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Stellt eine Kommune eine öffentliche Einrichtung im Rahmen der jeweiligen Widmung für die Durchführung von bestimmten Veranstaltungen zur Verfügung, entsteht dadurch auch jenseits der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
Eine Widmungsbeschränkung für eine öffentliche Einrichtung greift in die Meinungsfreiheit ein, wenn sie an Meinungsäußerungen mit einem bestimmten Inhalt anknüpft. Zur Rechtfertigung eines solchen Eingriffs bedarf es eines allgemeinen Gesetzes; ein einfacher Ratsbeschluss genügt insofern nicht.
Soll die begehrte Nutzung im Rahmen der Widmung erfolgen, bedarf es für die Versagung sachlicher Gründe, etwa zu erwartender Rechtsverstöße bei der konkret beabsichtigten Nutzung. An den Inhalt zu erwartender Äußerungen kann insoweit im Hinblick auf die Gewährleistungen der Meinungsfreiheit nur dann angeknüpft werden, wenn diese gegen die Meinungsfreiheit beschränkende Regelungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, insbesondere gegen Strafgesetze (z. B. nach § 130, § 185 StGB), verstoßen.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
3der Antragstellerin durch entsprechende Einwirkung auf die X. halle GmbH Zugang zur Halle 2 der X. halle für den 00. März 2023 ab 12.00 Uhr bis zum 00. März 2023 um 01.00 Uhr für die Veranstaltung „Vortrag A. B. – Warum ist der Z. -Krieg ausgebrochen?“ am 00. März 2023 um 20.00 Uhr zu verschaffen.
4Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Beschwerdevorbringen weckt keinen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung sei ein Anordnungsanspruch gegeben.
5Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, das heißt, wenn der geltend gemachte materielle Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht.
6Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 12. Mai 2021 - 15 B 605/21 -, juris Rn. 6 f. m. w. N.
7Dies ist hier der Fall. Bei der X. halle handelt es sich um eine öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 1 GO NRW. Stellt eine Kommune diese im Rahmen der jeweiligen Widmung für die Durchführung von bestimmten Veranstaltungen zur Verfügung, entsteht dadurch auch jenseits der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Die Entscheidungsfreiheit der Kommune, in welchem Umfang sie Zugang zu ihrer Einrichtung gewährt, ist ausgehend davon begrenzt. Die jeweilige Vergabepraxis und -entscheidung muss durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2018- 15 B 875/18 -, juris Rn. 9 ff; Sächs. OVG, Beschluss vom 16. Mai 2012 - 4 B 140/12 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Beschluss vom 14. April 2011 - 10 ME 47/11 -, juris Rn. 30.
9Wird eine gemeindliche öffentliche Einrichtung - wie hier - durch eine juristische Person des Privatrechts betrieben, auf die die Gemeinde hinreichende Einwirkungsmöglichkeiten hat, wandelt sich der Benutzungsanspruch in einen Verschaffungs- bzw. Einwirkungsanspruch, für den die aufgezeigten Grundsätze in gleicher Weise gelten.
10Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2019 - 15 B 481/19 -, n. v.; vgl. ferner (im Hinblick auf den parteienrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch) BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 - 7 B 184.88 -, juris Rn. 6 f.
11Dies zugrunde gelegt, steht der Antragstellerin der geltend gemachte Einwirkungsanspruch zu, weil sich die streitgegenständliche Veranstaltung im Rahmen des Widmungszwecks bewegt (dazu 1.) und auch sonst kein sachlicher Grund für eine Nutzungsversagung besteht (dazu 2.).
121. Die X. halle ist von der Antragsgegnerin für Veranstaltungen aller Art gewidmet worden. An den Widmungsakt sind keine förmlichen Anforderungen zu stellen. Die Widmung kann demgemäß nicht nur durch Satzung oder Beschluss des Gemeinderats ausgesprochen werden, sondern sich auch aus einer Vergabepraxis ergeben. Erfolgt der Widmungsakt durch förmlichen Gemeinderatsbeschluss, so hat eine Änderung des Widmungsumfangs grundsätzlich ebenfalls durch Gemeinderatsbeschluss zu erfolgen.
13Vgl. Bad.-Württ. VGH, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 1 S 2629/97 -, juris Rn. 11 (wobei allerdings eine über den festgelegten Widmungszweck der öffentlichen Einrichtung hinausgehende Vergabepraxis zu Gunsten der Anspruchsteller zu berücksichtigen sei).
14Die X. halle wird nach § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der X. hallen Y. GmbH in der Fassung vom 00. Dezember 2013 zu dem Zweck genutzt und betrieben, Veranstaltungen aller Art, insbesondere Messen, Ausstellungen, Tagungen und Kongresse, Kultur-, Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen, durchzuführen oder deren Durchführung zu ermöglichen. Ungeachtet der Frage, ob der Fassung des § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages ein entsprechender Ratsbeschluss zugrunde liegt (der vom Verwaltungsgericht benannte Beschluss des Rates vom 00. Dezember 2013 beinhaltet lediglich andere Teile des Gesellschaftsvertrages betreffende Änderungen), ist jedenfalls angesichts der alleinigen Beherrschung der Betreibergesellschaft durch die Antragsgegnerin in der Festlegung des Nutzungszwecks in dem Gesellschaftsvertrag zugleich deren explizite Widmungsentscheidung zu sehen. Der geplante Vortrag des Herrn B. zum Thema „Warum ist der Z. -Krieg ausgebrochen?“ bewegt sich innerhalb dieses weiten Widmungszwecks, in dessen Umsetzung die Antragsgegnerin der Antragstellerin die X. halle bereits am 00. November 2021 für eine Veranstaltung mit dem Vortragenden zu einem politischen Thema zur Verfügung gestellt hatte.
15Der beschriebene Widmungszweck ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht durch den Beschluss des Rates der Antragsgegnerin vom 00. Februar 2019 wirksam eingeschränkt worden.
16Der Beschluss lautet: „Der Rat der Stadt Y. schließt sich der Grundsatzerklärung des Netzwerks zur Bekämpfung von Antisemitismus in Y. vom 00.01.2019 an.“ Bei dem Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus handelt es sich um einen Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen und städtischen Institutionen. In der Grundsatzerklärung findet sich folgende Passage:
17„III. Keine Zusammenarbeit mit Akteuren, die den genannten Definitionskriterien widersprechen.
18Im Zuge einer allgemeinen Demokratieförderung und aufgrund der Tatsache, dass der Antisemitismus sich als Praxis der Gewalt in Wort und Tat gegen die Prinzipien des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens richtet, ist die Bekämpfung des Antisemitismus eine zentrale Aufgabe demokratischer Akteurinnen und Akteure.
19Das bedeutet auch, dass Organisationen, Vereinen und Personen, die etwa den Holocaust leugnen oder relativieren, die Existenz Israels als jüdischen Staat delegitimieren, zu antijüdischen oder antiisraelischen Boykotten aufrufen, diese unterstützen oder entsprechende Propaganda verbreiten (z.B. die Kampagne ,Boycott – Divestment – Sanctions [BDS]‘) oder die anderweitig antisemitisch agieren, keine Räumlichkeiten oder Flächen zur Verfügung gestellt werden.
20Dementsprechend ist die Zusammenarbeit mit Gruppen oder Einzelpersonen, die den oben genannten Definitionskriterien widersprechen, abzulehnen.“
21Der Senat geht der Frage, ob der Ratsbeschluss unmittelbar auf eine Einschränkung des Widmungszwecks öffentlicher Einrichtungen der Antragsgegnerin gerichtet und in diesem Fall hinreichend bestimmt ist, nicht weiter nach.
22Eine - im Weiteren unterstellte - Widmungsbeschränkung mit dem Inhalt der wiedergegebenen Passage der Grundsatzerklärung ist in dieser Allgemeinheit, soweit sie über einen (deklaratorischen) Ausschluss strafbaren Verhaltens hinausgeht, unwirksam. Sie verstößt nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung gegen die grundrechtlichen Gewährleistungen der Meinungsfreiheit. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend. Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird. Die Bürgerinnen und Bürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürgerinnen und Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Es vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.
23Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, juris Rn. 49 f.; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 - 8 C 35.20 -, juris Rn. 18; ferner Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Gutachten zum BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages, WD 3 - 3000 - 288/20, S. 6.
24Die Meinungsfreiheit ist nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten selbst eingeschränkt oder untersagt wird. Es genügt, dass nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden.
25Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992- 1 BvR 126/85 -, juris Rn. 20, und vom 27. August 2019 - 1 BvR 811/17 -, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 - 8 C 35.20 -, juris Rn. 18.
26Die hier in Rede stehende Widmungsbeschränkung greift in die Meinungsfreiheit ein. Sie knüpft nachteilige Rechtsfolgen, nämlich den Ausschluss von der Nutzung öffentlicher kommunaler Einrichtungen, an Meinungsäußerungen mit einem bestimmten Inhalt, und zwar nicht nur solche, die strafbar sind (insbesondere als Volksverhetzung nach § 130 StGB).
27Dieser Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten und sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Insoweit nimmt nicht schon jede Anknüpfung an den Inhalt von Meinungen als solche einem Gesetz den Charakter als allgemeines Gesetz. Vielmehr sind auch inhaltsanknüpfende Normen dann als allgemeine Gesetze zu beurteilen, wenn sie erkennbar auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter und nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 1 und 2 GG nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung erlaubt, sondern erst dann zum Eingriff ermächtigt, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen. Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.
28Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 -, juris Rn. 55 ff., vom 22. Juni 2018 - 1 BvR 673/18 -, juris Rn. 24, und vom 7. Juli 2020 - 1 BvR 479/20 -, juris Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022- 8 C 35.20 -, juris Rn. 20.
29Ausgehend davon ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, weil dem (unterstellt) widmungsbeschränkenden Ratsbeschluss schon die erforderliche Rechtssatzqualität fehlt. Im Übrigen trifft der Ratsbeschluss auch keine allgemeine Regelung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Er ist nicht meinungsneutral, sondern knüpft insbesondere im Hinblick auf die BDS-Bewegung u. a. an bestimmte politische Meinungen und Einschätzungen an. Die inhaltsanknüpfende Regelung ist auch nicht ausschließlich auf den Schutz bestimmter, auch sonst in der Rechtsordnung geschützter Rechtsgüter gerichtet. Nicht mit sämtlichen von der Grundsatzerklärung bzw. dem Ratsbeschluss missbilligten Äußerungen und Aufrufen gehen strafbare Handlungen (etwa nach § 130 oder § 185 StGB) oder anderweitige relevante Rechtsverstöße einher. Dem Senat liegen insbesondere keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, dass die im Bundesgebiet entfalteten Aktivitäten der auf den Staat Israel zielenden Boykottbewegung „BDS“, die ebenfalls in Gänze von der Grundsatzerklärung erfasst wird, eine die Friedlichkeitsgrenze überschreitende gezielte Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Personengruppe umfassen könnten.
30Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. November 2020- 4 B 19.1358 -, juris Rn. 58 f.; siehe ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 - 8 C 35.20 -, juris Rn. 21.
312. Soll die begehrte Nutzung danach im Rahmen der Widmung erfolgen, bestehen auch sonst keine sachlichen Gründe für die Versagung des Einwirkungsanspruchs, etwa wegen zu erwartender Rechtsverstöße bei der konkret beabsichtigten Nutzung.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2015- 15 A 86/14 -, juris Rn. 18.
33An den Inhalt zu erwartender Äußerungen des Vortragenden kann insoweit im Hinblick auf die dargelegten Gewährleistungen der Meinungsfreiheit nur dann angeknüpft werden, wenn diese gegen die Meinungsfreiheit beschränkende Regelungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, insbesondere gegen Strafgesetze (z. B. nach § 130, § 185 StGB), verstoßen. Dass eine solche Gefahr vorliegend besteht, ist dem Vorbringen der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen; dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Darauf, ob die Äußerungen des Vortragenden dazu geeignet sind, „den Nährboden für antisemitische Ressentiments zu bilden“, wie die Antragsgegnerin meint, kommt es nicht an.
34Im Übrigen verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass weder das Vortragsthema für sich betrachtet die Gefahr strafbarer Äußerungen nahelegt noch die von der Antragsgegnerin angeführten früheren Äußerungen des Vortragenden - namentlich zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und zum angeblichen Umgang mit Corona-Impfgegnern - die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten haben.
35Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
36Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.