Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.08.2020 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Von einer Sachverhaltsdarstellung wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg und führt nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO unter Beachtung der Regelung in § 538 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
61.
7Nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Die Regelung gelangt aufgrund der entsprechenden Antragstellung des Klägers vorliegend zur Anwendung. Das Landgericht hat im Ergebnis angenommen, dass dem Kläger die Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG fehlt, und damit der Sache nach nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden.
82.
9Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landgerichts vollumfänglich zulässig.
10a)
11Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) der vom Kläger gestellten Sachanträge bestehen aufgrund der erfolgten Bezugnahme auf die im Antrag wiedergegebenen Aussagen im werblichen Umfeld der als Anlagenkonvolut A3 vorgelegten Screenshots nicht.
12b)
13Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Danach stehen die Ansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen zu, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt. Im Streit ist zwischen den Parteien allein, ob der Kläger auf dem sachlich relevanten Markt über eine erhebliche Zahl von betroffenen Mitgliedsunternehmen verfügt.
14aa)
15Der hier relevante Markt umfasst in räumlicher Hinsicht das gesamte Bundesgebiet und in sachlicher Hinsicht den Markt für Tierfuttermittel insgesamt. Die auf demselben Markt vertriebenen Waren oder Dienstleistungen müssen „gleicher oder verwandter Art“ sein. Damit wird der sachlich relevante Markt umschrieben. Die Begriffe sind weit auszulegen (BGH GRUR 1997, 479 (480) – Münzangebot; BGH GRUR 1998, 489 (490) – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH GRUR 2000, 438 (440, 391) – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner; BGH GRUR 2007, 610 Rn. 17 – Sammelmitgliedschaft V; BGH WRP 2007, 1088 Rn. 14 – Krankenhauswerbung; OLG München WRP 2009, 1014 (1015)). Für die lauterkeitsrechtliche Marktabgrenzung ist nicht ausschließlich der Verwendungszweck des Abnehmers (Bedarfsmarktkonzept) maßgebend. Vielmehr müssen die beiderseitigen Waren (Leistungen) sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch (irgendein) wettbewerbswidriges Handeln des anderen Unternehmers beeinträchtigt werden kann (BGH GRUR 1998, 489 (490) – Unbestimmter Unterlassungsantrag III; BGH GRUR 2000, 438 (440) – Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; BGH GRUR 2001, 260 – Vielfachabmahner). Dazu kann nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH GRUR 2007, 610 Rn. 17 – Sammelmitgliedschaft V; BGH WRP 2007, 1088 Rn. 14 – Krankenhauswerbung) eine nicht gänzlich unbedeutende potenzielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. Köhler/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Auflage, § 8 Rn. 3.39). Ein solches Wettbewerbsverhältnis wird wesentlich durch die gemeinsame Zugehörigkeit zu derselben Branche oder zumindest zu angrenzenden Branchen begründet (BGH WRP 2007, 1088 – Krankenhauswerbung). Da sowohl Tierfuttermittel allgemein als auch Futterergänzungsmittel der bedarfsgerechten Ernährung von Tieren dienen, umfasst der sachlich relevante Markt ersichtlich jedenfalls Futtermittel insgesamt.
16bb)
17Aufgrund der bereits erstinstanzlich dargelegten und glaubhaft gemachten Mitgliederstruktur des Klägers ist zweifelsfrei festzustellen, dass diesem eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die auf dem so definierten Markt tätig sind.
18(1)
19Erheblich i.S. des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist die Zahl der Mitglieder des Verbands auf dem einschlägigen Markt dann, wenn diese Mitglieder als Unternehmen - bezogen auf den maßgeblichen Markt - in der Weise repräsentativ sind, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbands ausgeschlossen werden kann (stRspr; vgl. BGH GRUR 2007, 610 Rn. 18 – Sammelmitgliedschaft V; BGH GRUR 2007, 809 Rn. 15 – Krankenhauswerbung; OLG Nürnberg WRP 2014, 239 Rn. 30; OLG Frankfurt WRP 2019, 908). In Zweifelsfällen ist darauf abzustellen, ob die Zahl und wirtschaftliche Bedeutung der branchenzugehörigen Verbandsmitglieder den Schluss darauf zulassen, dass nicht lediglich Individualinteressen Einzelner, sondern objektiv gemeinsame („kollektive“) gewerbliche Interessen der Wettbewerber wahrgenommen werden. Dies kann auch bei einer geringen Zahl entsprechend tätiger Mitglieder anzunehmen sein (BGH GRUR 2007, 610 Rn. 18 – Sammelmitgliedschaft V; OLG Köln GRUR-RR 2018, 292).
20Daher ist nicht erforderlich, dass die Verbandsmitglieder nach ihrer Zahl und ihrem wirtschaftlichen Gewicht im Verhältnis zu allen anderen auf dem Markt tätigen Unternehmen repräsentativ sind (BGH GRUR 2007, 809 Rn. 10 – Krankenhauswerbung; BGH GRUR 2009, 692 Rn. 12 – Sammelmitgliedschaft VI; OLG Frankfurt GRUR-RR 2010, 301 (302)). Dementsprechend braucht der Kläger im Prozess nicht zur Bedeutung und zum Umsatz seiner (unmittelbaren und mittelbaren) Mitglieder vorzutragen; vielmehr reicht es aus, wenn sich im Wege des Freibeweises feststellen lässt, dass es dem Verband nach der Struktur der Mitglieder um die ernsthafte kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen geht (BGH GRUR 2009, 692 Rn. 12 – Sammelmitgliedschaft VI; BGH GRUR 2015, 1140 Rn. 13 ff. – Bohnengewächsextrakt; vgl. auch BGH GRUR 2015, 1240 Rn. 15 – Der Zauber des Nordens; KG WRP 2012, 102 Rn. 27; Köhler/Feddersen a.a.O. Rn. 3.45).
21(2)
22Der Kläger hat zunächst substantiiert dazu vorgetragen, welche Mitglieder Tierfutter oder sogar Futterergänzungsmittel für Tiere vertreiben; dies zuletzt mit Schriftsatz vom 10.06.2020. Die Beklagte hat anlässlich der mündlichen Verhandlung erklärt, diesen erhalten zu haben. Trotz bestehender Möglichkeit dazu hat sie den Vortrag des Klägers nicht bestritten. Eine Verspätung des Vortrags nach §§ 296, 282 ZPO kommt unter diesen Voraussetzungen nicht in Betracht.
23Unabhängig davon, dass der Kläger damit schlüssig dazu vorgetragen hat, dass eine beachtliche Zahl seiner Mitglieder auf dem sachlich relevanten Markt tätig ist, reicht zur Begründung der Klagebefugnis des Klägers bereits allein die Mitgliedschaft von „A“ und „B“ aus. Die Beklagte hat in Bezug auf diese Mitglieder lediglich ausgeführt, dass „nicht ersichtlich“ sei, dass die vorgenannten Unternehmen regelmäßig Tierfutter im Angebot hätten. Es kann offenbleiben, ob dies überhaupt ein erhebliches Bestreiten des diesbezüglichen Klägervortrags darstellt. Selbst wenn das zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, ist es – worauf der Senat in der Sitzung hingewiesen hat –allgemeinkundig, dass die bundesweit agierenden und weithin bekannten Handelsunternehmen auch mit Tierfutter handeln. Allgemeinkundig ist nicht nur, was der Richter (in diesem Fall die Mitglieder des Senats) aufgrund eigener, mit der Allgemeinheit geteilter Wahrnehmung weiß, sondern auch das allgemein verbreitete Wissen. Kommt es für die Sachverhaltsaufklärung nicht auf einen unmittelbaren Eindruck oder eine besondere Sachkunde an, ist über die betreffende Behauptung kein Beweis zu erheben (Greger in: Zöller, 33. Auflage, § 291 Rn. 1b ff m.w.N.). Jedenfalls in Bezug auf „A“ und „B“ ist es auch der breiten Öffentlichkeit, die am allgemeinen Alltagsleben teilnimmt, durchaus geläufig, dass in den Filialen dieser Mitglieder Tierfutter zum ständigen Sortiment gehört.
24Allein schon die allgemein bekannte Größe und Marktbedeutung sowie das allgemein bekannte wirtschaftliche Gewicht dieser beiden Marktteilnehmer reichen – ohne dass es auf die genaue Höhe des Umsatzes dieser Unternehmen mit Tierfutter oder auf die genaue Höhe ihres Anteils am Tierfutter-Markt ankommt – aus, um nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen die Klagebefugnis des Klägers für Wettbewerbsverstöße auf dem Markt für Tierfutter zu begründen.
25c)
26Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers im Sinne von § 8c UWG (bzw. § 8 IV UWG a.F.) sind nicht ersichtlich. Die insoweit darlegungsbelastete Beklagte hat insoweit keinerlei tragfähigen Indizien vorgetragen.
27Es ist grundsätzlich nicht missbräuchlich, wenn der anspruchsberechtigte Mitbewerber oder Verband nur gegen einen oder einzelne von mehreren Verletzern vorgeht. Es steht dem Verletzer frei, seinerseits gegen die anderen Verletzer vorzugehen (BGH WRP 1999, 424 (426) – Bonusmeilen; BGH GRUR 2001, 178 – Impfstoffversand an Ärzte; BGH GRUR 2012, 411 Rn. 19 – Glücksspielverband; BGH GRUR 2017, 1281 Rn. 15 – Großhandelszuschläge; Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen a.a.O. § 8c Rn. 38). Dies gilt auch dann, wenn ein Verband, der eine Rechtsfrage höchstrichterlich klären lassen will, zunächst gegen einen Dritten und nicht auch gegen ein eigenes Mitglied vorgeht (BGH GRUR 1997, 537 (538) – LiftingCreme; BGH GRUR 1997, 681 (683) – Produktwerbung; BGH GRUR 1999, 515 (516) – Bonusmeilen; BGH WRP 2000, 502 (504) – Johanniskraut-Präparat; BGH WRP 2004, 1024 (1027) – Sportlernahrung II).
28Allerdings kann es im Einzelfall missbräuchlich sein, wenn ein Verband im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgeht, vielmehr deren Wettbewerbsverstöße planmäßig duldet (vgl. BGH GRUR 1997, 681 (683) – Produktwerbung; BGH GRUR 2012, 411 Rn. 22 – Glücksspielverband; Feddersen a.a.O. Rn. 38). Denn die Klagebefugnis der Verbände liegt nicht nur im Interesse der betroffenen Mitglieder, sondern auch im öffentlichen Interesse. Andererseits gibt es keine Obliegenheit eines Verbands, auch gegen eigene Mitglieder vorzugehen, auf die sich der außenstehende Dritte berufen könnte. Daher ist auch in solchen Fällen zu fragen, ob der Verband überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Dabei sind die Gesamtumstände zu berücksichtigen (Feddersen a.a.O.).
29Unabhängig davon, ob in diesem Rechtsstreit eine höchstrichterliche Klärung von Rechtsfragen erfolgen wird, erschließt sich aus dem Beklagtenvorbringen nicht, woraus sich eine planmäßige Duldung von denkbaren Verstößen von Mitgliedern ergeben sollte. Der Kläger hat vielmehr unbestritten vorgetragen, auch gegen Verstöße von Mitgliedern vorzugehen.
30d)
31Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage.
32III.
33Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Die Anordnung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO ist im vorliegenden Fall entbehrlich. Anlass für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) besteht nicht.