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Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt es darauf an, ob die dem Amt im jeweiligen Zeitpunkt bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen boten.
Die personenbezogene Beobachtung eines Unterstützers eines Personenzusammenschlusses, der Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bietet, setzt voraus, dass sich die Unterstützung auf die verfassungsfeindlichen Bestrebungen bezieht. Die Förderung einzelner verfassungskonformer Teilziele reicht nicht aus.
Bei der personenbezogenen Beobachtung von Mitgliedern oder Unterstützern von Personenzusammenschlüssen sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die durch die Beobachtung der betreffenden Person zu gewinnenden Erkenntnisse ins Verhältnis zur Bedeutung dieses Erkenntnisgewinns für die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Gruppierung zu setzen, der die Einzelperson zugeordnet wird.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. Februar 2011 verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G l i e d e r u n g
2T a t b e s t a n d 4
3E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e 28
4A. Klagebegehren 28
5B. Zulässigkeit 29
6C. Begründetheit 29
7I. Tatsächliche Entscheidungsgrundlagen 30
81. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Erkenntnislage 30
92. Schwärzungen der Personenakte 34
103. Frühere rechtliche Bewertungen der Beklagten 35
11II. Rechtsgrundlagen 35
121. Bundesverfassungsschutzgesetz 1950/1972 35
132. Bundesverfassungsschutzgesetz 1990 45
14III. Rechtmäßigkeit der Beobachtung des Klägers ´ 49
151. Zeitraum 1970 bis 1972 49
16a) Aktivitäten im bzw. für den des SHB 49
17aa) Maßgeblicher Zeitraum 50
18bb) Verfassungsfeindliche Bestrebungen des SHB 50
19(1) Verfassungsfeindlichkeit einer sozialistisch-kommunistischen
20Gesellschaftsordnung 51
21(2) Anhaltspunkte für entsprechende Bestrebungen des SHB 52
22cc) Verhältnismäßigkeit 59
23b) Aktivitäten als Einzelperson 60
242. Zeitraum 1973 bis 2008 60
25a) Mitgliedschaft in der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ 60
26aa) DDR-Kontakte des Redaktionsmitglieds P. 62
27bb) Titel und Verlag 63
28cc) Inhalte der Zeitschrift 63
29(1) Thematische Gesamtausrichtung 65
30(2) Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden 70
31(3) Darstellungsweise und Stil 72
32(4) Verharmlosung der Staatssicherheit der DDR 82
33(5) Gesamtschau 84
34b) Unterstützung der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ 85
35c) Unterstützung der DKP 86
36aa) Bestrebungen der DKP 87
37bb) Anhaltspunkte für die Unterstützung 88
38(1) Inhalte der vom Kläger veröffentlichten Artikel 88
39(2) DKP-nahe Veröffentlichungsmedien, Auftritte auf
40Veranstaltungen 105
41(3) Gesamtschau 106
42d) Unterstützung DKP-naher Organisationen 108
43e) Aktivitäten als Einzelperson 109
44f) Verhältnismäßigkeit 109
45S t r e i t w e r t b e s c h l u s s 115
46Tatbestand
47Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner langjährigen Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: BfV).
48Der Kläger ist Rechtsanwalt und Publizist sowie seit dem Jahr 2007 stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof C. . Das BfV erhob zwischen 1970 und 2008 personenbezogene Daten über ihn und speicherte diese in Form einer Personenakte.
49Nachdem die Zeitschrift „Geheim“, zu deren Redaktion der Kläger zum damaligen Zeitpunkt gehörte, im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1994 als „linksextremistisch“ eingestuft worden war, wandte er sich erstmals mit Schreiben vom 6. März 1996 an das BfV und beantragte Auskunft bezüglich der über ihn gespeicherten Daten. Er wies insoweit insbesondere auf seine Tätigkeit als rechtspolitischer Berater der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hin, für die er darauf angewiesen sei, auch in sog. sicherheitsrelevanten Bereichen tätig zu sein.
50Mit Bescheid vom 28. Mai 1996 teilte das BfV dem Kläger mit, dass es Daten zu seiner Person gespeichert habe, die seine Mitarbeit bei der Zeitschrift „Geheim“, seine Kontakte zu und die Zusammenarbeit mit linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Personenzusammenschlüssen sowie deren Presseerzeugnissen beträfen. So seien vom Kläger - neben den in „Geheim“ veröffentlichten Beiträgen - Aufsätze, Artikel, Reden und Interviews in Schriften der DKP-beeinflussten „Deutschen Friedensunion“ (1970 bis 1984, 1988), in Schriften des damals DKP-gesteuerten Pahl-Rugenstein-Verlags (1978 bis 1987), in der Zeitung „Arbeiterkampf“ des Kommunistischen Bundes (1987 bis 1992), in der „Sozialistischen Zeitung“ der Vereinigten Sozialistischen Partei (1987), in Publikationen der DKP (1993 und 1995) und in der Broschüre „Schwarz-Braun-Buch“ der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA, 1995) erschienen. Außerdem heiße es in der Ausgabe 18/1990 der Schrift „clockwork 129a“ des früheren RAF-Umfeldes, dass an den Inhalten der Zeitung u. a. der Kläger mitarbeite.
51Auf sein Schreiben vom 28. September 1996, mit dem der Kläger um weitere Auskunft zu den Personenzusammenschlüssen, mit denen er zusammengearbeitet haben solle, sowie darüber, ob auch Daten über seine Anwalts-, Vortrags- und parlamentarische Beratertätigkeit gespeichert worden seien, ersucht hatte, erhielt er mit weiterem Bescheid des BfV vom 26. November 1996 u. a. die Auskunft, bei den Personenzusammenschlüssen handele es sich um die DKP und Umfeldorganisationen (das Zentralorgan der DKP „Unsere Zeit“ [UZ] habe im Februar 1985 Autorenlesungen des Klägers in C1. angekündigt; im Juni 1994 habe der Kläger auf einer gemeinsamen Veranstaltung der VVN-BdA und der Stadtbibliothek C. eines seiner Bücher vorgestellt; am 12. Oktober 1994 sei der Kläger als Referent auf einer DKP-Veranstaltung in F. aufgetreten), die Rote Hilfe e. V. (der Kläger sei als Referent zu Veranstaltungen der Roten Hilfe im Oktober 1990 in L. , im April 1994 in C2. und im Oktober 1994 in F1. angekündigt worden; im September 1993 habe er als Referent an einer Veranstaltung in L. teilgenommen) und „militante Linksextremisten“ (für den 9. März 1995 sei der Kläger als Referent zu einer Unterstützungsveranstaltung für mutmaßliche Mitglieder der Autonomen Antifa in H. angekündigt worden, im April 1995 sei er Unterstützer eines Aufrufs für den Hafturlaub eines inhaftierten RAF-Mitgliedes gewesen, um diesem die Teilnahme an einer Veranstaltung des Antifaschistischen Komitees C. zu ermöglichen). Es seien im vorliegenden Zusammenhang keine Daten zur Person des Klägers über seine Anwalts- und parlamentarische Beratertätigkeit gespeichert worden.
52Mit weiteren Anträgen vom 20. August 1998 sowie vom 25. März 2000 ersuchte der Kläger erneut um Auskunft bezüglich der zwischenzeitlich erfassten Daten, woraufhin ihm das BfV mit Bescheiden vom 20. November 1998 und vom 5. Juni 2000 weitere Auskünfte erteilte.
53Auf erneuten Antrag des Klägers vom 1. April 2005 teilte das BfV ihm durch Bescheid vom 24. Juni 2005 mit, dass zwischenzeitlich weitere Daten zu seiner Person erfasst worden seien. Dabei handele es sich um zahlreiche - im Einzelnen benannte - Artikel und Interviews des Klägers in den (als linksextremistisch oder linksextremistisch beeinflusst eingestuften) Zeitschriften „Geheim“, „UZ“, „junge Welt“, „Marxistische Blätter“, „Neues Deutschland“, „Antifa“, „Özgür Genҫ-lik“ sowie vom Kläger mitunterzeichnete Aufrufe der VVN-BdA (Aufruf zur Unterstützung antirassistischen und antifaschistischen Engagements vor Ort), der Roten Hilfe (Aufruf „Die Archive öffnen!“), des Appells von Hannover e. V. sowie der Internationalen Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan“ (zur Streichung der PKK aus der EU-Liste terroristischer Organisationen). Außerdem habe der Kläger im März 2001 im Rahmen der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges an einer Tagung der Marx-Engels-Stiftung e. V. über „Karl Marx, Friedrich Engels und die politische Strafjustiz der Bundesrepublik Deutschland“, im Mai 2002 an einer Diskussionsveranstaltung der Peter-Imandt-Gesellschaft e. V. sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema „Wieviel innere Sicherheit verträgt unsere Demokratie“ teilgenommen. Ferner lägen vom Kläger verfasste bzw. ihn betreffende Artikel in sonstigen Publikationen (Die Woche, Frankfurter Rundschau, anti atom aktuell, Gegenwind) vor. Die Informationen seien in einer zur Person des Klägers geführten Akte erfasst. Es seien keinerlei Daten über die beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten auf nationaler und internationaler Ebene registriert.
54Gegen den Bescheid legte der Kläger unter dem 17. Juli 2005 Widerspruch ein. Angesichts seiner vielfältigen Aktivitäten und seiner Teilnahme an einer Vielzahl von Tagungen, die nicht gelistet seien, gehe er davon aus, dass die Auskunft nicht erschöpfend gewesen und ihm eine willkürliche Auswahl präsentiert worden sei. Außerdem bat der Kläger um Auskunft darüber, worin das BfV Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen in seinen Publikationen und sonstigen Aktivitäten sehe, weil dies Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Nachrichten sei.
55Mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2005 wurden dem Kläger weitere Auskünfte erteilt und sein Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen. Der Auskunftsanspruch sei erfüllt worden, soweit der Kläger auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt habe. Im Übrigen habe er Auskunft im Wege des Ermessens erhalten. Die weiteren zum Kläger gespeicherten Informationen seien geheimhaltungsbedürftig. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass das BfV keine Quelle gezielt gegen den Kläger einsetze.
56Bezüglich des Auskunftsanspruchs hat der Kläger am 21. Oktober 2005 Klage erhoben. Auf Aufforderung zur Aktenvorlage hat das Bundesministerium des Innern (BMI) Sperrerklärungen abgegeben. Einen vom Kläger gestellten Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO hat das Bundesverwaltungsgericht abgelehnt.
57Mit Schreiben vom 9. November 2006 hat der Kläger bei dem BfV die Sperrung der über ihn gespeicherten Daten beantragt. Keine einzige der mitgeteilten Informationen enthalte eine Aussage, die verfassungsfeindlichen bzw. linksextremistischen Inhalt aufweise. Mit Bescheid vom 9. Februar 2007 hat das BfV diesen Antrag abgelehnt. Die betreffenden Daten seien zulässigerweise gespeichert worden und für die Aufgabenerfüllung weiterhin erforderlich. Der Behörde lägen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger linksextremistische Bestrebungen bestimmter Personenzusammenschlüsse nachdrücklich unterstütze. In diesem Zusammenhang komme es nicht darauf an, ob die in den diversen Publikationen enthaltenen Aussagen des Klägers einen linksextremistischen Inhalt aufwiesen. Entscheidend sei vielmehr, dass er den betreffenden Organisationen und Gruppierungen in erheblichem Umfang unentbehrliche Agitations- und Propagandadienste leiste. Gegen die Ablehnung der Datensperrung hat der Kläger mit Schreiben vom 27. Februar 2007 Widerspruch eingelegt und zugleich seine anhängige Klage in Bezug auf ein Löschungsbegehren erweitert. Daraufhin hat das BfV durch Bescheid vom 22. Mai 2007 auch das Löschungsbegehren des Klägers abgelehnt. Auch dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 2007 Widerspruch eingelegt, den das BfV mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2007 zurückgewiesen hat. Jede einzelne zum Kläger erfasste Information sei zulässigerweise gespeichert worden und für die Aufgabenerfüllung weiterhin erforderlich.
58Mit Schriftsatz vom 19. September 2007 hat der Kläger den Widerspruchsbescheid zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht. Er hat ferner mit Schreiben vom 25. Februar 2008 u. a. mitgeteilt, am 17. Oktober 2007 zum stellvertretenden Mitglied des Staatsgerichtshofs C. gewählt worden zu sein. Daraufhin hat das BfV unter dem 16. Juni 2008 mitgeteilt, die Beobachtung des Klägers stehe nicht in Widerspruch zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Unabhängigkeit der Richter. Seine diesbezügliche Wahl habe auch keine Auswirkungen auf sein Löschungsbegehren. Der Kläger unterstütze durch sein Gesamtverhalten, insbesondere durch seine umfangreiche Tätigkeit für linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Publikationen, nachdrücklich Personenzusammenschlüsse, die sich ausdrücklich von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes distanzierten. Dabei agiere er ganz bewusst nicht als Mitglied einer offen extremistischen Partei oder Organisation, weil er auf diese Weise seine Glaubwürdigkeit nach außen als vermeintlich unabhängiger Experte zu wahren versuche. Tatsächlich aber leiste er linksextremistischen Organisationen wie der Roten Hilfe, die sich mit der RAF solidarisiere, oder der von DKP-Altkadern gegründeten Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges ebenso wie linksextremistisch beeinflussten Organisationen, etwa der VVN-BdA, nicht nur unerhebliche publizistische Unterstützung, sondern insbesondere auch konkrete Hilfestellung, indem er sein Fachwissen als Jurist bzw. Rechtsanwalt zur Verfügung und damit bewusst in den Dienst außerhalb der Verfassung stehender Personenzusammenschlüsse stelle.
59Bereits mit Beschluss vom 31. März 2008 hatte das Verwaltungsgericht das Verfahren abgetrennt, soweit es das Auskunfts- und das Sperrungsbegehren zwecks Sicherung der Rechtmäßigkeitsüberprüfung betraf. Unter dem hiesigen Aktenzeichen wurde das Löschungsbegehren geführt.
60Mit Schriftsatz vom 13. November 2008 hat das BfV mitgeteilt, dass die Beobachtung des Klägers nach aktuell erfolgter Prüfung durch das BMI und das BfV eingestellt worden sei und die zum Kläger erfassten Daten ab sofort gesperrt würden.
61Der Kläger hat daraufhin sein Klagebegehren dahingehend umgestellt, dass er die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Beobachtung begehre.
62Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2008 hat das BfV zu den Gründen für die Beendigung der Beobachtung des Klägers erklärt, dass dieser zehn Jahre zuvor seine Arbeit als Redakteur bei dem linksextremistischen Geheimdienstblatt „Geheim“ eingestellt habe und dies im Hinblick auf die 10 Jahres-Frist im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) Anlass gewesen sei, den Sachverhalt neu zu bewerten. Aufgrund von Informationen, die wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht offengelegt werden könnten, habe sich ergeben, dass der Kläger die linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppen nicht mehr in der früheren Intensität unterstütze. Ferner habe sich die Sicherheitslage in der Weise geändert, dass der fragliche Bereich als nicht mehr so problematisch eingestuft und die Kapazitäten des BfV in anderen Bereichen eingesetzt würden.
63Nach der mündlichen Verhandlung hat das BfV die Begründung für die Beobachtung des Klägers in wesentlichen Teilen erstmals dargelegt bzw. erheblich ergänzt. Über ihn würden Daten erhoben, weil er Mitglied in Vereinigungen gewesen sei, die Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen böten, nämlich ab 1970 im Sozialdemokratischen/Sozialistischen Hochschulbund (SHB) sowie von 1986 bis 1999 in der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“, deren Name in bewusster Anlehnung an das SED-propagandistische Buch „Nicht länger geheim“ von Julius Mader gewählt worden sei. Zu diesem habe ein weiteres Redaktionsmitglied, N1. P. , Kontakt gehabt. Die Zeitschrift habe der Kläger nach dem Ausscheiden aus der Redaktion durch seine weitere Mitarbeit zudem nachdrücklich unterstützt. Eine nachdrückliche Unterstützung liege außerdem in Bezug auf die DKP und von ihr beeinflusste Organisationen vor.
64Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, seine Beobachtung durch das BfV sei über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum - also von 1970 bis 2008 - rechtswidrig gewesen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Es habe sich um eine unzulässige Dauerbeobachtung gehandelt. Die Beklagte habe die Vorwürfe gegen den Kläger im Laufe des Verfahrens stufenweise gesteigert. Zunächst habe man ihm berufliche Kontakte zu linksextremistischen Personenzusammenschlüssen zur Last gelegt, ihm aber keine eigenen verfassungsfeindlichen Ziele unterstellt. Sodann habe das BfV aus diesen Kontakten eine nachhaltige Unterstützung extremistischer Personengruppen gefolgert. Danach sei ihm die Mitgliedschaft in linksextremistischen Personenzusammenschlüssen, nämlich in der Redaktion von „Geheim“ und im SHB, zur Last gelegt worden. Schließlich habe die Beklagte auch die Inhalte der Veröffentlichungen des Klägers einem Extremismusverdacht ausgesetzt. Letzteres sei erstmals im Schriftsatz der Beklagten vom 29. September 2009 vorgetragen worden. Dies stelle ein Nachschieben von Gründen dar, das unzulässig sei, weil maßgeblich eine ex-ante-Betrachtung sein müsse. Nach den eindeutigen Aussagen der Beklagten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren hätten die Inhalte seiner Publikationen zu den jeweiligen Erfassungszeiten gerade keine Rolle gespielt. Im Übrigen böten die Äußerungen des Klägers aber auch ihrem Inhalt nach keine tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Bei der diesbezüglichen Einschätzung müsse berücksichtigt werden, dass auch Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen erlaubt sei.
65Soweit das BfV als Anlass der Beobachtung herangezogen habe, dass der Kläger seit 1970 Mitglied des SHB gewesen sei, sei dies bereits falsch. Der Kläger sei im Februar 1971 als Nichtmitglied in den Vorstand des SHB G. gewählt worden. Bereits im April 1971 sei er von dem Vorstandsposten wegen inhaltlicher Differenzen wieder zurückgetreten. Der Kläger habe ferner als unabhängiger Kandidat auf der Liste des SHB kandidiert und sei von ihm als AStA-Presse-Politik-Referent sowie als Chefredakteur der Studentenzeitung G. nominiert worden. In beide Funktionen habe ihn der Studentenrat der Universität G. gewählt. Ob beim SHB in der fraglichen Zeit verfassungsfeindliche Bestrebungen vorgelegen hätten, sei fraglich. Soweit das BfV beim SHB Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen u. a. damit begründe, dass in dessen Grundsatzprogramm von 1972 von „sozialistischer Umgestaltung der Gesellschaftsordnung“ die Rede sei, so sei darauf hinzuweisen, dass sozialistische Tendenzen und Bestrebungen nicht per se als verfassungsfeindlich eingestuft werden könnten. Im Übrigen seien eventuell vorhandene vage Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des SHB als Anlass für die Beobachtung des Klägers spätestens im Jahr 1972 weggefallen, als er sämtliche studentischen Ämter niedergelegt habe. In der Folgezeit bis 1986 seien nur wenige Artikel des Klägers in als linksextremistisch eingestuften Publikationen erschienen und es hätten auch nur einzelne Veranstaltungen mit dem Kläger stattgefunden, die zumeist nur unter vielen anderen auch von linksextremistischen Organisationen mitgetragen worden seien.
66Was die Zeit der Mitgliedschaft des Klägers in der Redaktion von „Geheim“ angehe, so sei eine Einstufung der Zeitschrift als linksextremistisch beeinflusst nicht gerechtfertigt. Dies zeige u. a. bereits die Vielfalt der Autoren, die für das Magazin Beiträge verfasst hätten. Der Name der Zeitschrift habe nichts mit dem Buch „Nicht länger geheim“ von Julius Mader zu tun. Der Kontakt des Redaktionsmitglieds P. zu Mader und dessen angebliche Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) seien dem Kläger nicht bekannt gewesen. Die Sparte „Naming Names“, also die Enttarnung von Geheimagenten, sei als Tradition aus den USA übernommen worden und gehe ebenfalls nicht auf Mader zurück. Was die inhaltliche Ausrichtung von „Geheim“ betreffe, so seien dort eine Vielzahl von Sichtweisen und Auffassungen veröffentlicht worden. Das thematische Schwergewicht habe auf bundesdeutschen bzw. westlichen Geheimdiensten gelegen. Die Nichtthematisierung von DDR-Sicherheitsorganen habe ihren Grund vor allem darin gehabt, dass die Quellenlage eine intensive Beschäftigung damit nicht habe sinnvoll erscheinen lassen und zum anderen gerade die Widersprüchlichkeit von intransparenten und schwer kontrollierbaren Geheimorganen in einer Demokratie den Interessenschwerpunkt dargestellt habe. Nach dem Jahr 1990 habe der Kläger sich durchaus kritisch mit dem MfS auseinandergesetzt und sei schon frühzeitig an der diesbezüglichen Aufarbeitung beteiligt gewesen.
67Auch die Forderung nach einer geheimdienstfreien Gesellschaft sei nicht verfassungsfeindlich. Im Übrigen könne nicht die Rede davon sein, dass der Kläger nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion vermeintliche verfassungsfeindliche Bestrebungen der Zeitschrift gefördert habe.
68Schließlich sei nicht zutreffend, dass der Kläger über viele Jahre die DKP und DKP-beeinflusste linksextremistische Personenzusammenschlüsse nachdrücklich unterstützt und damit „für diese gehandelt“ habe. Zum einen sei die Anzahl der Kontakte bzw. Veröffentlichungen bezogen auf den zugrundeliegenden Zeitraum schon nicht geeignet, eine solche Schlussfolgerung zu ziehen. Zum anderen seien die betreffenden Beiträge des Klägers zu den Themenschwerpunkten KPD-Verbot, sog. Berufsverbote und Auflösung der Verfassungsschutzbehörden verfassungskonform gewesen, weshalb er damit keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen der DKP oder anderer Organisationen habe unterstützen können. Soweit in Einzelfällen zur Begründung einer bestimmten - verfassungsfeind-lichen - Interpretation einiger Äußerungen u. a. auf den Leserkreis und dessen ideologische Ausrichtung abgestellt werde, lasse die Beklagte außer Betracht, dass die Artikel des Klägers in aller Regel mehrfach in verschiedenen Publikationen erschienen seien und deshalb eine solche Anknüpfung verfehlt sei. In Bezug auf die weitgehenden Schwärzungen in der Personenakte des Klägers müsse gelten, dass das Risiko einer unvollständigen Auskunftserteilung ausschließlich die Beklagte trage.
69Der Kläger hat beantragt,
70festzustellen, dass die Beobachtung des Klägers bis zum 13. November 2008 einschließlich der während dieses Zeitraums erfolgten Erhebung und Speicherung von Daten zu seiner Person rechtswidrig gewesen ist.
71Die Beklagte hat beantragt,
72die Klage abzuweisen.
73Zur Begründung hat sie ausgeführt: Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 (BGBl. I S. 682; im Folgenden: BVerfSchG 1950), das hinsichtlich der Beobachtung des Klägers im Zeitraum von 1970 bis zum 29. Dezember 1990 zugrunde zu legen sei, habe die Befugnis zu Rechtseingriffen eingeschlossen. Die Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung und Speicherung sei aus dem gesetzlichen Sammlungsauftrag des § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950 gefolgt. Dieser habe sich nicht lediglich auf Organisationen bezogen, sondern auch auf die in diesen oder für diese tätigen Einzelpersonen. Ab dem 30. Dezember 1990 beurteile sich die Rechtmäßigkeit der Beobachtung des Klägers nach den Regelungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954; im Folgenden: BVerfSchG 1990). Danach komme die personenbezogene Datenerhebung zum einen unter dem Aspekt in Betracht, dass konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in Bezug auf die betreffende Person vorlägen, zum anderen sei eine solche Datenerhebung darüber hinaus dann zulässig, wenn dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses erforderlich sei (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG). Der Kläger habe beobachtet werden dürfen, weil er Mitglied in linksextremistischen bzw. Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen bietenden Personenzusammenschlüssen gewesen sei. Dies betreffe ab 1970 den SHB sowie in den Jahren 1986 bis 1999 die Redaktion der Zeitschrift „Geheim“. Nach dem Ausscheiden des Klägers aus der Redaktion habe er das Magazin als ständiger Autor nachdrücklich unterstützt. Darüber hinaus hätten für den gesamten relevanten Zeitraum tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Kläger die DKP und DKP-beeinflusste Personenzusammenschlüsse (VVN-BdA, Deutsche Friedensunion, Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges) in deren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt habe. Er habe die ihm durch seine umfangreiche publizistische Tätigkeit zukommende Multiplikatorenfunktion durchgängig zur Förderung zentraler Anliegen der DKP, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge, genutzt. Er habe insbesondere gegen das KPD-Verbot und sog. Berufsverbote agitiert sowie die Auflösung der Verfassungsschutzbehörden gefordert. Diese Zusammenarbeit sei auch von einer grundsätzlichen politischen Übereinstimmung des Klägers mit den Vorstellungen der DKP im Sinne des Anstrebens einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung getragen gewesen.
74Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben. Bei der gerichtlichen Überprüfung, ob Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorgelegen hätten, sei von den Anknüpfungspunkten auszugehen, die das BfV als relevant für sein Tätigwerden angesehen habe. Die Rechtfertigung für eine Beobachtung könne also nicht nachträglich aus Erkenntnissen oder Unterlagen abgeleitet werden, die seinerzeit nicht zur Verfügung gestanden hätten. Ferner könnten bei der rechtlichen Bewertung nur die „offenen“ Unterlagen der in weiten Teilen geschwärzten Personenakte zugrunde gelegt werden. Gemessen daran sei die Beobachtung des Klägers über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum rechtswidrig gewesen.
75Der Senat hat durch Beschluss vom 24. Oktober 2015 die Berufung zugelassen. Zu deren Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor:
76Das Verwaltungsgericht verkenne, dass eine einzelne Person nicht nur dann Objekt einer Beobachtung durch das BfV sein könne, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG 1990 vorlägen. Aus § 4 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG ergebe sich, dass die Anlage einer Personenakte auch dann in Betracht komme, wenn jemand in einem oder für einen Personenzusammenschluss tätig sei. Vorliegend sei es auch um die Aufklärung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen des Klägers selbst und nicht lediglich der Bestrebungen der Personenzusammenschlüsse gegangen, in denen er Mitglied gewesen sei oder die er nachdrücklich unterstützt habe. Es sei ferner eine unzulässige Beschränkung der Beweisführung vorgenommen worden, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, dass eine Beobachtung nicht nachträglich mit Erkenntnissen oder Unterlagen gerechtfertigt werden könne, die seinerzeit nicht zur Verfügung gestanden hätten. Eine solche Beschränkung sei den gesetzlichen Vorgaben nicht zu entnehmen, vielmehr impliziere die Voraussetzung des „Vorliegens“ tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen eine rein objektive Betrachtungsweise. Auch ansonsten werde im Verwaltungsrecht die Rechtmäßigkeit von staatlichen Maßnahmen rein objektiv beurteilt. Das Nachschieben von Gründen sei bis zur Grenze der Wesensveränderung eines Verwaltungsaktes zulässig. Die Prämisse des Verwaltungsgerichts führe auch in Bezug auf den Schutzzweck der Verfassungsschutzgesetze zu unhaltbaren Folgen; das BfV werde durch die bewusste Ausklammerung später gewonnener Erkenntnisse ins Unrecht gesetzt. Dies gelte umso mehr im Hinblick auf Anhaltspunkte, die sich aus für jedermann frei zugänglichen Quellen wie etwa Büchern oder Zeitschriften ergäben.
77Der gerichtliche Kontrollmaßstab beschränke sich hinsichtlich des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen auf die Feststellung, ob die vorliegenden Tatsachen bei vernünftiger Betrachtung auf solche Bestrebungen hindeuteten und deshalb eine weitere Aufklärung erforderlich erscheine. Nur wenn es bei vernünftiger Betrachtung ausgeschlossen sei, eine bestimmte Tatsache als Hinweis auf verfassungsfeindliche Bestrebungen anzusehen, scheide sie als Anhaltspunkt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990 aus. Das Verwaltungsgericht habe diese Beschränkung des gerichtlichen Prüfprogramms mehrfach überschritten.
78Der Kläger habe sich im gesamten Zeitraum seiner Beobachtung in und für Personenzusammenschlüsse betätigt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet gewesen seien. Diese Betätigung sei von einer damit korrespondierenden Überzeugung getragen gewesen, so dass dahinstehen könne, ob und inwieweit sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Einschränkungen hinsichtlich der Beobachtung von Einzelpersonen ohne entsprechende subjektive Zielsetzung ergeben könnten.
79Für die Zeit von 1970 bis 1972, als der Kläger aktives Mitglied des SHB an der Universität G. gewesen sei, hätten sich bereits tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben. Solche seien zunächst in dem Beschluss der 11. Bundesdelegiertenversammlung vom November 1970 zur „Aktionseinheit von Sozialdemokraten und Kommunisten“ zu sehen. Diesem Beschluss sei der SHB G. auch gefolgt. So habe der SHB G. gemeinsam mit „Spartakus“ - einer DKP-nahen Studentenorganisation - im Dezember 1970 ein „teach-in“ veranstaltet. Ein weiterer Beleg für die vom SHB G. gepflegte Aktionseinheit mit Kommunisten sei der Sammelband „Aktuelle Materialien zur Klassenanalyse hochentwickelter Gesellschaften“, den er mitherausgegeben habe. Das vom Kläger verfasste Vorwort als auch die enthaltenen Beiträge zeigten eine klare sozialistisch-kommunistische Ausrichtung. Zudem sei der Sammelband vom SHB als Zusatzliteratur für den Arbeitskreis „Politische Ökonomie“ verwendet worden. Der Sammelband müsse in jedem Fall als Beweismittel für die Ausrichtung des SHB G. Berücksichtigung finden, auch wenn er nicht in der Personenakte des Klägers enthalten sei, weil er unmittelbar nicht diesen, sondern den SHB betreffe. Schließlich lasse sich anführen, dass der Kläger - parallel zu seinen Aktivitäten im und für den SHB G. - als Mitverantwortlicher des „Initiativausschusses G. Studenten“ gezielt Kontakte zu SED-Funktionären als Referenten für studentische Arbeitskreise gesucht und gefördert habe. Da der Kläger Mitglied des Vorstandes des SHB G. gewesen sei, für diesen herausgehobene Ämter in der studentischen Selbstverwaltung der Universität wahrgenommen habe und sowohl dozierend als auch publizierend für diesen tätig gewesen sei, scheide seine Beobachtung auch nicht unter Verhältnismäßigkeitsaspekten aus. Soweit das Verwaltungsgericht im Übrigen annehme, dass selbst bei Anlass einer ersten Prüfung in Bezug auf den Kläger nicht die dauerhafte Anlage einer Personenakte gerechtfertigt gewesen sei, so stehe dies im Widerspruch zum Urteilstenor, wonach die Beobachtung über den gesamten Zeitraum rechtswidrig gewesen sei.
80Auch die Zeitschrift „Geheim“ (von 1989 bis 1999 unter dem Namen „Nicht länger geheim“), deren Redaktion der Kläger zwischen 1986 und 1999 angehört habe, habe tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete linksextremistische Bestrebungen geboten. Dies ergebe sich aus der bewussten Anlehnung an das SED-propagandistische Buch „Nicht länger geheim“ von Julius Mader, der entsprechenden politischen Verortung auch der anderen Redaktionsmitglieder sowie dem GNN-Verlag als Veröffentlichungsmedium und der inhaltlichen Ausrichtung der Zeitschrift. Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Zeitschrift müssten sich in erster Linie aus ihrer inhaltlichen Ausrichtung ergeben, stelle dies eine unzulässige Verengung dar. Für die Auslegung und Würdigung der veröffentlichten Beiträge der Redaktionsmitglieder selbst wie auch der von diesen ausgewählten Artikel spiele - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - auch die politische Grundeinstellung der Redakteure eine Rolle. P. als treibende Kraft der Zeitschrift „Geheim“ sei nicht nur DKP-Mitglied gewesen, sondern habe im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld der Gründung des Magazins im Austausch mit dem MfS-Offizier Mader gestanden. Dessen Interesse sei ersichtlich dahin gegangen, das Anliegen seines Machwerks „Nicht länger geheim“ mittels einer in der Bundesrepublik erscheinenden Zeitschrift effektiver verfolgen zu können. Das MfS habe 1987 oder 1988 Kontakt zu P. aufgenommen, um diesen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, insbesondere mit dem Ziel, die Zeitschrift für vom MfS gesteuerte Veröffentlichungen zwecks Diskreditierung westlicher Geheimdienste nutzen zu können. P. habe sich darauf eingelassen und für seine Dienste auch Geld erhalten. Vor diesem Hintergrund böten sowohl die geheimdienstliche Agententätigkeit des P. als auch die politischen Einstellungen des weiteren Redakteurs S. zumindest Anhaltspunkte dafür, dass die Redaktionsmitglieder darauf geachtet hätten, keine Beiträge zu veröffentlichen, die den Zielen der DDR und des MfS sowie der DKP zuwiderliefen. Durch die in dem Magazin geäußerte Kritik habe letztlich die wehrhafte Demokratie unterminiert und dadurch die Errichtung eines sozialistischen oder kommunistischen Systems ermöglicht werden sollen. So habe etwa der Kläger der Bundesrepublik immer wieder in diffamierender Weise die Schaffung gesetzlichen Unrechts vorgeworfen, um auf diese Weise bei dem Leser den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen Unrechtsstaat. Auch die vom Kläger in Beiträgen vorgenommene Gleichsetzung der Staatssicherheit der DDR mit dem Verfassungsschutz sei eine völlig unausgewogene und verzerrende Darstellung, mit der das Ziel einer zur Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden führenden Diffamierung verfolgt worden sei. Diffamierend sei auch der Vorwurf des Klägers, die gesetzliche Einführung neuer Eingriffsbefugnisse für die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität machten diese zur „Gegen-Mafia“. Die in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgericht aufgestellte These, die Existenz der Verfassungsschutzbehörden in ihrer konkreten Form stelle kein Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar und eine grundlegende Kritik an den Verfassungsschutzbehörden sowie die Forderung nach ihrer Abschaffung in der vorhandenen Form beinhalteten nicht die Abschaffung der Verfassung, greife zu kurz. Der Kläger lehne die Existenz der Verfassungsschutzbehörden nicht nur „in ihrer konkreten Form“, sondern per se ab. Der Verfassungsschutz werde zwar nicht in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 genannt, sei aber in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 b) und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich verankert. Wer den Verfassungsschutz abschaffen wolle, beraube die Verfassung eines ihrer Schutzinstrumente. Es möge sein, dass die Forderung nach Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden nicht zwangsläufig zum Zwecke der Schwächung der wehrhaften Demokratie erhoben werde. Eine solche Sichtweise gehe jedoch im vorliegenden Fall an den konkreten Umständen vorbei. Die Forderung nach Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden stelle eine zentrale Forderung der DKP und des dieser ideologisch nahestehenden Klägers dar. Es lägen zahlreiche Äußerungen des Klägers vor, aus denen sich eine klare Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergebe. Außerdem seien in Veröffentlichungen des Klägers auch immer wieder diffamierende Angriffe gegen die Organe der Bundesrepublik, namentlich das Parlament, die Regierung und das Bundesverfassungsgericht, festzustellen.
81Auch die Verharmlosung der Staatssicherheit der DDR stelle einen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar. Der Kläger rechtfertige zwar deren Verbrechen nicht, bediene sich aber gängiger Verharmlosungsmuster mit dem Ziel, die Tätigkeit des MfS als historisch bedingte Reaktionen auf äußere Umstände und Anfeindungen erscheinen zu lassen. Der Kläger versuche, die Aufarbeitung des DDR-Unrechtssystems auf „geschichtliche Wechselwirkungen“ und „sozio-ökonomische und psycho-soziale Strukturen und Mechanismen“ einzuengen.
82Nach dem Ausscheiden des Klägers aus der Redaktion von „Geheim“ habe er die Zeitschrift bis ins Jahr 2006 als ständiger Autor mit zahlreichen Beiträgen in deren verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt. Für die Redaktion lägen auch für den Zeitraum nach dem Ausscheiden des Klägers tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen vor.
83Die Beobachtung des Klägers sei schließlich auch deshalb rechtmäßig gewesen, weil für den gesamten relevanten Zeitraum tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass er die verfassungsfeindliche DKP sowie DKP-beeinflusste Organisationen in deren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt und damit „für diese gehandelt“ habe. Die DKP sei seit ihrer Gründung im Jahr 1968 ein gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Personenzusammenschluss. Die Verfassungswidrigkeit betreffe die Partei insgesamt, nicht lediglich einzelne Gruppierungen oder Strömungen. Eine nachdrückliche Unterstützung der DKP sei deshalb notwendig ebenfalls gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Dasselbe gelte für mehrere DKP-gesteuerte Organisationen, die der Kläger ebenfalls nachdrücklich unterstützt habe, namentlich die VVN-BdA, die DFU und die Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges. Bei der VVN-BdA handele es sich um eine Vorfeld-Organisation der DKP, in der die DKP stets beherrschenden Einfluss gehabt habe. Die DFU sei eine SED/KPD/DKP-gesteuerte und SED-finanzierte „Volksfront“-Organisation gewesen. Die Initiativgruppe werde von DKP- und früheren KPD-Funktionären getragen und setze sich für eine Aufhebung des KPD-Verbots und die Rückgabe von KPD-Vermögen ein. Selbst wenn man im Übrigen annähme, dass es in den zuletzt genannten Personenzusammenschlüssen auch nicht verfassungsfeindliche Strömungen gegeben habe, habe das BfV die diesbezügliche Betätigung des Klägers beobachten dürfen, weil er die DKP in ihren Bestrebungen sowie gerade die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der DKP-gesteuerten und -beeinflussten Organisationen unterstützt und deshalb auch in seiner Person entsprechende Anhaltspunkte geboten habe.
84Im Übrigen sei es für die Zulässigkeit der Beobachtung nicht entscheidend, ob der Kläger das wesentliche Ziel der DKP - die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung - teile. Selbst wenn dies nicht der Fall sei, sei die Beobachtung nicht als unverhältnismäßig einzuordnen. Der Tatbestand der nachdrücklichen Unterstützung eines verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlusses sei ein rein objektiver. Das Bundesverfassungsschutzgesetz knüpfe die Beobachtung über die bloße Mitgliedschaft bzw. nachdrückliche Unterstützung hinaus nicht an weitere subjektive oder objektive Voraussetzungen. Es sei für Bestrebungen im Sinne des § 4 Abs. 1 BVerfSchG 1990 ausreichend, dass das Verhalten der betreffenden Person objektiv geeignet sei, ein Schutzgut des Gesetzes zu beschädigen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine subjektive Zielgleichheit vorauszusetzen, dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, dass das etwaige Fehlen einer subjektiven Übereinstimmung zur Unverhältnismäßigkeit einer Beobachtung führe. Eine Abweichung von dieser objektiven Betrachtungsweise sei auch nicht durch die neueste bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung indiziert. Im Übrigen verfolge der Kläger aber auch subjektiv verfassungsfeindliche Ziele, nämlich - wie die DKP - die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Er habe in einer Vielzahl von Äußerungen wesentliche gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzungen der DKP unterstützt, und zwar in nachdrücklicher Weise sowohl publizistisch als auch als Unterzeichner entsprechender Aufrufe sowie durch eine umfangreiche Vortrags- und Referententätigkeit. Diese Unterstützung habe auf einer grundsätzlichen ideologischen Übereinstimmung im Sinne des Anstrebens einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung beruht. Der Kläger habe die Bundesrepublik als auch gegenüber dem Kommunismus wehrhafte Demokratie diffamiert. Insbesondere habe er das KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts als politisch motiviertes Unrecht verunglimpft, die gegen linksextremistische Bestrebungen und Gewalttaten gerichtete Arbeit der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden - insbesondere im Zusammenhang mit dem Straftatbestand des § 129a StGB - diskreditiert und das staatliche Gewaltmonopol bei der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen abgelehnt, um mittels gesellschaftlicher, auch gewalttätiger Maßnahmen dann zwar rechtsextremistische, nicht aber linksextremistische Bestrebungen bekämpfen zu können. Er habe darüber hinaus das Unrecht des SED-Regimes in der DDR, die Menschenrechtsverletzungen der Staatssicherheit sowie den Linksterrorismus verharmlost. Die Vorwürfe des Klägers gegen das KPD-Verbot und dessen Einordnung als politisch motiviertes systematisches Unrecht müssten vor den zeitgeschichtlichen Hintergründen des Verbots gesehen werden. Bereits fortwährende polemische Angriffe gegen Institutionen und Repräsentanten der freiheitlichen Demokratie könnten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellen. Im Übrigen seien die den Linksterrorismus verharmlosenden und diesen gar als moralisch hochstehend darstellenden Aussagen des Klägers schon für sich genommen von einem solchen Gewicht, dass seine Beobachtung in keinem Falle unverhältnismäßig sei. Der Kläger sehe die Bundesrepublik - wie sich insbesondere aus seinen Äußerungen zur fehlenden Überwindung des Faschismus ergebe - letztlich als nationalsozialistisch geprägt an.
85Das Verwaltungsgericht habe im angefochtenen Urteil unzutreffende Entscheidungsmaßstäbe angelegt, wenn es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert habe, dass es zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung gerade der Beobachtung der betreffenden Einzelperson bedürfen müsse. Richtigerweise müsse geprüft werden, ob die Vorteile, die die Erhebung von Informationen über eine konkrete Person zwecks Aufklärung von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit für die wirksame Abwehr von Gefahren für diese biete, die etwaigen Nachteile für den Betroffenen überwögen. Auch überzeuge es nicht, wenn das Verwaltungsgericht auf Verhältnismäßigkeitsebene die Intensität der Kontakte des Klägers zu den verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlüssen als zu gering eingestuft habe. Es sei nicht erforderlich, dass man sich „wie ein Mitglied“ betätige. Darüber hinaus seien die Kontakte des Klägers aber auch wesentlich intensiver gewesen, als vom Verwaltungsgericht erkannt. Es sei insoweit verfehlt, die einzelnen Unterstützungshandlungen (Publikationen, Aufrufe und Vorträge) isoliert zu betrachten, weil gerade eine Gesamtbetrachtung erforderlich sei. Es sei ferner irrelevant, ob die Unterstützung der DKP einen erheblichen Teil der publizistischen Betätigung des Klägers ausmache. Es komme auf die Unterstützungsrelevanz aus Sicht der Organisation an und nicht auf den Umfang, den diese Unterstützungstätigkeit innerhalb der beruflichen oder privaten Lebensführung des Unterstützers einnehme. Das Gewicht der Unterstützung werde etwa dadurch deutlich, dass der Vorsitzende der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges, L1. T. , den Kläger einen „Freund“ genannt habe, der mit seiner einschlägigen Buchveröffentlichung „sehr nützlich“ gewesen sei.
86Die Übereinstimmung des Klägers mit den Auffassungen der DKP sei in den von ihm bearbeiteten Themenkreisen durchgängig. Es sei ferner irrelevant, ob die von der Beklagten als Belege herangezogenen Äußerungen die Mehrzahl oder nur einen Bruchteil aller Äußerungen des Klägers ausmachten. Die Aussagekraft von Tatsachen als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiere, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen ließen. Es komme mithin auf eine qualitative, nicht eine quantitative Betrachtung an. Zur Widerlegung vorliegender Anhaltspunkte sei es erforderlich, dass sich der Betreffende von den einschlägigen Äußerungen distanziere. Dafür, dass der Kläger die von linksextremistischen Parteien und Organisationen propagierte Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zurückgewiesen hätte, sei aber nichts ersichtlich. Insbesondere die Forderung des Klägers nach strikter Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben könne nicht als Beleg für eine Bejahung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gewertet werden. Gerade von kommunistischer Seite würden vielfach Bekundungen zu Demokratie und Menschenrechten erhoben, die aber im kommunistischen Sinne zu verstehen seien und deshalb ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht glaubhaft vermitteln könnten. Es reiche auch nicht, dass der Kläger die Tätigkeit der Staatssicherheit der DDR nicht billige.
87Soweit die letzte offene Unterlage in der Personenakte des Klägers von Ende 2006 stamme, folge daraus nicht die Unzulässigkeit der Beobachtung in den darauf folgenden zwei Jahren bis zur Beendigung im Jahr 2008. Eine rechtmäßige Beobachtung dürfe fortgesetzt werden, bis endgültig keine Anhaltspunkte mehr bestünden, was etwa dann der Fall sei, wenn über einen längeren Zeitraum keine weiteren Anhaltspunkte mehr angefallen und solche auch nicht mehr zu erwarten seien. Dafür sei ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren anzusetzen.
88Nicht überzeugend sei schließlich die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Sammlung von Daten zur Person des Klägers sei als schwerwiegender Eingriff zu bewerten, da gerade ein Journalist sich möglicherweise bei der Abfassung von Artikeln veranlasst sehe, bestimmte Signalwörter zu vermeiden oder Kritik nicht so drastisch zu formulieren. Der Kläger habe in diesem Zusammenhang zwar von der „Schere im Kopf“ gesprochen, dies jedoch in keiner Weise substantiiert. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz beziehe sich nicht auf „Kritik“, sondern auf tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen. Sofern das Bewusstsein einer solchen Beobachtung dazu führe, keine Position zu vertreten, die solche Anhaltspunkte biete, sei dies in der Institution des Verfassungsschutzes angelegt und kein Gesichtspunkt, der zur Unzulässigkeit der Beobachtung führen könne.
89Die Beklagte beantragt,
90das am 3. Februar 2011 verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zu ändern und die Klage abzuweisen.
91Der Kläger beantragt,
92die Berufung zurückzuweisen.
93Er verteidigt das angefochtene Urteil und nimmt Bezug auf die erstinstanzlichen Ausführungen. Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Maßstäbe seien zutreffend und sachgerecht, insbesondere unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Tätigkeit des Klägers und der Eingriffsintensität, die mit der Anlage einer Personenakte verbunden sei.
94Es sei auch keine unzulässige Beschränkung der Beweisführung vorgenommen worden. Die mit über 2.000 Seiten umfängliche Personenakte bestehe fast ausschließlich aus vom Kläger verfassten Publikationen, Interviews und Presseberichten über Veranstaltungen, an denen der Kläger teilgenommen habe. Wenn in dieser umfänglichen Sammlung eine Veröffentlichung (ausnahmsweise) nicht enthalten sei, dann spreche alles dafür, dass diese dem BfV seinerzeit nicht bekannt gewesen oder als für die Beobachtung nicht relevant eingeschätzt worden sei. Deshalb könne sich die Beklagte nicht nachträglich zur Rechtfertigung der Beobachtung auf eine nicht einbezogene Unterlage berufen. Dies betreffe insbesondere den Artikel „G. Studenten knüpfen DDR-Kontakte“ vom 5. November 1970, der erst 1995/1996 in die Personenakte aufgenommen worden sei, als auch den Sammelband „Aktuelle Materialien zur Klassenanalyse hochentwickelter Gesellschaften“ aus den Jahren 1971/1972, für den der Kläger das Vorwort formuliert habe. Es könne nicht zulässig sein, die Rechtmäßigkeit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz unter den Vorbehalt zu stellen, dass durch andere, auch zukünftige Ereignisse oder Erkenntnisse eine ursprünglich rechtswidrige Beobachtung zu einer rechtmäßigen werde. Es handele sich dabei auch nicht um ein Nachschieben von Gründen im rechtlichen Sinn, weil gänzlich neue Sachverhalte eingeführt würden. Später gewonnene Erkenntnisse könnten allenfalls zur Rechtmäßigkeit einer Beobachtung ab Erlangung der jeweiligen Erkenntnis führen. Insofern sei die Situation ähnlich wie im Strafprozess. Im Übrigen könnten auch die von der Beklagten später zur Kenntnis genommenen Unterlagen und Erkenntnisse das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers in keiner Weise rechtfertigen. Auch soweit die Beklagte die Beobachtung des Klägers seit dem Schriftsatz vom 29. September 2009 mit den Inhalten seiner Publikationen rechtfertigen wolle, stelle dies ein unzulässiges Nachschieben von Gründen dar. Dabei handele es sich ausweislich der vorherigen Datenauskünfte und schriftlichen Stellungnahmen nicht um die ursprünglichen Gründe für die Beobachtung des Klägers.
95Das Verwaltungsgericht habe einen zutreffenden gerichtlichen Kontrollmaßstab gewählt. Die von der Beklagten geforderte Einschränkung der gerichtlichen Kontrollkompetenz, mit der das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte nur negiert werden dürfe, wenn bei „vernünftiger Betrachtung“ ausgeschlossen sei, dass eine bestimmte Tatsache als verfassungsfeindlich einzustufen sei, führe dazu, dass die Tätigkeit des Verfassungsschutzes nur noch einer Nonsens-Kontrolle unterliege. Tatsächliche Anhaltspunkte müssten hinreichend gewichtig sein und sich unmittelbar auf bestimmte Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 BVerfSchG 1990 beziehen. Ziel einer Bestrebung müsse zumindest die Beseitigung eines Bestandteils der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein. Angesichts der Weite des Tatbestandes mit seinen unbestimmten und auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen sei aus Gründen der Rechtssicherheit darüber hinaus eine Eingrenzung durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall unabdingbar. Soweit die Unterstützung einer verfassungsfeindlichen Organisation in Rede stehe, sei erforderlich, dass die konkreten verfassungsfeindlichen Zielsetzungen des Personenzusammenschlusses bewusst gefördert würden. Dies sei nicht der Fall, wenn lediglich verfassungskonforme Ziele einer Organisation unterstützt würden.
96Soweit die Beklagte die Beobachtung des Klägers auf dessen angebliche Mitgliedschaft im SHB G. stütze, so werde nochmals klargestellt, dass der Kläger niemals Mitglied des SHB gewesen sei. Mitglied des Vorstandes sei er nur zwei Monate, von Februar bis April 1971, gewesen. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht konstatiert, dass zur Ausrichtung des SHB G. bis zur Beendigung der Listenkandidatur nach dem Sommersemester 1972 nichts bekannt gewesen sei. Die Beklagte stütze ihre diesbezüglichen Annahmen ausschließlich auf damals nicht vorliegende Dokumente. Selbst der Beschluss der 11. Bundesdelegiertenkonferenz zur Aktionseinheit mit Kommunisten stamme vom November 1970 und damit von einem Zeitpunkt, als die Personenakte des Klägers bereits angelegt worden war. Im Übrigen vermöge auch die Forderung nach „Aktionseinheit“ mit Kommunisten keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu bieten. Die gemeinsame Veranstaltung des von der Beklagten herangezogenen „teach-in“ durch den SHB und „Spartakus“ könne nicht als Beleg für eine solche Aktionseinheit gewertet werden, ebenso wenig wie der vom SHB mitherausgegebene Band „Aktuelle Materialen zur Klassenanalyse hochentwickelter Gesellschaften“. Der Initiativausschuss G. Studenten, über den der Kläger gezielt Kontakte zu SED-Funktionären gesucht haben solle, habe nichts mit dem SHB zu tun gehabt. Mit diesem studentischen Diskussionsforum hätten der Informationsaustausch aus erster Hand und kontroverse Diskussionen ermöglicht werden sollen, etwa über Themen wie Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bildung und Literatur sowie Staat und Kirche.
97Es sei auch kein „überschießender Entscheidungsausspruch“ durch das Verwaltungsgericht vorgenommen worden. Soweit ggf. Anlass für eine erste Prüfung bestanden habe und die Beklagte daraus schlussfolgere, die erste Speicherung des Klägers vor der Anlegung einer Personenakte sei rechtmäßig gewesen, bewege sie sich außerhalb ihrer eigenen Informations- und Datenverarbeitungs-Organisation. Es würden regelmäßig zuerst Sachdaten zu Organisationen gesammelt, bevor aus diesen ein Personenbezug destilliert werde. In den Sachakten seien dann zwar personenbezogene Daten enthalten, Beobachtungsobjekt sei aber allein die Organisation. Mit der Zulässigkeit der Speicherung der Daten des Klägers in einer Sachakte könne also gerade nicht die Anlage einer Personenakte gerechtfertigt werden.
98Was die Einschätzung der Zeitschrift „Geheim“ betreffe, deren Redaktion der Kläger angehört habe, so habe das Verwaltungsgericht zutreffend herausgestellt, dass nicht bereits die Gesinnung der anderen Redakteure oder der Name des Magazins für die Annahme konkreter Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ausreichen könne. Das Verwaltungsgericht habe die zahlreichen Artikel des Klägers durchgesehen und keine solchen Anhaltspunkte ausmachen können. Soweit dem Kläger die „Diffamierung“ staatlicher Organe vorgehalten werde, fehle der Bezug zu konkreten verfassungsfeindlichen Zielsetzungen. Es sei auch nicht zutreffend, dass der Kläger Verfassungsschutzbehörden per se ablehne. Ihm gehe es bei seiner Forderung nach Abschaffung, u. a. wegen nicht ausreichender Kontrollierbarkeit, in erster Linie um die Geheimdienstfunktionen des Verfassungsschutzes, die gerade nicht verfassungsrechtlich verankert seien. In Bezug auf die dem Kläger vorgeworfene Verharmlosung der Staatssicherheit der DDR schwinge sich das BfV zu einem Zensor im öffentlichen Diskurs auf.
99Die Ausführungen der Beklagten zur nachhaltigen Unterstützung der DKP überzeugten ebenfalls nicht. Soweit eine rein objektive Betrachtungsweise gefordert und die Möglichkeit einer Abwägung von der Gegenseite verneint werde, stehe dies in Widerspruch zur neuesten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Als nicht haltbar habe das Bundesverfassungsgericht die Annahme gewertet, die Beobachtung einer Person sei bereits dann zulässig, wenn deren Tätigkeit objektiv geeignet sei, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen. Dabei bleibe unberücksichtigt, dass ein parteipolitisches Engagement, das seinerseits auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe, diese stärke. Das Bundesverfassungsgericht habe den politischen Meinungsbildungsprozess als besonders schutzwürdig hervorgehoben. Bestandteil dieses Prozesses sei auch die Presse, der der Kläger als Publizist angehöre. Ferner sei die Eigenschaft des Klägers als doppelter Berufsgeheimnisträger zu beachten. Demgegenüber habe das BfV überhaupt keinen erwartbaren Erkenntnisgewinn dargelegt, der eine Beobachtung des Klägers unter besonderer Berücksichtigung der grundrechtlichen Schutzbereiche und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes habe rechtfertigen können.
100Gelegentliche Interviews, Referate und Artikel in Publikationen der DKP und ihr nahestehender Organisationen als nachdrückliche Unterstützung einzuordnen, sei unzulässig und unverhältnismäßig. Es bleibe auch unklar, welche konkreten wesentlichen Verfassungsgrundsätze durch diese Tätigkeiten betroffen gewesen sein sollten. Da auch die DKP nicht ausschließlich verfassungsfeindliche Ziele verfolge, müsse nicht jeder Kontakt zu ihr zwangsläufig und objektiv zu einer nachdrücklichen Unterstützung von Bestrebungen gegen Verfassungsgrundsätze führen. Der Kläger habe auch im DKP-Umfeld seine demokratischen, sozialpolitischen sowie bürger- und menschenrechtlichen Positionen vertreten. Die nachdrückliche Unterstützung müsse sich aber gerade und spezifisch auf die verfassungsfeindlichen Bestrebungen richten. Daran fehle es, insbesondere lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger selbst verfassungsfeindliche Ziele verfolge. So habe er sich mit keinem Wort für die Errichtung einer sozialistischen oder kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnung ausgesprochen, wobei zu berücksichtigen sei, dass das Ziel einer demokratischen, sozialistisch orientierten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nicht per se gegen die Verfassung verstoße. Auch die vom Kläger geäußerte Kritik am KPD-Verbot und zu den sog. Berufsverboten halte sich im Rahmen des Zulässigen. Er habe auch keinesfalls RAF-Mitgliedern eine moralisch hochstehende Motivierung attestiert; die dahingehende Interpretation der Beklagten sei abwegig. Ferner sei von ihm nicht die Abschaffung des Gewaltmonopols gefordert worden. Wenn er davon geschrieben habe, dass eine Gesellschaft dann an demokratischer Kultur gewinne, wenn sie sich offensiv auch mit neonazistischen Positionen auseinandersetze, und dazu auch gehöre, sich den Neonazis ungestraft in den Weg stellen zu können, so seien damit Formen des zivilen Ungehorsams, etwa Blockaden, gemeint gewesen. Es sei ferner abwegig, aus den Äußerungen des Klägers zur unzureichenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu entnehmen, er halte die Bundesrepublik letztlich für nationalsozialistisch geprägt.
101Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dazu beigezogenen Vorgänge und Unterlagen Bezug genommen.
102Entscheidungsgründe
103Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
104A. Das erstinstanzliche Feststellungsbegehren des Klägers war bei verständiger Würdigung dahingehend auszulegen, dass es die Rechtswidrigkeit seiner gezielten, durch die Personenakte belegten Beobachtung einschließlich der in dieser Akte gesammelten und gespeicherten Daten zu seiner Person betraf. Nicht umfasst war hingegen eine eventuelle Speicherung auf den Kläger bezogener Daten in weiteren (Sach-)Akten oder Dateien und damit jegliche auf ihn bezogene Informationssammlung und -auswertung.
105Zur Aktenführung des BfV und insbesondere zur Unterscheidung von Personen- und Sachakten siehe OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2009 - 16 A 844/08 -, NVwZ-RR 2009, 505 = juris, Rn. 4.
106Dieses Verständnis des erstinstanzlichen Klageziels ergibt sich aus dem Klageantrag unter Berücksichtigung der weiteren klägerischen Ausführungen. Bereits mit Schriftsatz vom 25. Februar 2008 hatte der Kläger unter Hinweis auf eine entsprechende Auskunft des BfV vom 24. Juni 2005 Bezug auf die zu seiner Person geführte Akte sowie weitere Daten genommen, die ‑ soweit sie zusätzlich in NADIS gespeichert wurden ‑ Biographisches, Adressdaten und Aktenfundstellen betrafen. Mit Schriftsätzen vom 14. November 2008 machte er das Feststellungsbegehren zu seinem ausschließlichen Klagebegehren im vorliegenden Verfahren. Nachdem die Beklagte nach Maßgabe der Sperrerklärung vom 22. Juni 2010 die Personenakte vorgelegt und im Februar 2011 um einige Seiten ergänzt hatte, bezog sich das Feststellungsbegehren und das weitere Vorbringen der Beteiligten nur auf die im Zusammenhang mit der Personenakte erhobenen und gesammelten Daten. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil ausweislich der Entscheidungsgründe ausschließlich die Rechtswidrigkeit der Beobachtung in Form der Personenakte festgestellt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sonstige personenbezogene Daten des Klägers, die ggf. in Sachakten gespeichert sind, im Urteil nicht behandelt werden und im Übrigen auch - abgesehen von der Beklagten - niemandem bekannt sind. Eine Klageänderung ‑ etwa im Rahmen einer Anschlussberufung ‑
107vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. März 2016 ‑ 13 A 2395/07 ‑, juris, Rn. 125 f. m. w. N.,
108hat der Kläger nicht vorgenommen.
109B. Die so verstandene Klage ist als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Dem Kläger kommt aufgrund der jahrzehntelangen, gezielt auf seine Person bezogenen Informationssammlung, -auswertung und ‑speicherung in Form einer Personenakte und der damit verbundenen Grundrechtseingriffe ein Feststellungsinteresse in Form des Rehabilitationsinteresses zu.
110C. Die Klage ist auch begründet. Die zielgerichtete Beobachtung des Klägers und die damit verbundene Führung einer Personenakte waren während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Beobachtung ist anhand der im jeweiligen Beobachtungszeitpunkt vorhandenen, für das Gericht anhand der Verwaltungsvorgänge nachvollziehbaren Sachlage zu beurteilen (I.). Die sich aus den zu den jeweiligen Zeiten geltenden gesetzlichen Grundlagen ergebenden Voraussetzungen der Beobachtung (II.) waren im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht gegeben (III.).
111I. Für die rechtliche Überprüfung der gezielten Sammlung und Auswertung von Informationen über den Kläger ist auf die Erkenntnislage abzustellen, die sich im jeweiligen Beobachtungszeitpunkt für das BfV ergab (1.). Dabei sind die für das Gericht verfügbaren Dokumente bzw. Informationen zugrunde zu legen (2.). An frühere rechtliche Bewertungen des sich daraus ergebenden Sachverhalts ist das BfV nicht gebunden (3.).
1121. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beobachtung des Klägers als einzelner Person kommt es darauf an, ob die der Beklagten im jeweiligen Zeitpunkt bekannten Tatsachen konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers bzw. für die Unterstützung solcher Bestrebungen boten.
113Vgl. VG Köln, Urteil vom 23. April 2009 - 20 K 5429/07 -, juris, Rn. 34; Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 136.
114Anders als die Beklagte annimmt, kann eine Beobachtung nicht auf Tatsachen gestützt werden, die der Behörde erst nach dem Beginn der Maßnahme bekannt geworden sind. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus den Bestimmungen der Bundesverfassungsschutzgesetze in den jeweils anwendbaren Fassungen, folgt aber aus den Grundsätzen, die an vergleichbare Maßnahmen zur Informationsbeschaffung gestellt werden. So ist bei einer Telefonüberwachung nach Art. 1 § 2 Abs. 1 Nr. 1 Artikel 10-Gesetz(1968) bzw. nach §§ 1 und 3 Artikel 10-Gesetz(2001) die Gefahrenschwelle bzw. die Annahme eines Verdachts aufgrund einer Gesamtschau aller zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte zu beurteilen.
115Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 1 C 12.88 -, BVerwGE 87, 23 = juris, Rn. 28; OVG NRW, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 20 A 348/81 -, NJW 1983, 2346, 2347; Huber, in: Schenke/Graulich/Ruthig, a. a. O., § 3 Artikel 10-Gesetz, Rn. 12; vgl. ferner zu Ermittlungsmaßnahmen nach dem Vereinsgesetz: Roth, a. a. O., § 4 Vereinsgesetz, Rn. 47; Bay. VGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 4 C 08.2868 -, juris, Rn. 11 m. w. N.
116Für eine zum Zeitpunkt ihrer Durchführung unzulässige Beschlagnahme gilt, dass diese unzulässig bleibt, wenn sich die tatsächlichen Voraussetzungen erst aus den rechtswidrig beschlagnahmten Unterlagen ergeben.
117Vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2001 - 1 StR 198/01 -, NStZ 2001, 604 = juris, Rn. 32 f.; LG Saarbrücken, Beschluss vom 4. Januar 1988 - 5 Qs 149/87 -, NStZ 88, 424 = juris, Rn. 10; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Auflage 2015, § 97 Rn. 48.
118Damit kommt es auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme auf die der Behörde zum Zeitpunkt der Vornahme bekannten Tatsachen an.
119Nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften, die eine behördliche Informationsbeschaffung an bestimmte Voraussetzungen knüpfen, kann die Behörde die Maßnahme auch nicht auf bereits zu Beginn derselben vorhandene und allgemein zugängliche Tatsachen stützen, wenn sie diese seinerzeit noch nicht kannte. Eine Ausnahme kann allenfalls bei offenkundigen Tatsachen in Betracht kommen.
120Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 1 C 12.88 -, a. a. O., Rn. 31.
121Indem das Gesetz „tatsächliche Anhaltspunkte“ für Bestrebungen verlangt, soll verhindert werden, dass die Sammlung und Auswertung von Informationen aufgrund bloßer Mutmaßungen, Hypothesen oder Prognosen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können, bzw. aufgrund der bloßen Annahme, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen könnten, stattfindet.
122Vgl. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 176 f.; Roth, a. a. O., §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 101; zum Verfassungsschutzgesetz NRW: BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 u. a. -, BVerfGE 120, 274 = juris, Rn. 242 ff., insbes. Rn. 250; vgl. ferner zu § 3 Abs. 1 und 2 Artikel 10-Gesetz: VG Berlin, Urteil vom 25. September 2012 - 1 K 225.11 -, juris, Rn. 43.
123Daraus folgt, dass die Behörde eine Beobachtung, die sie aufgrund bestimmter Tatsachen begonnen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen rechtfertigen kann, wenn die von ihr zu Beginn berücksichtigten Tatsachen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte zur Rechtfertigung der Maßnahme boten. Solche Anhaltspunkte müssen nicht nur bei Beginn der Maßnahme existieren, sondern auch tatsächlich für die Entscheidung maßgeblich gewesen sein. Voraussetzung dafür ist, dass sie der Behörde nachweislich zu Beginn der Maßnahme bekannt waren. Dies führt, anders als die Beklagte annimmt, nicht ohne Weiteres dazu, dass die Behörde tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen begründen und erst im Verlauf einer rechtswidrig begonnenen Beobachtung bekannt geworden sind, nicht zum Anlass für eine weitere, nunmehr rechtmäßige Maßnahme nehmen und damit verwerten kann. Die Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Beobachtung ist vielmehr von der Frage der Verwertbarkeit unzulässig gewonnener Informationen zu trennen. Ergibt sich ein Beweisverwertungsverbot nicht ausdrücklich aus dem Gesetz, so löst etwa eine fehlerhafte Beweiserhebung im Strafrecht nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot aus.
124Vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., Einl. Rn. 55.
125Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt ein Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren eine begründungsbedürftige Ausnahme dar. Eine solche kann insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen vorliegen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen wurden.
126Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 2 BvR 2438/08 -, NJW 2010, 287 = juris, Rn. 7, vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09 -, NJW 2011, 2417 = juris, Rn. 45, und vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u. a. -, NJW 2012, 907 = juris, Rn. 117.
127Hinzu kommt, dass die strafverfahrensrechtlichen Maßstäbe über die Rechtsfolgen von Mängeln der Beweiserhebung nicht ohne Weiteres auf den Bereich des Gefahrenabwehrrechts übertragen werden können, da dieses andere Zielsetzungen verfolgt und anderen Verfahrensbestimmungen unterliegt. Soweit dort ein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot nicht besteht, ist vielmehr im Einzelfall zwischen dem Integritätsinteresse des von dem Eingriff betroffenen Grundrechtsträgers und dem Gewicht der sonst zu beachtenden Belange abzuwägen. Während Beweisverwertungsverbote im vorrangig repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen andererseits Rechnung tragen, sind im rein präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Gefahrenabwehrrecht i. d. R. mit erheblichem Gewicht auch Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter zu beachten.
128So für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts etwa OVG NRW, Urteil vom 25. Oktober 2016 - 16 A 1237/14 -, NJW 2017, 903 = juris, Rn. 47 ff.; vgl. ferner zur zulässigen Verwertung von Informationen, die aufgrund einer rechtswidrigen Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung gewonnen wurden: BVerwG, Beschluss vom 19. März 1996 - 11 B 14.96 -, DÖV 1996, 879 = juris, Rn. 3.
129Ob vom BfV rechtswidrig gewonnene Erkenntnisse verwertbar sind, ist danach eine Frage des Einzelfalls. Liegt eine Verwertbarkeit vor und bieten die gesetzeswidrig gewonnenen Erkenntnisse tatsächliche Anhaltspunkte für (hinreichend aktuelle) verfassungswidrige Bestrebungen, kann die bereits begonnene Beobachtung ab diesem Zeitpunkt rechtmäßig sein. Die nachträglich gewonnenen Erkenntnismittel führen aber nicht dazu, dass die Beobachtung - quasi rückwirkend - von Beginn an rechtmäßig wird.
1302. Angesichts der umfänglichen in der Personenakte des Klägers von der Beklagten vorgenommenen Schwärzungen kann bei der rechtlichen Bewertung letztlich nur der ungeschwärzte Teil zugrunde gelegt werden.
131Werden - wie vorliegend - entscheidungserhebliche Unterlagen von der Behörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus Gründen der Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht vorgelegt und unterbleibt die Vorlage auch als Ergebnis des gerichtlichen Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO, ist die Möglichkeit der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu bildenden Überzeugung nach dem Gesamtergebnis aus gesetzlichen Gründen eingeschränkt, ohne dass dies der Behörde im Sinne einer Beweisvereitelung zum Nachteil gereichen darf. Die Nichtvorlage der Akten darf somit einerseits nicht zum Nachteil der Behörde gewertet werden, weil die dadurch entstandene Beweislage durch § 99 VwGO ausdrücklich gedeckt ist. Andererseits wird auch nicht umgekehrt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch eine gesetzliche Beweisregel zu Gunsten der Beklagten eingeschränkt. Eine solche Beweisregel ist weder in § 99 VwGO noch an anderer Stelle der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen.
132Führt die Sperrerklärung dazu, dass bestimmte Umstände unaufklärbar bleiben oder die Aussagekraft festgestellter Tatsachen vermindert ist, so hat das Gericht dies unter Berücksichtigung der gesetzlichen Verteilung der materiellen Beweislast angemessen zu würdigen.
133Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 -, BVerwGE 131, 171 = juris, Rn. 29 f. m. w. N.
134Soweit keine Möglichkeiten bestehen, Anhaltspunkte über den Inhalt der als geheimhaltungsbedürftig eingeschätzten Unterlagen zu erhalten, kann sich dieser Umstand daher in der Form auswirken, dass das Gericht nicht die nötige Überzeugung verfassungsfeindlicher Bestrebungen gewinnen kann. Da sich im vorliegenden Fall aus den Sperrerklärungen, dem Vorbringen der Beklagten und auch aus sonstigen Umständen keine Hinweise auf den konkreten Inhalt der entnommenen oder geschwärzten Unterlagen ergeben, lassen sich daraus jedenfalls keine für den Kläger nachteiligen Schlussfolgerungen ziehen.
1353. Im Hinblick auf die rechtliche Bewertung und Einschätzung der im jeweiligen Beobachtungszeitraum tatsächlich vorhandenen Erkenntnismittel ist das BfV entgegen der Ansicht des Klägers nicht an eine vormals getroffene bzw. geäußerte Würdigung gebunden. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Frage der Rechtmäßigkeit einer Beobachtung in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den unbestimmten Rechtsbegriff der „tatsächlichen Anhaltspunkte“.
136Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 1 C 12.88 -, a. a. O., Rn. 26; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, DVBl. 2009, 922 = juris, Rn. 45 f. m. zahlr. w. N.
137Wenn aber das Gericht nicht - wie etwa im Falle der Ermessensausübung - auf die Überprüfung der Erwägungen der Behörde beschränkt ist, sondern vielmehr eigenständig das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite (unter Zugrundelegung der bei der Behörde bekannten Anknüpfungstatsachen) überprüft, ist auch nicht ersichtlich, warum der Beklagten eine Änderung oder Neuausrichtung ihrer juristischen Bewertung verwehrt sein sollte.
138II. Als Rechtsgrundlage der Beobachtung des Klägers von deren Beginn im Jahr 1970 an bis zum 29. Dezember 1990 kommt § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950 bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG in der Fassung vom 7. August 1972 (BVerfSchG 1972) in Betracht (1.). Ab dem 30. Dezember 1990, dem Tag des Inkrafttretens des Bundesverfassungsschutzgesetzes 1990, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit nach § 8 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 4 Abs. 1 BVerfSchG 1990 (2.).
1391. Gemäß § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950 war es Aufgabe des BfV, Auskünfte, Nachrichten und sonstige Unterlagen über Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben. Ab dem 8. August 1972 bestanden gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG 1972 die Aufgaben des BfV in der Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen u. a. über Bestrebungen, die - nunmehr - gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Diese Änderung der Formulierung diente lediglich der Klarstellung.
140Vgl. Schriftlicher Bericht des Innenausschusses vom 15. Juni 1972 über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. VI/3533, S. 1 und 3.
141Die verfassungsmäßige Ordnung i. S. v. § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950 war bereits zuvor im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden worden.
142Vgl. Scheuner, BayVBl. 1963, 65, 65 f.; Schwagerl, DÖV 1974, 109; Schwagerl/Walther, Der Schutz der Verfassung, 1968, S. 67 f.
143So hatte der Bundesminister des Innern anlässlich einer Anfrage schon im Mai 1970 ausgeführt, dass Gegenstand des Verfassungsschutzes die freiheitliche demokratische Grundordnung sei, worunter herkömmlicherweise die Grundlage der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, also vor allem die Staatsform, die Staatsorganisation, die Freiheit des politischen Staatslebens, der Bestand der Freiheitsrechte und der institutionellen Verbürgungen verstanden werde.
144Vgl. Antwort des Bundesministers des Innern auf die Große Anfrage des Abgeordneten Benda und der Fraktion der CDU/CSU - Drs. VI/620 -, BT-Drs. VI/872, S. 5.
145Mit dieser Formulierung wurden die zentralen Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung benannt, wie sie das Bundesverfassungsgericht in den Urteilen vom 23. Oktober 1952 (SRP-Verbot) und vom 17. August 1956 (KPD-Verbot) entwickelt hatte. Danach gehört zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung mindestens die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
146Vgl. Urteile vom 23. Oktober 1952 - 1 BvB 1/51 -, BVerfGE 2, 13 = juris, Rn. 38, und vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, BVerfGE 5, 85 = juris, Rn. 135.
147Der Aufgabenzuweisungsnorm des § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950/1972 wurde nach früherem Verständnis zugleich eine entsprechende Eingriffsbefugnis des BfV entnommen.
148Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 C 42.83 -, BVerwGE 84, 375 = juris, Rn. 20 ff. („jedenfalls für eine Übergangszeit“ [Rn. 25]); Borgs, in: Borgs/Ebert, Das Recht der Geheimdienste, 1986, § 3 BVerfSchG, Rn. 11. Vgl. ferner im Zusammenhang mit Länderbefugnissen: BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1984 - 1 C 37.79 -, BVerwGE 69, 53 = juris, Rn. 61.
149Unter dem Begriff der „Bestrebungen“ wurde von der (wohl) herrschenden Meinung - in weitgehender Übereinstimmung mit der späteren Definition in § 4 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG 1990 - ein aktives, ziel- und zweckgerichtetes und politisch motiviertes Vorgehen verstanden, das sich allerdings nicht notwendig kämpferisch und aggressiv gegenüber den Schutzgütern der Verfassung verhalten musste.
150Vgl. Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 61 ff. m. w. N.; vgl. ferner Schwagerl/Walther, a. a. O., S. 67 f.
151Der Begriff der Bestrebung erforderte damit über das bloße Vorhandensein bestimmter Überzeugungen hinaus ein aktives Vorgehen zu deren Realisierung. Bestrebungen mussten politisch determiniert, folglich objektiv geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkungen zu entfalten. Erfasst wurden Verhaltensweisen, die über rein politische Meinungen hinausgingen und auf Durchsetzung eines Ziels ausgerichtet waren. Neben der Durchsetzung des politischen Hauptziels mussten die Aktivitäten auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die bloße Inkaufnahme einer entsprechenden Gefährdung war nicht ausreichend. Die verantwortlich Handelnden mussten auf den Erfolg der Rechtsgüterbeeinträchtigung hinarbeiten. Die bloße Übereinstimmung oder Sympathie mit den Zielen einer verfassungsfeindlichen Organisation reichte ebenso wie die wissenschaftliche Beschäftigung mit einer extremistischen Theorie nicht aus.
152Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, BVerwGE 137, 275 = juris, Rn. 59 f. (zu § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG 1990).
153Bestrebungen bestehen überwiegend in einem organisierten Zusammenwirken Mehrerer, werden also zumeist von Personenzusammenschlüssen getragen,
154vgl. etwa Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 58,
155die dementsprechend zulässige Beobachtungsobjekte des BfV waren. Da eine „Bestrebung“ begrifflich aber auch von Einzelnen ausgehen kann, kam grundsätzlich auch die Beobachtung von Individuen in Betracht.
156So auch die damalige Einschätzung der Bundesregierung, vgl. BT-Drs. 9/1889, S. 8.
157Dabei war zu differenzieren: Weil relevante Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz überwiegend von Personenzusammenschlüssen ausgehen und Bestrebungen von Einzelpersonen im Vergleich dazu weniger Risikopotential innewohnt,
158dementsprechend enthält das BVerfSchG 1990 im Hinblick auf die Definition von „Bestrebungen“ Abstufungen in Abhängigkeit von der Nähe zu einem Personenzusammenschluss, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 und 4 BVerfSchG 1990; vgl. ferner etwa Roth, a. a. O., §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 38; Droste, a. a. O., S. 168 f.,
159erforderte die Beobachtung von Personen, die keinerlei Bezug zu potentiell verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgenden Organisationen aufwiesen, dass deren Aktivitäten einen gewissen Schwellenwert im Hinblick auf Gefährlichkeit, Ernsthaftigkeit und Relevanz überschritten.
160So Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 58; die Subsumtion von Aktivitäten von Einzelpersonen unter den Begriff der „Bestrebung“ demgegenüber gänzlich ablehnend: Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 40.
161Ferner kamen als Objekte der Beobachtung auch Mitglieder, Sympathisanten und Unterstützer von Organisationen in Betracht, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten. In diesem Zusammenhang ist die Aktenorganisation des BfV zu berücksichtigen: Das BfV führt zur Ordnung der bei ihm gespeicherten Informationen sowohl Sach- als auch Personenakten. In den Sachakten werden die Informationen zusammengefasst geführt, die das BfV im Hinblick auf einzelne Beobachtungsfelder (z. B. Organisationen) für bedeutsam erachtet. Wenn eine Sachakte Informationen enthält, der das BfV auch im Hinblick auf eine Person Bedeutung beimisst, wird in dem behördeninternen elektronischen Informationssystem (NADIS) ein Datensatz zu dieser Person angelegt und eine Verknüpfung zwischen der Person und der Fundstelle hergestellt. Für personenbezogene Informationen in Sachakten, die das BfV - bezogen auf diese Person - für unerheblich hält, wird keine Verknüpfung vorgenommen. Wenn es dem BfV aufgrund der in NADIS zu einer Person erfassten Informationen geboten erscheint, wird zusätzlich eine Personenakte angelegt, in der nur die diese Person betreffenden Informationen zusammengefasst geführt werden.
162Siehe OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2009 - 16 A 844/08 -, a. a. O., Rn. 4; vgl. ferner Roth, a. a. O., §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 95; VGH Bad.-Württ. Urteil vom 14. September 1982
163- 10 S 905/80 -, MDR 1983, 607, 608, der darauf hinweist, dass Sammlung und Aufbewahrung von Materialien im Bereich des Verfassungsschutzes durch „die prinzipielle Orientierung an Sachgebieten und vielleicht auch an personellen Gruppierungen im ganzen, nicht aber so sehr an Einzelpersonen“ gekennzeichnet sei.
164Mit der Anlage einer Personenakte wird die oder der einzelne Betroffene mithin selbst zum Beobachtungsobjekt. Insbesondere über die (weiteren) tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG 1950/1972 für eine solche gezielte Beobachtung von Unterstützern und Sympathisanten, die nicht Mitglieder einer entsprechenden Organisation waren, herrschte kein juristischer Konsens. Nach einer Ansicht setzte eine Befassung des BfV mit den genannten Personen voraus, dass diese selbst verfassungsfeindliche Meinungen äußerten.
165Vgl. etwa Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 45.
166Nach anderer Auffassung war ein solch „klares Bekenntnis“ nicht nötig. Zwar reichte allein die thematische und inhaltliche Übereinstimmung mit bestimmten, nicht verfassungswidrigen (Teil-)Zielen verfassungsfeindlicher Vereinigungen nicht aus; es genügte aber, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass das Vertreten von Nah- oder Teilzielen zu dem Zweck erfolgte, die entsprechende verfassungsfeindliche Zielsetzung zu fördern.
167So Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 59 unter Hinweis auf BT-Drs. 8/3615, S. 7.
168Voraussetzung für jegliche aufklärerische Maßnahme des BfV war bereits nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz 1950/1972 - wie nunmehr ausdrücklich in § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990 geregelt - das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen im vorgenannten Sinn. Zur Auslösung von Informationsbeschaffungsmaßnahmen war danach erforderlich, dass auf Tatsachen beruhende vernünftige Indizien die Besorgnis begründeten, die betreffende Person oder Personengruppe werde das Schutzgut beeinträchtigen.
169Siehe Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 6; vgl. auch Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, 1960, S. 124; Schwagerl/Walther, a. a. O., S. 85.
170Bloße Mutmaßungen oder Hypothesen, dass Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung bzw. die freiheitliche demokratische Grundordnung gegeben sein könnten, genügten nicht. Andererseits bedurfte es nicht bereits der Gewissheit, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft und abgeschafft werden soll. Es mussten vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für einen entsprechenden Verdacht vorliegen und deshalb eine weitere Aufklärung erforderlich erscheinen lassen. Ausreichend war dabei, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutete, mochte auch jeder für sich genommen nicht genügen.
171Vgl. (zum Artikel 10-Gesetz) BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u. a. -, BVerfGE 100, 313 = juris, Rn. 281; (zu § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990) BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 30; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 45.
172Nach Auffassung des Senats setzte das Vorliegen diesbezüglicher tatsächlicher Anhaltspunkte Hinweise auf beide Komponenten des Begriffs der Bestrebung voraus, also sowohl auf das schutzgutbezogene Ziel bzw. eine entsprechende Überzeugung als auch auf ein davon getragenes aktives Handeln. Dies folgt daraus, dass die bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen ist, wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung.
173Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005
174- 1 BvR 1072/01 -, BVerfGE 113, 63 = juris, Rn. 70; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 58 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A
175845/08 -, a. a. O., Rn. 93 ff.
176Im Falle tatsächlicher Anhaltspunkte für ein objektiv konkrete Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beeinträchtigendes Verhalten kann allerdings ggf. auf eine entsprechende zugrunde liegende Überzeugung geschlossen werden.
177Vgl. dazu auch OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 23. November 2011 - OVG 1 B 111.10 -, juris, Rn. 44 (zu § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990), das schon Anzeichen für die Absicht, die entsprechenden Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzuschaffen oder leerlaufen zu lassen, genügen lässt, wobei die Beobachtung dann der Klärung dienen soll, wie weit diese Absichten mit welchen konkreten Mitteln verwirklicht werden sollen.
178Ferner waren alle konkret ergriffenen Maßnahmen - wie jedes grundrechtsrelevante staatliche Handeln - am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen.
179Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 C 42.83 -, a. a. O., Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14. September 1982 - 10 S 905/80 -, a. a. O., S. 608; Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 14; vgl. ferner - insbesondere zur Beobachtung von Abgeordneten - BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08 u. a. – BVerfGE 134, 141 = juris, Rn. 136 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 ‑, a. a. O., Rn. 116 ff., wo auch in Bezug auf die Weite des - im Vergleich zu § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1950/1972 bereits konkretisierten - Tatbestandes des § 8 Abs. 1 i. V. m. §§ 3, 4 BVerfSchG 1990 eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert wird.
180Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz musste insbesondere insoweit besondere Beachtung finden, als Einzelpersonen im Rahmen der Beobachtung einer Organisation oder eines sonstigen Personenzusammenschlusses zum Objekt der Informationssammlung und -auswertung wurden.
181Vgl. Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 40 f.; Schwagerl/Walther, a. a. O., S. 85; Evers, a. a. O., S. 124 f.
182Dabei war wiederum die Aktenorganisation des BfV zu berücksichtigen. Die Intensität des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der mit einer Sammlung und Speicherung personenbezogener Daten durch das BfV verbunden ist, hängt wesentlich davon ab, ob diese gezielt zu einer bestimmten Person, also insbesondere in Form einer Personenakte, geschieht oder nicht. Hinsichtlich der gezielt zu einer Person erfassten Informationen besteht die typische Gefahrenlage, der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begegnen soll. Das BfV ist in der Lage, auf diese Informationen kurzfristig zuzugreifen und sich mit ihrer Hilfe ein Bild von dieser Person zu machen. Zudem besteht jederzeit die Möglichkeit, diese Informationen zu vervielfältigen, weiterzugeben oder mit anderen Datenbeständen zu verknüpfen. Solange die Informationen nicht gezielt zu der Person des Betroffenen erfasst sind, sind die typischerweise mit der elektronischen Speicherung verbundenen Gefahren, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützen soll, kaum gegeben. Weder ist es möglich, unmittelbar auf diese Informationen zuzugreifen, noch können sie ohne Weiteres vervielfältigt, weitergegeben oder mit anderen Informationen verknüpft werden.
183Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2009 - 16 A 844/08 -, a. a. O., Rn. 16 f.
184Angesichts der unterschiedlichen Eingriffsintensität sind an die Rechtmäßigkeit einer langfristigen Beobachtung einzelner Personen höhere Anforderungen zu stellen als an die Aufnahme personenbezogener Daten in eine Sachakte bzw. als an eine vorläufige Prüfung, ob eine solche Beobachtung erforderlich ist. Mit dieser Differenzierung wird nicht die Beobachtung von Personen als Mitglied oder Unterstützer von Personenzusammenschlüssen in Frage gestellt, sondern lediglich klargestellt, dass in den Fällen, in denen Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses und nicht einer isoliert einschlägig aktiven Einzelperson - i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG 1990 - Anlass von Recherchen der Verfassungsschützer sind, die Beobachtung in erster Linie an die Organisation mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung anknüpft. Das gilt auch für die Rechtslage vor der Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes im Jahr 1990. So wurde anlässlich der Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes 1950 im Jahr 1972 deutlich, dass Träger solcher Bestrebungen immer nur einzelne Menschen sein können, deren Aktivitäten sich in einer Organisation vervielfältigen, wobei die einschlägigen Verhaltensweisen häufig erst durch diese Vervielfältigung Relevanz erlangen, weshalb die Organisation als Anknüpfungspunkt der Beobachtung dient.
185Vgl. BT-Drs. 8/3615, S. 2; Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 40 f.
186Ferner waren bei jeder gezielten Beobachtung von Einzelpersonen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die durch die Beobachtung der betreffenden Person zu gewinnenden Erkenntnisse ins Verhältnis zur Bedeutung dieses Erkenntnisgewinns für die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Gruppierung zu setzen, der die Einzelperson zugeordnet wurde. Für die Frage, ob die Beobachtung einer Einzelperson im engeren Sinne angemessen war, war mithin entscheidend auch auf die Relevanz der durch diese Beobachtung zu gewinnenden Erkenntnisse für die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen einer Gruppierung abzustellen.
187Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08 u. a. -, a. a. O., Rn. 136, 142; vgl. ferner Bäumler, AöR 110 (1985), 30, 40 f., der bereits zum BVerfSchG 1972 ausführte: „Nicht der einzelne Bürger ist der primäre Gegenstand der verfassungsschützenden Beobachtung, sondern die Bestrebung, die Organisation. Die Beobachtung und Registrierung von Personen ist jenem primären Zweck untergeordnet. Lediglich im Rahmen der Beobachtung der Bestrebungen können personenbezogene Daten verarbeitet werden, soweit dies notwendig, bzw. in der Terminologie des Datenschutzrechts, erforderlich ist.“
188Der Erkenntnisgewinn hängt in tatsächlicher Hinsicht u. a. davon ab, ob von der betreffenden Person unter Einbeziehung ihres Verhältnisses zu der Organisation ein relevanter Beitrag für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht.
189Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08 u. a. -, a. a. O., Rn. 140.
190Das ist etwa anzunehmen, wenn die Person individuell verdächtig war, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu verfolgen, oder wenn sie zumindest unter dem Einfluss solcher Bestrebungen innerhalb der Organisation stand.
191Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08 u. a. -, a. a. O., Rn. 138 f.
192Diese in Bezug auf den Abgeordneten einer Partei entwickelten Maßstäbe sind auf Personen, die einem einschlägigen Personenzusammenschluss zwar nicht als Mitglied angehörten, diesem aber als Unterstützer zuzurechnen waren, in dem Sinne zu übertragen, dass auch solche einzelnen Personen nur nach Maßgabe des zu erwartenden Gewinns zusätzlicher Erkenntnisse über den oder die Personenzusammenschlüsse, die sie unterstützen, beobachtet werden durften. Denn die außerhalb der Gruppierung stehenden Personen, die diese nachdrücklich unterstützen, sind ebenfalls nicht als solche, sondern wegen ihrer Rückkopplung verfassungsschutzrelevant.
193Vgl. Droste, a. a. O., S. 169; Roth, a. a. O., §§ 3, 4 BVerfSchG, Rn. 32.
1942. Als Rechtsgrundlage für die Beobachtung des Klägers durch das BfV ab dem 30. Dezember 1990 kommt allein § 8 Abs. 1 BVerfSchG 1990 in Betracht. Danach darf das BfV die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben. Zu seinen Aufgaben gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 BVerfSchG 1990 u. a. die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
195Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c BVerfSchG 1990 sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören nach § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 - in Übereinstimmung mit der Rechtslage nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz 1950/1972 - das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchstabe a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Buchstabe b), das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchstabe c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (Buchstabe d), die Unabhängigkeit der Gerichte (Buchstabe e), der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchstabe f) sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (Buchstabe g).
196Im Hinblick auf die potentiellen Beobachtungsobjekte differenziert § 4 Abs. 1 BVerfSchG 1990: Als Bestrebung, die Beobachtungsgegenstand sein kann, kommen zunächst politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in oder für einen Personenzusammenschluss in Betracht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c BVerfSchG 1990). Für einen Personenzusammenschluss handelt gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG 1990, wer diesen in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind gem. § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG 1990 Bestrebungen (und damit grundsätzlich zulässiges Beobachtungsobjekt) im Sinne des Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. Die genannten Regelungen verdeutlichen, dass Beobachtungsobjekte neben Personenzusammenschlüssen auch Individuen (in Form einer Personenakte) sein können und normieren in Anknüpfung an die Nähe einer Person zu einer Organisation abgestufte Beobachtungsvoraussetzungen.
197Sowohl im Falle der Mitgliedschaft in einer Organisation („in einem Personenzusammenschluss“), die gegen ein Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist, als auch im Falle der Unterstützung einer solchen Organisation („für einen Personenzusammenschluss“) bedarf es für die personenbezogene Sammlung und Auswertung von Informationen nach der einschlägigen Rechtsprechung keiner subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen.
198Vgl. für den Fall der Mitgliedschaft: BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 65 ff.; für Mitgliedschaft und Unterstützung: OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 105 f.; vgl. ferner zum Tatbestandsmerkmal des „Unterstützens“ BVerwG, Urteil vom 11. November 2004 - 3 C 8.04 -, BVerwGE 122, 182 = juris, Rn. 39 (im Zusammenhang mit der Frage der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit). Kritisch zur rein objektiven Auslegung des Unterstützungstatbestands: Warg, NVwZ 2014, 36, 37 f.; Bergemann, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeireichts, H 51; Droste, a. a. O., S. 172 f.; vgl. ferner Sächs. OVG, Beschluss vom 19. September 2014 - 3 A 241/13 -, juris, Rn. 3, wo jedenfalls im Falle des Handelns ohne Bezug zu einem Personenzusammenschluss (§ 4 Abs. 1 Satz 4
199BVerfSchG bzw. der wortlautgleiche § 3 Abs. 1 Satz 3 SächsVSG) ein subjektives Element gefordert wird.
200Die Unterstützung eines verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlusses im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG 1990 erfasst grundsätzlich alle Verhaltensweisen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirken.
201Vgl. zum Tatbestandsmerkmal des „Unterstützens“ einer terroristischen Vereinigung im Ausländerrecht: BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 = juris, Rn. 27, vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 = juris, Rn. 15, und vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, DVBl. 2017, 1430 = juris, Rn. 21.
202Die nachdrückliche Unterstützung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG muss sich allerdings auf die „Bestrebungen“, mithin die verfassungsfeindlichen Ziele und deren Verwirklichung beziehen. An einem Unterstützen fehlt es daher, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele des Personenzusammenschlusses, nicht aber auch dessen verfassungsfeindliche Zielsetzungen befürwortet.
203Vgl. wiederum zum Tatbestandsmerkmal des „Unterstützens“ einer terroristischen Vereinigung im Ausländerrecht: BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, a. a. O., Rn. 27, vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, a. a. O., Rn. 15, und vom 17. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, a. a. O., Rn. 21.
204Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte als Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen ist nunmehr ausdrücklich in § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990 normiert.
205Sind zur Erfüllung der Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG 1990 verschiedene Maßnahmen geeignet, hat das BfV nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG 1990 diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht (§ 8 Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG 1990). Bei der danach gesetzlich verankerten Verhältnismäßigkeitsprüfung muss wiederum Berücksichtigung finden, dass die gezielte Beobachtung eines Individuums in Form einer Personenakte einen besonders intensiven Eingriff - jedenfalls - in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und angesichts dessen nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erkenntnisgewinn bzw. zu den im Einzelfall zu befürchtenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung stehen darf.
206Vgl. etwa - allerdings in Bezug auf einen Abgeordneten - BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08 u. a. -, a. a. O., Rn. 118 ff., 136 ff.; OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 116 ff.
207Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind daher die oben bereits zur Rechtslage nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz 1950/1972 genannten Aspekte zu berücksichtigen.
208III. Gemessen an den dargestellten Maßstäben war die gezielte Beobachtung des Klägers durch Führung einer Personenakte rechtswidrig. Die Voraussetzungen einer solchen Beobachtung waren in den Jahren 1970 bis 1972 nicht erfüllt (1.). In den Jahren 1973 bis 2008 rechtfertigt sich die Beobachtung weder durch seine Mitgliedschaft in der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ bzw. seine publizistische Betätigung für das Magazin nach Beendigung der Redakteurstätigkeit noch durch seine Aktivitäten für die DKP und DKP-nahe Organisationen (2.).
2091. Eine gezielte Beobachtung des Klägers durch das BfV war in den Jahren 1970 bis 1972 weder in Anknüpfung an dessen Aktivitäten im bzw. für den SHB (a)) noch aus sonstigen Gründen (b)) gerechtfertigt.
210a) Die Führung der Personenakte im Hinblick auf Tätigkeiten des Klägers im bzw. für den SHB setzt - unabhängig davon, ob er als Mitglied oder Unterstützer einzuordnen ist - jedenfalls voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen des SHB G. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestanden. Dies war während des Zeitraums, in dem das BfV ausweislich der Personenakte von einer Tätigkeit des Klägers für bzw. im SHB G. ausgegangen ist (aa)), nicht der Fall (bb)). Darüber hinaus ist die Anlage einer Personenakte über den Kläger auch dann als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig anzusehen, wenn man Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des SHB G. im maßgeblichen Zeitpunkt unterstellt (cc)).
211aa) Den Anfangspunkt des relevanten Zeitraums, in dem aus Sicht des BfV Erkenntnisse über eine Tätigkeit des Klägers für bzw. im SHB G. vorhanden waren, bildet der Beginn der Beobachtung im Oktober 1970. Danach finden sich in der Personenakte in Bezug auf den SHB G. die Informationen, dass der Kläger am 8. Dezember 1970 Referent eines u. a. vom SHB mitveranstalteten „teach-in“, ab dem 28. Januar 1971 Mitglied des AStA sowie ab dem 28. Juni 1971 und sodann nochmals ab dem 15. Mai 1972 Mitglied des Studentenrates als SHB-Mitglied gewesen sei. Spätere Erkenntnisse mit Bezug zum SHB sind (im ungeschwärzten Teil der Personenakte) nicht vorhanden. Von einer Verbindung zum SHB G. kann daher bis maximal zum Ende des Sommersemesters 1972 unter der Prämisse ausgegangen werden, dass so lange die Mitgliedschaft des Klägers im Studentenrat gedauert haben dürfte. Dieser aus den vorhandenen Erkenntnissen in der Personenakte abgeleitete Zeitraum deckt sich im Übrigen mit den Angaben des Klägers, der vorgetragen hat, im Jahr 1972 sämtliche studentischen Ämter niedergelegt und ab diesem Zeitpunkt keinen Kontakt zum SHB G. mehr gehabt zu haben.
212bb) Im Zeitraum vom Oktober 1970 bis zum September 1972 sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen des SHB G. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ersichtlich.
213Bei dem 1960 gegründeten SHB handelte es sich zunächst um eine der SPD nahestehende Hochschulgruppe, der die SPD ausdrücklich die Bezeichnung als „Sozialdemokratischer Hochschulbund“ gestattet hatte. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser Organisation wegen einer Prägung im kommunistisch-sozialistischen Sinne liegen im relevanten Zeitraum nicht vor. Zwar ist eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung im klassisch marxistisch-leninistischen Sinn als verfassungsfeindlich einzuordnen ((1)). Die von der Beklagten angeführten Erkenntnisse bieten indes keine ausreichend verdichteten tatsächlichen Anhaltspunkte für eine solche Ausrichtung des SHB G. ((2)).
214(1) Die Verfassungsfeindlichkeit einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der KPD geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat u. a. ausgeführt: Das Anstreben einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung, die durch eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne erreicht werden soll, ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. In einer solchen Gesellschaft sind - vor allem in der Phase der Diktatur des Proletariats - die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie allgemeine und gleiche Wahlen nicht gewährleistet.
215Nach marxistisch-leninistischer Lehre ist die Diktatur des Proletariats eine notwendige Vorstufe zur Erreichung des Sozialismus. In dieser Phase wandelt das Proletariat, das durch eine Revolution die Macht ergriffen hat, in fortgesetzten revolutionären Kämpfen die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistisch- kommunistische um. Hierzu bedarf es einer Unterdrückung des Widerstands der durch die Revolution entmachteten Klasse. Die Staatsgewalt ist bei der Staatspartei - der Kommunistischen Partei - konzentriert, die alleinige Trägerin der den Massen verborgenen Einsicht in die Natur des Klassenkampfs ist.
216Die so verstandene Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Es wäre nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet würde, die die kennzeichnenden Merkmale der Diktatur des Proletariats trüge. In einem derartigen Gemeinwesen sind die Menschenrechte nicht gewährleistet. Für die Angehörigen der entmachteten und nunmehr unterdrückten Klasse ist das selbstverständlich. Da alles staatliche Handeln der Aufgabe der grundlegenden Neugestaltung der staatlichen Ordnung und der Erreichung des Sozialismus untergeordnet ist, stehen auch den Mitgliedern der nunmehr herrschenden Klasse Grundrechte nur insoweit zu, als sie der Festigung der Diktatur des Proletariats zumindest nicht entgegenstehen. Angesichts der Allmacht der Kommunistischen Partei und ihrer alleinigen Einsicht in die politischen Notwendigkeiten scheiden eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und erst Recht Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition aus. Die Erörterung von Methoden und Einzelmaßnahmen ist ausgeschlossen, sobald sie einmal von der herrschenden Partei autoritativ verkündet worden sind. Angesichts dessen bestehen auch für eine Ablösbarkeit der Regierung sowie allgemeine und gleiche Wahlen kein Raum und kein Bedürfnis.
217BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, a. a. O., Rn. 250 ff. mit umfangreichen Nachweisen; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 1. Februar 1989 - 1 D 2.86 -, BVerwGE 86, 99 = juris, Rn. 29 ff., und vom 29. Oktober 1981 - 1 D 50.80 -, BVerwGE 73, 263 = juris, Rn. 32 ff.
218(2) Tatsächliche Anhaltspunkte für sozialistisch-kommunistische Bestrebungen des SHB G. im vorgenannten Sinn lassen sich zunächst nicht aus dem von der Beklagten angeführten Beschluss der 11. Bundesdelegiertenversammlung des SHB vom November 1970 ableiten. In dem Beschluss heißt es u. a.:
219„Der Sozialdemokratische Hochschulbund ist der Meinung, daß eine Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten in Fragen, in denen gemeinsame Interessen und Auffassungen bestehen, ein notwendiges und weiterhin vom SHB zu praktizierendes Mittel ist, einen Politisierungsprozeß in der Bevölkerung und in der Studentenschaft zu fördern. Das bedeutet nicht, daß wir die kritische Auseinandersetzung mit Kommunisten scheuen.
220Die Bundesdelegiertenversammlung fordert alle SHB-Gruppen und alle Sozialdemokraten auf, Aktionsgemeinschaften mit Kommunisten dort zu praktizieren, wo es den gemeinsamen sozialen und politischen Interessen dient.“
221Allein die Aufforderung, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten, bietet nach den oben dargelegten Maßstäben jedenfalls dann keinen hinreichenden Verdacht eigener verfassungsfeindlicher Bestrebungen bzw. für die Unterstützung entsprechender Bestrebungen, wenn sich diese Zusammenarbeit ausschließlich auf bestimmte verfassungskonforme Teilziele bezieht.
222Vgl. Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 69; vgl. zum Tatbestandsmerkmal des „Unterstützens“ einer terroristischen Vereinigung im Ausländerrecht ferner: BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, a. a. O., Rn. 27, vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, a. a. O., Rn. 15, und vom 17. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, a. a. O., Rn. 21.
223Dieser für einzelne Unterstützer bzw. Sympathisanten verfassungsfeindlicher Organisationen entwickelte Grundsatz muss für kooperierende Personenzusammenschlüsse ebenso gelten. Der Beschluss der 11. Bundesdelegiertenkonferenz des SHB ist im Sinne der Aufforderung zu einer solchen begrenzten Zusammenarbeit zu verstehen. Dies ergibt sich aus der Beschränkung auf die Zusammenarbeit in Bereichen „wo es den gemeinsamen sozialen und politischen Interessen dient“ sowie dem Hinweis auf die Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit Kommunisten, mit dem zum Ausdruck gebracht wird, dass keine umfassende inhaltliche Übereinstimmung mit diesen besteht. Darüber hinaus ist der Beschluss als Reaktion darauf gefasst worden, dass die SPD zuvor „jegliche Zusammenarbeit mit Kommunisten“ abgelehnt habe, „auch wenn damit gemeinsame Interessen verfolgt“ würden. Auch diese Formulierung macht deutlich, dass das Vorliegen übereinstimmender Interessen mit Kommunisten nicht als selbstverständlich angesehen wird. Es liegen demgegenüber keine Hinweise darauf vor, dass die im Beschluss genannten gemeinsamen sozialen und politischen Interessen im Bereich der o. g. verfassungswidrigen Bestandteile der sozialistisch-kommunistischen Überzeugung liegen, zumal der SHB sich selbst als sozialdemokratisch verstand. Als Beispiel gemeinsamer Interessen wird vielmehr die Unterzeichnung des Moskauer Vertrages durch die UdSSR und die Bundesrepublik genannt. Dadurch kommt nicht zum Ausdruck, dass die verfassungsfeindlichen Bestandteile der kommunistischen politischen Arbeit als förderungs- oder unterstützungswürdig angesehen werden.
224Im Übrigen verweist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf, dass unbekannt ist, ob der SHB G. dem Beschluss der 11. Bundesdelegiertenversammlung des SHB überhaupt gefolgt ist und es auch deshalb - ungeachtet der Bewertung des Beschlusses der 11. Bundesdelegiertenkonferenz - an tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen dieser Hochschulgruppe fehlt. Etwas anderes ergibt sich zunächst nicht aus dem Umstand, dass am 8. Dezember 1970 ein „teach-in“ stattgefunden hat, das der SHB G. gemeinsam mit der „Aktion Dritte Welt“ und dem DKP-nahen „Spartakus“ veranstaltet hat. Allein die gemeinsame Organisation einer Veranstaltung durch verschiedene Hochschulgruppen lässt sich nicht als Verwirklichung einer umfassenden „Aktionsgemeinschaft“ interpretieren, zumal unklar bleibt, welche Themen und Inhalte Gegenstand des „teach-in“ gewesen sind.
225Die gemeinsame Organisation einer Veranstaltung mit einer kommunistischen Gruppe stellt auch unabhängig vom Beschluss zur Aktionsgemeinschaft keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dar. Anderenfalls wäre nur der vollständige Boykott jeglicher Veranstaltung unter Beteiligung verfassungsfeindlicher Gruppierungen geeignet, nicht selbst potentielles Beobachtungsobjekt des BfV zu werden. Ein solches Verständnis würde den Begriff der tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen überdehnen und ist auch unter Berücksichtigung des Gebotes der Bestimmtheit und Klarheit gesetzlicher Vorschriften abzulehnen.
226Ein Anhaltspunkt für die Verwirklichung der Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten durch den SHB G. ergibt sich ferner nicht aus dem Sammelband „Aktuelle Materialien zur Klassenanalyse hochentwickelter Gesellschaften“ von 1971/1972. Eine konkrete Zusammenarbeit mit Kommunisten im Hinblick auf ein bestimmtes politisches Ziel im Sinne der Aktionsgemeinschaft geht aus dem Sammelband, der gemeinsam von SHB und AStA herausgegeben wurde, nicht hervor. Die Veröffentlichung bietet auch im Übrigen keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für eine sozialistisch-kommunistische Prägung des SHB G. .
227Da es sich um einen wissenschaftlichen Sammelband handelt, ist bereits im Rahmen der Anforderungen an die Feststellung von tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen der Schutzgehalt der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergänzend zu berücksichtigen. Die bloße wissenschaftliche Beschäftigung mit einer extremistischen Theorie reicht als Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht aus. Stehen Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit vorgetragen, gelehrt, weiterentwickelt, diskutiert und auch bekämpft werden können, kommt es für die Abgrenzung zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel darauf an, ob die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer zu aktivem Handeln entschlossenen politischen Gruppe in ihren Willen aufgenommen und zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden. Nur unter dieser Voraussetzung kann die ggf. verfassungsfeindliche Theorie Bedeutung gewinnen, aber nicht als solche, sondern weil sie Anhaltspunkte für die Ermittlung und Deutung der Ziele der Gruppierung liefern kann.
228Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 -, a. a. O., Rn. 232.
229Der Sammelband ist weder hinsichtlich des Vorworts noch im Hinblick auf die beteiligten Autoren oder die Titel der Aufsätze darauf angelegt, einer zu aktivem Handeln entschlossenen Gruppe Bestimmungsgründe für ihre politischen Aktivitäten im Sinne einer sozialistisch-kommunistischen Ideologie zu vermitteln. Der Band dient vielmehr offensichtlich dazu, den Meinungsstand als Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Klassenanalyse wiederzugeben.
230Das Vorwort ist geprägt von dem Ziel, „in linken Kreisen weithin unbekannte[n] Texte zur Diskussion [vorzulegen]“, bzw. „verschiedene Strukturanalysen in die gegenwärtige Diskussionsphase einzubringen.“ Die Texte sollen nicht „absolut verstanden werden, sondern als Beitrag zu einer elastischen Klassenanalyse hochentwickelter Gesellschaften“. Diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, dass mit Hilfe des Sammelbandes oder in sonstiger Weise einer der die freiheitliche demokratische Grundordnung prägenden Verfassungsgrundsätze beseitigt oder außer Geltung gesetzt werden soll. Auch die geplante Verwendung des Sammelbandes in einem Arbeitskreis des SHB mit dem Thema „Politische Ökonomie“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Die analytischen und konstruktiven Ziele des Arbeitskreises (Analyse der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und Entwicklung von Modellen für eine humane Zukunft) bieten keine Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung. Allein der programmatisch formulierte abschließende Satz des vom Kläger verfassten Vorworts des Sammelbandes, mit dem er die Linke auffordert, „wenigstens die wesentlichen Elemente einer Theorie der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln, etwa nach Marx, als Resultat aller bisherigen Klassenkämpfe, zugleich als notwendige Vorstufe zur Aufhebung der Klassengesellschaft“, ist zumindest mit dem letztgenannten Ziel auf die Beseitigung eines gesellschaftlichen Phänomens gerichtet. Der Erhalt einer Klassengesellschaft ist allerdings kein Verfassungsgrundsatz, der Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wäre. Dass der Kläger mit der Aufforderung, eine Theorie als Vorstufe einer Aufhebung der Klassengesellschaft zu entwickeln, etwa für eine Diktatur des Proletariats einträte, zu deren Gunsten er die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wolle, ist dieser Äußerung nicht zu entnehmen.
231Auch die Autoren der ausgewählten Abhandlungen zur Klassenanalyse bieten keine konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des SHB G. als Herausgeber des Bandes.
232Die einzelnen Autoren sprechen zumindest überwiegend für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema des Sammelbandes. Bei den meisten von ihnen handelt es sich, soweit heute noch nachzuvollziehen, um Personen, die bereits 1970 oder in späteren Jahren wissenschaftlich tätig waren, und zwar als Soziologen (Klaus Meschkat- 1975 bis 2000 Professor an der Universität Hannover; Adolf Brock - 1974 bis 1987 Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Hannover), als Politologen (Ernst Piehl - u. a. 1969 bis 1975 Referent beim Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Düsseldorf; Matthias Pfüller - 1996 bis 2011 Professor an der Hochschule Mittweida) oder als Philosoph (Svetozar Stojanovic - bis 1975 Professor an der Universität Belgrad, anschließend aus politischen Gründen entfernt). Kajo Heymann war 1973 an einem im Suhrkamp Verlag erschienenen und u. a. von Klaus Meschkat herausgegebenen Sammelband beteiligt. Mit dem Beitrag des 1964 verstorbenen Eugen Varga ist in dem Band allerdings ein Autor vertreten, der als ein bedeutender ökonomischer Ideologe der KPdSU gilt,
233https://de.wikipedia.org/wiki/Eugen_Varga (Stand: 13. März 2017).
234Selbst wenn außerdem die Beiträge von Klaus Herrmann und von R. Lombardo-Radice sowie die des Mannheimer Marxismus-Arbeitskreises und des Kollektivs „Rote Kritik“ weniger wissenschaftlich als ideologisch geprägt sein sollten, so liegt der Schwerpunkt des Sammelbandes offensichtlich in einer der Wissenschaft und - als Diskussionsgrundlage des Arbeitskreises des SHB G. - auch der Lehre verpflichteten Erarbeitung und Darstellung von Erkenntnissen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema Klassenanalyse befassen. Diesen Eindruck vermitteln auch die Titel der meisten Beiträge. Soweit in dem Sammelband außerdem zwei Beiträge enthalten sind, die sich mit „Realmarxismus und revolutionäres Subjekt“ bzw. mit dem russischen Weg zum Sozialismus beschäftigen, was für einen ideologisch kommunistischen Ansatz sprechen kann, könnten sich hieraus eventuell ergebende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der jeweiligen Autoren nicht ohne Weiteres dem SHB G. als einem der Herausgeber des Sammelbandes zugerechnet werden. Die Nutzung der in einem Druckerzeugnis veröffentlichten Aufsätze als Anhaltspunkte für entsprechende Bestrebungen der Herausgeber bzw. finanziellen Förderer des Buches darf sich zwar auch auf von Dritten verfasste Artikel beziehen. Es bedarf aber besonderer Anhaltspunkte, warum aus solchen Beiträgen Dritter entsprechende Bestrebungen der Herausgeber oder finanziellen Förderer abgeleitet werden können.
235Vgl. zu diesem Maßstab im Zusammenhang mit Presseerzeugnissen: BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, a. a. O., Rn. 74.
236Dagegen spricht, dass in dem Sammelband nach dem oben Gesagten ganz überwiegend Aufsätze versammelt sind, die für einen wissenschaftlichen Ansatz sprechen und gerade nicht als Konvolut ideologischer Auftragsarbeiten erscheinen, die auf Vorgaben des SHB oder der Herausgeber des Bandes zurückgehen.
237Vgl. zu dem Aspekt der Herausgabe von Publikationen im Auftrag etwa der Vereinsleitung: BVerwG, Beschluss vom 21. April 1995 - 1 VR 9.94 -, NJW 1995, 2505 = juris, Rn. 7, Urteil vom 13. April 1999 - 1 A 3.94 -, NVwZ-RR 2000, 70 = juris, Rn. 23 f.
238Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass der Kläger im Rahmen des „Initiativausschusses G. Studenten“ Kontakte zu Referenten aus der DDR knüpfte, kein Anhaltspunkt für die damalige Beobachtung rechtfertigende verfassungsfeindliche Bestrebungen des SHB G. ableiten. Dies folgt zum einen bereits daraus, dass die Betätigung des Klägers in dem Initiativausschuss dem BfV im hier maßgeblichen Beobachtungszeitraum von 1970 bis 1972 gar nicht bekannt gewesen sein dürfte. Der von der Beklagten in Bezug genommene Artikel in der Deutschen Volkszeitung vom 5. November 1970, in dem der Kläger über DDR-Kontakte von G. Studenten im Rahmen eines Arbeitskreises berichtet, ist in der Personenakte des Klägers erst zwischen Unterlagen abgeheftet, die aus den neunziger Jahren stammen. Da er eine Aktivität des Klägers - und nicht des SHB - betrifft, ist auch nicht davon auszugehen, dass er in einer entsprechenden Sachakte gesammelt worden ist. Unabhängig davon enthält der Artikel aber ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers und damit des SHB G. . Dies ergibt sich insbesondere aus der Zielsetzung des Arbeitskreises, die der Kläger in seinem Artikel zum Ausdruck bringt. Danach geht es darum,
239„den humanen Anspruch mit den objektiven ökonomischen Notwendigkeiten zu vergleichen, den Weg zur Überwindung gesellschaftlicher Widersprüche zu untersuchen, überhaupt Informationen aus der DDR zu erhalten, um diese mit unserer Situation in der BRD zu vergleichen, um mit Hilfe dieser Beziehungen endlich jene sich laufend vergegenwärtigende Vergangenheit der letzten Jahrzehnte zu überwinden.“
240Zu diesem Zweck sollten Referenten aus der DDR über Sozialpolitik, Konvergenztheorie, Staatstheorie und in dem darauffolgenden Semester über die politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR vortragen. Vor dem Hintergrund der Ostverträge und des Entspannungskonzepts der Regierung Willy Brandts im Sinne eines Wandels durch Annäherung ist nicht zu erkennen, inwieweit der in dem Artikel beschriebene Arbeitskreis Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen enthalten soll. Allein die Auseinandersetzung mit einem politischen System, das in Widerspruch zu Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, stellt kein gegen diese Grundordnung gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Verhalten dar.
241Die von der Beklagten in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen zur Ausrichtung des SHB sowie das auf der 13. Bundesdelegiertenversammlung im November 1972 verabschiedete Grundsatzprogramm können vorliegend bereits deshalb nicht als Anhaltspunkte für die Beobachtung des Klägers rechtfertigende verfassungsfeindliche Bestrebungen dienen, weil sie Zeiträume betreffen, die nach September 1972 liegen und daher nach dem oben Gesagten für die Beurteilung nicht mehr maßgeblich sind.
242cc) Letztlich ist dem Verwaltungsgericht auch insoweit beizupflichten, als es die Anlage einer Personenakte wegen der Tätigkeit des Klägers im bzw. für den SHB G. darüber hinaus als jedenfalls unverhältnismäßig eingestuft hat, soweit man entgegen der vorgenommenen Würdigung bei der Organisation tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstellt. Ausgehend von der Personenakte war dem BfV im maßgeblichen Zeitraum lediglich bekannt, dass der Kläger Pressereferent des AStA der Universität G. war, am 8. Dezember 1970 als Referent am „teach-in“ von SHB, „Spartakus“ und „Aktion Dritte Welt“ teilgenommen hatte, am 28. Januar 1971 Mitglied des AStA wurde sowie am 28. Juni 1971 und erneut am 15. Mai 1972 für den SHB als Mitglied in den Studentenrat gewählt wurde. Weitere Erkenntnisse - wie etwa die zweimonatige Vorstandstätigkeit des Klägers - lassen sich der Personenakte nicht entnehmen und können daher nicht zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beobachtung herangezogen werden. Aber selbst wenn man den Umstand, dass der Kläger das Vorwort des vom AStA und dem SHB herausgegebenen Sammelbandes formuliert hat, zusätzlich berücksichtigt, steht die personenbezogene Beobachtung des Klägers und der damit verbundene erhebliche Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angesichts allenfalls erster vager Anhaltspunkte in Bezug auf den SHB und der nur etwa anderthalbjährigen Dauer des - nach der Erkenntnislage jedenfalls nicht herausragenden - Engagements des Klägers für diesen außer Verhältnis zu den mit der Beobachtung zu gewinnenden Erkenntnissen und damit der zu erwartenden Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen einer Gruppierung. Dies gilt umso mehr, als nach dem oben Gesagten im hier zu beurteilenden Zeitraum auch kein Anhaltspunkt für individuelle verfassungsfeindliche Überzeugungen bzw. Bestrebungen des Klägers selbst ersichtlich sind und sich - über die Tätigkeit bei dem SHB hinaus - auch keine sonstigen Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen oder die Nähe zu solchen aus der Personenakte ergeben.
243b) Eine Beobachtung des Klägers war in den Jahren 1970 bis 1972 auch nicht aufgrund möglicher individueller Bestrebungen - also ohne Bezug zu einem Personenzusammenschluss - gerechtfertigt. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bot nach dem oben Gesagten insbesondere nicht die Veranstaltung des Arbeitskreises mit Referenten aus der DDR.
2442. In den Jahren 1973 bis 2008 waren die tatbestandlichen Voraussetzungen einer gezielten Beobachtung des Klägers weder im Hinblick auf dessen Mitgliedschaft in der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ bzw. „Nicht länger geheim“ (a)) sowie - nach seinem Ausscheiden - auf die weitere Unterstützung des Magazins (b)), noch durch eine nachdrückliche Unterstützung der DKP (c)) oder DKP-naher Organisationen (d)) gegeben. Es lagen ferner keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beobachtung des Klägers als Einzelperson (d. h. ohne Zusammenhang mit einem Personenzusammenschluss) vor (e)). Unabhängig davon stellt sich die Beobachtung des Klägers in dem genannten Zeitraum auch als unverhältnismäßig dar (f)).
245a) Für die Jahre 1986 bis 1999 stützt die Beklagte die gezielte Beobachtung des Klägers u. a. auf dessen Mitgliedschaft in der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ (bzw. „Nicht länger geheim“), hinsichtlich derer tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bestünden. Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion lassen sich den in der Personenakte des Klägers enthaltenen Dokumenten für die Zeit seiner Mitgliedschaft indes nicht entnehmen.
246Das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen setzt nach dem oben Gesagten sowohl Hinweise auf die verfassungsfeindliche Überzeugung bzw. das verfassungsfeindliche Ziel als auch Anhaltspunkte für ein davon getragenes aktives Handeln voraus. Die Redaktion der Zeitschrift bietet daher nur dann hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen, wenn - über mögliche verfassungsfeindliche Überzeugungen der Redaktionsmitglieder hinaus - auch Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie aktiv auf die Umsetzung verfassungsfeindlicher Ziele hinarbeitet. Denn ein Presseorgan ist - anders als eine politische Partei - nicht schon seiner Natur nach eine auf politische Aktivität und Einflussnahme auf politische Verhältnisse ausgerichtete Organisation, bei der ohne weiteres davon auszugehen ist, dass sie auch mit der Intention der Änderung der realen Verhältnisse agiert.
247So für politische Parteien BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 61.
248Eine auf die Durchsetzung verfassungsfeindlicher Ziele gerichtete Aktivität besteht bei dem Verfassen bzw. der Herausgabe eines Magazins typischerweise darin, durch Zuhilfenahme bestimmter immer wiederkehrender Formate und Inhalte politisch meinungsbildend tätig zu werden und auf diese Weise für verfassungsfeindliche Positionen zu werben.
249Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 10 BV 16.1237 -, juris, Rn. 37; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, a. a. O., Rn. 72.
250Gemessen daran ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ zunächst nicht aus den DDR-Kontakten des Redaktionsmitgliedes P. (aa)). Das gleiche gilt im Hinblick auf die politische Verortung der übrigen Redaktionsmitglieder, die Veröffentlichung des Magazins im GNN-Verlag sowie den Titel der Zeitschrift (bb)). Auch die Inhalte der von den Redaktionsmitgliedern verfassten Artikel enthalten keine tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der Redaktion (cc)).
251aa) Aus den DDR-Kontakten des Redaktionsmitglieds P. , insbesondere zu Julius Mader und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der „Geheim“-Redaktion ableiten. Das Redaktionsmitglied P. stand kurz vor dem Erscheinen der ersten „Geheim“-Ausgabe in brieflichem Kontakt mit dem MfS-Offizier Julius Mader. In dem vorliegenden Schreiben vom 16. Juni 1985 erkundigt sich Mader nach dem Stand des Projekts (gemeint ist wohl „Geheim“) und wünscht dafür Erfolg. Ferner bietet er eigene Artikel zum Nachdruck an. Darauf scheint er von P. keine Antwort erhalten zu haben, da er sich unter dem 2. August 1985 erkundigt, ob sein Brief angekommen sei; er habe seit dem 5. Juni 1985 nichts mehr von P. gehört. Ein Anhaltspunkt für eine Indoktrination oder gezielte Beeinflussung im sozialistisch-kommunistischen Sinne durch Mader ergeben sich daraus nicht. Auch die Erkenntnisse aus dem Vermerk der Staatsanwaltschaft E. vom 15. November 1996 führen letztlich zu keinem anderen Ergebnis. Danach geht die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren gegen P. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit davon aus, dass spätestens im Jahr 1988 ein Mitarbeiter des MfS Kontakt zu diesem aufgenommen habe, um ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Das MfS habe die Möglichkeit gesehen, P. bzw. die Zeitschrift „Geheim“ für von ihm gesteuerte Veröffentlichungen zu nutzen. Diesem Ansinnen sei P. in der Folgezeit nachgekommen; er habe insgesamt 8.000 DM für seine Tätigkeit erhalten und auch Exemplare von „Geheim“ übergeben. Die diesbezüglichen Erkenntnisse stammen - unabhängig davon, dass sich daraus keinerlei konkrete Beeinflussungen von „Geheim“ ergeben - aus der Mitte der neunziger Jahre, wie sich aus dem Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens sowie daraus ergibt, dass es sich bei den Zeugen, auf deren Aussage der Tatverdacht beruht, um ehemalige MfS-Mitarbeiter handelt. Auch in der Personenakte des Klägers findet sich lediglich die staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung vom 21. November 1996. Zu diesem Zeitpunkt war eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS aber notwendigerweise schon beendet und die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland eine gänzlich andere als zur Tatzeit, weshalb die genannten Zusammenhänge insoweit auch zu diesem Zeitpunkt keinen Anknüpfungspunkt für (aktuelle) verfassungsfeindliche Bestrebungen der Zeitschrift mehr bieten konnten.
252bb) Auch der Titel der Zeitschrift „Geheim“ bzw. „Nicht länger geheim“ sowie die Veröffentlichung im GNN-Verlag bieten keine ausreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion, weil darin keine meinungsbildende Tätigkeit liegt, durch die für verfassungsfeindliche Positionen geworben wird. Im Übrigen ist anzumerken, dass der Titel des Magazins für eine Zeitschrift, die thematisch hauptsächlich auf eine kritische Auseinandersetzung mit Geheimdiensten und Polizei ausgerichtet ist, nicht ungewöhnlich erscheint, und bereits deshalb der Übereinstimmung mit dem Titel des Buches Julius Maders keine wesentliche Aussagekraft beigemessen werden kann.
253cc) Auch die Inhalte der Zeitschrift bieten keine ausreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion. Der Senat geht dabei davon aus, dass Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen nur aus Artikeln der Redaktionsmitglieder abgeleitet werden können. Zwar darf sich die Nutzung der in der Zeitung veröffentlichten Artikel als Anhaltspunkte für entsprechende Bestrebungen grundsätzlich auch auf solche Artikel beziehen, die die Mitglieder ihrer Redaktion nicht selbst verfasst haben. Es bedarf aber besonderer Anhaltspunkte, warum aus den Artikeln von Dritten entsprechende Bestrebungen der Redaktion abgeleitet werden. Dies kann der Fall sein, wenn durch die redaktionelle Auswahl der von Dritten geschriebenen Veröffentlichungen verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion zum Ausdruck kommen. Anderes gilt, wenn sich die Zeitung als „Markt der Meinungen“ versteht. Wird aus dem Abdruck der von Dritten stammenden Artikel oder Leserbriefe der Wille der Redaktion erkennbar, sich nicht auf Beiträge zu beschränken, die einer bestimmten redaktionellen Linie entsprechen, kann aus ihrer Veröffentlichung nicht zwingend geschlossen werden, dass darin zugleich eine Bestrebung der Redaktion erkennbar wird. Bei der diesbezüglichen Bewertung ist zu beachten, dass es der Zeitung freisteht, Funktion und Reichweite des eröffneten Forums zu begrenzen, etwa auf ein bestimmtes politisches Spektrum.
254Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 ‑ 1 BvR 1072/01 -, a. a. O., Rn. 74 ff.
255Gemessen daran sind der Redaktion vorliegend die Inhalte der von Dritten - beispielsweise von Julius Mader - verfassten Artikel nicht in dem Sinne zurechenbar, dass daraus auf eine Übereinstimmung in jeder Hinsicht geschlossen werden kann. Zwar eröffnet die Zeitschrift „Geheim“ durch die schwerpunktmäßige Ausrichtung auf geheimdienst- und polizeikritische Artikel sowohl thematisch als auch politisch ein nur begrenztes Forum. Innerhalb der durch diese Verortung begrenzten Reichweite lässt sich angesichts der Vielzahl und Diversität der veröffentlichenden Autoren sowie der bereits daraus notwendigerweise resultierenden inhaltlichen Unterschiede aber durchaus ein „Markt der Meinungen“ ohne vorgegebene redaktionelle Linie feststellen. So finden sich unter den Autorinnen und Autoren der Zeitschrift sowohl Abgeordnete der SPD (etwa I3. B. T3. ) und der Grünen (etwa der spätere Datenschutzbeauftragte des Landes T, U. X. ) als auch der bereits erwähnte Julius Mader, bei dem es sich um ein SED-Mitglied und - wie sich später herausstellte - um einen Offizier des MfS handelte.
256Bei der Prüfung, ob sich verfassungsfeindliche Bestrebungen in den vorliegenden Inhalten und Äußerungen manifestieren, wirkt sich der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG aus. Es muss insoweit ergänzend berücksichtigt werden, dass die Meinungs- und die Pressefreiheit ihrerseits konstituierend für die Demokratie sind, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt.
257Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005
258- 1 BvR 1072/01 -, a. a. O., Rn. 71 f.
259Für die Beurteilung von Äußerungen kommt es daher nicht auf ihre abstrakte Interpretierbarkeit und Bewertung an, sondern auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtausrichtung der Gruppierung,
260vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009
261- 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 46 ff.; in Bezug auf Parteien: BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, BVerwGE 110, 126 = juris, Rn. 31; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 - OVG 3 B 3.99 -, NVwZ 2006, 838 = juris, Rn. 47.
262Bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung sind der Kontext, die Begleitumstände und die Zielrichtung der Äußerungen angemessen zu berücksichtigen und es dürfen andere, mäßigende Äußerungen nicht außer Acht gelassen werden,
263vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, BVerwGE 114, 258 ff. = juris, Rn. 42; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 - OVG 3 B 3.99 -, a. a. O., Rn. 145.
264Gemessen an den genannten Maßstäben lassen sich vorliegend aus dem Inhalt der Zeitschrift hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion von „Geheim“ nicht feststellen.
265(1) Solche Anhaltspunkte ergeben sich zunächst nicht aus der allgemeinen thematischen Ausrichtung der Zeitschrift. Ausweislich einer Erklärung der Redaktion in der ersten Ausgabe (Nr. 0/85) unter dem Titel „Editorial: Warum Geheim?“ solle die Publikation Bespitzelungspraktiken, Polizeiwillkür und den stetigen Abbau demokratischer Rechte aufdecken sowie alle Versuche, den „gläsernen Bürger“ zu schaffen und die Macht der bundesdeutschen Sicherheitsorgane zur Allmacht werden zu lassen. „Geheim“ solle ein Magazin zur Sicherung der Bürgerrechte sein und Tipps zur Selbsthilfe gegen Abhörpraktiken, Polizeiwillkür oder Unterwanderungsmethoden liefern. In der Rubrik „Naming Names“ sollten angebliche CIA-Agenten und ihre Einsatzorte veröffentlicht werden, was laut oben genanntem Editorial dem Ziel der Anti-CIA-Arbeit dienen sollte. Insgesamt kommt damit eine offensiv geheimdienst- und polizeikritische Ausrichtung der Zeitschrift zum Ausdruck, die sich in den Inhalten der veröffentlichten Artikel widerspiegelt. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich indes kein tatsächlicher Anhaltspunkt für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen daraus ableiten, dass sich die Beiträge in „Geheim“ ausschließlich oder jedenfalls ganz überwiegend kritisch mit westlichen Geheimdiensten und insbesondere denen der Bundesrepublik auseinandersetzten und eine Befassung mit der Arbeit der Geheimdienste kommunistischer Staaten nicht bzw. nur ganz untergeordnet erfolgte. Es ist schon nicht hinreichend deutlich, welches Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung von der monierten Einseitigkeit der thematischen Ausrichtung überhaupt betroffen sein soll; eine Verfassungspflicht zur allseitig ausgewogenen, alle Aspekte beleuchtenden Berichterstattung existiert nicht und kann unter Berücksichtigung der Gewährleistungen der Pressefreiheit auch nicht existieren.
266Soweit die Beklagte aus der beschriebenen inhaltlichen Ausrichtung des Magazins das Ziel des Umsturzes im klassisch kommunistisch-sozialistischen Sinn ableitet, handelt es sich dabei angesichts mannigfaltiger möglicher Gründe für einen bestimmten thematischen Zuschnitt einer Zeitschrift um eine Hypothese, die sich nicht anhand objektiver Indizien belegen lässt.
267Auch die von der Beklagten herangezogene Auseinandersetzung innerhalb der Redaktion im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Artikels des Klägers „Die Problematik der personellen Abrechnung“ („Geheim“ Nr. 4/94), in dem u. a. die Tätigkeit der Staatssicherheit der DDR thematisiert wurde, führt insofern nicht weiter. Die Redaktion veröffentlichte den genannten Artikel gemeinsam mit einer Erklärung, in der es heißt:
268„Der folgende Beitrag […] hatte schon in der Nummer 3/94 des GEHEIM-Magazins abgedruckt werden sollen. Daraus wurde nichts, weil sich zeigte, dass bei den Fragen, die das Thema aufwirft, und zu den Antworten, die S1. H1. in diesem Beitrag findet, dringender Diskussions- und Klärungsbedarf in der Redaktion selbst, zwischen den Redaktionsmitgliedern besteht. […] Es geht um nicht weniger als um die Frage des Verhältnisses zur Tradition, um die Frage, ob das, was DDR war, mithin SED, mithin MfS, mithin „Stasi“, so selbstverständlich wie Bauernkrieg und Reformation, wie Französische Revolution und Kommune von Paris, wie russische Oktoberrevolution und deutsche Novemberrevolution, wie Widerstand und Befreiung von Faschismus, zur demokratischen Tradition der Menschheit gehöre, oder aber ob sie etwa außerhalb dieser Tradition zu verorten, aber von dort zu beurteilen sei.“
269Dieser Erklärung der Redaktion lässt sich eine hinreichend konkrete Einordnung der Staatssicherheit oder der DDR im Sinne eines anzustrebenden Gesellschaftssystems nicht entnehmen. Selbst wenn man unter Berücksichtigung des Inhalts des die Diskussion anstoßenden Artikels des Klägers unterstellt, dass den übrigen Redaktionsmitgliedern die darin an der Staatssicherheit geäußerte Kritik zu weit ging, lässt sich daraus - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt hat - kein tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion insgesamt, sondern allenfalls für eine gegenüber DDR und Staatssicherheit unkritische Geisteshaltung der übrigen Redaktionsmitglieder ableiten. Eine Werbung für verfassungsfeindliche Ziele liegt darin angesichts der ‑ jedenfalls für außenstehende Leser - eher vagen Andeutungen der divergierenden Positionen nicht.
270Ein Eintreten für einen Umsturz im sozialistisch-kommunistischen Sinne oder diesbezügliche tatsächliche Anhaltspunkte lassen sich auch dem Artikel „Polizeiliche Einkreisung der Demonstrationsfreiheit“ („Geheim“ Nr. 1/87) nicht entnehmen. Dort heißt es in einem Abschnitt zu Deeskalationsgesprächen zwischen Polizei und Mitgliedern von Bürgerbewegungen im Vorfeld von Großdemonstrationen:
271„Die aufgenötigte Spaltung der Friedensbewegung in gewaltfreie, staatsloyale Friedensengel und gewalttätige, staatsfeindliche Friedensbengel soll die Friedensbewegung also gleich selbst vollziehen und erstere sollen als psychologische Hilfspolizisten letztere an ihren Protestformen hindern, sie isolieren oder bekehren. […] Die Polizei gibt sich mit ihrer Gesprächsbereitschaft den Anschein, als sei sie Vermittler zwischen Staats- und Bürgerinteressen; die Staatsgewalt als neutrale Instanz zwischen den Fronten scheint nur das für alle Seiten ,Vernünftigeʼ zu wollen. Doch solchen Anwandlungen zum Trotz hat die Staatsgewalt in Gestalt der Polizei eine objektive Funktion - nämlich Staats- und Kapitalinteressen durchzusetzen - auch gewaltsam, und zuwiderlaufende Interessen, da wo sie sich kompromißlos und handelnd äußern, zu verfolgen. […] Solche bilateralen Verhandlungen zur ,Lösung der Gewaltfrageʼ bei Demonstrationen klammern notgedrungen eine wesentliche Frage aus - nämlich die nach der strukturellen Gewalt, die vorhanden ist, bevor der erste Stein fliegt. Es wird so getan, als gäbe es keine auf ökonomischer Unterdrückung basierende Klassengesellschaft, dementsprechend keinen Klassenstaat, eigentlich keine gegensätzlichen Interessen - gerade so, als lebten wir in einer demokratischen Idealgesellschaft. […] Deshalb sind Geheimverhandlungen zwischen Funktionären von politischen Bewegungen, die in ,ihrem Namenʼ geführt werden, und Vertretern von Regierungen und Polizei über Demonstrationsformen etc. nicht nur verfehlt, sondern naiv und politisch gefährlich für die jeweilige Bewegung. Hier schlug ganz offenbar der sozialdemokratische Einfluß auf die Friedenbewegung durch.“
272Es kann dahinstehen, ob mit den vom Kläger gebrauchten Formulierungen unmissverständlich ein sozialistisches Klassendenken zum Ausdruck gebracht wird. Die Annahme des Vorhandenseins gesellschaftlicher Klassen und ökonomischer Unterdrückung sowie die Einordnung der Polizei als Wahrerin von Staats- und Kapitalinteressen lässt sich als eine fundamentale Kritik an den bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen verstehen. Selbst wenn man dies als Bekenntnis zum Sozialismus wertet, so muss damit aber keine Gesellschaftsordnung im klassischen marxistisch-leninistischen Sinne, sondern kann auch eine grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse im Sinne des demokratischen Sozialismus gemeint sein, die den durch das Grundgesetz gezogenen Rahmen nicht überschreitet.
273Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Februar 2009
274- 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 60 ff.; zur wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes vgl. BVerfG, Urteile vom 11. Juni 1958 - 1 BvR 596/56 -, BVerfGE 7, 377 = juris, Rn. 63, und vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 u. a. -,
275VerfGE 50, 290 = juris, Rn. 120.
276Einen Hinweis darauf, dass der Kläger als Mitglied der Redaktion eine Diktatur des Proletariats oder sonstige, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarende Elemente einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung im klassischen Sinn befürwortet, enthält die Passage nicht. Erst recht ist in dem zitierten Abschnitt keine entsprechende bewusste Meinungsbildung durch den Kläger bzw. die Redaktion im Sinne einer Befürwortung einer kommunistischen Revolution zu erblicken.
277Das gleiche gilt hinsichtlich der im Artikel „Stasi-Ost/Stasi-West: Droht der ,Vereinigte Sicherheitsstaatʼ deutscher Nation?“ („Geheim“ Nr. 2/90) erhobenen Forderung nach „radikaldemokratischen Veränderungen“:
278„Um eine langfristige und effektive weiterentwickelnden präventiven Sicherheitsapparat und für radikaldemokratische Veränderungen zu erreichen [sic!], bedarf es darüber hinaus allerdings eines organisierten Widerstands auf allen Ebenen - der wissenschaftlichen, juristischen, parlamentarischen wie außerparlamentarischen -, um den nötigen Druck für Veränderungen erzeugen zu können. Es sollte dabei allerdings tunlichst vermieden werden, mit Sicherheitskräften und Ordnungspolitikern über Widerstandsaktionen und Protestformen zu verhandeln; sie stehen, gerade auch was ihre Unberechenbarkeit für die staatliche Sicherheitsorgane anbelangt, nicht zur Disposition.
279Denn grundsätzliche bürgerrechtliche Opposition schließt auch den kalkulierten Rechtsbruch im Sinne des zivilen Ungehorsams mit ein. Alles andere wäre illusionär. Boykottaufrufe hinsichtlich Volkszählung oder maschinenlesbarem Personalausweis, Besetzungen, Blockaden oder andere Formen des Zivilen Ungehorsams sind schließlich Verletzungen des geltenden Rechts und gehören gleichwohl zu einer lebendigen Widerstandskultur, ohne die wir bereits politisch ziemlich verloren wären.“
280Die Passage enthält keinen Hinweis darauf, dass sich die angestrebten „radikaldemokratischen Veränderungen“ auf die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft beziehen, sondern es ergibt sich aus dem Kontext des Artikels, der sich kritisch mit nachrichtendienstlichen Befugnissen der Geheimdienste und der Polizei auseinandersetzt und im Zuge der deutschen Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang eine „Verfassungsdiskussion und Strukturdebatte“ fordert, dass eine solche damit gerade nicht gemeint war. Im Übrigen fehlt es dem Bekenntnis zum „kalkulierten Rechtsbruch“ bzw. zum „Zivilen Ungehorsam“ an einem Bezug zu den Schutzgütern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
281Schließlich ist auch einer von der Beklagten in Bezug genommenen Formulierung im Beitrag „,Waffengleichheitʼ statt sozialverträglicher Lösungsansätze“ („Geheim“ Nr. 1/97) kein Anhaltspunkt für ein Bekenntnis zum Umsturz im klassisch kommunistisch-sozialistischen Sinn zu entnehmen:
282„Was dieses Land darüber hinaus dringend benötigt, sind tiefgreifende politische Veränderungen, den Mut zu sozialpolitischen Lösungen und eine Absage an die Dominanz polizeilicher bzw. strafrechtlicher Lösungsversuche: eine sozial gerechte Umverteilung von Arbeit und Vermögen (statt der herrschenden Politik eines rigorosen Sozialstaatsabbaus und einer Umverteilung von unten nach oben); eine Beendigung der sozialen Desintegration und Entsolidarisierungsprozesse. Wir brauchen einen konsequenten Ausbau demokratischer Strukturen, eine Verbesserung von Transparenz und demokratischer Kontrolle in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, sowie eine Stärkung und Absicherung der Bürgerrechte statt deren Aushöhlung. Wir brauchen Strukturen, die sozialverträgliche Problemlösungen und Konfliktbewältigung unter verstärkter Bürgerbeteiligung ermöglichen - etwa über runde Tische, Präventionsräte und Elemente direkter Demokratie.“
283Es dürfte unzweifelhaft sein, dass der Kläger als Redaktionsmitglied damit eine wesentliche Veränderung sozialer und wirtschaftlicher Strukturen in der Bundesrepublik einfordert. Angesichts der flankierenden Erläuterungen findet sich aber wiederum kein Anhaltspunkt dafür, dass diese Veränderungen den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten sollen. Der von der Beklagten aufgestellten These, dass es sich bei der auf den ersten Blick unverfänglichen Passage um einen Aufruf zur Etablierung eines sozialistischen Staats- und Gesellschaftssystems handele, weil der Kläger bestimmte Signalwörter der kommunistischen Doktrin verwendet habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Ausdrücke „tiefgreifende politische [und ökonomische] Veränderungen“ und „demokratische Kontrolle“ mögen von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen in einem bestimmten Sinne verwendet werden. Dies kann indes nicht dazu führen, dass die außerhalb eindeutiger Kontexte erfolgende Benutzung der Ausdrücke als Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet wird.
284(2) Auch soweit sich aus dem Editorial der Nullnummer von „Geheim“ sowie den später erschienenen Artikeln das von der Redaktion verfolgte Ziel der Abschaffung von BND und Verfassungsschutz oder jedenfalls deren nachrichtendienstlicher Befugnisse ableiten lässt, kann dies nicht als tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dienen. Verhaltensweisen, die die Auflösung bzw. Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden zum Ziel haben, richten sich nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, weil die Existenz der Verfassungsschutzbehörden kein Bestandteil dieser Grundordnung ist. Deren ‑ bereits vor Inkrafttreten des Bundesverfassungsschutzgesetzes 1990 anerkannte - Elemente sind abschließend in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 aufgezählt. Zwar hat die Existenz des Bundesverfassungsschutzes durch die Schaffung einer diesbezüglichen ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b GG sowie den Vorgaben in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG eine verfassungsrechtliche Normierung erfahren. Es ist aber bereits umstritten, ob sich aus den genannten Normen bzw. aus dem im Grundgesetz verankerten Konzept der wehrhaften Demokratie eine materiell-rechtliche Absicherung der Institution des Verfassungsschutzes ergibt,
285vgl. dazu Uhle, in: Maunz/Dürig, GG, Band V, Loseblatt (Stand: September 2017), Art. 73 Rn. 241 m. zahlr. w. N.; vgl. ferner BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1970 - 2 BvF 1/69 u. a. -, BVerfGE 30, 1 = juris, Rn. 70, sowie Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 2 BvE 2/15 -, BVerfGE 143, 101 = juris, Rn. 126, und vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 -, NVwZ 2017, 1364 = juris, Rn. 110; eine institutionelle Garantie der Nachrichtendienste ablehnend etwa v. Achenbach, JZ 2017, 1170, 1172.
286Jedenfalls zählen weder die Existenz des Verfassungsschutzes noch das Konzept der wehrhaften Demokratie, zu deren Ausprägung der Verfassungsschutz gehört, zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 aufgelisteten und im vorliegenden Zusammenhang allein relevanten Verfassungsgrundsätzen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ausmachen. Es mag mithin sein, dass die Abschaffung des Bundesverfassungsschutzes die freiheitliche demokratische Grundordnung einer ihrer Schutzmechanismen beraubt. Dies ändert indes nichts daran, dass die Verfolgung dieses Ziels nach dem Willen des Gesetzgebers keine verfassungsfeindliche Bestrebung darstellt.
287Soweit die Beklagte die befürwortete Abschaffung des Bundesverfassungsschutzes in diesem Kontext als ersten Schritt einordnet, um anschließend das Ziel der Abschaffung wesentlicher Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung leichter verfolgen zu können, dringt sie damit nicht durch. Eine solche Vermutung setzt, um als tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen dienen zu können, ihrerseits voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für ein derartiges dahinter stehendes Ziel vorliegen. Ist dies aber der Fall, bedarf es letztlich des Rückgriffs auf die Abschaffung des Verfassungsschutzes nicht.
288(3) Der Senat vermag ferner nicht die Auffassung der Beklagten zu teilen, tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion ergäben sich - ggf. in der Zusammenschau mit den vorgenannten Aspekten - aus der in seinen Beiträgen in „Geheim“ verwendeten Darstellungsweise und dem Stil des Klägers. Die Beklagte macht insoweit geltend, es trete - entsprechend einem bei kommunistischen Gruppen vielfach vorgefundenen Argumentationsmuster - unter Außerachtlassung jeder Bemühung um Augenmaß an die Stelle des kritischen Urteils eine Darstellung, die im einzelnen (tatsächlich oder vermeintlich) kritikwürdige Umstände bewusst entstelle oder überspitzt verallgemeinere, begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und bestimmter relevanter Gruppen, so dass der Eindruck entstehen müsse, diese allenthalben bestehenden „Missstände“ hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst und könnten deshalb nicht innerhalb dieser Verfassungsordnung, sondern nur durch ihre Abschaffung und Ersetzung durch eine kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung überwunden werden.
289Diesen von der Beklagten zitierten Maßstab hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Frage entwickelt, ob jemand Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet,
290vgl. dazu im Zusammenhang mit der Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe: BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1978 - V C 33.76 -, BVerwGE 55, 232 = juris, Rn. 16,
291und später auch im Rahmen der beamtenrechtlichen Treuepflicht bei der Beurteilung verwendet, ob der Bewerber Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt bzw. ob er die diesbezügliche Pflicht verletzt hat,
292vgl. BVerwG, Urteile vom 27. November 1980
293- 2 C 38.79 -, BVerwGE 61, 176 = juris, Rn. 27, vom 28. November 1980 - 2 C 27.78 -, BVerwGE 61, 194 = juris, Rn. 36, und vom 9. Juni 1981
294- 2 C 24.79 -, BVerwGE 62, 280 = juris, Rn. 35.
295In Anbetracht des vorliegenden, wesensverschiedenen Kontextes, bei dem es nicht um die Gewährung eines Vorteils, sondern die Befugnis zu Grundrechtseingriffen geht, erscheint eine Übernahme dieses Maßstabs nicht unproblematisch.
296Darüber hinaus weichen die hiesigen maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen wesentlich von denen in den genannten Entscheidungen ab. Der Beamte sowie ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe müssen positiv im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wirken; dies verlangt mehr als nur eine passive oder gleichgültige Haltung. Bezogen auf den Jugendhilfeträger ist es insbesondere nicht ausreichend, wenn Zweck und Tätigkeit der Vereinigung lediglich nicht den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich lediglich nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten.
297So ausdrücklich: BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1978 - V C 33.76 -, a. a. O., Rn. 11.
298Demgegenüber sind tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen gerade Voraussetzung für eine Sammlung und Auswertung von Informationen durch das BfV.
299Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht gleichwohl auch im Hinblick auf Parteien in Anlehnung an die oben genannten, an Beamte und Träger der freien Jugendhilfe gestellten Anforderungen davon ausgegangen, dass sich eine Bekämpfung von Grundprinzipien der Verfassungsordnung und damit eine diesen widersprechende Zielsetzung aus einer ständigen, gegen diese Grundprinzipien gerichteten und der Partei politisch zuzurechnenden Polemik ergeben kann,
300vgl. BVerwG, Urteile vom 28. November 1980
301- 2 C 27.78 -, a. a. O., Rn. 52, und vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 60; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 12. März 1986 - 1 D 103.84 -, BVerwGE 83, 158 = juris, Rn. 77.
302Allerdings wurde aus der Würdigung im Einzelfall deutlich, dass der Schluss auf eine feindselige Haltung gegenüber der herrschenden Staatsform qualitativ mit demokratiefeindlichen Forderungen wie der Abschaffung des pluralistischen Staates sowie der Verharmlosung der NS-Vergangenheit und der Herabwürdigung des Widerstandes sowie quantitativ mit einer Häufung und Intensität derartiger Forderungen verbunden war.
303So die rückblickende Bewertung in BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 60, bezogen auf das Urteil des BVerwG vom 28. November 1980 - 2 C 27.78 -, a. a. O.
304Im Übrigen sind bei der diesbezüglichen Beurteilung Äußerungen im Lichte des Grundrechts von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu würdigen; dabei sind grundsätzlich die Modalitäten von Meinungsäußerungen über Vertreter oder Institutionen des Staates wie Schärfe, Polemik oder Emotionalität geschützt, weil diese nicht zwangsläufig Ausdruck einer feindlichen Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung sind. Auch lässt die strafrechtliche Sanktionslosigkeit Rückschlüsse auf die allen politischen Akteuren erlaubten Formen des politischen Meinungskampfes zu. Unzulässig ist aber eine Schmähung in reiner Diffamierungsabsicht, die jeglichen Sachbezug vermissen lässt.
305Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 58 ff.
306Eine solche Schmähung verlangt indes eine besondere Qualität der Äußerung. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa in der Bezeichnung des Oberlandesgerichts Nürnberg als „Reichsparteitagsgericht“ durch einen Strafgefangenen,
307Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 1576/92 -, NJW 1994, 1149 = juris,
308der CSU als „NPD Europas“,
309Beschluss vom 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 -, BVerfGE 61, 1 = juris,
310von Franz-Josef Strauß als Prototyp des „Zwangsdemokraten“,
311Beschluss vom 26. Juni 1990 - 1 BvR 1165/89 -, BVerfGE 82, 272 = juris,
312oder in dem Vorwurf von „Gestapomethoden“ an die Zentrale Abschiebebehörde,
313Beschluss vom 5. März 1992 - 1 BvR 1770/91 -, NJW 1992, 2815 = juris,
314keine Schmähung gesehen. Die hierdurch weit gezogenen Grenzen der Meinungsfreiheit sowie die Informationsfreiheit und die entsprechenden Informationsmöglichkeiten prägen seit Jahrzehnten den öffentlichen Meinungskampf in der Bundesrepublik Deutschland mit und haben damit auch das Verständnis der Empfänger dafür geschärft, wie derartige Äußerungen einzuordnen sind. Soweit es um Angriffe auf staatliche Institutionen geht, gehört die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte „Machtkritik“ zum vorherrschenden Daseinsverständnis etwa der Oppositionsparteien und solcher Parteien, die sich erst noch eine demokratische Basis zu verschaffen suchen, um das politische Leben mitgestalten zu können.
315Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 58 f.
316Nichts anderes kann angesichts der grundrechtlich gewährleisteten und für die Demokratie konstituierenden Presse- und Meinungsfreiheit gelten, wenn Zeitschriften bzw. Journalisten zu politischen Themen publizieren.
317Wie das Bundesverfassungsgericht den Einsatz der Ehrenschutzdelikte zum Schutz staatlicher Institutionen betreffend festgestellt hat, bezieht die Meinungsfreiheit aus dem besonderen Schutzbedürfnis der „Machtkritik“ nach wie vor ihre Bedeutung und ihr „besonders hoch“ zu veranschlagendes Gewicht.
318Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 u. a. -, BVerfGE 93, 266 = juris, Rn. 119.
319Weder überschreiten die von der Beklagten in Bezug genommenen Äußerungen des Klägers in „Geheim“ die dargestellten Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Kritik, noch lassen sich diesen sonst tatsächliche Anhaltspunkte dafür entnehmen, die Redaktion der Zeitschrift lehne die freiheitliche demokratische Grundordnung oder einzelne ihrer Elemente ab.
320Im Einzelnen:
321Im Artikel „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ („Geheim“ Nr. 1/86) setzt sich der Kläger kritisch mit dem Vor-Entwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder und insbesondere mit den dort vorgesehenen gesetzlichen Regelungen des Einsatzes verdeckter Ermittlungsmethoden auseinander. Es heißt dort:
322„[…] die bisherige illegale bzw. ungesetzliche Praxis - verdeckte Ermittlungsmethoden, Untergrundagenten, V-Leute, nachrichtendienstliche Mittel für die Polizei usw. - soll nun - vollkommen rechtsstaatlich versteht sich - in Gesetzesform gegossen werden. […] Im Drang zur gesetzlichen Regelung - und damit zur umfassenden Legalisierung - treffen sich alle staatstragenden Kräfte; insofern wies das Bundesverfassungsgericht nur den (eigentlich bekannten) Weg.“
323Mit den genannten Zitaten ist weder eine Diffamierung bzw. Schmähung des Gesetzgebers noch des Bundesverfassungsgerichts verbunden. Selbst wenn man die einschlägigen Passagen - so wie die Beklagte - dahingehend versteht, dem Gesetzgeber werde die Schaffung gesetzlichen Unrechts vorgeworfen, überschreitet dies nicht die Grenzen zulässiger Kritik, sondern bringt lediglich den Standpunkt des Klägers zum Ausdruck, dass er die genannten Methoden unabhängig von ihrer - bereits aus Rechtsstaatsaspekten gebotenen - gesetzlichen Verankerung für verfassungsrechtlich unzulässig hält und ablehnt. Diese Sichtweise wird sodann vom Kläger u. a. unter Hinweis auf das seiner Meinung nach verfassungsrechtlich verankerte Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz begründet. Darin ist weder eine bewusste Entstellung von aus Sicht des Klägers kritikwürdigen Umständen noch eine Diffamierung ohne Sachbezug, sondern eine - wenn auch scharf formulierte - juristische Einschätzung zu sehen. Einen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger der Bundesrepublik die Rechtsstaatlichkeit per se abspricht, bietet die Passage schon deshalb nicht, weil es um ein konkretes, aus seiner Sicht kritikwürdiges Gesetzesvorhaben geht. Die Relevanz der von der Beklagten in diesem Zusammenhang getroffenen Einschätzung, in der Formulierung „staatstragende Kräfte“ komme die größtmögliche Ablehnung zum Ausdruck, erschließt sich dem Senat nicht. Allein in dem Umstand, dass der Kläger den Begriff nicht positiv zustimmend verwendet hat, lässt sich kein tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen finden.
324Auch die Aussage, das Bundesverfassungsgericht ängstige „sich vor kollektiver Oppositionsarbeit“ im Artikel „Staatsschutzgeschichte, Funktion, System eines Organisationstatbestandes“ in „Geheim“ Nr. 2/98, mit der angedeutet wird, dass sich das Gericht bei seinen Entscheidungen auch von den dadurch hervorgerufenen politischen Folgen leiten lässt, überschreitet nicht die Grenzen hinzunehmender Kritik an staatlichen Institutionen.
325Der Senat vermag ferner in den in „Geheim“ publizierten Artikeln, soweit dokumentiert, keine tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bietende Verunglimpfung des Verfassungsschutzes und der übrigen Sicherheitsbehörden zu erkennen.
326Dies gilt zunächst für den Artikel „Waffengleichheit statt sozialverträglicher Lösungsansätze“ („Geheim“ Nr. 1/97), dem keine den o. g. Kriterien entsprechende Schmähung bzw. Diffamierung der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden zu entnehmen ist. In dem Beitrag beschäftigt sich der Kläger mit dem Phänomen der Organisierten Kriminalität, bemüht sich um eine Definition sowie eine Einschätzung der davon ausgehenden Gefahren und kritisiert die - aus seiner Sicht unnötige - Erweiterung der Befugnisse der Sicherheitsorgane. Insbesondere bringt der Kläger - wiederum unter Bezugnahme auf das Trennungsgebot - seine Ablehnung der Übertragung nachrichtendienstlicher Befugnisse auf die Polizei sowie von Kompetenzen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität („OK“) auf die Geheimdienste zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang formuliert er:
327„Dieses Land kann sich keine staatlich organisierte ,Gegen-Mafiaʼ leisten, die mit der OK Schritt hält und die bis zur Verwechselbarkeit zu durchdringen versucht. Dieses Land verträgt - schon aus historischen Gründen - keine Geheim-Polizei, die in der Lage ist, gesellschaftliche Bereiche zu infiltrieren und die sich der öffentlichen Kontrolle mehr und mehr entziehen kann. Denn: Im Rechtsstaat kann es keine ,Waffengleichheitʼ mit dem organisierten Verbrechen geben, es sei denn um den Preis von staatlich (mit-) organisierter Kriminalität (was es teilweise schon gibt), von staatlicher Machtkonzentration zu Lasten der Bürgerrechte, um den Preis einer nicht mehr kontrollierbaren Polizei und einer partiellen Geheimjustiz.“
328Den Ausdruck „Gegen-Mafia“ nutzt der Kläger, um in überspitzter und polemischer Form seine - im Artikel ausführlich und jedenfalls im Übrigen in sachlicher Form begründeten - Bedenken gegen die beschriebenen Entwicklungen im Polizei- und Sicherheitsrecht zum Ausdruck zu bringen. Mit der Verwendung eines solchen Stilmittels stellt der Kläger aber entgegen der Ansicht der Beklagten die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden und ihre Beamten und Beamtinnen nicht moralisch auf eine Stufe mit den Mitgliedern organisierter Verbrecherbanden. Dies folgt schon daraus, dass im Fokus der Kritik erkennbar die zugrunde liegenden - noch nicht umgesetzten - Reformbestrebungen, nicht die sie ausführenden Personen stehen. Die Sicherheitsbehörden werden nicht als „Gegen-Mafia“ bezeichnet, sondern es wird vielmehr die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass sich diese in der Zukunft zu einer solchen entwickeln werden. Soweit der Kläger von teilweise schon existierender staatlich (mit-)organisierter Kriminalität spricht, dürfte es sich um eine überspitzte Beschreibung der von ihm wiederholt kritisierten Phänomene wie V-Leute und agents provaceurs handeln. Eine Schmähung ohne Sachbezug ist auch darin nicht zu sehen. Auch im Übrigen hält sich der Artikel stilistisch in den Grenzen legitimer Kritik an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.
329Der weiter von der Beklagten in Bezug genommene Artikel des Klägers „Stasi-Ost/Stasi-West: Droht der ,Vereinigte Sicherheitsstaatʼ deutscher Nation?“ („Geheim“ Nr. 2/90) ist ebenfalls nicht als Diffamierung ohne Sachbezug im o. g. Sinne zu werten. In dem genannten Artikel heißt es:
330„[…] auch bei uns in der Bundesrepublik gibt es eine Stasi, die den Staat vorsorglich gegen seine Bevölkerung sichert. Diese Staatssicherheit läßt sich hierzulande gerne ,Verfassungsschutz (VS)ʼ nennen - eine verharmlosende sprachkosmetische Wortschöpfung, die uns weismachen soll, mit diesem ebenfalls wucherndem Geheimdienst und seinen Tausenden von Spitzeln - V-Leuten, Untergrundagenten und agents provocateurs - werde ausgerechnet die Verfassung geschützt. Das Gegenteil ist der Fall: ,Das Verhältnis der Ämter zur Verfassung ist etwa so problematisch wie im Dritten Reich das Verhältnis der Kulturkammern zur Kulturʼ, das stellte bereits vor Jahrzehnten der frühere Oberlandesgerichtspräsident Richard Schmid fest - und er sollte bis heute Recht behalten. […] Die in den vergangenen Monaten nach und nach aufgedeckten DDR-Stasi-Skandale, aber auch die unsägliche deutsche Vereinigungshysterie auf beiden Seiten des verrosteten ,Eisernen Vorhangsʼ lassen in Vergessenheit geraten, dass auch wir hier in der Bundesrepublik mit einem ständig ausgebauten, ausgeklügelten staatlichen Überwachungssystem zu kämpfen haben, das die bürgerlichen Freiheitsrechte zu Gunsten des Staatswohls untergräbt - ein Staatssicherheits-System, das in der Realität etliche erstaunliche Parallelen zur Stasi-Ost aufweist und das im Wege der sich abzeichnenden Vereinigung der jetzigen DDR-Bevölkerung übergestülpt zu werden droht. […] ,Unsere Brüder und Schwestern drübenʼ werden sich nicht schlecht wundern, denn sie kommen dadurch vom selbst bezwungenen Regen in unkontrollierte Traufe, die sie noch an schlimme Zeiten erinnern könnte: hat doch die Mehrheit der dortigen Bevölkerung eine dunkle, dunkel-rote (SED-)Vergangenheit, ist sie doch 40 Jahre lang ,linksextremistisch indoktriniertʼ worden […]. DDR-Stasi und BRD-Stasi sind nicht etwa auf eine gleiche Stufe zu stellen. Sie sind unterschiedlich strukturiert und ausgestattet. Sie sichern bzw. sicherten unterschiedliche Staatsformen, Macht(in)haber und Gesellschaftssysteme. Die eine als SED-Partei-Geheimpolizei, die andere als Regierungsgeheimdienst gegen politische Gegner. […] Und sie besteht fort, die BRD-Stasi - nahezu unangefochten, der mittlerweile gewichtigste Unterschied. Doch beider Kernfunktionen sind nahezu identisch: Sicherung von Staat und je unterschiedlichem sozioökonomischen Status Quo - im Zweifel und notfalls auch gegen die Mehrheit der Bevölkerung, zumindest gegen aufmüpfige und politisch verdächtige Teile und ihr soziales Umfeld. […] Die Menschen in Ost und West entrüsten sich zurecht über die nach und nach aufgedeckten menschenrechtswidrigen Machenschaften der ehemaligen DDR-Stasi. Doch diese Machenschaften, d.h. die Arbeitsweise, Mittel und Methoden gleichen denen der BRD-Geheimdienste mehr, als viele Politiker, aber auch viele der von diesen Sicherheitsorganen (potentiell) Betroffene dies wahrhaben wollen: nicht allein die systematische Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel für Späh- und Lauschangriffe hüben wie drüben; nicht allein der Einsatz von V-Leuten, Untergrundagenten, agents provocateurs zur Bespitzelung, Provokation und Infiltration sozial und politisch verdächtiger Szenen und Gruppen, sondern auch die Sicherheitskonzeption: der Verdacht als herrschendes Prinzip, der Mensch als potentielles Sicherheitsrisiko - in Ost wie in West. […].“
331Der Artikel übt scharfe Kritik an den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden und zieht zu diesem Zwecke Parallelen zur Staatssicherheit der DDR. Dabei werden aber Staatssicherheit und Verfassungsschutz nicht pauschal und verallgemeinernd auf eine Stufe gestellt oder gleichgesetzt, sondern der Kläger benennt konkret die seiner Meinung nach bestehenden Parallelen und kritikwürdigen Aspekte, die letztlich jegliche nachrichtendienstliche Tätigkeit betreffen. In diesem Zusammenhang versucht er die nach dem Zusammenbruch der DDR aufgekommene allgemeine öffentliche Debatte und Empörung über die Arbeitsweise der Staatssicherheit für eine kritische Beleuchtung der Geheimdienste der Bundesrepublik und deren Methoden sowie ihre Existenzberechtigung im Allgemeinen fruchtbar zu machen. Die Grenze zur Schmähung ohne jeglichen Sachbezug überschreitet der gezogene Vergleich nicht. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es besonders im Falle der von der Beklagten gerügten vermeintlich diffamierenden Gleichsetzung von Verfassungsschutz und Staatssicherheit der DDR keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die polemischen Angriffe letztlich der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines sozialistisch-kommunistischen Systems zu dienen bestimmt waren. So positioniert sich der Kläger etwa klar ablehnend zur Staatssicherheit; in dem Artikel heißt es einleitend:
332„Stasi ist bekanntlich das DDR-Kürzel für ,Staatssicherheitʼ und Synonym für systematische Staatsverbrechen am DDR-Volk und wider die Menschenrechte: ein dichtes Spitzelnetz drangsalierte Andersdenkende und Abweichler, fünf Millionen waren im zentralen Stasi-Computer erfaßt, die Firma ,VEB Guck, Horch und Greifʼ war allgegenwärtig, um den Staat vor seinen Bürgern zu schützen.“
333Gleiches gilt für den Artikel „Problematik der personellen Abrechnung“ („Geheim“ Nr. 4/94), in dem sich der Kläger ebenfalls mit die Staatssicherheit und deren Aufarbeitung betreffenden Aspekten auseinandersetzt. Dort heißt es unter der Zwischenüberschrift „Zur Entlastungsfunktion der Stasi-Debatte“:
334„Die mit der Medienvermarktung verbundene Fixierung auf Stasi-IM-Geschichten eröffnen eine weitere Dimension, die als Funktionalisierung des Stasi-Themas apostrophiert werden kann: die Stasi-Debatte als Ablenkungsmanöver - und zwar in mehrfacher Hinsicht. Von den unsozialen Folgen der Vereinigung, von den eigenen Verstrickungen und von den überlebenden West-Geheimdiensten, die - wenn auch vollkommen anders dimensioniert und strukturiert sich im Kern der gleichen schmutzigen, demokratiewidrigen Mittel bedienen - V-Leute, agents provocateurs, Geheimagenten, Lausch- und Spähangriffe, Infiltration politisch verdächtiger Szenen etc. - wie seinerzeit die Stasi und jeder andere Geheimdienst auch.“
335Auch hier kommt - sogar noch deutlicher - zum Ausdruck, dass die Ablehnung des Klägers gegenüber den Verfassungsschutzbehörden sich auf die Einräumung bzw. Nutzung nachrichtendienstlicher Mittel bezieht, wie sie auch die Staatssicherheit der DDR verwendet hat, und die der Kläger als mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar ansieht. Unabhängig von der Frage der Richtigkeit dieser These und der Beurteilung solcher Befugnisse durch das Bundesverfassungsgericht lässt sich daraus kein Anhaltspunkt für verfassungswidrige Bestrebungen gewinnen. Der Artikel und die darin enthaltenen Aussagen lassen nicht erkennen, dass die Kritik an den Geheimdiensten der Bundesrepublik mit einer generellen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einhergeht.
336Auch aus der weiteren von der Beklagten in Bezug genommenen Passage des Artikels folgt nichts anderes. Dort heißt es:
337„Aus den Erkenntnissen dieser öffentlichen ,Entstasifizierungʼ - die gegen die Gnade des schnellen Vergessens, gegen die altbekannte Amnesie der Deutschen immer wieder erkämpft werden muß - wird die Bevölkerung nicht nur der ehemaligen DDR, sondern auch der alten BRD nur lernen können. Nicht zum Wohle eines gesamtdeutschen ,starkenʼ Sicherheitsstaates, sondern zum Wohl der politisch-demokratischen Kultur, die als historische Aufgabe begriffen werden muß: Das gesamte deutsche Volk, dem der Ruch von Autoritätsgläubigkeit und extremem Sicherheitsdenken anhaftet, wird mit diesen Erkenntnissen möglicherweise eher in die Lage versetzt werden, sich künftig politisch aufgeklärt und selbstbewußter gegen solche Überwachungsapparate, Feindbildproduzenten und Denunziationssysteme zur Wehr zu setzen.“
338Inwiefern diese Aussage die Verfassungsschutzbehörden diffamieren soll, erschließt sich nicht. Mit „solche[n] Überwachungsapparate[n], Feindbildproduzenten und Denunziationssysteme[n]“ nimmt der Kläger Bezug auf die zuvor (allein) angesprochene Staatssicherheit und bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass die Aufarbeitung derer Tätigkeit die Gefahr ähnlicher Entwicklungen in der Zukunft verringert. Im Übrigen verurteilt der Kläger auch in diesem Artikel die Tätigkeit der Staatssicherheit (an der eben erwähnten und weiteren Stellen).
339(4) Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion von „Geheim“ ergeben sich ferner nicht aus Verharmlosungen der Staatssicherheit. Der Senat hat in der Vergangenheit die Verharmlosung der Staatssicherheit zwar als Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet.
340Vgl. Urteil vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 84; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 53.
341Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass diese Wertung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erfolgte und im entschiedenen Fall die - bereits aus anderen Zusammenhängen vorhandenen - Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung weitere Substanz durch Erklärungen zur ehemaligen DDR und insbesondere zur Staatssicherheit erhielten. Ob eine Verharmlosung der Staatssicherheit allein einen tatsächlichen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten kann, begegnet zumindest Bedenken. Ohne weiteren Kontext dürfte eine solche Verharmlosung zunächst höchstens einen ersten Hinweis darstellen; es müsste aus weiteren Anhaltspunkten zumindest der Bezug zu einem der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 genannten Schutzgüter herzustellen sein. Ferner sind nach dem oben Gesagten bei einer potentiell die Staatssicherheit verharmlosenden Äußerung der Kontext, die Begleitumstände und die Zielrichtung der Äußerungen angemessen zu berücksichtigen und es dürfen andere, mäßigende Äußerungen nicht außer Acht gelassen werden,
342vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 42; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 6. April 2006 - OVG 3 B 3.99 -, a. a. O., Rn. 145.
343Gemessen daran lassen sich aus den von der Beklagten in Bezug genommenen diesbezüglichen Äußerungen des Klägers in der Zeitschrift „Geheim“ im Artikel „Die Problematik der personellen Abrechnung“ keine tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen.
344In dem Beitrag beschäftigt sich der Kläger, wie bereits erwähnt, mit der Aufarbeitung der Vergangenheit der Staatssicherheit und benennt aus seiner Sicht bestehende Defizite dieser Aufarbeitung, insbesondere eine von ihm diagnostizierte Einseitigkeit, durch die wesentliche Aspekte ausgeblendet würden. Dazu gehörte seiner Meinung nach u. a. der Umstand, dass der Verfassungsschutz vom MfS „Stasi-Unterlagen“ erhalten habe, die auch personenbezogene Daten von Opfern enthalten hätten, ferner die Tatsache, dass ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit „nach politischen Opportunitätsaspekten reihenweise“ in den öffentlichen Dienst übernommen worden seien, sowie die unterschiedliche Behandlung und Bewertung von Spionage, je nachdem, ob sie für die DDR oder die Bundesrepublik erfolgt sei. In diesem Kontext verwendet der Kläger auch die von der Beklagten angeführten Formulierungen „Entlastungsfunktion der Stasi-Debatte“, „Fixierung auf Stasi-IM-Geschichten“, „Funktionalisierung des Stasi-Themas“, „Stasi-Debatte als Ablenkungsmanöver“, „Dominanz und Einseitigkeit der DDR-Stasi-Debatte“ und „Dämonisierung der DDR-Stasi“. Diese Begrifflichkeiten sind indes nicht als Anhaltspunkt für eine Absicht zu deuten, die Tätigkeit der Staatssicherheit zu verharmlosen oder zu rechtfertigen. Der Kläger stellt auch nicht in Abrede, dass es einer Aufarbeitung der Tätigkeit der Staatssicherheit dringend bedarf (vgl. dazu die oben zitierte Passage des Beitrags zur „Entstasifizierung“). Kritisiert wird allein die Art und Weise der Aufarbeitung, die der Kläger für unzureichend bzw. einseitig hält. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus folgendem Zitat aus dem Artikel:
345„Eine ernsthafte Aufarbeitung der Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR kann nicht isoliert von der Analyse des bürokratischen Systems staatlicher und gesellschaftlicher Herrschaftsausübung in der DDR betrieben werden (Repressionsapparat aus Stasi, Polizei, Justiz, Armee; SED-Parteiapparat und Blockparteien als Stützen des Systems); sie kann nicht isoliert von der herrschenden Sicherheitskonzeption und dem Staats- und Politikverständnis der SED vorgenommen werden, denn die Stasi war immer nur ein Machtinstrument der Partei, die die Stasi kontrollierte; sie kann aber auch nicht isoliert vom historischen Umfeld nach der alliierten Befreiung vom Faschismus, in der Zeit des Kalten Krieges, nicht isoliert von der Rolle der Weltmächte in der Ost-West-Auseinandersetzung und der Rolle der alten Bundesrepublik als ,Bollwerk gegen den Kommunismusʼ aufgearbeitet werden.“
346Der Forderung nach Aufarbeitung eines Ereignisses im Kontext bestimmter historischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten stellt noch keine Rechtfertigung der Tätigkeit des MfS als historisch bedingte Reaktion auf äußere Umstände und Anfeindungen dar. Dies gilt um so mehr, als berücksichtigt werden muss, dass der Beitrag keine Tendenz erkennen lässt, die Methoden der Staatssicherheit zu relativieren. Der Kläger ordnet diese vielmehr eindeutig als verbrecherisch und menschenrechtswidrig ein:
347„Das MfS bzw. die Stasi sind zum Synonym geworden für systematische Staatsverbrechen am DDR-Volk und wider die Menschenrechte: Ein dichtes Spitzelnetz drangsalierte Andersdenkende und Abweichler, Millionen waren im zentralen Stasi-Computer erfaßt, in den Akten einer 200 km langen Strecke wurde Buch geführt über abweichendes und angepaßtes Verhalten, die Firma (,VEB Guck, Horch und Greifʼ) schien allgegenwärtig, um den Staat vor seinen Bürgern zu schützen. […] Die Akteneinsicht für Stasi-Opfer offenbar(t)en Dokumente des Verrats, der Lügen, der Untreue und Feindbilder, Dokumente der Kriecherei und Überheblichkeit, der Angst und Feigheit. Sie führte in die Niederungen der menschlichen Existenz. […] Warum sich die isolierende Betrachtungsweise des Stasi-Phänomens bis hin zur Mystifikation so großer Beliebtheit erfreut, warum die Stasi-,Bewältigungʼ zeitweise geradezu hysterische Züge annimmt, hat mehrere Gründe: Zum einen dürfte es daran liegen, daß die Stasi den großangelegten Versuch unternommen hat, die gesamte Gesellschaft relativ flächendeckend zu infiltrieren, so daß sehr viele Menschen in Stasi-Maßnahmen und -Machenschaften involviert waren - entweder als Objekte klandestiner Begierden, oder als Täter bzw. Helfershelfer […].“
348(5) Auch in der gebotenen Gesamtschau der genannten potentiellen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Zeitschrift „Geheim“ ergibt sich keine andere Wertung. Insgesamt lässt sich anhand der analysierten Textstellen nicht erkennen, dass in den Artikeln des Klägers - auf Artikel der anderen Redaktionsmitglieder hat die Beklagte keinen Bezug genommen - verfassungsfeindliche Inhalte transportiert oder gar für solche geworben würde. Insbesondere ein Eintreten für die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung im marxistisch-leninistischen Sinne ist nicht ersichtlich.
349Während der Zeit der Redakteurstätigkeit des Klägers bestanden nach alledem keine tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Redaktion von „Geheim“, weshalb die Voraussetzungen für eine zielgerichtete Beobachtung des Klägers unter diesem Aspekt sowohl nach dem BVerfSchG 1950/1972 als auch nach dem BVerfSchG 1990 bereits auf Tatbestandsebene fehlten.
350b) Mangels tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der „Geheim“-Redaktion bestand auch keine Berechtigung der Beobachtung des Klägers wegen einer Unterstützung der Zeitschrift nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion im Jahr 1999. Es sind auch keine Anhaltspunkte von der Beklagten vorgetragen oder sonst ersichtlich, aus denen sich (erste) Anhaltspunkte für verfassungswidrige Bestrebungen der Zeitschrift nach dem Ausscheiden des Klägers ergeben könnten. Die Beklagte verweist insofern nur darauf, dass der Kläger dort bis zur Nr. 3/2006 zahlreiche weitere Beiträge veröffentlicht habe. Unabhängig davon, dass der Inhalt dieser Artikel nach dem Ausscheiden des Klägers aus den o. g. Gründen der Redaktion nicht ohne weiteres zurechenbar wäre, bieten die von ihm verfassten Beiträge ebenfalls keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
351Im Artikel „Einmal verdächtig, immer verdächtig“ („Geheim“ Nr. 4/99) heißt es:
352„In H. mit seiner lebhaften linken Szene jagte seitdem ein Terrorismus-Ermittlungsverfahren das andere. Der berühmt gewordene Artikel in den ,göttinger nachrichtenʼ, aus dem die Ermittler die - gründlich reflektierte - ,klammheimliche Freudeʼ des Autors ,Mescaleroʼ über das tödliche Attentat der ,Roten Armee Fraktionʼ (RAF) auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback herausgesondert hatten, führte zu geradezu hysterischer Diffamierung und Verfolgung von Professoren und Studenten.“
353Die Bezeichnung einer klammheimlichen Freude über ein Attentat als „gründlich reflektiert“ kann als Verharmlosung oder sogar Billigung dieses Anschlags gewertet werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Artikel - soweit aus der Personenakte ersichtlich - schwerpunktmäßig mit der rechtswidrigen Erhebung und Speicherung von Daten im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren aus dem Bereich des Terrorismus befasst. Der oben zitierte Satz steht insoweit vereinzelt. Er heißt zudem nicht ausdrücklich politisch motivierte Anschläge gut, sondern ist allenfalls als mangelnde Distanzierung zu werten. Im Übrigen muss jedenfalls angesichts der Vielzahl der Veröffentlichungen des Klägers - wie auch bei Parteien - gelten, dass einzelne Entgleisungen noch nicht als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu werten sind.
354Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 54 m. w. N.
355Soweit sich der Kläger im Beitrag „,Wehrhafte Demokratieʼ in Aktion“ („Geheim“ Nr. 3/06) mit dem KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzt und dieses als „politisch motivierte Entscheidung“ einordnet, überschreitet er weder die Grenzen zur Schmähung, noch lassen sich dem Artikel Anhaltspunkte entnehmen, dass der Kläger eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung anstrebt. Seine Kritik stützt sich vielmehr im Wesentlichen darauf, dass das Verbot ergangen war, obwohl von der KPD aus seiner Sicht keine reale Gefahr für die Bundesrepublik ausging und es deshalb reinen Präventionscharakter gehabt habe. Ferner wird die aus dem Verbotsurteil folgende Kriminalisierung der politischen Betätigung von KPD-Mitgliedern bemängelt, bei denen es sich oft um maßgeblich am Widerstand gegen das NS-Regime Beteiligte gehandelt habe. Ein Hinweis auf eine eigene kommunistische Überzeugung oder gar daraus abgeleitete aktive Verhaltensweisen lässt sich dem nicht entnehmen.
356c) Das BfV stützt die gezielte Beobachtung des Klägers ferner darauf, dass er die DKP als verfassungsfeindliche Organisation unterstützt habe, und zwar durch seinen publizistischen Einsatz gegen das KPD-Verbot, gegen die sog. Berufsverbote sowie für eine Auflösung der Verfassungsschutzbehörden. Ferner habe der Kläger seine Artikel in DKP-nahen Presseorganen veröffentlicht sowie auf verschiedenen Veranstaltungen der DKP referiert. Die diesbezügliche Tätigkeit des Klägers rechtfertigt indes die Sammlung und Auswertung von Informationen in Form einer Personenakte nicht.
357Zwar ist davon auszugehen, dass die DKP verfassungsfeindliche Ziele verfolgt bzw. zumindest verfolgt hat (aa)). Die Verhaltensweisen des Klägers bieten indes keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine nachdrückliche Unterstützung der DKP bzw. ihrer verfassungsfeindlichen Ziele (bb)).
358aa) Die DKP hat jedenfalls bis zur deutschen Wiedervereinigung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
359Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 1993 - 1 D 92.85 -, PersR 1993, 519 = juris, Rn. 8.
360Ziel der DKP ist bzw. war eine politische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland, deren Ergebnis mit den entscheidenden Merkmalen eines freiheitlich demokratischen Staates im Sinne des Grundgesetzes unvereinbar ist. Das von ihr nach dem Mannheimer Programm angestrebte Ziel einer „sozialistischen Bundesrepublik“ mit einer grundlegend neuen Gesellschaftsordnung, „die auf der revolutionären Überwindung der kapitalistischen Macht- und Besitzverhältnisse aufbaut“, ist als sozialistisch-kommunistisch einzuordnen. Die für diese Gesellschaftsordnung maßgebenden Merkmale stehen in wesentlichen Punkten mit wichtigen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, wie der Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit der Gerichte, dem Mehrparteienprinzip und dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition in Widerspruch.
361Siehe etwa BVerwG, Urteil vom 1. Februar 1989 - 1 D 2.86 -, a. a. O., Rn. 29 ff. m. w. N.
362Es kann vorliegend dahinstehen, ob die dargestellte Zielsetzung der Partei sich seit der deutschen Wiedervereinigung in relevanter Weise geändert hat. Auch wenn dies nicht der Fall ist und die DKP weiterhin unverändert verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, fehlt es auch für den Zeitraum seit 1990 an den weiteren, für eine zielgerichtete Beobachtung des Klägers erforderlichen Voraussetzungen.
363bb) Weder die Inhalte der vom Kläger publizierten Artikel ((1)) noch der Umstand, dass er diese z. T. in DKP-nahen Zeitschriften veröffentlicht hat sowie auf Veranstaltungen der DKP und DKP-nahen Organisationen aufgetreten ist ((2)), können als tatsächliche Anhaltspunkte für eine nachdrückliche Unterstützung der DKP herangezogen werden. Auch in der gebotenen Gesamtbetrachtung ((3)) ergibt sich nichts anderes.
364(1) Die Beobachtung eines Unterstützers bzw. Sympathisanten erfordert nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz 1990 Anhaltspunkte für eine nachdrückliche Unterstützung der Bestrebungen des jeweiligen Personenzusammenschlusses. Durch die Verknüpfung des Tatbestandsmerkmals der Unterstützung mit den (verfassungsfeindlichen) Bestrebungen wird deutlich, dass sich die Unterstützungshandlung gerade auf die Verwirklichung der verfassungsfeindlichen Ziele der Organisation beziehen muss. Daran fehlt es, wenn jemand lediglich einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele des Personenzusammenschlusses, nicht aber auch dessen verfassungsfeindliche Zielsetzungen befürwortet und lediglich dies durch öffentliche Äußerungen und die Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich aus den entsprechenden Aktivitäten nicht zugleich Anhaltspunkte für eine vorbehaltlose Unterstützung des Personenzusammenschlusses als solchem - d. h. einschließlich seiner verfassungsfeindlichen Zielsetzungen - ergeben.
365Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, a. a. O., Rn. 27.
366Daraus folgt, dass reine Meinungsäußerungen eines Nichtmitgliedes, die ihrerseits inhaltlich keine Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, für sich betrachtet in der Regel keine Anhaltspunkte für eine Unterstützung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG 1990 darstellen, mögen sie auch mit verfassungskonformen (Teil-)Zielen einer verfassungsfeindlichen Organisation übereinstimmen bzw. diese (Teil-)Ziele ausdrücklich fördern. Nichts anderes gilt im Ergebnis hinsichtlich der Rechtslage nach dem BVerfSchG 1950/1972, nach der die Beobachtung eines Sympathisanten bzw. Unterstützers eines verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlusses in einem solchen Falle jedenfalls voraussetzte, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass das Vertreten von Nah- oder Teilzielen zu dem Zweck erfolgte, die entsprechende verfassungsfeindliche Zielsetzung zu fördern.
367So Borgs, a. a. O., § 3 BVerfSchG, Rn. 59, unter Hinweis auf BT-Drs. 8/3615, S. 7.
368Gemessen daran bieten die von der Beklagten herangezogenen inhaltlichen Übereinstimmungen in den Veröffentlichungen des Klägers mit Teilzielen der DKP keine Anhaltspunkte für ein nachdrückliches Unterstützen dieses Personenzusammenschlusses, weil es sich insoweit um Meinungsäußerungen handelt, die ihrerseits schon mangels Bezuges zu einem der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 genannten Schutzgüter nicht als verfassungsfeindlich einzuordnen sind und lediglich einzelne Teilziele der DKP betreffen.
369Dies gilt zunächst hinsichtlich der Forderung nach einer Aufhebung des KPD-Verbotes, die nicht per se gleichbedeutend mit einem Bekenntnis für die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung ist und vom Kläger auch nicht in einem solchen Sinne erhoben wurde (vgl. dazu bereits oben III.2.b)).
370Selbiges gilt ferner für die Kritik am sog. Radikalenerlass, der eine bundesweit einheitliche Auslegung und Anwendung des damals geltenden § 35 BRRG zum Inhalt hatte, wonach sich Beamte und Beamtinnen durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten hatten und in dessen Folge vielen Bewerbern und Bewerberinnen der Zugang zum öffentlichen Dienst verweigert bzw. sie aus selbigem entlassen wurden. Die durchgängige Bezeichnung der infolge des sog. Radikalenerlasses verweigerten Einstellungen in den bzw. Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst durch den Kläger als „Berufsverbote“ überschreitet nicht die oben bereits dargestellte Grenze zur Schmähung bzw. Diffamierung. Zwar drückt sich in der Begrifflichkeit - die, wenn auch weit verbreitet, so auch durchaus umstritten ist - eine kritische und distanzierte Haltung aus; die Formulierung verweist aber letztlich nur darauf, dass viele der Betroffenen ihre erlernten oder angestrebten Berufe letztlich ganz überwiegend nur im öffentlichen Dienst hätten ausüben können, zu dem sie nicht zugelassen wurden. Damit verdeutlicht die Bezeichnung die existentiellen Folgen der Nichteinstellung oder Entlassung für die Mehrzahl der Betroffenen. Auch wenn damit möglicherweise „politische Emotionen“ geweckt werden sollten,
371BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, BVerfGE 39, 334 = juris, Rn. 105,
372stellt dies ein legitimes Mittel im Prozess der demokratischen Willensbildung dar. Soweit in der Verwendung des Begriffs eine „Diffamierung der geltenden Verfassungsordnung und der Organe der Bundesrepublik“ gesehen wurde,
373BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1981 - 1 D 50.80 -, a. a. O., Rn. 45 f.,
374vermag sich der Senat - jedenfalls in Bezug auf die diesbezüglichen Äußerungen des Klägers - einer solchen Würdigung nicht anzuschließen.
375Auch die Forderung nach einer Auflösung bzw. grundlegenden Umgestaltung der Verfassungsschutzbehörden stellt, wie oben (III.2.a)cc)(2)) bereits erläutert, keine verfassungsfeindliche Zielsetzung dar.
376Es ergeben sich zudem keine hinreichend verdichteten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit seiner publizistischen Tätigkeit die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung oder sonstige verfassungsfeindliche Ziele der DKP nachdrücklich unterstützt hat.
377Anlass zu weitergehenden Ausführungen bieten insoweit lediglich folgende von der Beklagten in Bezug genommene Äußerungen des Klägers:
378(a) Die Formulierung des Klägers im Artikel „Wehrhafte Demokratie in Aktion“ („Geheim“ Nr. 3/2006), „das KPD-Verbot [schwebe] als Damoklesschwert auch heute noch über linken oder kommunistischen Parteien“, lässt keinen hinreichenden Anhaltspunkt für die Unterstützung kommunistischer Bestrebungen erkennen. In dem Beitrag unterzieht der Kläger das KPD-Verbot zwar einer scharfen Kritik; diese gründet aber im Wesentlichen auf rechtsstaatlichen und historischen (Zweckmäßigkeits-)Erwägungen. Eine Identifikation mit den maßgeblichen verfassungsfeindlichen politischen Zielen der DKP bzw. KPD wird nicht erkennbar. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren die vom Kläger in dem Artikel kritisierte, im KPD-Urteil aufgestellte Maßgabe, dass ein Verbot auch dann möglich sei, wenn keinerlei Aussicht auf die Realisierung der verfassungsfeindlichen Ziele besteht, ausdrücklich aufgegeben hat.
379Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 -, NJW 2017, 611 = juris, Rn. 586.
380(b) Im Beitrag „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“ (Demokratie und Recht 2/87) führt der Kläger aus:
381„Doch dies entsprach nicht dem staatlichen Konzept systematischer Entpolitisierung der sog. Terrorismusverfahren. Die angeklagten und verurteilten Mitglieder bewaffneter Gruppen sollten in der Öffentlichkeit nicht als Gegner mit politisch durchaus anerkennenswerter, moralisch hochstehender Motivierung erscheinen, sondern als moralisch minderwertige und ganz gewöhnliche, aber ungewöhnlich brutale Kriminelle und gefährliche ,Terroristenʼ, die keinerlei Sympathie und Solidarität verdienten.“
382Im Kontext dieses Zitats analysiert der Kläger den staatlichen Umgang mit extremistischen Gruppen und den von diesen begangenen Straftaten. Er gelangt dabei zum Ergebnis, dass die darauf erfolgte staatliche Reaktion in Form von strafrechtlichen, strafprozessualen und polizeirechtlichen Maßnahmen gemessen an den von diesen Gruppen tatsächlich ausgehenden Gefahren unverhältnismäßig sei. Ferner konstatiert er, dass die staatlichen Behörden um eine Dramatisierung dieser Gefahren und eine Entpolitisierung der von den genannten Gruppen begangenen Straftaten bemüht sei. In diesem Zusammenhang lässt sich die Aussage, dass Mitglieder bewaffneter Gruppen in der Öffentlichkeit nicht als Gegner mit durchaus anerkennenswerter, moralisch hoch stehender Motivierung erscheinen sollten, schon nicht entnehmen, dass der Kläger diese in der genannten Weise charakterisiert. Dies ergibt sich entgegen der Wertung der Beklagten auch nicht aus der Verwendung des Wortes „durchaus“. Im Übrigen wäre auch die Attestierung einer moralisch hoch stehenden Motivierung noch keine Befürwortung gewaltsamer Methoden, sondern höchstens der dahinter stehenden politischen Ziele. Da in dem konkreten Zusammenhang entgegen der Darstellung der Beklagten aber gar keine konkrete terroristische Gruppe in Bezug genommen wird, kann auch keine Identifizierung mit bestimmten politischen Zielen erfolgen. Im Übrigen verdeutlicht die sich daraus ergebende Abstraktion der Aussage, dass es dem Kläger mit dieser nicht um die Befürwortung der Aktivitäten bewaffneter Gruppen ging, die in dieser Pauschalität angesichts der sich auch im linken Spektrum bewegenden divergierenden Organisationen auch fernliegend wäre.
383(c) Die von der Beklagten gerügte wiederholte Bezeichnung der in Folge des KPD-Verbots und des sog. Radikalenerlasses ergriffenen staatlichen Maßnahmen durch den Kläger als „institutionalisierte Berufsverbotepolitik“ und „judizielle und administrative Kommunistenverfolgung“ (u. a. in dem Beitrag „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“, Demokratie und Recht 2/87) und die Bezeichnung als „politische Verfolgung“ bzw. „politische Justiz“ lässt ebenfalls keinen Anhaltspunkt für eine Förderung der verfassungsfeindlichen Ziele der DKP bzw. ein Eintreten für eine kommunistische Gesellschaftsordnung erkennen. Es handelt sich dabei lediglich um drastische Kritik an den genannten zeitgeschichtlichen Phänomenen, die auch deshalb kaum geeignet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung als solche zu diskreditieren, weil sie sich (jedenfalls ganz überwiegend) auf in der Vergangenheit liegende, mithin überwundene Ereignisse bezieht. Im Übrigen ist festzustellen, dass der Begriff der „politischen Justiz“ im Zusammenhang mit der bundesdeutschen Nachkriegszeit inzwischen ‑ auch bei Juristen und Juristinnen - durchaus verbreitet ist. So lautete etwa der Titel eines Referats auf der vom Niedersächsischen Justizministerium veranstalteten Tagung „Deutsche Justizgeschichte ab 1945“, die im Februar 2015 in der Deutschen Richterakademie stattfand, „Politische Justiz in der Adenauer-Ära - noch in den Grenzen des Rechtsstaats?“ Ergänzend wird auch auf die zahlreichen vom Kläger genannten Belege für die Verwendung der Begrifflichkeit verwiesen.
384(d) Es ist ferner nicht erkennbar, worin die Beklagte Anhaltspunkte für ihre These sieht, die generell kritische Einstellung des Klägers in Bezug auf bestehende staatliche, insbesondere polizeiliche und geheimdienstliche Befugnisse sowie deren Ausweitung habe letztlich dazu gedient, im Interesse bzw. zur Förderung der DKP die wehrhafte Demokratie zu unterminieren, um sie in ihren Abwehrkräften gegenüber linksextremistischen Bestrebungen zu schwächen. Zu diesem Zweck habe der Kläger die Gefahren der Organisierten Kriminalität sowie terroristischer Akte linker Gruppierungen bagatellisiert, um anschließend aufzeigen zu können, es gehe in Wirklichkeit darum, legitime linke Opposition gegen das herrschende kapitalistische System zu unterdrücken. Die Beklagte schließt hier auf hinter einer bestimmten Kritik stehende Motive, ohne dies hinreichend zu belegen. Selbst wenn eine solche Bagatellisierung dazu diente, eine vermeintliche Unterdrückung linker Opposition anzuprangern, lässt dies noch nicht den Schluss zu, der Kläger befürworte die von der DKP angestrebte sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung. Es wird aus den Äußerungen des Klägers lediglich deutlich, dass er insbesondere - aber nicht ausschließlich - den Einsatz sicherheitsbehördlicher Befugnisse gegen die „linke Szene“, der er zugehörig ist, kritisch bewertet.
385So bringt der Kläger in dem bereits o. g. Artikel „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“ (Demokratie und Recht 2/87) sowie in einer Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung der Bundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung in Nürnberg am 16. Januar 1987 (veröffentlicht unter dem Titel „Terrorismus als Kampfbegriff der Herrschenden“ in „atom“, April/Mai 1987) seine Auffassung zum Ausdruck, die Ausweitung sicherheitsbehördlicher und strafprozessualer Befugnisse diene dazu, die linke „Szene“ bzw. das linke politische Spektrum zu kriminalisieren und zu delegitimieren. So führt der Kläger etwa in dem Abdruck der erwähnten Rede aus, unter die in den Bundesverfassungsschutzberichten verwendete Terrorismusdefinition („[…] der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen. Insbesondere durch schwere Straftaten oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen“) fielen der Sache nach auch die atomare Aufrüstung, die Aufrechterhaltung und der Ausbau des Atomenergieprogramms der Bundesregierung mit den immensen damit einhergehenden Gefahren sowie die Giftanschläge der chemischen Industrie auf Leben und Gesundheit der Bewohner und Bewohnerinnen. Ausgehend davon argumentiert er, die eigentlichen, wirklich bedrohlichen Gefahren für die Gesellschaft und Leib und Leben der Bürger und Bürgerinnen drohten von anderer Seite als vom Terrorismus der bewaffneten Gruppen und der militanten Widerstandsbewegungen. Die mit dem Terrorismusbegriff betriebene Angstpolitik habe die Funktion, von den wahren, den staatlich und industriell betriebenen (bzw. geduldeten) Risiken mit ihren größeren Gefahren für die Bevölkerung abzulenken. In diesem Zusammenhang spricht der Kläger auch vom „Terrorismus als Kampfbegriff derer, die von ihren eigenen Verbrechen ablenken wollen“. Dies mag eine polemische und überspitzte Kritik an den politischen Entscheidungen der damals Verantwortlichen sein, aber ein Bekenntnis zum gewaltsamen Umsturz oder einer kommunistischen Gesellschaftsordnung lässt sich auch daraus nicht ableiten.
386Selbiges gilt für die vom Kläger am Straftatbestand des § 129a StGB („Bildung terroristischer Vereinigungen“) geäußerte Kritik. Der Kläger führt, u. a. ebenfalls im Beitrag „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“, aus, dieser Straftatbestand verwische die Grenzen zwischen strafloser Vorbereitung und strafbarer Tat. Die Begehung eines der in § 129a Abs. 1 StGB genannten Delikte sei nicht Voraussetzung für eine Strafbarkeit, sondern nur die entsprechende Absicht, was einem Gesinnungsstrafrecht gleichkomme. Wenn den Ermittlungsbehörden im konkreten Einzelfall kein Schuldnachweis gelinge, diene § 129a StGB dazu, alle Mitglieder einer solchen Vereinigung für die von anderen Mitgliedern begangenen Straftaten haftbar zu machen, unabhängig davon, ob sie davon gewusst oder diese gebilligt hätten. Über den Tatbestand des Unterstützens bzw. Werbens werde der Terrorismusverdacht bis in die „unbewaffnete Linke hinein“ verlängert. Davon würden etwa auch bloße Meinungsäußerungen erfasst. Dass die Mehrzahl, nämlich 70 %, der Anklagen und Verurteilungen auf Grundlage des § 129a StGB den Unterstützungs- bzw. Werbetatbestand betroffen habe, verdeutliche, dass die Norm zum überwiegenden Teil auf eine bestimmte politische Gesinnung abziele und nicht auf die Bekämpfung von Gewaltkriminalität, die auch nach anderen einschlägigen Strafvorschriften zu ahnden wäre. Zudem würden Gerichten und Ermittlungsbehörden im Falle eines Verdachts einer Straftat nach § 129a StGB besondere, das Verfahren betreffende Befugnisse eingeräumt. So bestünden etwa erweiterte Möglichkeiten zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs, zur Durchführung von Identitätsfeststellungen, Großrazzien, Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Damit werde die Strafvorschrift zu einem „Ausforschungsparagraphen“, der genutzt werde, um auf dem schwer eingrenzbaren Gebiet einer politisch verdächtigen Szene breit zu ermitteln. Ähnliche Positionen äußerte der Kläger anlässlich der „6. Republikanischen Vesper“ ausweislich eines Zeitungsberichts („Strafrechtsparagraph 129a als Waffe im Kampf gegen links“, Neues Deutschland vom 24./25. Februar 2001) sowie in der Gastkolumne „25 Jahre ,Antiterrorʼ“ (Neues Deutschland vom 23./24. Juni 2001).
387Hinsichtlich des Beitrags „Waffengleichheit statt sozialverträglicher Lösungsansätze“ („Geheim“ Nr. 1/97) sowie dem im Wesentlichen gleichlautenden Artikel „,Waffengleichheitʼ mit dem ,Organisierten Verbrechenʼ? (Marxistische Blätter 3‑00) ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
388Zwar verhehlt der Kläger in den Beiträgen nicht seine Zugehörigkeit zum linken Meinungsspektrum. Es mag auch in Bezug auf die dargestellten Positionen ein - von der Beklagten näher dargelegter - Gleichklang mit der DKP bestehen. Ein kommunistisches Bekenntnis oder Befürworten einer gewaltsamen Revolution ist allerdings nicht erkennbar. Das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, das der Kläger in seinen Beiträgen vielfach in den Fokus stellt, gehört zu den wichtigen gesellschafts- und rechtspolitischen Fragen unserer Zeit. Die vom Kläger getroffene Wertung, dass die umfangreiche Ausweitung u. a. polizeilicher und nachrichtendienstlicher Befugnisse mit einer zu weitgehenden Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten einhergehe und Letzteres durch eine „Dramatisierung“ der tatsächlich bestehenden Gefahren kaschiert werden solle, ist eine Kritik an konkreten gesetzgeberischen Entscheidungen und einer bestimmten politischen Entwicklung, aber kein Plädoyer für eine Gesellschaftsordnung, wie die DKP sie anstrebt. Daher erschließt sich nicht, inwiefern sich aus den dargestellten Inhalten das Ziel der „Schwächung der Sicherheitsbehörden“ zu dem Zweck der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten einer kommunistischen Gesellschaftsordnung ableiten ließe. Dass dies - und nicht etwa die Schonung grundrechtlicher Freiheiten oder ein insgesamt liberales Staatsverständnis - Motiv und Ziel der Äußerungen des Klägers im Hinblick auf seine Kritik an der Ausweitung sicherheitsbehördlichen Eingriffsbefugnisse ist, bleibt letzten Endes nur eine Hypothese, die mangels hinreichender Belegangaben nicht zur Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG 1990 führt.
389(e) In eine ähnliche Richtung geht die Wertung der Beklagten, der Kläger befürworte eine „Wehrlosstellung der Polizei“ gegenüber gewalttätigen Demonstranten und sonstigen Gewalttätern. Es trifft zu, dass der Kläger in dem Artikel „Voraussetzungen für eine öffentliche Kontrolle der Polizei“ (in: Die unheimliche Sicherheit, 3. Aufl. 1986, S. 46 ff.) eine Reduzierung der Polizeistärke, das Verbot von CN- und CS-Gas, von Hartholz-Schlagstöcken sowie einen generellen Verzicht auf Polizeiwaffen (insbesondere Schusswaffen und Wasserwerfer) bei Demonstrationen fordert. Dieser radikale Ansatz geht von der im Beitrag geäußerten Überzeugung aus, dass sich „soziale Probleme und Konflikte nicht polizeilich lösen lassen“ und „notwendige, begleitende, unterstützende Forderungen nach Ursachenforschung und politischen Lösungen“ zu entwickeln seien. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht erkennbar, dass der Kläger dafür plädiert, die Polizei müsse „das Feld hilflos Gewalttätern überlassen“, oder dass hinter den genannten Forderungen das Ziel der Ermöglichung eines gewaltsamen Umsturzes gestanden hat.
390Im Hinblick auf das von der Beklagten aufgegriffene, vom Kläger im Artikel „Polizeiliche Einkreisung der Demonstrationsfreiheit“ („Geheim“ Nr. 1/87) verwendete Zitat Oskar Negts („Die Polizei soll sich auf wirklich schutzwürdige Interessen der Gemeinschaft konzentrieren und nicht versuchen, jene Interessen zu schützen, die in bestimmten Zusammenhängen nicht vereinbar sind mit den Lebensinteressen der Gesellschaft“) ist - ungeachtet einer inhaltlichen Bewertung - festzustellen, dass der Kläger dieses unkommentiert, d. h. auch ohne es sich zu eigen zu machen, wiedergibt. Daher ist die von der Beklagten vorgenommene Wertung und Interpretation, Gewalttäter sollten nach der Vorstellung des Klägers ungehindert von der Polizei gegen die Interessen kämpfen können, die sie als nicht vereinbar mit den Lebensinteressen der Gesellschaft ansehen, verfehlt.
391Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Positionen des Klägers zur Ausrüstung der Polizei und ihren Umgang mit Demonstranten und Demonstrantinnen einen hinreichenden Bezug zu den Forderungen der DKP aufweisen.
392(f) Den Äußerungen des Klägers lässt sich ferner - ungeachtet der Frage, ob insofern überhaupt eine inhaltliche Übereinstimmung mit der DKP besteht - kein Plädoyer für die Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols zu Ungunsten des Rechtsextremismus entnehmen. Dieses leitet die Beklagte daraus ab, dass er die Legalisierung linker Gewalt gegen Rechtsextremisten fordere. Sie bezieht sich dabei insbesondere auf das Referat des Klägers auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW am 12. Februar 2005 mit dem Titel „Zwischen Verharmlosung und Überreaktion - Zum staatlichen Umgang mit rechter Gewalt und Neonazismus“. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Tätigkeit des BfV auf dem Gebiet des Rechtsextremismus:
393„Es stellt sich für mich die Frage, ob die Delegation dieses gesellschaftlichen Problems an den Staat - und damit letztlich seine Verdrängung - nicht eine offensive zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus behindert und auch eine engagierte Gegenwehr durch die Bürger selbst; und es fragt sich, ob ein solches Delegieren nicht auch eine Sicherheitskonzeption befördert, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle politische Entwicklungen könnten etwa geheimdienstlich oder per Verbot, also durch den Staat verhindert werden. Vielleicht stimmen mir ja manche zu, wenn ich sage: Eine Gesellschaft gewinnt nicht dadurch an demokratischer Kraft, dass sie - auch extreme oder radikale - politische Positionen verbietet oder stellvertretend dem administrativen Staatsschutz zur weiteren Veranlassung überstellt, wobei die Freiheit in der Demokratie des Grundgesetzes ihre Grenze dort finden muss, wo der Versuch unternommen wird, das menschenverachtende Gedankengut des Naziregimes wiederzubeleben. Doch generell dürfte gelten, dass eine Gesellschaft viel eher dann an demokratischer Kultur gewinnt, wenn sie sich offen und offensiv auch mit solchen Positionen auseinandersetzt, auseinander zusetzen lernt. Und dazu gehört im übrigen auch, sich den Neonazis ungestraft in den Weg stellen zu können - was jedoch immer häufiger über § 21 Versammlungsgesetz verhindert wird. Die recht heterogenen Bündnisse, die sich hier engagieren, sind ein ganz wichtiger Bestandteil des politisch zu führenden Kampfes gegen rechts. Doch Polizei und Justiz versuchen immer wieder, ja zunehmend, diese engagierte Gegenwehr einseitig zu unterbinden.“
394Die Forderung, sich Neonazis bei Demonstrationen ungestraft in den Weg stellen zu können, mit einer Legalisierung linker Gewalt gegen Rechtsextremisten und einer Aufhebung des staatlichen Gewaltmonopols gleichzusetzen, wird dem Sinngehalt der Aussage nicht gerecht. Aus dem Kontext und den weiteren Ausführungen des Klägers wird vielmehr deutlich, dass er mit dem Passus „in den Weg stellen“ keine Gewaltanwendung, sondern Blockaden o. ä. meint. Der Kläger setzt sich im folgenden Abschnitt mit der Strafnorm des § 21 VersG auseinander und führt aus, dass auch Gegendemonstrationen dem Schutz des Grundgesetzes unterlägen. Die durch § 21 VersG bewirkte Kriminalisierung beeinträchtige die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. So werde die geforderte zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung, der gewaltfreie Protest gegen Neonazismus und Rassismus von Staats wegen behindert (Hervorhebung nur hier).
395Auch der Vorschlag der Schaffung von kommunalen Präventionsräten als Gegenmodell zum derzeitigen Verfassungsschutz, den der Kläger in seinem Buch „Big Brother & Co. Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft“ erhob (vgl. „Grundrechte im Ausnahmezustand“, Neues Deutschland vom 29. Januar 2001), lässt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit als Forderung der Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols bei der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen verstehen. In den kommunalen Präventionsräten sollten neue Formen von Sicherheit, neue strategische Konzepte, neue Kooperationen angestrebt werden. Das Eingehen von im gesellschaftlichen Bereich angesiedelten Kooperationen, auch beim Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, bedeutet keine Aufhebung des staatlichen Gewaltmonopols, zumal der Kläger mit kommunalen Präventionsräten staatliche Institutionen gemeint haben dürfte.
396(g) Den Äußerungen des Klägers lässt sich - wiederum ungeachtet der Frage, ob insoweit überhaupt ein hinreichender Bezug zur DKP besteht - ferner keine Befürwortung linksterroristischer Gewalttaten entnehmen. Soweit er in dem bereits erörterten Beitrag „Polizeiliche Einkreisung der Demonstrationsfreiheit“ („Geheim“ Nr. 1/87) in Bezug auf Deeskalationsgespräche im Vorfeld von Demonstrationen ausführt, solche bilateralen Verhandlungen klammerten notgedrungen eine wesentliche Frage aus, nämlich die nach der strukturellen Gewalt, die vorhanden sei, bevor der erste Stein fliege, legitimierte er damit bei vernünftiger Betrachtung nicht Steinwürfe auf Polizisten und Polizistinnen, sondern warf die Frage der Ursachen solcher Gewalttätigkeiten auf. Auch im Übrigen lässt die von der Beklagten gerügte „Begünstigung“ des Linksextremismus lediglich erkennen, dass der Kläger die vom Rechtsextremismus drohenden Gefahren als deutlich größer einschätzt bzw. strukturelle Unterschiede betont. In diesem Sinne ist die oben wiedergegebene Äußerung zu verstehen, dass die Freiheit in der Demokratie des Grundgesetzes ihre Grenze dort finden müsse, wo der Versuch unternommen werde, das menschenverachtende Gedankengut des Naziregimes wiederzubeleben.
397Vgl. dazu auch die (frühere) Rechtsprechung des OVG NRW, wonach die historisch bedingte Werteordnung des Grundgesetzes die demonstrative Äußerung nazistischer Meinungsinhalte auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle auf Grund verfassungsimmanenter Beschränkungen aus dem Kanon grundrechtlich geschützter Freiheitsrechte ausgrenze, siehe etwa Beschluss vom 29. Juni 2001 - 5 B 832/01 -, NJW 2001, 2986 = juris, Rn. 7.
398Im selben Abschnitt hatte sich der Kläger zuvor in Bezug auf Rechtsradikalismus grundsätzlich gegen das Verbot extremer oder radikaler Positionen ausgesprochen, was verdeutlicht, dass er die „Grenze der Freiheit“ nur im Ausnahmefall als überschritten ansieht.
399Als Verweis auf aus Sicht des Klägers bestehende strukturelle Unterschiede zwischen Rechts- und Linksextremismus, nicht aber als Befürwortung linksextremer Gewalttaten, lässt sich auch seine Äußerung im Artikel „Zum staatlichen Umgang mit dem Neonazi-Terror“ (Marxistische Blätter 6.93) verstehen:
400„Daß Rechts nicht gleich Links sein kann und beide politischen Bestrebungen deshalb auch unterschiedlich behandelt werden müßten, ergibt sich nicht allein aus der Geschichte, sondern diese Erkenntnis wird auch bestätigt durch die grundsätzlich verschiedenen Zielsetzungen, Angriffsziele und Handlungsweisen, wie immer diese im einzelnen zu bewerten, zu be- und verurteilen sind. Am Beispiel des ,Rechtsterrorismusʼ und des ,Linksterrorismusʼ läßt sich diese Tatsache ganz besonders deutlich aufzeigen: ,Rechtsterroristischeʼ Anschläge richten sich ‑ prinzipiell im Gegensatz zu ,linksterroristischenʼ - entweder relativ ungezielt gegen Teile der Bevölkerung, wie etwa das blutige Massaker auf dem Münchner Oktoberfest (was bisher ein ,untypischerʼ, aber durchaus wiederholbarer Einzelfall geblieben ist), oder gezielt gegen mißliebige Bevölkerungsgruppen, was sich als Regel herausstellt. […] Auch wenn sich die Mittel mitunter gleichen, zeichnen sich demgegenüber Anschläge, die von ,Linksterroristenʼ verübt oder ihnen zugeschrieben werden, in aller Regel dadurch aus, daß sie gezielt gegen staatliche Institutionen (JVA Weiterstadt) und gesellschaftliche Repräsentanten und Funktionäre, gegen Einrichtungen und Vertreter des ,großen Kapitalsʼ, des ʼmilitärisch-industriellen Komplexesʼ - Schleyer (Arbeitgeber-Präsident), Ponto (Dresdner Bank), Zimmermann (MTU), Beckurts (Siemens), Herrhausen (Deutsche Bank), Rohwedder (Treuhand) oder des ,staatlichen Repressionsapparatesʼ (Generalbundesanwalt Buback, Kammergerichtspräsident v. Drenkmann) gerichtet sind ‑ also gegen Personen und Institutionen, die politisch verantwortlich sind bzw. gemacht werden für vermeintliche oder tatsächliche Mißstände, Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen, für staatliche Repression, kapitalistische Unterdrückung oder für die Beteiligung an internationalen Verbrechen (Vietnamkrieg, Nicaragua, Südafrika).“
401Wenngleich die Darstellung eine deutliche Verharmlosungstendenz aufweist, muss bei der Betrachtung berücksichtigt werden, dass der vom Kläger gezogene Vergleich der unterschiedlichen Angriffssubjekte links- und rechtsextremistischer Gewalttäter im Folgenden nicht zu einer Rechtfertigung des Ersteren, sondern dazu dient, die daraus resultierenden Konsequenzen aufzuzeigen, die er wie folgt beschreibt:
402„Solche Vorgaben zeigen und die Erfahrungen bestätigen es: Dieser linke ,politische Terrorismus bedroht bei uns nicht jedermann, er bedroht eine ganz bestimmte Funktionseliteʼ (so der Strafrechtler Friedrich Dencker), eine Funktionselite, die es allerdings - mit Hilfe von Massenmedien, Politik und Staatsgewalten - fertiggebracht hat, ihre (potentielle) Betroffenheit zu verallgemeinern und der Bevölkerung als deren eigene zu verkaufen. Demgegenüber haben die Opfer des ,Rechtsterrorismusʼ keine Lobby. Es sind, wie gesagt, zumeist gesellschaftliche ,Außenseiterʼ, Ausländer, Asylbewerber, Berber, Linke, Juden, einfach Fremde, denen weite Teile der Bevölkerung selbst mit Vorurteilen, Ressentiments und latenter Gewaltbereitschaft begegnen.“
403Die von der Beklagten so verstandene Forderung, der Verfassungsschutz solle durch eine offen arbeitende, wissenschaftliche Dokumentationsstelle zur Beobachtung, Erforschung und Analyse des Rechtsextremismus ersetzt werden (und die Bekämpfung des Linksextremismus damit ganz entfallen), lässt sich den genannten Belegstellen („Das V-Mann-Unwesen muss unterbunden werden“, Frankfurter Rundschau vom 18. März 2004, sowie „Generalrevision der Verfassungsschutzbehörden überfällig“, „Geheim“ Nr. 1/2004) im Übrigen nicht entnehmen. Der Kläger machte in beiden Artikeln im Zuge der Diskussion um das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren und der Unterwanderung der Partei durch V-Leute verschiedene Vorschläge zu einer „Generalrevision“ der Verfassungsschutzbehörden. Zu diesen gehörte neben der Einsetzung einer unabhängigen Geheimdienstkommission und der Einführung eines Kontrollaufgaben wahrnehmenden Geheimdienstbeauftragten auch der Aufbau der genannten Dokumentationsstelle, weil der Verfassungsschutz im Bereich des Rechtsextremismus seine Aufgabe als „Frühwarnsystem“ nicht erfüllt habe.
404(h) Die Schlussfolgerung der Beklagten, der Kläger werfe der Bundesrepublik „die Schaffung von Terrorismus aus politischem Kalkül heraus“ vor, lässt sich anhand der betreffenden Textstelle nicht als vernünftige Interpretation einordnen. Im Übrigen ist auch insoweit bereits zweifelhaft, inwieweit überhaupt ein Bezug zu Zielen der DKP vorhanden ist. Im bereits erwähnten Beitrag „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“ (Demokratie und Recht 2/87) führt der Kläger im Zusammenhang mit der Erweiterung der Katalogstraftaten in § 129a StGB aus:
405„Verstärkt werden soziale Bewegungen dem ,Vorfeld des Terrorismusʼ zugerechnet und als ,Rekrutierungsfelderʼ kriminalisiert. Widerstandsaktionen und Demonstrationen zu ,terroristischen Aktenʼ umgefälscht - kurz: ,Terroristenʼ produziert.
406Der frisch verschärfte und am 1. Januar 1987 in Kraft getretene § 129a Strafgesetzbuch (,Terroristische Vereinigungʼ), dessen Anwendungsmöglichkeiten nun u. a. auf die Anti-AKW- und Friedensbewegung ausgedehnt wurden, macht deutlich, wie bei entsprechendem politischen ,Bedarfʼ per Gesetz ,Terroristenʼ erst geschaffen werden, um die solchermaßen Kriminalisierten besser verfolgen und aus dem Verkehr ziehen sowie ihr gesamtes politisches ,Umfeldʼ auskundschaften und verunsichern zu können.“
407Insoweit verweist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf, dass damit nur gesagt werde, durch entsprechende Ausdehnung strafrechtlicher Vorschriften - insbesondere der Ausweitung des Tatbestandsmerkmals der „terroristischen Vereinigung“ in § 129a StGB - würden zusätzliche „Terroristen produziert“, indem Verhaltensweisen durch Anti-Terror-Strafvorschriften erfasst werden, die bis dahin straffrei waren oder dem sonstigen Strafrecht unterfielen. Dies hat indes damit zu tun, dass der Terrorismus insgesamt nur auf einer normativen Definition beruht. Soweit die Beklagte die Passage dahingehend versteht, der Kläger leugne den Terrorismuscharakter der Straftaten, so trifft zu, dass er die Ausweitung des § 129a StGB zum 1. Januar 1987, mit der die in der Vorschrift vorgesehenen Katalogstraftaten erweitert wurden (etwa um § 305a StGB - Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel), und damit seitdem Straftaten als terroristische eingeordnet wurden, für die dies vorher nicht galt, für unverhältnismäßig und politisch verfehlt hält. Eine Diskussion über den Anwendungsbereich des § 129a StGB, dessen Eröffnung vielfältige Folgen auch im Strafverfahrensrecht hat, ist aber weder gleichbedeutend mit einer Befürwortung von Gewalttaten noch mit einem Bekenntnis zu einem gewaltsamen Umsturz, zumal die Reform der Strafvorschrift insgesamt umstritten war und etwa auch durch liberale Strafrechtslehrer abgelehnt wurde.
408Vgl. etwa Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch (Komm.), Band 2, 4. Auflage 2013, §§ 129a, 129b Rn. 5.
409(i) Die Wertung der Beklagten, der Kläger sehe die Bundesrepublik letztlich als nationalsozialistisch geprägt an, stellt ebenfalls keine tragfähige Interpretation seiner dafür in Bezug genommenen Äußerungen dar.
410Im Artikel „Auf der Suche nach den verlorenen Maßstäben“ (Demokratie und Recht Nr. 2/87) heißt es:
411„Denn der Staat der BRD war bereits vor Stammheim nicht mehr derselbe - gemessen an den ursprünglichen, verfassungsmäßig verankerten Standards der Grund- und Menschenrechte, gemessen an den Konsequenzen und Prinzipien, die zunächst wenigstens ansatzweise als Lehren aus dem deutschen Faschismus gezogen bzw. aufgestellt wurden. Schließlich muß gerade diese Diskrepanz zwischen ursprünglichem Anspruch und erlebter Wirklichkeit für die Entstehung des sog. Terrorismus in der Bundesrepublik mitverantwortlich gemacht werden:
412Es begann bekanntlich zur ominösen ,Stunde Nullʼ mit der Entnazifizierung - und endete im glatten Gegenteil. Dem Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes folgte die nachsichtige Behandlung von NS-Massenmördern und NS-Blutrichtern - eine Behandlung, die ihre konsequente Entsprechung in der mangelnden Entschädigung von NS-Opfern fand. Und die politische Verharmlosung des Neo-Faschismus findet fortan ihre Ergänzung in der politischen Verfolgung linksoppositioneller Kräfte und Gruppen - der ,kommunistischen Feindeʼ im Innern. […]
413Der deutsche Faschismus, seine Ursachen und seine Folgen wurden in der kapitalistischen Bundesrepublik, wie sich zeigt, mitnichten überwunden. Eine historisch angemessene Auseinandersetzung mit dem Staatsterrorismus hat nicht stattgefunden, entsprechende Konsequenzen wurden letztlich nicht gezogen.“
414Damit bringt der Kläger die seiner Meinung nach unzureichende historische und politische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft zum Ausdruck, die jedenfalls in der Rückschau auf die 1950er und 1960er Jahre heute in weitem Umfang - nicht nur in dezidiert „linken“ Kreisen - geteilt wird. Die Wertung, die Bundesrepublik sei nationalsozialistisch geprägt in dem Sinne, dass sie vergleichbare totalitäre Züge trage und sich hinsichtlich ihrer Gesellschaftsordnung letztlich nicht wesentlich unterscheide - und nur bei einem solchen Verständnis wäre ggf. die Grenze zur Schmähung ohne Sachbezug überschritten -, enthält der Abschnitt nicht.
415(k) Soweit die Beklagte Anhaltspunkte für die Befürwortung des Kommunismus bzw. eine kommunistische Überzeugung des Klägers darin sieht, dass er die deutsche Wiedervereinigung als „Anschluß der DDR an die BRD“ bezeichnet („Doppelbestrafung und ,gekaufteʼ Zeugen“, Neues Deutschland vom 26. Oktober 1993) und geäußert hat, die Bevölkerung der ehemaligen DDR habe im Zuge der Wiedervereinigung „mehrheitlich Kohl und Bananen gewählt“ („Stasi-Ost/Stasi-West: Droht der ,Vereinigte Sicherheitsstaatʼ deutscher Nation?“, „Geheim“ Nr. 2/90) erschließt sich weder ein Bezug zu einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung noch sonst zu einer Ablehnung der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG 1990 genannten Schutzgüter. Die - wenn auch polemisch zugespitzte - Kritik an dem Wahlergebnis in Ostdeutschland kann nicht in vernünftiger Weise als Ablehnung der Volkssouveränität und allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahlen verstanden werden. Vielmehr ist „Wählerschelte“ in den unterschiedlichsten politischen Lagern verbreitet anzutreffen.
416(l) Es ist ferner nicht ersichtlich, dass sich der Kläger werbend oder in sonstiger Form unterstützend für die DKP als solche geäußert hat.
417(m) Hinsichtlich des Berichts einer Quelle über die Rede des Klägers anlässlich der Veranstaltung „Wir beißen auf den Maulkorb“ am 7. Oktober 1988, in Bezug auf den die Beklagte erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung die Sperrerklärung aufgehoben und dem Senat den Inhalt zugänglich gemacht hat, lässt sich bereits kein hinreichender Bezug zur DKP oder ihren Zielen feststellen. Deshalb scheidet der Redebeitrag - ungeachtet der Frage seiner inhaltlich richtigen Wiedergabe und der sonstigen prozessualen Verwertbarkeit - als tatsächlicher Anhaltspunkt für eine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Partei aus.
418Zunächst bestand in organisatorischer Hinsicht kein erkennbarer Bezug zur DKP. Veranstalter der Diskussionsrunde, die anlässlich der Frankfurter Buchmesse stattfand, war ausweislich des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Plakats die Zeitschrift „contraste - Zeitung für Selbstverwaltung“. Als Teilnehmer waren neben dem Kläger u. a. noch Hermann L. Gremliza, der damals noch Mitglied der SPD war, sowie der Rechtsanwalt Götz von Olenhusen aufgeführt.
419Auch die vom Kläger thematisierten Punkte lassen keinen hinreichend deutlichen Bezug zur DKP erkennen; die geäußerten Positionen dürften vielmehr Ende der 80er Jahre im gesamten linken Spektrum überwiegend Zustimmung gefunden haben. Anhand des Titels der Veranstaltung und des in dem Quellenbericht wiedergegebenen Inhalts des Beitrags des Klägers lässt sich ableiten, dass der Themenschwerpunkt auf staatlicher Zensur lag. Der Kläger kritisierte in diesem Zusammenhang erneut den weiten Anwendungsbereich des § 129a StGB und die nachrichtendienstlichen Befugnisse der Geheimdienste. Zum Abschluss soll er dem Bericht zufolge wörtlich gesagt haben: „Wir müssen uns von daher auch das Recht auf bewaffneten Kampf vorbehalten.“ Dass er sich damit mit der DKP solidarisiert, lässt sich diesem Satz nicht entnehmen.
420(2) Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unterstützung der verfassungsfeindlichen Ziele der DKP bzw. der DKP als solcher bietet schließlich nicht der Umstand, dass der Kläger mehrere Beiträge in Publikationen der DKP („unsere zeit“ und „Marxistische Blätter“) sowie DKP-naher Organisationen („Deutsche Volkszeitung“, „info demokratie“, „Schwarz-Braun-Buch“ der VVN-BdA, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Demokratie und Recht“) veröffentlicht und einen Aufruf der VVN-BdA „zur Unterstützung antirassistischen und antifaschistischen Engagements vor Ort“ unterzeichnet hat sowie als Referent auf Veranstaltungen der DKP und ihr nahestehender Organisationen aufgetreten ist.
421Bei der Bewertung schriftlicher Veröffentlichungen und gehaltener Reden ist letztlich von deren Inhalt, nicht von der politischen Ausrichtung des Publikationsorgans oder der politischen Einstellung der Herausgeber, Veranstalter, Leser oder Zuhörer auszugehen. Darin sind lediglich indizielle Momente für den Inhalt und die Ziele einer Veröffentlichung oder Rede zu sehen. Ein durch die Veröffentlichung in einer als linksextremistisch eingestuften Zeitschrift oder durch den Redeauftritt bei einer entsprechenden Veranstaltung begründeter Verdacht, der Verfasser oder Redner teile die dort vorherrschende politische Haltung, erhärtet sich im Falle eines verfassungsmäßigen Inhalts gerade nicht.
422Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - 2 WD 42.00 u. a. -, a. a. O., Rn. 27.
423Dies muss unter Berücksichtigung der Gewährleistungen der Presse- und Berufsfreiheit in besonderem Maße gelten, wenn Veröffentlichungen bzw. Vorträge in Rede stehen, die im Rahmen einer (journalistischen) beruflichen Tätigkeit erfolgen. Insbesondere freiberuflich tätige Journalisten bzw. Publizisten veröffentlichen ihre Beiträge typischerweise in verschiedenen Presseerzeugnissen; die politische Ausrichtung der jeweiligen Medien lässt sich deshalb nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres auf sie projizieren. Letztlich muss die Maßgabe, dass es besonderer Anhaltspunkte bedarf, warum aus den Artikeln von Dritten entsprechende Bestrebungen der Redaktion oder des Herausgebers abgeleitet werden können,
424vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 -, a. a. O., Rn. 74 ff.,
425auch umgekehrt für Journalisten gelten, die in bestimmten Zeitschriften ihre Artikel veröffentlichen.
426Ausgehend davon kann der Umstand, dass der Kläger Artikel in DKP-nahen Zeitschriften veröffentlicht hat und auf einigen DKP-Veranstaltungen aufgetreten ist, keinen Anknüpfungspunkt für tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten. Sämtliche von der Beklagten herangezogenen Publikationen enthalten nach dem oben Gesagten keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Äußerungen des Klägers. Der Kläger hat in den entsprechenden Veröffentlichungen und Beiträgen lediglich seine verfassungskonformen politischen Ansichten geäußert. Es ist auch in Bezug auf diese Auftritte bzw. Veröffentlichungen nicht ersichtlich, dass er befürwortend oder gar werbend in Bezug auf die DKP als Partei insgesamt oder deren verfassungsfeindlichen Ziele aufgetreten ist.
427(3) Auch die gebotene Gesamtschau führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die verfassungsfeindlichen Ziele der DKP teilte und sie durch seine Publikationstätigkeit gefördert hat, ergeben sich insgesamt nicht. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger als Publizist in den Jahren der Beobachtung durch das BfV eine Fülle von Aufsätzen, Artikeln und sonstigen schriftlichen Beiträgen verfasst hat. Zum anderen ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass der Kläger - wie die wiedergegebenen Zitate in hinreichender Weise deutlich machen - einen Stil pflegt, der sich nicht durch Zurückhaltung und das Streben nach Verbindlichkeit auszeichnet. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals auf die Auseinandersetzung in der Geheim-Redaktion in Bezug auf den Artikel des Klägers „Die Problematik der personellen Abrechnung“ („Geheim“ Nr. 4/94) hingewiesen sowie darauf, dass er sich etwa bei der Rede auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW am 12. Februar 2005 kritisch zu einem Resolutionsentwurf des VVN-BdA äußerte, mit dem ein NPD-Verbot gefordert worden war. Ferner fordert der Kläger in vielen Beiträgen gerade die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und grundrechtlicher Freiheiten unter ausdrücklicher Berufung auf grundgesetzliche Vorgaben, etwa das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es fernliegend, dass der Kläger mit seinen Äußerungen letztlich für mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarende Ziele eingetreten ist bzw. eintreten wollte. Es dürfte zutreffen, dass - wie von der Beklagten beschrieben - kommunistische Parteien und Organisationen ihre in Wahrheit verfassungsfeindlichen Absichten tendenziell hinter Bekundungen verbergen, die verfassungsschutzrechtlich unverfänglich erscheinen oder auf den ersten Blick gar als Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie missverstanden werden könnten. Zudem werden agitatorische Freiräume nicht selten unter Berufung auf grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte verteidigt. Dies kann indes im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass für sich genommen unverfängliche Äußerungen aus dem linken Spektrum als in Wahrheit verfassungsfeindlich eingeordnet werden.
428Im Hinblick darauf, dass der Kläger neben der Befürwortung von bestimmten Teilzielen der DKP auch wiederholt DKP-nahe Medien für seine Veröffentlichungen nutzte und bei Veranstaltungen der DKP bzw. DKP-nahen Organisationen auftrat, ist im Rahmen der Gesamtschau zu berücksichtigen, dass dies Teil seiner beruflichen Tätigkeit als Publizist war und er die entsprechenden Positionen daneben auch in zahlreichen anderen - verfassungsschutzrechtlich unverfänglichen - Zeitschriften veröffentlicht hat und auf einer Vielzahl von sonstigen Veranstaltungen aufgetreten ist. Er hat sich mithin verschiedenster Kanäle für die Verbreitung seiner Artikel bedient, wobei die von der Beklagten in Bezug genommenen Medien den kleineren Teil ausmachen dürften (sie benennt in diesem Zusammenhang für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum - DKP-nahe Organisationen eingeschlossen - lediglich fünfzehn entsprechende Veröffentlichungen, die Teilnahme an zehn Veranstaltungen als Vortragender und die Unterzeichnung eines Aufrufs). Auch dies spricht gegen eine nachdrückliche Unterstützung gerade der DKP; es verdeutlicht vielmehr, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sich ihm bietende Foren umfassend nutzte.
429d) Es ergeben sich ebenfalls keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen DKP-naher Organisationen. Es kann dabei offen bleiben, ob sämtliche von der Beklagten genannten Personenzusammenschlüsse (VVN-BdA, DFU, Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges) Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, sei es aufgrund ihrer eigenen Programmatik, sei es aufgrund einer personellen oder sachlichen Übereinstimmung mit der DKP. Jedenfalls fehlt es auch in Bezug auf deren Unterstützung an Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger deren verfassungsfeindliche Ziele bzw. die Organisationen als solche unterstützt hat. Insoweit gilt das oben Gesagte sinngemäß.
430Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Äußerung des Vorsitzenden der „Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges“, L1. T., der den Kläger als „Partner“ bezeichnet hat, keinen tatsächlichen Anhaltspunkt für die Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bietet, weil sie keinen Rückschluss darauf zulässt, dass die „Partnerschaft“ sich gerade auf etwaige gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen - und nicht etwa auf eine anwaltliche Beratungstätigkeit oder andere verfassungskonforme Anliegen - bezieht. Auch lässt die Bezeichnung als „Freund“, der mit der Buchveröffentlichung „Vergessene Justizopfer des kalten Kriegs“ der Organisation sehr nützlich gewesen sei, keinen Rückschluss auf verfassungsfeindliche Bestrebungen zu, weil die darin zum Ausdruck kommende Übereinstimmung ersichtlich auf das Thema der Rehabilitierung vormals verfolgter Kommunisten bezogen ist. Eine weitergehende Übereinstimmung tritt nicht hervor. Auch ist nicht erkennbar, dass der Kläger das Buch im Auftrag oder im Namen der Initiativgruppe verfasst hat.
431e) Der Senat sieht auch nicht die Voraussetzungen als erfüllt an, die die Beobachtung eines „Einzeltäters“ rechtfertigen würden. Nach den obigen Ausführungen mussten deren Aktivitäten auch nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz 1950/1972 einen gewissen Schwellenwert im Hinblick auf Gefährlichkeit, Ernsthaftigkeit und Relevanz überschreiten. Dies ist vorliegend - auch unter Berücksichtigung der (angeblichen) Äußerung auf der Veranstaltung „Wir beißen auf den Maulkorb“ im Oktober 1988 zum „Gewaltvorbehalt“ - nicht der Fall. Soweit ersichtlich, ist die genannte Äußerung des Klägers die einzige mit einem derartigen Inhalt geblieben. Auch hat der Kläger, sofern er sich tatsächlich so geäußert haben sollte, nicht aktiv zum bewaffneten Kampf aufgerufen, sondern sich das Recht darauf lediglich für die Zukunft unter nicht näher wiedergegebenen Bedingungen „vorbehalten“.
432f) Selbst wenn man abweichend von obiger Darstellung davon ausgeht, dass im Zeitraum von 1973 bis 2008 - oder für einen Teil dieses Zeitraums - die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung des Klägers vorlagen, stellte diese sich jedenfalls als unverhältnismäßig dar. Bei einer Gesamtabwägung aller Umstände stehen die durch die gezielte Beobachtung des Klägers zu gewinnenden zusätzlichen Erkenntnisse außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in die grundrechtlichen Freiheiten des Klägers.
433Da die Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden regelmäßig Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Betroffenen und damit den Konflikt mit dem durch die Beobachtung beabsichtigten Schutz eines anderen Verfassungsgutes mit sich bringt, ist eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung zu leisten: Kollisionen verfassungsrechtlich geschützter Güter sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wege praktischer Konkordanz zu lösen, d. h. zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ist ein schonender Ausgleich herzustellen, der beiden betroffenen Rechtsgütern zu möglichster Entfaltung verhilft.
434Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 -, BVerfGE 67, 157 = juris, Rn. 47, und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1 = juris, Rn. 51, jeweils m. w. N.
435Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der nunmehr in § 8 Abs. 5, § 9 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BVerfSchG 1990 auch seine einfachgesetzliche Ausprägung gefunden hat, fordert im Allgemeinen, dass der staatliche Eingriff in ein Recht des Einzelnen zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss. Des Weiteren darf der Eingriff nach Maßgabe einer Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und denen des Betroffenen für diesen nicht unzumutbar sein. Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trägt Rechnung, dass die Beobachtung durch das BfV erst zulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bzw. für deren nachdrückliche Unterstützung durch Einzelpersonen vorliegen. Nachteile, die mit der Aufklärung eines so erhärteten Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen oder Unterstützungsleistungen verbunden sind, hat der Betroffene grundsätzlich hinzunehmen.
436Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1999 - 1 C 30.97 -, a. a. O., Rn. 33; OVG NRW, Urteile vom 12. Februar 2008 - 5 A 130/05 -, KirchE 51, 16 = juris, Rn. 343, und vom 13. Februar 2009 - 16 A 845/08 -, a. a. O., Rn. 121.
437Die Beobachtung des Klägers in Form der Sammlung und Auswertung von Informationen in einer Personenakte war - bei unterstellter Tatbestandsmäßigkeit, Geeignetheit und Erforderlichkeit - jedenfalls unverhältnismäßig im engeren Sinn. Die Beobachtung des Klägers beeinträchtigte mehrere grundrechtliche Freiheiten: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Berufsfreiheit. Hinsichtlich der gezielt zu einer Person erfassten Informationen besteht die typische Gefahrenlage, der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung begegnet: Wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß, kann ein Einschüchterungseffekt entstehen, der zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden.
438Vgl. BVerfG, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1 = juris, Rn. 148, und vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, BVerfGE 115, 166 = juris, Rn. 88.
439Im vorliegenden Fall konnte die gezielte Überwachung des Klägers aus den genannten Gründen zur Folge haben, dass er bei der Tätigkeit als Publizist von seiner Meinungs- und Pressefreiheit nur noch eingeschränkt Gebrauch macht, weil er befürchtete, dass ihm aus der behördlichen Registrierung seiner Tätigkeiten und Äußerungen Risiken oder Nachteile entstehen. Diese Gefahr potenzierte sich beim Kläger deshalb, weil ihm aus der staatlichen Beobachtung berufliche Nachteile erwachsen konnten. Die mit der Sammlung von Informationen über ihn verbundene Stigmatisierung war geeignet, Verlage und Zeitschriften ebenso wie sonstige Organisationen von einer Zusammenarbeit abzuhalten. Auch bestand die Gefahr, dass Leserinnen und Leser aufgrund des „Extremistenstempels“ von der Lektüre seiner Veröffentlichungen absahen. Einer besonderen Gefährdung unterlag in diesem Zusammenhang auch die berufliche Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt. Zum einen konnte durch die behördlicherseits vorgenommene politische Verortung das für eine Mandatierung erforderliche Vertrauensverhältnis empfindlich gestört werden. Zum anderen konnte auch die von potentiellen Mandanten oder - im publizistischen Bereich - Kontaktpersonen gefürchtete Möglichkeit einer staatlichen Registrierung der Verbindung und der damit einhergehenden Verletzung des sonst gewährleisteten Berufsgeheimnisses zur Abschreckung der genannten Personen führen. Diese für den Kläger ganz erheblichen und real bestehenden Auswirkungen sind auch ohne weitere Substantiierung seinerseits zu berücksichtigen; dies muss schon deshalb gelten, weil die genannten Effekte überwiegend psychologischer Natur und darüber hinaus - soweit das Verhalten Dritter betroffen ist - für den Kläger schon per se nicht beweisbar sind.
440Die genannten Gefahren bestanden nicht erst mit dem Bekanntwerden der Informationsbeschaffung durch das BfV, sondern bereits mit der Erhebung von Informationen selbst, weil diese mit der Gefahr des Bekanntwerdens verbunden war. Faktische Nachteile der Informationsbeschaffung treten mit ihrem Bekanntwerden unwiderruflich ein, deshalb kann nicht erst ihr Bekanntwerden nur ihre Fortsetzung rechtswidrig machen. Unerheblich ist ferner, dass im Wesentlichen der Kläger selbst die Erhebung von Informationen über ihn durch das BfV publik gemacht hat.
441Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010 - 6 C 22.09 -, a. a. O., Rn. 96 f. (im Zusammenhang mit einem Bundestagsabgeordneten).
442Zugunsten des Klägers ist in die Verhältnismäßigkeitsprüfung ferner einzubeziehen, dass ein von der Grundrechtsausübung abschreckender Effekt fremden Geheimwissens nicht nur im Interesse der betroffenen Einzelnen vermieden werden muss. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil die informationelle Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist,
443vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, a. a. O., Rn. 148.
444Gegenüber diesen Gefahren und Beeinträchtigungen muss der durch die Beobachtung bezweckte Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegend zurücktreten. Die Beobachtung dient der Aufklärung des Vorliegens, des Ausmaßes und potentieller Gefahren verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Dabei sind insbesondere die durch die Beobachtung der betreffenden Person zu gewinnenden Erkenntnisse ins Verhältnis zur Bedeutung dieses Erkenntnisgewinns für die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen der gleichsam „dahinterstehenden“ Gruppierung zu setzen.
445Vorliegend dürfte die personalisierte Beobachtung des Klägers allenfalls einen vergleichsweise geringen weiteren Erkenntnisgewinn erzielt haben: Da die von der Beklagten in Bezug genommenen Personenzusammenschlüsse ihrer Auffassung nach Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, dürften diese selbst ebenfalls Beobachtungsgegenstand sein und entsprechende Sachakten sowie Personenakten über eine größere Zahl herausgehobener Mitglieder und Unterstützer existieren. Im Zuge der Beobachtung der Organisationen werden die Aktivitäten des Klägers für diese (also Artikel in den entsprechenden Zeitschriften, Referate auf Veranstaltungen usw.) ohnehin erfasst und können einer Auswertung zugeführt werden (sofern die Beobachtung rechtmäßig sein sollte). Der Erkenntnisgewinn einer zusätzlichen Personenakte besteht u. a. darin, dass dadurch auch Aktivitäten des Klägers in „unverdächtigen“ Zusammenhängen - also insbesondere Artikel in anderen Zeitungen - erfasst werden. Dies dient nach Angaben der Beklagten der Aufklärung, inwieweit der Kläger für die Publizierung seiner Auffassungen auch Foren außerhalb des linksextremistischen Zeitungs- und Zeitschriftenspektrums nutzen konnte. Die Veröffentlichung in Presseorganen außerhalb dieses Spektrums verschaffe den betreffenden Vorstellungen besondere Verbreitung und sei geeignet, ihnen zusätzlichen Einfluss zu verleihen. Ferner dürfte die Anlage einer Personenakte zum Kläger geeignet sein, ein noch umfassenderes Bild von den jeweiligen Organisationen zu erhalten und bestehende (personelle) Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Personenzusammenschlüssen, für und in denen er aktiv war, aufzuzeigen.
446In diesen Zusammenhang ist aber wiederum einzustellen, dass der Kläger selbst keine verfassungsfeindlichen Positionen vertritt. Von ihm geht mithin kein relevanter Beitrag für eine mögliche Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die jeweiligen Gruppierungen aus. Es ist ferner nicht ersichtlich, inwieweit es dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dient, wenn erfasst wird, welche (selbst keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgenden) Autoren sowohl in als extremistisch eingestuften Publikationen als auch in insoweit unverdächtigen Printmedien Artikel veröffentlichen. Der zu erwartende zusätzliche Erkenntnisgewinn durch die gezielte Beobachtung des Klägers steht angesichts dessen - auch und insbesondere unter Berücksichtigung der jahrzehntelangen Dauer - außer Verhältnis zu den damit einhergehenden schwerwiegenden grundrechtlichen Beeinträchtigungen.
447Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
448Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Von grundsätzlicher Bedeutung ist insbesondere die Klärung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Beobachtung im Falle der Unterstützung eines Personenzusammenschlusses.