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1. Dass eine bestimmte Information ein Geschäftsgeheimnis sein kann, erzwingt für sich genommen noch keine gerichtliche Schutzanordnung nach § 19 Abs. 1 GeschGehG, weil diese im Ermessen des Gerichts steht. 2. Bei der Ausübung des Ermessens spielt eine vorgerichtliche Vertraulichkeitsvereinbarung, die die auszutauschenden Informationen zum Gegenstand hat, eine wichtige Rolle. 3. Ohne besondere Rechtfertigung wird es in der Regel nicht geboten sein, eine Beschränkung auf bestimmte Wissensträger des Geheimnisempfängers vorzunehmen, wenn dies vorgerichtlich nicht geschehen ist, oder den Kreis der Wissensträger abweichend von dem vorgerichtlich Vereinbarten festzulegen. 4. In ähnlicher Weise ist zu berücksichtigen, wenn der Geheimnisschutz vorgerichtlich auf einen bestimmten Zeitraum – beispielsweise sechs Jahre nach Bekanntgabe – limitiert wurde.
I. Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden die Beschlüsse der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 17.03.2022, 08.04.2022, 06.05.2022 und 23.05.2022 dahingehend abgeändert, dass die auf § 145a PatG i.V.m. § 19 Abs. 1 GeschGehG gestützten Schutzanordnungen entfallen. Die auf ihren Erlass gerichteten Anträge der Beklagten werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Beklagten.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
IV. Der Gegenstandswert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Rechtsmittel der Klägerin gegen die landgerichtlichen Schutzanordnungen, mit denen die zugelassenen Wissensträger für die als geheimhaltungsbedürftig angesehenen Informationen auf Seiten der Klägerin auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt worden sind, haben Erfolg.
3I.
4Die Rechtsmittel der Klägerin sind zulässig.
5Als in der Hauptsache obsiegende Partei führt sie selbst zwar nicht die Berufung in der Hauptsache, von der die Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen eine erlassene Schutzanordnung grundsätzlich abhängt (§ 20 Abs. 5 Satz 3 GeschGehG), und ist hierzu mangels Beschwer auch nicht in der Lage. Der Bundesgerichtshof (GRUR 2022, 591 - Geschäftsgeheimnis bei Hohlfasermembranspinnanlagen) hat jedoch bereits entscheiden, dass der erwähnten Vorschrift keine Beschränkung der Rechtsmittelbefugnis auf bestimmte Personen, nämlich diejenigen, die das Rechtsmittel zur Hauptsache führen, entnommen werden kann, sondern dass bei Anhängigkeit eines Rechtsmittels in der Hauptsache jedermann gegen die erlassene Schutzanordnung vorgehen kann, der durch sie beschwert ist. Auf die Klägerin trifft dies ohne weiteres zu, weil sie als Folge der vom Landgericht angeordneten Beschränkung der auf ihrer Seite zugelassenen Wissensträger gehalten ist, organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit zu treffen, und im Falle einer Pflichtversäumnis mit ganz erheblichen Ordnungsmitteln bedroht ist (vgl. BGH, GRUR 2022, 591 - Geschäftsgeheimnis bei Hohlfasermembranspinnanlagen).
6Eine Rechtsmittelfrist sieht das Gesetz nicht vor, weswegen es ausreicht, dass die Klägerin die Schutzanordnung – wie geschehen - während des laufenden Berufungsverfahrens zur Hauptsache zur Überprüfung stellt.
7II.
8Soweit das Landgericht bestimmte Informationen im Sachvortrag der Beklagten als geheimhaltungsbedürftig deklariert hat (§ 16 GeschGehG), wendet sich die Klägerin dagegen nicht. Ihre Rechtsmittel richten sich allein dagegen, dass das Landgericht, gestützt auf § 19 GeschGehG, zusätzliche Schutzanordnungen angeordnet hat, indem es den Kreis derjenigen, denen auf Seiten der Klägerin die geheimhaltungsbedürftigen Informationen zugänglich gemacht werden dürfen, auf bestimmte, namentlich bezeichnete Personen begrenzt hat. Die Rechtsmittel der Klägerin hiergegen sind begründet.
91.
10Allein die Tatsache, dass eine Information ein Geschäftsgeheimnis darstellen kann, reicht für sich genommen für eine gerichtliche Schutzanordnung, gleich welchen Inhalts, nicht aus. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz das Vorhandensein eines möglichen Geschäftsgeheimnisses nicht mit der unausweichlichen Pflicht des Gerichts zu einer das Geschäftsgeheimnnis schützenden Anordnung verknüpft, sondern deren Erlass – trotz Vorliegens eines (potenziellen) Geschäftsgeheimnisses - in das Ermessen des Gerichts stellt. Über das mutmaßliche Geschäftsgeheimnis hinaus bedarf es deswegen in jedem Einzelfall konkret zu benennender Umstände, die eine dahingehende Ermessensausübung des Gerichts rechtfertigen. Das gilt schon für die grundlegenden Maßnahmen nach § 16 GeschGehG, die das Gericht nicht zwangsläufigerweise zu treffen hat, sondern nach seinem Ermessen anordnen kann, ganz besonders aber für solche nach § 19 GeschGehG, die § 19 Abs. 1 Satz 2 GeschGehG ausdrücklich davon abhängig macht, dass „nach Abwägung aller Umstände das Geheimhaltungsinteresse das Recht der Beteiligten auf rechtliches Gehör auch unter Beachtung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren übersteigt“. Dem Gesetz liegt damit eindeutig nicht das Prinzip eines bedingungslosen Geheimnisschutzes um jeden Preis zugrunde, sondern die Notwendigkeit einer fairen Interessenabwägung, die die berechtigten Belange des durch die Schutzanordnung Verpflichteten mit in den Blick nimmt.
11Die Argumentation der Beklagten, es sei nicht ersichtlich, wie die von den Lizenzverhandlungsparteien vorgerichtlich umfassend vereinbarte Vertraulichkeit besser umgesetzt werden könnte als durch eine gleichlaufende flankierende Geheimhaltungsanordnung des Gerichts, verfehlt diesen Maßstab schon im Ansatz. Es verhält sich vielmehr umgekehrt so, dass es nicht für, sondern gegen eine Schutzanordnung (ggf. bestimmten Inhalts) spricht, wenn die Geschäftsgeheimnisse bereits durch eine vorgerichtliche Vertraulichkeitsvereinbarung geschützt sind, von der sich der Verpflichtete nicht einseitig lösen kann, von der er sich auch tatsächlich nicht losgesagt hat und deren Sanktionen (Haftung im Falle einer Vertragsverletzung, Verwirkung einer Vertragsstrafe) eingreifen, wenn die geheimhaltungsbedürftige Information - erstmals oder vorgerichtlichen Vortrag wiederholend - im Rechtsstreit vorgebracht wird. Solange unter derartigen Umständen nicht konkret erkennbar ist, dass und warum der Sanktionsmechanismus der Vertraulichkeitsabsprache nicht hinreichend und/oder nicht zuverlässig genug sein soll, um den erforderlichen Geheimnisschutz auch unter den Bedingungen des anhängigen Rechtsstreits zu gewährleisten, wird es im Allgemeinen an einem rechtfertigenden Grund für einen nochmaligen (doppelten) Schutz derselben Information durch eine gerichtliche Schutzanordnung fehlen.
12In ähnlicher Weise setzt der Inhalt einer einvernehmlichen Geheimhaltungsvereinbarung dem Bedürfnis für eine gerichtliche Schutzanordnung abweichenden Inhalts Grenzen. Wenn die Parteien außergerichtlich keine Beschränkung auf bestimmte Wissensträger des Geheimnisempfängers vorgesehen haben, obwohl dies im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne weiteres möglich gewesen wäre, so wird es bei ansonsten unveränderter Sachlage näherer Erläuterung bedürfen, wieso es für das Gerichtsverfahren dennoch einer über das vorgerichtlich für ausreichend Erachtete hinausgehenden Geheimnisschutzanordnung nach § 19 GeschGehG bedarf. Gleiches gilt, wenn die Vertraulichkeitsabsprache den Kreis der Wissensträger in bestimmter Weise eingrenzt, für eine davon abweichende Schutzanordnung nach § 19 GeschGehG. Mindestens unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens ist es einer Partei ohne rechtfertigenden Grund nicht zuzumuten, sich den unterschiedlichen Bedingungen zweier Geheimhaltungsvorgaben zu beugen, deren Befolgung im Zweifel einen besonderen administrativen Aufwand und ein doppeltes Haftungsrisiko begründet. Solange es daher keine nachvollziehbaren Gründe dafür gibt, es für das Gerichtsverfahren nicht bei den zum Geheimnisschutz einvernehmlich vereinbarten Bedingungen der Vertraulichkeitsabrede bewenden zu belassen, besteht kein Anlass, eine vom vorgerichtlich Vereinbarten abweichende personelle Beschränkung der Wissensträger anzuordnen.
13Der Umstand, dass die vorgerichtliche Vertraulichkeitsvereinbarung den Wissensempfänger nur für einen gewissen Zeitraum zur Geheimhaltung verpflichtet und die geheime Information danach freistellt, führt gleichermaßen nicht dazu, dass eine inhaltsgleiche gerichtliche Schutzanordnung allein deswegen geboten ist und zu ergehen hätte, weil sie keiner zeitlichen Grenze unterliegt. Vielmehr verhält es sich auch hier genau andersherum: Wenn die Parteien es einvernehmlich für richtig gehalten haben, den Wissensempfänger nach einem gewissen zeitlichen Ablauf aus seiner Verschwiegenheitspflicht zu entlassen, so spricht dies dafür, das Verhaltensregime nicht durch eine gerichtliche Schutzanordnung (für die es wegen der geltenden Vertraulichkeitsabrede ansonsten keinen sachlichen Grund gibt) zu verschärfen.
142.
15Nach den dargestellten Maßstäben können die auf § 19 GeschGehG gestützten Schutzanordnungen des Landgerichts keinen Bestand haben.
16a)
17Die Beschlüsse des Landgerichts enthalten keine inhaltliche Begründung dafür, dass der Kreis der Wissensträger auf Klägerseite zu beschränken ist. Im Anordnungsbeschluss vom 17.03.2022 findet sich lediglich der Hinweis, dass die Kammer ihr Ermessen im Sinne einer Schutzanordnung nach § 19 GeschGehG ausgeübt habe (was sich ohnehin aus dem Beschlusstenor ergibt), aber kein Wort dazu, auf welchen die beiderseitigen Interessen abwägenden Überlegungen dies beruht.
18b)
19Der Streitstoff und insbesondere das Beklagtenvorbringen bietet auch keinen Anlass für eine dahingehende Schutzmaßnahme.
20Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die geheimhaltungsbedürftigen Informationen zu den geführten Lizenzvertragsverhandlungen Gegenstand einer Vertraulichkeitsvereinbarung sind, die am 11.11.2021 zwischen der Klägerin und der Muttergesellschaft der Beklagten (G. S., Inc.) abgeschlossen worden ist (Anlage HE V 1). Die Beklagten selbst tragen hierzu vor (Schriftsatz vom 27.10.2022, Seite 3), dass die vertraulichen Informationen vereinbarungsgemäß lediglich zum Zweck der geführten Vergleichsverhandlungen genutzt werden dürfen (Ziffer 2.) und dass sich die Vertragsparteien deswegen verpflichtet haben, die Informationen im Übrigen geheim zu halten und Dritten nicht zugänglich zu machen (Ziffer 3c). Ausgenommen von der Pflicht zur Verschwiegenheit sind – im Rahmen des genannten Zwecks - allein Mitarbeiter, Berater und Vertreter auch von jeweils verbundenen Unternehmen, die einer verbindlichen Pflicht zur Vertraulichkeit und zur eingeschränkten Nutzung der Informationen unterliegen.
21Selbst wenn die vorgerichtlichen Vergleichsbemühungen der Parteien ins Stocken geraten sind, verfolgt die Erhebung der Verletzungsklage durch die Klägerin doch – mindestens auch – den Zweck, den Gesprächsfaden mit dem Konzern der Beklagten wieder aufzugreifen und dessen Verhandlungsbereitschaft zu befördern. Jedenfalls entspricht dies den Üblichkeiten und tragen die Parteien für den Streitfall nichts anderes vor. Wenn aber die Vergleichsbemühungen im genannten Sinne noch andauern, so handelt es sich bei Informationen über die Lizenzverhandlungen, die die Beklagten der Klägerin im Zuge des Rechtsstreits mitteilen, um geheime Informationen, die der vorgerichtlichen Vertrraulichkeitsabsprache unterfallen und die die Klägerin deshalb schon im Rahmen des vorgerichtlich Vereinbarten zur Geheimhaltung verpflichten. Dass das in der Vereinbarung einverständlich festgelegte Sanktionssystem unter den Bedingungen des anhängigen Rechtsstreits keinen angemessenen Geheimnisschutz gewährleistet, ist ebensowenig vorgetragen oder ersichtlich, wie es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass die Klägerin ihre vertraglich übernommene Verschwiegenheitspflicht nicht (mehr) ernstnehmen würde.
22Nach der geltenden Vertraulichkeitsvereinbarung steht es der Klägerin frei, Mitarbeiter und Berater zu informieren, solange sie diese ihrerseits ausreichend zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Parteien haben damit eine Beschränkung des Kreises der Wissensträger vereinbart, von der abzuweichen nur dann ein Anlass bestehen könnte, wenn zu erkennen wäre, dass und warum durch das vereinbarte Prozedere ein angemessener Geheimnisschutz der Beklagten nicht (mehr) sichergestellt ist und es deswegen der beantragten Schutzanordnung nach § 19 GeschGehG bedarf. Zu solchen Gründen verhält sich der Sachvortrag der Beklagten indessen nicht.
23Eine Rechtfertigung ergibt sich auch nicht aus der zeitlich begrenzten Laufzeit der Vertraulichkeitsvereinbarung von einem Jahr mit anschließender weiterer sechsjähriger Geheimhaltungspflicht (Ziffer 8). Die Geltungsbeschränkung spricht – wie dargelegt – im Gegenteil dafür, den von den Parteien bewusst begrenzten Geheimnisschutz nicht durch eine gerichtliche Schutzanordnung - für die es wegen der bestehenden und allseits beachteten Geheimhaltungsabrede ansonsten keinen Grund gibt - zu verschärfen. Für geheime Informationen, die die Beklagten nach dem Auslaufen der Vertraulichkeitsvereinbarung erstmals im Rechtsstreit vortragen und über die die Klägerin vorher keine von den Beklagten vermittelte Kenntnis hatte, so dass die Beklagten für sie keinen vertraglichen Geheimnisschutz genießen, steht es den Beklagten frei, um eine gerichtliche Schutzanordnung nachzusuchen.
24III.
25Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Zwar enthält § 20 GeschGehG keine ausdrückliche Regelung zu den Kosten. Für den Fall, dass eine Schutzanordnung verweigert wird, ist jedoch die sofortige Beschwerde zugelassen, die mit einer nach den allgemeinen Kostenvorschriften (§§ 91 ff. ZPO) zu treffenden Kostenentscheidung einhergeht. Allein der Umstand, dass die gerichtliche Überprüfung einer erlassenen Schutzanordnung zeitlich bis zum Rechtsmittelverfahren zur Hauptsache aufgeschoben wird, rechtfertigt keine dem Rechtsmittelführer ungünstigere Kostenbehandlung.
26Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht. Soweit die entscheidungserheblichen Rechtsfragen nicht schon durch den Bundesgerichtshof geklärt sind, ergeben sich die Anordnungsvoraussetzungen hinreichend eindeutig aus dem Gesetzestext, dessen Anwendung auf den Streitfall keine Probleme aufwirft, die eine Befassung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, zur Fortbildung des Rechts oder wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderlich machen würde (§ 574 Abs. 2 ZPO).
27Dr. K. |
Dr. F. |
Dr. S. |