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Erfolgreicher Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen Untersagung der Überlassung von und der Werbung für Bonus-Taler in einer Apotheke (wie Nds. OVG, Beschluss vom 8. Juli 2011 - 13 ME 111/11 -, juris).
Auf die Beschwerde der Antragstellerin ¬wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 15. August 2011 mit Ausnahme der Streitwertfest¬setzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage - VG Gelsenkirchen, 19 K 2512/11 - der Antrag¬stellerin gegen den Bescheid der Antrags¬gegnerin vom 17. Mai 2011 wird in vollem Umfang wiederhergestellt (zu Nr. 1. des Bescheids) bzw. angeordnet (zu Nr. 2. des Bescheids).
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerde¬verfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
3Die Beschwerde ist zulässig.
4Zwar ist die Beschwerde nach der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts am 16. August 2011 nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 147 VwGO erhoben worden; der Antragstellerin ist wegen der Versäumung der Frist auf den entsprechenden Antrag hin aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) zu gewähren. Die Antragstellerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter haben im Schriftsatz vom 9. September 2011 die für die Nichteinhaltung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts relevanten Umstände hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Entscheidend war danach, dass bei der Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses zwar die Fristen für die Einlegung der Beschwerde (30. August 2011) und für die Begründung der Beschwerde (16. September 2011) auf dem Schriftstück vermerkt wurden, im Fristenkalender und im elektronischen Fristensystem in der Anwaltskanzlei aber versehentlich nur die Beschwerdebegründungsfrist mit einer üblichen einwöchigen Vorfrist, nicht aber die Beschwerdefrist als solche notiert worden war. Diese Umstände, bei denen der Senat keine Veranlassung sieht, sie in Zweifel zu ziehen, lassen ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden des Bevollmächtigten an der Versäumung der Frist, das der Antragstellerin über § 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen wäre, nicht erkennen. Das Datum "9. September 2011" des Schriftsatzes mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist, das der üblicherweise in der Kanzlei des Bevollmächtigten der Antragstellerin notierten einwöchigen Vorfrist für die Beschwerdebegründung entspricht, deutet darauf hin, dass (erst) bei der Vorlage der Akten an diesem Tag die Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde bemerkt und sofort mit dem Wiedereinsetzungsbegehren reagiert worden ist. Anhaltspunkte für eine Übertragung der Fristennotierungen auf eine nicht kompetente Kanzleimitarbeiterin oder für eine unzureichende anwaltliche Kontrolle der Fristeneintragungen sind zudem nicht erkennbar.
5Die Beschwerde der Antragstellerin, über die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe zu befinden ist, ist auch begründet. Der Senat beurteilt bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur möglichen summarischen Prüfung die Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2011 und des prozessualen Begehrens der Antragstellerin anders als das Verwaltungsgericht. Zwar wird die Sichtweise der Antragsgegnerin in dem in Frage stehenden Bescheid und des Verwaltungsgerichts, dass die Überlassung von - später in der Apotheke oder bei anderen kooperierenden Partnern einlösbaren - Pinguintalern bei der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln einen Verstoß gegen das Gebot einheitlicher Apothekenabgabepreise für Arzneimittel bedeutet (§ 78 Abs. 2 Satz 2 AMG), vom Senat geteilt.
6Vgl. BGH, Urteile vom 9. September 2010 - I ZR 26/09, I ZR 98/08, I ZR 193/07 -, jeweils juris.
7Bei der Frage der Bewertung der konkreten Bonusleistungen und des Zusammenhangs der Bestimmungen zur arzneimittelrechtlichen Preisbindung mit denen des § 7 HWG schließt sich der Senat in der Sache aber vollumfänglich den Erwägungen und dem Entscheidungsergebnis des Nds. OVG,
8Beschluss vom 8. Juli 2011 – 13 ME 111/11 -, juris,
9an, wobei auf eine lediglich als bloße Wiederholung erscheinende erneute Darstellung der Erwägungen im Einzelnen verzichtet wird.
10Maßgebend ist insoweit, dass die Erwägung des Bundesgerichtshofs in den vorbezeichneten Entscheidungen von September 2010, es sei im Rahmen von Kundenbindungssystemen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG ("geringwertige Kleinigkeiten" als Werbegabe) eine sog. wettbewerbsrechtliche "Geringwertigkeitsgrenze" oder "Spürbarkeitsschwelle" relevant und derartige Zugaben seien zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil der Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer nicht geeignet, nicht hinreichend Beachtung gefunden hat. Dies lässt, wie das Nds. OVG in der genannten Entscheidung ausgeführt hat, jedenfalls für den Fall, dass die Spürbarkeitsschwelle nicht offenkundig und eindeutig überschritten ist, die Ermessensentscheidung nach §§ 69 Abs. 1, 78 Abs. 2 AMG gegen einen Apotheker wegen unzulässiger Werbegaben bei der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel einzuschreiten, bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erscheinen und macht auch die Ermessensentscheidung bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung der betreffenden Verfügung fehlerhaft.
11Nach den genannten BGH-Entscheidungen überschreitet eine Werbegabe von 0,50 Euro oder von einem Euro die für die Einschätzung als "geringwertige Kleinigkeiten" maßgebende Wertgrenze noch nicht.
12Vgl. BGH, Urteile vom 9. September 2010 - I ZR 98/08, I ZR 26/09 -.
13Die von der Antragstellerin ausgegebenen Pinguin-Taler halten sich in diesem Rahmen, weil nach dem Vorbringen der Beteiligten von einem Gegenwert von ca. 0,50 Euro und von der Gabe von 2 Talern pro auf einem Rezept aufgeführten Artikeln auszugehen ist. Dass danach bei einem Rezept mit mehreren bezeichneten Arzneimitteln eine größere Zahl von Talern ausgehändigt wird, führt nicht zur Überschreitung der Wertgrenze, weil die Zahl der Taler artikelbezogen ist und es vom Zufall abhängt, ob auf einem Rezept mehrere Arzneimittel aufgeführt oder mehrere Rezepte mit jeweils einem Artikel vorgelegt werden.
14Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2011 wurde mit der Notwendigkeit der Unterbindung der anhaltenden Verletzung der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente und der Verzerrung des Wettbewerbs zum Nachteil rechtstreuer Berufskollegen begründet. Wenn aber durch eine bestimmte Verhaltensweise, hier in Form der Aushändigung von in den Apotheken der Antragstellerin und bei anderen Stellen einlösbaren Talern, eine relevante Beeinträchtigung des Wettbewerbs und/oder der Interessen von Marktteilnehmern nicht zu befürchten ist, scheidet der Gedanke des Wettbewerbsschutzes als Grundlage für ordnungsrechtliche Anordnungen aus. Die Werbegaben in Form von Talern können bei sachgerechter Würdigung durch den verständigen Durchschnittsverbraucher auch nur als solche gewertet werden, wovon in der Praxis auch auszugehen ist. Sie können nicht dahin verstanden werden und werden angesichts der entsprechenden Informationen in den Medien auch nicht so verstanden, dass die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel aufgehoben ist und die Preise dafür zur freien Disposition stehen. Auch insoweit besteht daher keine Berechtigung für die Aufrechterhaltung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin.
15Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Kostenentscheidung nach § 155 Abs. 3 VwGO in Bezug auf den Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, weil dadurch zusätzliche Kosten nicht entstanden sind, nicht erforderlich.
16Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
17Dieser Beschluss ist unanfechtbar.