen Aminosäurekapseln ist nicht auf eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern beschränkt. Es richtet sich vielmehr an jeden, der sich für die Verwendung von Aminosäuren interessiert, unabhängig davon, ob dieses Interesse (nur) auf die Steigerung der allgemeinen Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens gerichtet ist oder speziell der Einsatz im (Breiten-) Sport beabsichtigt ist. Dass für die angesprochenen Verkehrskreise nur das mit der streitgegenständlichen Werbung beworbene Produkt oder ein Produkt, das dasselbe Aminosäureprofil aufweist, vorhanden oder einsetzbar wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die Endverbraucher können vielmehr zwischen verschiedenen Aminosäureprodukten wählen, was im Übrigen auch aus dem als Anlage BK1 vorgelegten „Test“ hervorgeht.
141(3)
142Der Spürbarkeit steht ebenso wenig entgegen, dass die Füllmenge des Nahrungsergänzungsmittels nicht mit dem Wirkstoff korreliert und die Wirkstoffkonzentration für den Verbraucher von besonderem Interesse ist. Auch wenn der Verbraucher aufgrund – der nach wie vor vorhandenen und vom Grundpreis unabhängigen Angabe – der Verzehrempfehlung gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 NemV weiß, wie viele Kapseln er täglich einnehmen kann und er hierdurch auch nachvollziehen kann, für wie viele Tage eine Packung ausreicht, ist die (Grund-) Preisangabe nicht gänzlich sinnlos. Nach wie vor ist mit Hilfe des angegebenen Grundpreises ein leichter Preisvergleich möglich, und zwar nicht nur zwischen verschiedenen Kapselprodukten, sondern auch zwischen Aminosäureprodukten, die in unterschiedlicher Darreichungsform oder Verpackungsgröße angeboten werden. Gerade für die Endverbraucher, die Aminosäureprodukte für den Bereich der Steigerung des allgemeinen Leistungs- und Wohlbefindens verwenden und die zwischen den für ihre Zwecke austauschbaren Aminosäureprodukten auswählen können, bleibt der Grundpreis die konstante – und von der Darreichungsform sowie Verpackung unabhängige – Vergleichsgröße. Dass es sich bei dem Grundpreis um das einzige oder das vorrangige Kriterium für die Kaufentscheidung handelt, ist nicht erforderlich (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -).
143(4)
144Dabei ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht davon auszugehen, der angesprochene Verkehr beziehe den Grundpreis nur auf den Wirkstoff, nicht aber auch auf die Füllstoffe, weshalb es zu einer Irreführung des Verkehrs bei der Nennung des auf die Gesamtmenge des Aminosäureproduktes bezogenen Grundpreises komme. Ein dahingehendes Verkehrsverständnis kann der Senat nicht feststellen. Eine Grundpreisangabe – die, woran zu erinnern ist, in der streitgegenständlichen Werbung vollständig fehlt – bezieht sich auf die anzugebene Mengeneinheit. Die Mengeneinheit ist bei Waren, die nach Gewicht angeboten werden, 1 Kilogramm, 1 Liter oder 100 Gramm. Sie bezieht sich mithin auf die Ware insgesamt und nicht nur auf einzelne Bestandteile derselben. Der Verbraucher hat angesichts dessen keinerlei Veranlassung, einen Grundpreis nur als Angabe bezogen auf einen Bestandteil der Ware bzw. einen Wirkstoff (bzw. Nährwert) eines Nahrungsergänzungsmittels zu verstehen.
145Soweit die Beklagte anhand eines Preisvergleichs bezogen auf die empfohlene Tagesdosis die Gefahr der Irreführung des Verbrauchers zu belegen versucht, überzeugt dies nicht. Zwar ist es im Grundsatz richtig, dass die Tagesdosis des vom Kläger angebotenen Aminosäureproduktes das 6-fache der Tagesdosis des mit der Anlage K1 angebotenen und beworbenen Produktes beträgt und der Tagesdosispreis des klägerischen Produktes dadurch höher liegt, hierauf allein kommt es für die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Spürbarkeit aber nicht an. Es mag sein, dass im Hinblick auf zwei konkrete, miteinander verglichene Produkte ein Produkt bei Zugrundelegung der Grundpreisangabe als preisgünstiger (hier: 1/3 günstigerer Kilopreis) anzusehen ist, während es sich bei Umrechnung des Preises auf die empfohlene Tagesdosis als teurer darstellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Forderung nach einem Grundpreis nach dem Gewicht unsinnig ist. Abgesehen davon, dass dieser konkrete Vergleich keine Allgemeingültigkeit für jeden Preisvergleich dieser Art beansprucht und das Gesetz nicht die Angabe des Preises einer Tagesdosis fordert, so dass der (im Einzelfall) aufgezeigte Konflikt nicht stets auftritt, folgt die Pflicht zur Angabe des Grundpreises, wie unter b) im Einzelnen ausgeführt, aus § 2 Abs. 1 PAngV. Ein gesetzlich normierter Ausnahmetatbestand greift nicht ein. Das Kriterium der Spürbarkeit dient indes nicht dem Zweck, eine (vermeintlich unsinnige) gesetzliche Verpflichtung zu korrigieren.
146Im Übrigen erkennt der verständige Verbraucher nach Auffassung des Senats sehr wohl, dass die Grundpreisangabe ihm in der Zusammenschau mit der Angabe der Wirkstoffanteile einen relativ einfachen Preisvergleich ermöglicht. So ist etwa im Hinblick auf die beiden vorstehend miteinander verglichenen Aminosäureprodukte festzustellen, dass der Wirkstoffgehalt beider Produkte nicht weit auseinanderfällt. Das Produkt der Beklagten weist einen Aminosäuregehalt von 65,3 % auf, das Produkt des Klägers enthält einen Aminosäureanteil von 78,3 %. Auf einen Blick könnte der verständige Verbraucher anhand der Grundpreisangabe nach Gewicht (100 g des Produktes der Beklagten kosten 15,63 Euro, 100 g des Produktes des Klägers kosten 4,68 Euro) erkennen, dass das klägerische Produkt – obwohl einen höheren Wirkstoffgehalt aufweisend als das Produkt der Beklagten – erheblich preisgünstiger ist. Vor diesem Hintergrund wird der verständige Verbraucher ggf. auch die vom Hersteller angegebene Verzehrempfehlung kritisch hinterfragen und als maßgeblich vom jeweiligen Verwendungszweck bestimmt begreifen. Insofern dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass die Verwendung von Aminosäuren im Spitzen- oder Kraftsport ggf. andere Wirkstoffmengen erfordert als die Verwendung von Aminosäuren im Breitensport oder zur allgemeinen Nahrungsergänzung.
147Danach ist davon auszugehen, dass das Vorenthalten der Grundpreisangabe geeignet war, die Interessen der Verbraucher i.S.v. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Den Verbrauchern wurde dadurch ein Preisvergleich nicht unerheblich erschwert (vgl.: BGH, GRUR 2013, 186, Rn 17 – Traum-Kombi). Darauf, dass der Verbraucher den Stückpreis für die einzelne Kapsel vergleichen konnte, kommt es insoweit nicht an (BGH, GRUR 2019, 641, Rn 33 – Kaffeekapseln). Besteht – wie im Streitfall – eine Pflicht zur Angabe des Grundpreises des in den Kapseln enthaltenen Aminosäurepulvers, ist davon auszugehen, dass der Verbraucher ein berechtigtes Interesse hat, bei einem Preisvergleich auf den Preis im Verhältnis zur Füllmenge abstellen zu können (genauso: OLG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2020, - 3 W 65/19 -).
148II.
149Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt nach § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte.
150Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
151III.
152Gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO wird die Revision zugelassen.
153Wie aufgezeigt wird die hier entscheidungserhebliche Frage, ob Aminosäureprodukte in Kapselform im Sinne von Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX nach dem maßgeblichen Verkehrsverständnis normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden, in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Maßgeblich für die divergierenden Entscheidungen ist dabei nicht (allein) die Beurteilung der Verkehrsauffassung im konkreten Einzelfall, sondern vielmehr die Frage, was unter dem „Lebensmittel“ im Sinne von Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX zu verstehen ist. Dies wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Teil dahingehend beantwortet, dass „Lebensmittel“ im Sinne dieser Vorschrift nur das konkret streitgegenständliche Produkt, also beispielweise die Aminosäurekapsel, ist. Demgegenüber ist der erkennende Senat der Auffassung, dass unter einem „Lebensmittel“ im Sinne der vorgenannten Ausnahmeregelung das Produkt als solches, unabhängig von der jeweiligen Darreichungsform, zu verstehen ist. Dies bedeutet für die hier streitgegenständlichen Aminosäureprodukte, aber wohl auch für andere Formen von Nahrungsergänzungsmitteln, dass sie aufgrund der am Markt verfügbaren unterschiedlichen Darreichungsformen nicht der Ausnahmeregelung des Art. 23 Abs. 3 LMIV in Verbindung mit Anhang IX Nr. 1c unterfallen, da sie nicht – in sämtlichen Darreichungsformen - „normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht“ werden. Nach der Auffassung des Senats gilt dies unabhängig von der Frage, ob das Nahrungsergänzungsmittel ggf. in verschiedenen Wirkstoffzusammensetzungen angeboten wird, soweit diese Wirkstoffzusammensetzungen von den maßgeblichen Verkehrskreisen als substituierbar wahrgenommen werden.
154Angesichts der Vielzahl der gleich oder zumindest ähnlich gelagerten Sachverhalte im Bereich des Angebotes von Nahrungsergänzungsmitteln erscheint es dem Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angezeigt, den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, eine höchstrichterliche Klärung der zuvor dargestellten Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof herbeizuführen.
155IV.
156Streitwert der Berufungsinstanz: EUR 10.000,-.
157………. ………. ……….
158I-15 U 20/2034 O 65/19Landgericht Düsseldorf |
Oberlandesgericht DüsseldorfBeschluss
160In dem Rechtsstreit
161pp.
162hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorfam 25.03.2021durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Voß, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Fehre und den Richter am Landgericht Haase
163beschlossen:
164Das Rubrum des Urteils des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15.12.2020 wird gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass die Bezeichnung der Beklagten und Berufungsklägerin lautet:
165"xxx-Apotheken-OHG, vertreten durch die Gesellschafterinnen G1 und G2".
166Der Tenor und die Gründe des Urteils des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15.12.2020 werden gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass im Tenor unter Ziffer I. und bei der Wiedergabe des Antrags der Beklagten auf Seite 7 des Urteils das erstinstanzliche Aktenzeichen nicht 34 O 65/10, sondern 34 O 65/19 lautet.
167Voß |
Dr. Fehre |
Haase |