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Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 7. 11. 2013 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 31 O 284/13 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
G r ü n d e :
2(anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO)
3I.
4Die Parteien sind Hersteller von Arzneimitteln, insbesondere von H. Die Antragstellerin ist seit 1997 Inhaberin der eingetragenen Wortmarken „M“ (DE 3xxxxxx0) sowie „M I“ (DE 3xxxxxx9), die für „pharmazeutische Erzeugnisse“ (Klasse 5) Schutz beanspruchen. Seit 2002 vertreibt die Antragstellerin ein rezeptpflichtiges Schilddrüsenhormon mit dem Wirkstoff M2, das auf den Verpackungen und der Gebrauchsinformation als „M® I®“ bezeichnet wird. Die Antragsgegnerin vertrieb bis Mitte 2013 ebenfalls ein Schilddrüsenhormon mit dem Wirkstoff M2 unter der Bezeichnung „MIN-S®“. Anschließend änderte sie auf Veranlassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte die Bezeichnung und vertrieb das Präparat unter der Bezeichnung „M-S®“.
5Die Bezeichnung „M-S“ wurde am 1. 6. 2013 in die sogenannte M3, eine von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände betriebenen Arzneimittel-Datenbank, eingetragen. Anfang Juni 2013 erhielten Mitarbeiter der Antragstellerin Kenntnis von dieser Eintragung. Zwischen dem 20. und 25. Juni 2013 kam es zu telefonischen Kontakten zwischen den Parteien, am 27. 6. 2013 mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin ab. Mit Antrag vom 5. 7. 2013, bei Gericht eingegangen am 8. 7. 2013, beantragte sie, der Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung die Verwendung der Bezeichnung „M“ in Gestalt der Bezeichnung „M-S“ für pharmazeutische Präparate (Schilddrüsenhormonpräparate) zu untersagen. In erster Linie hat sie sich dabei auf die Marke „M“, hilfsweise auf die Marke „M I“ gestützt.
6Das Landgericht hat die beantragte einstweilige Verfügung am 9. 7. 2013 erlassen. Die Antragsgegnerin hat Widerspruch eingelegt. Sie hat den Einwand der fehlenden rechtserhaltenden Benutzung der Marke „M“ erhoben und das Bestehen einer Verwechslungsgefahr bestritten. Angesprochene Verkehrskreise seien für die verschreibungspflichtigen Medikamente ausschließlich Ärzte und Apotheker; diesen aber sei bekannt, dass „M“ die Kurzbezeichnung für den Wirkstoff M2 oder M sei, so dass die Kennzeichnungskraft von „M“ minimal sei. Kennzeichnend sei allenfalls die Verwendung in der Form „M I“, bei der aber keine Verwechslungsgefahr mit ihrem Zeichen bestehe. Ferner fehle es an der Dringlichkeit.
7Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 7. 11. 2013, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, bestätigt. Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Antragsgegnerin weiter das Ziel der Aufhebung der einstweiligen Verfügung unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Antragstellerin verteidigt das Urteil des Landgerichts und trägt insbesondere weiter zu den Abläufen im Juni 2013 vor, die aus ihrer Sicht die Dringlichkeit des Antrags belegen.
8II.
9Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
101. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig, insbesondere ist ein Verfügungsgrund gegeben.
11a) Soweit sich die Antragstellerin auf eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 UWG stützt und dazu eine Reihe von älteren Entscheidungen des Senats zitiert (so z. B. GRUR-RR 2002, 309, 310 – Zerowatt), neigt der Senat mittlerweile – in Übereinstimmung mit einer in der Rechtsprechung im Vordringen begriffener Auffassung – dazu, die analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 UWG im Markenrecht abzulehnen (Senat, MMR 2013, 43, 44 – proconcept-werbung.de; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 146, 147 – E-Sky; OLG Frankfurt, GRUR 2002, 1096; OLG München, GRUR 2007, 174 – Wettenvermittlung; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 12 Rn. 3.14; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011, § 54 Rn. 19 ff.; zweifelnd Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, vor §§ 14-19d Rn. 194 ff.; a. A. z. B. KG, KGR 2008, 551). Danach bedarf der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung. Den Nachteilen, die dem Antragsteller aus einem Zuwarten bis zur Hauptsacheentscheidung entstehen können, sind die Nachteile gegenüberzustellen, die dem Antragsgegner aus der Anordnung drohen. Das Interesse des Antragstellers muss so sehr überwiegen, dass der beantragte Eingriff in die Sphäre des Antragsgegners auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 146, 147 – E-Sky). Bei Verletzung von Rechten aus dem gewerblichen Rechtsschutz kann sich die Dringlichkeit allerdings aus der Lage des Falls von selbst ergeben. Das ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine Verletzung des Rechts fortdauert und daraus dem Rechtsinhaber ein Schaden erwächst, wie dies beim Vertreib eines Produkts unter Verletzung von Schutzrechten der Fall ist (OLG München, GRUR 2007, 174 – Wettenvermittlung).
12Die Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da im vorliegenden Fall aufgrund des unstreitigen beziehungsweise glaubhaft gemachten Sachverhalts die Dringlichkeit gegeben ist, so dass es auf die Vermutungswirkung des § 12 Abs. 2 UWG nicht ankommt.
13b) Bereits der Umstand, dass die Antragsgegnerin den Vertrieb ihres Produkts unter dem beanstandeten Zeichen aufgenommen hat, spricht grundsätzlich für die Dringlichkeit. Stellt sich dieser Vertrieb als eine Rechtsverletzung dar, so kann dadurch der Antragstellerin ein Schaden entstehen, der eine Entscheidung im summarischen Verfahren rechtfertigt.
14Die danach grundsätzlich anzunehmende Dringlichkeit kann allerdings – wie im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 UWG – entfallen, wenn der Antragsteller längere Zeit zuwartet, obwohl er die Rechtsverletzung und die Person des Verantwortlichen kennt oder sich der sich aufdrängenden Kenntnis verschließt und dadurch zu erkennen gibt, dass es ihm nicht eilig ist (BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; Senat, MMR 2011, 742, 743 – E-Postbrief; GRUR-RR 2014, 127 f. – Haarverstärker; OLG Hamburg, GRUR-RR 2010, 57 – EMEA; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Auflage 2014, § 12 Rn. 3.15; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 940 Rn. 4).
15aa) Als dringlichkeitsschädlich ist hier von den Parteien zunächst nur die Kenntnis von dem Eintrag in der M3 am 1. 6. 2013 erörtert worden. Dieser stellt zwar – solange das Produkt noch nicht lieferbar war, wie es unstreitig Anfang Juni 2013 zunächst der Fall war – noch keine eigenständige Benutzung der Marke im geschäftlichen Verkehr dar. So hat das OLG Hamburg in einem Eintrag in eine Arzneimittel-Datenbank noch kein Angebot und Feilhalten einer Ware im markenrechtlichen Sinn angesehen, wobei der Eintrag allerdings mit dem ausdrücklichen Zusatz „außer Vertrieb“ versehen war (NJOZ 2003, 2166, 2170).
16Bei dem Eintrag in die M3 handelt es sich aber um eine Handlung, die die Absicht einer markenmäßigen Benutzung belegt und daher grundsätzlich geeignet ist, eine den vorbeugenden Unterlassungsanspruch begründende Erstbegehungsgefahr anzunehmen. Die M3 ist eine von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände gepflegte Datenbank mit aktuellen Informationen zu sämtlichen Fertigarzneimitteln und apothekenpflichtigen Waren, die in Deutschland für den Handel zugelassen sind. Ein Eintrag in diese zentrale Datenbank stellt ein starkes Indiz dafür dar, dass der Vertrieb eines entsprechenden Produktes beabsichtigt ist. Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, allein der Eintrag in die Datenbank eines Dritten habe für sie noch keine Handlungsnotwendigkeit ausgelöst, so überzeugt dies nicht: Auch die Antragstellerin hatte keinen Zweifel daran, dass der Eintrag durch die Antragsgegnerin veranlasst worden ist. Nach ihrem Vortrag hat sie zur Klärung allein den Kontakt zur Antragsgegnerin gesucht und nicht etwa zu den Betreibern der Datenbank.
17Die Dringlichkeitsfrist beginnt erst mit der Kenntnisnahme aller relevanten Umstände, wobei notwendige Recherchen zur sorgfältigen Klärung des Kollisionsfalles nicht zu einer dringlichkeitsschädlichen Verzögerung führen (Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, vor §§ 14-19d Rn. 198, 201; vgl. Senat, Urt. v. 10. 3. 1995 – 6 U 154/04 – GRUR-RR 1995, 520 Ls.). Grundsätzlich genügte im vorliegenden Fall die Kenntnis von dem Eintrag der Produktbezeichnung in die Datenbank, um der Antragstellerin die Kenntnis der wesentlichen Umstände des Kollisionsfalles zu vermitteln. Die Antragstellerin stützt sich nicht auf eine besondere Produktaufmachung, sondern allein auf die Verletzung ihrer Wortmarken durch die Produktbezeichnung. Sie hat daher eine Verpackung als konkrete Verletzungsform nur „insbesondere“, das heißt als Beispiel in ihren Antrag aufgenommen (vgl. BGH, GRUR 2012, 945 Tz. 22 – Tribenuronmethyl; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 12 Rn. 2.46). Letztlich sah sich die Antragstellerin allein aufgrund der definitiven telefonischen Bestätigung durch die Antragsgegnerin am 25. Juni, sie sehe in der in der M3 eingetragenen Produktbezeichnung keine Verletzung der Marken der Antragstellerin, in der Lage, am 27. Juni eine Abmahnung auszusprechen. Sie erwähnt zwar in diesem Zusammenhang am Rande, dass zu diesem Zeitpunkt auch eine Gebrauchsinformation der Antragsgegnerin auf deren Internetseite einsehbar gewesen sei. Konkrete Informationen für die Zeichenbenutzung hat sie dieser aber ausdrücklich nicht entnommen. Der Eintrag in der M3 enthielt daher grundsätzlich sämtliche Informationen, die die Antragstellerin benötigte, um gegen die Antragsgegnerin vorzugehen. Aus Sicht der Antragstellerin war danach lediglich noch klärungsbedürftig, ob der Eintrag tatsächlich auf die bevorstehende Markteinführung des Produkts der Antragsgegnerin mit dieser Bezeichnung schließen ließ, oder ob es sich möglicherweise um einen Irrtum handelte (dazu unter II. 1. b ee).
18bb) Nach der im Berufungsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Frau T, „Junior-Produktmanagerin“ bei der Antragstellerin, hat diese in der Woche zwischen dem 3. und 7. Juni Kenntnis von dem Eintrag in der M3 genommen. Da die Antragstellerin – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 12 Abs. 2 UWG – die Voraussetzungen der Dringlichkeit glaubhaft zu machen hat, ist im vorliegenden Fall zugunsten der Antragsgegnerin von einer Kenntnisnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt, dem 3. Juni, auszugehen.
19cc) Bei Kennzeichenverletzungen soll nach einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht die Dringlichkeitsfrist bei arbeitsteiligen Unternehmen erst mit Kenntniserlangung durch Personen beginnen, die befugt und befähigt sind, die im Vergleich zu durchschnittlichen Wettbewerbsverstößen weitreichendere und risikobehaftetere Entscheidung der Einleitung einer kennzeichenrechtlichen Auseinandersetzung zu treffen. Bei kleineren und mittleren Unternehmen sei dies regelmäßig die Geschäftsleitung (OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 245 – magenta; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, vor §§ 14-19d, Rn. 197; Hacker, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl. 2012, § 14 Rn. 429). Nach dieser Ansicht dürfte die Kenntniserlangung durch eine „Junior-Produktmanagerin“ nicht genügen.
20Im Wettbewerbsrecht hat der Senat den Kreis der relevanten Personen allerdings weiter gezogen: Maßgeblich ist in arbeitsteiligen Unternehmen die Kenntnis der für die Ermittlung oder Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Mitarbeiter, wozu sogar Sachbearbeiter zu rechnen sein können, von denen nach ihrer Funktion erwartet werden darf, dass sie die Wettbewerbsrelevanz des Verhaltens erkennen und ihre Kenntnis an die weitergeben, die im Unternehmen zu Entscheidungen über das Einleiten entsprechender Maßnahmen befugt sind (Senat, GRUR-RR 2010, 493 – Ausgelagerte Rechtsabteilung; GRUR-RR 2014, 127 f. – Haarverstärker). Die Differenzierung zwischen kennzeichenrechtlichen Streitigkeiten einerseits, wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten andererseits überzeugt nicht: Auch wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten können weitreichend und risikobehaftet sein. Der Senat war gerade in jüngerer Zeit mit einer Reihe von Streitigkeiten aus dem Arzneimittelsektor befasst, die durchaus vergleichbare Rechtsfragen – so hinsichtlich der Zusammensetzung und des Verständnisses der angesprochenen Verkehrskreise – aufwarfen, obwohl die Ansprüche nicht auf das MarkenG, sondern auf das UWG gestützt waren (so z. B. Urt. v. 28. 5. 2014 – 6 U 210/13). Ob der Vertrieb eines Produkts wegen einer Markenverletzung oder wegen einer unlauteren Nachahmung der Produktausstattung gemäß § 4 Nr. 9 UWG untersagt wird, ist hinsichtlich der wirtschaftlichen Konsequenzen für die Beteiligten letztlich ohne Belang.
21Im vorliegenden Fall folgt aus der eidesstattlichen Versicherung der Frau T (Anlage ASt 16), dass sie es als ihre Pflicht angesehen hat, die Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Antragstellerin von ihren Feststellungen zu unterrichten; lediglich wegen Arbeitsüberlastung sei dies nicht sofort, sondern erst am 12. Juni erfolgt. Demnach ist davon auszugehen, dass es sich bei ihr um eine Mitarbeiterin der Antragstellerin handelte, die in der Lage war, die rechtliche Relevanz des Eintrags in der M3 zu erkennen und die zuständigen Entscheidungsträger zu informieren. Für den vorliegenden Fall kann daher zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt werden, dass die Kenntnisnahme durch Frau T genügte, um die Dringlichkeitsfrist in Lauf zu setzen.
22dd) Erstmals im Schriftsatz vom 25. 6. 2014 hat die Antragsgegnerin vorgetragen, tatsächlich habe die Antragstellerin bereits vor dem 1. Juni Kenntnis von dem Eintrag erlangen müssen. Bereits am 24. Mai habe nämlich die „ifap Service-Institut für Ärzte und Apotheker GmbH“ eine E-Mail versandt, in der die zum 1. Juni wirksam werdenden Änderungen der M3 aufgeführt worden seien, darunter auch die Neueinführung eines Produkts „M S“, wobei „S“ die übliche Abkürzung für „S“ sei (Anlagen AG 21/22).
23Damit lässt sich allerdings eine frühere Kenntnisnahme der Antragstellerin nicht belegen. Auch wenn die Antragstellerin zugestanden hat, sie gehöre zum Empfängerkreis des „J“, der mit der E-Mail versandt worden sei, so ist völlig unklar, welcher – im Sinn der oben dargestellten Grundsätze maßgebliche – Mitarbeiter der Antragstellerin wann diese E-Mail zur Kenntnis genommen hat. Aus der eidesstattlichen Versicherung der Frau T folgt im Gegenteil, dass sie die erste Person im Unternehmen der Antragstellerin war, die über den Eintrag in der M3 Kenntnis von der bevorstehenden Einführung des Produkts der Antragsgegnerin hatte und die Rechtsabteilung davon informierte.
24ee) Nach den Erklärungen der Antragstellerin, warum sie in der Folge erst am 20. Juni Kontakt mit der Antragsgegnerin aufnahm, sind allerdings gewisse, nicht genügend erklärte Verzögerungen eingetreten. Die von ihr vorgetragenen, nicht näher spezifizierten Internetrecherchen können kaum den gesamten Zeitraum vom 12. bis zum 20. Juni in Anspruch genommen haben. Auch die „Durchführung der erforderlichen Rücksprachen mit den nationalen und internationalen Entscheidungsträgern in dem Konzernverband“ der Antragstellerin werden lediglich pauschal in den Raum gestellt.
25Andererseits war es allerdings aus Sicht der Antragstellerin geboten, durch Kontaktaufnahme mit der Antragsgegnerin zu klären, ob es sich bei dem Eintrag in die M3 nicht um ein Versehen handelte. Diese Annahme der Antragstellerin lag durchaus nahe, nachdem die Antragsgegnerin ihr Produkt bis dahin unter einer anderen Bezeichnung vertrieben hatte und es auch objektiv ungewöhnlich erscheinen musste, wenn die Antragsgegnerin zur Bezeichnung ihres Produkts nunmehr ein zugunsten der Antragstellerin geschütztes und von ihr genutztes Zeichen benutzte. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch den Umstand, dass das Produkt zunächst nicht lieferbar war und auch keine weiteren Informationen über es in öffentlich zugänglichen Quellen zu ermitteln waren. Die danach erforderliche Kontaktaufnahme begann mit dem ersten Anruf seitens der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin am 20. Juni und endete mit dem Gespräch vom 25. Juni (nachdem ein für den 24. Juni zugesagter Rückruf ausgeblieben war), in dem Mitarbeiter der Antragsgegnerin der Antragstellerin definitiv bestätigten, dass sie beabsichtige, ihr Produkt künftig unter dem neuen Zeichen zu vertreiben.
26ff) Bei der Gesamtabwägung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Monatsfrist nach der Rechtsprechung des Senats nicht um eine starre Frist, sondern nur um einen Richtwert handelt (Senat, GRUR-RR 2010, 493 – Ausgelagerte Rechtsabteilung). Im vorliegenden Fall ist die Monatsfrist, selbst wenn zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt wird, dass die Antragstellerin bereits am 3. Juni 2013 Kenntnis erlangt hat, und dass die Kenntnis der „Junior-Produktmanagerin“ T genügte, um den Lauf der Dringlichkeitsfrist in Lauf zu setzen, nur um fünf Tage überschritten. Dies entspricht dem Zeitraum, der erforderlich war, um die gebotene Aufklärung seitens der Antragsgegnerin über den Hintergrund der Eintragung in die M3 zu erhalten (20. bis 25. Juni). Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall ein Verfügungsgrund im Ergebnis noch gegeben.
272. Der Verfügungsanspruch besteht. Der Antragstellerin steht aus ihrer Marke „M“ der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG zu. Die Marke ist rechtserhaltend benutzt worden und wird durch die Bezeichnung „M-S“ verletzt.
28a) Erstinstanzlich hat sich die Antragsgegnerin sowohl im Rahmen der Erörterung der rechtserhaltenden Benutzung wie auch der Verwechslungsgefahr darauf berufen, da es sich bei den Produkten der Parteien um rezeptpflichtigen Medikamente handele, sei allein auf die Sicht von fachkundigen Ärzten und Apothekern abzustellen. Diesen sei bekannt, dass „Min“ eine Bezeichnung des Wirkstoffes des Medikaments sei. Auf die Sicht der Endverbraucher des Medikaments komme es dagegen nicht an; das Landgericht sei daher nicht in der Lage, das maßgebliche Verkehrsverständnis festzustellen. Die Antragstellerin hat demgegenüber vertreten, dass sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der der europäischen Gerichte auch im Fall von rezeptpflichtigen Medikamenten die Endverbraucher zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören würden.
29Die Antragstellerin hat sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des BGH „Arctuvan/Artesan“ berufen, in der der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr der Bezeichnungen rezept- und apothekenpflichtiger Arzneimittel sei nicht allein auf das Verständnis der Fachkreise abzustellen (GRUR 1955, 415, 416). Diese Entscheidung betraf allerdings nicht rezept-, sondern nur apothekenpflichtige Arzneimittel. Gleiches gilt auch für die von der Antragstellerin ebenfalls herangezogene Entscheidung „Venostasin/Topostasin“ (GRUR 1957, 339, 340). Hinsichtlich rezeptpflichtiger Arzneimittel hat der Bundesgerichtshof in einer späteren Entscheidung ausgeführt:
30„Vorrangig ist auf den verordnenden Arzt und den Apotheker abzustellen, da diese bei der Rezeptierung oder der Ausgabe des Medikaments sich Gedanken über den Hersteller des Präparats zu machen haben. Das Verständnis des weniger kundigen Patienten über die Zuordnung der unter identischer Wirkstoffbezeichnung vertriebenen rezeptpflichtigen Arzneimittel tritt daneben grundsätzlich in den Hintergrund. Eine bei dem Patienten vorhandene Fehlvorstellung über die betriebliche Herkunft eines rezeptpflichtigen Medikaments kommt deshalb grundsätzlich nicht zum Tragen, weil die Auswahl des Medikaments vom Arzt oder erforderlichenfalls vom Apotheker zu verantworten ist“ (BGH, GRUR 1990, 453, 455 – Min).
31Nur bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten könne auf den allgemeinen Verkehr abgestellt werden (BGH, GRUR 1999, 735, 736 – MONOFLAM/POLYFLAM). An dieser Einschätzung hat der Bundesgerichtshof auch in späteren Entscheidungen festgehalten (BGH, GRUR 2008, 1089 Tz. 26 – KLACID PRO). Der Entscheidung „N/N2“ (GRUR 2012, 64), in der der Bundesgerichtshof sowohl auf die Fachkreise als auch die Verbraucher abgestellt hat, lässt sich ebensowenig wie der vorausgegangenen Entscheidung des Bundespatentgerichts (Beschluss vom 16. 6. 2009 – 25 W (pat) 54/08 – BeckRS 2009, 18232) entnehmen, ob sie ein rezeptpflichtiges Medikament betraf.
32Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof weitergehend betont, dass auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der gesamte Vermarktungsprozess letztlich auf den Erwerb durch den Endverbraucher abziele und daher dessen Möglichkeiten in Rechnung zu stellen seien, die zwischengeschalteten Fachleute wie Ärzte und Apotheker dazu zu veranlassen, seine Wünsche oder Präferenzen zu berücksichtigen. Allerdings müsse dabei mit einbezogen werden, dass Verbraucher verschreibungspflichtige Arzneimittel mit erhöhter Aufmerksamkeit betrachten werden (EuGH, GRUR Int. 2007, 718 Tz. 61 – Travatan II; so auch BPatG, Beschluss vom 4. 8. 2005 – 25 W (pat) 164/03 – BeckRS 2008, 26611; Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl. 2012, § 9 Rn. 223). Auch eine allein aus Sicht des Endverbrauchers bestehende Ähnlichkeit von Zeichen sei daher geeignet, eine Verwechslungsgefahr im Sinn des Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 zu begründen (EuGH, GRUR Int. 2007, 718 Tz. 99 – Travatan II). Der Bundesgerichtshof geht jetzt in einem solchen Fall von einer „gespaltenen Verkehrsauffassung“ aus, bei der es reicht, wenn bei einem Teil der angesprochenen Verkehrskreise Verwechslungsgefahr besteht (BGH, GRUR 2012, 64 Tz. 9 – Maalox/Melox-GRY), wobei sich allerdings, wie erwähnt, der Entscheidung nicht entnehmen lässt, ob sie ein verschreibungspflichtiges Medikament betraf.
33Auch wenn entsprechend der zitierten neueren Rechtsprechung neben den Fachkreisen die Endverbraucher als angesprochene Verkehrskreise mit zu berücksichtigen sind, führt dies im vorliegenden Fall zu keiner abweichenden Beurteilung. Den Fachkreisen wird zwar der Wirkstoff mit dem Freinamen Levothyroxin (-Natrium) oder seiner verkürzten Form Min bekannt sein. Ihnen wird aber auch bekannt sein, dass im Arzneimittelbereich verbreitet Marken genutzt werden, die an Wirkstoffbezeichnungen angelehnt sind (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 18 – I; GRUR 2008, 909 Tz. 19 – Pantogast; BPatG, GRUR 2012, 67, 68 – Panprazol/PANTOZOL; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, § 14 Rn. 556). Im Übrigen ist davon auszugehen, dass dieser beschreibende Anklang selbst von den Endverbrauchern, denen die Bezeichnung des Wirkstoffs nicht geläufig ist, vermutet wird (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 22 – I; GRUR 2008, 909 Tz. 23 – Pantogast).
34Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses ist auch im Markenrecht keine Tatsachenfeststellung, sondern Anwendung eines speziellen Erfahrungswissens. Dieses Erfahrungswissen kann das Gericht grundsätzlich selbst dann haben, wenn die entscheidenden Richter nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählen (BGH, GRUR 2007, 1079 Tz. 36 – Bundesdruckerei; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, § 14 Rn. 491). Dies gilt auch im Hinblick auf das Verständnis der hier in Rede stehenden Ärzte und Apotheker (BGH, GRUR 2006, 937 Tz. 27 – Ichthyol II; GRUR 2008, 1089 Tz. 27 – KLACID PRO). Für die in diesem Zusammenhang zu beurteilenden Fragen kommt es, abgesehen von der Kenntnis des Wirkstoffs Levothyroxin und seiner Bezeichnung, nicht auf spezifische medizinische oder pharmazeutische Kenntnisse an.
35b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Antragstellerin ihr Zeichen „M“ durch den Vertrieb des mit „M® I®“ bezeichneten Produkts im Sinn des § 26 MarkenG rechtserhaltend benutzt hat, so dass der Anspruch der Antragstellerin nicht nach § 25 Abs. 1 MarkenG ausgeschlossen ist.
36Die Marke ist am 5. 5. 1997 in das Register eingetragen worden (Anlage ASt 2). Ein Widerspruchsverfahren ist am 19. 7. 2002 beendet worden, so dass die Fünfjahresfrist ab diesem Zeitpunkt zu berechnen ist (§ 26 Abs. 5 MarkenG). Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie ihr Produkt seit November 2002 in Verpackungen vertreibt, die mit „M® I®“ gekennzeichnet sind; dies ist seitens der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt worden. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin liegt darin eine rechtserhaltende Benutzung des Zeichens „M“. Werden zur Kennzeichnung eines Produkts zwei Zeichen verwendet, liegt es zwar in der Regel nahe, dass die angesprochenen Verkehrskreise darin ein aus zwei Teilen bestehendes zusammengesetztes Zeichen sehen. Denkbar ist aber auch, dass sie in der Kennzeichnung keinen einheitlichen Herkunftshinweis, sondern zwei voneinander zu unterscheidende Zeichen wahrnehmen. Der Verkehr ist vielfach an die Verwendung von Zweitkennzeichen gewöhnt, die daher zur Annahme rechtserhaltender Benutzung genügen. Ohne Weiteres wird die Verwendung einer Zweitmarke dann deutlich, wenn es sich bei einem der beiden Zeichen um den dem Verkehr bekannten Namen des Unternehmens handelt (BGH, GRUR 2007, 592 Tz. 13 f. – bodo Blue Night). „I“ ist, wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, den angesprochenen Verkehrskreisen seit langem als Unternehmenskennzeichen bekannt (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 28 – I).
37Zwar kann auch ein bekanntes Unternehmenskennzeichen wie „I“ als Bestandteil eines zusammengesetzten Zeichens auftreten und damit produktkennzeichnende Funktion haben (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 28 – I). In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall waren die Bestandteile „Panto“ und „I“ allerdings in einem Wort zusammengefasst, wodurch eine ausgeprägte Klammerwirkung entstand. Das ist hier bereits nicht der Fall, da die Zeichen „Min“ und „I“ nicht zusammengeschrieben sind. Betont wird diese Trennung noch durch die Verwendung des ® hinter „Min“. Anders, als die Antragsgegnerin meint, ist die Bedeutung dieses Symbols nicht nur im Markenrecht tätigen Juristen vertraut. Auch der allgemeine Verkehr – und damit auch Ärzte und Apotheker – entnimmt der Beifügung des Zusatzes ® zu einem Zeichen den Hinweis, dass es eine Marke genau dieses Inhalts gibt (BGH, GRUR 2013, 840 Tz. 35 – PROTI II; GRUR 2014, 662 Tz. 25 – Probiotik). Der Bundesgerichtshof hat es daher bei der Verwendung des Zeichens „PROTI® PLUS 80“ als möglich angesehen, dass der Verkehr dieses nicht als zusammengesetztes Zeichen ansieht, sondern als Verwendung des Zeichens „PROTI“ auffasst (BGH, GRUR 2013, 840 Tz. 35 – PROTI II).
38Der Umstand, dass in anderem Zusammenhang – beispielsweise in den vorgelegten Rechnungen – das Produkt auch als „M I“, also ohne Zufügung des ®, bezeichnet wird, ist demgegenüber unerheblich. Die Benutzung in einer – auch – anderen Form ist unschädlich, jedenfalls solange diese nicht die Wahrnehmung des Zeichens in der Form, auf die die rechtserhaltende Benutzung gestützt werden soll, wegen gegenständlicher Nähe beeinflusst (Senat, Urt. v. 20. 6. 2014 – 6 U 195/08, S. 10 f.).
39Der Umstand, dass „M“ beschreibenden Charakter hat, steht der Annahme rechtserhaltender Benutzung durch die Bezeichnung „M® I®“ nicht entgegen. Auch wenn es sich ersichtlich um eine Ableitung von „Levothyroxin“ oder „M“ handelt, kann der verkürzten Wiedergabe des Wirkstoffes, die gerade bei Arzneimittelbezeichnungen nicht unüblich ist (vgl. BGH, GRUR 2008, 909 Tz. 17 ff. – Pantogast, für „Panto“ aus „Pantoprazol“; BPatG, GRUR 2012, 67, 68 – Panprazol/PANTOZOL), in der eingetragenen Marke „M“ nicht jegliche Kennzeichnungskraft abgesprochen werden. Auch in der zitierten Entscheidung „PROTI II“ hatte „PROTI“ als Abkürzung für „Protein“ stark beschreibenden Charakter, ohne dass dies die Annahme eines eigenständigen Zeichens verhinderte (BGH, GRUR 2013, 840 Tz. 22 – PROTI II).
40c) Es liegt jedenfalls Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne vor.
41aa) Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, so der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke sowie der Identität oder der Ähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Zeichen und der Identität oder der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Zeichen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt. Bei dieser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (EuGH, GRUR 1998, 922 Tz. 17 f. – Canon; GRUR Int. 2009, 911 Tz. 31 – Waterford Wedgwood; BGH, GRUR 2011, 826 Tz. 11 – Enzymax/Enzymix; GRUR 2012, 1040 Tz. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Tz. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; Senat, GRUR-RR 2012, 336, 337 – SUPERTOTO).
42bb) Dem Zeichen der Antragstellerin kommt zumindest geringe Kennzeichnungskraft zu.
43„M“ ist eine eingetragene Marke. Der Senat ist daher als Verletzungsgericht grundsätzlich an die Eintragung der Marke gebunden (BGH, GRUR 2009, 672 Tz. 17 – OSTSEE-POST; Senat, GRUR-RR 2014, 210, 215 – Bounty/Snickers). Daraus folgt allerdings zunächst nur, dass der Marke nicht jeglicher Schutz versagt werden darf, während der Grad der Kennzeichnungskraft vom Verletzungsgericht selbstständig zu bestimmen ist (BGH, GRUR 2005, 414, 416 – Russisches Schaumgebäck; BGHZ 171, 89 = GRUR 2007, 780 Tz. 24 – Pralinenform; GRUR 2008, 905 Tz. 20 – PantoI; GRUR 2010, 1071 = WRP 2007, 1461 Tz. 24 – Kinder II). Aus diesem Grund ist das Argument der Antragsgegnerin, der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung „Min“ (GRUR 1990, 453, 455) den Zeichenbestandteil „Min“ als glatt beschreibend und nicht unterscheidungskräftig bewertet, für die hier zu beurteilende Bezeichnung „M“ nicht ausschlaggebend. In diesem Zusammenhang ist außerdem wieder darauf hinzuweisen, dass in der Arzneimittelbranche durch Verkürzung aus Wirkstoffbezeichnungen hervorgegangene Zeichen üblich sind (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 18 – PantoI; GRUR 2008, 909 Tz. 19 – Pantogast; BPatG, GRUR 2012, 67, 68 – Panprazol/PANTOZOL; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, § 14 Rn. 556).
44Die Abwandlung eines warenbeschreibenden Fachausdrucks ist danach hinreichend unterscheidungskräftig, wenn ihr nicht jegliche individualisierende Eigenart fehlt. Bei einer für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbar engen Anlehnung an einen warenbeschreibenden Begriff verfügt die Bezeichnung regelmäßig von Hause aus aber nur über unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 16 – PantoI). Im vorliegenden Fall ist das Landgericht von originär schwacher Kennzeichnungskraft ausgegangen, die durch Verkehrsbekanntheit auf durchschnittliches Maß gesteigert worden sei. Das Landgericht hat dabei angenommen, die Bezeichnung des Wirkstoffs sei „M2“; eine Verwendung der Bezeichnung „Min“ sei nicht glaubhaft gemacht. Vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof noch im Jahr 1990 „Min“ als eine nicht unterscheidungskräftige Wirkstoffangabe angesehen hat, da dies bis 1981 die vorgeschriebene Sachbezeichnung für den Wirkstoff gewesen sei, kann dieses Verständnis von „Min“ aber auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht völlig außer Betracht gelassen werden.
45Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ist es nicht ausschlaggebend, wenn wegen der großen Nähe zu „Min“ nur von einer sehr geringen (weit unterdurchschnittlichen) originären Kennzeichnungskraft des Zeichens „M“ ausgegangen wird. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin eine jahrelange und umfangreiche Benutzung ihres Zeichens glaubhaft gemacht hat. Erstinstanzlich hat die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin vorgetragenen Umsatzzahlen und Marktanteile zwar bestritten und beanstandet, es sei nicht klar, ob diese sich auf den deutschen Markt beziehen würden (was zunächst durchaus nahelag, da sich die Antragstellerin auf die Zahlen eines Instituts aus den USA berufen hat). Die Antragstellerin hat daraufhin jedoch durch eidesstattliche Versicherung belegt, dass sich die von ihr vorgetragenen Zahlen auf den deutschen Markt beziehen (Anlage ASt 11). Das Landgericht hat darauf hingewiesen, dass der Antragsgegnerin als Branchenkennerin zumindest den vorgetragenen Marktanteilen substantiiert hätte entgegentreten können, was nicht geschehen sei. In der Berufungsinstanz hat die Antragsgegnerin dazu nur noch vorgetragen, es könne dahinstehen, inwieweit die Zahlen zutreffend seien.
46Aus Sicht des Senats ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin seit 2009 jährlich rund 10 Mio. Euro Umsatz mit dem Produkt erzielt hat und mit ihm einen Marktanteil von 21 % hält. Es ist ferner glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin ihr Produkt auf den Verpackungen stets mit „M® I®“ gekennzeichnet hat. Da, wie dargelegt, in dieser Zusammensetzung „M®“ als selbständiges Kennzeichen wahrgenommen wird, kann aufgrund von Verkehrsbekanntheit eine gesteigerte und damit jedenfalls geringe oder unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft dieses Zeichens angenommen werden.
47cc) Es besteht unstreitig Warenidentität.
48dd) Das Landgericht ist mit zutreffender und sorgfältiger Begründung von hochgradiger Zeichenähnlichkeit ausgegangen. In erster Linie hat es sich dabei darauf gestützt, dass das angegriffene Zeichen „M-S“ durch den Bestandteil „M“ geprägt werde, da dem Verkehr „S“ als Unternehmenskennzeichen bekannt sei. Selbst wenn eine solche Prägung nicht vorliegen würde, so komme dem übernommenen Bestandteil eine selbständig kennzeichnende Stellung zu, aus dessen identischer Übernahme der Verkehr den Eindruck gewinnen könne, die betreffenden Waren würden aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen.
49Vorrangig könnte sogar erwogen werden, ob es sich bei „M-S“ überhaupt um ein einheitliches Zeichen handelt oder ob der Verkehr in dieser Bezeichnung nicht – wie bei der von der Antragstellerin verwendeten Bezeichnung – die Verwendung eines Zweitkennzeichens sieht. In diesem Fall läge sogar eine identische Verwendung des Zeichens der Antragstellerin vor. Selbst wenn eine im Sinn einer Unternehmenskennzeichnung benutzte und dem Verkehr als solche bekannte Bezeichnung durch einen Bindestrich mit einer weiteren Bezeichnung verbunden wird, kann der Verkehr in den beiden Bezeichnungen selbständige Zeichen erkennen (BGH, GRUR 2005, 515, 516 – P3-ferrosil). Dafür spricht hier, dass „S“ den beteiligten Verkehrskreisen – Fachpersonal wie auch Verbrauchern – als Unternehmenskennzeichen bekannt ist, und dass es in der Arzneimittelbranche üblich ist, Produktbezeichnungen und Herstellerkennzeichen zu kombinieren, wie es auch der Praxis der Parteien dieses Verfahrens entspricht. Gegen die Annahme selbständiger Zeichen spricht allerdings, dass der Bindestrich hier aufgrund seiner zweimaligen Verwendung eine stärker verklammernde Wirkung aufweist als in der vom Bundesgerichtshof beurteilten Bezeichnung „P3-ferrosil“.
50Jedenfalls aber hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass „M“ eine selbständig kennzeichnende Stellung innerhalb der Bezeichnung „M-S“ behält. Bei der Verbindung eines Unternehmenskennzeichens mit dem geschützten Zeichen bleibt die jeweils selbstständig kennzeichnende Stellung des Unternehmenskennzeichens und des weiteren Zeichenbestandteils – hier „M“ – in der jüngeren Marke auch bei einer Zusammenfassung zu einer Wortverbindung erhalten. Wörtlich hat der Bundesgerichtshof weiter ausgeführt:
51„Der Verkehr wird in dem ihm bekannten oder für ihn zumindest erkennbaren Unternehmenskennzeichen den Unternehmenshinweis und in dem weiteren Bestandteil den Produkthinweis sehen. Stimmt der selbstständig kennzeichnende, produktbezogene Bestandteil mit der Widerspruchsmarke überein, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass der Verkehr diese andere Marke dem Inhaber des Unternehmenskennzeichens zuordnet und meint, sie bezeichne dessen Produkte oder Dienstleistungen, oder dass der Verkehr jedenfalls davon ausgeht, die Waren oder Dienstleistungen stammten von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen“ (BGH, GRUR 2008, 905 Tz. 38 – PantoI; s. auch EuGH, GRUR 2005, 1042 Tz. 30 ff. – THOMSON LIFE).
52Im vorliegenden Fall wird die selbständige Stellung des Unternehmenskennzeichens der Antragsgegnerin noch dadurch betont, dass es – anders als in „I“ – mit dem Produktkennzeichen nicht zu einem Wort zusammengefasst, sondern nur durch einen Bindestrich verbunden ist. Soweit sich die Antragsgegnerin darauf beruft, bei der Verbindung eines Unternehmenskennzeichens mit weiteren Bestandteilen könne auch eine abweichende Beurteilung möglich sein (vgl. BGH, GRUR 2008, 258 Tz. 27 – INTERCONNECT/T-InterConnect), so möchte sie für den vorliegenden Fall eine solche Abweichung wiederum mit der ihrer Ansicht nach fehlenden Unterscheidungskraft von „M“ begründen. Wie bereits ausgeführt, geht der Bezeichnung „M“ aber nicht jede Unterzeichnungskraft ab.
53Ein selbständig kennzeichnender Bestandteil muss nicht über besondere Unterscheidungskraft verfügen; grundsätzlich kann jeder unterscheidungskräftige Bestandteil eines zusammengesetzten Zeichens über selbstständige Kennzeichnungskraft verfügen (BGH, GRUR 2008, 258 Tz. 35 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2008, 905 Tz. 38 – I; GRUR 2013, 833 Tz. 50 – Culinaria/Villa Culinaria). Soweit sich aus den von der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 26. 5. 2014 zitierten Entscheidungen des Bundespatentgerichts etwas anderes ergibt, so ist diese Rechtsprechung durch die nachfolgend ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs „INTERCONNECT/T-InterConnect“ und „I“ überholt. Nur ergänzend ist daher noch darauf hinzuweisen, dass auch das Bundespatentgericht in einer der zitierten Entscheidungen davon ausgeht, dass das Unternehmenskennzeichen der Antragsgegnerin in einer zusammengesetzten Bezeichnung zur näheren Spezifizierung des gewünschten Produkts nicht geeignet ist, da die Antragsgegnerin eine nicht unerhebliche Zahl von Produktbezeichnungen unter Einbeziehung ihres Unternehmenskennzeichens gebildet hat (Beschl. v. 16. 6. 1997 – 30 W (pat) 297/96 – juris Tz. 21). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „I“ zeigt schließlich, dass eine mittelbare Verwechslungsgefahr auch im Arzneimittelbereich bestehen kann.
54ee) Im Ergebnis ist daher trotz geringer Kennzeichnungskraft bei bestehender Warenidentität und hochgradiger Zeichenähnlichkeit von Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne auszugehen. Es besteht die Gefahr, dass die angesprochenen Verkehrskreise das Zeichen der Antragstellerin dem Unternehmen der Antragsgegnerin zuordnen werden oder zumindest von wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Unternehmen ausgehen.
553. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.